Zum Inhalt der Seite

Der ewige Göttername

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Blut

So viele Hoffnungen der Menschheit sind wie Lichtfunken in der Nacht:

Sie erleuchten nichts als sich selbst.

Und dennoch hat die Existenz des Lichts an sich, etwas unendlich Beruhigendes.

(Friedrich Hebbel)
 

Blitze zuckten und erhellten für die Bruchteile von Sekunden das Kampffeld.

Die beiden Männer standen sich ruhig gegenüber und warteten darauf, dass der jeweils andere den ersten Zug vollführte und sich damit angreifbar machte.

Abgesehen von dem fernen Grollen des Donners war nichts zu hören. In dieser Welt schien es nur sie beide und das Wetter zu geben.

Beide Männer trugen Schwerter. Der Silberhaarige trug ein Katana mit sich, der Braunhaarige führte sogar gleich zwei Klingen, eine rote Flüssigkeit tropfte daran herunter und verlor sich in der unendlich erscheinenden Dunkelheit, die sich unter dem Gitter, auf dem die Männer standen, befand.

Die stahlblauen Augen des Silberhaarigen schienen zu leuchten, als er seine Stimme hob, um die Stille zu durchbrechen: „Du hast sie alle getötet... Jiruol?“

Jiruol neigte den Kopf. „Sie standen mir im Weg, genau wie du. Also geh zur Seite, Rutsuruji!“

Der Silberhaarige hob das Katana mit nur einer Hand. Es konnte keine normale Klinge sein, wenn sie sich so leicht führen ließ – oder ihr Träger war kein Mensch.

Sein Gegenüber lachte abfällig und hob seine eigenen Schwerter. „Malst du dir etwa Chancen aus?“

Es erfolgte keine Antwort.

„Komm schon!“, stichelte Jiruol. „Fang an!“

Rutsuruji preschte vor. Seine Klinge prallte auf eine von Jiruols. Reflexartig wich der Katanakämpfer zurück und entging somit knapp der zweiten Klinge, die ihn aufspießen wollte.

„Zappel doch nicht so!“, rief Jiruol lachend. „Du entkommst mir ohnehin nicht!“

Immer wieder stieß er mit einer der beiden Klingen nach vorne und gönnte seinem ausweichenden Gegenüber damit keine Verschnaufpause.

Erst als er Rutsuruji an den Rand des Gitters gedrängt hatte, stellte er die Angriffe wieder ein.

„Wir wissen beide, wie es ausgehen wird“, sagte Jiruol kalt lächelnd. „Willst du nicht lieber gleich aufgeben?“

„Niemals!“

Das Katana verschwand aus der Hand des Silberhaarigen. Mit bloßen Händen stürzte er sich auf Jiruol, der so perplex von dieser Handlung war, dass er sich nicht rührte, bis er zu Boden gerissen wurde.

Rutsuruji verschwendete keine Zeit und blieb auch nicht auf Jiruol sitzen. Mittels einer Rolle begab er sich wieder auf das Gitter, so dass Jiruol nun mit dem Rücken zum Abgrund stehen musste.

Mit einem leisen Lachen richtete der Braunhaarige sich auf. „Kompliment, damit habe ich nicht gerechnet. Aber du hast dir lediglich ein wenig mehr Zeit verschafft.“

Rutsuruji grinste, seine blauen Augen schienen wieder von innen heraus zu leuchten. „Das glaube ich nicht.“

Erneut preschte er vor. Da der Silberhaarige unbewaffnet war, ließ Jiruol seinen Oberkörper ungeschützt, um die Schwerter zu heben und seinen Angreifer damit endgültig zu töten.

Er sah noch ein seltsames Blitzen, bevor er den Schmerz in seiner Brust spürte.

Ungläubig sah er hinunter. Rutsuruji hielt sein Katana in der Hand – und die Klinge steckte tief in Jiruols Oberkörper.

„Narr!“, polterte der Getroffene. „Wenn ich sterbe, nehme ich dich mit!“

Rutsuruji schloss lächelnd die Augen, während Jiruol eines seiner Schwerter hob. „So bekommt in diesem Leben keiner von uns das, was wir uns gewünscht haben.“

Der Braunhaarige antwortete nicht. Er ließ seine Klinge herunterfahren. Mühelos ging sie durch die Kleidung, das Fleisch und die Knochen.

Den Aufprall auf dem Boden spürte Rutsuruji bereits nicht mehr. Im selben Moment verschwand auch sein Katana wieder. Blut strömte ungehindert aus Jiruols Wunde. Er fluchte und taumelte rückwärts. „Von jemandem wie dir besiegt zu werden...! Lächerlich...“

Er konnte spüren, wie er ins Leere trat. Krampfhaft hielt er sich an seinen Schwertern fest, als ob die ihm helfen könnten.

Kopfüber stürzte er in die Dunkelheit. Er schloss die Augen.

In meinem nächsten Leben...

Seine Schwerter verschwanden – und er hörte auf zu existieren.

Ein neues Zuhause

Blinzelnd öffnete der Jugendliche seine Augen.

Schon wieder so ein seltsamer Traum. Langsam nervt das.

Sei Blick ging aus dem Fenster. In der Scheibe spiegelte sich sein Bild, sein braunes Haar war durcheinander und die blau-grünen Augen verrieten seine Müdigkeit. Es war kein gutes Bild, das sich ihm da präsentierte.

Gedanklich schob er es beiseite und konzentrierte sich auf die Umgebung. Er kannte die Gebäude noch von früher, lediglich die Namen auf den Firmenhäusern hatten sich verändert, ansonsten schien alles genau wie vor fünf Jahren zu sein. Es war noch gar nicht so lange her, dass er hier weggegangen war und nun kehrte er wieder zurück, so wie er es immer vorgehabt hatte. Es war ihm nicht klar, was es war, aber etwas in seinem Inneren hatte ihn in diese Stadt zurückgezogen und gab ihm nun ein gutes Gefühl.

Ob es Heimweh gewesen war?

Er wusste es nicht und er wollte es auch nicht weiter hinterfragen. Es kam ihm nur darauf an, dass er endlich ein normales Leben führen könnte, so wie jeder andere Jugendliche in seinem Alter.

Bislang war es nicht wirklich normal gewesen. Zumindest nicht in seinem Sinne.

Eine Durchsage unterbrach seine Gedanken: „In wenigen Minuten erreichen wir die Haltestelle Minami-Bezirk. Bitte achten Sie beim Verlassen des Zuges darauf, dass Sie Ihre Wertsachen mit sich führen.“

Seufzend erhob er sich von seinem Platz. Er holte den Koffer von der Ablage und griff schließlich nach seiner Tasche. Er besaß nicht viele Sachen, weil es in den letzten fünf Jahren niemanden gegeben hatte, der ihm diese hätte kaufen können. Seine Eltern waren nicht mehr da und das Pflegepersonal hatte nur seine Grundversorgung sichergestellt.

Nun sollte er bei der Familie Nagamine unterkommen. Er kannte sie noch von früher und war mit deren Tochter gut befreundet gewesen. Allerdings erinnerte er sich nicht mehr daran, wie sie aussahen. Ob er sie auf dem Bahnsteig überhaupt erkennen würde?

Ob sie ihn erkennen würden?

Als er seine Sachen zu einer der Türen getragen hatte, hielt der Zug bereits. Die Türen öffneten sich, hastig trat er auf den Bahnsteig hinaus, bevor er von anderen Reisenden umgelaufen werden konnte.

In aller Seelenruhe lief er durch die Menschenmassen, auf der Suche nach einem stillen Plätzchen, wo er auf die Nagamines warten konnte. Als er eines gefunden hatte, stellte er Koffer und Tasche ab und setzte sich auf ersteres.

Seufzend sah er sich um. Menschen hasteten an ihm vorbei, jeder mit seinem eigenen Ziel. Ob er auch noch so ein Ziel finden würde?

Es reichte ihm vollauf, wenn er nach der Schule eine Arbeit finden würde. Große Pläne hatte er nicht und peilte er auch nicht an. Seit dem Tod seiner Eltern war ihm nur wichtig, dass er ein gutes Leben führte, ohne großartige Ereignisse oder Spannung. Das Leben – so grau es für andere schien – war für ihn genug Spannung und Aufregung. Besonders wenn er dabei an seine seltsamen Albträume dachte. Im Zug waren es zwei Männer gewesen, die sich gegenseitig bekämpft hatten, manchmal träumte er nur von einem der beiden Männer, der ein wahres Blutbad unter Leuten anrichtete, die offensichtlich einmal Freunde von ihm gewesen waren.

Offen blieb für ihn dabei immer die Frage: Warum tat dieser Mann das?

Aber noch viel wichtiger: Warum träumte er eigentlich davon?

Er hatte so etwas noch nie irgendwo gesehen oder gar erlebt. Woher kamen also diese Träume?

„Du solltest nicht so viel darüber nachdenken.“

Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf und entdeckte ein Mädchen mit langem schwarzen Haar. Sie trug eine Schuluniform und schien in seinem Alter zu sein.

Die Hände in die Hüften gestemmt, sah sie ihn lächelnd an. „Mach dir keinen Kopf. Alles wird sich klären, wenn die Zeit gekommen ist.“

„Danke, ich habe kein Interesse an irgendeiner Religion“, erwiderte er gleichgültig.

Sie lachte. „Darum bin ich auch nicht hier. Aber ich weiß, warum du hier bist. Und du weißt es auch, wenn du tief genug in dich gehst.“

Er senkte den Blick, holte tief Luft und hob den Kopf schließlich wieder, um noch einmal etwas Scharfes zu erwidern. Aber das Mädchen war weg, es war niemand mehr da, dem er seine Worte hätte sagen können.

Er dachte nicht weiter darüber nach. Möglicherweise war sie nur ein Teil einer Wahnvorstellung gewesen. Nach dem Tod seiner Eltern hatte er das oft gehabt, in den letzten Jahren allerdings nicht mehr, was ihn ungemein gefreut hatte, denn das war nur ein weiterer Schritt in ein normales Leben gewesen.

Langsam dürften die Nagamines doch mal auftauchen, dachte er bei sich, während er wieder seinen Blick über die Menschenmenge schweifen ließ. Oder vielleicht haben sie mich auch vergessen. Das würde ja toll anfangen.

Ein Mädchen mit grün-blauem Haar, das ihr bis zum Kinn reichte, fiel ihm ins Auge. In ihrem Haar trug sie eine kleine rote Schleife.

So eine habe ich der Tochter der Nagamines geschenkt, durchfuhr es ihn. Ist sie das?

Das Mädchen sah sich suchend um. Als sie ihn entdeckte, lächelte sie und kam auf ihn zu. „Nozomu-chan?“

Er sagte nichts, sondern sah sie nur an. Als sie so vor ihm stand, erinnerte er sich wieder an sie. Ja, er hatte als Kind wirklich viel Zeit mit ihr verbracht, kein Wunder, hatten sie doch immerhin in derselben Straße gewohnt und waren bereits ihre Eltern befreundet gewesen.

„Nozomu-chan, erinnerst du dich an mich? Ich bin Nozomi.“

Er nickte, während er aufstand. „Natürlich erinnere ich mich an dich.“

Sie lächelte glücklich. „Oh Nozomu-chan, es ist so lange her. Wie geht es dir?“

„Na ja... wie es einem eben geht. Wo sind denn deine Eltern?“

„Sie bereiten noch schnell alles für dich vor. Mama kocht ein ganz opulentes Essen für dich und Papa dekoriert das Wohnzimmer für dich.“

Nozomu seufzte. „Das wäre doch nicht nötig gewesen...“

Sie lachte leise. „Du weißt doch, wie sie sind. Komm, ich helfe dir mit deiner Tasche.“

Bevor er antworten konnte, hatte sie sich bereits seine Tasche geschnappt und lief voraus. Mit dem Koffer in der Hand folgte er ihr hastig.

Auf den Straßen selbst schien sich nichts verändert zu haben. Je mehr Schritte Nozomu tat desto mehr Erinnerungen an seine Kindheit kamen wieder. Wie er mit Nozomi auf diesen Straßen Fußball gespielt hatte und wie beide beinahe von einem Auto überfahren worden wären – und wie ein wilder Hund sie einmal angefallen hatte. Doch egal wie sehr Nozomu sich anstrengte, er erinnerte sich nicht mehr daran, was den Hund damals davon abgehalten hatte, sie zu verletzen. Und so sehr, dass er Nozomi danach fragen würde, interessierte es ihn auch nicht.

Er schielte zu ihr hinüber, als sie wieder gleichauf liefen. Das Mädchen sah stur geradeaus, ein leichtes Lächeln zierte ihr Gesicht. Manchmal zuckten ihre Lippen als ob sie kurz davor wäre, etwas zu fragen, aber jedesmal blieb ihr Mund geschlossen, die Worte unausgesprochen.

Auch wenn Nozomu sich denken konnte, worüber sie reden wollte, schwieg er. Er wollte ihr weder erklären, was genau mit seinen Eltern geschehen war noch dass er keine Lust hatte, ihr davon zu erzählen. Also war es ihm lieber, wenn sie von vorneherein schwieg und sie schien das genau zu wissen.

Das Haus der Nagamines hätte er nicht mehr erkannt. Es sah zwar noch aus wie damals, wie Nozomi ihm versicherte, aber er konnte es in seinen Erinnerungen nicht wiederfinden.

Auch fehlte das heimatliche Gefühl, als er die Haustür hinter sich schloss. Es kam Nozomu vor als ob er noch nie hier gewesen wäre. Aber Heimweh spürte er auch keines.

Er hatte kein anderes Heim, dies war es von nun an, damit musste er sich abfinden.

Doch auch die für ihn bereitgestellten Hausschuhe änderten nichts an dem Gefühl.

Auf Nozomis Aufforderung ließ er den Koffer neben der Tasche stehen und folgte ihr in die Küche, wo eine Frau in einer Küchenschürze arbeitete. Sie lächelte warm, ein Lächeln, das Nozomu sofort erkannte. „Yuzuki...“

Sie nickte. „Richtig. Ich freue mich, dass du dich an mich erinnerst. Es ist immerhin schon einige Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Und wie groß du geworden bist.“

Er nickte nur. Ein Mann kam in die Küche und legte lächelnd seine Hände auf Nozomus Schultern. „Gut dich zu sehen, Junge. Wie war die Fahrt?“

„Takuya... die Fahrt war in Ordnung.“

„Ah, freut mich zu hören. Und meinen Namen kennst du auch noch, das ist gut. Deine Ärzte haben uns ja auf das Schlimmste vorbereitet-“

„Papa!“

Nozomi sah ihren Vater böse an. „Lass Nozomu-chan in Ruhe.“

Takuya lächelte verlegen. „Schon gut, schon gut, ich lasse das. Nun, wollen wir dann essen? Danach zeige ich dir dein Zimmer, mein Junge.“

Nozomu nickte und ließ sich von Yamato ins Esszimmer ziehen.

Yuzuki und Nozomi sahen ihnen einen Moment hinterher und folgten ihnen schließlich.

Ein Blick auf den reich gedeckten Tisch genügte, um der gesamten Familie und Nozomu zu beweisen, dass Yuzuki sich selbst übertroffen hatte.

Aber auf Takuyas Lob winkte sie nur ab. „Das habe ich nicht allein gemacht. Nozomi hat mir geholfen.“

Nozomu sah ohne jeden Appetit auf das Essen. Der Gedanke, dass er es trotzdem essen musste, schnürte seine Kehle zusammen. Aber er würde höflich sein, mitessen und versuchen, nicht allzu verbittert auszusehen. Das schuldete er den Nagamines dafür, dass sie ihn überhaupt aufnahmen. Oder?
 

Erst spät in der Nacht hatte Nozomu sich von der kleinen Feier, die ihm ohnehin unangenehm gewesen war, loseisen können und das auch nur mit Unterstützung von Nozomi, die ihre Eltern daran erinnert hatte, dass am nächsten Tag Schule war und sie nicht zu spät kommen durften.

Seufzend saß Nozomu auf seinem Bett und sah aus dem geöffneten Fenster hinaus.

Ferne Verkehrsgeräusche waren zu hören, hin und wieder konnte er die blitzenden Lichter eines Zugs sehen, gefolgt von dem dazugehörigen Geräusch. Es war wie früher und doch so fremd.

Würde er nie wieder das Gefühl von Vertrautheit erleben?

Sein Koffer lag geöffnet in der Ecke, zum Auspacken hatte er noch keine Zeit gehabt, er hatte nur seine Schlaftabletten rausgeholt. Auf dem Schreibtisch im Raum, lag eine angebrochene Packung Tabletten, daneben stand ein leeres Glas Wasser. Vor dem Schreibtisch auf einem Stuhl lag die Schuluniform, die er ab morgen tragen sollte.

Er wusste nicht, was ihn an dieser Schule erwarten würde, er hoffte nur, dass niemand zu viele Fragen über ihn stellen würde. Er hasste es, über seine Vergangenheit ausgefragt zu werden.

Und er hasste es, neue Leute kennenzulernen. Was aber unumgänglich war, wenn er endlich eine normale Schule besuchte.

Hoffentlich wird es nicht so schlimm... und vielleicht kenne ich einen der anderen noch von früher. Aber andererseits... hoffentlich nicht.

Die Schlaftablette schien langsam Wirkung zu zeigen. Er schloss das Fenster, zog die Vorhänge zu und legte sich hin, um zu schlafen. Hoffentlich ohne Albträume.
 

Im Erdgeschoss des Hauses waren Yuzuki und Takuya zwischenzeitlich mit Aufräumen beschäftigt. Beide waren im Gegensatz zum Rest des Abends schweigsam und nachdenklich. Sie hingen beide ihren eigenen Gedanken nach.

Eine Liste mit verschiedenen Anweisungen von Nozomus Arzt, die ihm beim Aufräumen in die Hände fiel, ließ Takuya das Schweigen brechen: „Ob es wirklich eine gute Idee war, den Jungen zu uns zu nehmen?“

Yuzuki hielt inne und sah ihren Ehemann an. „Ich bin sicher, dass er uns keine Schwierigkeiten machen wird. Nozomu ist ein guter Junge.“

„Er war ein guter Junge“, verbesserte er sie. „Du weißt nicht, wie er jetzt ist.

Sie schwieg betroffen und senkte den Blick.

„Seit dieser verdammten Nacht...“

Takuya schüttelte den Kopf und unterbrach sich selbst in seinem Satz. „Nein, schon gut. Wir sollten nur vorsichtig sein und gut auf ihn aufpassen. Der Arzt schreibt selbst, dass es sein könnte, dass er seltsame Anwandlungen oder Albträume hat. Aber solange er seine Tabletten nimmt, dürfte nichts geschehen.“

Yuzuki nickte und brachte das benutzte Geschirr in die Küche.

Takuya legte die Liste beiseite und fuhr mit dem Aufräumen fort.
 

In einem anderen Teil der Stadt schwebte ein Wesen von der Größe einer Puppe umher und sah sich dabei nach allen Seiten um. Das fliederfarbene Haar war zu einem Haarbüschel hochgebunden, ein schwarzes Stirnband verhinderte, dass ihr Strähnen in die braunen Augen fielen. Dabei sah sie sich nach allen Seiten suchend um. Aber ihr sechster Sinn sagte ihr bereits, dass nichts in der Nähe war, über das sie sich Sorgen machen müsste.

Zufrieden schwebte sie zu einem silberhaarigen Mann mit stechend blauen Augen zurück. Er stand am Rand des Daches eines Hochhauses und sah sich ebenfalls aufmerksam um.

„Meister, hier in der Gegend ist nichts zu spüren“, berichtete das Wesen pflichtbewusst.

Er nickte verstehend. „Dann gehen wir woanders hin.“

„Ja, Meister.“

Sie löste sich in glitzernde Funken auf. Mühelos sprang ihr Meister auf das nächste Dach. Auf diese Weise bahnte er sich seinen Weg in den nördlichen Bezirk der Stadt. Kaum dort angekommen, erschien das Wesen wieder. „Hier ist etwas, Meister.“

„Ja, ich kann es auch spüren.“

Nur wenige Sekunden später konnte er eine Lichtexplosion wahrnehmen. Er zog sein Katana. „Also los, auf ins Getümmel.“

Damit stürzte er sich in die Tiefe – und in den Kampf.

Der erste Schultag

Nozomu zerrte zum wiederholten Male an seinem Kragen, der ihm das Gefühl gab, dass er kurz vor dem Ersticken war.

„Nozomu-chan“, schalt Nozomi ihn, „lass das endlich! Du machst deine Uniform noch kaputt.“

„Aber sie ist so eng“, beklagte er sich.

Seine Schuluniform war blau. Die Hose war blau, die Jacke war blau – lediglich das Hemd unter der Jacke war weiß, aber die Schulleitung verlangte von den Schülern, dass sie die Jacken geschlossen hielten. Also fügte er sich der Entscheidung, auch wenn es ihm nicht gefiel.

Nozomi trug eine Schuluniform mit einem weißen Oberteil, einem kurzen blauen Rock und einem weißen Jäckchen mit einem blauen Kragen. Eine blaue Schleife am Jäckchen zeigte ihre Klassenstufe an.

„Bist du bereit?“, fragte sie.

Ganz und gar nicht. Ich will wieder ins Bett.

Er griff nach seiner Schultasche und nickte. „Ja, gehen wir.“

Nach einem lauten Abschiedsgruß an die Nagamines, verließen sie das Haus. Andere Schüler waren bereits ebenfalls auf dem Weg, sie liefen in Gruppen umher, unterhielten sich und lachten dabei vergnügt.

Bei dem Gedanken, dass Nozomi sich einer solchen Gruppe anschließen könnte, drehte sich ihm wieder der Magen um. Doch sie schien das gar nicht vorzuhaben, sondern zog nur ihn mit sich.

Nozomu betrachtete die Schüler derweil genauer. Sie trugen alle die selbe Uniform wie er und Nozomi, also gingen sie auch in die gleiche Schule.

Wie hieß sie nochmal? Ach ja, Monobe-Akademie. Seltsamer Name...

Eine Schülerin mit braunem Haar und zwei Zöpfen fiel ihm ins Auge. Die Spange, die sie in ihrem Haar trug, machte auf Nozomu einen futuristischen Eindruck. Ihre Schleife war rot, wenn er die Erklärung richtig im Kopf hatte, war sie damit in der Abschlussklasse und hatte das letzte Schuljahr vor sich. Wie sie so mit verschränkten Armen dastand, musste Nozomu plötzlich an das Mädchen denken, das er am Tag zuvor am Bahnhof getroffen hatte, seine Wahnvorstellung. Sie hatte ebenfalls eine solche Schuluniform angehabt, mit einer gelben Schleife.

„Wo bleibt der Idiot nur?“, murmelte sie leise, als sie an ihr vorbeiliefen.

Ihr Fuß tippte immer wieder ungeduldig auf den Boden. Nozomu war schon lange an ihr vorbei, als er plötzlich eine Stimme höre: „Yo, gehen wir!“

„Wo warst du, Idiot!? Du wolltest doch nur schnell was zu trinken kaufen!“

„Ja, aber ich habe noch etwas zu essen mitgenommen.“

„Verfressener Idiot!“, fauchte sie.

Nozomu sah nach hinten und sah noch, wie sie einem braun gebrannten Schüler an seinem roten Pony zog. Der Rest seines Haars war schwarz.

„Au, au! Lass das! Nicht mein rotes Haar! Ich mach das auch nie wieder!“

Nozomi seufzte leise. „Jeden Morgen das gleiche.“

Nozomu sah wieder nach vorne und schwieg. Würden sie etwa jeden Tag an denen vorbeigehen?

Wenigstens sind die nicht in meiner Klasse...

Er wusste noch nicht, in welcher Klasse er war, aber da sie vermutlich beide zur Abschlussklasse gehörten und er davon noch zwei Jahre entfernt war, brauchte er sich darum keine Gedanken zu machen.

Zwei Kreuzungen weiter bog ein weiterer Schüler auf den Schulweg ein. Er lief direkt vor ihnen, sein silbernes Haar schien bis zu seinen Knien zu reichen und war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug die Schultasche über die Schulter, die Haltung schmerzte Nozomu schon vom Hinsehen. Wenn er es richtig sah, trug er seine Schuljacke offen. Dafür beneidete Nozomu ihn, wer immer er auch war.

Nozomi zupfte an seinem Ärmel. „Weißt du wer das ist? Okay, dumme Frage. Das ist Zetsu Akatsuki, er ist in der Klasse über uns. Die Mädchen sind alle verrückt nach ihm.“

„So? Armer Kerl.“

Nozomi sah ihn fragend an. Sie konnte es wohl nicht verstehen, dass man im Leben einfach seine Ruhe haben wollte, ohne von irgendwelchen Menschen umringt zu sein, die einem im besten Fall egal waren und einem im schlimmsten Fall furchtbar auf die Nerven gingen.

Zetsu wandte den Kopf und sah hinter sich. Nozomi zuckte zusammen und schien die Luft anzuhalten – während Nozomu die Hand hob und ihm zuwinkte.

„Nozomu-chan!“, hauchte Nozomi erschrocken. „Was machst du da!?“

„Nur höflich sein.“

Zetsu sagte nichts, erwiderte das Winken nicht einmal, sondern schmunzelte nur und sah wieder nach vorne.

Nozomi hustete. „Nozomu-chan, du kannst doch nicht einfach Akatsuki zuwinken.“

„Warum nicht?“

Sie suchte nach einer vernünftigen Antwort, fand aber keine, weswegen sie zu schmollen anfing. „Das ist einfach so.“

Er zuckte nur mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf seinen Schulweg.

Im Eingangsbereich der Schule herrschte einiges an Aufregung. Schüler unterhielten sich, allerdings nicht lachend, sondern ernst. Anscheinend hatte es letzte Nacht in einem Bezirk in der Stadt einen Vorfall gegeben. Die Art, wie sie darüber redeten, ließ darauf schließen, dass so etwas öfter passierte, aber Nozomu hatte noch nie etwas davon gehört – und er interessierte sich auch nicht dafür. Ganz anders als Nozomi, die immer wieder ihre Ohren spitzte und interessiert zu lauschen schien.

Seufzend ließ er sie stehen und ging allein ans schwarze Brett, um herauszufinden, in welchem Klassenzimmer er Unterricht haben würde. Ein Mädchen mit langem schwarzen Haar, das durch ein rotes Haarband gezähmt wurde, schien gerade die neuen Pläne aufzuhängen. Sie trug zwar die Schuluniform, aber ohne das Jäckchen, so dass er nicht sagen konnte, in welcher Klasse sie wohl war. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt und dank des fehlenden obersten Knopfes bot ihre Bluse einen interessanten Blick auf ihr Dekolletee.

Kaum war sie mit dem Aufhängen der Pläne fertig, kam ein Schüler mit hellbraunem Haar vorbei, an beiden Seiten seines Kopfes hing je ein einfacher Pferdeschwanz herunter.

Langsam fragte Nozomu sich wirklich, wo die Strenge, was solche Dinge anging, hin war, vor der man ihn immer gewarnt hatte.

Die beiden nickten sich zu und gingen schließlich davon. Er sah ihnen gar nicht lange hinterher, sondern wandte sich den Klassenlisten zu. Es dauerte nicht lange, bis er seinen Namen darauf entdeckte. Und auch ein anderer Name fiel ihm ins Auge: Nagamine Nozomi.

Wenigstens sind wir in derselben Klasse und ich bin nicht ganz allein. Die anderen Namen sagen mir alle nichts...

„Nozomu-chan!“

Nozomi stellte sich neben ihn. „Vor dem Unterricht hält unsere Schülersprecherin eine Ansprache, die müssen wir uns ansehen.“

„Macht sie das jeden Morgen?“

Sie lachte leise. „Aber nein. Nur heute. Es geht wahrscheinlich um die Ereignisse von letzter Nacht. In letzter Zeit häufen sich die Vorfälle wieder und letzte Nacht soll es besonders schlimm gewesen sein.“

„Verstehe“, seufzte Nozomu. „In Ordnung.“

Sie führte ihn in die Aula, wo vor einer Bühne jede Menge Stühle standen. Einige Schüler hatten sich bereits hingesetzt, unter ihnen entdeckte Nozomu auch Zetsu. Der Silberhaarige schien zu schlafen und nichts von dem mitzubekommen, was die Mädchen um ihn herum kicherten.

Auf der Bühne standen mehrere Erwachsene – einen davon erkannte Nozomu als den Direktor wieder – und eine Schülerin mit hüftlangem rotem Haar und einer gelben Schleife an ihrer Schuluniform. Sie war genau wie Zetsu in der Klassenstufe über ihm.

Nozomi dirigierte ihn auf einen Platz und setzte sich neben ihn.

Die Aula füllte sich nur langsam, entweder waren die Informationswege an dieser Schule zu lang oder man hoffte, damit den Unterricht hinauszögern zu können.

Als schließlich alle anwesend zu sein schienen, trat der Direktor an das Mikrofon. „Liebe Schüler...“

Ein leises Raunen ging durch die Halle, da in diesem Moment ein Tisch hereingetragen wurde, auf dem, umrahmt von Blumen, die Schwarz-Weiß-Fotografie eines Schülers zu sein schien. Sogar Zetsu schien aufzuwachen und gespannt zur Bühne zu blicken.

„Wie viele von euch bestimmt bereits gehört haben, forderten die nächtlichen Vorfälle in der letzten Nacht zum ersten Mal ein Todesopfer an unserer Schule.“

Nozomu hatte das Gefühl, dass ihm die Luft wegblieb. Ihm wurde schwindelig. Panisch schob er es auf die zu enge Uniform und begann wieder an seinem Kragen zu zerren. Diesmal hielt Nozomi ihn nicht davon ab.

„Viele von euch kannten Shou Epirma als einen sehr intelligenten und redegewandten jungen Mann mit einer aussichtsreichen Zukunft. Er war nicht nur im Schülerkomittee und Vizeschülersprecher, sondern er engagierte sich auch sehr für Kunstclub, an dem er regelmäßig teilnahm. Wir alle fragen uns in dieser schweren Stunde, wie das Schicksal einem so guten jungen Menschen so übel mitspielen kann. Aber in unseren Herzen werden wir ihn bestimmt nie vergessen.“

Ein Schüler vor Nozomu schnaubte leise. „Pah! Ein eingebildeter arroganter reicher Schnösel war er. Hielt sich für was Besseres und kam auch nur zur Schule, wann es ihm passte.“

Das Mädchen neben ihm stieß ihm in die Rippen.

„Sei leise!“, zischte sie. „Über Tote soll man nicht schlecht sprechen!“

Der Direktor räusperte sich. „Angesichts dieses erschütternden Verlustes, wird unsere Schülersprecherin Satsuki Ikaruga noch einige Worte an euch richten.“

Verhaltener Applaus ertönte, als der Direktor das Pult für die rothaarige Schülerin freigab. Sie lächelte sanft, Traurigkeit war dahinter zu spüren, aber auch Zuversicht und Hoffnung. „Ich nehme dieses traurige Ereignis noch einmal zum Anlass euch daran zu erinnern, dass Schüler der Monobe-Akademie sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr im Freien zu befinden haben. Shou Epirma hat diese Regel missachtet und wir haben nun aus erster Hand gesehen, was dann passiert. Vorbei sind die Tage an denen wir solche Verlustmeldungen nur im Zusammenhang mit anderen Schulen gehört haben, diesmal sind wir selbst betroffen. Denkt also daran, es ist nicht cool sich dem Verbot zu widersetzen, es ist gefährlich und kann sogar tödlich enden. Zuwiderhandlungen werden von nun an auch von Seiten der Lehrerschaft härter bestraft werden als zuvor. Überlegt es euch also lieber genau, ob ihr das Risiko wirklich auf euch nehmen wollt. Nutzt die Zeit nach dem Sonnenuntergang lieber, um zu lernen, um eurem Traumjob näher zu kommen. Denn für die Schüler der Monobe-Akademie ist nichts unmöglich.“

Tosender Beifall erhob sich, einige Schüler standen sogar auf, während Satsuki sich verbeugte und vom Pult zurücktrat.

Nozomi beugte sich zu Nozomu. „Satsuki-senpai ist sehr beliebt bei den Schülern.“

Der Direktor trat wieder an das Mikrofon, um den Schülern einen schönen Schultag zu wünschen und ging anschließend als erster davon.

So langsam sich die Aula am Anfang gefüllt hatte, so schleppend leerte sie sich auch wieder.

Nozomu wünschte sich spontan irgendwohin wo nicht so viele Leute waren. Aber wie so oft wurde sein Wunsch nicht erfüllt. Durch die Reihen der Schüler sah er plötzlich einen roten Haarschopf auf ihn und Nozomi zukommen.

„Nozomi-chan!“, flötete Satsuki.

Die Schülersprecherin kennt Nozomi?

Die Angesprochene wandte sich der Rothaarigen zu. „Was gibt es, Senpai?“

„Wie läuft es mit den Vorbereitungen für das Schulfest? Ist die Band bereit?“

Nozomi nickte. „Ja. Nur noch ein paar Übungsstunden, dann sitzt alles.“

„Sehr gut.“

Satsuki musterte Nozomu forschend. „Und wer ist das? Dein neuer Freund?“

Seine Kindheitsfreundin wurde schlagartig rot. „N-nein! Senpai, wie kommst du denn darauf? Das ist Nozomu. Nozomu Setoki, er hat früher in meiner Nachbarschaft gewohnt, bis-“

„Ah ja, ich erinnere mich“, unterbrach Satsuki sie. „Du bist also der neue Schüler. Willkommen an der Monobe-Akademie. Wenn du irgend etwas brauchst oder Probleme hast, lass es mich einfach wissen, ja? Und wenn du dich mal einsam fühlst, habe ich auch immer eine Schulter zum Ausweinen für dich.“

Sie zwinkerte ihm zu. Die Geste, so freundschaftlich sie gemeint gewesen war, verstärkte Nozomus Unwohlsein um ein Vielfaches. „D-danke, ich werde daran denken.“

„Sehr gut. Also dann, entschuldigt mich, aber es wird keinen guten Eindruck machen, wenn die Schülersprecherin zu spät zum Unterricht erscheint – es sei denn, ich bringe jemand anderen, der zu spät kommt mit.“

Damit lief sie direkt auf Zetsu zu, der wieder eingeschlafen zu sein schien.

Warum ist er so müde?

Nozomi zupfte wieder an seinem Ärmel. „Nozomu-chan, lass uns gehen, wir sind ohnehin auch schon spät dran. Und das an deinem ersten Tag.“

Sie seufzte und zog ihn mit sich in Richtung ihres Klassenzimmers.

Ja und das an meinem ersten Tag...
 

Der Tag war ohne weitere nennenswerte Ereignisse verlaufen. Nozomu hatte sich der Klasse vorgestellt und einen Sitzplatz neben Nozomi bekommen. Glücklicherweise hatte niemand versucht ihn auszufragen oder überhaupt mit ihm ins Gespräch zu kommen.

Auch den Unterricht, den er schrecklich langweilig fand, die Mittagspause, den Heimweg und das Abendessen hatte er gut hinter sich gebracht. Das Hauptgesprächsthema überall war aber der Vorfall im nördlichen Bezirk gewesen. Nozomu hatte nicht viel über die Vorfälle mitbekommen.

Man vermutete rivalisierende Jugendgangs dahinter oder terroristische Aktivitäten, jedenfalls kam es immer wieder zu Unfällen und Toten, Augenzeugen berichteten sogar von Jugendlichen, die sich mit Schwertern bekämpft hatten.

Das war für Nozomu der Punkt gewesen, an dem er am liebsten seinen Koffer wieder geschlossen hätte und abgereist wäre. Wie hatte sein Arzt zulassen können, dass er in solch eine Gegend kam?

Schließlich hatte er sich durchgerungen zu bleiben und den Koffer endlich ausgepackt. Wenn er sich mit diesen Vorfällen nicht beschäftigte, würde er auch nicht mit hineingezogen werden, so hoffte er.

Er musste nur lernen, sie zu ignorieren – und ignorieren konnte er gut.

Allerdings funktionierte es nicht, wenn er an die dunkle Decke starrte, während er darauf wartete, dass seine Tabletten endlich ihre Wirkung zeigten.

Ich habe ganz vergessen, Nozomi zu fragen, woher sie Satsuki so gut kennt. Aber interessiert mich das eigentlich? Hmmm, ja, ich glaube schon. Und dann dieser Zetsu... ob er nachts wohl auch nicht schlafen kann?

Er hasste es, nachts noch nachzudenken, denn er bekam ohnehin nie eine Antwort auf die Fragen, die er sich dann stellte. Aber als seine Lider schwerer zu werden begann, wusste er, dass es nicht mehr weit bis zur Erholung war.

Müde drehte er sich auf die Seite und schlief schließlich ein – in der Hoffnung, dass der morgige Tag wirklich ohne Ereignisse vor sich gehen würde.

Von der Vergangenheit verfolgt

Das Geräusch von klapperndem Geschirr erfüllte das Esszimmer des abgelegenen Schüler-Wohnheims im Minami-Bezirk. Aber außer einem einzigen Schüler war sonst niemand zu sehen, der etwas aß.

Der grünhaarige Hausherr und die rothaarige Frau neben ihm, bestaunten den silberhaarigen Jungen, der das Essen vor sich hinunterschlang und bereits nach der dritten Portion fragte.

Die Frau kicherte leise. „Mein lieber Schwan, hast du zu Hause nichts zu essen, Zetsu?“

Er erwiderte etwas mit vollem Mund, worauf der Mann am Tisch genervt die Augen hinter seiner Brille schloss und leise seufzte.

Zetsu schluckte hastig und wiederholte seine Worte: „Nicht wirklich. Entweder bin ich pleite oder ich habe keine Zeit zu essen, wegen meinen ganzen Jobs und den nächtlichen Rundgängen.“

„Wenn du im Wohnheim wohnen würdest, hättest du mehr Zeit“, erinnerte sie ihn.

Aufgrund der folgenden Stille war zu schließen, dass sie dieses Gespräch schon oft gehabt hatten und immer hatte es die gleiche Antwort gegeben: „Nein, danke.“

Zetsu senkte den Kopf wieder und aß gierig weiter, als ob er befürchtete, gleich aus dem Haus geworfen zu werden, ohne vorher satt werden zu können.

Der Mann seufzte. „Jatzieta, lass es.“

„Aber Salles...!“

Er schüttelte den Kopf, um ihr das Wort abzuschneiden. „Er will nicht, also lass ihn. Er muss selbst sehen, wie er mit seinem Leben klarkommt.“

Sie nickte widerwillig und sah wieder Zetsu an. „Also mein Junge, was hast du uns zu erzählen? Du bist doch nicht nur zum Essen gekommen, oder?“

Wieder setzte er an, um etwas mit vollem Mund zu sagen, konnte sich aber rechtzeitig bremsen, als Salles die Hand hob. „Bitte... schlucke erst mal hinunter.“

Wie befohlen schluckte er, nahm anschließend einen großen Schluck aus dem Wasserglas und antwortete anschließend: „Wir haben einen neuen Schüler bekommen – und er wird euch bestimmt interessieren.“

Salles und Jatzieta warfen sich skeptische Blicke zu.

„Wie heißt er denn?“, fragte der Mann.

„Nozomu Setoki.“

Die von Zetsu erwartete und erhoffte Reaktion blieb aus. Stattdessen schienen die beiden darüber nachzudenken, woher sie den Namen kannten. Doch als Zetsu es schon aufklären wollte, erschien der Funke des Wiedererkennens in Salles' Augen. „Ah, das ist doch er, oder?“

Jatzietas Gesicht wurde zur Leichenbittermiene. „Oh, dessen Eltern...“

Salles und Zetsu nickten gleichzeitig. „Genau der.“

Der Mann runzelte seine Stirn. „Wenn wir ihn dazu bringen könnten, sich uns anzuschließen, würden wir einen unschätzbaren Vorteil erhalten.“

„Aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte Jatzieta. „Wir können ihn ja schlecht niederschlagen, hierher schleppen und dann solange auf ihn einreden, bis er sich uns anschließt. Das hat vielleicht bei Zetsu funktioniert, aber bestimmt nicht bei einem weiterem.“

Der Silberhaarige griff sich brummelnd an den Hinterkopf. „Seitdem habe ich regelmäßig Migräne, vielen Dank auch.“

Jatzieta lachte. „He, es hat doch funktioniert, oder? Du gehörst jetzt zu uns. Und hast immer genug zu essen.“

Er schnitt ihr eine Grimasse und aß weiter.

Salles seufzte. „Nein, bei ihm müssen wir das subtiler machen, damit nicht die Gefahr besteht, dass er sich doch gegen uns stellt. Zetsu, wie wäre es, wenn du dich mit ihm anfreundest?“

Der Silberhaarige hielt abrupt inne und bedachte Salles mit einem ungläubigen Blick. „Wie bitte?“

„Du sollst dich mit ihm anfreunden und ihn damit überzeugen, sich uns anzuschließen, sobald er erwacht ist. So schwer ist das doch nicht, oder?“

„Es zerstört meinen guten Ruf“, klagte Zetsu. „So eine Mauer der Unnahbarkeit baut sich nicht von alleine auf.“

Salles' Blick verriet seine Ungeduld. „Stell dich nicht so an. Denk daran, wofür wir kämpfen und dass du dieses Ziel ebenfalls verfolgst! Du wirst doch wohl für ein paar Wochen jemandem Freundschaft vorgaukeln können.“

Der Silberhaarige schmunzelte. „Warum sagst du das nicht gleich? Vorgaukeln ist gut, das kann ich.“

„Gut, dann sind wir uns einig“, stellte Salles fest. „Und du fängst gleich morgen an.“

„Klar, Chef“, sagte Zetsu grinsend und stürzte sich wieder auf sein Essen.
 

Fünf Tage nach seinem Schulantritt fühlte Nozomu sich zumindest nicht mehr allzu fremd an der Monobe-Akademie. Er hatte sie immer noch nicht als Teil seines neuen Lebens akzeptieren können, aber er fühlte auch nicht mehr das schleichende Unbehagen, wenn er nur an die Schule dachte.

Allerdings fand er keinen Anschluss zu den anderen Schülern. Jeder einzelne schien ihm aus dem Weg zu gehen und zu meiden, wo er nur konnte. Nicht einmal einem der Clubs konnte er beitreten, da jeder Clubleiter ihn prinzipiell – meist aus nicht nachvollziehbaren Gründen – ablehnte.

Normalerweise hätte es ihn nicht weiter gekümmert, aber es stand seinem Plan, ein normales Leben zu führen, im Weg.

Inzwischen hatte er auch herausbekommen, dass Nozomi im Band-Club war und dort als Sängerin agierte und daher auch Satsuki so gut kannte. Da Senpai die meisten Dinge an der Schule (besonders Schulfeste) quasi im Alleingang organisierte, kannte sie jedes Band-Mitglied.

Nozomi hatte ihm bereits vorgeschlagen, mit Satsuki über die Clubsache zu sprechen, aber das hatte er nicht gewollt. Der übertriebene Optimismus der Schülersprecherin und ihre offene Art erschienen ihm bedrohlich und jagten ihm auch Angst ein. Allein mit ihr in einem Raum? Niemals!

An diesem Tag war es das erste Mal, dass er völlig allein durch die Gänge lief. Nozomi hatte zu einer „unaufschiebbaren Besprechung mit den anderen Mitgliedern der Band“ gehen müssen und ihn deswegen in der Mittagspause sich selbst überlassen.

Es hatte ihn nicht weiter gestört, er hatte sich das erste Mal die Schule allein angesehen, ohne dabei irgendwelchen Erklärungen lauschen zu müssen oder an seinem Ärmel gezupft zu werden, wenn er gerade in seine Gedanken vertieft gewesen war. Aber der einsame Rundgang hatte ihm gefallen. Fast schon bedauerte er, dass die Pause sich dem Ende zuneigte, weswegen er wieder dem Klassenzimmer zustrebte.

Die Schiebetür war leicht geöffnet, wodurch er deutlich Stimmen aus dem Inneren vernehmen konnte. Er wollte gerade die Tür öffnen, stutzte aber, als er seinen Namen hörte: „Setoki ist nicht da, oder?“

„Nein“, antwortete eines der Mädchen. „Er wird wahrscheinlich die Schule ausspionieren.“

Die Anwesenden lachten nervös.

„Ernsthaft“, sagte ein Junge. „Was ist mit dem Kerl los? Seit seiner Vorstellung vor der Klasse hat er kein Wort mehr geredet, außer der Lehrer fragt ihn etwas.“

„Und habt ihr bemerkt, wie kalt er guckt?“

„Ich habe gehört, sogar Tiere und kleine Kinder haben Angst vor ihm“, sagte ein Mädchen mit zitternder Stimme. „Ich habe es auf jeden Fall.“

Jemand schien auf irgend etwas zu klettern und dann von einer erhöhten Position weiterzusprechen: „Das ist ja noch gar nichts! Wisst ihr, was ich gehört habe?“

Plötzlich hatte Nozomu wieder das Gefühl, dass ihm die Luft wegblieb. Er griff nach seinem Kragen und zog daran. Er hatte eine Ahnung, was nun kommen würde, er wollte weglaufen, sich die Ohren zuhalten und laut schreien – aber er blieb stehen und hörte sich an, was kam.

„Ich habe gehört, er hat seine Eltern eigenhändig umgebracht – hat mit einem Messer so lange auf sie eingestochen, bis sie sich nicht mehr gerührt haben. Und danach hat er versucht, sich umzubringen. Hat aber nicht funktioniert, deswegen hat er die Schuld auf eine Onryō geschoben – und darum hat man ihn in die Irrenanstalt gesperrt.“

Ein erschrockenes Raunen ging durch die Klasse.

Nozomu hatte das Gefühl, dass etwas in ihm zerbrach. Erneut sah er seine Eltern in ihrem eigenen Blut auf dem Boden liegen. Vor den beiden sah er die Onryō, den rachsüchtigen Geist, mit einem vor Blut glänzenden Messer in der Hand. Der weiße Kimono, ebenfalls mit roten Flecken beschmiert, das schwarze Haar wirr und das weiß-blau geschminkte Gesicht zu einer mitleidlosen Grimasse verzogen. Wie damals verspürte er das Bedürfnis, laut zu schreien.

Doch stattdessen fuhr er nur herum und rannte davon, ohne auf seinen Weg zu achten. Die Erinnerung drang mit aller Macht auf ihn ein, so gut er sie auch verdrängt hatte, sie brach nun umso stärker hervor und schien ihn verschlingen zu wollen, hinabzuziehen in den Abgrund, den er hinter sich gelassen geglaubt hatte.

Mit tränennassen Augen stürzte er sich im Außenbereich der Schule in eine schwer einsehbare Nische mit einer Rundbank, die er bei seinem Rundgang zuvor entdeckt hatte.

Das war die Erklärung, warum man ihm aus dem Weg ging und ihn in keinem Club haben wollte.

Sie hielten ihn nicht nur für wahnsinnig, sondern auch für einen Lügner und einen Mörder. Einen wahnsinnigen, lügenden Mörder. Dabei hatte er nicht gelogen, er hatte sie wirklich gesehen. Der Geist war da gewesen und mit ihm noch jemand...

Doch wie schon in den Jahren zuvor, als er versuchte, tiefer in die Erinnerung einzutauchen, versagte ihm sein Gedächtnis den Dienst.

Nein, er wollte auch nicht darüber nachdenken, wollte sich nicht daran erinnern. Er wollte nur vergessen und nie wieder daran denken. Am besten vergaß er gleich, dass er einmal Eltern gehabt hatte, bestimmt konnte er so den Schmerz lindern.

Hastig tastete er seine Taschen nach einem Beruhigungsmittel ab. Als ihm einfiel, dass er seine Tabletten in seiner Schultasche hatte, die wiederum im Klassenzimmer stand, entfuhr ihm ein heftiger Fluch.

„Na na, wer wird denn da fluchen?“

Erschrocken wandte Nozomu den Kopf und entdeckte -

„Zetsu Akatsuki...?“

Der Silberhaarige lächelte. „Mein Ruf eilt mir wohl voraus, hm? Willst du mir nicht auch deinen Namen verraten? Meinen kennst du ja schon.“

„Nozomu... Setoki.“

Sein Gesicht hellte sich auf. „Ah, von dir habe ich schon gehört.“

Demonstrativ wandte Nozomu seinen Blick wieder ab, um zu zeigen, dass er nicht darüber sprechen, ja nicht einmal etwas davon hören wollte. Für einen Moment herrschte Stille, weswegen Nozomu glaubte, dass Zetsu weitergegangen war, doch als er wieder hinsah, stand der Silberhaarige immer noch da und lächelte ihn an. „Ganz schön hart, wenn solche Gerüchte über einen im Umlauf sind, oder?“

„Was verstehst du schon davon?“

Unaufgefordert setzte Zetsu sich neben ihn. „Jede Menge. Ich habe auch keine Eltern mehr – und was denkst du, was bei mir für Gerüchte rumgingen? Die Harmlosesten waren noch, dass ich von zu Hause weggelaufen bin oder dass meine Eltern mich verlassen hatten.“

Fragend sah Nozomu ihn an. „Wirklich?“

Zetsu nickte. „Ja. Mitunter hieß es auch, ich hätte sie umgebracht und wäre dann weggelaufen. Na ja, so sind die Leute nun mal.“

„Was ist wirklich mit deinen Eltern passiert?“

„Sag ich nicht.“

Zetsu grinste, aber bevor Nozomu sich darüber beschweren konnte, stand sein Gesprächspartner bereits auf. „Du solltest langsam in die Klasse zurück, du bist ohnehin schon zu spät dran. Ja, ich sollte auch. Gehen wir zusammen, mein Klassenzimmer ist gleich neben deinem.“

Nozomu nickte und stand ebenfalls auf. Gemeinsam in Schweigen vertieft, gingen sie wieder zu Nozomus Klassenzimmer. Die Tür war inzwischen geschlossen, aber nach einem kurzen Klopfen ging er dennoch hinein, ohne sich von Zetsu zu verabschieden.

Der Silberhaarige lächelte zufrieden. Trotz – oder gerade wegen – der fehlenden Höflichkeitsfloskeln, war er sich sicher, dass er einen entscheidenden Schritt gemacht hatte, um Nozomus Vertrauen zu gewinnen. Ein schlechtes Gewissen hatte er dabei nicht, warum auch?

Er sah es als seine Berufung, anderen Leuten etwas vorzugaukeln, er sah sich gern als Hochstapler, erwägte es sogar als Berufslaufbahn – aber darüber machte er sich noch nicht allzu viele Gedanken. Vorher gab es Wichtigeres zu tun und andere Dinge zu erledigen.

Zufrieden mit sich selbst, betrat er sein eigenes Klassenzimmer – ohne zu klopfen.
 

Nozomi war Nozomus verschlossene Art beim Weg nach Hause besonders aufgefallen. Nicht, dass ihr nicht vom ersten Tag an aufgefallen wäre, dass Nozomu ganz anders war als noch vor fünf Jahren, aber besonders nach diesem Schultag war es wieder extrem. Und sie wollte herausfinden, was es war, also trommelte sie ihren Mut zusammen und sprach ihn an: „Nozomu-chan, alles in Ordnung? Stimmt etwas nicht?“

„Huh? Nein, alles ist in Ordnung.“

Misstrauisch sah sie ihn an, aber er sagte nichts mehr, sah weiter geradeaus. In einem impulsiven Anfall stellte sie sich vor ihn und versperrte somit seinen Weg. „Nozomu-chan! Was ist los?“

Gezwungenermaßen blieb er stehen, einen verärgerten Ausdruck im Gesicht. „Ich habe gesagt, es ist nichts! Warum glaubst du mir nicht!?“

„Weil ich mir Sorgen um dich mache!“, erwiderte sie.

Zum Beweis setzte sie einen besorgten Gesichtsausdruck auf. Er kümmerte sich nicht darum und versuchte um sie herumzugehen, doch sie hielt ihn davon ab. „Bitte, Nozomu-chan! Was hat dich so verändert? Die Ärzte? Die Medikamente? Der Tod deiner Eltern?“

Er erwägte, ihr eine bissige Antwort zu geben, entschied sich aber schließlich dagegen. „Du verstehst das nicht! Das ist...“

Abrupt hielt er inne. Eine Gestalt mit wirrem Haar und einem weißen Kimono huschte vor ihnen über die menschenleere Straße in eine Seitengasse.

Eine Onryō!

Wenn er diese irgendwie fangen oder zumindest einen Beweis für ihre Existenz finden könnte, könnte er bestimmt allen beweisen, dass er nichts mit dem Tod seiner Eltern zu tun hatte – und er nicht verrückt war.

Hastig stieß er Nozomi beiseite und lief los, um dem Geist zu folgen.

Wie er sie einfangen oder einen Beweis für ihre Existenz erbringen sollte, darum kümmerte er sich nicht, im Moment kam es ihm nur darauf an, sie zu verfolgen.

Doch jedes Mal, wenn er glaubte, sie eingeholt zu haben, sah er sie hinter einer weiteren Ecke verschwinden. Hinter sich hörte er Nozomis Schritte und ihre atemlose Stimme, die ihn inständig darum bat, stehenzubleiben.

Doch sein Verstand riet ihm, immer weiterzulaufen, um die Onryō einzuholen.

Gleich hab ich sie. Gleich!

Erneut sah er ihren Kimono hinter einer Ecke verschwinden. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er ebenfalls um die Ecke bog – und vor einer massiven Mauer stand. Der Geist war nirgends zu sehen, nur gefüllte Mülltonnen.

Die Enttäuschung setzte gleichzeitig mit der Erschöpfung ein. Nein... das darf nicht wahr sein... habe ich mir das nur eingebildet? Bitte nicht...

Nozomi blieb hinter ihm stehen und atmete schwer. „No-Nozomu-chan... was ist... los?“

Er wendete seinen Blick nicht von der Mauer ab, als er antwortete: „Nicht. Gar nichts. Ich habe nur gedacht, ich hätte etwas gesehen.“

Nozomu seufzte leise, als er wieder ihren besorgten Blick in seinem Rücken spürte. Wie er diesen Blick hasste. Aber er konnte sie auch nicht bitten, das zu lassen, er wusste, dass sie es nur gut meinte.

„Gehen wir nach Hause,... Nozomin?“

Er konnte spüren, wie sie freudig zu lächeln begann. Seit damals hatte er sie nicht mehr mit der Koseform ihres Namens angesprochen. Und nun hatte er es wieder getan, weil er sich dazu gezwungen gefühlt hatte.

Sie nickte heftig. „Ja, gehen wir.“

Gemeinsam gingen sie wieder durch die verwinkelte Gasse zurück, ohne zu merken, wie sich jemand im Schatten der Mülltonnen vor ihnen verborgen gehalten hatte.

Sind wir jetzt Freunde?

Trotz seiner wachsenden Abneigung gegen seine Mitschüler und den seltsamen Annäherungsversuchen von Zetsu, überwand Nozomu sich jeden Tag aufs Neue in die Schule zu gehen.

Seine Tabletten, die er fast schon als Ersatz für Nahrung zu sich nahm, gingen dementsprechend schnell zur Neige. Wie sollte er nur ein normales Leben führen, wenn er nicht einmal den Schulbesuch hinbekam?

Vielleicht war es eine dumme Idee gewesen, in den alten Bezirk zurück zu kommen.

Vielleicht wäre es woanders aber genauso abgelaufen.

Für seinen Geschmack waren es zu viele Vielleichts und zu wenig Bestimmts. Aber ändern konnte und wollte er an dieser Situation nun vorläufig auch erst einmal nichts. Er war sich sicher, dass bei seinem nächsten Arztbesuch dieser die notwendigen Schritte einleiten und ihn wieder aus der Schule und dem normalen Leben entfernen würde. Er müsste dann zwar wieder in das weiße Zimmer zurück und zu den anderen Schülern, die alle wirklich psychisch krank waren, aber er wäre immerhin weg von dieser Schule. Und damit auch von Nozomi, die sich so sehr über seine Rückkehr gefreut hatte. Könnte er ihr das wirklich antun?

Warum fragte er sich das überhaupt selbst? Natürlich konnte er. Sie bedeutete ihm nichts, niemand bedeutete ihm etwas. Es schien ihm selbst als wäre er tot und hätte es nur noch nicht gemerkt, doch es störte ihn nicht, im Gegenteil. Etwas unsagbar Finsteres in ihm genoss diese Situation und kostete sie bis zum Äußersten aus, wagte immer wieder einen Vorstoß, um die endgültige Kontrolle über seinen Körper zu bekommen.

Doch soweit ließ Nozomu es nicht kommen. Dieser Körper gehörte ihm und das würde bis zu seinem Ableben auch so bleiben, dafür würde er sorgen.

Nozomi schien langsam ebenfalls von der Kälte in seinem Inneren überzeugt zu werden und verbrachte in der Schule immer weniger Zeit mit ihm, was ihm ganz recht war, da er so Zeit für sich selbst hatte und tun konnte, was er wollte.

Da Zetsu aber das erstaunliche Talent besaß, ihn immer und überall zu finden, begab Nozomu sich zur Abwechslung auf das Dach der Schule. Ein leichter, aber warmer, Windhauch empfing ihn, als er die Tür öffnete und sich umsah. Der gesamte Rand war umzäunt, scheinbar um jemanden vor einem Sturz – oder einem Sprung – zu bewahren. Doch Nozomus Interesse galt ohnehin eher der Bank, die jemand dort aufgestellt hatte.

Offensichtlich flüchteten sich öfter Schüler nach dort oben, um allen anderen auszuweichen, aber an diesem Tag war niemand da, was Nozomu nur recht war. Er brauchte keine Gesellschaft und niemand wollte seine, also war alles gut so wie es war.

Zufrieden setzte er sich auf die Bank und starrte auf den Himmel und die Hochhäuser, die sich davor erstreckten. Er fragte sich, wie es wohl war, in einem Büro zu arbeiten und ob er das eines Tages auch schaffen würde. Einen ganz normalen Job in einem kleinen Büro, am besten in einem, wo der Chef sich nicht einmal seinen Namen merken könnte. Das war sein Traum.

Wovon hatte er eigentlich früher geträumt?

Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, also war es wohl unwichtig.

Während er in Gedanken versunken dasaß, hörte er plötzlich ein leises Seufzen. „Ist es hier nicht schön?“

Er schreckte auf. Sein Blick fiel auf eine schwarzhaarige Schülerin – dieselbe, die er an seinem ersten Tag am Bahnhof gesehen hatte. Lächelnd fuhr sie zu ihm herum. „Was sagst du dazu?“

„Es ist... ganz nett. Gehst du in dieselbe Klasse wie Akatsuki?“

Sie antwortete nicht, sondern lächelte nur weiter.

„Argh, warum rede ich überhaupt mit dir? Du bist doch nur eine weitere Wahnvorstellung... oder?“

Nachdenklich legte sie den Kopf schräg. „Was denkst du denn?“

Er seufzte. „Ich denke, du bist eine.“

„Dann aber hoffentlich eine angenehme.“

„Nicht wirklich.“

Sie schnaubte und wandte sich wieder dem Zaun zu, um nach unten zu sehen. Nozomu stand auf und stellte sich neben sie. Er konnte ihren Geruch wahrnehmen – war sie also doch keine Wahnvorstellung?

„Findest du es nicht auch deprimierend, die Welt durch diesen Zaun zu beobachten?“

Er ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort, um über die Frage nachzudenken, zuckte aber doch nur mit den Schultern. „Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

Sie seufzte leise. „Du bist schon ein wenig seltsam.“

Noch einmal zuckte er mit den Schultern.

Plötzlich verschwand der Geruch. Als er sich suchend umsah, entdeckte er, dass das Mädchen ebenfalls verschwunden war. War sie dann etwa doch eine Wahnvorstellung gewesen?

Wenn er wieder zur Untersuchung bei seinem Arzt war, musste er diesem unbedingt davon erzählen. Was er wohl dazu sagen würde? Bestimmt nichts Gutes. Aber immerhin erhöhte das die Chance, dass er wieder aus dieser Stadt herauskam. Denn inzwischen war er sich sicher, dass es ein Fehler gewesen war, hierher zurück zu kommen. Hier könnte er nie ein normales Leben führen.

Nachdenklich strich er am Zaun entlang, bis er tatsächlich zu einer Stelle kam, die nicht umzäunt war. Ungehindert konnte er von hier aus über den Schulhof und den Sportplatz sehen, wo die Leichtathletikmannschaft sich gerade zu einer Besprechung zu treffen schien. In wenigen Wochen – so hatte Nozomu mitbekommen – sollte es ein Schulfest geben, an dem alle Clubs für interessierte Besucher zugänglich sein sollten. Er war allerdings in keiner Aktivität eingeplant, weswegen es ihn nicht weiter interessierte.

Ein Windhauch hinter ihm unterbrach erneut seine Gedanken. Nozomu fuhr herum und zuckte zusammen. Direkt vor ihm stand wieder die Onryō, ihr Gesicht zu einer Grimasse verzogen.

„Was zum...!?“

So lange hatte er die Onryō direkt vor sich haben wollen, aber nun wusste er nicht, was er tun sollte. Er wollte weglaufen, aber seine Füße waren wie festgewachsen und verweigerten ihm den Dienst.

Sie griff nach seiner Schulter, aber statt ihn zu ergreifen, wie er befürchtete, schubste sie ihn von sich. Er taumelte rückwärts und stieß mit dem Fuß gegen die erhöhte Kante des Dachs. Panik breitete sich in ihm aus, als er spürte, wie er den Halt zu verlieren begann und langsam rückwärts stürzte. Verzweifelt ruderte er mit den Armen, um sein Gleichgewicht wieder zu gewinnen.

„Nozomu!“

Ein seltsamer Lichtblitz ließ den Geist verschwinden, im nächsten Moment griff jemand nach seiner Hand – der Fall stoppte abrupt.

„Keine Sorge, ich hab dich.“

Mit Hilfe der anderen Person gewann er sein Gleichgewicht wieder und ging direkt in die Knie. Sein ganzer Körper zitterte. Oh mein... was da beinahe passiert wäre... sie wollte mich runterschubsen... aber... das bedeutet ja, dass sie keine Einbildung war! Die Onryō existiert tatsächlich!

Sein Retter kniete sich vor ihn. „Alles in Ordnung?“

Nozomu hob den Kopf. „Akatsuki...“

Zetsu nickte lächelnd. „Zum Glück habe ich dich gerade rechtzeitig gefunden. Das wäre ein ganz schön schmerzhafter Aufprall auf dem Boden gewesen.“

„D-danke. Aber woher wusstest du, dass ich hier bin?“

„Mhm, es war eine Eingebung, nichts weiter.“

„Hast du diesen Geist gesehen?“, fragte Nozomu.

Zetsu zögerte einen Moment, bevor er mit dem Kopf schüttelte. „Nein, da war nichts...“

Nozomu atmete tief durch, während er versuchte, sein rasendes Herz zu beruhigen. Wenn Zetsu nicht gekommen wäre und ihm geholfen hätte, wäre er jetzt höchstwahrscheinlich tot. Wenn dessen seltsame Annäherungsversuche also nicht gewesen wäre...

Dafür schuldete Nozomu ihm wohl etwas. Nein, noch mehr, er wollte ihm unbedingt einen Gefallen tun, also warum sollte er es nicht mit dieser Freundschaftssache versuchen?

Zetsu schien seine Gedanken zu erahnen und stellte gleich die Frage, die ihn interessierte: „Sind wir jetzt Freunde?“

Mit dieser Frage geriet Nozomus Entschluss bereits wieder ins Wanken. „Ich weiß nicht...“

Der Gedanke daran, eine normale Freundschaft aufzubauen, machte Nozomu Angst, obwohl er nicht einmal wusste, weswegen eigentlich. „I-ich glaube, ich muss darüber erst noch einmal nachdenken.“

Zetsu unterdrückte ein Seufzen und nickte. „Natürlich. Wie wärs, treffen wir uns heute Abend im Einkaufscenter?“

„A-aber was ist mit der Ausgangssperre?“

Zetsu wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. „Mach dir keine Sorgen deswegen. Satsuki-senpai und ich dürfen nachts rausgehen. Sollte man dich aufgreifen, sag einfach, dass ich dir die Erlaubnis gegeben habe.“

„Warum dürft ihr das?“

Zetsu grinste wieder. „Verrat ich dir nicht. „Also, heute Abend im Einkaufscenter im Café, okay?“

Nozomu nickte und stand wieder auf. „Gut, einverstanden. Ich geh jetzt wieder in mein Klassenzimmer.“

Da sind meine Beruhigungstabletten.

Zetsu verabschiedete ihn und sah Nozomu hinterher. Kaum hatte er gehört, wie sich die Tür schloss, wurde das Gesicht des Silberhaarigen ernst. „Nanashi.“

Das puppenartige Wesen mit dem fliederfarbenen Haar erschien neben ihm. „Ja, Meister?“

„Dieser Geist, war das ein Shinjuu?“

Nanashi nickte. „Jawohl. Ein Shinjuu von der Onryō-Sorte. Noch dazu ein äußerst rachsüchtiges. Es scheint es auf Setoki abgesehen zu haben.“

„Weswegen?“, fragte Zetsu.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Es ist kein sehr gesprächiges Shinjuu.“

Er seufzte. „In Ordnung. Versuch ein wenig was darüber herauszufinden. Für heute brauche ich dich wahrscheinlich ohnehin nicht mehr.“

Sie nickte und verschwand wieder.

Zetsu sah auf die Stelle, an der vorhin noch der Geist gestanden hatte. Wenn sein Shinken Gyouten dieses Shinjuu nicht gespürt hätte, dann hätte er Nozomu nicht retten können und somit hätte er diese Gelegenheit verpasst, eine neue realistische Chance auf eine Freundschaft zu bekommen.

Hmmm, ich bin gespannt, ob Nozomu heute wirklich kommt.
 

Es hatte ihn einiges an Überzeugungsarbeit geleistet, aber schließlich hatten die Nagamines ihn gehen lassen. Er hatte sogar Nozomi überredet, daheim zu bleiben und ihr versichert, dass er den Weg allein finden würde.

Angst hatte er keine. Die Dunkelheit erschreckte ihn nicht und diese Vorfälle interessierten ihn schlichtweg nicht, also warum sollte er Angst haben?

Was immer da nachts umherging, konnte ihm keine Furcht einjagen.

Er erreichte das Einkaufscenter wie er erwartet hatte ohne Probleme. Das Gebäude war hell erleuchtet, Erwachsene und Schüler von anderen Schulen befanden sich im Inneren, liefen geschäftig umher oder unterhielten sich lachend.

Hauptsächlich standen Schülerinnen in grünen Uniformen herum. Nozomu wusste von dem Direktor der Monobe-Akademie, dass es im Minami-Bezirk neben der Akademie auch noch eine reine Mädchenschule gab. Sie hieß Subeta-High oder so ähnlich, Nozomu hatte es sich nicht wirklich gemerkt, da es ihn gar nicht interessiert hatte.

Eine Schülerin mit langem blonden Haar stach besonders heraus. Ihre Augen wirkten leblos, selbst während sie mit den anderen redete, ihre Stimme war monoton. Was war wohl geschehen?

Nein, es interessierte ihn eigentlich gar nicht, also wandte er den Blick von ihr ab.

Er schlug den Weg zu dem einzigen Café des gesamten Centers ein und betrat es.

Eigentlich hatte er erwartet, Zetsu bereits an einem Tisch sitzen und auf ihn warten zu sehen – aber dass der Silberhaarige in einer Kellneruniform zwischen den Tischen umher huschte, Bestellungen aufnahm und Kaffee und Kuchen verteilte, verschlug Nozomu doch die Sprache.

Zetsu hielt plötzlich inne, als er Nozomu sah. „Oh, willkommen. Setz dich doch schon mal, ich hab gleich Pause und bin dann für dich da.“

Verwirrt und voller Fragen setzte er sich an einen freien Tisch. Die Sessel waren wirklich bequem, aber die Zierdecken auf dem kleinen Tisch wirkten übermäßig kitschig. Als Nozomu sich umsah, merkte er, dass hauptsächlich Mädchen anwesend war. Das lag mit Sicherheit auch an Zetsu – und dem Mief von Kitsch.

Nach wenigen Minuten setzte Zetsu sich zu ihm an den Tisch. Er stellte einen Eistee vor Nozomu und einen vor sich. „So, jetzt hab ich Zeit. Während meiner Schicht ist immer ziemlich viel los.“

„Das kann ich mir vorstellen...“

Ob Zetsu wohl der Mädchenmagnet für dieses Café war?

„Du arbeitest hier?“, fragte Nozomu noch einmal, um sicherzugehen.

Der Silberhaarige nickte. „Mittwochs, Freitags und Sonntags.“

„Und du kriegst Geld dafür?“

„Sicher, sonst würde ich das ja nicht machen.“

„Aber ist das nicht verboten?“

Zetsu sah sich hektisch nach allen Seiten um und senkte verschwörerisch die Stimme. „Offiziell arbeite ich hier natürlich nicht und wenn jemand fragt springe ich nur für meinen Onkel ein, verstanden?“

Nozomu nickte sofort.

Hat er überhaupt einen Onkel?

Zetsu räusperte sich. „Also, hast du es dir überlegt? Sind wir jetzt Freunde?“

Er schwieg. Der Silberhaarige schmunzelte nervös. „Ist fast so, als würde ich darauf warten, ob du mir sagst, dass du mich liebst.“

Nozomu seufzte. „Solche Aussagen helfen mir nicht gerade.“

„Oh, tut mir Leid, aber ich konnte nicht widerstehen.“

Erwartungsvoll sah Zetsu ihn an. Nozomu hielt den Kopf halb gesenkt. Er wollte ein normales Leben und für ein normales Leben brauchte man Freunde, das war ihm klar. Und da Zetsu bislang der einzige war, der ihm diese geradezu aufzwang und ihm sogar das Leben gerettet hatte... warum sollte er es nicht einfach probieren?

Vielleicht würde er es am Ende bereuen, vielleicht spielte Zetsu nur ein grausames Spiel mit ihm – aber zumindest im Moment würde er dieses Risiko mit Freuden eingehen. Vielleicht würde er sogar so etwas wie Spaß daran haben.

Er hob den Blick und sah Zetsu direkt an, als er nickte. „Ja, wir sind Freunde.“

Überfall

Auch wenn es Nozomu missfiel, aber seine Freundschaft mit Zetsu war für ihn ein großer Vorteil. Nicht nur, dass er den Silberhaarigen mit jedem Tag mehr mochte und sich bei ihm auch wohler fühlte als er je gedacht hätte.

Ein weiterer Vorteil war die Tatsache, dass seine Mitschüler ihm langsam freundlicher gesinnt wurden. Mit dem beliebtesten Schüler als besten Freund, war das aber auch nicht schwer.

In einen Club eintreten wollte Nozomu zumindest vorerst dennoch nicht. Zumindest in keinen, in dem augenblicklich Plätze frei waren. An Sport lag ihm nichts, nähen wollte er auch nicht und in den künstlerischen Clubs waren derzeit keine Plätze frei, man versprach aber, ihm rechtzeitig im Voraus Bescheid zu sagen, sobald es wieder Plätze geben würde.

Zetsu blieb für Nozomu teilweise sehr mysteriös, aber sein Humor und sein Lachen entschädigten für die Dinge, die er nicht mit Nozomu teilte.

Er bemitleidete den Silberhaarigen schon bald, da dieser aufgrund seiner Wohnsituation so gut wie jeden Tag der Woche arbeiten und dabei noch aufpassen musste, dass er während der Arbeit nicht erwischt wurde. Bislang hatte er Glück gehabt, aber er verließ sich nicht darauf, dass das so bleiben würde.

Doch wie Nozomu von mehreren Seiten versichert wurde, veränderte die Freundschaft mit Zetsu ihn, langsam aber sicher. Er wurde offener und begann auch, sozialer zu denken und sich nicht mehr absichtlich auszugrenzen. Was auch Nozomi freute, die wieder öfter ihre Zeit mit ihm und manchmal auch mit ihm und Zetsu verbrachte. Es erinnerte sie beide wieder an früher und auf eine seltsame Art gab es Nozomu ein gutes Gefühl. Möglicherweise musste er nicht seine gesamte Vergangenheit vergessen, um ein normales Leben zu führen...

Und noch etwas hatte das alles bewirkt: Er ging wieder viel lieber in die Schule.

Auch wenn er an solchen Frühlingstagen lieber ganz woanders wäre.

„Setoki-kun!“

Nozomu schreckte aus seinen Überlegungen und wendete den Blick vom Fenster ab. Vor ihm standen zwei Freunde von Nozomi, die auch in diese Klasse gingen. Der braunhaarige und braunäugige Shinsuke Mori und die ebenfalls braunhaarige und -äugige Misato Agawa.

„Was ist los?“, fragte Nozomu.

Misato lächelte. „Wir wollten zum Kiosk gehen, kommst du mit?“

„Ja, warum nicht?“

Nozomu stand auf und ging gemeinsam mit den beiden in den Eingangsbereich der Schule, wo sich ein Kiosk befand, an dem sich die Schüler (und die Lehrer) mit äußerst ungesunden Lebensmitteln und Getränken eindecken konnten. Hinter dem Tresen stand aber an diesem Tag nicht eine freundlich Dame in den Vierzigern, sondern -

„Zetsu?“, fragte Nozomu überrascht.

Der Silberhaarige lächelte. „Hallo, Nozomu. Ah, Überraschung steht dir, mein Lieber. Ich helfe heute aus. Was wollt ihr?“

„Akatsuki, kriegst du etwa Geld dafür?“, fragte Shinsuke neugierig.

Zetsu grinste. „Sonst würde ich das wohl kaum machen. Hier kann man den anderen Schülern – und besonders Senpai – so schlecht aus dem Weg gehen.“

Wie auf Bestellung erschien plötzlich Satsuki. „Akatsuki-kuuun~, ich brauche ganz dringend deine Hilfe.“

Shinsuke heftete sofort seinen Blick auf sie. Nozomu ging innerlich in Abwehrhaltung – doch schien ihre Ausstrahlung ihn gar nicht mehr zu stören. Nein, es ließ ihn kalt, wie viel Optimismus und gute Laune sie verbreitete. Stattdessen spürte er sogar fast den Wunsch, sie dabei zu unterstützen. Aber nur fast.

„Ich kann nicht“, erwiderte Zetsu. „Du siehst doch, dass ich arbeite. Aber hier, Nozomu hilft dir gerne. Stimmts, Nozomu?“

Bevor er überhaupt begriffen hatte, worum es ging, hatte Satsuki bereits seine Hand ergriffen. „Sehr gut, Setoki-kun oder darf ich dich Nozomu-kun nennen? Ach, ich mache das einfach. Komm mit.“

Sie zog ihn mit sich. Hinter sich hörte der verwirrte Schüler Shinsuke noch sehnsuchtsvoll seufzen. „Aaaaaw, glücklicher Setoki. Ich wünschte, Ikaruga-senpai hätte mich gefragt.“

Misato lachte. „Dich würde sie nicht einmal fragen, wenn du der letzte Schüler an dieser Schule wärst.“

Satsuki zog Nozomu mit sich in den Keller. Als er endlich verstanden hatte, dass er dank Zetsu gerade ziemlich viel aufgeladen bekommen hatte, waren sie bereits unten angekommen. Satsuki öffnete die Tür zu einem der Räume. „So, hier rein.“

Er vergaß den Vorsatz, dass er nie allein mit Satsuki in einem Raum sein wollte und ging durch die Tür. Sie drückte auf einen Schalter, wonach helles, aber kaltes Licht aufflammte.

Blinzelnd sah er sich um. Der Raum sah zwar kahl aus, allerdings standen überall Tische, Stühle, Regale und Schränke im Weg herum. Teilweise konnte er sogar ausgemusterte Karten und alte Abdeckplanen entdecken.

Eines hatten all diese Dinge gemeinsam: Sie waren alle mit einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt.

„Was sollen wir hier?“

Satsuki seufzte. „Die Schüler sind dafür, dass wir hier unten eine Art Disco einrichten – für das Schulfest hauptsächlich. Und an wem bleibt die Arbeit natürlich wieder hängen? An mir. Aber du hilfst mir doch, oder?“

Mit großen Augen sah sie ihn an. Er schluckte leicht. Dieser Blick war ihm unangenehm – und gleichzeitig fühlte er sich auch sehr gut an. „Ähm, natürlich.“

„Danke“, sagte sie lächelnd.

Nozomu warf noch einmal einen Blick umher. „Aber das wird doch Stunden, wenn nicht sogar Tage dauern.“

Sie winkte ab. „Keine Sorge, Nozomi-chan wird schon wissen, was los ist, wenn Mori und Agawa ihr davon erzählen und deine Schultasche mit nach Hause nehmen. Wir bleiben bis zum Einbruch der Dunkelheit.“

Nozomu runzelte seine Stirn. „Hast du nicht selbst das Verbot ausgesprochen?“

Diesmal lachte sie. „Sei doch nicht so naiv. Zetsu und ich dürfen nachts rausgehen.“

„Wieso eigentlich?“

Demonstrativ wandte sie sich ab und deutete auf eine entfernte Ecke des Raumes. „Du fängst da drüber an und ich hier. Wir stellen das ganze Zeug in den Nebenraum, da müssen wir eben ein wenig quetschen, aber das wird schon gehen. Einiges können wir vielleicht sogar wegschmeißen.“

Während sie redete, war Nozomu mit seinen Gedanken wieder ganz woanders.

Warum durften Zetsu und Satsuki nachts raus und alle anderen Schüler nicht?

Und warum wechselte sie einfach das Thema, anstatt ihm zu antworten?

Zum ersten Mal seit seiner Ankunft interessierte Nozomu sich für die Vorfälle. Ob er vielleicht Zeuge eines solchen werden würde? Vielleicht könnte er so auch herausfinden, was genau da eigentlich geschah.

„Nozomu-kun, hörst du mir eigentlich zu?“

„Huh? Was?“

Verlegen sah er die Schülersprecherin an, die ihn wiederum genervt musterte. „Bist wohl ein Tagträumer, hm? Na ja, fang lieber endlich mit der Arbeit an, damit wir auch mal fertig werden.“

Nozomu nickte sofort und begab sich an die Stelle, die sie ihm zugewiesen hatte. Es dauerte mehrere Minuten, bis er ihren bohrenden Blick nicht mehr in seinem Rücken spürte.

Puh, warum immer ich?
 

Im Laufe des Tages war auch Zetsu zu ihnen gestoßen und hatte beim Aufräumen und Saubermachen geholfen. Der Silberhaarige hatte die Stimmung wie üblich aufgelockert, auch wenn Nozomu eine gewisse Spannung zwischen seinem Freund und Satsuki aufgefallen war.

Allerdings hatte er keine Fragen gestellt, da er sich sicher war, keine Antworten zu bekommen. Zetsu verbarg viel zu gern Dinge vor ihm und Satsuki lenkte ihn anscheinend gern ab.

Vielleicht würde er auch so dahinter kommen, was zwischen den beiden vorgefallen war. Irgendwann.

Als Nozomu bereits glaubte, er würde im nächsten Moment einfach umfallen, klatschte Satsuki in die Hände. „Okay, Männer, für heute hören wir auf. Wir haben einiges geschafft und das muss erst einmal reichen.“

„Endlich“, entfuhr es Nozomu.

Zetsu dagegen lachte nur. „Komm schon, morgen musst du wieder ran, mein Lieber.“

„Und du auch, Akatsuki“, sagte Satsuki bestimmend. „Wir müssen immerhin rechtzeitig fertig werden und ich habe noch anderes zu tun.“

Der Silberhaarige seufzte. „Ja ja ja.“

„Also gehen wir.“

Sie schnappte sich ihre Schultasche, die in der Ecke gestanden hatte und ging voraus. Zetsu nahm schließlich seine und ging ebenfalls. Nozomu bildete das Schlusslicht.

Gemeinsam verließen sie das Schulgelände, hinter ihnen wurde das Schultor geschlossen.

Im Gegensatz zum letzten Mal, als Nozomu ins Einkaufscenter gegangen war, waren die Straßen wie ausgestorben. Es sah fast so aus als wären sie die einzigen, die noch unterwegs waren.

Die Vorstellung jagte Nozomu einen Schauer über den Rücken und ließ ihn leicht zittern. Um sich abzulenken konzentrierte er sich auf das Gespräch zwischen Satsuki und Zetsu.

„Akatsuki, du kannst ja richtig hart arbeiten“, neckte sie ihn grinsend. „Wer hätte das gedacht?“

Er ließ sich davon nicht beeindrucken und schmunzelte nur. „Senpai, du kannst ja richtig nachdenken, wer hätte das gedacht?“

„Touche, mein Lieber.“

„Ja, leg dich lieber nicht mit mir an. Aber das solltest du ja inzwischen wissen.“

Und da war sie wieder, die Spannung, die zwischen den beiden herrschte. Es war keine gute Spannung, kein Knistern von Erotik in der Luft, sofern Nozomu das beurteilen konnte. Es war eine bösartige Spannung, wie man sie von Todfeinden erwartete. Nun gut, vielleicht nicht unbedingt Todfeinde, aber immer noch Feinde.

Beide versanken wieder in Schweigen, was alle anderen Geräusche nur umso lauter erschienen ließ – genau wie das Lachen hinter ihnen.

Alle drei blieben stehen und drehten sich um. Nozomu wich erschrocken zurück. „Die Onryō!“

Wieder einmal stand sie in ihrem weißen Kimono vor ihm, grinste bösartig und hob ihr Messer. Diesmal schien sie nicht wegrennen zu wollen, diesmal schien es als würde sie ernst machen.

„Oh, nicht gerade jetzt“, beschwerte Zetsu sich.

Aus Satsukis Gesicht war jegliche Farbe gewichen.

„Ihr könnt sie auch sehen, oder?“, fragte Nozomu hektisch.

Statt einer Antwort wandte Zetsu sich an die Schülersprecherin. „Bring ihn hier weg, los! Ich kümmere mich darum!“

Sie nickte und griff nach der Hand des Jungen. „Komm, Nozomu-kun!“

Damit zog sie ihn hinter sich her.

Zetsu wandte sich wieder an den Geist. „Und nun zu dir.“

Ein silbern glänzendes Katana erschien in seiner Hand. Gleichzeitig änderte sich seine Kleidung von der blauen Schuluniform zu einer grauen Hose, einem schwarzen Hemd mit einem kompliziert aussehenden Muster und einem ebenfalls grauen Mantel mit einem einseitigen Schulterschutz darüber.

Er steckte das Schwert ein, behielt aber die Hand auf dem Griff und ging leicht in die Knie. „Dann fangen wir mal an.“
 

Nachdem sie eine Weile gerannt waren, blieb Satsuki stehen und ließ Nozomu los. Erschöpft lehnte sie sich an eine Wand und holte tief Luft.

„W-was ist mit Zetsu?“, fragte Nozomu aufgeregt. „Warum hast du ihn einfach zurückgelassen?“

„Er kommt... schon zurecht“, erwiderte sie kurzatmig. „Glaub mir... ich kenn... ihn gut.“

Er konnte ihr nicht glauben. Besorgt sah er in die Richtung, in der sie Zetsu zurückgelassen hatten.

Hoffentlich geht es ihm gut...

„N-Nozomu-kun...“

Satsukis Stimme zitterte. Fragend fuhr Nozomu herum – und wich zum zweiten Mal an diesem Tag zurück. Vor ihnen war eine weitere Onryō erschienen. Aber es war nicht nur eine. Plötzlich waren sie umzingelt von diesen Geistern.

„Wo kommen die alle her?“, fragte Satsuki leise. „Und was wollen die eigentlich?“

„Ich habe... keine Ahnung.“

Die Lage schien hoffnungslos, die Messer der Geister blitzten im einfallenden Licht der Straßenlaternen, während sie langsam näherkamen und den Kreis um sie herum enger zogen.

Wenn in den nächsten Minuten kein Wunder geschehen würde, wäre es vorbei, dessen war sich Nozomu sicher.

Plötzlich schluckte Satsuki schwer, ihre Stimme wurde ernst. „Nozomu, was ich jetzt mache darfst du niemandem verraten, okay? Absolut niemandem, nicht einmal Nozomi.“

„Huh? Wieso? Was hast du vor, Senpai?“

Anstatt zu antworten schien sie aus dem Nichts heraus ein grün leuchtendes Schwert zu ziehen. Es hatte zwei gespaltene grüne Klingen, die durch eine Metallvorrichtung in der Mitte zusammengehalten wurde. Wenn es leuchtete, sah es wie ein komplettes Schwert aus. Zwischen Griff und Klinge war ein rotes Juwel eingelassen.

Auch ihre Kleidung veränderte sich. Statt ihrer Schuluniform erschien nun ein neues Ensemble mit weißem Oberteil und blauem Faltenrock, ein Rüstungsrock ähnlich einer Walküre erschien, befestigt an ihrem Gürtel. An ihrer linken Schulter war ein Schutz zu sehen und an ihrem Handgelenk war ein Rüstungsteil mit demselben roten Juwel wie an ihrem Schwert zu sehen.

Nozomu starrte sie an – aber nicht wegen ihrer Kleidung, sondern wegen der Flügel, die an ihrem Kopf erschienen waren und plötzlich zu Federn zusammenschrumpften.

„S-Senpai...“

Was geht hier vor? Was ist das?

„Nur keine Sorge“, sagte sie sanft. „Ich werde nicht zulassen, dass sie dir etwas antun.“

„Dan... ke...“

Er war nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Was war das für eine Waffe? Und was trug Satsuki da für seltsame Sachen? Und woher kamen überhaupt diese ganzen Geister?

Mühelos zerschnitt ihre Waffe einige der Angreifer, die sich sofort in Funken auflösten, sie setzte ihren Siegeszug fort, bis kein Geist mehr da war, während Nozomu ihr nur erstaunt dabei zusehen konnte. Aber dennoch schien sie nicht glücklich zu sein.

„Die waren nicht echt“, murmelte sie leise. „Wo ist das echte Shinjuu?“

„Shinjuu?“, fragte Nozomu, doch sie achtete nicht auf ihn und sah sich weiter um.

Die Atmosphäre, das konnte er auch spüren, hatte nichts von ihrer bedrohlichen Anspannung verloren. Irgendwo in dem plötzlich aufgetauchten Nebel musste sich also wirklich noch etwas befinden, darauf lauernd, sie angreifen zu können.

Satsuki fluchte leise, während sie immer schneller den Kopf hin- und herwandte ohne irgend etwas entdecken zu können.

Doch dann bemerkte sie etwas. „Nozomu, pass auf!“

Bevor er wusste, was los war, stieß sie ihn beiseite. Er konnte noch ein grünes Schild aufblitzen sehen – und im nächsten Moment prallte sie mit dem Rücken gegen eine Mauer.

Stöhnend blieb sie liegen, ihre Augen halb geschlossen.

„Senpai!“

Nozomu wollte zu ihr hinüberlaufen, doch plötzlich erschien die Onryō direkt vor ihm. Er trat einen Schritt zurück. „N-nein...“

Nun hatte er den unumstößlichen Beweis, dass sie echt war und das Messer zeigte ihm, dass zumindest ein ähnliches Wesen damals seine Eltern umgebracht hatte. Aber was nutzte ihm das jetzt?

Satsuki lag auf dem Boden, Zetsu war nicht da und Nozomu hatte keine Ahnung, wie er sich gegen dieses Wesen wehren sollte. Was tat man gegen einen Geist?

Er konnte schlecht die Ghostbusters anrufen.

„No-Nozomu... lauf!“

Doch wie zuvor auf dem Dach gehorchten seine Beine ihm nicht. Er musste etwas tun. Irgend etwas.

„Nur ein bisschen Macht...“, hörte er eine Stimme in seinem Kopf.

Sie klang wie seine eigene Stimme und doch so fremd. Er hatte sie schon einmal gehört, vor fünf Jahren... und er hörte sie nachts in seinen Träumen.

Die Onryō hob ihr Messer, um auf ihn einzustechen.

„Vertrau mir...“

Ein Schwert erschien in Nozomus Hand, der Griff schien ihm vertraut, als ob er es schon oft gehalten hätte und sich nur nicht mehr daran erinnern würde.

Sein Körper agierte ohne sein Zutun. Er hob das Schwert und zerschnitt damit den Geist. Ein lauter, von Schmerzen gepeinigter Schrei erklang und sie löste sich in Funken auf. Mit ihr verschwand auch der Nebel – und das Schwert in seiner Hand.

Wieder blinzelte er verwirrt, während er versuchte, die Ereignisse wieder zu ordnen. „Was war... das?“

Satsuki, die wieder ihre Schuluniform trug, richtete sich stöhnend auf. „N-Nozomu-kun... du bist auch...? Das... das wusste ich nicht...“

„Was?“, fragte Nozomu. „Was bin ich? Was bist du? Was war das überhaupt?“

Schritte blieben hinter ihm stehen. „Ein Shinken-Nutzer.“

Er fuhr herum und sah Zetsu fragend an. „Was? Shin... ken? Was ist das?“

Der Silberhaarige warf Satsuki einen finsteren Blick zu, bevor er sich wieder an seinen Freund wandte: „Nozomu, ich möchte dir morgen jemanden vorstellen.“

Ihm blieb keine Gelegenheit, nachzufragen, Satsuki ging bereits dazwischen: „Was!? Nein! Das werde ich nicht zulassen! Ihr bekommt ihn nicht!“

„Ach ja? Versuch doch, uns aufzuhalten. Du weißt ja, wo es ist.“

Die beiden knurrten sich an und wandten sich dann demonstrativ voneinander ab. Nozomu sah zwischen den beiden hin und her und seufzte schließlich. „Äh, ich geh dann mal nach Hause, ja?“

„Ich begleite dich“, sagten Zetsu und Senpai gleichzeitig.

Erneut sahen die beiden sich wütend an. „Halt du dich da raus!“

Sie versanken wieder in einen Streit. Vorsichtig ging Nozomu rückwärts, verabschiedete sich hastig von den beiden und fuhr dann herum, um nach Hause zu gehen. Hinter ihm stritten die beiden sich weiter und er war sich ziemlich sicher, dass es noch eine Weile dauern würde.

Verwirrt sah er auf seine Hände. Was war da eben passiert?

Woher war das Schwert gekommen?

Und was war ein Shinken-Nutzer?

War Zetsu etwa auch einer?

Und wen wollte Zetsu ihm vorstellen?

Was bedeutete das alles nur?

Hoffentlich würde irgend jemand ihm das bald erklären. Oder er würde hoffentlich bald feststellen, dass alles nur ein Traum war. Das konnte doch nicht wirklich passiert sein, oder?

Und wenn doch: Wie sollte er so nur sein normales Leben weiterführen?

Nozomu seufzte leise. Sein neues Leben erschien doch ein wenig komplizierter als er es sich je erträumt hatte.

Aber nun freute er sich erst einmal auf ein Bad und dann auf sein Bett, um den Tag zu beenden.

Shinken und Shinjuu

Nozomu erwachte am nächsten Morgen noch bevor sein Wecker klingelte. Es war Samstag, also hatten sie nur den halben Tag Schule, was er ungemein erleichternd fand, aber da war noch etwas anderes. Was letzten Abend geschehen war, es war bestimmt nur ein Traum gewesen. So etwas konnte doch gar nicht passieren. Auch wenn er nicht wusste, wie er sonst nach Hause gekommen sein sollte, da er sich nicht daran erinnerte, anders nach Hause gegangen zu sein, aber die Ereignisse waren einfach zu verrückt gewesen.

Doch irgend etwas stimmte nicht. Er spürte eine fremde Aura in seinem Zimmer. Eine fremde, bedrohliche Aura. Vorsichtig öffnete er seine Augen – und zuckte heftig zusammen. Über ihn gebeugt stand eine Onryō, die ihr Messer bereits gehoben hatte.

Sie ließ die Klinge herunterfahren -

Nozomu riss seine Augen auf und sah sich schwer atmend um. Nichts war zu sehen.

Ein Traum... bestimmt war der ganze Tag nur ein Traum... Was sitzt da auf meiner Brust?

Etwas Leichtes, ähnlich einer Katze, schien dem Gefühl nach auf seiner Brust zu sitzen. Vorsichtig schielte er auf die Stelle und erschrak noch einmal. Auf seiner Brust saß ein Wesen von der Größe einer Puppe, ihr blondes Haar war zu einem Zopf gebunden, ihre grünen Augen sahen ihn neugierig an. Auf dem Kopf trug sie eine lavendelfarbene Kappe, ihr gleichfarbiger Rock wirkte wie Blütenblätter. An ihren Handgelenken waren kleine Glöckchen befestigt – und sie war durchsichtig.

„W-wer oder was bist du denn?“

Sie antwortete nicht. Nozomu war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt verstand.

Er räusperte sich. „Kannst du vielleicht... von mir runtergehen?“

Für einen Moment glaubte er, sie hätte ihn wieder nicht verstanden, aber plötzlich schwebte sie in die Luft, um von ihm runterzugehen.

„Danke“, murmelte er leise und stand auf.

Das Wesen stellte sich auf seinen Globus und begann darauf zu laufen. Nozomu betrachtete es ratlos. So etwas hatte er noch nie gesehen. Woher war es nur gekommen? Und warum missbrauchte es seinen Globus als Laufband?

Schließlich schwebte sie wieder nach oben und deutete auf die Uhr. Sie sagte immer noch nichts, aber Nozomu konnte sich denken, was sie sagen wollte: Beeil dich, du hast nicht mehr viel Zeit!

Er nickte und begann sich anzuziehen, während sie seine Schultasche inspizierte.

Zuguterletzt nahm er seine Tasche und ging nach unten zum Frühstücken. Das kleine Wesen folgte ihm.

Bevor er sich mit Zetsu angefreundet hatte, war jede Mahlzeit mit den Nagamines eine unangenehme Bürde in einer angespannten Atmosphäre gewesen. Inzwischen genoss Nozomu das Beisammensein der gesamten Familie und würde es ungern wieder eintauschen. Auch Yuzuki und Yamato waren nun deutlich lieber mit ihm zusammen.

Sogar das Essen konnte er inzwischen genießen, was eine gute Sache war, denn es schmeckte köstlich. Er fragte sich, ob das Wesen ebenfalls etwas aß, aber sie saß nur auf seinem Kopf und schien alles zu beobachten.

Nachdem Frühstück verabschiedeten Nozomu und Nozomi sich von den Nagamines und verließen das Haus, um zur Schule zu gehen. Das Wesen schwebte Nozomu hinterher.
 

Sie folgte ihm den ganzen Morgen und hüpfte sogar auf seinem Tisch umher während des Unterrichts, der sie zu langweilen schien. Ab und an sprang sie auch auf die Tische der anderen und tanzte dort um die Bücher herum, bis sie wieder zu seinem Tisch kam.

Sehen konnte sie anscheinend niemand außer ihm und sie stellte auch nichts an, deswegen kümmerte er sich nicht weiter darum und konzentrierte sich lieber auf den Unterricht.

Vieles von dem, was die Klasse erst lernte, hatte er bereits im Krankenhaus gelernt, von daher hatte er keine Probleme, dem Stoff zu folgen, auch nicht, wenn er das kleine Wesen eine Weile beobachtete.

Das Ende des Schultages kam so früher als er gedacht hätte und pünktlich nach dem Unterricht standen Satsuki und Zetsu vor den Türen der Schule. Wie sie so schnell hatten hinauskommen können blieb Nozomu ein Rätsel. Er verabschiedete sich von Nozomi, die mit Misato und Shinsuke ins Einkaufscenter gehen wollte und ging schließlich gemeinsam mit Zetsu und Satsuki.

Zwischen den beiden herrschte immer noch eine angespannte Atmosphäre, aber für Nozomu hatte die Schülersprecherin ein Lächeln übrig. „Nozomu-kun, bist du gestern gut nach Hause gekommen?“

„Ja, danke, Senpai.“

Damit waren ihre Gesprächsthemen erschöpft.

Nozomu wollte so viel fragen, wovon sie gestern gesprochen hatten, was passiert war und wen sie überhaupt treffen wollten. Aber er traute sich nicht.

Zetsu wirkte ohnehin schon angespannt, da konnte er bestimmt nicht noch seine Fragen beantworten – und so wie er ihn kannte, würde der Silberhaarige ohnehin nur vielsagend schweigend oder ihn auf später vertrösten.

Sie kamen an einem großen Gebäude an, ein Schild am Eingang verriet Nozomu, dass es sich um ein Wohnheim handelte. Vermutlich für Schüler, die nicht allein leben konnten oder wollten.

Warum hat man mich nicht hierher geschickt? ... Hmm, nein, ich kann es mir denken.

Gemeinsam gingen sie hinein. Ein halbdunkler Raum empfing sie. Links befand sich eine Art Rezeption, rechts stand eine bequem aussehende Sofaecke um einen Tisch herum, dahinter gab es mehrere Türen, geradeaus führte der Gang zu einer Treppe.

Stille herrschte im Gebäude. Vermutlich war noch keiner da, wer wusste schon auf welche Schulen alle Bewohner gingen?

Zetsu führte sie hinter die Rezeption. Ein Messingschild mit dem Wort Büro verkündete, was sich hinter der Tür befand. Er klopfte an, wartete einen Moment und betrat den Raum schließlich.

Satsuki und Nozomu folgten ihm. Neben einem Regal, einem Aktenschrank und einer weißen Trockentafel, befand sich auch ein großer Schreibtisch und ein Sofa im Raum. Hinter dem Tisch saß ein grünhaariger Mann mit einem Pferdeschwanz. Seine gold-braunen Augen blickten ihnen intelligent durch die Brillengläser entgegen. Neben ihm stand eine braungebrannte Frau mit rotem Haar und goldenen Augen. Sie trug einen Arztkittel, aber Nozomu konnte auch so sehen, dass ihre Oberweite um einiges größer war als die, die er von anderen Frauen kannte.

Zetsu räusperte sich. „Nozomu, darf ich vorstellen? Der Leiter dieses Wohnheims Salles Cworcs und seine rechte Hand Jatzieta.“

„Und weiter?“, fragte Nozomu.

Sie kicherte bereits. „Nur Jatzieta, mein Lieber. Mhm, du siehst ziemlich süß aus, hätte ich gar nicht gedacht.“

Salles schloss bereits genervt die Augen. „Bitte, setzt euch. Du auch, Satsuki.“

Die drei Schüler setzten sich auf die Stühle direkt vor dem Schreibtisch.

Fragend sah Nozomu zwischen den beiden Erwachsenen hin und her. Sie wirkten nicht unbedingt wie normale Menschen. Wer waren sie nur? Hatten sie auch etwas mit diesen Dingen vom letzten Abend zu tun?

Salles räusperte sich. „Also, Nozomu, Zetsu hat mich letzten Abend noch angerufen und mir von den Onryō erzählt, die dich angegriffen haben.“

„Mich?“

Also hatten die Geister es wirklich auf ihn abgesehen gehabt – aber warum?

Der Mann nickte. „Seit du in dieser Stadt bist, gab es vermehrte Erscheinungen dieser Rachegeister. Sie sind nur hinter dir her, aus welchem Grund auch immer. Jedenfalls hast du jetzt bestimmt viele Fragen, nicht wahr?“

Nozomu nickte. „Was sind Shinken? Und Shinjuu? Wer seid ihr eigentlich? Und was habe ich mit der ganzen Sache zu tun?“

„Ich werde dir deine Fragen alle beantworten“, sagte Salles. „Zuallererst: Eien Shinken, die ewigen Götterschwerter, sind machtvolle Waffen, die anders als konventionelle Waffen sind. Shinken verfügen über einen eigenen Willen und sind fähig, mit ihrem Träger zu kommunizieren. Jedes Shinken hat einen Rang von eins bis neun. Allerdings ist nicht jeder fähig, eine solche Waffe zu führen – und selbst wenn du fähig bist, kannst du nicht jedes Shinken führen. Ein Schwert mit Rang Eins verfügt über unbegrenzte Macht, kann aber kaum von einem Menschen kontrolliert werden, während ein Schwert mit Rang Neun über keine nennenswerten Fähigkeiten verfügt, dafür aber von jedem Nutzer gebraucht werden kann.“

Nozomu runzelte seine Stirn. Salles schob ihm ein Buch hin. „Das hier ist mein Shinken. Es ist Egen, die Erkenntnis und hat Rang Fünf.“

Er runzelte seine Stirn. „Aber... es ist ein Buch.“

Neugierig nahm er es in die Hand. Er konnte spüren, wie Macht ihn zu durchströmen begann. Eine fremde Macht, die ihn als Feind ansah und ihn abstoßen wollte. Er fühlte den ohnmächtigen Zorn, der im Inneren der Waffe herrschte. Hastig legte er es wieder weg.

„Ein Shinken kann viele Formen annehmen. Schwerter, so wie das von Zetsu oder Satsuki, Bücher, so wie meines oder eine Laterne, so wie das von Jatzieta.“

Sie lachte noch einmal leise.

Salles ließ das Buch wieder verschwinden. „Als nächstes kommen wir zu den Shugo Shinjuu, den schützenden Götterbestien. Shinjuu sind die Verkörperungen des Willen eines Shinken. Es ist ihre Aufgabe, ihren Meister zu beschützen und ihn in allen Bereichen nach Kräften zu unterstützen, um das große Ziel zu erreichen.“

Das große Ziel?

Diesmal erschien zu Demonstrationszwecken ein puppenartiges Wesen auf Zetsus Schulter. Von der Größe her, erinnerte sie Nozomu an das blonde Wesen, das ihn inzwischen verlassen hatte. „Das ist... ein Shinjuu?“

Sie räusperte sich. „Mein Name ist Nanashi, Dienerin von Zetsu Akatsuki. Erfreut, dich kennenzulernen.“

„F-freut mich auch.“

Er fühlte wie sein normales Leben, das er sich so sehr wünschen, aus seinen Händen glitt und am Boden zerschellte. Und zwar endgültig.

„Auch Shinjuu haben vielfältige Formen, keines gleicht dem anderen, genau wie Menschen“, erklärte Salles. „Wenn du ein Shinken hast, wird sich auch dein Shinjuu zu zeigen.“

Nozomu nickte, Nanashi verschwand wieder. Es erschien ihm immer noch wie ein Traum. Im nächsten Moment würde er in der Klinik oder im Zug aufwachen und nichts von alledem wäre geschehen. Aber etwas in ihm sagte ihm, dass dem nicht so wäre und er nun, da er die Oberfläche angekratzt hatte, noch tiefer hinabsteigen musste, um alles herauszufinden.

„Nun zu uns“, sagte Salles schließlich. „In diesem Wohnheim leben nicht viele Leute, um genau zu sein sind es derzeit nur drei. Aber sie alle haben ein Shinken und ein Shinjuu. Wir kämpfen, um das große Ziel zu erreichen.“

„Was soll daran groß sein?“, fragte Satsuki schnaubend. „Wenn es nach euch geht, bleibt alles wie es ist, das ist nicht groß!“

Salles sah sie sanft lächelnd an. „Du hast deinen Standpunkt oft genug deutlich gemacht, als du das Wohnheim verlassen hat, Satsuki, danke.“

„Worum geht es eigentlich?“, fragte Nozomu.

Diesmal war es Jatzieta, die antwortete: „Der Grund warum es Shinken gibt ist ganz einfach. Es geht um eine Schlacht. Und zwar um den Ewigen Götternamen. Wer diesen Namen erkämpft kann über das Schicksal der Welt entscheiden.“

Erstaunt hob Nozomu eine Augenbraue. „Ein Name?“

Er hatte, wenn es schon um eine Machtquelle ging, mit etwas anderem gerechnet. Einer Waffe, einem Kristall oder irgendeinem anderen Behälter – aber sicher nicht mit einem Namen.

Salles nickte. „Der ewige Göttername. Er wird auf die Seele des Siegers graviert und setzt dadurch unvergleichliche Kräfte frei. In dieser Stadt gibt es drei Gruppen, die darum kämpfen. Wir, die dafür sorgen wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Satsukis Gruppe, die Frieden über die Menschheit bringen will. Und diejenigen, die die Menschheit komplett auslöschen wollen.“

Die Menschheit auslöschen?

„Und Zetsu ist... bei euch in der Gruppe?“, fragte Nozomu langsam.

Der Silberhaarige nickte zustimmend. „Ich will diese Welt erhalten, so wie sie ist.“

Satsuki schnaubte wieder. „Sage ich doch! Nozomu-kun wird da bestimmt nicht mitmachen! Er wird sich mehr als alle anderen eine friedliche Welt wünschen!“

Nozomu sah sie fragend an. „Was habe ich denn damit zu tun?“

Wieder herrschte Stille im Büro. Lediglich eine Wanduhr tickte vor sich hin, ohne sich von äußeren Umständen stören zu lassen.

Die Anwesenden tauschten Blicke, kommunizierten wortlos miteinander. Nozomu rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Er konnte sich zwar bereits denken, was man von ihm wollte, wollte es dennoch erst einmal hören.

„Nun“, ergriff Salles schließlich wieder das Wort „du bist ebenfalls ein Shinken-Nutzer und früher oder später wirst du dich einer der drei Parteien anschließen müssen.“

„Und wenn ich nicht will?“, fragte Nozomu herausfordernd.

Satsuki schluckte. „Erinnerst du dich an deinen ersten Schultag und den toten Schüler? Shou Epirma? Er hat sich ebenfalls keiner Gruppe angeschlossen.“

Salles schloss die Augen und nickte zustimmend. Jatzieta senkte den Blick. „Schließt du dich niemandem an wirst du von denen, die die Zerstörung wollen, gejagt – und getötet, um dich als potentiellen Feind auszuschalten.“

Zetsu nickte nun ebenfalls. „Und Shou war ein guter Kämpfer. Du dagegen bist ein Anfänger, Nozomu. Bei dir werden sie leichtes Spiel haben.“

Der Braunhaarige seufzte. „Und jetzt will jede Gruppe mich für sich haben?“

„Natürlich“, antwortete Jatzieta. „Man kann nie genug Verbündete haben.“

Nachdenklich sah er an Salles vorbei aus dem Fenster hinter ihm. Das Fenster führte zu einer Seitengasse, die nur wenige Meter breit war, bevor das nächste Haus begann. Auf der gegenüberliegenden Häuserwand gab es kein Fenster. Nur Stein.

Ihm stand der Sinn nicht nach Kämpfen. Er wollte nicht nachts mit einem Schwert umherziehen und andere Leute bekämpfen. Er wollte diesen Götternamen nicht haben. Er wollte nur ein ganz normales Leben führen, wie er es sich immer gewünscht hatte.

Die Augen aller Anwesenden waren gespannt auf ihn gerichtet. Er seufzte schließlich und stand auf. „Ich werde... es mir überlegen.“

Suzume Motou

Die nächsten sechs Tage verbrachte Nozomu wieder allein in der Schule und das meistens auf dem Dach derselben, so wie auch an diesem Tag. Seitdem sie das Wohnheim verlassen hatten, hatte Zetsu nicht mehr mit ihm gesprochen und Satsuki hatte ihn höflich darauf hingewiesen, dass sie seine Hilfe im Keller nicht mehr wünschte. Dabei hatte sie ihn mit seinem Nachnamen angesprochen.

Er nutzte die Zeit, um über die Sache mit den Shinken und den Shinjuu nachzudenken. Das blonde Wesen, das anscheinend auch ein Shinjuu war, beobachtete ihn dabei immer aufmerksam und begleitete ihn fast überallhin. Er hätte gern gewusst wie ihr Name war, aber sie sprach nach wie vor nicht und war immer noch leicht transparent. Für alle anderen außer ihm war sie auch noch unsichtbar. Aber durch das Gespräch mit Salles wusste er zumindest, dass sie keine Wahnvorstellung war – und das beruhigte ihn ungemein.

So wie er es sah gab es nur zwei Möglichkeiten, die mit seinem Wunsch konform gingen:

Entweder ignorierte er all das und führte sein normales Leben weiter – und würde dafür über kurz oder lang mit Sicherheit sterben.

Oder er beschloss, das normale Leben für eine Weile aufzugeben, sich Salles' Gruppe anzuschließen und für seinen Traum zu kämpfen.

Und so sehr es ihm (oder besser: seinem Gewissen) auch missfiel, bislang überwogen alle Argumente dafür, dass er es ignorierte. Wenn er das den anderen mitteilen würde, würden sie bestimmt nie wieder mit ihm reden. Allerdings wusste er nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte.

Einerseits mochte er die beiden, andererseits wollte er aber auch keine weiteren Probleme – und er wusste, dass es genau dazu kommen würde, wenn er mehr Zeit mit ihnen verbrachte.

Seufzend legte er sich auf die Bank und starrte frustriert an den Himmel.

Warum gab es nur niemanden, den man fragen konnte, wenn man Probleme hatte?

Jemanden, der alles wusste und einem so optimal helfen konnte?

„Das wäre die einfache Methode...“, sagte plötzlich eine Stimme neben ihm. „Aber bist du sicher, dass es so praktisch wäre?“

Erschrocken fuhr er wieder hoch und starrte das Mädchen an, das neben ihm stand. Es war nicht die Schwarzhaarige, die er sonst sah, sondern eine blonde Schülerin mit einem Haarschnitt, der dem von Nozomi ähnelte – und roten Augen. Noch nie zuvor hatte er jemanden mit solch dunkelroten Augen gesehen. Sie strahlte eine Aura der Ruhe und der Friedfertigkeit aus, auch wenn – oder gerade weil? - ihr blasses Gesicht kränklich und verletzlich aussah.

Anhand der gelben Schleife erkannte Nozomu, dass sie in derselben Stufe wie Satsuki und Zetsu war. Dabei sah sie um einiges jünger aus.

„Ähm, bitte?“

Sie räusperte sich. „Tut mir Leid, aber ich kam nicht umhin, dein Selbstgespräch mitanzuhören.“

Er seufzte leise. „Habe ich das schon wieder getan? Tut mir Leid, ich denke öfter mal laut, ohne es zu merken.“

„Schon in Ordnung, dafür musst du dich nicht entschuldigen. Darf ich mich neben dich setzen?“

Nozomu nickte. Sie setzte sich neben ihn, sah in die Entfernung und holte tief Luft. „Ich bin wirklich gern hier.“

„Ja, es ist... schön hier.“

„Der schönste Platz an dieser Schule.“

Beide schwiegen eine ganze Weile und starrten gemeinsam in die Entfernung.

Nozomu dachte wieder an die Sache mit den Shinken und den Shinjuu zurück. Dabei fiel ihm auf, dass das kleine Wesen verschwunden war. Er fragte sich, wohin sie wohl ging, wenn sie verschwand und was sie dort machte.

„Du bist also Nozomu Setoki?“

Ihre Frage riss ihn wieder aus seinen Gedanken. Er nickte. „Ja, bin ich.“

„Ich bin Suzume Motou“, stellte sie sich ungefragt vor.

„Aha...“

Wieder versanken sie in Schweigen, bevor sie eine weitere Frage stellte: „Du kennst Ikaruga und Akatsuki, stimmts?“

„Na ja... mehr oder weniger.“

Sie holte ihre Lunchbox hervor. „Willst du etwas?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.“

„Habe ich auch nur selten“, antwortete sie leicht lächelnd, während sie die Box öffnete. „Aber mein Arzt hat mir aufgetragen, zu jeder Mahlzeit zumindest eine Kleinigkeit zu essen.“

Nozomu musterte sie noch einmal. Also hatte er sich das mit dem kränklich nicht eingebildet. „Was hast du denn?“

„Oh, es ist mehr was Psychisches. Sie sagen, der Tod meiner Eltern hätte mich traumatisiert – aber ich erinnere mich nicht daran.“

Er horchte auf. Ihr war dasselbe passiert wie ihm. „Wann war denn das?“

Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. „Lange her. Vor fünf Jahren oder so.“

Sogar die Zeit stimmte genau mit dem Tod seiner Eltern überein.

Konnte das ein Zufall sein?

Nein, bestimmt hing das irgendwie zusammen! Wenn er nur herausfinden könnte wie. Aber sie schien das ganze Thema nicht weiter zu interessieren.

Er sah auf das Innere ihrer Lunchbox. Das Essen war appetitanregend drapiert und musste sich vor dem von Nozomi in keinster Weise verstecken.

„Hast du das gemacht?“

Sie nickte. „Ja. Musste ich wohl. Willst du doch etwas?“

Einladend hielt sie ihm die Lunchbox hin.

„Aber nur wenn ich dir nichts wegesse.“

„Nein, keine Sorge, es ist okay.“

Er lächelte leicht. „Danke.“

Schweigend saßen sie nebeneinander, aßen ihr Mittagessen und starrten in die Entfernung.
 

Das näherkommende Schulfest zwang Nozomi nach der Schule dazu, zu einer Bandprobe zu gehen. Auch wenn er immer noch nicht in die ganze Sache involviert war, fragte er sich, wie es wohl werden würde. Und wie er es schaffen würde, das ganze zu umgehen. Wenn Zetsu und Satsuki bis dahin immer noch nicht mit ihm reden würde, würde er bestimmt nicht hingehen.

„Setoki, gehst du schon nach Hause?“

Suzume trat neben ihn. Er nickte. „Ja. Ich bin in keinem Club.“

„Wollen wir zusammen gehen? Mein Club trifft sich heute nicht.“

Zetsu lief an ihnen vorbei, ohne einen von ihnen auch nur eines Blickes zu würdigen. Satsuki war wahrscheinlich wieder im Keller beschäftigt.

Nozomu seufzte innerlich, dann nickte er. „Klar.“

Sie lächelte leicht und ging gemeinsam mit ihm los.

„Ich dachte, du wärst mit Akatsuki befreundet“, sagte sie plötzlich. „Aber er hat dich heute gar nicht beachtet.“

Er seufzte. „Wenn das der einzige Grund ist, warum du dich mit mir abgibst, muss ich dir sagen, dass zwischen uns gerade eine Art Eiszeit herrscht.“

Bestimmend, aber keineswegs überhastet oder rechtfertigend, schüttelte sie ihren Kopf. „Darum geht es mir auch gar nicht. Ich habe kein Interesse daran, mich über andere Leute bei den beiden einzuschleimen. Aber du... du hast etwas Interessantes an dir.“

„Mach dich nicht über mich lustig“, maulte er.

Ernst sah sie ihn an. „Du hast einige Probleme mit deinem Selbstbewusstsein, oder? Ich meine es ernst. Ich bin kein Mensch, der sich bei anderen einschleimt – das habe ich schon einmal erwähnt.“

Schweigen kehrte wieder zwischen ihnen ein. Mit ausdruckslosen Gesichtern sahen sie geradeaus, auf den Weg, der vor ihnen lag.

Nozomu versank wieder in Gedanken. Etwas an Suzumes Verhalten irritierte ihn. Besonders seit er bemerkt hatte, dass sie eine Mischung aus ihm und Nozomi zu sein schien – und immer wenn sie auftauchte, verschwand das kleine Wesen, das ihn sonst umschwirrte.

Außerdem verstörte ihn ihr stets neutrales und oft desinteressiert erscheinendes Wesen.

Wirkte er etwa auch so auf andere Menschen?

Andererseits war gerade diese Ähnlichkeit zu ihm das, was er an ihr mochte und ihn eine Verbundenheit zu ihr spüren ließ. Mehr als zu Zetsu, Nozomi oder Satsuki. Menschen mit den gleichen Gedanken wie seinen traf man immerhin nicht oft.

Aber als Voraussetzung, dass das nicht abriss, musste er verhindern, dass sie genervt von ihm war.

„Wahrscheinlich hast du recht“, antwortete er schließlich. „Aber ich bin den Umgang mit Menschen nicht mehr so sehr gewöhnt.“

Sie lächelte mild. „Schon in Ordnung. Ich weiß, wie es dir geht. Vergiss nicht, im Prinzip bin ich in derselben Situation wie du.“

„Wann bist du eigentlich wieder rausgekommen?“, fragte er interessiert.

„Vor einem Jahr, also zu Beginn meiner Zeit an der Monobe-Akademie. Aber ich musste das ganze letzte Jahr nach der Schule zu einer ambulanten Therapie.“

Die Erinnerung daran verbreitete eine düstere Aura und ließ ihr Gesicht verschlossen wirken.

„Ich verstehe.“

Er beschloss hastig, das Thema zu wechseln. „In was für einem Club bist du eigentlich?“

„Nun, hilft es dir, wenn ich sage, dass ich dafür einen Fotoapparat brauche?“

Erstaunt blickte er sie an. „Du bist wirklich im Fotografie-Club?“

Sie nickte lächelnd. „Jap. Ich liebe es, besondere Momente auf Bildern festzuhalten.“

Ein Hauch von Glück und Freude umgab sie, als sie diesen Satz aussprach. Nozomu beneidete sie darum, dass sie das gefunden hatte, was ihr Freude machte. Ob er so etwas auch einmal finden würde?

„Wofür interessierst du dich, Setoki?“

Lange musste er für seine Antwort nicht überlegen: „Ich weiß nicht. Ich habe bislang noch nicht so wirklich darüber nachgedacht. Aber ich mag Manga, Anime und Videospiele.“

„Da gibt es bestimmt auch einen Club, der dich interessieren könnte.“

Er zuckte mit den Schultern. „Eigentlich ist es mir egal. Auch wenn ich keinem Club beitrete, bin ich zufrieden.“

Wortlos nickte sie.

Vor dem Haus der Nagamines blieben sie schließlich wieder stehen. Suzume musterte das Haus. „Nett hast du es hier.“

„Mhm, ja.“

„Ist jedenfalls was ganz anderes als mein kleines Apartment. Mit wem wohnst du hier?“

„Mit Nozomi und ihren Eltern.“

Sie nickte verstehend. Ein Schimmer von Neid schlich sich in ihre Augen. Er wusste instinktiv, was es bedeutete: Sie lebte allein und das nicht einmal gern.

„Setoki, kann ich deine Handynummer haben?“

Überrascht sah er sie an. Sie antwortete ihm, bevor er seine Frage stellen konnte: „Nur für den Fall der Fälle. Du hast doch ein Handy, oder?“

Der Fall der Fälle? Was könnte sie meinen?

Er nickte und sagte ihr die Nummer, die sie mit erstaunlicher Schnelligkeit in ihr Handy eingab. Schließlich steckte sie es wieder ein und lächelte. „Vielen Dank. Wir sehen uns.“

Ein letzter Gruß, dann ging sie davon und verschwand schon bald hinter der nächsten Ecke.

Hatte er heute etwa eine neue Freundschaft geschlossen?

Das war ja gar nicht so schwer wie er früher immer gedacht hatte. Zufrieden ging er hinein, um mit den Hausaufgaben anzufangen.
 

„Wie... wie kannst du so etwas von mir verlangen?“

Ihre Stirn ruhte auf dem Spiegel. Das kühle Glas fühlte sich gut auf ihrer heißen Stirn an, schaffte es aber nicht, ihr Zittern zu stoppen. „Wie kannst du nur?“

Der Spiegel reflektierte nicht ihre Gestalt, sondern die einer Frau mit kurzem hellgrünen Haar, einer Augenbinde und einem langen Mantel mit Pelzbesatz. Sie legte ihre Hand an die Stelle, an der der Kopf des Mädchens ruhte und tat so als würde sie über deren Haar streichen. „Ganz ruhig, Suzume. Ich kann das für dich erledigen, wenn du willst. Du musst mir nur deinen Körper zur Verfügung stellen.“

Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht tun. Er ist...“

... wie ich.

„Du hast dich nur auf mein Geheiß mit ihm angefreundet, um das zu tun. Also red dich nicht raus.“

Schmerzen zuckten durch Suzumes Körper, breiteten sich bis in ihren letzten Muskel aus und wurden langsam stärker. „O-okay! Okay!“

Die Schmerzen verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. Erschöpft ging Suzume auf die Knie. „Es tut so weh, es tut so weh...“

„Und jetzt tust du, was ich sage.“

„Ja... Mitosemarl...“
 

Da er nie zuvor angerufen worden war, dauerte es eine ganze Weile, bis er bemerkte, dass es sein Handy war, das die störenden Geräusche in regelmäßigen Abständen von sich gab und da es nur vier Personen gab, die seine Nummer hatten (und drei davon befanden sich mit ihm im Haus), konnte es nur eine sein.

Warum hatte er eigentlich Zetsu nie seine Nummer gegeben?

Wahrscheinlich weil er einfach nicht gefragt worden war.

Doch statt eines Anrufs war es eine SMS – von Suzume, wie er erwartet hatte.

Triff mich in 15 Minuten auf dem Sportplatz im Park.

Nozomu erinnerte sich an den Park in dem er früher sehr oft gespielt hatte. Seit seiner Rückkehr war er allerdings nicht mehr dort gewesen. Nachdenklich betrachtete er das Display. Was will sie um diese Zeit von mir? Und vor allem auf dem Sportplatz?

Für einen Moment regte sich Zweifel in ihm, genährt von den Bedenken und dem Verbot, das Satsuki an seinem ersten Schultag ausgesprochen hatte. Doch dann fiel ihm etwas anderes ein: Suzume war dann auch allein unterwegs. Was, wenn ihr etwas geschehen würde? Sie war doch viel hilfloser als er.

Dieser Gedanke bestärkte seinen Entschluss.

Noch mit Schuluniform schlich er sich nach unten, das Wesen folgte ihm wieder neugierig. Ohne etwas zu sagen zog er seine Schuhe an und verließ das Haus vorsichtig, in der Hoffnung, dass niemand merken würde, dass er weg war.

Es dauerte nicht lange, bis er den Park und schließlich den Sportplatz wiedergefunden hatte. Allerdings war er stark verwundert darüber, dass außer ihm sonst niemand unterwegs zu schien. Der Park war völlig verlassen – abgesehen von ihm und Suzume, die er dort fand.

„Ah, da bist du ja“, sagte er und ging auf sie zu.

Ein plötzlicher Impuls ließ ihn inne halten. Etwas an ihrer Haltung irritierte ihn, ihre Aura versprühte Kälte und Hass.

„Suzume?“, fragte er sicherheitshalber.

Sie hob den Kopf. Ihre Augen wirkten leer und ausdruckslos. Sein Blick wurde von einem Gegenstand in ihrer rechten Hand angezogen. Es war eine Peitsche mit einem langen Stiel und vier Lederriemen. Er hatte diese Waffe schon einmal gesehen und auch das dunkle Glühen, das sie verbreitete. Aber wo nur?

„Suzume?“, fragte er noch einmal.

Sie öffnete ihren Mund. Die Worte, die sie sprach, wurden nicht nur von ihrer Stimme, sondern auch von einer völlig fremden Stimme ausgesprochen und raubten Nozomu fast die Luft zum Atmen: „Du stirbst hier, Nozomu Setoki.“

Feuertaufe

Nanashi betrachtete das Telefon genervt, während es vor sich hinklingelte. Wer immer der Anrufer war, er ließ nicht locker. Aber selbst an den Apparat zu gehen, hatte Zetsu ihr verboten. Dieser allerdings befand sich im Bad, wo man Wasser aus der Dusche rauschen hörte. Das Geräusch übertönte offensichtlich das Telefon, denn er hatte bislang weder etwas dazu gesagt noch ihr eine Anweisung gegeben, wie sie damit zu verfahren hatte.

Schließlich seufzte sie und schwebte zur Tür. „Meisteeeeer! Das Telefon klingelt!“

Es gab eigentlich keinen Grund, laut zu rufen. Auf diese Entfernung konnte sie ihm auch durch ihre Gedanken mitteilen, was sie sagen wollte, aber sie wollte mit aller Macht alle anderen Geräusche übertönen, in der Hoffnung, dann endlich Ruhe zu haben.

„Lass es klingeln!“, kam die dumpfe Antwort durch die geschlossene Tür.

„Aber es klingelt schon ziemlich lange.“

Diesmal kam keine Antwort. Stattdessen hörte sie, wie das Wasser abgestellt wurde. Wenige Sekunden später kam Zetsu völlig nass aus dem Bad, nur ein Handtuch um seine Hüfte geschlungen.

„Wehe es ist nicht wichtig“, grummelte er leise, als er zum Telefon ging, dabei hinterließ er nasse Fußspuren.

Verärgert hob er ab. „Ja?“

„Das hat aber lange gedauert“, begrüßte ihn Jatzietas Stimme.

Anhand ihres Tonfalls wusste er, dass sie schmunzelte. „Habe ich dich bei etwas Wichtigem gestört?“

Er überging die Frage. „Was ist? Ich habe meinen freien Abend.“

„Oh, so kalt? Da muss ich dich ja bei etwas SEHR Wichtigem gestört haben.“

Sie kicherte leise. In Gedanken verwünschte er sie dazu einen schmerzhaften Tod zu sterben.

Plötzlich räusperte sie sich und wurde ernst. „Ein Shinjuu wurde in der Stadt geortet.“

„Und? Heute ist Baila dran, soll sie sich um die Lakaien kümmern.“

„Es sind keine Lakaien“, erwiderte Jatzieta. „Das Shinjuu gehört zu einem Rang Drei Shinken.“

Zetsu hielt inne. Rang Drei, das konnte nur bedeuten, dass jemand sehr Machtvolles dieses Shinken mit sich führte und das Shinjuu dementsprechend ebenfalls stark war. Zu stark für Baila und ihre mangelnde Kampferfahrung.

„Warum kümmern du und Salles euch nicht darum?“, fragte Zetsu. „Oder überlasst es einfach einer der anderen Gruppen. Die freuen sich bestimmt.“

Unter keinen Umständen würde er seinen freien Abend opfern, egal welches Argument sie nun vorbringen würde.

Jatzieta seufzte. „Es geht um Nozomu. Er ist das Ziel des Angreifers.“

Zetsus Miene versteinerte sich. Er musste nicht lange überlegen, was nun zu tun war. „Gut, schick mir die Koordinaten auf mein Handy, ich mache mich sofort auf den Weg.“
 

Jatzieta legte auf und machte sich am Computer zu schaffen, um ihm die Koordinaten zu übermitteln. Salles sah währenddessen nachdenklich aus dem Fenster. „Ich wusste, dass er auf den Jungen reagieren würde...“

„Woran liegt das?“, fragte Jatzieta. „Glaubst du, er mag Nozomu wirklich?“

Er schwieg. Ihre Finger huschten über die Tastatur und erzeugten neben dem leisen Brummen des PCs das einzige Geräusch im Raum.

Als sie die Koordinaten abgeschickt hatte und das Klackern der Tastatur verstummte, seufzte Salles. „Ich glaube, es ist etwas anderes. Ich habe es bereits bemerkt, als ich Nozomu das erste Mal sah, aber als er uns im Büro gegenübersaß, war es deutlicher als je zuvor.“

„Du meinst, er ist wirklich...?“

Salles wandte sich ihr zu, der Blick ernst, die Haltung angespannt. „Ich bin mir mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit sicher.“

Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er das nur sagte, wenn er sich absolut sicher war. „Gut, dann werden wir vorsichtig sein.“

Er nickte. „Lass uns auch gehen. Ich will mir diesen Feind ansehen.“
 

Nozomu starrte Suzume ungläubig an. „Wovon redest du? Was soll das?“

Sie ließ die Peitsche knallen. „Du wirst hier sterben – durch meine Hand.“

Ihre Stimme war monoton, ihre gesamte Aura strahlte Kälte und Verachtung aus. Hatte sie ihm wirklich die ganze Zeit etwas vorgemacht, ohne dass er es gemerkt hatte?

Hinter ihr erschien eine Gestalt. Als er sie erkannte, hielt er automatisch die Luft an. „Die Onryō!“

„Richtig“, sagte Suzume. „Sie ist mein Shinjuu.“

Nozomu wich zurück, spürte plötzlich aber auch etwas hinter sich. Er fuhr herum und sah sich umzingelt von den Geistern.

Wo kommen die nur alle her? Das darf doch nicht wahr sein, was mache ich jetzt?

Erneut wich er zurück und blieb schließlich in der Mitte des Kreises stehen.

Warum hilft mir niemand?

„Dürstest du nach Macht?“

Verwirrt warf er einen Blick umher. Die Stimme schien aus seinem Kopf gekommen zu sein, aber das war doch nicht möglich. Was war nur los?

„Dürstest du nach Macht?“

Wovon redest du!?

„Jene ohne Macht werden nur zerstört werden. Ist dies dein Wunsch? Zerstört zu werden?“

Die Onryō standen um ihn herum, schiefe Grinsen auf ihren Gesichtern, ein Kichern auf den Lippen. Wenn nichts geschah, würde er wirklich getötet werden, sobald sie angriffen. Warum sie überhaupt noch zögerten war für ihn ohnehin nicht ersichtlich.

„Wie auch immer. Bestimmt hast du es bereits bemerkt.“

Huh? Was soll ich bemerkt haben?

„Das Rad des Schicksals hat sich zu drehen begonnen. Du brauchst nicht darauf zu hoffen, dass du es noch stoppen kannst.“

Was?

Die Worte dieser Stimme ergaben für ihn keinen Sinn. Was wollte dieser Kerl?

Jetzt war absolut nicht der richtige Zeitpunkt, um über Schicksal zu reden. Nicht solange er noch am Leben war, um das Schicksal auszukosten.

„Dann wähle. Hier zerstört werden? Mit deinen Kameraden überleben? Dies ist dein eigener Wille... dies wurde von deiner eigenen Macht verursacht.“

Von meiner... eigenen Macht? Was... was bedeutet das? Was habe ich getan, dass sie mich verfolgen?

„Nozo... mu...“

Suzumes Stimme holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Die bösartige Aura wurde von einer gequälten ersetzt, ihr Gesichtsausdruck drückte Schmerzen aus. „Nozomu... lauf weg, bitte...“

Gepeinigt schrie sie auf. Irgendetwas, was er nicht sehen konnte, fügte ihr Schmerzen zu.

Die Onryō schienen das als Signal aufzufassen und griffen an.

„Verdammt!“, fluchte Nozomu. „Ich werde nicht hier sterben!“

Gib mir diese Macht!

„... Dann fangen wir an. Die Macht ist in dir selbst.“

Gemeinsam mit der Stimme erschienen fremde Zeichen auf seinem Arm; Buchstaben, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie pulsierten machtvoll durch seine Kleidung hindurch.

„Um dein Schicksal zu bestimmen, erhalte Macht!“

Mit einemmal wurde ihm klar, was die leuchtenden Zeichen zu bedeuten hatten. Salles hatte bereits darüber geredet.

„Ja, rufe es. Die Macht, die in dir ist! Das Shinken!“

Die Verwirrung wich der Erkenntnis. Ja, er hatte ein Shinken, er musste sich nur an den Namen erinnern, die Waffe rufen und sie an sich nehmen und er wäre gerettet. Er musste nicht lange nachdenken, der Name aus alter Zeit kam ihm wieder in den Sinn. Siegessicher hob er die Stimme. „Komm! REIMEI!“

Als Antwort auf seinen Ruf erschienen zwei Schwerter vor ihm in der Luft. Er streckte seine Hände aus und ergriff beide. Pure Macht strömte aus den Waffen in seinen Körper über. Ähnlich wie bei der Berührung von Salles' Shinken, nur war die Macht diesmal freundlich und anscheinend auch glücklich, zu ihm zurückgekehrt zu sein. Seine Kleidung veränderte sich, genau wie die von Satsuki zuvor. Das blaue Oberteil seiner Schuluniform wurde durch einen ebenfalls blauen, ärmellosen Mantel ersetzt, der ihm bis an seine Fußknöchel reichte. Rüstungsteile erschienen an seinen linken Arm und an seinem Hals, der rechte Arm, auf dem die fremden Zeichen erschienen waren, wurde von einem goldenen Armschutz mit einem eingelassenen Saphir umschlossen. Fingerlose Handschuhe schützten seine Hände vor Verletzungen durch seine eigene Waffe.

Erst in dem Augenblick realisierte Nozomu, dass sich alles um ihn herum im Zeitlupentempo abspielte, weswegen die Geister ihn immer noch nicht erwischt hatten. Und er würde ihnen auch keine Gelegenheit dazu lassen.

Mit den Schwertern in der Hand, fuhr er einmal um seine eigene Achse. Die Onryō wurden von den Klingen erwischt und zurückgeschleudert, einige von ihnen lösten sich direkt auf, andere machten sich zu einem neuen Angriff bereit.

Er wusste nicht genau, wie man mit einem Schwert, geschweigedenn zwei, umzugehen hatte, aber er ließ sich von dem Shinken und dem inneren Impuls leiten, als er ebenfalls in Angriffsstellung ging.

Seine Arme schienen von allein zu reagieren, als er die Waffen hochriss, um eine weitere Onryō abzuwehren. Sie löste sich in goldene Funken auf, als er sie wegstieß. Dasselbe Schicksal erlitt der Geist, der seinem Shinken im Weg stand, als er wieder in seine Ausgangsposition zurückkehrte.

Das Gefühl, unbesiegbar zu sein, strömte durch seinen Körper. In seinem Kopf schrie eine ihm unbekannte Stimme nach Blut, Mana und Gewalt und je mehr Onryō ihn angriffen desto lauter wurde die Stimme und desto mehr hatte Nozomu das Gefühl, die Herrschaft über seinen Körper zu verlieren.

Seine Arme und seine Beine agierten, ohne dass er es ihnen befahl oder auch nur daran dachte. Immer wieder stach er mit den Schwertern auf die Geister ein, egal wieviele nachkamen.

W-was ist das!? Hör auf damit!

„Mana! Blut! Gib mir mehr Mana! Gib mir Zerstörung!“

Die Stimme reagierte nicht mehr auf ihn, stattdessen war sie in einen Blutrausch verfallen.

Aber was war Mana?

Und wo war Suzume? Durch das ständige Bewegen und die goldenen Funken in der Luft, konnte er absolut nichts mehr sehen.

Plötzlich stieß sein Schwert auf eine andere Klinge.

„So, dein Shinken ist also erwacht?“

Zetsus Gesicht war nur wenige Zentimeter von seinem entfernt, sein Katana leuchtete silbern. Erleichterung durchströmte ihn. „Zetsu!“

Der Silberhaarige lächelte. „Ich komme wohl rechtzeitig.“

Die bösartige Stimme in Nozomus Kopf verstummte. Er stellte sich aufrecht hin und lächelte ebenfalls. „Keinen Augenblick zu spät.“

„Sehr gut.“

Nozomu sah zu Suzume hinüber, die sich keinen Millimeter vom Fleck gerührt hatte, dafür aber wieder Boshaftigkeit versprühte.

Zetsu seufzte. „Ah, Motou... das ist nicht gut. Ich dachte, sie hätte kein Shinken.“

„Es gehört nicht ihr“, erwiderte sie, wieder wurde ihre Stimme von einer anderen überlagert. „Es ist MEINS!“

Erneut knallte sie mit ihrer Peitsche. Doppelt so viele Onryō wie vorher erschienen.

Zetsu ließ seinen Blick schweifen. „Mhm, das sieht nicht gut aus. Wir müssen Motou wohl töten.“

„Was!? Das kannst du nicht tun!“

Der Silberhaarige warf ihm einen überraschten Blick zu. „Magst du sie etwa?“

Nozomu wollte noch etwas sagen, aber da erklang eine andere Stimme: „Nozomu hat recht.“

Auf der anderen Seite der Geister flammte ein Licht auf, dann stürzte eine Art brennender Hund durch die Masse der Onryō, die sich bei dem Kontakt sofort auflösten.

Während Nozomu erschrocken zusammenzuckte, verzog Zetsu keine Miene. „Jatzieta, Salles, ihr habt aber lang gebraucht.“

Die beiden Erwachsenen betraten den Kreis, der sich hinter ihnen wieder schloss.

„Tut mir Leid, wir hatten noch andere Sachen zu tun“, erklärte Salles. „Jedenfalls hat Nozomu recht. Sie zu töten würde gar nichts bewirken. Stattdessen... müssen wir direkt ihr Shinken zerstören.“

„Geht das?“, fragte Nozomu überrascht.

Die anderen drei nickten. „Es ist die einzige Methode, seinen Feind loszuwerden, ohne ihn zu töten.“

„Dann machen wir das!“, rief Nozomu.

Salles nickte noch einmal. „Jatzieta und ich kümmern uns um die Onryō, ihr beide um das Shinken.“

„Ja!“, sagten beide gleichzeitig.

„Dann los!“

Die Laterne in Jatzietas Hand leuchtete, ein Vogel schoss heraus und griff die Geister an. Salles schlug sein Buch auf und zog einen kleinen Wirbelsturm heraus, den er auf die Feinde warf.

Die getroffenen Onryō lösten sich auf und bildeten somit eine Schneise für Nozomu und Zetsu. Gleichzeitig rannten sie los, durchbrachen den Ring und standen schließlich vor Suzume.

Hinter ihr glaubte Nozomu einen glitzernden Umriss zu sehen – doch als er die Person erkannte, knurrte er. „Du...“

Zetsu, der den Umriss ebenfalls bemerkt hatte, warf seinem Freund einen fragenden Blick zu. „Erkennst du etwas?“

„Das ist die Frau, die meine Eltern ermordet hat!“

„Nein Name ist Mitosemarl“, antwortete Suzume oder besser das, was von ihr Besitz ergriffen hatte. „Dir verdanke ich, dass ich mich diesem Körper bedienen muss, deswegen wirst du hier sterben.“

Zetsu schmunzelte. „Verstehe, deswegen haben die Onryō es auf Nozomu abgesehen. Und deswegen meinte Salles, dass wir Motou nicht töten sollen.“

Mitosemarl holte mit der Peitsche aus. Zetsu stellte sich schützend vor Nozomu und hob sein Shinken. Funken sprühten, als die Waffen aufeinandertrafen. Einer der Lederriemen zog eine haarfeine Wunde auf Zetsus rechter Wange. Doch statt Blut kamen glitzernde Funken hervor.

„Zetsu!“

Er schüttelte mit dem Kopf. „Kümmere dich nicht darum, Nozomu. Wir haben etwas zu tun. Wenn ich dir Bescheid sage, darfst du nicht zögern.“

Nozomu nickte.

„Lächerlich!“, beurteilte Mitosemarl überheblich und holte noch einmal mit der Peitsche aus.

Diesmal senkte Zetsu sein Shinken und hob den Arm. Die Lederriemen gaben einen Knall von sich und wickelten sich schließlich um seinen Arm. Schmerzhaft verzog er das Gesicht. „Jetzt!“

Nozomu hob beide Klingen und ließ sie auf den Stiel der Peitsche niedersausen.

Funken sprühten. Geblendet schloss er die Augen und wandte den Kopf ab. Er konnte einen lauten Schrei hören, gefolgt von einem erstickten Kichern und einem dumpfen Aufprall.

Als er die Augen wieder öffnete waren die Peitsche, der Schatten und die Onryō verschwunden. Suzume lag auf dem Boden und rührte sich nicht.

„Ist es... vorbei?“, fragte Nozomu leise.

Zetsu nickte. „Ja, ist es.“

Jatzieta klopfte anerkennend auf die Schulter des Braunhaarigen. „Gut gemacht!“

„Stimmt, eine nicht zu verachtende Leistung“, sagte auch Salles lächelnd.

Verlegen schüttelte er den Kopf. „Ich habe doch gar nichts gemacht. Ohne euch hätte ich das hier nicht überlebt. Aber was ist mit Suzume?“

Jatzieta hatte sich bereits neben das Mädchen gekniet. „Sie lebt noch, wahrscheinlich ist sie nur ohnmächtig. Ich würde sagen, wir nehmen sie mit ins Wohnheim, bis sie wieder aufwacht.“

Salles nickte zustimmend. „Gute Idee. Ich habe da nämlich noch einige Fragen an sie.“

Zetsu ließ sein Shinken verschwinden, worauf seine normale Kleidung zum Vorschein kam und streckte sich. „Ich werde Nozomu nach Hause begleiten.“

Als auch Nozomus Shinken verschwand, spürte er eine bleierne Müdigkeit seinen Körper überfallen. Jeder einzelne Knochen und jeder Muskel verlangte nach Schlaf in einem bequemen Bett.

Jatzieta nickte ihnen zu. „Gut. Dann kommt morgen nach der Schule aber vorbei, dann gibt es was Feines zu essen für euch.“

„Das lasse ich mir nicht zweimal sagen“, lachte Zetsu. „Komm, Nozomu, gehen wir.“

Nach einem letzten Blick auf die bewusstlose Suzume, folgte Nozomu schließlich dem Silberhaarigen, müde, erschöpft und voller Fragen.
 

Während die Gruppe sich trennte, bemerkte keiner von ihnen, dass sie aus der Dunkelheit heraus beobachtet worden waren.

Eine junge, braunhaarige Frau lehnte mit verschränkten Armen vor einem Baum und sah teilnahmslos hinüber. „Damit ist Mitosemarl wohl endgültig Geschichte.“

Neben ihr stand eine bleiche Frau mit schwarzem Haar und einem Speer in der Hand. Sie nickte. „Sieht ganz danach aus. Reimeis Meister mag zwar eben erst erwacht sein, aber er hat anscheinend nichts verlernt. Wenn er sich uns in den Weg stellt, könnte es zu Problemen kommen.“

„Ich würde mir keine Gedanken machen. Du kennst seinen Spitznamen. Früher oder später wird er sich uns anschließen – spätestens wenn er den Verstand des Jungen endgültig übernommen hat.“

Die Schwarzhaarige schluckte unbemerkt. „Stimmt.“

„Konzentrieren wir uns also lieber auf Gyoutens Meister, Akatsuki Zetsu war sein Name, nicht? Nun, wir werden sehen, wie lange er den Jungen noch beschützen kann.“

Die beiden Frauen nickten sich zu, fuhren herum und verschmolzen mit der Dunkelheit als ob sie nie dagewesen wären.

Am Tag danach

Die Nagamines hatten mitbekommen, dass Nozomu sich rausgeschlichen hatte, doch Zetsu hatte sie beruhigen und ihnen versichern können, dass er nie in Gefahr gewesen war.

Todmüde war Nozomu schließlich ins Bett und gleich darauf in einen traumlosen Schlaf gefallen.

Als er am Morgen erwachte, saß das blonde Wesen wieder auf ihm – allerdings war sie nicht mehr transparent, sondern wirklich stofflich.

„Guten Morgen, Nozomu“, verkündete sie fröhlich.

Erschrocken zuckte er zusammen. Nicht nur, dass er etwas sah, was eigentlich gar nicht da sein konnte, nein, jetzt hörte er es auch noch sprechen.

„Du kannst reden?“

Sie nickte lächelnd. „Ja, kann ich. Warum auch nicht?“

Stimmt, warum eigentlich nicht? Er hatte die Frage gestellt, ohne vorher darüber nachzudenken, aber im Nachhinein klang sie wirklich ein wenig lächerlich.

Sie schwebte nach oben, um ihn aufstehen zu lassen und stellte sich schließlich auf den Globus. „Darf ich mich vorstellen? Ich bin Rehme, das Shinjuu, das in deinem Shinken Reimei schlief und auf das Erwachen deines Orichalcum-Namens gewartet hat.“

„Orichalcum...?“

Er hatte noch nie von diesem Namen gehört, aber etwas tief in ihm sagte ihm, dass es etwas mit den fremdartigen Buchstaben auf seinem Arm zu tun hatte. Neugierig blickte er auf seinen Arm, aber dort war nichts mehr davon zu sehen.

Rehme nickte noch einmal. „Mh-hm. In dem Namen werden Erinnerungen an dein altes Ich gespeichert, deswegen konntest du auch gestern so gut mit dem Schwert umgehen.“

„Du warst dabei?“, fragte er überrascht.

Sie lachte leise. Die Glöckchen an ihren Armen klingelten. „Natürlich war ich dabei. Ich begleite dich seit deiner Geburt, auch wenn du mich nicht sehen konntest, bis neulich.“

Er schluckte. „Was!? Du hast mich auch beim Baden bespannt?“

„Mann~ was ist daran so schlimm? Ist ja nicht so als ob du was zu verbergen hättest oder so.“

Nozomu seufzte. „Ja, schon gut. Kannst du mir einen Gefallen tun und dich trotzdem umdrehen, während ich mich umziehe?“

Sie rollte mit den Augen, um zu zeigen wie übertrieben sie seine Reaktion fand, wandte sich aber dennoch ab und beschäftigte sich lieber mit seinem Globus.

Kopfschüttelnd sah er sie an und machte sich schließlich daran, sich umzuziehen.
 

Seufzend stand Zetsu vom Tisch auf.

„Alles in Ordnung, Meister?“, fragte Nanashi besorgt.

Er nickte. „Ja, alles bestens. Ich bin nur müde – und habe keine Lust auf Schule. Und morgen muss ich schon wieder arbeiten – vorausgesetzt mein Chef feuert mich nicht, weil ich gestern nicht aufgetaucht bin.“

Immer noch besorgt sah sie ihn aus großen lavendelfarbenen Augen an. „Meister, vielleicht solltet ihr Salles-samas Angebot annehmen?“

Er antwortete nicht darauf. „Nanashi, mach bitte sauber, während ich weg bin, ja?“

„Ja, Meister.“

Zetsu griff nach seiner Schultasche, zog seine Schuhe an und verließ das Apartment. Er hielt inne als er die ganzen Kartons vor der Tür der Nachbarwohnung entdeckte.

Na sowas. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass die alten Nachbarn ausgezogen sind. Wer wird denn mein neuer Nachbar?

Er warf einen Blick in die Wohnung, da die Tür offenstand, aber es waren nur Männer von der Umzugsfirma zu sehen.

Na ja, vielleicht weiß ich heute Abend ja mehr.

Schließlich verließ er das Haus, um den Schulweg anzutreten.
 

Nozomi hing den ganzen Weg über an Nozomus Arm. „Nozomu-chan, du darfst sowas nicht noch einmal machen, ja? Das hätte gefährlich werden können.“

Diese Predigt hielt sie bereits den ganzen Weg über. Er war es langsam Leid, aber sie schien damit nicht aufhören zu wollen – zumindest nicht so schnell. Er schwieg dazu nur, in der Hoffnung, dass sie endlich schweigen würde.

„Aber zum Glück war ja Akatsuki-kun bei dir“, sagte sie erleichtert.

„Habe ich da eben meinen Namen gehört?“

Zetsu kam vergnügt lächelnd aus einer Seitenstraße auf sie zu. „Guten Morgen Nagamine und Nozomu. Wie geht es euch?“

„Guten Morgen, Akatsuki-kun“, grüßte Nozomi ihn zurück. „So gut gelaunt heute?“

Nozomu sagte immer noch nichts. Er hatte so viele Fragen, die er Zetsu stellen wollte, aber das ging nicht, solange Nozomi dabei war. Also schwieg er lieber.

„So schlecht gelaunt, Nozomu?“, fragte Zetsu schmunzelnd.

„Ah... nicht wirklich. Tut mir Leid.“

Der Silberhaarige lächelte ihm vertrauensvoll zu. „Alles in Ordnung?“

Er nickte und warf einen Seitenblick zu Nozomi. Zetsu schien zu verstehen, was er durch ein leichtes Nicken bestätigte.

Das Mädchen sah misstrauisch von einem zum anderen. Was immer die beiden auch vor ihr geheimhielten, es gefiel ihr nicht. Ihr Nozomu durfte keine Geheimnisse vor ihr haben. Irgendwie – auch wenn sie noch nicht wusste, wie – musste sie herausfinden, was die beiden so Geheimes zu besprechen hatten, dass sie sich nun anschwiegen.

Irgendwie musste das doch zu schaffen sein.
 

Den ganzen Vormittag über hatte Nozomu sich kaum auf den Unterricht konzentrieren können. Immer wieder ging er gedanklich all die Fragen durch, die er den anderen stellen wollte, nein sogar musste und er fragte sich, wie es Suzume ging. War sie bereits wieder aufgewacht?

Er war so tief in Gedanken versunken, dass er nicht einmal merkte, wie Nozomi ihn besorgt und gleichzeitig misstrauisch beobachtete.

Kaum hatte der Lehrer sie für den heutigen Unterricht entlassen, stürmte Nozomu bereits hinaus und wartete ungeduldig auf Zetsu, der sich um einiges langsamer vorwärts bewegte. „Ah, Nozomu, so ungeduldig?“

„Ja. Also kommst du endlich?“

„Ich bin schon auf dem Weg. Wir werden genau rechtzeitig zum Mittagessen da sein.“

Nozomu interessierte sich nicht für das Mittagessen oder Essen überhaupt. Er wollte endlich wissen, was mit Suzume geschehen war und was sie mit der Mörderin seiner Eltern zu tun gehabt hatte.

Der Weg zum Wohnheim kam ihm um einiges länger vor als beim letzten Mal, obwohl sie genau dieselbe Strecke liefen.

Rehme ließ sich den ganzen Weg nicht blicken. Eigentlich hatte er sie bereits seit dem frühen Morgen nicht mehr gesehen. Was sie wohl tat, wenn sie nicht da war? Bei Gelegenheit musste er sie unbedingt danach fragen.

Im Wohnheim angekommen führte Zetsu ihn diesmal nicht ins Büro, sondern durch eine der Türen auf der rechten Seite. Dahinter befand sich ein Esszimmer – und auch Salles, Jatzieta und Suzume.

Nozomu stürmte sofort auf das Mädchen zu. „Suzume! Alles in Ordnung?“

Sie zuckte erschrocken zusammen. „S-Setoki... b-bist du nicht... sauer?“

„Warum sollte ich?“, fragte er überrascht.

Zetsu lachte leise. „Sie hat sich mit dir angefreundet und wollte dich töten. Andere wären da sauer.“

„Aber doch nicht unser Nozomu“, kicherte Jatzieta. „Er ist doch die Güte in Person.“

„So würde ich das nicht sagen“, widersprach er, bevor er sich wieder an Suzume wandte.

Sie lächelte schüchtern, ganz anders als zuvor. „Mhm, danke, mir geht es... schon viel besser. Mitosemarl war ganz schön hartnäckig und nervig.“

Er setzte an, um etwas zu sagen, wurde aber von Salles unterbrochen: „Lasst uns doch nach dem Essen weitersprechen.“

„Genau“, stimmte Jatzieta zu. „Jetzt habt ihr euch erst einmal etwas zu essen verdient.“

Zetsu grinste zufrieden. „Trifft sich gut. Ich habe einen Mordshunger.“

„So wie immer“, meinte die Frau lachend.

Nozomu sah ihn fragend an. Aß Zetsu etwa oft hier?

„Also kommt.“

Die Gruppe setzte sich um den Tisch und begann zu essen.

Suzume legte den Kopf schräg. „Mhm, da ist zu viel Essig dran.“

Jatzieta kicherte. „Ja, damit wollte ich den Geschmack des Meerrettichs überdecken. Du hast einen ziemlich guten Geschmackssinn.“

„Ja, ich koche ziemlich viel, seit ich aus dem Krankenhaus draußen bin.“

„Eine Köchin könnten wir gut gebrauchen“,merkte Salles an. „Das von Jatzieta schmeckt gewöhnungsbedürftig und das von Baila schmeckt nur Zetsu.“

„Baila?“, hakte Nozomu nach.

„Sie wohnt ebenfalls hier“, erklärte Zetsu. „Aber sie redet äußerst selten.“

„Auf welche Schule geht sie?“

Salles überlegte einen Moment. „Die Akiyama im Westbezirk. Sie behält da für uns ein paar Shinken-Träger im Auge. Deswegen braucht sie länger für den Weg hierher.“

„Aber keine Sorge, ich habe etwas für sie zurückgelegt“, sagte Jatzieta.

Das war meine geringste Sorge...

Zetsu, der als erstes seinen Teller leer hatte, hob diesen. „Kann ich noch etwas haben?“
 

Nach Zetsus dritter Portion waren sie endlich mit dem Essen fertig, das Geschirr ignorierend zogen sie sich in das Büro zurück, um endlich weiterzureden. Erneut nahmen sie dieselben Sitzpositionen ein wie das letzte Mal, Jatzieta blieb wieder neben Salles stehen. Diesmal saß Suzume an Satsukis Platz. Dafür war die Atmosphäre um einiges entspannter als noch in der Woche zuvor.

Salles räusperte sich. „Nozomu, ich würde gern mit dir anfangen. Du sagtest, Mitosemarl wäre die Mörderin deiner Eltern gewesen. Erzähl uns bitte davon.“

Nozomu holte Luft, dann begann er die Geschichte zu erzählen, die er in den letzten fünf Jahren unendlich oft erzählt hatte. Nur mit dem Unterschied, dass man ihm diesmal glaubte.“

Während er redete, kam es ihm vor als ob ein Film vor seinem inneren Auge ablaufen würde. Wieder spürte er das ungute Gefühl, das ihn dazu verleitet hatte, sein Zimmer zu verlassen, wo er die Leichen seiner Eltern gefunden hatte, die in ihrem eigenen glänzendem Blut gelegen hatten. Und vor ihnen die grünhaarige Frau mit der Peitsche und der Onryō.

Er erinnerte sich nicht daran, was danach geschehen war. Seine Erinnerung setzte erst wieder im Krankenhaus ein.

Salles nickte. „Suzume, wie war es bei dir?“

„Im Prinzip dasselbe. Aber bei mir war Mitosemarl nicht mehr da. Nur noch ihr Shinken. Und als ich die Peitsche aufhob, übernahm sie Besitz von mir. Fünf Jahre lang musste ich alles tun, was sie wollte.“

Sie seufzte leise. „Und als die Onryō keinen Erfolg erzielen konnten, musste ich mich mit Nozomu anfreunden und ihn so aus der Reserve zu locken. Aber... ich konnte nicht.“

Zufrieden schob Salles seine Brille zurück. „Mitosemarl hat den menschlichen Faktor unterschätzt. Suzume muss Nozomu... sympathisch finden.“

Sie reagierte nicht darauf, aber ihr Seitenblick sagte Nozomu, dass es tatsächlich so war – und ihm das auch das Leben gerettet hatte.

Er sah zu Zetsu. „Und wer hat deine Eltern umgebracht?“

Der Blick des Silberhaarigen wurde dunkel und undurchdringlich. „Ich habe nie gesagt, dass sie umgebracht worden sind. Spinn dir nichts zusammen.“

Die Worte waren abweisend und kalt, anders als die sonstige Art des Jungen. War das eine Maske, um sich selbst zu schützen? Oder war seine Freundlichkeit nur eine Maske?

Jatzieta räusperte sich. „Was auch immer mit Zetsus Familie passiert ist... Nozomus Shinken ist erwacht und das bedeutet, dass er sich nun einer Seite anschließen muss. Und Suzume... kann sich entscheiden, ob sie bei uns einziehen will.“

Die beiden Erwähnten sahen sich gegenseitig an.

Suzume musste da weitaus weniger nachdenken. Für sie gab es nur die Frage, ob sie ihre einsame Wohnung verlassen wollte. Und dafür musste sie nicht lange überlegen. „Ich würde wirklich gern hier einziehen. Aber ich kann nicht kämpfen. Stehe ich auch wirklich nicht im Weg?“

„Wer kochen kann steht nie im Weg“, sagte Jatzieta lächelnd. „Und Platz haben wir auch jede Menge.“

Suzume lächelte ebenfalls. „Vielen Dank.“

„Was ist jetzt mit dir, Nozomu? Deine Kampfkraft würde uns einen richtigen Vorteil verschaffen.“

Die Augen der anderen richteten sich auf ihn. Aber eine Antwort fiel ihm schwer.

Er wusste, dass er nicht bei den Nagamines bleiben konnte, wenn er sich wirklich dieser Gruppe anschloss. Immerhin konnte er sich nicht jeden Abend hinausschleichen oder sie immer belügen. Aber wollte er wirklich in den Kampf ziehen?

Was würde dann aus seinem normalen Leben werden?

Und was würde daraus werden, wenn er sich dem Kampf nicht anschloss?

Er sah wieder die Trauerfeier für Shou Epirma vor sich und stellte sich vor wie eine Feier für ihn in der Schule aussehen würde. Und wie Nozomi reagieren würde...

Er musste sich einer Gruppe anschließen und warum nicht dann die Seite nehmen, der auch Zetsu vertraute und seine Kraft lieh? Und die von nun an von Suzume bekocht werden würde?

„Fuuuh~ Was willst du tun, Nozomu?“, hörte er plötzlich eine Stimme in seinem Kopf.

Huh? Rehme?

„Ganz genau. Ich kann mittels deiner Gedanken mit dir kommunizieren. Überrascht? Tja, ich kann eben einiges~“

Sie kicherte.

„Okay, wieder ernst. Was willst du tun? Es gibt drei Parteien und du kannst dich einer anschließen. Übrigens... um deine Entscheidung zu beeinflussen: Die Mörderin deiner Eltern war ein Mitglied der Partei, die für den Untergang kämpft.“

Nozomu hielt erschrocken die Luft an.

Was? Die Parteien gab es schon damals?

„Die drei Parteien und den Götternamen gibt es seit diese Welt existiert. Also, was willst du tun?“

Während er noch überlegte, flog plötzlich die Tür auf. „Nozomu-chan wird NICHT mit euch kämpfen!“

Die Augen aller richteten sich auf die wütende Nozomi, die mitten im Büro stand.

„Solange ich lebe, wird sich Nozomu-chan euch nicht anschließen!“

Einen Augenblick fragte Nozomu sich, ob sie ebenfalls eine Shinken-Trägerin war, aber Salles' Frage verneinte dies: „Wer bist du?“

„Nozomi Nagamine! Und ich werde nicht zulassen, dass ihr Nozomu-chan in diese gefährliche Sache hineinzieht!“

„Und woher weißt du davon?“, fragte Jatzieta.

Das Mädchen grummelte leise. „Ich habe ein wenig gelauscht und ich kann mir vorstellen, dass ihr mit den nächtlichen Ereignissen zu tun habt, stimmts!?“

Die anderen nickten zustimmend.

Nozomu war überrascht. Sie kombinierte ziemlich gut, das war er gar nicht gewohnt von ihr.

„Ich denke, es ist Nozomus Entscheidung, ob er sich uns anschließt oder nicht?“

Salles blieb völlig ruhig und sah sie neutral an. Doch das schien sie nicht zu beruhigen, sondern eher im Gegenteil noch wütender zu machen. „Ich muss auf Nozomu-chan aufpassen und das werde ich auch tun!“

„Hartnäckiges kleines Ding“, urteilte Jatzieta, worauf sie sich auch einen Todesblick von Nozomi einfing.

Doch Salles ließ sich nach wie vor nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn du unbedingt auf ihn aufpassen willst, warum kommst du nicht auch ins Wohnheim?“

Das schien ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Verwirrt sah sie den Mann an. „Bitte?“

„Wir brauchen Nozomus Kraft, um dafür zu sorgen, dass diese Welt so bleibt wie sie ist. Und wenn du auf ihn aufpassen willst, ist es besser, wenn du ebenfalls hier einziehst.“

Nozomu hatte das Gefühl, dass über seinen Kopf für ihn hinweg entschieden wurde – aber eigentlich hatte er sich bereits entschieden. Und Salles musste das gewusst haben.

Nozomi nickte entschlossen. „In Ordnung. Ich werde auch hier einziehen, solange Nozomu-chan hier wohnt!“

„Das war ja klar“, bemerkte Zetsu schmunzelnd. „Dann hätten wir ja zwei Köche.“

„Köche?“, hakte sie nach.

Salles nickte bestätigend. „Jeder, der hier lebt, muss sich irgendwie nützlich machen.“

Doch das brachte ihre Entscheidung nicht ins Wanken. „Okay, ich werde für euch kochen, kein Problem. Wann können wir einziehen?“

Der Mann lächelte zufrieden. „Ihr könnt alle noch dieses Wochenende einziehen. Je früher desto besser.“

Nozomu und Nozomi nickten. „Einverstanden.“

„Wenn ihr wollt, komme ich morgen mit Baila vorbei und helfe euch beim Umziehen“, bot Zetsu an.

Sie nickten noch einmal. „Das wäre großartig.“

„Und ich helfe dir heute noch, Liebes“, sagte Jatzieta zu Suzume. „Du solltest nicht zu lange allein sein.“

Suzume nickte ebenfalls. „Danke, Jatzieta-san.“

Salles wirkte wirklich zufrieden über die Ereignisse und auch die anderen schienen von der Planung sehr angetan zu sein. Lediglich Nozomu sah dem Ganzen nicht so begeistert und eher nüchtern entgegen. Wer wusste schon, was einen in der Zukunft erwartete?

Aber zumindest hatte er eine Entscheidung getroffen und musste nicht mehr länger darüber nachdenken, was passieren könnte, wenn er eine traf.
 

Als Zetsu schließlich wieder nach Hause ging, merkte er, dass der Umzug in seiner Nachbarwohnung inzwischen abgeschlossen zu sein schien. Dafür gab es aus dem Inneren der Wohnung laute Geräusche, die darauf schließen ließen, dass fleißig ausgeräumt wurde.

Neugierig wer wohl sein neuer Nachbar war, klopfte er an. Es dauerte eine Weile, bis die Tür geöffnet wurde – von einem braunhaarigen Mädchen.

Sie wirkte nicht wie eine Japanerin oder überhaupt eine Asiatin.

„Was willst du?“, fragte sie schlecht gelaunt, mit einem deutlichen Akzent, aber dennoch flüssig.

Zetsu ließ sich von ihrer Laune nicht beirren und lächelte charmant. „Ich wollte mich nur vorstellen. Mein Name ist Zetsu Akatsuki, ich wohne hier nebenan.“

Normalerweise wirkte sein Lächeln immer, aber dieses Mädchen war davon offensichtlich nicht beeindruckt. „Leana Vartanian. Freut mich – nicht.“

„Warum so schlecht gelaunt?“

„Ich bin beschäftigt!“, fauchte sie.

„Kann ich irgendwie helfen?“

Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. „Oh, es gibt tatsächlich etwas, was du für mich tun könntest.“

Sein Lächeln wurde noch breiter. „Und was?“

„Mich in Ruhe lassen!“

Mit diesen Worten warf sie ihm die Tür wieder vor der Nase zu. Zetsu schmunzelte.

Was für ein Temperament. Leana Vartanian... den Namen werde ich mir merken.

Andere Menschen hätten sich von diesem Verhalten abgestoßen gefühlt, aber in Zetsu erwachte dadurch nur der Ehrgeiz. Er würde dieses Mädchen dazu bringen, ihn zu mögen, auf jeden Fall.

Mit neuen Plänen beseelt ging er weiter in seine eigene Wohnung. Zufrieden wie schon lange nicht mehr.

Die erste Nacht

Pünktlich am nächsten Morgen standen Zetsu und ein junges Mädchen vor dem Haus der Nagamines. Yuzuki und Takuya waren nicht gerade sehr glücklich darüber, aber gaben schließlich dennoch nach. Besonders nachdem Zetsu ihnen versichert hatte, dass das Wohnheim im besten Zustand war und er ihnen Adresse und Telefonnummer von Salles gegeben hatte. Außerdem hatte Nozomi versichert, dass sie oft zu Besuch kommen würde.

Als Zetsu sah, was Nozomi alles mitnehmen wollte, brach er in schallendes Gelächter aus. „Nagamine, du ziehst in ein komplett möbliertes Zimmer in einem Wohnheim. Du musst nicht dein Bett mitnehmen – und den Futon auch nicht.“

Nozomi pumpte Luft in ihre Backen und wollte widersprechen, aber das weißhaarige Mädchen, das Zetsu als Baila Vays vorgestellt hatte, ging dazwischen: „Bitte nicht streiten.“

Bailas betont ruhige Art und die leicht schläfrig wirkenden roten Augen taten ihren Dienst und beruhigten Nozomi. Das Mädchen nickte. „Okay.“

Zetsu ließ Baila bei ihr und ging zu Nozomu, der bereits mit Packen fertig war und sich deswegen die Zeit damit verbrachte, Rehme zu beobachten, die neugierig den Globus musterte. Was fand sie daran nur so interessant?

Der Silberhaarige lächelte. „Ah, das ist also dein Shinjuu?“

Rehme ließ vom Globus ab und wandte sich ihm zu. „Ah! Wo ist Nanashi?“

„Nicht hier“, antwortete Zetsu.

Nozomu sah Rehme fragend an. „Du kennst sein Shinjuu?“

Als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre, sah sie ihn empört an. „Natürlich! Und ich hasse sie heiß und innig.“

Zetsu lachte amüsiert. „Du wirst sie mit Sicherheit noch treffen. Im Moment kümmert sie sich um mein Apartment. Sie räumt dort auf.“

„Räumst du auch mein Zimmer auf, Rehme?“, fragte Nozomu.

„In hundert Jahren vielleicht“, erwiderte sie schnippisch.

Der Silberhaarige lachte noch einmal. „Du verstehst dich offensichtlich gut mit deinem Shinjuu. Das ist sehr gut. Immerhin müsst ihr ein Team sein.“

Rehme setzte sich auf Nozomus Schulter. „Das ist für uns kein Problem. Oder, Nozomu?“

„Ich wäre mir da nicht so sicher.“

„Duuuuu!“

Empört zog sie an seinem Ohr, was er nur lachend quittierte. Zetsu betrachtete die Szene lächelnd.

„Bist du schon fertig mit packen?“, fragte er.

Nozomu nickte und deutete auf seinen Koffer und eine Sporttasche, die beide auf dem Bett lagen. „Viel mehr habe ich nicht.“

Zetsu legte den Kopf schräg. „Na ja, immerhin etwas. Und immerhin nicht so viel wie das von Nagamine. Sie wollte ihr Bett und einen Futon mitnehmen.“

Nozomu schmunzelte wissend. „Sei froh, dass es nur das war. Ihren Schrank, ihre Lampe und ihren Tisch haben wir ihr letzten Abend ausgeredet.“

Zetsu seufzte nur. Schweigen entstand zwischen den beiden, während sie darauf warteten, dass Nozomi fertig wurde. Doch es dauerte nicht mehr lange, bevor sie unangekündigten Besuch erhielten.

Ein grimmig aussehendes Wesen mit der Größe eines Teddybärs erschien plötzlich im Zimmer. Das weiß-graue Fell hatte ein seltsames Muster, die türkis-farbenen Augen glitzerten. Der Kopf und die Ohren schienen zu groß für den eher schmächtigen Körper. Doch das Wesen bewegte sich flink und geradezu grazil quer durch das Zimmer.

Nozomu und Rehme verfolgten es mit ihren Blicken. Beide fragten sich gleichermaßen, was es war und wo es herkam. Aber so wie beide es einschätzten, war es wohl ein Shinjuu und Zetsus ruhiger Blick war Antwort genug. „He Pollux.“

Das Wesen hielt inne und sah ihn an. „Es wird noch eine Weile dauern, bis Baila und Nozomi fertig sind. Ich dachte, ich sehe mich solange um.“

„Und wer hat dir das erlaubt?“, fauchte Rehme.

Pollux sah sie genervt an, kümmerte sich dann aber nicht weiter darum. „Wenn ich störe, kann ich auch wieder gehen.“

Bei diesen Worten sah er Nozomu an, aber der winkte nur ab. „Ist schon in Ordnung, das macht mir nichts.“

Zufrieden sah Pollux sich weiter um.

„Das ist Bailas Shinjuu“, erklärte Zetsu überflüssigerweise. „Pollux, das Hörnchen.“

Rehme kicherte leise, aber Pollux schien sich nichts daraus zu machen.

„Was machen die Mädchen denn so lang?“, fragte Nozomu.

Das Hörnchen legte den Kopf schräg. Durch die Größe wirkte es groteskerweise fast so als würde er im nächsten Augenblick herunterfallen. „Sie packen. Nozomi scheint zu denken, sie würde das Land für mehrere Monate verlassen. Deswegen dauert es länger.“

Zetsu lachte wieder. „Typisch Mädchen.“

„Aber ich glaube...“

Die Anwesenden sahen Pollux fragend an, als er noch einmal etwas sagen wollte. Doch sie erfuhren nicht, was er sagen wollte, denn im nächsten Moment ging die Tür auf und Nozomi kam herein. „Ich bin fertig.“

Sie lächelte, aber hinter dieser fröhlichen Fassade konnte Nozomu Angst und Furcht vor dem Neuen spüren. Er selbst fühlte sich dagegen aber gelassen. Was konnte ihm schon passieren? Er hatte den ersten Neuanfang überlebt und er würde auch diesen überleben.

„Ich dachte, es dauert noch eine Weile“, sagte Zetsu beiläufig.

Pollux zuckte mit den kleinen Schultern. „Anscheinend doch nicht.“

Nozomi hielt inne. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte Nozomu an jemanden, der eine Maus gesehen und davor Angst hatte. „Was ist das denn!?“

„Er gehört zu mir“, sagte Baila hastig.

Sie kam ebenfalls herein und hob Pollux hoch. „Tut mir Leid, dass er euch gestört hat.“

„Hat er nicht“, erwiderte Zetsu. „Nagamine, das ist Pollux, ein Shinjuu. An so etwas wirst du dich wohl oder übel gewöhnen müssen, wenn du im Wohnheim wohnst.“

Das schien ihr nicht zu gefallen, aber sie überwand ihre Abscheu. „Okay, kein Problem.“

„Er beißt auch nicht“, versprach Baila.

Die Shinjuu verschwanden wieder. Gemeinsam verabschiedete sich die Gruppe von den Nagamines, versprach, oft zu Besuch zu kommen und machte sich schließlich auf dem Weg zum Wohnheim. Dort angekommen wurden sie bereits von einer grinsenden Jatzieta und einer fertigen Mahlzeit, die von Suzume gekocht worden war, empfangen wurden.

Nozomu genoss die Zeit, die er mit den anderen verbrachte. Selten hatte er sich so befreit gefühlt. Der Einzug in dieses Wohnheim war mit Sicherheit die beste Entscheidung, die er je getroffen hatte.

Die Gruppe saß lange zusammen, um die beiden Neuankömmlinge willkommen zu heißen, bis Zetsu schließlich seufzend aufstand. „Ich muss dann mal los. Heute muss ich arbeiten.“

„Im Café, hm?“, meinte Jatzieta. „Viel Spaß, mein Lieber.“

Er bedankte sich schmunzelnd und verließ das Wohnheim.

„Warum wohnt eigentlich Zetsu nicht hier?“, fragte Nozomu.

„Das wundert mich auch“, stimmte Suzume zu.

Jatzieta hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Er weigert sich grundsätzlich, hier einzuziehen.“

Nozomu wusste nicht, weswegen er das tat, aber mit Sicherheit hatte er einen triftigen Grund dafür.

Salles wandte sich schließlich an Baila. „Du hast heute Abend Dienst, nicht?“

Sie nickte zustimmend.

„Dienst?“, hakte Nozomi nach.

Salles lächelte grimmig. „Stimmt ja, wir haben noch gar nicht darüber geredet. Alle Shinken-Nutzer in diesem Wohnheim müssen nachts ein paar Stunden in der Stadt nach dem Rechten sehen. Na ja und Zetsu macht es auch ab und an. Je mehr Leute hier wohnen desto seltener muss der Einzelne diesen Dienst machen.“

Die anderen schwiegen, aber Nozomi nestelte nervös an ihrem Pullover herum. Salles schloss die Augen. „Beeinflusst das deine Entscheidung, Nozomu?“

Alle Augen richteten sich auf ihn. Doch er fühlte keine Nervosität, eher eine innere Sicherheit, die sich durch nichts vertreiben ließ. „Nein, ich hatte damit gerechnet.“

Nachdem er erfahren hatte, war es mit den Shinken auf sich hatte, hatte er sich denken können, dass Zetsu deswegen immer absolut ermüdet gewesen war. Allein von der Arbeit her hatte es nicht sein können – immerhin arbeitete er nicht die Nächte durch.

Die Antwort schien Salles zu gefallen, er lächelte. „Gut. Denn ich möchte, dass du heute mit Baila gehst und dir ansiehst, was es zu machen gibt.“

Nozomu warf einen Blick zu dem Mädchen. Sie hatte den ganzen Tag wenig gesprochen und zeigte allgemein wenig Emotionen. Nicht unbedingt ideal (er hatte gehofft, er würde von Zetsu eingewiesen werden), aber auch besser als jemand, der zuviel redete, also nickte er. „In Ordnung.“

„Vielleicht habt ihr Glück und ihr trefft ein paar Lakaien“, sagte Jatzieta.

Sein fragender Blick blieb unbeantwortet, Baila neigte nur den Kopf. Also musste er einfach abwarten.

Salles wandte sich an sie: „Du passt gut auf ihn auf, ja?“

„Jawohl.“

Er lächelte zufrieden, sein Blick ging weiter. „Nozomi, Suzume und Jatzieta werden dir alles zeigen, was du in der Küche noch wissen musst. Einverstanden?“

Sie nickte hastig. „Ja, natürlich.“

Schließlich stand Salles auf. „Dann ziehe ich mich jetzt zurück. Ich muss im Büro noch einige Dinge erledigen. Seid vorsichtig.“

Er nickte Nozomu noch einmal zu und ging schließlich davon.

Baila erhob sich ebenfalls. „Lass uns gehen, Nozomu.“
 

Eine Stunde später hatten Suzume und Jatzieta die Küchentour für Nozomi abgeschlossen. Gemeinsam saßen sie im ersten Stock auf den Sofas und unterhielten sich. Eigentlich hatten sie sich im Eingangsbereich hinsetzen wollen, aber da war auch Salles' Büro und sie hatten den Mann nicht stören wollen. So hatten sie sich in den ersten Stock gesetzt, wo sie die Rückkehr der anderen beiden auch mitbekommen würden.

„Wird Nozomu-chan etwas geschehen?“, fragte Nozomi mitten in der Unterhaltung besorgt.

Jatzieta zögerte mit einer Antwort, doch Suzume schüttelte bereits den Kopf. „Ich glaube nicht. Nozomu kann bestimmt gut mit der Situation umgehen.“

Die Erwachsene nickte zustimmend. „Außerdem glaube ich, dass ohnehin nur Lakaien unterwegs sind. Mit denen wird sogar Baila locker fertig.“

„Was sind Lakaien?“, fragte Nozomi.

Suzume wusste darauf keine Antwort und sah ebenfalls Jatzieta an. Die Rothaarige nippte an ihrem Kaffee. „Lakaien sind künstlich geschaffene Wesen, die ein niederes Shinken tragen. Ihr einziger Zweck und Lebensaufgabe ist es, zu töten. Wir und eine andere Partei, diejenige, die Frieden will, bekämpfen sie. Die anderen, diejenigen, die die Menschheit auslöschen wollen, stehen im Verdacht, die Lakaien zu entsenden. Irgendwoher müssen sie ja kommen.“

Nozomi senkte seufzend den Blick. Würde es wirklich gefährlich werden für Nozomu?

Vielleicht nicht heute, aber irgendwann anders? Warum nur konnte sie ihm nicht helfen? Wenn sie nur auch so ein Shinken hätte, dann würde sie sich nicht so hilflos vorkommen.

„Wie lange müssen wir wohl noch warten?“, murmelte sie.
 

Während die Damen auf die Rückkehr der Ausgezogenen warteten, wurde Nozomu ein wenig langweilig – und kalt noch dazu. Als sie gegangen waren, hatten sie ihre Shinken beschworen und dabei wieder einmal die Kleidung gewechselt und nun war ihm kalt.

Baila, die noch weniger Stoff an sich hatte (sie trug ein kurzes rotes Kleid, eine blaue Krawatte, schwarze Strümpfe, die bis zu ihren Oberschenkeln reichten, ein schwarzer Umhang und eine seltsame Mütze, mit zwei Glöckchen daran), schien dagegen gar nicht zu frieren.

Zusammen saßen sie auf einem Dach, ließen ihre Beine baumeln und sahen in die Gegend. Am Anfang hatte er den Ausblick interessant gefunden, aber irgendwann war ihm auch das zu langweilig geworden. Lieber wäre er bei Zetsu im Café gesessen und hätte dort einen heißen Kaffee getrunken. Hoffentlich würde er sich irgendwann noch daran gewöhnen.

Wie lange dauert das noch?, fragte er sich schließlich.

Baila hatte ihm in der Zwischenzeit gezeigt, in welchem Bereich sie aufpassen sollten und auf welche Anzeichen man zu achten hatte, aber bislang hatten sie nichts gesehen.

Dafür hatten sie sich ein wenig unterhalten, so dass Nozomu erfahren hatte, dass ihre roten Augen kein Ergebnis von Kontaktlinsen waren. Bei Suzume hatte er die Farbe schon seltsam gefunden, aber bei Baila war sie noch seltsamer.

„Nozomu, sei nicht so schlecht gelaunt!“, schalt Rehme ihn plötzlich.

Huh? Wie kannst du...?

„Frag doch nicht so blöd. Ich bin dein Shinjuu, ich kann in deine Gedanken sehen und ich kann dir auch auf diesem Weg antworten. Jedes Shinjuu kann das bei seinem Meister.“

So... verstehe. Machst du das oft?

„Nein. Deine Gedanken sind nicht immer sehr interessant.“

Äh... danke?

Pollux, der nach Auffälligkeiten Ausschau gehalten hatte, kehrte plötzlich zurück.

„Hast du etwas gefunden?“, fragte Baila ihn.

Das Shinjuu nickte zustimmend. „Aber es ist nichts weiter. Zur Zeit sind keine Lakaien unterwegs. Es ist nur eine Shinken-Trägerin des Rettungskomitee.“

Nozomu musste sofort an Satsuki denken. Und tatsächlich: Als er sich umdrehte, sah er Satsuki auf dem Dach stehen. Ihr Blick hatte eine Mischung aus Trauer und Wut.

„Ikaruga...“, murmelte Baila.

Also kannte sie die Rothaarige auch. Nozomu stand auf und ging langsam zu ihr hinüber. Satsuki machte keine Anstalten, ihr Shinken zu ziehen, auch ihre Federn blieben im normalen Zustand. Dafür wich die Wut aus ihrem Gesicht und machte der Trauer Platz. „Setoki, ich habe gehört, du und Nagamine wohnt jetzt im Wohnheim.“

„Das ist richtig.“

Sie verzog ihr Gesicht. „Dann gehört ihr jetzt zum Erhaltungskomitee?“

Er hatte dieses Wort noch nie gehört, nickte aber. „Richtig.“

Traurig senkte sie ihren Kopf. „Dann sind wir jetzt Feinde.“

„Warum?“, fragte er.

„Weil das so ist“, erwiderte sie trotzig. „Ihr wollt die Welt erhalten, wie sie ist, wir wollen sie ändern, sie retten.“

„Das finde ich nicht richtig.“

Sie ließ ihn seinen Gedanken nicht ausführen, sondern fuhr ihm direkt ins Wort: „Das interessiert mich nicht. Wir sind jetzt Feinde, genau wie Akatsuki und ich! Sag Nagamine das auch, okay?“

Sie fuhr herum und verschwand mit einem Sprung. Betrübt sah Nozomu auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Sie waren nun Feinde?

Das war doch lächerlich. Im Prinzip wollten sie doch dasselbe – diesen Namen, von dem anscheinend niemand wusste, wo er gerade war, um der Menschheit zu helfen. Warum konnten sie nicht zumindest temporär zusammenarbeiten? Oder sich wenigstens nicht als Feinde sehen?

Baila trat neben ihn. „Nozomu, lass uns zurückgehen. Wir sind fertig für heute.“

Die Freude über die Rückkehr war nur noch getrübt von Satsukis Ansage. Warum nahm ihm das so sehr mit? Er hatte nicht viel mit ihr zu tun gehabt – aber er hatte auch nicht gern Feinde.

Der Rückweg kam ihm viel zu lange vor. Er sehnte sich nach einem Bett und einer warmen Decke. Bei der Vorstellung, dass er in knapp sieben Stunden schon wieder aufstehen musste, um in die Schule zu gehen, wurde ihm ganz anders zumute. Kein Wunder, dass Zetsu in der Schule einschlief.

In Salles' Büro brannte noch Licht, aber Baila schüttelte ihren Kopf, als Nozomu nachfragte, ob sie keinen Bericht ablegen sollten. „Das reicht auch morgen früh noch. Immerhin ist nichts Außergewöhnliches passiert.“

Er nickte und ging gemeinsam mit Baila in den ersten Stock, sie sofort von Nozomi, Suzume und Jatzieta begrüßt wurden.

„Nozomu-chan, bist du unverletzt?“

Er nickte noch einmal. Jatzieta schmunzelte. „Na, wie wars?“

Baila erzählte die Geschichte einer ereignislosen Nacht, bis sie zu dem Part mit Satsuki kam, den Nozomu für sie übernahm. Als sie das gehört hatte, ließ Nozomi deprimiert ihren Kopf sinken. „Senpai...“

„Keine Sorge“, sagte Suzume. „Bestimmt meint sie es nicht so. Du kennst sie doch, Nozomi.“

Das schien sie wieder ein wenig aufzumuntern, weswegen sie nickte. „Du hast recht. In ein paar Wochen ist sie bestimmt wieder die Alte.“

„Dann würde ich vorschlagen, dass wir alle ins Bett gehen“, meinte Jatzieta.

Der Vorschlag wurde erleichtert angenommen und nach den üblichen Grüßen ging jeder in sein eigenes Zimmer.

Die Atmosphäre war noch fremd, aber es war wesentlich heimeliger als in seinem Zimmer im Krankenhaus. Nozomu gefiel es, er war sich sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis er sich eingelebt hatte.

Da er bereits ausgepackt hatte, suchte er im Schrank nach seinem Pyjama. Kaum hatte er sich umgezogen, klopfte es an der Tür. Im Glauben, dass es Salles war, öffnete er die Tür – und sah Nozomi erstaunt an. „Was gibt es, Nozomin?“

„Kann ich reinkommen?“

Er trat einen Schritt zur Seite und ließ sie herein. Hinter ihr schloss er die Tür wieder. Nozomi hatte die Hände vor der Brust gefaltet, genau wie er hatte sie inzwischen einen Pyjama angezogen. „Nozomu-chan... es ist alles so fremd hier. Kann ich heute Nacht bei dir schlafen? So wie früher?“

Früher, als sie Kinder gewesen waren, hatten sie oft zusammen in einem Bett geschlafen. Es hatte ihnen beiden Ruhe und ein Gefühl von Heimat geschenkt. Er sah keinen Grund, etwas dagegen zu haben und nickte. „Klar doch.“

„Danke“, sagte sie lächelnd.

Gemeinsam legten sie sich ins Bett.

„Gute Nacht, Nozomu-chan.“

„Gute Nacht, Nozomin.“

Obwohl sie deutlich aufgeregt war, siegte nach wenigen Minuten die Müdigkeit und sie schlief neben ihm ein. Während Nozomu ihr gelöstes Gesicht betrachtete, fiel ihm ein, dass er seine Tabletten noch gar nicht genommen hatte. Diese ruhten nach wie vor in seiner Schultasche.

Doch Nozomis Geruch, ihre gleichmäßigen Atemzüge und die Geschehnisse dieses Tages forderten schließlich auch bei ihm ihren Tribut und ließen in einen tiefen und traumlosen Schlaf fallen – den ersten seit langen, der ohne Tabletten zustandegekommen war.

Aus dem Westen

Müde und schlecht gelaunt verließ Zetsu am nächsten Morgen sein Apartment. Die Aussicht, an diesem Tag bis drei Uhr in den Unterricht zu gehen, war nicht gerade berauschend. Umso verlockender war die Vorstellung, einfach wieder die Tür aufzuschließen und sich ins Bett zu legen. Aber das würde Nanashi nicht zulassen.

Sie nannte ihn zwar immer Meister, aber wenn es darum ging, dass er nicht in die Schule gehen wollte, verhielt sie sich wie eine Mutter. Er brauchte schon einen handfesten Grund und am besten noch ein wenig Fieber, um einfach mal Blau zu machen – und das war ihm dann doch zuviel Arbeit, nur um für einen Tag daheim zu bleiben und dann den ganzen Unterrichtsstoff auch noch nachholen zu müssen.

Also entschied er sich schweren Herzens, doch in die Schule zu gehen – und dann dort zu schlafen.

Sein Herz wurde ein wenig leichter, als er sah, dass Leana aus der Nachbarwohnung kam. Aber nicht nur das. Sie trug tatsächlich eine Uniform der Monobe-Akademie (zusammen mit einer Strumpfhose). Aber in welcher Klasse war sie? Dafür musste er unbedingt die Schleife sehen – und dafür musste sie sich umdrehen.

„He, Leana.“

Verärgert (was hatte sie am frühen Morgen nur schon so sehr aufgeregt?) fuhr sie herum.

„Was!?“, fauchte sie.

Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „He, du bist in meiner Klasse!“

Ratlos sah sie ihn an. Offensichtlich überlegte sie, wovon er gerade redete. Er beschloss, ihr auf die Sprünge zu helfen. Mit seiner freien Hand deutete er auf seiner Brust auf die Stelle, an der bei ihr die Schleife saß. „Die Schleife sagt es mir. Sie ist gelb, also bist du in meiner Klasse.“

Diesmal starrte sie ihn an als ob er eine völlig fremde Sprache sprechen würde. Vielleicht verstand sie ja gar nicht so viel japanisch (wenngleich sich dann die Frage auftat, wie sie es auf die Monobe-Akademie geschafft hatte), deswegen versuchte er es nochmal in englisch, was ihr aber auch nicht zu gefallen schien.

„Halt mich nicht für blöd!“, fauchte sie wütend. „Ich kann japanisch! Ich kann nur nicht fassen, dass ich mit einem Idioten wie dir in dieselbe Klasse gehen muss.“

Gespielt verletzt griff er sich an die Brust. „Oh, das hat gesessen. Du kennst mich doch gar nicht, warum nennst du mich dann so?“

Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Eilig fuhr sie herum und ging weiter. Zetsu folgte ihr hastig. Da er längere Beine hatte, machte er größere Schritte und konnte so ohne Probleme gleichauf mit ihr laufen. Ohne ihn anzusehen lief sie schneller, was er wieder ohne großen Aufwand ausglich.

„Wenn es dich beruhigt“, sagte er schließlich, „Wir sind nur in der selben Stufe, vielleicht bist du auch in einer anderen Klasse.“

Ruckartig wandte sie ihm den Kopf zu. „Meinst du?“

„Es kann schon sein.“

Sie sah wieder nach vorne. „Ich wills hoffen.“

Schweigend legten sie den Weg zur Schule zurück. Die Mädchen auf dem Weg starrten Leana fassungslos an, einige spießten sie regelrecht mit Blicken auf. Zetsu konnte Getuschel hören, in dem es um die Frage ging, wer das Mädchen wohl war, einige tippten sogar darauf, dass sie seine Schwester war – eine Vorstellung, die er absolut lächerlich fand und ihn zum Schmunzeln brachte.

Leana dagegen sah immer verdrießlicher drein. Sie fand die Vorstellung wohl nicht lächerlich oder zumindest amüsant, sondern nur nervig.

Als sie die Monobe-Akademie erreichten, wurden sie weiter von fragenden Blicken heimgesucht, während Zetsu neben Leana zum Schwarzen Brett schlenderte, um nachzusehen, in welcher Klasse sie sein würde.

Er grinste bereits, als er ihren Namen in seiner Klasse entdeckte, sie dagegen stand mit gerunzelter Stirn vor der Liste. Zetsu wartete drei Minuten, bevor er wieder etwas zu ihr sagte: „Äh, hat es dir die Sprache verschlagen oder warum bist du so still?“

Mit zusammengekniffenen Lippen sah sie ihn an. Es kostete sie einiges an Überwindung, bis sie schließlich seufzte. „Ich kann diese Zeichen nicht lesen.“

Überrascht hob er eine Braue. „Du wohnst doch hier, oder? Wenn du aus Europa kommst, musst du doch einen Test bestanden haben vorher und zu dem gehörten auch Hiragana-, Katakana- und Kanji-Wissen, wenn mich nicht alles täuscht.“

„Na ja... meine Schwester hat den Test gemacht und... das ist schwer zu erklären, okay? Kannst du mir nicht helfen?“

„Ich kann dir Nachhilfeunterricht geben“, sagte er zwinkernd.

Wieder verfinsterte sich ihr Gesicht. „Nein, danke. Ich wollte nur wissen, in welcher Klasse ich bin.“

Er deutete auf ihren Namen. „Das hier bist du“ - sein Finger ging weiter nach oben - „und das hier ist mein Name. Wir sind tatsächlich in der selben Klasse.“

Noch einmal seufzte sie genervt. „Auch das noch.“

Zetsu überging das lächelnd. „Halte dich einfach an mich. Ich box dich schon überall durch – nur nicht durch die Examen.“

„Nein, danke“, wiederholte sie.

Sie stemmte den freien Arm in die Hüfte und sah ihn an. Zetsu fragte sich, worauf sie wartete. Das Gespräch war eigentlich beendet, er wusste im Moment auch nicht, was noch zu sagen war. Doch trotzdem blieb sie vor ihm stehen, obwohl sie (nach ihrer Aussage) genervt von ihm war. Als er sich umsah, konnte er das sogar nachvollziehen. Um sie herum hatten sich Grüppchen gebildet, die miteinander flüsterten und immer wieder zu ihnen hinüber nickten. Noch dazu schien sie das erste Mal an dieser Schule zu sein und sie konnte keinen der Wegweiser lesen, alles war fremd für sie.

Sogesehen konnte er sie also verstehen, da würde er ebenfalls lieber beim einzigen vertrauten Punkt stehenbleiben, selbst wenn das bedeutete, genervt sein zu müssen.

Zetsu wollte gerade vorschlagen, das Lehrerzimmer aufzusuchen, da neue Schüler stets vom Lehrer vorgestellt wurden, als er plötzlich vertraute Stimmen hörte.

„Motou, hör endlich auf damit!“, bat Nozomi inständig.

Neugierig fuhr Zetsu herum. Nozomi, Suzume und Nozomu standen neben den Fächern. Nozomis Gesicht war rot, Suzume trug ein amüsiertes Lächeln, Nozomu dagegen war neutral wie eh und je.

„Guten Morgen ihr drei“, begrüßte Zetsu sie.

Die Gruppe wandte sich ihm zu.

„Guten Morgen, Akatsuki“, grüßten die Mädchen zurück.

„Guten Morgen, Zetsu.“

Die drei kamen näher. Suzume begann zu grinsen, ein Anblick, den Zetsu noch nie erlebt hatte. „Akatsuki, wusstest du schon, was für ein Schwerenöter Setoki ist?“

Bevor Zetsu nachhaken konnte, fuhr Nozomu dazwischen: „Können wir das Thema endlich mal lassen? Es reicht, wenn Jatzieta da schon immer Witze drüber macht.“

Suzume kicherte. Zetsu hätte gern noch mehr gefragt, aber da fiel ihm wieder ein, dass Leana noch neben ihm stand. „Ah, Motou, gut, dass du gerade da bist. Das hier ist Leana Vartanian, sie ist neu in unserer Klasse.“

Neugierig musterte Suzume die Neue. „Freut mich, ich bin Suzume Motou.“

Leana nickte nur. Ihr Blick blieb an Nozomu hängen. Der Braunhaarige kümmerte sich nicht darum. Stattdessen brannte er darauf, Zetsu von der letzten Nacht und dem, was Satsuki gesagt hatte, zu erzählen, aber in der Schule war nicht unbedingt der beste Ort dafür.

„Ah, ich wollte Leana gerade ins Lehrerzimmer bringen, um-“

„Das musst du nicht“, unterbrach ihn eine Stimme.

Satsuki war neben ihnen aufgetaucht und hatte nach Leanas Arm gegriffen. „Ich werde sie hinbringen. Ich muss sowieso ins Lehrerzimmer, weil es danach eine Ansprache gibt.“

„Schon wieder eine langweilige Rede?“, fragte Zetsu.

„Eher eine neue Lehrerin.“

Es war Nozomu noch nie so sehr aufgefallen wie an diesem Tag, aber die Augen der beiden blieben kalt und abweisend, selbst wenn sie sich gegenseitig reizten. Sie waren also wirklich Feinde. Würde Satsuki ab sofort auch mit ihm und Nozomi so reden? Ihm würde das nicht unbedingt viel ausmachen, aber so wie er seine Kindheitsfreundin kannte, würde es sie kaputtmachen.

„Ich kümmere mich auch den Rest des Tages um sie und bringe sie dann auch nach Hause“, sagte die Rothaarige. „Du musst dich nicht weiter mit ihr befassen, Akatsuki.“

Ohne die anderen weiter zu beachten, rauschte Satsuki mit Leana davon.

Nozomu machte sich keine Gedanken mehr darum und wandte sich an Zetsu: „Seit wann kümmerst du dich um neue Schülerinnen?“

„Sie ist meine Nachbarin“, antwortete er schmunzelnd. „Und sie mag mich nicht – deswegen bemühe ich mich besonders um sie.“

„Sag bloß du stehst also auf Kratzbürsten, Akatsuki?“, fragte Suzume amüsiert.

Zetsu lächelte sie an. „Irgendwie gefällst du mir viel besser, seit du dich nicht mehr so seltsam verhältst. Wenigstens redest du jetzt auch mal.“

Sie bedankte sich lachend. Zu viert gingen sie in Richtung der Aula, wo wieder unzählige Stühle aufgebaut worden waren.

Nozomu hatte inzwischen mitbekommen, dass die Stühle nur kurz vor Ansprachen oder Veranstaltungen aufgestellt wurden. Ansonsten gab es in der Aula nur die Bühne, die immer da war.

Im Winter verbrachten viele Schüler ihre Mittagspause in der Aula, wenn es draußen zu kalt war, sie war also immer für Schüler offen, wurde aber eher selten genutzt.

Im Moment fragte er sich wieder, wer die Stühle aufstellte und später wieder abbaute, wenn alles vorbei war. Das war sicherlich kein angenehmer Job, so viele Stühle wie es waren. Machte das Satsuki oder...?

Sein Blick fiel auf ein Mädchen und einen Jungen, die noch die letzten Stühle aufstellten. Er erkannte die beiden von seinem ersten Tag wieder. Er hatte sich noch gefragt, warum sie so locker herumlaufen durften. Das Mädchen trug immer noch kein Jäckchen oder Schleife und der Junge hatte noch immer eine sehr ungewöhnliche Frisur.

Die anderen bemerkten seinen Blick.

„Ah, bestimmt wunderst du dich über die beiden“, meinte Zetsu. „Das sind keine Schüler, sie tragen nur die Schuluniformen. Sie wohnen in der Schule und sind sowas wie... die Hausmeister.“

„Aber sie sehen so jung aus...“, bemerkte Nozomu nachdenklich.

Suzume nickte zustimmend. „Aber niemand weiß, wie alt sie sind oder wo sie herkommen.“

„Vielleicht sind sie Aliens“, spöttelte Zetsu.

Nozomu rollte mit den Augen. Sie setzten sich hin. Obwohl sie die freie Platzwahl hatten, suchten sie sich Stühle in der Mitte der Aula. Vorne genug, um alles mitzubekommen, was auf der Bühne geschah und hinten genug, damit man auf der Bühne nichts mitbekam, was sie taten.

Zetsu lehnte sich entspannt zurück. „Ich bin gespannt, was das für eine neue Lehrerin ist.“

„Sonst kümmert dich das doch auch nie“, erwiderte Suzume. „Kann es sein, dass Setoki dir irgendwie gut tut?“

„Kann es sein, dass du ein wenig neugierig bist?“, stellte er die Gegenfrage.

„Touche.“

Sie lehnte sich ebenfalls zurück. Auch Nozomu war die Veränderung an beiden aufgefallen. Hatte das wirklich etwas mit ihm zu tun? Nein, bestimmt nicht. Er schob das alles nur auf einen dummen Zufall.

Nozomi saß währenddessen deprimiert daneben. Mit Sicherheit war sie immer noch über die Nachricht von Satsuki bestürzt und überlegte, was sie dagegen tun könnte. Nozomu hatte seine Kindheitsfreundin als sehr aktionsfreudige Person in Erinnerung. Bestimmt würde sie irgendetwas tun, um Satsuki wieder Freundin nennen zu können. Und Nozomu war sich sicher, dass sie es auch bestimmt schaffen würde.

Die Aula füllte sich langsam mit Schülern. Wie auch beim letzten Mal tröpfelten sie nur nach und nach herein, als ob sie hoffen würden, dass man damit den Unterricht hinauszögern könnte.

Erst ganz zum Schluss kamen der Direktor, Satsuki, Leana und eine unbekannte Frau in die Aula und stiegen auf die Bühne.

„Was macht Leana da?“, fragte Zetsu flüsternd.

Nozomu zuckte mit den Schultern.

Kaum hatte das Mädchen die Bühne betreten, breitete sich ein Raunen in der Aula aus, das wie das Summen wütender Bienen klang. Diejenigen, die Leana vorhin mit Zetsu gesehen hatte, deuteten auf das Mädchen und erzählten denen, die nicht dabei gewesen waren, flüsternd die Geschichte. Ungläubige Blicke waren das Ergebnis, teilweise sogar giftige, die gegen das Mädchen gingen.

Leana sah genervt ins Publikum, bevor sie sich auf einen der Stühle setzte. Sie saß direkt neben der Unbekannten, die anscheinend die neue Lehrerin war. Nozomu musterte die Frau interessiert. Ihre Gesichtsfarbe wirkte ein wenig ungesund, andere hätten es als vornehme Blässe bezeichnet. Ihr glänzend schwarzes Haar fiel fließend bis zu ihrem Ellbogen. Von der Form ihrer Augen hätte man sie für eine Asiatin halten können, aber ihre Haut ließ mehr auf europäischen Ursprung schließen.

Was und wen sie wohl unterrichten würde?

Der Direktor trat ans Rednerpult und hielt wieder eine Rede, die zur Motivation der Schüler dienen sollte, außerdem sprach er erneut von den nächtlichen Vorfällen und erinnerte die Schüler an die nächtliche Ausgangssperre. Nozomu hörte nicht wirklich zu, hoffte nur, dass er bald fertig war mit reden. Seine Stimme hatte etwas Einschläferndes, was ihm beim ersten Mal gar nicht aufgefallen war. Kein Wunder, dass Zetsu damals eingeschlafen war. Auch an diesem Tag fielen ihm immer wieder die Augen zu.

Erst als der Direktor schließlich das Zeichen für die neue Lehrerin gab, wurde er wieder aufmerksam. Die Frau stand auf und schlenderte zum Pult hinüber. Der Direktor stellte sie als Isolde Vartanian vor – derselbe Nachname wie der von Leana.

„Zufall?“, fragte Suzume.

„Glaube ich kaum“, erwiderte Zetsu.

Allerdings hatte er die Frau bislang auch noch nicht gesehen gehabt.

Isolde schob den Direktor ein wenig zur Seite, um ins Mikrofon sprechen zu können: „Ich freue mich schon darauf, euch unterrichten zu dürfen.“

Wieder ging ein Raunen durch die Aula, aber diesmal war es eines voller Respekt. Noch nie hatte jemand den Direktor so behandelt. Waren das europäische Lehrmethoden? Wenn ja, war es vielleicht keine schlechte Idee, mehr europäische Lehrer zu haben.

Bestimmt aber höflich, schob der Direktor Isolde wieder vom Mikrofon weg und verwies sie auf ihren Platz.

„Außerdem möchte ich euch gleichzeitig eine neue Schülerin vorstellen. Sie kommt aus Europa und verdient deswegen unsere besondere Aufmerksamkeit.“

Leana rollte mit den Augen, Zetsu schmunzelte darüber nur. Auf eine Europäerin hatte sie bislang bestimmt noch niemand reduziert. Obwohl... in Japan war alles möglich.

Er stellte Leana ebenfalls vor, doch sie stand nicht auf. Ein erneutes Raunen folgte darauf, lediglich Zetsu konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ja, das war in gewisser Weise sicherlich typisch für sie, soviel konnte er bereits sagen.

Schließlich gab der Direktor auf, sie zum Aufstehen bewegen zu wollen und verabschiedete sich von den Schülern. Satsuki hatte diesmal anscheinend nichts zu sagen.

Während die ersten Schüler wieder zum Ausgang strebten, blieb die Gruppe um Nozomu noch sitzen. Zetsu seufzte verträumt. „Ist Leana nicht großartig?“

„Akatsuki, bist du verliebt in sie?“, fragte Suzume.

„Nein. Ich finde nur, dass sie... interessanter ist als die anderen.“

„Weil sie dich nicht mag?“, fragte Suzume erstaunt.

Lächelnd neigte er den Kopf. „So könnte man es sagen.“

Suzume warf Nozomu einen Blick zu, um zu sehen, ob er genauso erstaunt darüber war – und tatsächlich war er das sogar. Zetsu hatte so viele Verehrerinnen, er könnte quasi jedes Mädchen an dieser Schule haben und dennoch interessierte er sich anscheinend für eine, die ihn nicht mochte. Etwas, was nicht einmal nachvollziehbar war. Satsuki mochte Zetsu auch nicht und dennoch interessierte Zetsu sich nicht für sie. Aber warum traf es dann gerade Leana?

„Überleg lieber nicht zuviel“, riet Zetsu ihm.

Nozomu erschrak. Konnte er wirklich seine Gedanken lesen? Nein, das war doch lächerlich.

Trotz allem fand er Zetsus Gedankengänge um einiges interessanter als die anderer Menschen. Bei dem Silberhaarigen erlebte man immer wieder eine Überraschung.

„Wollen wir dann auch langsam gehen?“, fragte Nozomu.

„Früher oder später müssen wir wohl – also los.“

Die Vier standen auf und schlossen sich dem allgemeinen Verlassen der Aula an. Die beiden von vorhin begannen bereits wieder damit, die Stühle wegzuräumen. Nozomus Neugier war wirklich geweckt, irgendwann musste er mit den beiden reden, wenn er einmal Zeit dafür hatte.

Bei dem Gedanken daran hielt er inne. Sein Arzt wäre mit Sicherheit positiv überrascht über die Fortschritte, die er inzwischen gemacht hatte. Nozomu war selbst überrascht.

Gemeinsam mit den anderen Schülern arbeiteten sie sich hinaus, um sich dann zu ihren Klassenzimmern zu begeben.

„Hat eigentlich einer mitbekommen, welches Fach Vartanian-sensei übernehmen soll?“, fragte Zetsu.

„Wenn er das irgendwo in seinen Vortrag eingebaut hatte, nein“, gab Nozomu zu. „Nozomi, weißt du etwas?“

Sie reagierte nicht, zu sehr schien sie noch in ihre Gedanken vertieft zu sein.

„Ich weiß es auch nicht“, meinte Suzume. „Nagamine. Nagamine, erzähl doch.“

Sie schaffte es, das Mädchen tatsächlich aus ihren Gedanken zu reißen. „Oh, Vartanian-sensei... ich glaube, sie wird Englisch unterrichten.“

„Das würde doch passen“, meinte Zetsu. „Englisch ist immer besser von einem Muttersprachler. Aber wird sie jede Klasse unterrichten oder nur bestimmte?“

„Das hat er nicht gesagt“, sagte Nozomi.

Wie hatte sie all das mitbekommen können? Die ganze Zeit über hatte sie total abwesend gewirkt. An diesem Tag kam Nozomu gar nicht aus dem Staunen heraus.

„Ich hab gleich Englisch“, sagte Zetsu. „Ich werde also gleich wissen, ob wir dazu gehören oder nicht.“

„Viel Vergnügen“, erwiderte Nozomu. „Erzähl mir in der Mittagspause, wie es war.“

Der Silberhaarige nickte und nach einer kurzen Verabschiedung trennten sich seine und Suzumes Wege von denen von Nozomu und Nozomi.

Ihr Klassenlehrer stand bereits im Raum, gemeinsam mit Leana, die immer noch aussah als hätte sie gerade schlechte Laune, aber vermutlich sah sie immer so aus. Es dauerte seine Zeit, bis alle Schüler im Klassenzimmer angekommen waren, aber schließlich war es soweit.

„Ich hoffe, ihr wart gerade alle bei der Ansprache“, sagte der Lehrer. „Dann wisst ihr ja, dass dieses Mädchen von nun an Teil unserer Klasse ist.“

Pff, ich wette, er war selbst nicht dort, dachte Zetsu.

Der Lehrer wandte sich an Leana. „Stell dich bitte vor.“

Sie nickte widerwillig. „Mein Name ist Leana Vartanian. Ich komme aus Großbritannien und wohne nun mit meiner Schwester Isolde hier in Japan. Ich... freue mich, mit euch in diese Schule gehen zu können.“

Für den letzten Satz musste sie einiges an Überwindung aufbringen. Überhaupt klang der ganze Text wie einstudiert, warum auch immer man so etwas einstudieren sollte, eigentlich konnte sie doch ganz gut japanisch.

Zufrieden damit nickte der Lehrer und bat Leana, sich einen Platz zu suchen.

Zetsu warf einen Blick umher, sein Blick fiel auf den Platz neben ihm. Seit wann war der frei?

Sonst saß doch immer jemand neben ihm.

Der Lehrer deutete genau auf den Platz. „Maki ist heute nicht da, setz dich neben Akatsuki.“

Wieder rollte sie mit den Augen und setzte sich auf den angegebenen Platz. Sie warf einen genervten Blick zu ihm hinüber, den er schmunzelnd erwiderte.

Bevor der Unterricht beginnen konnte, klingelte bereits die Glocke. Als nächstes hätten sie Englisch.

Ob sie Isolde Vartanian haben würden?

Andererseits, sie schien mit Leana verwandt zu sein, bestimmt würden sie diese Frau also nicht als Lehrerin haben. In welchem Verhältnis standen die beiden wohl zueinander?

Ihr Lehrer verließ die Klasse.

Sofort bildete sich eine Schülertraube um Leana. Jeder war daran interessiert, wo sie herkam und was sie in Japan machte. Zetsu fand es nachvollziehbar, immerhin kam nicht jeden Tag eine neue Schülerin aus Europa. Am nächsten Tag hätte sich das alles bestimmt wieder gelegt.

Bei Leanas abweisendem Verhalten sogar noch am selben Tag.

Erst als die Tür wieder aufging und Isolde hereinkam, setzten sich die Schüler sofort wieder.

Just my luck, dachte Zetsu grinsend. He, auf englisch eingestimmt bin ich jetzt schon.

Lächelnd stellte Isolde sich vor die Klasse. „Guten Morgen alle zusammen. Ich bin Isolde Vartanian. Nennt mich einfach Isolde-sensei.“

Wieder ein begeistertes Raunen.

Auch Zetsu musste sich eingestehen, dass ihn das beeindruckte. Japanische Lehrer waren sonst immer ein wenig steif und unnahbar, Isolde dagegen wirkte erfrischend und neu.

„Gibt es Fragen?“, fragte Isolde.

Fast sämtliche Hände schossen nach oben. Sie lachte vergnügt. „Lasst mich raten, es geht um meine Verwandtschaft mit Leana.“

Die Schüler nickten interessiert, worauf Isolde fortfuhr: „Sie ist meine kleine Schwester.“

„Sie sehen nicht verwandt aus“, warf ein Schüler ein.

Isolde lachte noch einmal. „Ertappt, ich bin nämlich adoptiert.“

Ein wissendes „Aaaaah“ ging durch die Klasse. Selten war die Klassengemeinschaft so stark wie im Moment. Dennoch meldete sich immer noch ein Schüler. „Isolde-sensei! Sind Sie verheiratet?“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Nein und solo bin ich auch noch. Also strengt euch mal an.“

Sie zwinkerte dem Schüler, der die Frage gestellt hatte, zu. Er wurde rot und notierte sich das.

Verzweifelt schlug Leana ihren Kopf auf den Tisch, was Zetsu zum Lachen brachte.

„Gut, nachdem ihr mich jetzt kennt, fangen wir mal mit dem Unterricht an.“
 

Die Mittagspause verbrachte Leana mit Isolde, weswegen Zetsu (der inzwischen darauf brannte, mehr über Nozomus erste Nacht im Wohnheim zu erfahren) sich mit Nozomu, Nozomi und Suzume auf dem Dach treffen konnte.

Der Himmel zeigte sein strahlendes Blau, unterbrochen nur von einigen weißen Wolken, die Zetsu wieder schläfrig machten, wenn er sie zu lange beobachtete. Also konzentrierte er sich lieber wieder auf die anderen. Nozomi wirkte immer noch deprimiert, aber auch nachdenklich. Ob sie bald eine Idee hätte, um sich Satsuki wieder anzunähern?

Zetsu hatte das damals nach einem Monat aufgegeben und sich lieber in die Feindesrolle gefügt. War immer noch besser als sich deswegen immer in Tränen zu baden.

Kaum hatte Suzume ihm erzählt, dass Nozomu und Nozomi die Nacht im selben Bett verbracht hatten (diesmal hatte keiner der beiden sie aufgehalten), hatte er ebenfalls zu lachen begonnen. „Noz, du Schwerenöter!“

Er stieß dem Jungen in die Seite. Dieser rollte mit den Augen. „Hör endlich auf damit. Da war nichts. Als Kinder haben wir oft zusammen geschlafen.“

Zetsu schmunzelte. „Ach...“

„Wie war denn Englisch?“, fragte Nozomu, um das Thema zu wechseln.

Der Silberhaarige merkte sich das für einen späteren Zeitpunkt. „Wir haben tatsächlich Isolde-sensei im Unterricht. Sie ist ziemlich locker drauf und ihr Englisch ist echt fabelhaft, genau wie ihr Japanisch.“

„Und sie ist Leanas Adoptivschwester“, ergänzte Suzume. „Es wundert mich, dass die beiden einen solch sprachlichen Unterschied haben. Andererseits ist Leana auch um einiges jünger... warum sie wohl nach Japan gekommen sind?“

„Gute Frage“, stimmte Zetsu zu. „Vielleicht finde ich das noch heraus.“

Nozomu klopfte ihm auf die Schulter und sprach ihm Mut zu. Gleichwohl er das nur tat, weil er sich dazu verpflichtet fühlte, eigentlich war ihm das egal – und Zetsu wusste das. Dennoch fand er diese Geste nicht schlecht.

„Wie war die Nacht sonst?“

„Ich war mit Baila auf Streife. Sie ist irgendwie seltsam...“

Zetsu nickte zustimmend. „Sie war mal anders, viel kommunikativer und emotionaler – und ihr Essen hat besser geschmeckt.“

„Was ist geschehen?“, fragte Nozomu.

Der Silberhaarige runzelte seine Stirn, sein Blick ging gedankenverloren zur Seite. „Bei einer Streife geriet sie in einen Hinterhalt bei dem sie ihr Gedächtnis verlor. Seitdem ist sie total verändert.“

Suzume legte eine Hand auf ihr Herz. „Arme Baila.“

„Was ist genau geschehen?“, fragte Nozomu mit unverhohlener Neugier in der Stimme.

Zetsu schüttelte seinen Kopf. „Ich weiß es nicht. Keiner weiß es. Wir wissen, wer dafür verantwortlich ist, aber die können wir auch nicht fragen, weil sie unsere Feinde sind – und wir keine Ahnung haben, wo sich ihr Aufenthaltsort befindet.“

Für einen Moment herrschte Schweigen auf dem Dach. Keiner wusste, was er dazu sagen sollte, ohne dass es abgedroschen oder nichtssagend klang.

„Na ja“, durchbrach Nozomu das Schweigen schließlich wieder, „auch wenn wir nie herausfinden sollte, was mit ihr geschehen ist, was solls? Konzentrieren wir uns lieber auf ihre und unsere Zukunft.“

Die anderen, sogar Nozomi, sahen ihn erstaunt an, bis er verwirrt fragte, was denn los sei.

„Du wirkst plötzlich so erwachsen“, antwortete Nozomi. „Aber in einer besseren Art und Weise wie früher.“

„So was passiert dem Helden doch sonst erst am Ende einer Geschichte“, spöttelte Zetsu. „Sag mir nicht, unsere ist bald vorbei.“

„Ich bin doch nicht der Held“, wehrte Nozomu entschieden ab. „Red nicht so einen Blödsinn.“

Die anderen drei lachten einstimmig, dann begannen sie wieder zu viert über die Schule und ihre Hausaufgaben zu reden.
 

Das Quartett war so in ihre Unterhaltung vertieft gewesen, dass keiner von ihnen bemerkt hatte, dass die Tür zum Dach einen Spalt offenstand und jemand das Gesprochene interessiert belauscht hatte.

„Und was sagst du dazu?“

Die schwarzhaarige Lehrerin wandte sich der Schülerin zu. Das Mädchen lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand. „Sie wissen also nicht wo das Hauptquartier des Zerstörungskomitees ist, hm?“

„Das meinte ich eigentlich nicht“, wurde ihr kichernd erwidert. „Zetsu will mehr über dich herausfinden, Leana.“

Die Schülerin stöhnte genervt. „Isolde, bleib ernsthaft. Solange sie nicht wissen, wo das Zerstörungskomitee sitzt, wissen sie auch nicht, wer dort alles Mitglied ist. Ich denke, das sollten wir ausnutzen, solange wir können.“

Isolde nickte. „Wie du willst. Wenngleich ich davon nicht begeistert bin, du kennst meine Meinung.“

Leana schwieg, so dass ihre Gesprächspartnerin fortfuhr: „Aber ich stehe hinter dir, egal was du tust.“

Das Mädchen nickte. Sie sagte nichts, aber Isolde verstand auch so was das Schweigen ausdrücken sollte. Seufzend wandte Leana sich ab. „Gehen wir wieder, bevor die uns doch noch entdecken.“

Isolde nickte. Vorsichtig schloss sie die Tür und folgte anschließend Leana die Treppe hinunter. Vielleicht konnten sie jetzt endlich etwas essen.

Der Lakai

In der Woche darauf hatte Suzume die Sache mit Nozomu und Nozomi endlich vergessen, da sie ein anderes Opfer gefunden hatte: Zetsu.

Wann immer sie dazu kam, ärgerte sie den Silberhaarigen mit seiner Beziehung zu Leana, wenngleich Nozomu nicht genau wusste, was es da zu ärgern gab. Zetsu mochte Leana offensichtlich und versuchte, sich mit ihr anzufreunden, während sie ihn immer wieder abblitzen ließ. Das beeindruckte Zetsu allerdings nicht und er versuchte es immer wieder aufs Neue. Nozomu erinnerte das Ganze an die Zeit, als Zetsu unbedingt mit ihm hatte befreundet sein wollen, wenngleich es einen Unterschied gab. Nozomu konnte nicht genau den Finger darauf legen, aber der Silberhaarige schien bei ihr um einiges engagierter zu sein. Das machte Nozomu ein klein wenig eifersüchtig, aber nur ein wenig.

Suzume fand das ganze äußerst amüsant und ließ daher keine Gelegenheit aus „Zetsu liebt Leana“ oder auch „Nozomu liebt Zetsu“ zu singen. Ein Umstand, der inzwischen auch Leana zu Ohren gekommen war, weswegen sie nicht sonderlich gut auf Suzume zu sprechen war.

Diese kümmerte sich allerdings nicht darum. Suzume hatte sich nie um ihren sozialen Status geschert und würde das wohl auch nie tun, weswegen Nozomu sie so sympathisch fand – auch wenn sie sich über ihn lustig machte. Er wusste, dass sie es nicht so meinte, wie sie es sagte und sie ihn damit nur ärgern wollte. Im Gegensatz zu ihm schien sie die Krankheit inzwischen vollkommen überwunden zu haben, bei ihr standen auch keine weiteren Arztbesuche an – worum Nozomu sie sehr beneidete. Ihr Charakterwandel, seit er sie das erste Mal getroffen hatte, imponierte ihm und machte ihm ein wenig Mut, dass er sich eines Tages auch so sehr ändern würde.

An diesem Tag verbrachte die Gruppe ihre Mittagspause mal nicht zusammen, sondern getrennt. Nozomi war wegen ihres bevorstehenden Konzerts (in zwölf Tagen sollte es soweit sein) mal wieder bei einer Probe und Zetsu schien sich vor irgend etwas zu verstecken – jedenfalls hatte Nozomu ihn an diesem Tag noch nicht gesehen, so dass nur er und Suzume die Mittagspause zusammen verbrachten. Sie saßen zusammen auf den Stufen in der Eingangshalle, direkt gegenüber dem Kiosk und unterhielten sich über belanglose Dinge, hauptsächlich den anstrengenden Unterricht. Über andere Dinge redeten sie nur im Wohnheim. So schien es für Nozomu als ob es zwei völlig verschiedene Welten gab, was nicht unbedingt schlecht war.

Plötzlich erklangen wütende Schritte und im nächsten Moment hörte Nozomu bereits die Stimme dazu: „Akatsuki! Wo zum Teufel bist du!?“

„Uh-oh, Leana ist schon wieder sauer“, bemerkte Suzume. „Was hat Zetsu jetzt schon wieder angestellt?“

Auf dem Treppenabsatz über ihnen blieb Leana stehen. „Setoki! Hast du Akatsuki gesehen!?“

Wie gewöhnlich ignorierte sie Suzume und sprach nur ihn an. Allerdings wunderte Nozomu sich immer wieder, dass sie sich tatsächlich seinen Namen gemerkt hatte.

„Nein, habe ich nicht.“

Er zögerte einen Moment, ob er die nächste Frage stellen sollte, überwand sich aber schließlich, es zu tun. Er hatte immerhin keine Angst vor Leana – nur Respekt. „Was willst du denn von ihm?“

Sie schnaubte. „Der Idiot und ich sollten gemeinsam ein Englischprojekt machen und er hat noch GAR NICHTS gemacht. Er soll gefälligst seinen Teil erledigen!“

„Ich habe ihn nicht gesehen“, wiederholte Nozomu noch einmal.

Forschend sah sie ihn an, als ob sie hoffen würde, zu bemerken, dass er lügt. Doch da er ihren Blick fest erwiderte, seufzte sie schließlich. „Okay, okay. Aber wenn du ihn siehst, dann schick ihn zu mir, klar!?“

Sure“, antwortete er, was ihr wieder einmal nicht gefiel.

„Hör auf damit! Ich kann japanisch, klar!?“

Keiner wusste, weswegen sie so allergisch darauf reagierte, wenn man ihre Japanischkenntnisse anzweifelte, aber zumindest Nozomu war es egal. „Tut mir Leid.“

Wütend wandte sie sich ab und lief mit energischen Schritten wieder in die andere Richtung davon.

Suzume wartete einen Moment, bevor sie in Gelächter ausbrach. „Mann, Nozomu, hast du ihren Blick gesehen? Ich glaube, sie hasst dich jetzt auch.“

„Was solls?“

Er zuckte mit seinen Schultern.

„Das ist aber nicht nett, Nozomu.“

Zetsu tauchte plötzlich hinter dem Tresen des Kiosks auf. Er grinste. „So behandelt man keine Dame.“

Unbeeindruckt sah der Braunhaarige ihn an. „Das sagt mir jemand, der diese Dame mit einem Englischprojekt sitzen lässt. Look who's talking, sag ich da nur.“

Zetsu schmunzelte. „He, ich hatte andere Dinge zu tun. Arbeit, Rundgänge, der übliche Kram eben. Du musst das doch verstehen.“

Nozomu hob die Schultern. „Nicht wirklich. Warum ziehst du nicht auch einfach ins Wohnheim, dann müsstest du nicht arbeiten?“

Zetsu verzog sein Gesicht. „Werde ich dir bestimmt nicht auf die Nase binden.“

Es waren Augenblicke wie diese in denen Nozomu an ihrer Freundschaft zweifelte. Doch Zetsu lächelte bereits wieder. „Tschuldige, aber das ist wirklich nichts, was ich mit anderen besprechen will.“

„Schon gut, tu einfach so als ob ich nie gefragt hätte.“

„Du solltest dich trotzdem um dieses Projekt kümmern, Akatsuki“, warf Suzume ein. „Sonst bringt sie dich eines Tages doch noch um.“

Er seufzte. „Ich weiß, ich weiß. Und das wäre ein herber Verlust für euch alle.“

Nozomu und Suzume lachten einstimmig.

Unvermittelt richteten sich Nozomus Nackenhaare auf, ein kalter Schauer fuhr über seinen Rücken. Es war ein Gefühl, als ob er beobachtet werden würde. Suchend blickte er sich um, konnte aber nichts außer Schüler entdecken, die sich nicht um ihn kümmerten.

„Alles okay?“, fragte Zetsu.

Nozomu nickte hastig. „Ja, alles klar.“

Das Gefühl verschwand allerdings nicht. Es blieb den ganzen Rest des Schultages und auch dem Heimweg über, den er allein mit Suzume bestritt, während Nozomi wieder bei einer Probe war.

Ob Satsuki den Kellerraum inzwischen aufgeräumt hatte?

Oder war sie immer noch damit beschäftigt? In der letzten Zeit hatte er sie sehr selten gesehen und auch wenn er es nicht gerne zugab, irgendwie vermisste er sie. Es hätte ihm schon gereicht, sie bei einem nächtlichen Streifzug zu treffen, aber auch das hatte bislang nicht mehr funktioniert.

Wo streifte wohl das Rettungskomitee umher?

Dabei fiel ihm auf, dass er auch noch nie jemanden vom Zerstörungskomitee oder gar einen der Lakaien gesehen hatte, von denen Baila ihm erzählt hatte. Allerdings wusste er nicht, ob er sich deswegen glücklich schätzen sollte oder nicht.

Im Wohnheim wurden sie wie üblich von niemandem begrüßt. Bailas Schulweg war um einiges länger, Salles verbarrikadierte sich meist in seinem Büro und Jatzieta hielt sich die meiste Zeit des Tages im Krankenzimmer auf, auch wenn es im Wohnheim keine Verletzte oder Kranke gab.

Es war keine wohnliche Atmosphäre, oft fehlte Nozomu das familiäre Verhältnis. Vielleicht würde sich das noch ändern, wenn das Heim mehr Bewohner hatte – aber wer sollte noch alles einziehen?

„Heute macht Zetsu den Rundgang, oder?“, fragte Suzume.

Nozomu nickte. „Morgen bin ich dran. Ich finde das unter der Woche ganz schön anstrengend...“

„Damit musst du wohl leben. Ich gehe mich jetzt erst einmal umziehen und dann werde ich kochen, bevor Cworcs-sama wieder meckert.“

Sie rollte mit den Augen. Die letzten Tage hatte sie sich nach der Schule immer erst ein wenig Ruhe gegönnt, bevor sie mit dem Kochen angefangen hatte, aber das hatte Salles gar nicht gefallen, weswegen er sie mehrmals zurechtgewiesen hatte. Baila hatte Nozomu erklärt, dass Salles nur morgens und abends aß, weswegen er sehr erpicht darauf war, dass Suzume nicht zu viel Zeit verstreichen ließ.

Wieder einmal fragte Nozomu sich, wer dieser Mann wohl war und wo er herkam. Nicht zuletzt deswegen, weil grünes Haar nicht unbedingt sehr verbreitet in Japan war. Und im Rest der Welt auch nicht, wenn Nozomu sich nicht sehr irrte.

Die beiden verabschiedeten sich vorerst voneinander und gingen ihrer Wege. Nozomus Zimmer lag im zweiten Stock, genau wie alle Jungenzimmer (obwohl er bislang der einzige war), während das von Baila, Suzume und Nozomi im ersten Stock war. Salles und Jatzieta wiederum lebten im dritten Stock.

In jedem Zimmer gab es einen Schrank, ein Bett, ein Regal, einen Schreibtisch und ein Waschbecken mit einem Spiegel. Bad, Dusche und WC waren wiederum auf jedem Stockwerk nur einmal zu finden. Nozomu störte das nicht. Er war von seinem Krankenhausaufenthalt noch um einiges weniger gewohnt, das hier war schon mehr Luxus als zuvor.

Nozomu setzte sich an seinen Tisch und starrte auf das Fenster. Die Jalousie war heruntergelassen, wie üblich. Er konnte den Anblick der gegenüberliegenden Mauer nicht ertragen. Wenn es wenigstens ein Fenster dort gegeben hätte...

Seufzend versuchte er, sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren. Bis zum Abendessen gab es sonst nichts zu tun, also konnte er auch genauso gut seine Aufgaben hinter sich bringen.

Zum wiederholten Mal an diesem Tag stellten sich seine Nackenhaare auf. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war stärker als zuvor. Aber das war unsinnig. Er befand sich im zweiten Stock, in seinem eigenen Zimmer, niemand war hier außer ihm.

Aber er hatte den Eindruck, dass die Blicke von seinem Fenster kamen.

Vorsichtig stand er auf und schlenderte wie zufällig zum Fenster hinüber. Er öffnete die Jalousie – und zuckte zurück.

Durch das Glas starrte ihn ein emotionsloses Wesen mit einer Haut so blass wie Porzellan an. Das Haar war schwarz und zu zwei Pferdeschwänzen gebunden, es war ein eindeutig weibliches Wesen. Für eine Weile starrten sie sich gegenseitig an, in ihren Augen herrschte gähnende Leere.

Wenn die fehlenden Emotionen nicht gewesen wären, hätte Nozomu gesagt, dass er noch nie etwas so Schönes gesehen hatte. Aber vielleicht waren fehlende Emotionen der Inbegriff von Schönheit...

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als das Wesen sich auf etwas zu besinnen schien – und mit Wucht vom Fenster wegsprang.

Was war das?

„Nozomu, wir sollten ihm folgen!“

Rehme erschien plötzlich wieder. Er nickte zustimmend. „Gehen wir!“

In aller Hast verließen sie das Wohnheim wieder, ohne dass einer es merkte und folgten dem Wesen. Ohne Rehme hätte er das allerdings nicht geschafft. Das Shinjuu führte ihn zielsicher durch die Gassen in einen verlassenen Hinterhof, wo er das Wesen von vorhin wieder einholen konnte. Tatsächlich schien es dort nur auf ihn gewartet zu haben.

Das Kleid war braun, mit schwarzen Streifen und reichte dem Wesen nur bis über die Oberschenkel. Die Schuhe wirkten klobig und unpassend, an den Handgelenken trug es die passenden Armreife, die ebenfalls viel zu klobig wirkten. An der Hüfte hing ein Katana. Alles in allem machte diese Frau einen seltsamen Eindruck auf ihn, denn nach wie vor zeigte sie keinerlei Emotion.

„Was ist das?“

„Ein Lakai“, antwortete Rehme. „Wesen, die gänzlich aus Mana bestehen.“

„Woher kommt-“

Der Lakai unterbrach seine Frage, indem sie ihn mit ihrem Katana angriff. Nozomu konnte sich gerade noch fallenlassen, um einer Verletzung zu entgehen. Er rollte sich zur Seite und richtete sich wieder auf.

„Wir haben keine Zeit zum Quatschen, du musst dein Shinken rufen!“, drängte Rehme.

Nozomu nickte. Er konzentrierte sich auf seinen Orichalcum-Namen, erneut erschienen die grün leuchtenden Buchstaben und im nächsten Moment griff er bereits nach den Schwertern. Seine Kleidung hatte sich wieder verändert, inzwischen war er das gewohnt – auch wenn ihm die Sachen nicht wirklich gefielen. Rehme hatte ihm erklärt, dass sein vorheriges Ich diese Kleidung getragen hatte. Wer immer das gewesen war, er hatte kein Stilgefühl gehabt.

„Glaubst du, du kannst es allein mit einem Lakaien aufnehmen?“, fragte Rehme besorgt.

„Zu spät, um darüber nachzudenken“, erwiderte Nozomu.

Den nächsten Angriff des Lakais konterte er mit einem seiner Schwerter, während er das andere zum Angreifen benutzte. Doch anscheinend hatte seine Feindin das erwartet. Sie drehte sich um die eigene Achse und fing den Angriff mit ihrem Katana ab. Ihr Haar flog ihm dabei ins Gesicht.

Er kniff seine Augen zusammen und wich zurück. Sie nutzte die Gelegenheit, um noch einmal anzugreifen.

„Nozomu, pass auf!“

Er riss den rechten Arm hoch. Als ihre Klinge auf seinen Arm traf, leuchtete ein helles Schild auf, das den Lakai zurückschleuderte. Sie gab einen erstickten Laut von sich, stellte sich aber sofort wieder in Angriffsposition, indem sie das Katana einsteckte.

Nozomu hatte bislang nur einmal gekämpft und da war Zetsu bei ihm gewesen, genau wie Salles und Jatzieta. Konnte er wirklich ganz allein gegen so ein Wesen kämpfen? Er wusste doch gar nicht, wie.

Aber wie er zuvor bereits zu Rehme gesagt hatte, inzwischen war es für solche Fragen ein wenig zu spät.

Der Lakai ging leicht in die Knie und ballte eine Hand zur Faust. Sie kicherte und gluckste vor Vergnügen, das Mana um sie herum verdichtete sich.

„Was tut sie da?“

Bevor Rehme antworten konnte, spürte Nozomu, wie sich etwas unter seinen Füßen veränderte. Er blickte hinunter – und schaffte es zum zweiten Mal nur knapp auszuweichen. Schwarze Krallen griffen aus dem Boden nach ihm. Nozomu warf sich erneut zur Seite und schrie auf. Schmerz breitete sich in seinem rechten Bein aus. Vorsichtig warf er einen Blick hinunter, auf das Schlimmste gefasst, doch-

„Es blutet nicht...“

Obwohl er unter der zerrissenen Hose eine offene Wunde sehen konnte, blutete diese nicht. Doch ausgehend von den Schmerzen war es keine oberflächliche Verletzung.

Rehme schüttelte den Kopf. „Shinken-Träger bluten nicht, wenn sie von einem Shinken oder Magie verletzt werden - sie verlieren Mana. Du musst dich jetzt zusammenreißen, Nozomu! Du musst diese Wunde heilen!“

Seine Feindin stand inzwischen reglos da, sie schien sich an dem Mana zu laben, das in weiß leuchtenden Funken seinen Körper verließ und unter Drogen zu stehen. Nozomu verstand das nicht, beschloss aber, das auf später zu verschieben. Nun musste er sich nur noch an diese heilende Fähigkeit erinnern, von der Rehme überzeugt war, dass er sie hatte.

Er richtete sich wieder auf. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er gezaubert, nicht einmal im Traum daran gedacht, je einen Zauber zu wirken, aber nun sollte es soweit sein. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, schob den Schmerz (der ohnehin langsam taub wurde) weit von sich. Es schien ihm als würde er hinabtauchen, in ein Meer, das aus unzähligen Sternen bestand. Jeder Stern erzählte eine Geschichte und barg unfassbare Macht in sich. Einer strahlte besonders hell und gab Nozomu ein gutes und warmes Gefühl. Er streckte seine Hand danach aus. Als er den Himmelskörper berührte, konnte er fühlen, wie ein unbekanntes Gefühl ihn durchströmte. Es war Macht, so wie er sie noch nie zuvor verspürt hatte und doch konnte er spüren, dass es nur ein Bruchteil von dem war, was er eigentlich leisten konnte.

Er schloss die Augen – und befand sich im nächsten Moment wieder auf dem Hinterhof, den Lakai immer noch vor sich.

„Los, Nozomu!“, rief Rehme.

Ohne wirklich zu wissen, was er tat, ließ er sich von seiner Intuition leiten und konzentrierte Mana in seinem rechten Arm. Sein Armschutz leuchtete hell, sein Mund öffnete sich und rief etwas, was er schon lange nicht mehr gehört hatte: „Celestial Alley!“

„Los geht’s!“

Weiße Funken sprühten aus Rehmes Händen, suchten und fanden ihren Weg zu Nozomus Bein, das augenblicklich geheilt wurde. Aber nicht nur seinem Bein ging es plötzlich bedeutend besser, sein ganzer Körper fühlte sich so erholt als hätte er gerade acht Stunden geschlafen.

Er hob sein Schwert. Der Lakai, offensichtlich verärgert darüber, dass der Manastrom abgebrochen war, ging wieder in Angriffsposition. Sie sagte immer noch nichts, machte sich aber zum Angreifen bereit. Diesmal ließ Nozomu sie aber nicht zum Zug kommen. Er sprang vor und führte die Schwerter in einer X-förmigen Bewegung vor sich. Das Wesen konnte nicht schnell genug ausweichen und auch keinen Schild erstellen und wurde so voll von der Attacke erwischt. Sie gluckste wieder vergnügt. „Der Schmerz!“

Sie schien sich tatsächlich über den Schmerz zu freuen. Im nächsten Moment löste sie sich bereits in schwarze Funken auf. Gleichzeitig mit ihr verschwand auch Nozomus Shinken und die Kleidung wurde wieder zu seiner Schuluniform.

Das Adrenalin wirkte noch nach, aber langsam beruhigte sich Nozomus Herzschlag wieder. „Rehme... erklärst du mir jetzt, woher dieser Lakai kam?“

Das Shinjuu schwebte zu ihm hinüber und setzte sich auf seine Schulter. „Baila hat dir doch bereits erklärt, dass wir das nicht wissen. Aber vielleicht werden wir das noch rausfinden.“

Nozomu nickte. „Gehen wir zurück, vielleicht gibt es was zu essen.“

„Könnt ihr Männer nur an das Eine denken?“

Er stupste sie an, so dass sie rückwärts wieder runterfiel.

„Oh, wie gemein!“

Der Junge lacht und lief los. „Sag mal, wo bist du eigentlich immer, wenn du nicht da bist?“

„Ich bin immer da – nur nicht immer zu sehen. Gewöhn dich daran.“

„Okay, okay.“

Er verließ den Hinterhof, ohne zu merken, dass er von einem rothaarigen Mädchen beobachtet wurde, das gleich darauf in roten Funken verschwand.

Kendō

Nozomu hasste Donnerstage, besonders seit Isolde die neue Englischlehrerin war.

An Donnerstagen hatte er nämlich kein Englisch, obwohl das sein liebstes Fach war. Dafür hatte er an diesen Tagen Mathematik – und er hasste dieses Fach abgrundtief. Ganz egal wie sehr alle behaupteten, Jungen (oder Japaner allgemein) wären darin besser, sie irrten sich, was Nozomu anging. Mathematik war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, schon immer gewesen, auch in der Klinik. Nozomi dagegen glänzte regelrecht darin – aber sie glänzte in allen Fächern, was Nozomu schwer beeindruckte, andererseits aber auch deprimierte. Sie hatte ihm erklärt, dass sie viel Zeit zum Lernen gehabt hatte, nachdem er weg gewesen war, denn ohne ihn als besten Freund war niemand mehr zum Spielen da gewesen. Sie trug es ihm allerdings nicht nach, freute sich stattdessen lieber über seine Rückkehr. Etwas, was er normalerweise auch gern tat, aber im Moment erfreute es ihn nicht sonderlich. In der Klinik war es wenigstens egal gewesen, wenn er in Mathe schlecht war, hier war es aber nicht mehr egal.

Dementsprechend war Nozomu extrem erleichtert, als die Schule endlich vorbei war.

„Nozomu-chan, ich muss heute wieder zur Bandprobe. Du musst also ohne mich-“

Sie kam nicht zum Ausreden. „Yo, Nozomu!“

Zetsu betrat das Klassenzimmer, sofort stießen einige Mädchen ein sehnsuchtsvolles Seufzen aus. Der Silberhaarige ignorierte es und ging direkt zu Nozomu.

„Was gibt’s?“

„Hast du Lust mit mir zum Kendō-Club zu gehen? Die suchen neue Mitglieder.“

Kendō?

„Ja~“, sagte Rehme in seinen Gedanken. „Du weißt schon, Schwertkampf.“

Ich weiß, was das heißt, danke. Ich frage mich nur, ob das eine gute Idee ist.

„Na klar, warum denn nicht? Schaden kann es dir auf jeden Fall nicht.“

Stimmt auch wieder.

Nozomi lächelte bereits begeistert. „Das ist ja eine tolle Idee, Akatsuki-kun. Danke, dass du dabei an Nozomu gedacht hast.“

Zetsu winkte ab. „Nichts zu danken, Nagamine. Also Nozomu, kommst du?“

Er nickte und stand auf. Gemeinsam begaben die beiden sich in den Sportkomplex hinüber, wo sich neben der Turnhalle auch ein Schwimmbecken und der Außenbereich für Leichtathletik und Kyūdō befanden. Dienstags und Donnerstags trainierte das Kendō-Team in der Turnhalle, wie Nozomu einem Poster neben dem Eingang entnahm.

In der Halle stand nicht nur das versammelte Team, das bereits mit dem Training begonnen hatte, sondern auch der Trainer (in einem lässigen Jogginganzug), der Teamführer (ebenfalls im Jogginganzug) und Leana. Deswegen hatte Zetsu also das Training begutachten wollen.

Leana sah beide wütend an. „Was wollt ihr denn?“

„Wir überlegen, ob wir uns dem Kendō-Team anschließen sollen“, antwortete Zetsu lächelnd. „Es ist nur ein Zufall, dass wir dich treffen.“

„Wers glaubt“, erwiderte sie schnaubend.

Nozomu glaubte ebenfalls nicht an einen Zufall, stattdessen war er wohl nur Mittel zum Zweck für Zetsu. Aber es störte ihn nicht, solange er ein wenig Zeit mit Zetsu verbringen konnte – und außerdem war er sich ziemlich sicher, dass das Kendō ihm auch Spaß machen würde.

Der Teamführer kam zu ihnen herüber. „Ihr seid also die drei, die sich hier bewerben, ja? Ich bin Kato. Ihr seid...?“

„Setoki.“

„Akatsuki.“

Leana sah beide forschend an, bevor sie selbst antwortete: „Vartanian.“

Kato lächelte. „Ah, genau, ich habe schon von euch gehört. Freut mich, dass ihr euch für das Kendō-Team interessiert. Wie ihr vielleicht gesehen habt, trainieren wir dienstags und donnerstags nach der Schule und auch in den Sommerferien, weil es Ende August ein wichtiges Turnier gibt. Wenn ihr also nicht so viel Zeit dafür opfern wollt, geht ihr lieber gleich und spart uns damit einiges an Zeit.“

Keiner der drei rührte sich, was Kato zum Grinsen verleitete. „Sehr gut. Nun, wir haben Platz genug für euch drei, also könnt ihr alle ins Team.“

Leana zeigte sich im Gegensatz zu Zetsu gar nicht begeistert, wollte aber auch nicht nachgeben. Nozomu lächelte nur leicht.

„So, wer von euch hat denn bereits mit einem Schwert gekämpft?“

Alle drei hoben die Hand, was Kato durchaus überraschte. „Mit einem echten oder einem Bambusschwert?“

„Mit einem echten“, stimmten Nozomu und Zetsu einstimmig zu.

„Holz“, murmelte Leana leise.

Kato wandte sich den beiden Jungen zu. „Das wundert mich wirklich. Aber sogesehen sollten unsere Bambusschwerter kein Problem sein.“

Da war sich Nozomu nicht so sicher. Wann immer er das Shinken in der Hand hielt, fühlte es sich nicht so an wie ein echtes Schwert oder überhaupt etwas, das Gewicht besaß. Es war wie Salles gesagt hatte: Das Shinken verlieh ihm Kraft.

Doch so schwer konnte ein Bambusschwert auch nicht sein.

„Heute werdet ihr nicht so viel tun“, sagte Kato. „Ich werde euch eure Kleidung geben und eine Übersicht über die wichtigsten Dinge beim Kendō. In Ordnung?“

Die drei nickten.

„Wunderbar, dann kommt mit.“
 

„Kendō, huh?“

Salles und Jatzieta waren beide gleichermaßen über die Nachricht überrascht, die Suzume ihnen überbrachte. Das Mädchen nickte. „Akatsuki hat gesagt, ich soll euch das ausrichten. Kann sein, dass Nozomu deswegen später kommt.“

„Das ist eine gute Idee von Zetsu“, bemerkte Jatzieta. „Immerhin können wir uns nicht immer auf Shinken verlassen und außerdem kann unser Nozomu so auch neue Freundschaften schließen – und er langweilt sich weniger.“

„Tut er das denn?“, fragte Salles beiläufig.

Jatzieta kicherte. „Manchmal. Ich meine, er ist jung, da langweilt man sich schnell. Du kannst das natürlich nicht wissen, du warst nie jung.“

Er lachte leise und amüsiert. Dann wandte er sich wieder an Suzume. „Danke, dass du uns das gesagt hast. Kannst du bitte trotzdem schon das Essen vorbereiten?“

„Natürlich, Salles-sama.“

Sie neigte den Kopf und verließ sein Büro wieder.

Jatzieta verschränkte die Arme vor ihrem Körper, ihr Gesicht verdüsterte sich. „Ich hoffe, dass dieses Kendō nicht etwas in seinem Inneren anspricht.“

„Ich glaube nicht. Kendō ist mehr Sport und weniger Gewalt. Er wird bestimmt kein Interesse daran habe, sich daran zu laben.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte sie seufzend. „Tja, ich bin dann mal wieder weg. Man sieht sich beim Abendessen.“

Sie huschte aus dem Zimmer hinaus und ließ Salles allein zurück. Lächelnd schüttelte er seinen Kopf und machte sich wieder an die Arbeit.
 

Die Sonne ging bereits unter, als die drei Kendō-Neulinge die Sporthalle verließen. Das Kyūdō-Team war bereits ebenfalls mit Aufräumen beschäftigt. Ohne sie zu beachten gingen die drei an ihnen vorbei. Zetsu seufzte. „Ich glaube, das kriege ich nie auf die Reihe. Warum hat mir niemand gesagt, dass die Regeln beim Kendō so streng sind?“

„Du hast ja nicht gefragt“, erwiderte Leana.

Nozomu musste schmunzeln. Auch wenn sie immer so tat, als ob sie Zetsu nicht leiden könnte, sie ging immer gern auf ihn ein, also mochte sie ihn doch irgendwie.

Zetsu warf den Kopf in den Nacken. „Du hättest es mir ja ohnehin nicht gesagt.“

„Von mir aus kannst du auch wieder abhauen. Ich werde garantiert in diesem Club bleiben.“

Zetsu legte einen Arm um Nozomus Schulter. „Wir auch. Stimmts, Noz?“

Überrascht sah der Jüngere ihn an. „Huh?“

„Oder etwa nicht?“, fragte der Silberhaarige.

„Doch... natürlich.“

Hatte er ihn gerade wirklich Noz genannt? Seit wann vergab er so gerne Spitznamen?

Leana verdrehte genervt die Augen. „Gute Güte, macht doch, was ihr wollt.“

Sie murmelte noch etwas in einer anderen Sprache, die Nozomu nicht verstand, er kümmerte sich aber auch nicht weiter darum. Sein Blick fiel stattdessen auf ein weißhaariges Mädchen, das am Eingang des Schulgeländes stand und konzentriert auf die Kyūdō-Mannschaft starrte.

Leana sah sie ebenfalls und murmelte noch etwas, ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass es etwas Abfälliges gewesen war.

Diesmal war es Nozomu, der mit den Augen rollte. Er verabschiedete sich von Zetsu und Leana und ging zu Baila hinüber. Etwas Leben kehrte in ihre roten Augen zurück. „Setoki, hallo.“

„Du kannst mich doch Nozomu nennen“, bestand er zum wiederholten Male.

Sie nickte. „In welchem Club warst du?“

„Kendō. Warum beobachtest du die Kyūdō-Mannschaft?“

Anstatt zu antworten sah sie wieder hinüber. Ein braunhaariger Junge mit einem roten Stirnband fiel Nozomu dabei ins Auge. Es war als ob eine besondere Aura um ihn herum existieren würde.

„Pollux wollte mit seinem Freund spielen“, sagte sie leise.

Suchend blickte er nach dem Shinjuu, konnte es aber nicht entdecken. „Soll das heißen, dieser Junge ist ein Shinken-Träger?“

Baila antwortete nicht darauf, wandte sich stattdessen von dem Anblick ab. „Lass uns gehen, ich habe Hunger.“

Nozomu nickte und ging gemeinsam mit ihr los. Er sah nicht mehr, dass der von ihnen Beobachtete sich plötzlich umdrehte und ihnen deprimiert hinterhersah.
 

Schweigend brachten Zetsu und Leana den Heimweg hinter sich. Sie presste die Lippen aufeinander, ihr Gesicht versteinert, damit er auch ja nicht auf die Idee kam, sie anzusprechen. Er dagegen lächelte leicht und wartete darauf, dass sie etwas sagte – und seine Strategie ging auf. Sie seufzte. „Wie hast du mitbekommen, dass ich zum Kendō-Team gehe?“

„Ich habe doch gesagt, das war nur ein Zufall.“

„Das glaube ich dir nicht!“, fauchte sie. „Bei dir gibt es keinen Zufall! Also sag mir endlich, was du mit dieser ganzen Masche bezweckst, warum willst du dir meine Freundschaft erschleichen?“

Ein Funken Überraschung zeigte sich in seinen Augen. „Du hast mich ziemlich schnell durchschaut. Respekt, Leana.“

Mit einem Hauch Zufriedenheit lächelte sie. „Ich bin nicht Setoki. Mir kannst du nichts vormachen. Also, was soll das? Was willst du?“

Lächelnd sah er sie an. „Gar nichts.“

Verdutzt erwiderte sie seinen Blick, was ihn wiederum zum Lachen brachte. „Ich wollte etwas von Setoki, bei dir hab ich aber keinen Vorteil, wenn wir befreundet sind.“

„Was könntest du von ihm gewollt haben?“

Es war das erste Mal, dass sein Lächeln bei ihr erlosch. „Das geht dich gar nichts an.“

Seine Stimme nahm einen düsteren, kühlen Klang an, doch das beeindruckte sie nicht. Sie erwiderte mit einem unterkühlten Blick. „Ach und warum nicht?“

„Das ist eine Sache zwischen mir und Nozomu.“

„Der aber denkt, dass du einfach so sein Freund bist.“

In ihren Augen konnte er eine Herausforderung sehen. Er lachte nur. „Glaubst du wirklich, er wird dir glauben? Was immer du ihm erzählst, ich werde es widerlegen.“

„Du nervst“, sagte sie nur noch und ging unvermittelt in eine andere Richtung davon.

Was für eine schlechte Verlierin.

„Meister, Ihr hättet sie nicht so behandeln dürfen.“

Nanashi erschien in einer transparent erscheinenen Form auf seiner Schulter, so dass niemand außer ihm sie sehen konnte. Er lächelte auf ihren Vorwurf allerdings nur. „Schon gut, sie wird sich schon wieder einkriegen. Ah, heute hab ich Schicht, nicht wahr? Dann sollten wir mal weiter.“

Das Shinjuu nickte. Gemeinsam setzten sie ihren Weg nach Hause fort.
 

Baila zeigte sich auf dem Nachhauseweg auch nicht gesprächiger als bei den nächtlichen Missionen. Langsam interessierte Nozomu sich wirklich für die Geschichte hinter ihr.

Sie redete nie und wenn, dann war er hinterher meist noch mehr verwirrt. Außerdem schien sie die Kyūdō-Mannschaft öfter zu beobachten. Warum tat sie das?

Warum erzählte sie Salles und Jatzieta nicht, dass dieser Junge ein Shinken hatte?

Oder wussten sie es bereits?

Aber warum taten sie dann nichts?

Und warum beantwortete Baila keine seiner Fragen?

Am besten sprach er einen der beiden selbst darauf an. Fragte sich nur wen von den beiden.

Doch die Entscheidung fiel Nozomu gar nicht schwer. Nicht nur, dass Salles bereits gegessen und sich inzwischen in seinem Büro verbarrikadiert hatte, nein, der strenge Mann flößte Nozomu oftmals übermäßigen Respekt ein, weswegen er nicht gern mit ihm sprach.

Jatzieta dagegen war bereits im Krankenzimmer, wo er sie auch direkt aufsuchte. Es war das erste Mal, dass er diesen Raum betrat. Es war weniger steril als das in der Schule, aber durch die komplett weiße Ausstattung immer noch gut als medizinische Einrichtung zu erkennen.

Jatzieta lächelte ihm verschmitzt entgegen. „Na, mein Lieber, was führt dich zu mir? Hast du dich beim Training verletzt? Ich wills nicht hoffen.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sorge. Es geht um etwas anderes.“

„Ich bin ganz Ohr.“

Sie musterte ihn aufmerksam. Er erzählte ihr von dem Kyūdō-Mitglied und Bailas Verhalten, als er diese vor seiner Schule getroffen hatte. „Wisst ihr davon?“

Ernst wie selten nickte sie. „Und ob wir das tun. Der Junge ist tatsächlich ein Shinken-Träger – aber er ist noch nicht erwacht. Solange sein Orichalcum-Name schläft, können wir auch nichts tun. Möglicherweise hat er Glück und er wird für immer schlafen.“

Sie seufzte leise, bevor sie fortfuhr. „Der, dessen Name erwacht ist, wird nie wieder sein normales Leben führen können, bis der Göttername errungen ist. Einige haben es bereits versucht, es aber auch nicht geschafft.“

Nachdenklich senkte Nozomu den Blick. Er dachte wieder an seinen ersten Schultag und die Rede des Direktors und Satsuki zurück.

Shou Epirma war bestimmt einer von ihnen, immerhin schloss er sich auch keiner Seite an.

„Das Zerstörungskomitee“, fuhr Jatzieta fort, „arbeitet dagegen ganz anders. Sie entführen potenzielle Shinken-Träger bereits vor ihrem Erwachen, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Aber das Erwachen des Namens zu erzwingen führt zu schlimmen Nebenwirkungen.“

Nozomu wollte gar nicht wissen, welche genau das waren. Schon allein beim Gedanken an so etwas lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

„Was ist denn der natürliche Weg, ihn zu erwecken?“

Jatzieta lächelte wieder warm. „Ein emotionaler Schub, zum Beispiel, wenn ein Freund in Gefahr ist.“

„War das bei dir so?“

Sie lächelte vielsagend, schwieg dafür aber. Von ihr würde er eindeutig keine Antwort darauf bekommen. Aber das war auch gar nicht nötig. Irgendwann würde er bestimmt etwas erfahren, früher oder später.

Er schüttelte den Kopf. Es war doch absolut nicht nötig, dass er das wusste.

„Gibt es sonst noch etwas, mein Lieber?“

Nozomu wollte es verneinen, aber dann fiel ihm tatsächlich noch etwas ein: „Ich habe morgen einen Termin im Krankenhaus zur Nachuntersuchung. Die Schule weiß bereits Bescheid, aber ich wollte es euch auch noch sagen.“

„Alles klar, mein Bester. Dann wünsche ich dir morgen einen schönen Tag.“

Sie lächelte kokett. Nozomu schmunzelte. „Danke.“

Der blaue Spirit

Es war ungewohnt für Nozomu so spät aufzustehen, aber für den Termin war früher nicht notwendig. Er zog sich eine Jeans und ein Shirt an. Es war warm draußen, also warum sollte er nicht mal kürzer treten mit der Kleidung? Seine Schuluniform, die er an regulären Tagen trug war immerhin warm genug.

Auf das Frühstück verzichtete er an diesem Morgen. Er hatte genug Geld, um sich unterwegs etwas zu kaufen. Die Aufregung vor der Untersuchung schnürte ihm ohnehin die Kehle zu.

Als er die Treppe hinunterging, hörte er jemanden seinen Namen sagen. Erschrocken hielt er inne und fuhr herum. Salles kam ebenfalls die Treppe herunter. „Was machst du hier? Und warum trägst du deine Schuluniform nicht?“

Nozomu schluckte. „Ich habe Jatzieta gestern gesagt, dass ich heute einen Termin habe. Die Schule weiß es schon.“

Salles schloss die Augen. „Verstehe. Ich habe Jatzieta seit gestern Nachmittag nicht mehr gesehen. In Zukunft wäre es mir aber lieber, wenn du mir auch mitteilen würdest, wenn solche Termine anstehen. Verstanden?“

„Ja, Sir.“

Diese Reaktion entlockte dem strengen Mann ein Lachen. „Kein Grund so förmlich zu werden. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner Untersuchung – ich gehe doch richtig in der Annahme, dass du einen Termin im Krankenhaus hast?“

Nozomu nickte. „Danke.“

Er neigte den Oberkörper und ging davon, um seine Bahn zu erreichen.
 

Zetsu hatte beschlossen, die Schule an diesem Tag Schule sein zu lassen und sich stattdessen lieber im Lager eines Kaufhauses zur Inventur gemeldet (außerdem konnte er das Geld gut gebrauchen). Während er Waren zählte und entsprechend eintrug, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Leana. Seit dem Gespräch am letzten Abend war in ihm der Verdacht gewachsen, dass sie mehr wusste als sie zugab und sie nur darauf wartete, dass er sich verplapperte.

Möglicherweise war sie auch eine Shinken-Trägerin, aber er konnte keinen Orichalcum-Namen an ihr spüren.

Also musste es irgend etwas anderes sein. Vielleicht war er inzwischen auch nur paranoid geworden.

Das Kaufhaus war groß, genau wie das Lager, deswegen befand sich Zetsu allein in einem abgeschiedenen Teil davon. Ein leises Geräusch klang an sein Ohr.

Zetsu fuhr herum. Etwas rannte an den Regalen vorbei.

Was...?

Er legte das Klemmbrett und den Stift beiseite und stand auf. Langsam und vorsichtig bewegte er sich voran. In Gedanken rief er nach seinem Shinjuu, doch keine Antwort erklang.

Was ist los?

Die Gänge des Lagers waren weitläufig, auf beiden Seiten gesäumt von meterhohen Regalen, die bis auf den letzten Millimeter mit Gegenständen bestückt waren. Eine Leiter stand alleingelassen mitten im Gang. Zetsu machte einen Bogen darum. Plötzlich sah er am Ende des Ganges wieder etwas vorbeihuschen. „He! Bleib stehen!“

Er rannte los. Doch als er das Ende erreicht hatte, konnte er nur noch sehen, wie die Gestalt hinter einer weiteren Ecke verschwand. „Warte!“

Vermutlich war es nur ein kleiner Einbrecher, aber Zetsu ließ es lieber nicht darauf ankommen und verfolgte ihn weiter. In einer Ecke des Lagers angekommen, blieb er wieder stehen. Die Gestalt schien sich regelrecht in Luft aufgelöst zu haben.

Möglicherweise war es ja doch etwas anderes...

Er drehte sich um und wollte zurückgehen, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln vernahm. Wieder hielt er inne und wandte den Kopf. Erschrocken zuckte er zusammen, er wich zurück.

Das Regal kippte und zwar mit mit tödlicher Sicherheit in seiner Richtung. Mit einem leisen Schrei ging er in die Knie, die Arme schützend über seinen Kopf gelegt.

So erwartete er den Aufprall des Regals, in der sicheren Annahme, dass es das letzte war, was er spüren würde.
 

Erschrocken öffnete Nozomu seine Augen. Sein Blick ging fragend umher.

„Endlich bist du wieder wach.“

Rehme erschien vor ihm. „Ich dachte schon, wir werden ewig in dieser Bahn festsitzen.“

„Ah ja.“

Er war bereits auf dem Rückweg von seinem Termin (der außerordentlich positiv verlaufen war) gewesen und im Zug eingeschlafen. Dann hatte er von Zetsu geträumt, der in einem Lager von einem Regal erschlagen worden war. Nein, er war nur beinahe erschlagen worden. Ob und was ihm passiert war, wusste Nozomu nicht. Aber es war auch nur ein Traum gewesen, nicht die Realität, also warum machte er sich darum Sorgen?

Zuhause würde er Zetsu anrufen und sie würden beide über diesen Traum lachen.

„Wo sind denn alle?“, fragte Nozomu, als ihm auffiel, dass niemand außer ihnen da war.

Rehme zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Sie sind alle ausgestiegen und jetzt stehen wir hier schon eine ganze Weile. Ich hab versucht, dich zu wecken, aber es ging nicht.“

Ratlos stand er auf und ging einige Schritte. Die Türen der Bahn standen weit offen, sie führten auf einen sterilen weißgefliesten und weitläufigen Bahnsteig, der ebenfalls verlassen war.

Nozomu fühlte sich, als wäre er in einem schlechten Horrorfilm gelandet.

„Irgend etwas stimmt hier nicht“, sagte Rehme leise. „Sei vorsichtig, Nozomu.“

Nickend lief er los. Kaum hatte er die Bahn verlassen, gingen die Türen zischend wieder zu, der Zug fuhr davon. In der Ferne war ein leises Geräusch hören, das er nicht näher definieren konnte. Nun fühlte er sich endgültig wie in einem billigen Horrorfilm, aber er würde dieser Atmosphäre mit Sicherheit nicht nachgeben. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass ein kranker und verrückter Serienmörder hier sein Unwesen treiben würde, er besaß immer noch sein Shinken – und damit konnte ihm niemand etwas antun.

Bei dem Gedanken musste er grinsen. Im echten Leben gab es keine Mörder, die sich in verlassenen Bahnschächten versteckten und unschuldige Bürger abschlachteten. Dann dachte er aber wieder, dass auch sein Shinken ein Gegenstand war, den er nie im wahren Leben vermutet hätte und doch war es nun da.

Die erste Treppe führte ihn zu einer Halle mit Schaltern und alten Automaten. Gitter versperrten die weiteren Treppen nach oben. In dieser Halle entdeckte Nozomu auch ein Poster, das ihm mitteilte, dass diese Station von Juni bis September aufgrund von Wartungsarbeiten geschlossen war. Fragte sich nur noch, wo die Arbeiter waren und warum einfache Wartungsarbeiten so lange dauerten.

„Suchen wir einen anderen Weg“, sagte Rehme. „Irgendwie müssen wir hier rauskommen.“

Er nickte. „Versuchen wir es auf der anderen Seite.“

Gerade als er die Stufen wieder hinuntergehen wollte, spürte er etwas am Fuß der Treppe.

„Das fühlt sich an wie ein Shinjuu“, wisperte Rehme.

Vorsichtig ging Nozomu noch einige Stufen, bis er eine Gestalt auf dem Bahnsteig sehen konnte. Eine Gestalt, die vorhin noch nicht da gewesen war. Es war eine junge Frau mit lilafarbenen Haar, ihre Kleidung erinnerte Nozomu an die des Lakaien von neulich, nur war das Kleid weiß mit lila Streifen. Das Interessanteste an ihr waren allerdings die Flügel auf ihrem Rücken. Sie waren nicht sonderlich groß, schienen eher eine Zierde zu sein, aber dennoch verliehen sie ihr den Hauch eines Engels. Sie hielt ein Schwert mit einem Griff, der doppelt so lang wie die Klinge war und starrte scheinbar gedankenverloren auf die Gleise.

Der Zug, in dem er vorher gesessen hatte, war inzwischen weg. Er hatte ihn gar nicht fahren gehört.

„Ist das ein Shinjuu?“, fragte Nozomu leise.

Rehme nickte mit angehaltenem Atem. „Ja. Sei bloß vorsichtig.“

Wie konnte es sein, dass ein Shinjuu einem Lakai so ähnlich sah?

Plötzlich wandte sie den Blick und starrte Nozomu direkt an. Er zuckte zusammen.

Sie hat uns gesehen...

Mit dem Schwert im Anschlag, preschte sie auf ihn zu. Nozomu wollte ausweichen, aber seine Beine versagten ihren Dienst. Er wollte sein Shinken ziehen, aber sein Orichalcum-Name reagierte nicht. Entmutigt schloss er die Augen.

Doch der erwartete Schmerz kam nicht. Stattdessen hörte er einen entsetzten Schrei hinter sich. Als er die Augen wieder öffnete, wandte er den Kopf. Die Frau stand hinter ihm, ihr Schwert immer noch gehoben. Die Klinge war umhüllt von roten Mana. Hatte sie ihn etwa... gerettet?

Die Frau stellte sich wieder richtig hin. „Ist Hilfe vonnöten?“

Nozomu sah sie fragend an. „Hilfe?“

„Oh, jetzt verstehe ich.“

Rehme schwebte um die Frau herum. „Sie ist ein Spirit-Shinjuu.“

Die Frau nickte zustimmend.

„Spirits sind so ähnlich wie Lakaien“, antwortete Rehme auf seinen fragenden Blick. „Allerdings können sie kein Shinken benutzen, weil sie ja den Willen desselben verkörpern. Und Spirits sind darauf ausgelegt, Menschen zu beschützen. Na ja, zumindest die meisten...“

„Gibt es auch Ausnahmen?“, fragte Nozomu.

Die Frau nickte noch einmal, antwortete aber nicht. Allerdings hatte ihn eine tiefergehende Antwort auch gar nicht interessiert.

„Wie heißt du?“

Sie legte ihren Kopf schräg. Rehme seufzte. „Das versteht sie so nicht. Spirits sind auf Befehle ausgelegt. Sag uns deinen Namen.“

„Aselia, die Existenz.“

Ihre Stimme und ihr ganzer Gesichtsausdruck war monoton und frei von jedem Gefühl. Wenn sie ihn nicht eben gerettet hätte, wäre ihm wieder ein kalter Schauer über den Rücken gefahren.

„Spirits haben immer einen Zusatz zu ihrem Namen“, erklärte Rehme weiter. „Wir wissen aber nicht, warum. Ich glaube, das weiß niemand.“

Aselia schien sich zu einer Erklärung berufen zu fühlen, denn sie hob ihre Waffe. „Sonzai ist der Name meines Schwertes.“

'Sonzai' bedeutet Existenz... dann liegt es wohl daran.

„Sag uns, warum du hier bist“, verlangte Nozomu.

„Mein Meister hat mich geschickt, um die Lakaien hier zu bekämpfen.“

„Warum bist du nicht auch so nützlich, Rehme?“

Sie schnitt ihm nur eine Grimasse. „Sag uns lieber, wer dein Meister ist, Aselia.“

„Ich kann diesen Befehl nicht befolgen“, erwiderte Aselia.

Wäre auch zu einfach gewesen.

Da fiel ihm noch etwas ein. „He, gibt es hier etwa noch mehr Lakaien?“

Aselia nickte.

Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass ich hier gelandet bin. Oh Mann, jetzt glaube ich schon fast an so etwas wie Schicksal. Aber egal.

„Rehme und ich werden dir helfen.“

„Das ist nicht nötig. Am anderen Ausgang ist eines der Gitter offen, verlasst den Bahnhof.“

Nozomu wollte widersprechen, aber Rehme zupfte an seinem Kragen. „Lass sie. Sie weiß schon, was sie tut. Vertrau mir.“

Er nickte seufzend und ging die Treppe hinunter. Eine Bahn fegte ohne an Geschwindigkeit zu verlieren durch den Tunnel. Also war die Bahnstrecke noch befahren, anders hätte er hier auch nicht herkommen können.

Rehme setzte sich auf seine Schulter. „Fu~, fliegen ist so anstrengend...“

„Stell dich nicht so an“, wies Nozomu sie zurecht. „Sei mal ein nützliches Shinjuu.“

Erneut schnitt sie ihm eine Grimasse, wurde aber sofort wieder ernst, als sie plötzlich einem Lakaien gegenüberstanden. Es war wieder ein roter. Die kurzen Haare machten den Eindruck, als wäre sie eben erst aufgestanden, in ihren Händen hielt sie ein Schwert, dessen Griff zwischen zwei Klingen saß.

Nozomu wich zurück. „Nicht noch einer.“

Er fuhr herum, um wieder in die andere Richtung zu laufen – doch plötzlich stand auch dort ein roter Lakai. Rehme quietschte erschrocken. „Nozomu, langsam wird es Zeit.“

Er konzentrierte sich auf den Orichalcum-Namen – doch nichts geschah.

„Nozomu!“

„Es geht nicht!“

Geistesgegenwärtig ließ er sich fallen. Die Klinge eines Lakais fegte direkt über ihm hinweg. Sofort rollte er sich zur Seite, eine der Klingen zerteilte die Fliesen, wo er eben noch gelegen hatte.

Hastig richtete er sich wieder auf und rannte davon. „Aselia!“

Der Spirit stand inzwischen am oberen Treppenabsatz. Sie fuhr herum. „Ist Hilfe vonnöten?“

Nozomu wollte gerade antworten, da erschienen noch mehr rote Lakaien um ihn herum. Das schien ihr Antwort genug zu sein. Mit dem Schwert im Anschlag, stürmte Aselia die Treppe wieder hinunter. Ein Schlag genügte, um den ersten Lakai zu zerstören.

Sie drängte Nozomu hinter sich. „Bleib hinter mir.“

Er nickte nur. Einer der Lakaien wagte noch einen Angriff, scheiterte aber an einem blauen Schild. Ohne dem Angreifer Ruhe zu gönnen, schlug Aselia zu. Die roten Manafunken erfüllten die Luft mit einer ungewöhnlich trockenen Hitze.

Ein anderer Lakai streckte den rechten Arm vor. Mana sammelte sich um sie. „Fire Arrow!“

Doch noch bevor etwas geschehen konnte, hob auch Aselia die Hand. „Icicle Coffin!“

Ein Würfel aus blauem Mana erschien um den roten Lakai. Sie schrie auf, als der Würfel zerbrach und alle roten Funken verschwanden.

Aselias Flügel nahmen an Größe zu. Mit einem entschlossenen Schrei stürzte sie sich zwischen die Lakaien. Ihr Schwert zerschnitt die Lakaien ohne Probleme und schon bald war der ganze Bahnhof erfüllt von glühenden roten Manafunken.

Nozomu schluckte. Dieses Shinjuu war tatsächlich um einiges geübter im Umgang mit dem Schwert. Hoffentlich würde er nie gegen sie antreten müssen.

„Bedrohung abgewendet.“

Er atmete erleichtert durch. „Danke, Aselia.“

Sie schüttelte mit dem Kopf und trat wieder an die Gleise. Ohne etwas zu sagen, sprang sie hinunter und rannte in den Tunnel hinein.

„Aselia, warte!“

Nozomu wollte ihr folgen, doch bevor er das konnte, fegte erneut ein Zug an ihm vorbei.

„Wo ist sie hin?“

Rehme zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Aber ich nehme das als gutes Zeichen, ich spüre auch keine Lakaien mehr. Lass uns von hier verschwinden.“

Nozomu nickte und ging in Richtung der Treppe.

Warum hat der Orichalcum-Name nicht funktioniert? Und wieso bin ich hierher gebracht worden?

Je mehr er erlebte desto mysteriöser wurde das Ganze.

Nozomu verließ den Bahnhof und ließ nur eine weißhaarige Frau mit einem Katana zurück, die er bislang nicht gesehen hatte. Sie lächelte grimmig und löste sich in schwarze Funken auf. Damit war die Bahnstation endgültig verwaist.

Fieber

Es war bereits dunkel, als Nozomu im Wohnheim angekommen war. Ohne nach etwas zu essen zu sehen, klopfte er direkt Salles' Bürotür. Irgendjemandem musste er von den Ereignissen erzählen, aber Jatzieta und die anderen schliefen mit Sicherheit schon.

Er wollte gerade wieder gehen, als die Stimme des Mannes ihn aufforderte, hereinzukommen.

Nozomu betrat das Büro. Es war erstaunlich dunkel um diese Zeit, lediglich eine Schreibtischlampe brannte noch. Eine unheimliche Atmosphäre herrschte in diesem Raum.

„Ah, Nozomu.“

Salles lächelte. „Setz dich. Was führt dich um diese Zeit zu mir?“

Der Junge übersprang die Ereignisse im Krankenhaus und kam direkt zu dem Angriff in der Bahnstation. Salles lauschte aufmerksam jedem einzelnen Wort. „Das ist interessant.“

Nozomu sah ihn unbegeistert an. „Was? Dass ich mein Shinken nicht benutzen konnte oder dass ich einen Spirit getroffen habe?“

„Beides.“

Ein amüsiertes Funkeln erschien in Salles' Augen. „Erst mal: Mach dir keine Sorgen wegen dem Shinken. In der Anfangszeit ist es völlig normal, dass es nicht immer erscheint, wenn man es braucht. Die Synchronisation dauert eine Weile. Der Spirit ist wieder eine andere Geschichte. Ich weiß nicht genau, zu wem Aselia gehört, aber ausgehend von ihrer Kleidung bin ich ziemlich sicher, dass sie zu einem Mitglied des Errettungskomitees gehört. Wahrscheinlich einer von denen, die auf die Akiyama-Schule gehen.“

Salles stützte seine Ellenbögen auf den Tisch und legte nachdenklich die Fingerspitzen aneinander. Nozomu seufzte. „Ich verstehe das alles langsam nicht mehr. Ich wollte doch nur ein normales Leben führen...“

„Ich kann dich verstehen“, sagte Salles. „Aber ich versichere dir, dass wir alles versuchen werden, um alles schnell zu erledigen.“

„Aber ihr wisst doch nicht, wo sich dieser Name befindet“, warf Nozomu ein. „Also wird es wohl noch sehr lange dauern, oder?“

„Das ist leider wahr. Aber ich bin sicher, dass wir ihn noch finden werden.“

Nozomu nickte, wenngleich er nicht so überzeugt war.

„Du solltest jetzt ins Bett gehen. Morgen hast du immerhin Schule.“

Er nickte noch einmal. „Gute Nacht, Cworcs-sama.“

Salles lächelte wieder amüsiert. „Gute Nacht.“
 

Leise fluchend bewegte Zetsu sich in Richtung seines Apartments. Die Schmerzmittel hörten langsam auf zu wirken, ein dumpfes Pochen kehrte dafür wieder zurück. Er hatte den Regalsturz überlebt und war nur ein wenig verletzt worden. Na ja, ein wenig?

Ein Verband war um seine Stirn und sein rechtes Auge geschlungen, beide Arme waren einbandagiert und den rechten Arm musste er sogar in einer Schlinge tragen. Dennoch hatte er Glück gehabt. Er war nur am Kopf getroffen worden und hatte einige Schnittwunden davongetragen.

Die Ärzte waren sich sicher, dass er bald wieder gesund werden würde. Obwohl man ihn noch eine Nacht zur Beobachtung hatte behalten wollen, hatte er sich auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus entlassen lassen. Einmal war er sich sicher, dass ihm nichts passieren würde und dann war da außerdem noch Nanashi, die ihm helfen könnte.

Wobei diese ihn an diesem Tag schon einmal im Stich gelassen hatte. Er musste sie unbedingt nach dem Grund danach fragen.

Vor seiner Tür fiel ihm sein Schlüssel aus der zitternden Hand.

Verdammt!

Er kniete sich hin und hob den Gegenstand auf – als plötzlich die Tür daneben aufsprang.

„Kannst du nicht ein wenig leiser sein!?“, schnauzte Leana ihn sofort an.

Als sie die ganzen Verbände sah, zuckte sie zurück. „Was hast du denn angestellt?“

Seufzend richtete er sich wieder auf. „Ich hatte einen Unfall. Nichts weiter Schlimmes.“

„So sieht das aber nicht aus...“, bemerkte sie nachdenklich.

„Kümmer dich nicht darum“, erwiderte er unwirsch, doch er fing sich sofort wieder. „Tut mir Leid. Ich hatte nur einen harten Tag.“

Leana seufzte und trat aus ihrem Apartment. „Lass mich dir helfen.“

„Warum? Gestern warst du noch sauer auf mich.“

Sie seufzte noch einmal und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Vergiss das doch. Du brauchst Hilfe, oder? Also lass mich dir helfen. Sonst wärst du doch auch ganz wild darauf.“

Schmunzelnd reichte er ihr den Schlüssel, so dass sie seine Tür aufschließen konnte. Gemeinsam gingen sie hinein. Nanashi war nirgends zu sehen. Neugierig und überrascht sah sie sich um.

„Was ist?“

„Nichts. Ich dachte nur, dass die Wohnung eines Junggesellen unordentlicher wäre. Das hier überrascht mich wirklich.“

Er lächelte leicht. Sie ging weiter in die Wohnung hinein. „Hast du kein Bett?“

„Nein, nur einen Futon.“

„Fernseher? Videospielkonsole?“

„Besitze ich alles nicht.“

Mit vor Überraschung geweiteten Augen sah sie ihn an. „Nicht? Ich dachte, du arbeitest so viel, um dir ein Leben in Luxus zu ermöglichen.“

„Da hast du dich geirrt. Wer hat dir erzählt, was ich alles arbeite?“

„Ikaruga. Sie hat mir ganz viel über dich erzählt, ohne dass ich danach gefragt habe.“

So so so...

Zetsu zeigte auf den Wandschrank. „Kannst du mir bitte den Futon ausrollen?“

Sie nickte. Während sie sich um den Futon kümmerte, setzte Zetsu sich auf den Boden und entfernte die Schlinge, die seinen Arm getragen hatte. Angestrengt biss er die Zähne zusammen, als der Schmerz durch seinen ganzen Körper zog. Wie konnten ein paar Schnittwunden nur so starke Schmerzen verursachen?

Als er sich mit verzerrtem Gesicht an seinem zerschlissenen Hemd zu schaffen machte, spürte er wie Leana ihre Hände auf seine legte. „Lass nur, ich mach das.“

Vorsichtig öffnete sie sein Hemd und streifte es von seinem Körper. Sein Oberkörper war ebenfalls bandagiert. „Mhm, hattest du heute einen Aushilfsjob als Mumie?“

Er lachte leise. „Nein. Ich wurde nur beinahe von einem Regal erschlagen. Das meiste sind irgendwelche Schnittwunden, sonst nichts.“

„Du musst ziemlich viel Glück gehabt haben“, bemerkte sie, während sie geistig abwesend über den Verband an seiner Brust strich.

„Ach, na ja...“

Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte, darum schwieg er.

Für einen Moment herrschte Stille im Apartment. Das einzige, was Zetsu wahrnahm, war ein kaum spürbares Knistern, als Leana seine Haut berührte. Er schob es auf die Luftfeuchtigkeit und machte sich keine Gedanken mehr darüber, genausowenig wie sie.

„Du solltest dich hinlegen und schlafen“, sagte sie. „Damit es dir bald wieder besser geht.“

Schweigend legte er sich hin und ließ sich von ihr zudecken. „Danke, Leana.“

Sie lächelte warm. „Kann ich noch etwas für dich tun?“

„Wie wäre es mit einem Gute-Nacht-Kuss?“, fragte er schmunzelnd.

Ihr Lächeln verschwand sofort wieder. „Vergiss es! Mann, selbst wenn du schwer verletzt bist, bist du noch ein Idiot!“

„Das war doch nur ein Witz“, bemerkte er halbherzig.

„Mir egal! Ich wollte nur nett sein! Sieh doch selbst zu, wie du zurechtkommst!“

Wütend geworden stand sie auf und ging hinaus. Dabei knallte sie die Tür zu. Zetsu konnte hören, wie sie in ihre Wohnung zurückstampfte, wo sie auch mit der Tür knallte.

„Meister~“

Nanashi erschien neben ihm auf dem Futon. Genervt sah sie ihn an. „Musste das sein?“

„Du kennst mich doch... was ist überhaupt mit dir? Ich habe dich den ganzen Tag nicht gesehen.“

Sie hob die Nase gen Himmel. „Ihr habt die Schule geschwänzt, ich wollte Euch sanktionieren.“

„Und hast dafür deine Aufgabe als Shinjuu vernachlässigt?“

Bedrückt presste sie die Lippen aufeinander. Schuldbewusst senkte sie den Kopf. „Verzeiht.“

„Schon gut, ich habe ja überlebt. Wir sollten lieber schlafen.“

„Ja, gute Nacht.“
 

Leana konnte sich nicht helfen, aber ihre Gedanken schweiften immer wieder zu Zetsu, während sie sich für die Schule vorbereitete. Wie es ihm wohl inzwischen ging? Hatte er überhaupt schlafen können?

Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Isolde, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, kicherte. „Na, woran denkst du denn? Etwa an Zetsus freien Oberkörper?“

Bei dieser Erinnerung wurde sie gegen ihren Willen schlagartig rot. „Isolde, hör auf damit!“

„Aber du kannst doch nicht leugnen, dass er seeehr ansehnlich ist, oder?“

„Isolde...“

Die Schwarzhaarige machte eine abwehrende Handbewegung. „Schon gut.“

Leana griff nach ihrer Tasche und verließ das Apartment. Isolde folgte ihr sofort.

Der Blick des Mädchens fiel auf die Tür zu Zetsus Wohnung. Erschrocken stellte sie fest, dass die Tür offen war.

Habe ich vergessen, sie richtig zu schließen? Wie geht es ihm wohl?

Sie beschloss, in der Wohnung nach dem Rechten zu sehen, nur um sicherzustellen, dass alles in Ordnung war. Zumindest redete sie sich das ein.

„Isolde, geh schon mal vor“, wies sie die Frau an. „Ich komme nach – vielleicht.“

Die Schwarzhaarige nickte und ging davon.

Leana trat derweil ins Wohnzimmer und zuckte erschrocken zusammen. Zetsu lag schwer atmend auf dem Boden, den Futon zurückgeschlagen, die Bandagen völlig durchnässt.

„Zetsu!“

Sie ging in die Knie. „Was ist los? Zetsu!“

Er antwortete nicht, aber ein Griff an seine Haut zeigte ihr, was ihm fehlte. „Du glühst ja regelrecht. Deine Wunden müssen sich entzündet haben.“

Er sagte immer noch nichts, begann dafür, sich in Krämpfen zu winden.

Was soll ich tun? Erst einmal muss ich dafür sorgen, dass die Temperatur sinkt und dann muss ich seine Verbände wechseln – und das schnell.

Hastig suchte sie in der Küche Wasser, einem Tuch und Eis. Ihre Hände zitterten dabei vor Aufregung und machten es ihr fast unmöglich, das Eis in einen Beutel zu füllen.

Als sie das schließlich geschafft und ihm den kalten Beutel auf die Stirn zu legen, begann sie, seine Verbände zu wechseln. Tatsächlich entdeckte sie an seinem Arm eine Wunde, die sich bunt verfärbt hatte.

Ich bezweifle, dass die Schulmedizin ihm dabei helfen kann... Ich muss ihm anders helfen.

„Zetsu?“, sprach sie ihn noch einmal an. „Zetsu, wie geht es dir?“

Er reagierte nicht darauf, murmelte nur unzusammenhängende Worte, die keinen tieferen Sinn ergaben. Erleichtert atmete sie auf und legte ihre Hände auf die Wunde. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich darauf. Weiße Funken sammelten sich unter ihrer Handfläche.

Dass ich ihn mal rette, wer hätte das gedacht?
 

In der Schule angekommen, sah Nozomu sich um. „Ist Zetsu noch gar nicht da?“

Suzume schmunzelte. „Der Held war auch gestern schon nicht da. Ich nehme mal an, dass er schwänzt. Das macht er öfter.“

„Er wird wohl arbeiten“, murmelte Nozomu.

Mit trockenem Hals dachte er an seinen Traum zurück. Nicht nur der, in dem Zetsu beinahe von einem Regal erschlagen worden wäre, nein, in der letzten Nacht hatte Nozomu auch davon geträumt, dass sein Freund hohes Fieber bekommen hatte.

Hoffentlich war das alles wirklich nur ein Traum. Wenn er gewusst hätte, wo Zetsu wohnte, hätte er ihn nach der Schule besucht, aber so blieb ihm nichts anderes übrig als zu hoffen, dass es ihm gut ging und er später ans Telefon gehen würde.

„Nozomu-chan, mach dir keine Sorgen“, sagte Nozomi fröhlich. „Akatsuki-kun geht es bestimmt sehr gut.“

„Du hast recht.“

Hoffe ich.

Nozomi lächelte. „Dann lass uns in unser Klassenzimmer gehen. Der Unterricht beginnt bald.“

Sie klammerte sich an seinen Arm und lief gemeinsam mit ihm los. Suzume schmunzelte, als sie den beiden folgte. „Ow, was für ein süßes Paar.“

„Hör bloß auf damit“, erwiderte Nozomu.

Suzume lachte und verabschiedete sich von den beiden, um in ihr Klassenzimmer zu gehen.

Während Nozomu äußerlich lächelte, fühlte er sich innerlich nervös und angespannt.

Hoffentlich geht es Zetsu gut.
 

Langsam beruhigte er sich wieder ein wenig. Als Leana die Hand wegnahm, sah auch die Wunde um einiges besser aus. Sie atmete erleichtert auf und begann damit, ihn neu zu verbinden, auch wenn sie nicht wusste, wer das Verbandsmaterial direkt neben sie gelegt hatte. Behutsam legte sie die Bandagen an, darauf achtend, ihm keine Schmerzen zuzufügen.

Ein Regal ist auf ihn gefallen? Ich frage mich, wie das passieren konnte.

„Mhm... Nanashi...“

Zetsus Stimme war leise und kaum zu hören, aber dennoch verständlich.

Leana warf einen Blick umher, aber niemand war zu sehen.

Also ist das sein Shinjuu? Ich habe es noch nie gesehen, wenn mich nicht alles täuscht. Aber im Moment ist es auch nicht hier...

Als das Bandagieren fertig war, legte Leana ihn vorsichtig wieder zurück auf den Futon. Sie schnalzte mit der Zunge, als sie feststellte, dass dieser durchnässt war. Bestimmt würde er frieren, wenn sie ihn damit zudeckte. Sie trat an den Wandschrank und holte einen weiteren Futon heraus, den sie auf dem Boden ausrollte. „Komm schon, Zetsu, du musst umziehen.“

Mit viel Schweiß und Anstrengung schaffte sie es, ihn im neuen Futon unterzubringen, wo er sich um einiges wohler zu fühlen schien. Fast schon liebevoll strich sie ihm über die Stirn. Als sie sich dabei ertappte, zog sie die Hand schnell wieder zurück.

Seine Atmung ging ruhig und regelmäßig und auch seine Temperatur war gesunken.

Mhm, es scheint ihm besser zu gehen. Ein Hoch auf Mana.

Plötzlich schlug er seine Augen auf und sah sie an. „Leana... wie lange bist du schon da?“

„Wie wäre es mit 'Guten Morgen, Leana'? Ach, vergiss es. Wie geht es dir?“

„Ich habe Hunger.“

„Okay, ich mache dir was.“

Sie stand auf und verschwand in der Küche. Zetsu sah ihr verwirrt hinterher.

Was macht sie hier?

„Ich habe die Tür aufgemacht“, gestand Nanashi in seinen Gedanken. „Was sollte ich sonst tun? Ich dachte, Ihr würdet sterben, Meister und alle anderen waren zu weit weg.“

Nein, das ist schon okay... ich war nur überrascht.

„Meister, da gibt es noch etwas, was Ihr wissen müsst-“

Leana kam mit einem Tablett wieder herein, Nanashi verstummte. „Ich weiß zwar nicht warum, aber die Suppe war bereits fertig.“

Sie kniete sich wieder neben ihn. „Soll ich dich füttern oder schaffst du das noch allein?“

Schmunzelnd setzte er sich aufrecht hin. „Das geht auch so, danke.“

Zufrieden reichte sie ihm das Tablett und beobachtete ihn beim Essen.

Vielleicht ist er ja doch gar nicht so übel...
 

Trotz Zetsus halbherzigen Beteuerungen, dass es ihm wieder besser ging, kümmerte Leana sich sowohl den ganzen Samstag als auch Sonntag um ihn. Obwohl er so tat als wäre ihm das nicht so recht, fühlte Zetsu sich äußerst wohl dabei. Selten wurde er so umsorgt, ohne sich gleichzeitig eine Standpauke oder das besorgte „Meister~“ seines Shinjuu anhören zu müssen. Es war äußerst angenehm, besonders da sie die ganze Zeit über ohne Streit auskamen.

Eigentlich redeten sie gar nicht, außer wenn sie wissen wollte, wie es ihm ging oder er noch nach etwas zu essen fragte. Doch das Schweigen war durchaus angenehm.

Am Montag setzte er sich schließlich gegen ihren Protest durch und ging gemeinsam mit ihr wieder in die Schule. Die anderen Schüler sahen ihn entsetzt an, aber keiner schien sich zu trauen, ihn anzusprechen.

„Sehe ich so bedrohlich aus?“, fragte er leise.

Leana lachte. „Vielleicht denken sie, du wärst in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Aber wenn du der Gewinner wärst, wie sähe dann wohl der Verlierer aus?“

Er lachte ebenfalls und betrat das Schulgebäude. Sofort drehten sich alle zu ihnen um. Nozomu lächelte sofort. „Zetsu! Ich habe versucht, dich anzurufen, aber-“

Er hielt inne. „Was ist denn mit dir passiert?“

„Ich wurde von einem Regal erschlagen“, meinte Zetsu im Plauderton.

Nozomu sah ihn fassungslos an.

Genau wie in meinem Traum.

„Geht es dir gut, Akatsuki-kun?“, fragte Nozomi besorgt.

Er nickte ihr lächelnd zu. „Es sieht schlimmer aus als es ist. Was ist los, Nozomu, du siehst mich an als hättest du einen Geist gesehen.“

„Oh, äh, ich erzähl dir später davon.“

„In Ordnung. Tja, ich geh dann mal in mein Klassenzimmer. Kommst du mit, Leana?“

Sie hatte inzwischen die Arme vor der Brust verschränkt. „Wenns sein muss.“

Zusammen gingen die beiden davon. Suzume schmunzelte. „Dann hat er ja gar nicht geschwänzt.“

„Was solls? Hauptsache, es geht ihm gut“, sagte Nozomi fröhlich. „Gehen wir jetzt auch in unsere Klassenzimmer?“

Suzume nickte und ging gemeinsam mit ihr und dem nachdenklich aussehenden Nozomu davon.

Warum habe ich davon geträumt, dass Zetsu von einem Regal erschlagen wurde? Sehr sehr seltsam...

Orichalcum-Name

Am Samstag, sechs Tage später, fand das Schulfest endlich statt. Der einzige Vorteil für Nozomu bestand darin, dass sie keinen Unterricht hatten. Dafür musste er sich den Rest aller langweiligen Veranstaltungen ansehen. Na ja, musste war vielleicht das falsche Wort, aber die Schulleitung verlangte, dass keiner der Schüler vor 18 Uhr das Gelände verließ.

Überraschenderweise war sogar Zetsu gekommen. Er trug die Bandagen immer noch, wenngleich Nozomu sich sicher war, dass er nur Mitleid einheimsen wollte. Auch wenn der Silberhaarige es nie zugab, aber er stand darauf, im Mittelpunkt zu stehen, dessen war Nozomu überzeugt.

Satsuki wuselte über das gesamte Schulgelände, kümmerte sich um alles, was anfiel und hielt überall ein Auge offen. Das machte sie aber nicht allein. Der Junge und das Mädchen, die Nozomu schon öfter aufgefallen waren, halfen ihr dabei und achteten gleichzeitig darauf, dass kein Schüler das Gelände verließ – wenngleich nicht offensichtlich war, wie sie das alles schafften.

Da Nozomi bei der letzten Bandprobe war, Zetsu mit Leana abhing und Suzume bei der Ausstellung des Fotografie-Clubs aushelfen musste, war Nozomu den gesamten Tag allein.

Gelangweilt schlenderte er von einem Klassenzimmer zum anderen und durch die Turnhalle – bis er das Mädchen mit den Zöpfen entdeckte, das er bereits an seinem ersten Schultag gesehen hatte. Sie arbeitete offensichtlich in einem Maid-Café, jedenfalls trug sie eine solche Dienstmädchen-Uniform.

Sie grummelte vor sich hin, während sie versuchte, einen Stapel Tischdecken, die ihr heruntergefallen waren, wieder aufzuheben.

Nozomu kniete sich neben sie und half ihr.

„Danke“, murmelte widerwillig.

Sie blickte auf – und erstarrte.

Nozomu erwiderte ihren schockierten Blick. „Was ist los?“

„G-gar nichts!“, sagte sie hastig und kümmerte sich wieder um die Decken.

Fragend tat Nozomu es ihr nach. Als alle Decken aufgesammelt waren, standen beide auf. Sie bedeutete ihm mit dem Kopf, ihr zu folgen und lief los. Er folgte ihr sofort.

Zwei andere Mädchen in Dienstmädchen-Uniform nahmen ihnen am Eingang eines Klassenzimmers die Decken dankend ab.

„Ich bin Nozomu Setoki“, stellte er sich dem Mädchen vor und hielt ihr die Hand hin.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, der Blick, dem sie ihm zuwarf wirkte immer noch nervös. „Thalia Zabat.“

Nozomu ließ seine Hand wieder sinken. „Griechisch?“

„Huh? Äh, ja, genau. Ich bin aber schon ziemlich lange hier. Äh, ich muss jetzt wieder rein.“

Fast schon fluchtartig betrat sie das Klassenzimmer, wo sie sich sofort ein Tablett schnappte und sich zu einem besetzten Tisch begab.

Was ist los mit ihr?

„Sie schien regelrecht Panik vor dir zu haben“, meldete Rehme sich zu Wort. „Hast du ihr mal etwas getan?“

Nicht, dass ich wüsste. Aber vermutlich weiß sie von den Gerüchten um meine Eltern...

„Das kann natürlich sein. Na ja, jetzt weißt du ihren Namen. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass man Leuten viel öfter zu begegnen scheint, sobald man ihre Namen kennt?“

Ich denke, das bildet man sich nur ein.

„Meinst du? Na ja, wir werden ja sehen.“

Nozomu setzte seinen ziellosen Weg fort. Als er am Fotografie-Club vorbeikam, beschloss er, hineinzugehen. Suzume saß desinteressiert auf einem Stuhl und starrte Löcher in die Luft. Die anderen Clubmitglieder waren eifrig damit beschäftigt, den Interessierten die (eher schlechten) Bilder und die Art und Weise der Entwicklung zu erklären.

„Was ist los, Suzu-chan?“

Sie lachte. „Ah, Noz, alles klar? Was führt dich in diese Hölle der Langeweile?“

„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht.“

Suzume machte eine ausholende Handbewegung. „Siehst du ja~ Ich langweile mich.“

„Warum engagierst du dich nicht ein wenig mehr? Dann wird es spannend.“

„Dann werde ich unheimlich“, erwiderte sie lachend.

„Motou~“, kam es vom anderen Ende des Raumes. „Kannst du mal rüberkommen!?“

„Die Arbeit ruft“, seufzte Suzume, als sie aufstand. „Leider kann ich nicht so tun, als ob ich taub wäre. Wir sehen uns später bei Nozomis Konzert, Noz.“

Sie hob die Hand und verschwand in der Menge.

Nozomu winkte ihr hinterher.

„Ich glaube, sie mag dich.“

Natürlich. Wir sind Freunde.

„Das meinte ich nicht. Ach, egal. Gehen wir weiter?“

Er lenkte seinen Schritt wieder in den Gang und lief gelangweilt weiter. Im Inneren des Hauptgebäudes hatte er alles erkundet, nun wurde es Zeit, sich mal außen umzusehen. Er betrat den Sportplatz, der mit vielen kleinen Tischen vollgestellt war. Die verschiedenen Klassen hatten kleinere Aktionen gestartet, auch um Geld zu verdienen. Anhand der verschiedenen Gerichte, die hier draußen angeboten wurden, bekamen Besucher den Eindruck einer internationalen Schule – und das war sie wohl auch.

Allein Leana und Thalia schon und da gab es bestimmt noch um einige mehr.

„He Setoki!“

Nozomu sah sich um und entdeckte Misato und Shinsuke an einem Stand. Er erinnerte sich dunkel daran, dass die beiden ebenfalls einen solchen Stand leiten wollten. Neugierig ging er näher, um sich anzusehen, was die beiden anboten. Im Gegensatz zu den anderen Ständen boten sie allerdings Onigiri und Limonade an.

Misato reichte Nozomu eines der Reisdreiecke. „Hier, für dich. Die habe ich gemacht.“

„Deswegen schmecken sie scheußlich“, feixte Shinsuke.

Das Mädchen trat ihm schmerzhaft auf den Fuß, dann lächelte sie Nozomu wieder an. „Nimm.“

Er lächelte ebenfalls und ergriff das Essen. Er kostete zögernd, aber es schmeckte wirklich lecker. Als er ihr das mitteilte, lachte Misato vergnügt. „Danke sehr.“

„Das ist auch das einzige, was sie machen kann“, erwiderte Shinsuke.

Diesmal seufzte sie nur. „Da hat er recht. Aber ich habe gehört, Senpai kann gar nicht kochen und trotzdem ist sie so verdammt cool.“

„Du vergleichst dich ernsthaft mit Ikaruga-senpai?“, fragte Shinsuke. „Da kannst du doch nur verlieren.“

Sie trat ihm erneut auf den Fuß, bevor sie Nozomu wieder anlächelte. „Ich hoffe, du hast trotzdem ein wenig Spaß, auch wenn du nichts zu tun hast.“

Nozomu nickte. „Geht schon.“

Shinsuke grinste. „Wenn du willst, kannst du meinen Posten mal übernehmen.“

„Nein, danke.“

Auch Rehme schüttelte sich, wie Nozomu bemerkte.

Er verabschiedete sich von den beiden und setzte seinen ziellosen Lauf fort.

Erneut hörte er, wie jemand seinen Namen sagte, weswegen er stehenblieb und sich umsah. Eine Frau mit blau-schwarzem Haar und blauen Augen kam auf ihn zu. „Nozomu, du bist es wirklich!“

Nachdenklich kramte er in seinem Gedächtnis. „Sanae-san?“

Sie lächelte. „Ganz genau. Schön, dass du dich an mich erinnerst. Wie geht es dir? Seit wann bist du an dieser Schule?“

„Seit ungefähr einem Monat“, antwortete er nur auf die zweite Frage.

„Wer ist das?“, fragte Rehme neugierig.

Sanae Tsubaki. Eine Studienfreundin meines Vaters. Sie wollte mich nach dem Vorfall mit meinen Eltern adoptieren, aber das ging nicht. Während meiner Zeit im Krankenhaus habe ich allerdings den Kontakt zu ihr verloren.

Sanae blickte ihn besorgt an. „Stimmt etwas nicht?“

„Nein, alles okay. Was machst du hier?“

Sie lächelte. „Ich bin Lehrerin an einer Mädchenschule hier in der Gegend. Der Bruder einer meiner Schülerinnen ist an diesem Fest beteiligt, deswegen bin ich hier. Wollen wir zusammen einen Kaffee trinken gehen? Dann können wir bestimmt besser reden.“

Nozomu nickte zustimmend. Gemeinsam gingen sie wieder in das Maid-Café, in dem Thalia beschäftigt war. Allerdings schien diese wieder unterwegs zu sein.

Nozomu erzählte Sanae von der Zeit im Krankenhaus, von seinem kurzen Aufenthalt bei den Nagamines, dem Wohnheim und seinen neu gewonnenen Freundschaften. Sie nickte verständnisvoll, lächelte aber, als er auf die guten Seiten zu sprechen kam.

„Scheint, dass dein Leben eine positive Wendung nimmt.“

Er nickte. „Eine sehr positive.“

Spontan fragte er sich, was sie wohl zu seinen nächtlichen Aktivitäten sagen würde, aber er schwieg dazu. Vermutlich würde sie ihm ohnehin nicht glauben.

„Ich hatte befürchtet, dass du nach dieser Sache für immer im Krankenhaus liegen würdest. Zumindest waren deine Ärzte damals nicht sehr optimistisch.“

Nozomu nickte. „Das stimmt. Ich war es auch nicht...“

„Aber jetzt siehst du richtig gut aus“, sagte Sanae lächelnd. „Wie ein normaler Jugendlicher.“

Er lachte leise. „Danke.“

Sanaes Blick ging auf ihre Uhr und dann zum Fenster. „Sehr seltsam, es ist schon dunkel. Dabei ist es noch gar nicht so spät.“

Nozomu runzelte seine Stirn. Er stand auf. „Ich werd mal schauen, was los ist.“

Ohne auf eine Erwiderung von ihr zu warten, ging er wieder auf den Sportplatz. Verwirrung hatte sich zwischen den Anwesenden ausgebreitet.

„Ist das eine Sonnenfinsternis?“, fragte einer.

„Nein, es stand gar keine an“, erwiderte jemand anderes.

Zwischen den ganzen ziellos umherstehenden Menschen entdeckte Nozomu auch Satsukis rote Mähne. Die Schülersprecherin begab sich zielsicher in Richtung Sporthalle. Wenn jemand wusste, was hier vor sich ging, dann bestimmt sie.

Er folgte ihr kurzentschlossen.

Das Innere der Halle war düster, da keine Lichter brannten. Man hatte bereits Stühle und eine Bühne aufgebaut. Offensichtlich war die Akustik für die Band hier drinnen besser als in der Aula. Aber weder Satsuki noch irgendjemand anderes war zu sehen.

„Setoki?“

Nozomu zuckte zusammen. Er wandte den Kopf und entdeckte Leana. „Was machst du hier?“

Sie hob die Schultern. „Ich suche nach Akatsuki, gerade eben sah ich ihn hier reingehen. Und was ist mit dir?“

„Ich suche nach Ikaruga-senpai. Sie ist auch hier reingekommen.“

Leana nickte verstehend. Nozomu streckte seine Hand nach dem Lichtschalter aus, aber egal in welche Richtung er drehte, das Licht ging nicht an.

Ist es kaputt?

„Nein... etwas anderes. Ich glaube, hier ist ein Spirit.“

Ist das gut oder schlecht?

„Es ist ein feindlicher Spirit. Antwort genug?“

Nozomu runzelte wieder seine Stirn. „Leana, bleib lieber hier stehen. Ich seh mal nach dem Sicherungskasten, okay?“

Sie seufzte ergeben. Nozomu lief los und sah sich dabei nach dem Sicherungskasten um. Auf dem Weg zur Bühne stieß er immer wieder schmerzhaft gegen einen Stuhl.

Au, verdammt!

Schließlich ging er die Stufen zur Bühne hinauf. Kaum hatte er wenige Schritte getan, flammten die Bühnenscheinwerfer auf. Der geblendete Nozomu hielt sich die Hand vor die Augen. Ein spöttisches Lachen erklang. „Ich habe dich gefunden! Du bist genau in meine Falle getappt!“

„Nozomu-chan!“

Er sah sich um und entdeckte eine verzweifelte Nozomi. Jemand hatte sie mit Elektrokabeln an eine Säule gefesselt. „Nozomin!“

Kopflos wollte er auf sie zulaufen – doch eine plötzlich aufkommende negative Welle direkt vor ihm holte ihn wieder in die Realität zurück. Das Lachen erklang erneut. „Sei nicht so dumm. So einfach mache ich es dir ni-“

Sie unterbrach sich selbst mit einem Schrei.

Plötzlich ging das Licht in der gesamten Sporthalle an. Hinter den Stühlen entdeckte Nozomu Satsuki in ihrer Kampfkleidung – und eine Frau, die er nicht kannte. Sie trug dunkle Kleidung, ihr weißes Haar reichte bis an ihre Hüfte. An ihrer Hüfte befand sich ein Katana.

„Senpai!“

„Kümmer dich um Nozomi!“, rief sie ihm zu.

Nozomu nickte und lief zu seiner Kindheitsfreundin hinüber. Angst stand in ihrem Gesicht, aber gleichzeitig auch Entschlossenheit, etwas zu tun. Eine sehr seltsame Mischung, wie Nozomu fand.

„So leicht wird es nicht!“

Die Weißhaarige vollführte eine Bewegung mit der Hand. Schwarze Lakaien erschienen in der Sporthalle.

„Akatsuki-kun, mach dich mal nützlich!“

Nozomu horchte auf. Zetsu kam aus dem Materialraum, dabei löste er bereits die Bandagen. „Ja, ja, ich bin ja schon dabei.“

Was haben die beiden hier gemacht?

Sofort ging sein Blick zum Eingang, aber Leana war inzwischen nicht mehr zu sehen. Hoffentlich war sie bereits gegangen, so dass sie nichts von den Ereignissen mitbekommen würde.

Während Satsuki immer noch mit dem schwarzen Spirit kämpfte, kümmerte sich Zetsu um die Lakaien.

Nozomu löste das letzte Kabel. „Endlich.“

Er ergriff Nozomis Hand und wollte mit ihr weglaufen, aber Lakaien stellten sich ihnen in den Weg. Sie klammerte sich an seinen Arm. „Nozomu-chan...“

„Ganz ruhig, wir kommen hier schon wieder raus.“

Er ignorierte die Tatsache, dass sein Orichalcum-Namen das letzte Mal nicht reagiert hatte und rief innerlich nach seinem Shinken. Tatsächlich erschien das Schwert dieses Mal wieder. Nozomu lächelte grimmig. „Bleib hinter mir, Nozomi.“

Mit einer Sicherheit als ob er das schon unzählige Male getan hätte, griff er die Lakaien an. Etwas in ihm schien diesmal genau zu wissen, was zu tun war. Schon nach einem gezielten Schlag lösten sich die Lakaien auf, so dass er und Nozomi sich in Richtung des Ausgangs bewegen konnten.

„Nozomu-chan! Warte! Was ist mit Senpai?“

Er wollte ihr sagen, dass sie allein zurechtkommen würde, doch da war sie bereits vorausgelaufen, um zu Satsuki zu kommen.

Rehme erschien seufzend. „Los, hinterher!“

Nozomu folgte ihr hastig.

Zetsu war unterdessen gemeinsam mit Nanashi beschäftigt, die Lakaien in einem anderen Bereich der Sporthalle davon abzuhalten, nach außen zu gelangen. Ein plötzlicher Schrei ließ ihn herumfahren.

Diese Stimme...

„Leana!“

Das Mädchen hatte sich in einer Ecke zusammengekauert. Ein Lakai stand direkt vor ihr und hob sein Katana, um zuzuschlagen.

Nicht mit mir!

Zetsu lief los, seine Silhouette verschwamm – nur um direkt hinter dem Lakai wieder aufzutauchen und diesem das Shinken in den Rücken zu rammen. Mit einem heiseren Kichern löste sich die Feindin in Funken auf.

Zetsu kniete sich vor Leana. „Alles klar bei dir?“

Sie sah ihn mit großen Augen an. „Was ist mit dir passiert?“

„Ich erklärs dir später. Erst mal sieht es so aus, als ob du in Sicherheit wärst.“

Er warf einen Blick umher. Da der Spirit keine neuen Lakaien gerufen hatte, waren inzwischen alle besiegt und nur noch die Anführerin war übrig. Zetsus Gesicht verfinsterte sich. „Das ist Uruca.“

„D-du kennst sie?“, fragte Leana.

Etwas in ihrer Stimme erregte Zetsus Misstrauen, aber er ging nicht darauf ein. „Natürlich kenne ich sie. Ihr Meister gehört zum Zerstörungskomitee.“

Haben sie die Schule wegen Nozomu angegriffen?

Uruca lachte, als sie einen erneuten Angriff von Satsuki abwehrte. Die Schülersprecherin fluchte, als sie bemerkte, dass ihr Schutzschild immer schwächer wurde.

„Wir sollten das endlich beenden!“, rief Uruca. „Ich habe noch etwas anderes vor.“

Ihr Angriff kam für Satsuki zu schnell. Ein taubes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Nur widerwillig senkte sie den Blick. Sie spürte keinen Schmerz, aber ein aufsteigendes Gefühl von Übelkeit, als sie die Klinge in ihrer Brust sah.

„Satsuki-senpai!“

Nozomis Kreischen klang in der Sporthalle wieder. Sie erreiche die Schülersprecherin, nur um ungläubig auf die Verletzung zu starren. „Senpai, nein! Nicht sterben!“

„Nozomi-chan... lauf weg...“

Nozomu blieb einige Schritte von ihnen entfernt stehen. Uruca sah nur zufrieden lächelnd auf Satsuki und behielt das Schwert immer noch in der Brust ihrer Feindin.

Tränen liefen über Nozomis Gesicht. „Senpai! Senpai!“

Bevor einer der anderen etwas tun konnte, schloss Nozomi ihre Hände um die Klinge. Blut tropfte herunter, als die Waffe in ihre Handflächen schnitt. Uruca, Satsuki und Nozomu starrten überrascht und schockiert auf das Mädchen, das Zentimeter für Zentimeter das Katana aus dem Körper der Schülersprecherin zog.

Eine Aura, so bekannt und doch völlig unbekannt, hüllte Nozomi ein, ihre Augen waren leer, aber ihr Gesicht zeugte von Entschlossenheit. „Niemand... tötet... meine... Freunde!“

Die Worte kamen nur zögerlich heraus, als ob sie bei jedem einzelnen nachdenken müsste, ob es das richtige ist, aber trotz allem lag so viel Nachdruck in ihrer Stimme, dass Nozomu zurückwich.

Mit einem Ruck zog Nozomi die Klinge endgültig aus Satsukis Brust.

„Nozomi-... chan...“

Die Schülersprecherin brach zusammen.

Uruca wich ebenfalls zurück. „Wer bist du!?“

Nozomi fixierte sie mit ihren leeren, furchteinflößenden Augen. „Ich werde nicht zulassen, dass du meinen Freunden schadest!“

Ihre Stimme hatte sich geradezu in ein Kreischen verwandelt.

Eine Sense, größer als Nozomi, erschien direkt vor dem Mädchen. Rehme sog scharf die Luft ein. „Dieses Shinken...!“

„Kennst du es?“, fragte Nozomu abwesend.

„Vielleicht...“

Uruca schien es ebenfalls zu erkennen. Sie knurrte leise. „Verdammt! Damit habe ich nicht gerechnet. In Ordnung. Ihr habt diese Schlacht gewonnen, aber noch lange nicht den Krieg!“

Kaum war sie verschwunden, löste sich auch die Sense wieder auf – und Nozomi stürzte ebenfalls zu Boden.

„Nozomin!“

Nozomu ließ sein Shinken verschwinden und kniete sich neben sie. Was sollte er tun, wenn ihr etwas passierte? Was war überhaupt geschehen?

„Sie ist nur ohnmächtig“, beruhigte Rehme ihn lächelnd. „Das passiert oft, wenn der Orichalcum-Name erwacht.“

Nozomu atmete erleichtert aus – bis ihm etwas auffiel: „Nozomin hat auch einen?“

„Anscheinend“, sagte Rehme.

„Was ist das alles?“, fragte Leana plötzlich.

Sie stand direkt neben dem blonden Shinjuu und stieß eines deren Glöckchen an. Rehme schnaubte und brachte sich hinter Nozomu in Sicherheit.

„Vartanian, du warst doch noch da“, stellte Nozomu tonlos fest.

Sie nickte. Zetsu seufzte. „Nozomu, bleibst du hier bei den Mädchen? Ich bringe Leana nach Hause und erkläre ihr das alles ein wenig.“

Es gefiel ihm nicht, dass Leana das alles mitbekommen hatte, konnte aber nicht festmachen weswegen ihm das missfiel. Er nickte. „Klar, geht ruhig.“

Zetsu und Leana nickten und gingen davon.

Rehme runzelte ihre Stirn. „Irgend etwas ist an diesem Mädchen seltsam.“

„Das sage ich schon lange...“

Seine Gedanken wanderten wieder zu Nozomi, die immer noch vor ihm lag. „Rehme, haben alle Shinken-Träger einen Orichalcum-Namen?“

„Nein, so einfach ist das nicht. Der Orichalcum-Name wird auch Seinarukana genannt, das bedeutet Heiliger Name eines Gottes. Nur Menschen, die in ihrem letzten Leben ein Gott waren, besitzen so einen. Sie bekommen auch das Shinken aus ihrem früheren Leben.“

Er hob den Kopf und sah sie überrascht an. „Gott?“

Dann war ich auch...? Und Nozomi und Senpai und...?
 

„Du willst mir also erzählen, dass du mal ein Gott warst?“

Leana sah ihn unbeeindruckt und keineswegs überzeugt an. Zetsu hob die Schultern. „Du musst es mir nicht glauben, aber es ist so.“

Sie hatten es tatsächlich geschafft, sich von dem Schulgelände zu schleichen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit daran gelegen hatte, dass Satsuki ohnmächtig in der Sporthalle lag.

„Wenn du meinst. Und was ist mit denen, die ein Shinken, aber keinen solchen Namen haben?“

„Diese Leute haben ihr Shinken von jemand anderem bekommen, um dessen Ziele zu verfolgen. Aber ich glaube, die meisten Träger in dieser Stadt haben auch einen Orichalcum-Namen.“

Ihr Blick wurde fragend. „Es gibt noch mehr Träger als euch?“

Zetsu nickte. „Jede Menge sogar. Aber ich kenne kaum welche. Man trifft sich so selten in unserem Metier.“

„Verstehe...“

Plötzlich lächelte sie. „Danke, dass du mich vorher gerettet hast.“

„Ah, keine Ursache. Ich konnte doch nicht zulassen, dass dieser Lakai dir etwas antut.“

„Weißt du, auch trotz dieser Sache bleibst du für mich der nervige Akatsuki~“

Sie grinste, was er zufrieden erwiderte. „Gut, gut. Ich würde es auch gar nicht anders wollen.“

Lächelnd liefen die beiden nebeneinander her, auf den Weg nach Hause, als ob die Ereignisse gar nicht stattgefunden hätten.

Ein Mädchen namens...

Mit Hilfe von Sanae, die ihn in der Turnhalle gefunden hatte, hatte er Nozomi und Satsuki auf die Krankenstation gebracht. Die anwesende Schwester hatte sich sofort um die beiden gekümmert und eine Erschöpfung diagnostiziert (lag ja nicht fern, bei dem Arbeitspensum der beiden), was Nozomu sehr gelegen gekommen war. Wie hätte er ansonsten den Kampf mit Uruca erklären sollen?

Satsukis Verletzung war zum Glück auch wieder verheilt, so dass von da keine Gefahr mehr bestand. Auch die Wunden an Nozomis Händen waren verschwunden. Nachdenklich saß er zwischen den beiden Betten und sah immer wieder von einer zur anderen.

Hoffentlich wachen sie bald wieder auf.

„Das wird schon. Die beiden sind immerhin zäh.“

Nozomi, ja. Aber Satsuki? Und wann lernen wir Nozomis Shinjuu kennen?

„Das kann noch eine ganze Weile dauern. Das Shinjuu zeigt sich nicht immer sofort.“

Ah, verstehe.

Sanae lächelte. „Du bist also immer noch mit Nozomi Nagamine befreundet. Früher wart ihr unzertrennlich. Trefft ihr euch auch noch mit Yumiko?“

Nozomu runzelte seine Stirn. „Mit wem?“

„Yumiko Arakawa“, erwiderte Sanae. „Sie war auch oft bei euch und ihr wart gemeinsam im Kindergarten und der Grundschule. Erinnerst du dich etwa nicht mehr an sie?“

Nozomu kramte in seinem Gedächtnis, aber er hatte schon Probleme, sich an seine Kindheit mit Nozomi zu erinnern. Alles, was vor dem Vorfall mit seinen Eltern lag, schien in einem dichten Nebel festzustecken, den er nicht durchdringen konnte.

Sanae seufzte. „Das ist schade. Die kleine Yumiko hatte dich richtig gern.“

„Wo ist sie denn heute?“, fragte Nozomu neugierig.

„Ich weiß nicht, ihre Familie zog nach der Sache mit deinen Eltern weg und ich hatte ja schon vorher keinen Kontakt zu ihnen.“

Er hörte, wie Rehme einen nachdenklichen Laut machte. „Ich erinnere mich an keine Yumiko – und ich war dein ganzes Leben lang bei dir.“

Was bedeutet das?

„Keine Ahnung...“

Sanae tätschelte Nozomus Kopf. „Ich muss dann mal los. Wir sehen uns noch, ja?“

„Du hast meine Nummer, oder?“

Sie nickte. „Ja. Bis dann.“

Winkend verließ sie die Krankenstation.

Nozomu lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verfiel wieder in Gedanken.

Sanae erinnerte sich offensichtlich an eine Person, die weder er noch Rehme kannten. Und keiner der beiden wusste, was das zu bedeuten hatte. Hatten nur sie beide dieses Mädchen vergessen? Oder gab es dieses Mädchen gar nicht? Vielleicht hatte Sanae sich auch geirrt.

Eine Bewegung von Nozomis Bett unterbrach seine Gedanken. Er sah hinüber und entdeckte, dass sie aufgewacht war und sich fragend umsah. „Nozomu-chan?“

Er lächelte. „Wie geht’s dir?“

„Ich bin ein wenig... müde. Was ist passiert?“

Nozomu sah sich um, aber die Krankenschwester war schon wieder in ihre Arbeit vertieft, so dass er ihr antworten konnte: „Rehme sagt, dass dein Orichalcum-Name erwacht ist. Du hast jetzt auch ein Shinken – ein ziemlich großes.“

Zuerst sah sie ihn besorgt an, doch ihr Blick wandelte sich schnell in Freude. „Dann bedeutet das ja, dass ich dich ab sofort beschützen kann!“

„Was?“, fragte er überrascht.

Nozomi strahlte geradezu. „Ich habe mir immer gewünscht, dich beschützen zu können. Jetzt kann ich das.“

Überglücklich klammerte sie sich an seinen Arm. Lächelnd tätschelte er ihren Kopf. „Ja, jetzt kannst du das.“

Er zweifelte noch daran, dass sie das wirklich schaffen würde, aber wenn es ihr ein solches Anliegen war, würde er ihr von seinem Zweifel nichts erzählen.

„Was ist mit Senpai?“

Besorgt sah sie auf das andere Bett hinüber.

„Ihr geht’s gut“, antwortete Nozomu. „Sie wird bestimmt auch bald wieder aufwachen.“

Nozomi atmete erleichtert aus. „Ich bin froh. Niemand darf meine Freunde töten.“

Ihr Blick verriet Entschlossenheit, was ihr eigentlich... gut stand, wie Nozomu fand. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, rührte Satsuki sich und setzte sich auf. „Mhm, wo bin ich?“

„Senpai!“, rief Nozomi glücklich.

Die Schülersprecherin sah zu ihr hinüber. Die Erinnerung kehrte wieder zurück. „Nozomi-chan... du hast mich gerettet?“

Das Mädchen nickte. Satsuki schluckte. „D-danke... vielen Dank.“

„Du musst dich nicht bedanken“, sagte Nozomi. „Ich habe das gern gemacht. Immerhin sind wir Freunde.“

Satsuki runzelte nachdenklich ihre Stirn. „Freunde... ja, wahrscheinlich...“

Nozomu sah zwischen beiden hin und her.

Hoffentlich werden sie jetzt endlich wieder Freunde.

„Ganz bestimmt! Satsuki wird ihr das bestimmt nicht vergessen.“
 

Den Sonntag verbrachte Nozomu gemeinsam mit Nozomi bei ihren Eltern. Sie waren zwar alle enttäuscht gewesen, dass das Konzert ausgefallen war, aber Satsuki und der Direktor hatten noch am Abend zuvor versichert, dass es nachgeholt werden würde.

Als sich Schweigen unter ihnen ausbreitete, beschloss Nozomu, ein Thema anzuschneiden, das ihn seit gestern nicht mehr losgelassen hatte: „Ähm, erinnert ihr euch an Yumiko Arakawa?“

Nozomis Gesicht verfinsterte sich für einen Moment, doch ihre Miene hellte sich schlagartig wieder auf. „Natürlich. Yumiko ist eine Freundin von uns. Erinnerst du dich nicht mehr an sie?“

Er schüttelte mit dem Kopf. Yuzuki sah ihn traurig an. „Arme kleine Yumiko. Sie freut sich schon so sehr auf dich...“

„Huh?“

„Ich habe noch Kontakt zu ihr“, sagte Nozomi. „Per Brief. Und sie freut sich schon darauf, dich im Sommer zu sehen, wenn wir sie besuchen gehen.“

Yuzuki trat an eine Kommode und holte ein Bild hervor, das sie Nozomu reichte. „Das hier seid ihr. Erinnerst du dich wirklich nicht mehr daran?“

Nachdenklich betrachtete er das Bild. Es zeigte ihn, Nozomi und ein braunhaariges Mädchen. Er erinnerte sich an sich selbst als Kind und auch an die kleine Nozomi – aber das andere Mädchen kam ihm absolut nicht bekannt vor, egal wie sehr er darüber nachdachte.

„Ich kenne sie nicht“, meldete Rehme sich. „Nie gesehen. Was ist mir?“

Mir geht es genauso. Aber alle anderen erinnern sich an sie... Komisch.

„Lass uns später mit Salles darüber reden, ja?“

Gut, wenn es sein muss.

„Du kannst das Bild behalten“, sagte Yuzuki lächelnd. „Vielleicht hilft es dir ja, dich wieder an sie zu erinnern.“

„Vielen Dank.“

Sie setzte sich wieder. Damit ging das Gespräch mit einem neuen Thema weiter.
 

Leana seufzte genervt, während sie an der Uferpromenade auf und ab lief.

„Wo bleibt der Kerl denn?“, murmelte sie. „Er ist ohnehin schon viel zu spät.“

„Ganz schön ungeduldig“, bemerkte der Junge, der plötzlich neben ihr stehenblieb.

Sie wandte sich ihm zu. Die weißen Haare und die rötlich schimmernden braunen Augen sagten ihr, dass es die Person war, auf die sie gewartet hatte. „Da bist du ja endlich, Shun. Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf.“

„Reg dich mal nicht so auf“, beschwichtigte er sie. „Ich bin gut in der Zeit. Für deine Ungeduld kann ich auch nichts.“

Sie schnaubte. „Lass das endlich. Und diesen lächerlichen Ohrring trägst du auch noch!“

Damit deutete sie auf den silbernen Stecker, den er in seinem linken Ohr trug. Er zuckte mit den Schultern. „Was kümmerts dich? Also wie läufts mit Akatsuki?“

„Ich hab ihn um den Finger gewickelt“, antwortete sie. „Was hast du auch anderes erwartet? Er ist so berechenbar, auch wenn er gern so tut als ob er das nicht ist.“

Shun lächelte zufrieden. „Klingt gut. Setoki haben wir auch bald am Wickel, die Operation ist gestern bereits angelaufen.“

Leana verschränkte die Arme vor der Brust. „Verstehe. Gut. Ihr seid euch sicher, dass er der Schlüssel ist? Er wirkt gar nicht so.“

Shun grinste. „Vertrau mir. Setoki, Akatsuki und Motou, das sind die drei, die wir brauchen.“

Sie hob eine Augenbraue. „Motou? Warum?“

„Das hat dich nicht zu interessieren. Du wirst das ohnehin noch früh genug feststellen – wenn du so lange noch lebst.“

Leana knurrte leise. Sie musste sich schwer zusammenreißen, um ihn nicht direkt wieder anzufauchen. So schwer es ihr auch fiel es zu akzeptieren, aber Shun hatte ein wenig mehr Einfluss – und sein Shinken war stärker als ihres. Außerdem hatte man ihr gesagt, dass er ebenfalls sehr temperamentvoll war und wenn er erst einmal ausflippte, kriegte er sich nicht so schnell wieder ein. Das war nichts, was Leana freiwillig erleben wollte – zumindest noch nicht.

„Wie lange wird das alles eigentlich dauern?“, fragte Leana.

„Noch eine Weile“, antwortete Shun. „Sei ein wenig geduldiger, sonst wirst du wirklich nicht alt. Obwohl... das soll ja auch keiner werden.“

Er lachte. „Na dann, wir sehen uns in zwei Wochen wieder. Falls davor was ist, weißt du ja, wie du mich erreichen kannst.“

Leana nickte und verabschiedete sich von ihm.

Als die beiden weg waren, tauchte Aselia gemeinsam mit einem schwarzhaarigen Jungen aus dem Gebüsch auf.

„Puh, noch länger und mir wären die Füße eingeschlafen“, jammerte er.

„Alles in Ordnung, Meister?“, fragte Aselia besorgt.

„Ja, schon gut. Jedenfalls kennen wir jetzt die Zielpersonen des Zerstörungskomitees. Wir müssen also nur noch aufpassen, dass ihnen nichts passiert.“

Aselia nickte zustimmend und verschwand. Ihr Meister streckte sich, bevor er den Weg zu seiner Arbeit begann.
 

Nach dem Abendessen bat Nozomu Salles um eine Unterhaltung. Die Sache mit Yumiko ließ ihn nicht los und der Gelehrte wusste vielleicht irgendetwas, was ihm weiterhelfen konnte.

Salles runzelte seine Stirn, als er Nozomus Geschichte gehört hatte. „Yumiko Arakawa... und du erinnerst dich wirklich nicht an sie?“

Der Braunhaarige schüttelte den Kopf. Rehme, die auf seine Schulter saß, tat es ihm nach. „So eine Person gibt es in Nozomus Leben nicht und gab es auch nie. Das müsste ich wissen.“

Salles lächelte. „Wenn du das sagst, dann ist es mit Sicherheit auch so. Die menschliche Erinnerung kann man beeinflussen, aber die eines Shinjuu nicht.“

„Aber WER kann die menschliche Erinnerung so beeinflussen? Es ist ja nicht nur die von Sanae-san, sondern auch die der Nagamines. Dazu noch das Bild und ich wette, dass Nozomi auch jede Menge Briefe von dieser Yumiko hat, wenn man sie danach fragt.“

Salles schwieg. Nozomu hatte das sichere Gefühl, dass er etwas wusste, es aber nicht sagen wollte.

„Salles-sama?“, fragte Rehme schließlich.

Erschrocken sah er auf. „Hmm?“

„Wisst Ihr etwas?“, fragte sie weiter.

„Vielleicht“, antwortete er ausweichend. „Aber ich bin mir noch nicht sicher. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob diese Person noch lebt.“

Er sah plötzlich betrübt, fast schon traurig, aus. Rehme legte den Kopf schräg. „Ihr kennt so jemanden also? Aber warum sollte das jemand tun?“

Salles schob seine Brille zurück. „Wenn es die Person ist, die ich im Kopf habe, dann wollen sie Nozomu damit auf ihre Seite ziehen.“

„Warum?“, fragte der Braunhaarige. „Was ist so besonders an mir, dass man mich unbedingt auf seiner Seite haben will?“

Wieder schwieg Salles für einen Moment, bevor er antwortete: „Shinken-Träger mit Orichalcum-Namen sind um einiges wertvoller als die ohne. Sie sind um einiges stärker und haben durch ihr früheres Leben auch mehr Kampferfahrung.“

Nozomu hatte erneut das Gefühl, dass der Mann ihm etwas verschwieg, etwas sehr Wichtiges. Aber er wusste auch nicht, wie er ihn zum Reden bringen sollte, also beließ er es beim Schweigen.

Plötzlich seufzte Salles. „Wenn du diese Yumiko Arakawa also treffen solltest, sei vorsichtig. Sie wurde höchstwahrscheinlich vom Zerstörungskomitee geschickt. Vertrau ihr nicht, egal was sie sagt.“

Nozomu nickte.

Und wie soll ich euch vertrauen? Ihr verschweigt mir auch einiges.

Salles schien seine Gedanken zu erraten. „Mir ist klar, dass du weißt, dass wir auch nicht uneingeschränkt ehrlich zu dir sind. Aber ich verspreche dir, dass wir das nur machen, weil wir das Beste für dich wollen.“

„Woher wollt ihr wissen, was das Beste für mich ist?“

„Nozomu, du wirst es verstehen, sobald du davon gehört hast.“

„Von was denn!?“, brauste er auf. „Ich verstehe gar nichts! Aber nur weil ihr mir auch gar nichts erzählt! WAS wollen die von mir!? Warum haben sie sogar meine Eltern getötet!?“

Salles presste während Nozomus Ausfall die Lippen aufeinander. Rehme erschrak sichtlich und flog von seiner Schulter weg. „Nozomu...“

„Ich will endlich eine Antwort!“, verlangte er.

Seufzend stützte Salles seine Ellenbögen auf den Tisch und faltete seine Hände. „Ich kann dich verstehen. Aber es ist noch nicht die Zeit, um dir alles zu erzählen. Doch du kriegst etwas von mir, einen Namen.“

Gespannt sah Nozomu ihn an. Salles erwiderte den Blick ernst und sagte nur ein Wort: „Jiruol.“

Der Name löste etwas in dem Jungen aus, er hatte ihn schon einmal gehört, vor langer Zeit.

„Mehr kann ich dir noch nicht sagen, aber du wirst noch hinter alles kommen, ganz sicher.“

Nozomu nickte langsam. Er stand auf. „Gute Nacht, Salles.“

„Gute Nacht, Nozomu.“

Er verließ das Büro und blieb stehen.

Jiruol... was fange ich jetzt nur mit diesem Namen an?

Auf der anderen Seite

Ein lautes Klopfen an der Tür weckte ihn aus seinen Träumen. Direkt danach folgte eine Stimme: „Yuuto, steh auf! Frühstück ist fertig!“

Der schwarzhaarige Junge erhob sich schlaftrunken aus seinem Bett. „Ich komme schon, Kaori.“

Er gähnte laut. Immer so früh aufstehen... ich komme mir vor als wäre ich gerade erst ins Bett gegangen...

Er zog sich seine Schuluniform (eine blaue Hose, ein weißes Hemd und ein blaues Jackett) an und ging ungekämmt in die Küche hinüber. Das braunhaarige Mädchen sah ihn lächelnd an. „Guten Morgen, Yuuto. Hast du gut geschlafen?“

Ihre violetten Augen glitzerten fröhlich, während sie den Tisch deckte. Sie trug ebenfalls bereits ihre Schuluniform, hatte jedoch eine Schürze übergezogen, damit ihre Uniform beim Kochen nicht schmutzig wurde.

Er lächelte „Gute Morgen, Kaori. Na ja, es ging. Und du?“

„Ich habe sehr gut geschlafen.“

Yuuto setzte sich und beobachtete Kaori dabei, wie sie das restliche Frühstück zubereitete.

Seit zwei Jahren wohnte er nun allein mit ihr. Seine Adoptiveltern (Kaoris leibliche Eltern) waren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, seine leiblichen Eltern waren vor fünf Jahren bei einem Autounfall gestorben. Nach dem Tod der Takamines hatte man die beiden Adoptivgeschwister wieder trennen wollen, doch die beiden hatten sich erbittert widersetzt. Sie lebten nach wie vor im Haus von Kaoris Eltern und es ging ihnen gut. Auch wenn Yuuto oft arbeiten gehen musste, um sie über Wasser zu halten, während Kaori sich um den Haushalt kümmerte.

Aber solange sie beide zusammen sein konnten, kümmerten sie sich nicht um die Hürden, die sie dafür überwinden mussten. Sie waren zwar nicht blutsverwandt, aber sie fühlten sich verbunden wie echte Geschwister, wenn nicht sogar noch mehr.

Schließlich setzte Kaori sich ihm gegenüber. „Guten Appetit, Yuuto.“

„Danke, dir auch.“

Schweigend begannen die beiden zu essen. Trotz ihres jungen Alters konnte Kaori bereits außerordentlich gut kochen, fand Yuuto. Besser als er auf jeden Fall und dass es ihr Spaß machte war noch einmal umso besser. In seinen Jobs musste Yuuto oft Dinge machen, die ihm keinen Spaß bereitete, aber solange es Geld dafür gab, war ihm das egal.

Mitten ins Frühstück platzte plötzlich ein blauhaariges Mädchen herein. „Kaori-chan! Yuuto-san! Guten Morgen!“

„Guten Morgen, Kotori“, sagten beide einstimmig.

Wie selbstverständlich setzte das Mädchen sich an den Tisch und nahm sich ebenfalls etwas zu essen. Eigentlich war es auch schon selbstverständlich. Kotori wohnte in der direkten Nachbarschaft und da sie jeden Morgen gemeinsam mit ihnen zur Schule ging, hatte es sich irgendwann ergeben, dass sie nach dem Frühstück bei sich zu Hause, noch bei ihnen zu essen kam.

„Kaori, hast du die Hausaufgaben gemacht?“, fragte sie zwischen zwei Bissen.

„Aber natürlich“, antwortete das Mädchen. „Du hast sie mal wieder nicht gemacht, hm?“

Verlegen lächelnd schüttelte sie den Kopf. Kaori seufzte missbilligend. „Du solltest endlich lernen, sie selbst zu machen.“

„Ich weiß, ich weiß~ Tut mir auch Leid. Nur noch ein Mal~“

„Okay, von mir aus.“

Yuuto lächelte leicht. Typisch Kaori. Sie gibt eben immer nach. Das wird sie auch beim nächsten Mal machen.

Erneut öffnete sich die Tür. Ein braunhaariges Mädchen in Yuutos Alter und mit Schuluniform kam herein. Ihr kurzgeschnittenes Haar stand nach oben ab. „Seid ihr noch nicht fertig?“

„Nein, tut mir Leid“, entschuldigte Yuuto sich sofort. „Setz dich doch, Kyoko.“

Sie legte ihre Tasche ab und setzte sich seufzend. „Jeden Morgen dasselbe mit euch.“

„Wenn du doch schon weißt, dass es jeden Morgen so ist, warum kommst du dann nicht später?“, fragte Yuuto sie.

Sie antwortete darauf nicht.

Der Rest des Frühstücks verlief schweigend, anschließend räumten Kaori und Yuuto den Tisch ab, während Kotori so gut es ging die Hausaufgaben abschrieb und Kyoko die Schultasche des Jungen durchwühlte, um zu sehen, ob er alles eingepackt hatte.

„So, alles bestens~“, verkündete sie, als sie fertig war. „Ausnahmsweise ist tatsächlich mal alles drin. Kann ja nicht angehen, dass du immer was vergisst.“

Yuuto schnitt ihr eine Grimasse, ging aber nicht weiter darauf ein.

Als Kaori und Kotori fertig waren, ging die kleine Gruppe los, um zur Schule zu gehen. Für die Anwohner war der Anblick der Gruppe nichts Außergewöhnliches mehr, stattdessen wurden sie von den meisten gegrüßt, bis sie an einer Straßenecke am Ende der Straße noch einen Mitschüler von Yuuto trafen. „Guten Morgen, Kouin.“

Er lachte. „Guten Morgen allesamt.“

Kouin Midori hatte dunkelblondes Haar und Bartstoppeln am Kinn. Der Punkt auf seiner Stirn und die Perlenkette um seinen Hals zeigten an, dass er ein Buddhist war – was aber keinen Unterschied für seine Freunde machte.

Gemeinsam setzten sie ihren Weg bis zur Akiyama-Highschool, einige Straßen weiter, fort.

Die anderen Schüler schwärmten ebenfalls auf das Schulgelände, inmitten der anderen Unterstufler entdeckten Kaori und Kotori ihre Freunde und stürmten davon, um sich ihnen anzuschließen.

Yuuto dagegen entdeckte Baila, die mit gesenktem Blick ebenfalls auf das Schulgelände lief. Das Mädchen war seit einem Jahr bei ihnen auf der Schule, aber seit einiger Zeit benahm sie sich völlig anders als zuvor. Er fragte sich, was wohl mit ihr geschehen war, aber andererseits interessierte es ihn auch nicht, immerhin kannte er sie nicht wirklich. Er kannte nicht einmal ihren Nachnamen, er wusste nur, dass sie in derselben Klasse wie Shun war. Allein bei dem Gedanken an Shun stieg wieder Wut in ihm auf.

Es gab keinen festen Grund, aber er hasste diesen Jungen, der auch noch mit Kaori befreundet war, wie die Pest. Es passte perfekt, dass sie beide in völlig unterschiedlichen Lagern waren. Als er wieder daran dachte, sah er Kyoko und Kouin an. „Kann ich vor dem Unterricht noch mit euch reden?“

„Worum geht es?“, fragte sie.

„Um die Arbeit. Es dauert eine Weile, bis wir wieder mal eine Versammlung haben, also sollten zumindest wir drei uns mal unterhalten.“

Die beiden nickten. Zusammen begaben sie sich in den Raum des Schülerbeirats, in dem vor der Schule sonst niemand war. Kyoko, als Schulsprecherin, besaß den Schlüssel dafür, so dass sie ihn jederzeit betreten konnten, um unter sechs Augen miteinander zu reden. Sie setzten sich.

„Also, worum geht es?“, fragte Kouin.

„Aselia und ich haben am Wochenende ein Treffen von Shun und Leana belauscht.“

Kyoko runzelte ihre Stirn. „Leana ist die... Rose, nicht?“

„Ich glaube schon“, antwortete Yuuto. „Jedenfalls haben sie davon geredet, dass sie drei Leute brauchen.“

Er hob die Hand und zeigte drei Finger. „Setoki, Akatsuki und Motou.“

Während er die Namen nannte, tat er so als würde er sie an seiner Hand abzählen. Kouin und Kyoko sahen sich ratlos an. „Also wir kennen keinen von denen...“

Yuuto legte seine Stirn in Falten. „Ich kenne zwar einen Akatsuki, aber ich weiß nicht, ob das derselbe ist. Er arbeitet hin und wieder gemeinsam mit mir.“

„Vielleicht kann Orupha ihn mal ausspionieren~“, schlug Kyoko vor. „Wenn er zu den Gesuchten gehört, hat er wahrscheinlich ein Shinken und ein Shinjuu.“

Yuuto lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. „Wahrscheinlich... Aber wir müssten auch wissen, wo er wohnt. Ich nehme nicht an, dass er im Telefonbuch steht.“

Ein rothaariges Mädchen erschien plötzlich im Raum. Zwei gelbe Schlafen in ihrem Haar bändigten ihre Mähne, ihre rosa Kleidung ließ an die eines Lakaien denken Sie lachte vergnügt und entblößte dabei ihre strahlend weißen Zähne. „Überlass das nur mir. Ich werde ihn schon finden.“

„Bist du sicher?“, fragte Yuuto besorgt.

Kyoko pumpte Luft in ihre Backen. „Wofür hältst du Orupha!? Natürlich schafft sie das!“

Yuuto zuckte zurück und hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. Also kümmere dich darum, Orupha.“

Sie lachte noch einmal. „Na klar!“

Anschließend verschwand sie wieder genauso plötzlich wie sie gekommen war.

Orupha und Kyoko waren sich ausgesprochen ähnlich, sowohl vom Verhalten als auch vom Temperament. Manchmal fragte Yuuto sich, ob er diese Ähnlichkeiten auch zu Aselia aufwies. Aber er würde mit Sicherheit keinen der anderen beiden fragen.

„Was machen wir, bis Orupha fertig ist?“, fragte Kouin.

„Wir sollten versuchen, herauszufinden, was die mit den Dreien vorhaben – und wer die anderen beiden sind“, antwortete Yuuto.

Obwohl er sich selbst nicht als Anführer sah, wurde er von den anderen beiden als solcher betrachtet. Immerhin hatte er sein Shinken als erster bekommen, wenngleich er nicht darum gebeten hatte. Aber nun war nicht die Zeit, um darüber nachzudenken.

„Fragt sich nur, wie wir das machen“, meinte Kyoko nachdenklich.

Die drei versanken in brütendes Schweigen, nur unterbrochen von leisen Seufzern, die Kyoko hin und wieder ausstieß.
 

Vorsichtig löste Baila sich von der Tür. Nachdenklich wich sie einige Schritte zurück. Nozomu, Zetsu und Suzume werden vom Zerstörungskomitee gesucht? Aber warum?

Sie drehte sich um und fuhr mit einem leisen Schrei wieder zurück. Shun sah sie schmunzelnd an. „Na, Rotauge? Was stehst du hier rum? Solltest du nicht im Klassenzimmer sein?“

Baila antwortete nicht, was ihn offensichtlich wütend machte. Er griff nach ihrem Handgelenk.

„Ich habe dich etwas gefragt!“, zischte er.

Hastig riss sie sich von ihm los. „Ich heiße Baila Vays... nicht Rotauge...“

„Was kümmert mich das?“

Er trat noch einen Schritt auf sie zu. „Du lungerst mir entschieden zu oft irgendwo in der Gegend herum. Kann es sein, dass du ein wenig neugierig bist?“

Sie duckte sich unter seinem ausgestreckten Arm weg, um auf die andere Seite zu kommen. „Ich muss zum Unterricht!“

Hastig wollte sie weglaufen, doch Shun griff erneut nach ihrem Handgelenk. „Warte doch mal! Ich bin noch nicht fertig mit dir! Warum lungerst du immer in der Gegend dieser drei Verlierer herum?“

Statt zu antworten, versuchte sie wieder, sich aus seinem Griff zu winden. Plötzlich öffnete sich die Tür zum Schülerbeiratsraum. Yuuto knurrte Shun an. „Was tust du da?!“

„Was denkst du denn!?“, zischte der Weißhaarige.

Bevor der Streit der beiden richtig anfangen oder gar eskalieren konnte, ging ein Lehrer dazwischen. „Schluss jetzt! Ab in eure Klassenzimmer, ihr alle!“

Shun schnaubte. „Nochmal Glück gehabt, Takamine.“

Er fuhr herum und ging in sein Klassenzimmer davon. Baila nickte Yuuto leicht zu, dann folgte sie ihm. Yuuto sah seine beiden Freunde an. „Gehen wir auch.“

Gemeinsam gingen sie in Richtung ihres Klassenzimmers.

Hoffentlich findet Orupha etwas über Akatsuki heraus...
 

Im Minami-Bezirk war der Gesuchte damit beschäftigt, seine Englischstunde zu überleben. Isolde schien es an diesem Tag besonders auf ihn abgesehen zu haben, was dazu führte, dass er bei quasi jeder Frage aufgerufen wurde, selbst wenn er keine Ahnung von der Antwort hatte.

Vielleicht lag es aber auch daran, dass er die ganze Zeit desinteressiert aus dem Fenster oder zu Leana hinübersah, was der Lehrerin gar nicht zu gefallen schien.

Kurz vor Ende der Stunde jedoch gab es noch etwas, ihn irritierte – er fühlte sich beobachtet. Aber nicht so wie sonst. Er war es gewohnt, dass die Mädchen, die hinter ihm saßen, ihn anstarrten, aber diesmal spürte er die stechenden Blicke nicht in seinem Rücken, sondern in seiner Seite.

Fragend sah er zur Seite und zuckte zusammen. Ein rothaariges Mädchen saß auf dem Boden und starrte ihn grinsend an. Keiner der anderen schien sie zu bemerken.

Sie zeigte auf ihn. „Akatsuki?“

Er antwortete nicht, aber das musste er auch nicht, denn Isolde nahm es ihm ab: „Akatsuki! Sag du uns doch die Antwort auf diese Frage.“

Hastig stand er auf, das Mädchen kicherte. „Also bist du es, der silberne Tagesanbruch.“

Für einen Moment hatte Zetsu den Eindruck, dass Isolde das Mädchen ebenfalls sehen konnte, aber sie ging nicht weiter darauf ein und klopfte dagegen an die Tafel. „Also, Akatsuki?“

„Da muss ich schnell nachdenken...“

„Aber bitte ganz schnell“, forderte Isolde, was seinem Denkprozess nicht unbedingt weiterhalf.

Das rothaarige Mädchen sprang lachend auf und verschwand, indem sie sich in rotes Mana auflöste.

Zetsu seufzte leise, Isolde schmunzelte. „Zu schwer für dich, Akatsuki?“

„Äh, nein, Ma'am, ich bin nur ein wenig abgelenkt.“

„Dann setz dich lieber wieder~“

Die Jungen lachten verstohlen, als Zetsu sich wieder hinsetzte. Leana warf ihm nur einen spöttischen Seitenblick zu. Nachdenklich starrte er an die Tafel. Wer war die Kleine? Ein Shinjuu? Und was wollte sie von mir? Puh... das ist alles so kompliziert.

Urlaubspläne

Zwei Wochen nach dem Vorfall mit dem fremden Shinjuu war immer noch nichts passiert, weswegen Zetsu sich keine Gedanken mehr darum machte. Dafür hatte Zetsu einen neuen Kollegen in seinem Café bekommen, den er schon von verschiedenen anderen Jobs kannte und der sich auffällig um seine Freundschaft bemühte. Aber er konnte dem Silberhaarigen nichts vormachen, immerhin wusste dieser genau, wie es war, wenn man sich wegen eines höheren Plans mit jemandem anzufreunden versuchte.

Genussvoll streckte er sich auf dem Schuldach. „Awww~ nur noch eine Woche, dann sind Sommerferien.“

„Endlich“, stimmte Suzume zu. „Ich habe das Gefühl, dass ich hier noch schmelze.“

Zetsu lachte. „Ich werde dann bei meinen Jobs weiterschmelzen.“

„Du wirst in den Ferien arbeiten?“, fragte Nozomi.

Er nickte. „Mehr als sonst sogar. In der Ferienzeit verdiene ich immer das meiste, so dass ich außerhalb auch mal weniger arbeiten kann.“

„Akatsuki ist so fleißig!“, bemerkte Rehme.

In ihrer Stimme klang unverhohlene Bewunderung.

„Das wäre mir alles zu stressig“, bemerkte Nozomu. „Ich bin froh, dass ich nicht arbeiten muss. Warum wohnst du nicht auch im Wohnheim?“

Zetsu fegte die Frage beiseite, wie üblich ohne sie zu beantworten. „Was macht ihr in den Ferien?“

Nozomi lächelte. „Am Sea Day werden Nozomu-chan und ich an die Küste fahren.“

Der Braunhaarige sah sie überrascht an. „Was? Davon weiß ich noch gar nichts.“

„Oh, das wollte ich dir noch erzählen! Wir werden Yumiko besuchen – und im Meer schwimmen gehen. Ich freue mich schon das ganze Jahr darauf.“

Sie lächelte glücklich. Ja, es war wirklich eindeutig, dass sie sich darauf freute.

Nozomu wusste nicht, was er darüber denken sollte. In einer Woche würde er also diese ominöse Kindheitsfreundin kennenlernen. Er war gespannt, aber gleichzeitig hatte er auch ein wenig Angst.

„Wer ist Yumiko?“, hakte Zetsu nach.

„Eine alte Freundin von uns“, antwortete Nozomi. „Sie ist weggezogen, hat uns im Sommer aber zu sich eingeladen.“

Nozomu seufzte lautlos. Er erinnerte sich noch immer nicht an dieses Mädchen, genausowenig wie Rehme. Hoffentlich war das nicht nur eine Falle – von wem auch immer.

Salles sprach auch immer nur in Rätseln und war keine große Hilfe. Dann war da noch der Name Jiruol, mit dem Nozomu auch nichts anfangen konnte. Und egal wen er fragte, niemand konnte ihm eine Antwort darauf geben. Auch wenn er das Gefühl hatte, dass Rehme etwas vor ihm verbarg.

„Gar nicht wahr!“, erwiderte sie sofort in seinen Gedanken.

Beweis mir das Gegenteil.

„Vergiss es.“

„Was machst du in den Ferien, Suzu-chan?“, fragte Nozomu das Mädchen.

Sie legte den Kopf schräg. „Wenn ich mir meine Noten ansehe: Sehr, sehr viel lernen. Ich werde Salles-sama fragen, ob er mir helfen kann, bis der Nachhilfeunterricht in der Schule anfängt.“

Der Braunhaarige schauderte, als er daran dachte, sich von diesem strengen Mann Mathe beibringen zu lassen oder Englisch. Wobei er bestimmt das Wissen dafür hatte.

„Klingt aber nicht sehr aufregend“, kommentierte Zetsu.

„Immer noch besser als arbeiten“, erwiderte sie.

„Alles in allem haben also nur Nozomu und Nozomi schöne Ferien“, folgerte der Silberhaarige, doch sein Freund schüttelte sofort seinen Kopf. „Nicht wirklich. Denk daran, dass wir auch noch nächtliche Schicht haben und dann ist da noch die Kendo-Meisterschaft im August – und der Nachhilfeunterricht.“

„Gehst du da etwa hin?“, fragte Zetsu irritiert.

Nozomi lachte leise. „Salles-sama hat alle, die im Wohnheim wohnen dafür angemeldet.“

„Zum Glück wohne ich da nicht...“, murmelte er leise. „Ich würde ja eingehen.“

„Ich bin auch nicht begeistert“, stimmte Nozomu zu. „Aber so schlimm wird es schon nicht werden.“

„Wenn du meinst...“

Zetsu zuckte nur mit den Schultern. „Also, wer hat heute Nacht Dienst?“

Nozomu hob die Hand. „Ich und -“
 

„Nozomi, alles okay?“

Sie nickte, aber ihr schweres Atmen und ihre zusammengekrümmte Haltung verrieten das Gegenteil. Aufmunternd klopfte er ihr auf die Schulter. „Am Anfang ist es immer ziemlich anstrengend. Aber mit der Zeit wird das schon.“

Sie saßen im verlassenen Hinterhof einer Firma, der von der Straße aus nicht einsehbar war.

Nozomi trug ein knielanges schwarz-grünes Kleid in einem Stil, den Nozomu sonst nur aus Western-Filmen kannte. Es stand ihr sehr gut, wirkte aber in Verbindung mit ihrer Sense, die noch größer war als sie, ein wenig... seltsam.

Rehme saß auf Nozomus Schulter. „Dabei ist heute gar nichts Anstrengendes passiert. Ihr habt euch nur die Stadt angesehen. Ich habe das Gefühl, dass die Lakaien ein wenig zurückhaltender sind, seit einige bereits mit Nozomu aneinandergeraten sind.“

„Ich frage mich, warum...“

Er runzelte seine Stirn, Rehme zuckte aber nur mit ihren Schultern. „Keine Ahnung. He, Nozomi, ich habe eine tolle Idee~“

„Wechsle nicht das Thema!“, warf er ein, aber sie hörte ihm nicht zu.

„Was denn für eine?“, hakte Nozomi nach.

„Zeig uns doch mal dein Shinjuu!“

Das Mädchen nickte lächelnd. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Im nächsten Moment erschien ein kleines ovales Wesen, es hatte zwei winzige Füße, eine Flosse und zwei seltsam missgebildete Flügel, die mehr Spiralen ähnelten. Es war weiß, mit grünen Streifen auf dem Rücken, die blauen Augen glitzerten, es stieß einen fröhlichen Schrei aus: „Kueeeeee!“

Nozomu musste sich zusammenreißen, nicht loszulachen.

Es ist hässlich.

„Und dick...“, stimmte Rehme zu.

Nozomi dagegen schien von dem Wesen begeistert zu sein. „Awww, es ist so süß!“

„Äh... ja. Und wie heißt es?“, fragte Nozomu.

„Ich habe überlegt, es Monobe zu nennen“, antwortete sie.

Rehme hob eine Augenbraue. „Weswegen?“

„Weil es in der Monobe-Akademie ja erwacht ist, verstehst du?“

Nozomu nickte.

Ist trotzdem ein blöder Name.

„Jedenfalls sehr... seltsam.“

Warum durfte ich dich nicht umbenennen?

„Das hättest du wohl gerne, ich bin nicht so wie dieses Monobe.“

Er wusste nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte, aber er ersparte sich jeden weiteren Kommentar, bevor es wieder zu einem Streit kommen konnte.

Nozomi räusperte sich. „Jedenfalls... Nozomu-chan, du hast gesagt, dass es am Anfang schwer ist – wird es also noch leichter?“

Er nickte. „Mit der Zeit schon. Je mehr du dich an dein Shinken gewöhnst desto leichter wird dir das Ganze fallen.“

„Das macht mir Angst“, meinte sie leise.

Noch einmal klopfte er auf ihre Schulter. „Keine Sorge. Wir werden diesen komischen Namen finden, für uns gewinnen und dann ist es auch schon wieder vorbei.“

„Nozomu, du bist ziemlich optimistisch, das bin ich gar nicht von dir gewohnt.“

Nur ausnahmsweise.

Nozomi bemühte sich zu lächeln. „Ja...“

„Na ja, wir haben das Gebiet jetzt durchsucht und ich habe es dir gezeigt. Wollen wir dann wieder ins Wohnheim gehen?“

Sie wollte gerade nicken, als plötzlich das Geräusch einer umfallenden Dose, gefolgt von einem leisen Fluchen, erklang. Nozomu stand auf und zog sofort sein Shinken. „Wer ist da!?“

Ein Seufzen, dann trat Satsuki aus dem Schatten. „Hallo Nozomu-kun, Nozomi-chan~“

Sie lächelte gequält.

„Ikaruga-senpai...“

Beide sahen sie erstaunt an. Sie trug ihre Schuluniform, so dass Nozomu sein Shinken getrost wieder einstecken konnte. „Was tust du hier?“

„Äh, es war so ein schöner Abend zum Spazierengehen und da...“

Seufzend unterbrach sie sich selbst. „Ich bin euch gefolgt. Ich wollte hören, was ihr zu besprechen habt – aber warum redet ihr nur über belangloses Zeug!?“

Die beiden warfen sich einen Blick zu, bevor Nozomu antwortete: „Was sollten wir denn Spannendes bereden? Da musst du schon Salles oder Jatzieta verfolgen.“

Sie verzog ihr Gesicht. „Das wollte ich aber nicht. Ich wollte nämlich eigentlich noch etwas zu Nozomi-chan sagen.“

Das Mädchen horchte auf, Satsuki verbeugte sich. „Danke, dass du mir das Leben gerettet hast!“

„Du hast dich doch schon einmal bedankt und ich habe dir gesagt, dass das für mich selbstverständlich ist.“

Die Schulsprecherin nickte. „Ja, ich weiß, aber wir sind auch Feinde.“

„Wieso eigentlich?“, fragte Nozomu. „Prinzipiell haben wir doch dasselbe Ziel. Wir sollten zumindest gegen dieses Zerstörungskomitee zusammenhalten, findest du nicht?“

„Das liegt nicht in meinem Entscheidungsbereich“, erwiderte Satsuki.

Sie verzog ihr Gesicht. Nozomi seufzte. „Das ist schade...“

Plötzlich lächelte die Schulsprecherin wieder. „So, ich bin dann mal wieder auf meinem Weg. Gute Nacht, ihr beiden~ Und seid ein bisschen umsichtiger. Nächstes Mal könnte ein Meuchelmörder euch verfolgen.“

Fröhlich summend ging sie an den beiden vorbei und verließ den Hinterhof, als wäre nie etwas gewesen. Die Zurückgebliebenen sahen ihr irritiert hinterher.

„Aus ihr werde ich nie schlau“, seufzte Rehme.

„Ich auch nicht“, stimmte Nozomu zu.

Nozomi dagegen lächelte. „Satsuki-senpai ist gar nicht so kompliziert, wie ihr denkt.“

Die anderen beiden zuckten mit den Schultern. „Wollen wir dann gehen?“

Nozomi nickte lächelnd. Beide ließen ihre Shinken verschwinden, worauf ihre Schuluniformen wieder erschienen. Zusammen gingen sie in Richtung des Wohnheims, während sie bereits besprachen, was sie für ihre Reise nächste Woche alles packen mussten.
 

Der kleine Raum war vollgepackt mit Bücherregalen, Büchern, die sich auf dem Boden stapelten und einem protzigen Schreibtisch, so dass er noch kleiner wirkte als ohnehin schon. Das fehlende Fenster und die Holzvertäfelungen taten ihr Übriges dazu. Isolde konnte nicht verstehen, wie man sich in einem solchem Raum wohlfühlen konnte.

Die einzige Lichtquelle war eine Schreibtischlampe, die allerdings nur einen geringen Teil des Zimmers erfüllte und den Rest dafür in noch größerer Dunkelheit zurückließ.

Die Person, sie am Tisch saß, schien das allerdings nicht zu stören, auch oder gerade weil er absolut nicht zu erkennen war. Isolde hasste es, mit ihm zu reden, aber Leana hasste es noch mehr, also musste ihr Shinjuu das für sie übernehmen.

„Was hast du zu erzählen?“, fragte der Mann.

Seine Stimme triefte immerzu vor Spott und Hohn, Isolde hatte ihn noch nie ohne diese Attitüde erlebt. „Akatsuki wurde von dem Errettungskomitee aufgespürt. Bereits vor zwei Wochen.“

Die roten Augen ihres Gegenüber blitzten im einfallenden Licht. „Warum erfahre ich dann erst heute davon?“

„Ich wollte erst abwarten, ob noch etwas geschieht“, erklärte Isolde. „Es geschah aber nichts weiter. Ich weiß nicht, weswegen sie ihn aufgespürt haben.“

Der Mann seufzte. „Vermutlich ist das Akitsukis Schuld. Er neigt dazu, alles in der Öffentlichkeit zu besprechen. Würde mich nicht wundern, wenn er dabei belauscht worden ist.“

„Das kann schon sein“, meinte Isolde.

Im Grunde interessierte sie nicht, wessen Schuld das war. Es interessierte sie auch nicht, was das Errettungskomitee von Zetsu wollte. Aber melden musste sie es trotzdem.

„Wie sollen wir nun vorgehen?“

„Gar nicht. Erst einmal sind bald Ferien. Setoki wird in diesen von uns behandelt werden, Akatsuki wird noch ausgiebig von deiner Meisterin um den Finger gewickelt werden... ich sehe keinen weiteren Handlungsbedarf.“

Isolde seufzte leise. Es gefiel ihr nicht, dass Leana den Jungen für das Zerstörungskomitee bearbeiten sollte. Nicht weil sie Zetsu so sehr mochte, sondern weil sie befürchtete, dass ihre Meisterin dafür etwas tun musste, was sie im Nachhinein vielleicht bereuen würde.

„Ist etwas?“, fragte der Mann amüsiert.

„Nein, natürlich nicht.“

„Gut, dann ist unser Gespräch für heute wohl beendet. Es war nett, dich mal wieder zu sehen. Sag deiner Meisterin doch, dass ich das nächste Mal gern sie wieder in meinem Büro sehen würde.“

Isolde nickte, nahm sich aber jetzt schon vor, ihr das nicht zu sagen. Sie fuhr herum und verließ den Raum, den der Mann als „Büro“ bezeichnet hatte.

Mir wäre es lieber, wenn wir nicht für diesen Kerl arbeiten würden... aber Leana hat ihre Gründe, also muss ich das wohl akzeptieren.

Außerhalb des Raumes löste sie sich in Mana auf, um wieder zu ihrer Meisterin zurückzukommen.

Begegnung mit Yumiko

Seit vielen Jahren schon hatte Nozomu das Meer nicht mehr gesehen, weswegen er den Anblick des tiefblauen Wassers umso mehr genoss. Sogar Rehme staunte, als sie von ihrem Zimmer aus auf den Ozean sahen. „Wow, es glitzert so schön und dieses Zimmer ist so toll und-“

„Schon gut“, unterbrach Nozomu sie. „Nebenbei finde ich dieses Zimmer eher kitschig als schön.“

Er sah sich um. Sowohl der Bettbezug, als auch das Sofa und die schweren Vorhänge zeigten Blumen auf beigefarbenen Untergrund. Der Boden war mit einem dunkelblauen Teppich verlegt, der jedes Geräusch verschluckte.

Wenn er das richtig verstanden hatte, gehörte dieses kleine Hotel auf der Klippe der Familie von Yumiko (die er immer noch nicht gesehen hatte). Aber die Einrichtung stammte noch von dem Vorbesitzer. Da das Gebäude schon knapp hundert Jahre alt war, war diese Einrichtung vermutlich zu erwarten. Aber dennoch...

„Geschmacklos.“

Rehme schnaubte. „Du hast einfach keinen Geschmack.“

Sie setzte sich auf den Tisch und begann sich an dem Inhalt der Kristallschüssel, der aus verschiedenen Bonbons bestand, zu bedienen. „Mhm, die sind so lecker.“

„Pass auf, dass du nicht zu dick wirst“, ermahnte er sie. „Sonst siehst du am Ende aus wie Nozomis Shinjuu.“

Rehme schnitt ihm eine Grimasse und aß weiter.

Es klopfte an der Tür. „Nozomu-chan, hier ist Nozomi.“

„Komm rein.“

Lächelnd betrat sie das Zimmer. Sie trug bereits einen blauen Badeanzug, ein grün gemustertes Tuch war um ihre Hüfte geschlungen. In ihren Armen hielt sie ein Handtuch. „Und wie gefällt dir dein Zimmer, Nozomu-chan?“

Er reagierte nicht.

Irgendwie fällt mir auf, dass Nozomi ziemlich kleine Brüste hat...

„Nozomu... du bist auch nur ein Mann, nicht?“

Was erwartest du denn sonst?

„Nozomu-chan?“

Er schreckte hoch. „Was?“

Sie wiederholte ihre Frage nach dem Zimmer. Er schmunzelte. „Es ist kitschig.“

„Ja, das ist es. Aber ich finde, es hat auch einiges an Charme.“

Nozomi lachte leise. „Wollen wir an den Strand gehen? Dieses Hotel hat einen Privatstrand.“

Er überlegte nicht lange. „Klar doch. Ich ziehe mich nur schnell um.“

Wenige Minuten später befanden sie sich bereits am nahezu verlassenen Strand unterhalb der Klippe. Nozomu ließ den Blick schweifen.

Schade, ich hatte gehofft, es würde ein paar gutaussehende Frauen in Bikinis geben...

„Nozomu!“

Was denn? Nur weil ich depressiv bin – oder war –, heißt das nicht, dass ich nicht gern schöne Frauen ansehe. Aber das Hotel ist allgemein ziemlich leer, kein Wunder bei der Einrichtung.

Rehme seufzte in seinen Gedanken.

Nozomi lächelte. „Der Sand fühlt sich wirklich gut an zwischen den Zehen, nicht?“

„Ja. So etwas habe ich schon lange nicht mehr gefühlt.“

Im Krankenhaus hatten sie hin und wieder Beachvolleyball in einer Halle gespielt, aber das war kein Vergleich zu einem echten Strand gewesen.

Nozomi legte ihre Sachen in einem Strandkorb ab, Nozomu tat es ihr nach. Gemeinsam begaben sich die beiden ins Wasser, das außerordentlich erfrischend war. Schon lange hatte der Junge sich nicht mehr so lebendig gefühlt – er konnte sich für einen Augenblick sogar vorstellen, selbst an den Strand zu ziehen, auch wenn das mit seiner bisherigen Lebensplanung nicht konform ging. Aber was in den letzten Wochen ging damit schon konform?

Schließlich gab Nozomi ihm zu verstehen, dass sie wieder an den Strand zurückgehen sollten. Er machte sich auf den Rückweg – und wurde unversehens von jemandem angefallen, noch bevor er den Strand erreicht hatte. „Nozomu-chan!“

Überrumpelt versuchte er, sich zu befreien, aber stattdessen wurde er von der Person noch fester umklammert. „Oh, Nozomu-chan, ich habe dich so vermisst!“

„J-ja, gut, aber könntest du mich loslassen?“

„Yumiko-chan, lass ihn los, bitte!“, konnte er Nozomis Stimme hören.

Tatsächlich ließ die Person ihn wieder los, so dass er sie näher betrachten konnte. Das Mädchen vor ihm hatte hellbraunes Haar, ebensolche Augen – und sie trug einen weißen Bikini, der Nozomus Blick direkt auf ihren Körper lenkte. Ihre Haut schien völlig makellos und -

„Nozomu! Hör endlich auf, so etwas zu denken!“

Was denn!? Ich kann doch nichts dafür, dass sie gut aussieht...

Sie lächelte. „Nozomu-chan, erinnerst du dich an mich? Ich bin Yumiko!“

„Äh... na ja... tut mir Leid...“

Enttäuscht sah sie ihn an. „Oh, das ist aber nicht schön. Aber ich verzeihe dir, weil du eine schwere Zeit durchgemacht hast, ai!“

Erneut umarmte sie ihn. „Oh, mein Nozomu~ Ich bin so froh, dich wiederzusehen, ai!“

Vorsichtig tätschelte er ihren Kopf. „Können wir dann mal aus dem Wasser raus?“

„Aber natürlich!“

Sie ergriff seine Hand und zog ihn hinter sich her. Nozomi lächelte, aber Nozomu wusste genau, dass sie damit nur ihr Zähneknirschen verbarg. „Schön, dass ihr euch so gut vertragt. Wollen wir uns nicht setzen?“

Zu dritt setzten sie sich in den Strandkorb, Nozomu wurde von den Mädchen in der Mitte platziert.

„Also, Nozomu-chan, soll ich dir etwas erzählen, damit du dich wieder an mich erinnerst?“, fragte Yumiko.

„Äh... okay, klar.“

Sie lächelte vergnügt. „Wir haben uns das erste Mal im Kindergarten getroffen. Du warst so heldenhaft, als du Nozomin vor den anderen Jungs verteidigt hast, ai.“

Nozomi nickte. „Daran erinnere ich mich auch noch. Du warst so tapfer, Nozomu-chan!“

Daran erinnere ich mich. Die Jungen haben Nozomi geärgert und ihr das Spielzeug weggenommen. Aber Yumiko... war da nicht dabei.

„Und dann waren wir mal zusammen in den Bergen“, erzählte Yumiko weiter. „Ein großer Hund hat uns angegriffen und Nozomu-chan hat uns gerettet!“

Nozomi nickte wieder eifrig.

Daran erinnere ich mich auch – aber auch hier war Yumiko nicht dabei.

Er dachte wieder an Salles' Worte zurück. Wer immer diese Person war, die Nozomu mittels dieser Taktik auf seine Seite ziehen wollte, er hatte nicht unbedingt gute Arbeit geleistet. Warum hatte er die Erinnerungen aller verändert, nur nicht die von Nozomu selbst. Oder hatte er das und lediglich Rehme, deren Erinnerung als Shinjuu nicht beeinflusst werden konnte, hatte Nozomus echtes Gedächtnis gerettet?

Er wusste es nicht, aber wenn er Yumiko so ansah – und das tat er fast unterbrochen, seit er sie getroffen hatte – war es ihm auch ziemlich egal. Wer immer sie ausgewählt hatte, besaß einiges an Geschmack, das musste er zugeben.

Yumiko schmiegte sich an Nozomu, was Nozomi nicht zu gefallen schien. Allerdings sagte sie nichts dazu, sondern runzelte nur missbilligend ihre Stirn. Nozomu dagegen fand es gar nicht schlecht. Er konnte ein genervtes Seufzen von Rehme hören.

„Wie lange wollt ihr bleiben?“, fragte Yumiko. „Ihr könnt so lange bleiben, wie ihr wollt, ai!“

Nozomi lächelte wieder. „Wir können leider nicht so lange bleiben, eigentlich nur diese Woche, dann müssen wir wieder zurück. Nozomu-chan muss an der Kendo-Meisterschaft teilnehmen.“

„Wirklich?“

Yumikos Augen leuchteten begeistert. „Nozomu-chan, du bist so toll!“

Verlegen winkte er ab. „Ach was, bin ich nicht.“

„Doch, bist du! Gaaaaaanz toll, ai!“

Nozomu lachte. „Ach komm~“

Yumiko ergriff seinen Arm und klammerte sich daran. „Dann wollen wir eine ganz tolle Woche haben, ja? Nur wir drei, genau wie früher, ai!“

Er lächelte wieder. Ja, diese Woche wird mir gefallen.
 

Zetsu seufzte schwer. Mann, wie ich Nozomu beneide... Bestimmt sitzt er jetzt an einem Strand mit vielen schönen Mädchen – und ich verbringe meinen Tag genervt bei der Arbeit.

Der Silberhaarige saß über den Tresen zusammengekauert und langweilte sich. Yuuto, der neben ihm saß, erging es ähnlich. „Mann, wie langweilig. Im Sommer ist hier echt nichts los.“

Erstaunlicherweise hatte Yuuto denselben Job angetreten wie Zetsu, kurz nachdem dieser den Kellner-Posten in dieser Bar ergattert hatte. Wie zuvor war der Silberhaarige fest davon überzeugt, dass Yuuto das alles nur tat, um sich seine Freundschaft zu erschleichen. Wenngleich er auch nicht wusste, weswegen.

„Immerhin kriegen wir Geld“, erwiderte Zetsu.

„Fürs Nichtstun, wie spannend.“

„Nein, nein, du siehst das völlig falsch. Wir passen auf die Bar auf – dafür kriegen wir Geld.“

Yuuto schmunzelte. „Du hast eine interessante Art, die Welt zu sehen.“

„Ja, finde ich auch.“

„Aber wenn ich nicht bald ein Gast kommt, gehe ich schwimmen.“

Zetsu lachte. Die Tür öffnete sich, automatisch fuhren beide herum. Der Silberhaarige lächelte. „Überlass das nur mir.“

Er stand auf und verneigte sich leicht. „Willkommen, Leana. Schön, dich als unseren Gast begrüßen zu dürfen.“

Verwirrt sah sie ihn an – und seufzte schließlich. „Oh nein, nicht du schon wieder. Warum treffe ich dich dauernd? Das darf doch nicht wahr sein.“

Er schmunzelte. „Unsere Herzen sind eben miteinander verbunden und finden sich stets gegenseitig.“

„Kannst du einmal in deinem Leben vielleicht nicht so ein kitschiges Zeug reden?“

„Vielleicht ein andermal. Also, was führt dich hinterher?“

Seufzend setzte sie sich an einen Tisch und breitete den Inhalt ihrer Tasche darauf aus. Es waren verschiedene Bücher, Mappen und Dokumente, die nach viel Arbeit aussahen. „Ich wollte eigentlich hier ein wenig lernen, weil ich noch Probleme mit dem Schriftsystem habe. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du hier herumsitzt.“

Zetsu wollte anmerken, dass sie trotzdem sitzenblieb, beließ es aber beim Gedanken daran. „Was darf ich dir bringen?“

„Einen Tee, bitte, schwarzen.“

„Kommt sofort.“

Zetsu huschte hinter den Tresen. Yuuto sah ihn besorgt an. Der Silberhaarige ignorierte den Blick zuerst, doch als das nicht aufhörte, seufzte er schließlich. „Was ist los?“

„Na ja... ich weiß nicht, ob ich dir das sagen kann. Besonders nicht, wenn sie dabei ist.“

Mit dem Kopf deutete er zu Leana hinüber, die sich bereits in ihre Bücher vertieft hatte.

„Dann wird es wohl nicht so wichtig sein“, erwiderte Zetsu.

Er war sich im Klaren darüber, dass das Mädchen etwas vor ihm verbarg, auch wenn er nicht wusste, was das war. Und irgendwo tief in seinem Inneren fürchtete er, dass es etwas Schlimmes war. Deswegen wollte er es gar nicht hören, besonders nicht von Yuuto Takamine. Dieser seufzte. „Wenn du meinst.“

Zetsu brachte Leana den fertigen Tee. „Hier, bitte.“

Sie bedankte sich ohne aufzusehen. Der Silberhaarige schmunzelte. „Wirst du die ganzen Ferien über lernen?“

„Ja. Nicht jedem fällt das Wissen in den Schoß, so wie dir.“

Er legte eine Hand auf sein Herz. „Owww, das hat mich getroffen.“

Sie seufzte. „Tut mir Leid, ich bin nur ein wenig genervt. Diese Sprache macht mich wahnsinnig.“

Ohne Aufforderung setzte er sich ebenfalls an den Tisch. „Soll ich dir helfen?“

Überrascht sah sie ihn an. „Das würdest du tun?“

„Aber klar. Ich habe ohnehin nichts Besseres zu tun.“

Sie lächelte leicht. „Danke, Zetsu.“

„Also, wo hast du Probleme?“
 

Zu dritt gingen sie wieder ins Hotel zurück, wo sie wie zuvor von Stille empfangen wurden. Doch Yumikos Lachen erfüllte die Halle. „Also, falls etwas ist, könnt ihr euch jederzeit an mich wenden. Mein Zimmer ist im Stockwerk über eurem, der Name steht dran.“

Die beiden nickten, Yumiko schmunzelte. „Und wenn du nicht schlafen kannst, Nozomu-chan, kannst du auch jederzeit zu mir kommen.“

„Ja, danke.“

Das sollte ich mir tatsächlich überlegen...

„Nozomu!“

Schon gut, hör auf zu schreien, das war doch nur ein Witz.

Nozomi schnaubte kurz, lächelte aber sofort wieder. „Sehen wir uns denn beim Abendessen?“

„Klar“, antwortete sie vergnügt. „Ich freue mich schon.“

Damit ging sie davon, Nozomu sah ihr noch eine Weile hinterher, bevor er von Nozomi in den Arm gezwickt wurde. „Starr sie nicht immer so an! Das ist unhöflich.“

Er lachte verlegen. „Tut mir Leid.“

„Also, wir sollten uns jetzt für das Abendessen umziehen. Ich hole dich dann nachher ab.“

Nozomu nickte und suchte sein Zimmer auf.

Das Abendessen verlief ohne aufregende Ereignisse oder gar Streitereien. Yumiko schien sich hauptsächlich auf das Essen zu konzentrieren, was Nozomu ein wenig seltsam fand, Nozomi dagegen kümmerte sich gar nicht darum.

Wieder zurück in seinem Zimmer fiel der Junge in sein Bett. „Ah, hier gefällt es mir.“

Rehme setzte sich auf seine Brust. „Wann darf ich schwimmen gehen?“

„Solange Yumiko da ist, wahrscheinlich gar nicht.“

Das Shinjuu seufzte. „Wie gemein~ Ich will auch schwimmen gehen.“

„Tut mir Leid, vielleicht ein andermal.“

Tröstend tätschelte er ihren Kopf, was sie mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm.

„Wollen wir dann schlafen?“, fragte er.

„Jetzt schon? Bist du so müde?“

Er nickte, worauf sie seufzte. „Okay, dann lass uns schlafen – oder es zumindest versuchen.“

Zufrieden schloss Nozomu die Vorhänge, die es tatsächlich schafften das gesamte einfallende Licht zu verbergen. Im Schlafanzug legte er sich schließlich in das Bett.

Doch der erholsame Schlaf kam nicht. Stattdessen döste er vor sich hin. Im Halbschlaf glaubte er, Schritte und leise Stimmen auf dem Gang zu hören. Rehme dagegen schlief tief und fest neben ihm. Ihre gleichmäßigen und ruhigen Atemzüge halfen Nozomu schließlich selbst in einen traumlosen Schlaf zu fallen.

„Nur so ein Gefühl...“

Die nächsten Tage verbrachten Nozomu, Nozomi und Yumiko wieder am Strand, lediglich Rehme schaffte es, ihn davon abzuhalten, ganz abzuschweifen. Am vorletzten Tag ihres Urlaubs fuhr die Gruppe gemeinsam in das naheliegende Dorf.

Es bestand nur aus wenigen Häusern und einem Marktplatz, auf dem sich aktuell kein Markt, aber dafür rundherum verschiedene Läden befanden.

Gelangweilt sah Nozomu sich um. Nozomi und Yumiko dagegen durchsuchten aufmerksam jeden einzelnen Laden. Sei es einer, der hübsche Stoffe anbot oder einer der verschiedene Gegenstände aus Kristall verkaufte. Nozomu fragte sich, was die Mädchen an diesem ganzen Nippes so interessant fanden, aber beide waren absolut begeistert. Und auch Rehme schien es zu gefallen.

„Glaubst du, die Kristallschalen aus dem Hotel wurden hier gemacht?“

Woher soll ich das wissen?

„Frag doch Yumiko.“

Nozomu wiederholte Rehmes Frage für Yumiko. Sie nickte lächelnd. „Das ist richtig. Alles aus dem Hotel kommt aus diesem Dorf. Wir sind sehr ortsverbunden.“

Sie lachte leise, seufzte dann aber. „Trotzdem würde ich lieber wieder in die Stadt ziehen.“

„Komm doch mit uns mit.“

Die Worte waren aus Nozomus Mund gekommen, bevor er richtig hatte überlegen können. Nozomi sah ihn entsetzt an, aber Yumiko schien von der Idee begeistert zu sein. „Das klingt ja toll~ Aber wo soll ich da wohnen?“

Auch dafür fand Nozomu eine Antwort, bevor er darüber nachdenken konnte. „Ich werde Salles anrufen und fragen, ob du bei uns im Wohnheim wohnen kannst.“

Nozomi seufzte lautlos, Yumiko dagegen freute sich – und Nozomu auch, denn so konnte er endlich den Laden verlassen. Vor der Tür zog er sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Wohnheimes. Während es klingelte, sah Nozomu sich weiter um. Vor dem kleinen Lebensmittelgeschäft stand ein Stand mit Obst und Gemüse. Plötzlich spürte er, wie sein Magen knurrte. Oh Mann, ich hab Hunger...

Direkt daneben war ein kleines Ramen-Restaurant, das einzig typisch japanische in diesem Dorf.

Das Klingeln stoppte abrupt. „Hoi, hoi?“

Nozomu hob eine Augenbraue. „Jatzieta?“

„Ah, Nozomu~ na, wie ist der Urlaub?“

„Öhm, nicht schlecht, danke.“

„Gibt es tolle Frauen zu sehen?“, fragte sie interessiert.

Er unterdrückte ein Seufzen. „Leider nicht.“

„Nozomu!“

Jatzieta kicherte. „Das tut mir Leid. Also, was gibt es?“

„Ist Salles-sama nicht da?“

„Uh-uh, der ist... beschäftigt.“

Sie kicherte noch einmal leise.

Was macht er wohl gerade? Sehr kryptische Aussage.

„Worum geht’s denn, Nozomu?“

Er erklärte ihr die Situation und auch den Vorschlag, den er Yumiko unterbreitet hatte, so dass Jatzieta wieder zu kichern anfing. „Oho~ Hast du dich verliebt? Sei bloß vorsichtig. Aber ich denke, es ist schon in Ordnung, Platz haben wir genug. Zur Sicherheit werde ich aber noch mit Salles sprechen, ist das okay?“

„Klar, danke, Jatzieta.“

Sie verabschiedeten sich voneinander. Nozomu legte auf und steckte sein Handy wieder ein. Doch statt in den Laden zurückzugehen, blieb er vor der Tür stehen.

Hoffentlich sind die bald fertig...

Unwillkürlich lief ein Schauer über seinen Rücken, trotz der Hitze fröstelte es ihn plötzlich.

„Irgendwas stimmt hier nicht... Etwas ist nicht normal.“

Aber was?

Nozomu ließ seinen Blick schweifen. Eine seltsame Art der Spannung lag in der Luft, aber alles schien vollkommen normal.

Die Ladentür ging.

„Nozomu-chan, wir sind fertig, ai!“

Das Gefühl verschwand so plötzlich wie es gekommen war. Er fuhr herum, die beiden Mädchen standen mit jeweils einer Tüte in der Hand vor ihm.

„Ah, endlich“, entfuhr es ihm. „Können wir dann essen gehen?“

Yumiko nickte. „Natürlich.“

Zusammen gingen sie weiter. Nozomu warf noch einmal einen Blick zurück, aber nichts Verdächtiges war zu sehen. Mit einem Schulterzucken tat er es ab und sah wieder nach vorne.
 

Salles seufzte leise, als er seine Augen öffnete. „Wer war das?“

„Nozomu“, antwortete Jatzieta knapp.

Sie legte den Hörer wieder auf und ging zurück zum Sofa, auf dem Salles saß. Allerdings setzte sie sich nicht neben ihn, sondern stellte sich hinter ihn und fuhr mit der Massage fort, durch die er zuvor eingeschlafen war.

Er seufzte wieder. „Aww, vielen Dank, Jatzieta.“

„Nichts zu danken~ Für dich mache ich das doch gerne.“

Sie kicherte leise, wurde dann aber sofort wieder ernst. „Nozomu lässt fragen, ob Yumiko Arakawa hier einziehen kann. Ist das eine gute Idee?“

Salles schmunzelte leicht. „Jedenfalls klingt sie interessant. Ich denke, es wäre ganz praktisch, wenn wir sie im Auge behalten könnten.“

„Meinst du?“, fragte sie ebenfalls schmunzelnd.

„Ja, meine ich. Aber eigentlich... Ist es nur so ein Gefühl“

Sie lachte leise. „Gut, ich werde ihn später anrufen und ihm das sagen.“

Er schloss seine Augen. „Danke, Jatzieta.“

„Mhm, irgendjemand muss dich doch ein wenig unterstützen, nicht?“

Sie strich über seinen Arm, doch er schüttelte sie sofort ab. „Lass das bitte. Es reicht, wenn du meine Schultern massierst.“

Jatzieta seufzte lächelnd. „Schon gut, verstanden. Dann entspann dich mal wieder ein bisschen.“

Als ob nichts gewesen wäre, fuhr sie mit der Massage fort, worauf Salles bald erneut eingeschlafen war.
 

Satsuki betrat den Hinterhof. „Hallooo!“

Die drei Anwesenden wandten sich ihr zu. „Hallo, Ikaruga.“

Wie selbstverständlich setzte sie sich an den aufgestellten Tisch und stellte die mitgebrachte Tüte mit dem Essen darauf. „Ah, so... wollen wir essen? Ich habe einen Mordshunger.“

Sie verteilte die Bento-Boxen an Yuuto, Kyoko und Kouin und stellte die Letzte vor sich selbst.

„Du hast das aber nicht selbst gemacht, oder?“, fragte Yuuto misstrauisch.

„Natürlich nicht“, erwiderte sie. „Dafür habe ich auch keine Zeit. Ich habe das in dem Laden an der Ecke gekauft, die machen sehr gutes Essen. Also~ Was gibt es Neues?“

Yuuto und die anderen erklärten ihr, was sie über Shun und von Orupha erfahren hatten. Satsuki lachte. „Ich hätte euch auch sagen können, wer Akatsuki und die anderen beiden sind. Sie gehen alle auf meine Schule.“

Kyoko seufzte. „Oh Mann... Das hätte ein bisschen Arbeit erspart.“

„Aber wir haben es auch so geschafft“, erwiderte Kouin. „Yuuto versucht derzeit, sich mit Akatsuki anzufreunden. Kannst du uns Tipps geben?“

Satsuki verzog ihr Gesicht. „Ich fürchte, Akatsuki ist sehr von Vartanian angetan, ansonsten ist er direkt mit Setoki befreundet, der wiederum eng mit Motou befreundet ist. Würdet ihr es also schaffen, an Akatsuki ranzukommen, wären die anderen nur noch eine Frage der Zeit. Aber es ist schwer, Akatsukis Freundschaft zu gewinnen. Er ist selbst ein kleiner Trickbetrüger, der weiß, wie man sich die Gunst anderer Leute erschleicht. Vermutlich hat er dich längst durchschaut, Takamine.“

Die anderen seufzten. „Sollen wir ihn dann einfach mal zu unserer Anführerin schleppen?“

„Lieber nicht... schleppen wir besser Setoki hin“, erwiderte Satsuki. „Das wird uns mehr bringen.“

„Glaubst du?“, fragte Kouin.

Sie lachte. „Nur so ein Gefühl.“

Yuuto hob die Schultern. „Dann machen wir eben das, sobald wir dazu kommen.“

Die anderen nickten zustimmend. Was blieb ihnen schon anderes übrig?

„Dann wollen wir jetzt essen!“, verkündete Satsuki, „Guten Appetit!“
 

Wieder zurück im Hotel ging Nozomu direkt auf sein Zimmer. Die Atmosphäre, die er vorhin im Dorf gespürt hatte, war nun im gesamten Gebäude zu spüren.

Rehme nickte zustimmend, als sie wieder vor ihm erschien. „Es ist komisch. Wir sollten wachsam sein, vielleicht wollte man dich bisher nur in Sicherheit wiegen, um jetzt zuzuschnappen!“

„Sag das so etwas nicht!“, erwiderte er hastig.

„Es ist nur so ein Gefühl. Du merkst doch auch, dass hier etwas nicht stimmt.“

„Stimmt schon.“

Nachdenklich nickte er ebenfalls. „Und was tun wir jetzt?“

Mit gerunzelter Stirn setzte Rehme sich wieder auf den Tisch. Nozomu setzte sich währenddessen auf das Sofa. Vielleicht hätte ich nie hierherkommen sollen. Andererseits... dann hätte ich auch Yumiko nicht getroffen. Und Yumiko ist eigentlich richtig... toll. Sie erinnert mich aber an irgendjemanden...

„Jetzt weiß ich es!“, sagte Rehme. „Ich werde mich mal hier im Hotel umsehen. Im Gegensatz zu dir komme ich auch in verschlossene Räume. Vielleicht finde ich da was heraus.“

„Das ist eine gute Idee. Aber sei vorsichtig. Nicht, dass dir noch etwas passiert.“

Sie nickte zustimmend und verließ das Zimmer.

In ihrer durchsichtigen Gestalt schwebte sie durch das Gebäude auf der Suche nach der Quelle der fremden Atmosphäre. Die Gänge waren außergewöhnlich leer für ein Hotel, dabei sollte das doch die Hauptsaison sein. Wie hielt sich dieses Geschäft über Wasser, wenn nie jemand da war?

Nozomu hatte Rehme erzählt, dass er nachts manchmal Stimmen auf dem Flur hörte, aber von wem konnten diese nur sein?

Jeder Raum, den sie aufsuchte schien schon seit langem verlassen zu sein. Möglicherweise war also dieses ganze Hotel nur eine einzige Falle. Sie schluckte schwer. Wenn das der Fall war, müssten sie so schnell wie möglich wieder hier raus.

Sie beschloss, ihre Suche im oberen Stockwerk fortzusetzen. Ein Seil am oberen Treppenabsatz, verbunden mit dem Schild Privat untersagte den Zutritt, aber sie kümmerte sich nicht darum. Neugierig besah sie sich das Stockwerk, das wesentlich lebhafter zu sein schien, jedenfalls waren nicht überall Staub und Spinnweben zu sehen.

Doch auch auf diesem Stockwerk war nichts zu entdecken, nicht einmal Yumiko. Dafür aber ihr Zimmer, das nicht gerade nach... einem Mädchenzimmer aussah. Ein rahmenloser Spiegel hing an einem Nagel in einer schmucklosen Wand, ansonsten befanden sich nur noch ein Schemel und ein Metallbett, das nach Gefängnis anmutete, im Zimmer.

Was für ein komischer Raum... aber Yumikos Name steht auf der Tür.

Die anderen Zimmer waren genauso kahl, aber zumindest einige schienen bewohnt zu sein.

Hier ist auch nichts. Dann such ich mal woanders weiter... in der Küche waren wir noch nie.

Eilig schwebte Rehme ins Erdgeschoss hinunter und durch den verlassenen Speisesaal. Doch an der Küchentür hielt sie inne. Stimmen erklangen von der anderen Seite, das ungute Gefühl kam eindeutig von dort drinnen.

„Dann hat es also wirklich geklappt?“, fragte eine männliche Stimme.

„Ja~ Nozomu-chan hat bereits im Wohnheim angerufen und nach einem Platz gefragt“, antwortete Yumiko.

„Hör auf, ihn so zu nennen, das ist lächerlich.“

„Ja ja ja~ Jedenfalls läuft alles bestens, ai.“

„Das freut mich zu hören. Nun, ich werde mich mal um alles Weitere kümmern, einverstanden?“

„Natürlich, ai.“

Gut, ich habe genug gehört.

Rehme wollte gerade wieder wegschweben, als sie plötzlich von etwas gepackt wurde. Ein heiseres Kichern erklang. Hastig versuchte sie, sich zu wehren, aber das verstärkte den Griff um ihren Körper nur noch mehr.

Ich habe so das Gefühl... dass das gar nicht gut ist...
 

Es wurde immer später, während Nozomu auf Rehme wartete, doch das Shinjuu kam nicht zurück. Als es dunkel wurde, begann er langsam sich Sorgen zu machen. Auch in seinen Gedanken konnte er keine Verbindung zu ihr aufbauen. Es war als wäre sie einfach verschwunden.

Das kann doch nicht sein... Rehme, wo bist du?

Sein Handy klingelte wieder eine ganze Weile, bevor er darauf reagierte. Doch als er den Anruf entgegennahm, erklang nur ein seltsames Rauschen.

Komisch. Was ist hier los? Das ist wirklich nicht normal.

Er legte wieder auf und ging zur Tür.

Ob Nozomi vielleicht irgendwas weiß? Ich sollte nach ihr sehen.

Als er in den Gang trat, spürte er sofort die veränderte Atmosphäre. Sie war immer noch bedrohlich – aber mehr noch: Wasser hatte sich auf dem Boden angesammelt. Es schien aus der oberen Etage zu kommen.

Hat jemand die Badewanne angelassen?

Nozomu beschloss, Nozomi in ihrem Zimmer zu lassen und selbst nach dem Rechten zu sehen. Doch schon nach wenigen Schritten auf der oberen Etage stellte er fest, dass das Wasser nicht von dort zu kommen schien, stattdessen tropfte es direkt von der Decke. Ein Blick nach oben verriet ihm, dass sich dort eine Falltür befand, die Kordel zum Öffnen hing sogar in seiner Reichweite.

Sie führt wohl auf einen Dachboden. Was mag da oben sein?

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zog Nozomu an der Kordel. Neben der Leiter für den Aufstieg kam ihm auch ein ganzer Schwall Wasser entgegen, dem er durch einen hastigen Sprung zur Seite auswich.

Wo kommt das her? Da oben kann doch unmöglich ein Badezimmer sein.

Als kein Wasser mehr nachkam, stieg Nozomu nach oben. Doch als er auf dem Dachboden ankam, blieb ihm für einen Moment die Luft weg. „Was... ist das hier?“
 

Nachdenklich legte Jatzieta wieder auf. Sie seufzte. „Oh Mann... ich kann Nozomu nicht mehr erreichen. Das Telefon rauscht nur, wenn ich seine Nummer wähle.“

Salles runzelte nachdenklich seine Stirn. „Ist das so? Dann muss einer unserer Feinde etwas damit zu tun haben.“

„Bist du sicher?“, fragte sie leise.

„Es ist nur so ein Gefühl, aber ein sehr klares. Ich hoffe, Nozomu kommt damit klar.“

Jatzieta lachte. „Oh, keine Sorge, er hat ja immer noch Rehme und Nozomi.“

Salles senkte den Blick. „Eigentlich wäre es mir lieber, wenn er mal eine Situation auf sich allein gestellt meistern würde – immerhin kann er nicht immer auf die anderen bauen.“

„Das kommt früher oder später“, erwiderte Jatzieta. „Ich vertraue auf Nozomu – außerdem ist es doch besser, wenn er nicht... seine Kräfte benutzt, oder?“

„Stimmt auch wieder. Aber sich immer nur auf andere zu verlassen, könnte ihm eines Tages auch das Genick brechen.“

„Verbleiben wir dabei, dass wir beide das Beste für Nozomu wollen?“, fragte sie lächelnd.

Er lachte leise. „Ja, verbleiben wir dabei.“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Unterhaltung. Suzume kam herein. „Salles-sama, Jatzieta-san, das Abendessen ist fertig. Kommt ihr?“

Die beiden nickten zustimmend. Sie standen auf und folgten Suzume in den Speisesaal.

Hoffentlich passiert Nozomu nichts...

Enttarnte Spionin

Ungläubig sah Nozomu sich auf dem Dachboden um. Jemand hatte eine Pinwand aufgestellt, auf der unzählige Bilder von ihm selbst, zusammen mit Zeitungsartikeln und Notizen zu seinem Tagesablauf, seinen Vorlieben und Abneigungen zu sehen waren. Sogar Rehme war auf einem der Bilder zu sehen und eine der Fotografien stammte aus seiner Zeit im Krankenhaus. Wer hatte das alles gemacht? Und warum?

Bei dem Gedanken, dass er von irgendjemandem all die Jahre beobachtet worden war, ohne dass er je etwas gemerkt hatte, wurde ihm ganz anders. Das flaue Gefühl in seinem Magen kehrte zurück, Schweiß bildete sich auf seinen Handflächen.

Ob er in diesem Moment auch von jemandem beobachtet wurde?

„Nozomu, das ist eine Falle!“

Er fuhr herum und duckte sich noch in derselben Bewegung. Die blaue Klinge fegte über seinen Körper hinweg und bohrte sich durch die Pinwand wie durch Butter.

Mit zitternden Beinen trat er einen Schritt zur Seite, bevor er das Wesen vor sich betrachtete. Sie sah so aus wie Nozomu sich eine Meerjungfrau vorstellte: Blaue Haut, Flossen an den Ohren, violettes Haar, das wie Wasser über ihre Schultern fiel. Lediglich ihre Beine mündeten nicht in eine Schwanzflosse, sondern in einen bodenlangen lilafarbenen Rock. Und auch der Blick aus ihren roten Augen war nicht sonderlich freundlich, sondern eher bedrohlich. Das Wasser, welches das Hotel überschwemmte, schien direkt aus ihrem Körper zu kommen. In ihrer rechten Hand hielt sie immer noch das Schwert, in ihrer linken wiederum-

„Rehme!“

Sein Shinjuu saß eingeschlossen in einer Lampe, die in der linken Hand des Wasserwesens baumelte. Rehme presste ihre Hände gegen das Glas und sah ihn flehend an.

„Ich hole dich da raus!“, rief er zuversichtlich.

Die Meerjungfrau lachte darauf nur. „Bist du dir da so sicher?“

Nozomu wandte sich ihr zu. „Wer bist du!? Was willst du?“

Mit einem Ruck zog sie das Schwert wieder aus der Pinwand. Fotos und Zettel flatterten dabei zu Boden und schlossen sich dem Strom in die unteren Etagen an. Dabei breitete sich in ihm das Gefühl einer düsteren Vorahnung aus.

Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verjagen und wandte sich wieder seiner Feindin zu, die sich auch sogleich vorstellte: „Ich bin die Undine Nerida.“

„Un... dine?“

„Das sind Wassergeister. Sie ist ein Shinjuu!“

Kaum hatte Rehme ihm das in seinen Gedanken mitgeteilt, ließ er sein Shinken erscheinen. „Was immer du vorhast, ich werde dich damit nicht durchkommen lassen.“

Lachend legte Nerida den Kopf in den Nacken. Nozomu beschloss, die Fairness außen vor zu lassen. Noch während sie so dastand, spurtete er mit ausgestrecktem Schwertarm auf sie zu. Doch kaum hatte er einen Schritt getan, spürte er, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegzog. Mit einem erschrockenen Schrei hing er plötzlich kopfüber in der Luft. Ein Wasserstrahl hielt sein rechtes Fußgelenk umklammert und hatte ihn so in die Höhe gehoben.

„Nozomu!“

„Lass mich runter!“

Nerida lachte wieder. „Mit Vergnügen.“

Mit viel Wucht schleuderte sie Nozomu gegen einen Balken. Benommen blieb er für einen Moment liegen, bevor er sich wieder aufrichtete. Alles um ihn herum drehte sich, aber er musste Rehme helfen – und er konnte dieses Shinjuu nicht in Yumikos Haus lassen.

Doch er ging wieder in die Knie. Ich... ich kann nicht...

Er konnte hören, wie jemand durch das Wasser lief, im nächsten Moment erklang eine Stimme: „Nozomu-chan!?“

Nozomi?

Nerida lächelte. „Ah, wenn das nicht deine kleine Freundin ist. Wie sie wohl aussehen wird, während sie am Ertrinken ist?“

„Nein! Lass sie in Ruhe!“

Nozomi betrat den Dachboden und erstarrte, als sie die Undine sah. Ihr ungläubiger Blick war auf das Wesen gerichtet. Es war offensichtlich, dass sie vor Schreck erstarrt war.

Nerida lachte wieder und hob ihr Schwert. „Wehrlose Opfer sind die Schönsten!“

Das Mädchen rührte sich immer noch nicht, ihre Augen waren angsterfüllt geweitet, wie bei einem Reh, das in das Scheinwerferlicht eines näherkommenden Wagens starrte.

„Nozomi, lauf weg!“

Seine Stimme holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Doch statt wegzulaufen, nahm ihr Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an. „Du hast Nozomu-chan verletzt!“

Die Undine lächelte nur spöttisch. „Und was willst du dagegen tun?“

Nozomi verließ die Treppe und kam endlich richtig auf dem Dachboden an. Ihr Shinken erschien vor ihr und mit ihm die dazugehörige Kleidung. Ihr entschlossener Gesichtsausdruck blieb. „Niemand verletzt Nozomu-chan!“

Nerida hob eine Augenbraue. „Was für eine Furie...“

Das ist eben Nozomi...

„Aber wenn du denkst, dass du damit gewinnen kannst“, fuhr Nerida fort, „dann hast du dich erheblich getäuscht, meine Liebe.“

Sie griff Nozomi an, scheiterte jedoch an einem grünen Schild vor dem Mädchen. Sie bewegte sich kein Stück, zeigte lediglich mit der Spitze ihres Shinken auf die Undine. Ein grüner Strahl schoss plötzlich daraus hervor. Diesmal war es das Shinjuu, das den Angriff abwehrte. „Dass heutzutage auch jeder ein Shinken haben muss...“

Nozomu richtete sich wieder auf, als die Umgebung sich endlich nicht mehr drehte. Nerida wandte ihm den Kopf zu. Unschlüssig, auf wen sie achten sollte, sah sie zwischen den beiden hin und her.

Der Braunhaarige nutzte die Gelegenheit für einen Angriff. Die Undine schrie auf und ließ die Lampe fallen, in der sich Rehme befand. Das Glas zersprang klirrend. Rehme stieg wieder in die Luft, sie schüttelte sich. „Aaaah! Viel besser!“

Doch Nerida ließ sich davon nicht entmutigen. Stattdessen schwang sie ihr Schwert und griff Nozomi an. Das Mädchen wich zurück und hielt ihr Shinken vor sich. Metall traf klirrend auf Metall, unter der Attacke ging Nozomi in die Knie.

W-wie kann sie so stark sein?

Um seiner Freundin zu helfen, griff Nozomu ebenfalls an. Diesmal wich er dem Wasserarm aus, der nach seinem Knöchel griff. Sein Shinken durchbohrte das Shinjuu – das sich gleich darauf selbst in Wasser auflöste. Doch die bedrohliche Atmosphäre blieb.

Nozomu sah sich aufmerksam um, das folgende Kichern bestätigte ihm, dass sein Instinkt richtig lag. Sie war immer noch hier.

Nozomi sah sich ebenfalls um. „I-ist das oft so?“

Er hob die Schultern. „Ich kämpfe nicht oft gegen Shinjuu...“

Besonders nicht so intelligente.

„Da drüben!“

Rehmes Ruf lenkte seinen Blick genau in die von ihr gewünschte Richtung. Reflexartig riss er sein Schwert hoch und fing damit die Klinge von Nerida ab. Mit einem Ruck warf er sie wieder zurück. Seine Arme begannen zu schmerzen.

Sie ist wirklich stark...

„Gib nicht auf, Nozomu! Irgendwie kannst du sie besiegen!“

Ja... nur wie?

Nerida griff ihn noch einmal an, wohl wissend, dass ihm aufgrund seiner Unerfahrenheit langsam die Kondition ausging. Lachend sprang sie wieder zurück, nachdem ihre Schwerter sich berührt hatten. „Ihr habt keine Chance gegen mich!“

Nozomu fluchte innerlich. Wie sollte er dieses Shinjuu nur besiegen?

Die Undine lachte noch einmal – und hatte plötzlich einen Pfeil in der Schulter stecken. Verwirrt und ungläubig sahen die Anwesenden auf das Projektil und suchten schließlich nach dem Ursprung. Den fanden sie auch schnell in Yumiko, die immer noch mit erhobenem Bogen dastand. Ihre schwarz-gelbe Kleidung und die Waffe in ihrer Hand ließen nur einen Schluss zu: „Sie ist ein Shinken-Träger!“
 

Der Gruppenraum war bis auf den Computerbildschirm und den Bereich davor in Dunkelheit getaucht. Die Jalousien waren wie üblich, wenn er am Arbeiten war, heruntergelassen. Das vom Bildschirm ausgehende grelle, grüne Licht hatte etwas Unheimliches an sich, dennoch starrte Salles unverwandt hinein. Schon seit Ende des Abendessens saß er so da und wartete. Wenn es sein musste, würde er auch noch Stunden warten, doch er hoffte, dass das nicht nötig sein würde.

Für eine Weile hatte er die Gesellschaft von Jatzieta genossen, aber ihr war schnell langweilig geworden und sie war wieder gegangen, um sich um ihre eigenen Dinge zu kümmern.

Gelangweilt trommelte er mit seinen Fingern auf dem Tisch.

„Komm schon, komm schon“, murmelte er leise vor sich hin als ob das irgend etwas an der Sachlage ändern würde.

Als er selbst bemerkte, was er da tat, hielt er schmunzelnd inne. Seit wann war er nur so ungeduldig? Das Leben in dieser Welt tat ihm offensichtlich nicht gut.

Oder war Ungeduld womöglich ein Zug, den er sich zunutze machen konnte?

Bei Gelegenheit musste er darüber nachdenken – aber zuvor wartete er immer noch auf die Nachricht seiner Kontaktsperson, die sich an diesem Tag außerordentlich viel Zeit ließ.

Ein leises Klingeln kündigte den Erhalt einer neuen Nachricht an. Erleichtert atmete er auf.

In der Hoffnung, dass seine Erwartung enttäuscht werden würde, öffnete er die Nachricht. Doch wie so oft enttäuschte ihn der Kosmos: Die Nachricht beschrieb genau das, was er befürchtet hatte.

Mit einem entnervten Stöhnen vergrub er sein Gesicht in seiner Hand. Auch das noch... Hoffentlich sind Nozomu und Nozomi vorsichtig.
 

Rehmes Stimme durchbrach die eingetretene Stille. Yumiko lächelte. „Ai, das ist richtig!“

Mit strengem Gesicht wandte sie sich an Nerida. „Und du solltest hier verschwinden! Das hier ist mein Haus!“

Die Undine schmunzelte. „Owww, wie süß! Noch ein Mädchen, das meint, mich besiegen zu können!“

Nozomu zweifelte ebenfalls, aber Yumikos Selbstsicherheit, die ihr deutlich ins Gesicht geschrieben stand, imponierte ihm.

Sie kann das bestimmt schaffen.

„Ach und du nicht?“

Nicht so gut wie sie.

Woher auch immer er diese Zuversicht nahm, sie war tief verankert. Im Gegensatz zu ihm und Nozomi schien Yumiko einiges mehr an Erfahrung mit ihrem Shinken zu haben. Also war es doch nur richtig, ihr das Feld zu überlassen, oder?

Sie trat vor und legte erneut einen Pfeil an. „Geh jetzt oder du wirst es bereuen!“

Nerida ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit einem Schrei stürzte sie vor – und taumelte im nächsten Moment schon wieder zurück. Ein hell leuchtender Pfeil hatte sie durchbohrt. Nozomu hatte nicht einmal gesehen, dass Yumiko einen Zauber gewirkt hatte.

Die Undine gab ein betäubendes Kreischen von sich und verschwand. Auch das Wasser hörte ruckartig auf zu fließen, die bedrohliche Atmosphäre verschwand.

Nozomi atmete erleichtert auf. „Vielen Dank, Yumiko.“

Das Mädchen lächelte. „Nichts zu danken, Nozomi-chan!“

Rehme schnaubte. „Natürlich nicht, du gehörst doch zu denen!“

„Was redest du denn da, Rehme-chan?“, fragte Yumiko erschrocken.

„Leugnen nützt nichts! Ich habe deine Unterhaltung mit dem Kerl in der Küche gehört, ich gehe jede Wette ein, dass er der Meister dieses Shinjuu ist!“

„Das ist nicht wahr!“, wehrte Yumiko noch einmal ab.

Nozomu verschränkte die Arme vor der Brust. Was sollte er nur glauben? War Yumiko also wirklich eine Feindin? Aber was sollte dann dieses Theater?

Nozomi, die zwischen Glauben und Unglauben schwankte, betrachtete interessiert die zerstörte Pinwand. Abscheu zeigte sich schon bald auf ihrem Gesicht, verbunden mit Unverständnis. Sie wandte sich wieder an Yumiko: „Was sollen all diese Bilder von Nozomu-chan?“

Sie setzte erneut zu einem Widerspruch an, aber offensichtlich sah sie selbst ein, dass sie in die Ecke gedrängt worden war. Seufzend gab sie nach. „Okay... ich gehöre zum Zerstörungskomitee – aber ich mache das nicht freiwillig!“

Nozomu und Nozomi glaubten ihr nur zu gerne, Rehme dagegen blieb misstrauisch. „So? Und weswegen machst du das dann?“

Tränen traten in Yumikos Augen, schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen. „Sie haben meine Eltern getötet und wollten mich auch töten! Ich wollte aber nicht sterben!“

Nozomi trat auf sie zu und nahm sie tröstend in den Arm. „Ganz ruhig, Yumiko. Du musst das jetzt nicht mehr machen... Wir werden auf dich aufpassen.“

Rehme seufzte innerlich. „Oh Mann, was soll denn der Schwachsinn jetzt? Genau das ist es doch, was sie wollte, unser Vertrauen erschleichen.“

Ich bin trotzdem dafür, dass wir sie mit uns nehmen – besser als wenn sie bei unseren Feinden bleibt.

„Aber Nozomu... über kurz oder lang wird sie uns verraten!“

Das glaube ich nicht. Nenn es Intuition, aber ich bin sicher, dass sie uns nicht verraten wird. Besonders nicht, nachdem Salles mit ihr gesprochen hat.

Rehme schenkte ihm einen skeptischen Blick, sagte aber nichts mehr.

„Yumiko, warum beobachtet mich das Zerstörungskomitee so genau?“

Sie löste sich wieder von Nozomi. In ihm verstärkte sich der Verdacht, dass sie nicht wirklich geweint hatte, aber er überging das. Ihre Antwort bestand aus einem Schulterzucken. „Ich weiß es nicht. Mir wurde nur gesagt, dass ich dein Vertrauen gewinnen soll.“

Nachdenklich legte er wieder seine Stirn in Falten. Ob es etwas mit diesem Namen zu tun hat, den Salles mir genannt hat? Jiruol... wer ist das nur?

Das Klingeln seines Handys riss ihn wieder aus seiner Überlegungen. Hastig zog er das Telefon aus seiner Tasche und nahm ab. Jatzietas überdrehte Stimme begrüßte ihn, was er weniger enthusiastisch erwiderte. „Was gibt es?“

„Endlich erreiche ich dich, ich wollte dir sagen, dass Salles einverstanden ist und Yumiko ein Zimmer haben kann. Also bring sie ruhig mit~“

„Okay, danke...“

Sie verabschiedeten sich voneinander, Nozomu legte wieder auf.

„Was gab es?“, fragte Yumiko aufgeregt.

„Du kannst bei uns einziehen.“

Während sie sich sichtlich freute und ihm um den Hals fiel, zeigte Nozomi ein bittersüßes Lächeln. „Das ist schön, Yumiko-chan.“

Nozomu wusste nicht, was er denken sollte, aber sein Gefühl sagte ihm, dass er genau richtig gehandelt hatte.
 

Jatzieta legte wieder auf und lehnte sich zurück. Sie machte es sich ausgiebig in Salles' Ledersessel bequem und drehte ihn auch ein paar Mal. Lachend blieb sie wieder stehen, als sie sah, dass der eigentliche Besitzer vor dem Schreibtisch stand. „Hast du Nozomu erreicht?“

„Jap, das habe ich. Er klang aber nicht sehr begeistert.“

Schmunzelnd ließ Salles sich auf den Stuhl vor dem Tisch sinken. „Vielleicht hat er sie selbst schon durchschaut.“

Mit großen Augen, die Salles äußerst apart fand, sah Jatzieta ihn an. „Was gibt es da zu durchschauen?“

Er runzelte seine Stirn und beugte sich vor. „Ich verrate es dir, ich hab es immerhin aus einer absolut verlässlichen Quelle.“

„Oh? Sag bloß, du hast einen Spion beim Zerstörungskomitee?“

„So könnte man es nennen, ja.“

Gespannt und erwartungsvoll, beugte sie sich ebenfalls vor, so dass ihre Gesichter nicht mehr weit voneinander entfernt waren.

„Dann erzähl mir alles, was du weißt“, bat sie mit einem verführerischem Augenaufschlag.

Er schmunzelte und begann ihr von dem zu erzählen, was in der Nachricht gestanden hatte.

Die Begegnung

Neben seiner Arbeit hatte Zetsu die letzten Tage damit verbracht, Leana beim Lernen zu helfen. Er konnte wirklich nicht sagen weswegen, aber je mehr Zeit er mit ihr verbrachte desto mehr schloss er sie in sein Herz. Normalerweise war er niemand, der so etwas tat, er hielt sich von Menschen fern und ersparte sich damit jede Form der Enttäuschung. Aber obwohl er wusste, dass sie etwas vor ihm verbarg und er eher wenig über sie wusste, übte sie eine gewisse Form der Faszination auf ihn aus.

Nur manchmal fand er es deprimierend, dass sie wohl niemals dasselbe wie er empfinden würde.

Wie so oft in den letzten Tagen saßen sie zusammen in der ansonsten leeren Bar, tranken Tee und lernten, während Yuuto hinter dem Tresen für Ordnung sorgte.

Leana machte erstaunlich schnelle Fortschritte, vergaß aber auch oft wieder bereits gelernte Zeichen, wenn sie längere Zeit nicht vorgekommen waren. Zetsu konnte es ihr nachfühlen, genauso war es ihm ergangen, als er damit angefangen hatte. Aber das war schon um einiges länger her und er war um einiges jünger gewesen.

Leana seufzte plötzlich. „Ich bekomme das nie in meinem Kopf.“

„Sag doch so etwas nicht“, erwiderte Zetsu sanft. „Es ist nicht leicht, ich weiß, aber du kriegst das schon hin. Sei nicht so negativ eingestellt.“

„Du hast leicht reden“, bemerkte sie mürrisch.

Er lächelte unvermindert. „Was ist denn mit deiner Schwester? Kann die dir nicht helfen?“

„Die hat genug mit ihrer Arbeit zu tun, aber deine Hilfe war ja dein Vorschlag.“

Zetsu nickte verstehend. „Dann lass sie nicht vergebens gewesen sein.“

Widerwillig beugte sie sich diesen Worten und vertiefte sich wieder in ihre Bücher.

Während sie lernte und anscheinend nichts um sich herum mitbekam, beobachtete er sie interessiert. Sie sah irgendwie süß aus. Beim Lesen bewegte sie lautlos ihre Lippen, um das Gelesene auch richtig aufzunehmen. Er schmunzelte leicht, als er den Gedanken von sich schob. Für so etwas war keine Zeit, auch wenn er ihr liebend gern noch näher gekommen wäre.

Plötzlich räusperte Yuuto sich. „Akatsuki, musst du nicht langsam los? Du sagtest vorhin, dass du einen wichtigen Termin hättest.“

Zetsu warf einen Blick auf seine Uhr und erhob sich fluchend. „Das hätte ich beinahe vergessen! Danke für die Erinnerung. Leana, wir sehen uns dann morgen, wenn dir das nichts ausmacht.“

Sie schüttelte sofort den Kopf. „Nein, nein, ich hab ohnehin das Gefühl, dass mein Kopf gleich zu rauchen anfängt.“

Er lachte leise. „Der Tee geht heute auf mich. Bis morgen.“

Statt zu antworten, nickte sie ihm nur zu. Mit einem Lächeln verließ er die Bar.

Seufzend begann sie, ihre Sachen wieder zusammenzupacken, während Yuuto sich bereits die leere Tasse von Zetsu nahm.

„Ich dachte, du kannst ihn nicht leiden“, bemerkte er dabei am Rande.

„Was geht dich das an?“

Er zuckte mit den Schultern. „Gar nichts. Ich meinte nur.“

Damit ging er wieder hinter den Tresen zurück. Leana knurrte leise. Idiot.

Ohne sich zu verabschieden verließ sie die Bar.
 

Am Abend saß Zetsu gelangweilt auf einer Bank im kleinen Park des Gebietes, auf das er aufpassen musste. Seit Nozomu die Stadt verlassen hatte, war nichts mehr geschehen, was seiner Langeweile nicht unbedingt gut tat.

Nanashi saß neben ihm auf der Rückenlehne der Bank und sah sich um. Das Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, ließ beiden Platz für ihre eigenen Gedanken.

„Mhm, Meister, ich muss Euch da noch etwas erzählen.“

„Was denn?“, fragte er ohne sie anzusehen.

„Als Ihr Fieber hattet und Leana sich um Euch gekümmert hat-“

Eine Explosion schnitt ihr das Wort ab. Euphorisch stand Zetsu auf. Endlich gab es etwas zu tun!

„Lass uns gehen, Nanashi! Das riecht nach Arbeit!“

Seufzend schwebte das Shinjuu nach oben. „Okay, dann gehen wir.“

Es dauerte nicht lange, bis sie den Ursprung der Explosion gefunden hatte. Hastig verbarg Zetsu sich hinter einer Häuserwand und sah hinüber.

Yuuto stand einem weißhaarigen Jungen gegenüber. Auch Zetsu hatte ihn schon öfter gesehen.

Also IST Yuuto ein Shinken-Träger. Und ich hatte gehofft, der andere Kerl wäre schon tot...

„Das ist Shun, ein Mitglied des Zerstörungskomitees!“

Nanashis Stimme wirkte gehetzt und angsterfüllt. Der Silberhaarige schmunzelte. „Du musst doch keine Angst vor ihm haben. Schon unsere letzte Begegnung vergessen?“

„Natürlich nicht...“

Wie könnte sie so etwas nur vergessen?

„Und bislang sieht er uns ja nicht.“

Zetsu sah wieder zu den beiden Kontrahenten hinüber. Inzwischen standen sich auch ihre Shinjuu gegenüber. Aselias Gesicht war vollkommen neutral, während das von Uruca ein schadenfrohes Grinsen zierte. Die Luft war geradezu mit Spannung geladen.

Shun hob den Arm.

Uruca verschwand, Aselia hob ihre Klinge. Ein lautes Geräusch ertönte, Funken sprühten. Im nächsten Moment war der schwarze Spirit wieder zu sehen. Ihr Schwert war auf das von Aselia getroffen.

Nanashi schluckte, als sie wieder an ihre erste Begegnung mit Shun und Uruca zurückdachte.
 

Ein wenig ratlos blickte Zetsu auf das silbern glänzende Schwert hinunter. „Ich glaube, daran werde ich mich nie gewöhnen.“

Sein Shinjuu seufzte schwer. Wie konnte er nur so begriffsstutzig sein? Eigentlich hatte sie erwartet, mit Zetsu Akatsuki keine Probleme zu haben, sobald er erwacht war, aber offensichtlich war das reines Wunschdenken gewesen. Oder er stellte sich nur so dumm.

„Meister...“ - wie sehr hasste sie es, ihn so nennen zu müssen - „verlasst Euch einfach auf 'Gyouten', es wird Euch sagen, wie es zu führen ist.“

„Ich wills hoffen.“

Idiot.

Wie hatte ihr großartiger und starker Meister nur in so jemandem wiedergeboren werden können?

„Dann komm jetzt.“

Ungeduldig schwebte sie voraus. Zetsu folgte ihr ein wenig langsamer. Er spürte, dass er ihren Unwillen auf sich gezogen hatte, aber er konnte ja nichts daran ändern.

Nach wenigen Metern hielt Nanashi wieder inne. „Auch das noch.“

„Was ist?“, fragte er.

„Da ist noch ein Shinken-Träger – scheint einer von der erfahrenen Sorte zu sein. Anders als Ihr.“

Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu, den er mit einem verlegenen Lächeln beantwortete.

Tatsächlich erklangen Schritte und im nächsten Moment stand ein weißhaariger Jugendlicher in seinem Alter vor Zetsu. Der Junge bleckte seine Zähne. „Na sowas. Wen haben wir denn da?“

Der Silberhaarige trat einen Schritt zurück. „Wer bist du?“

„Ich bin Shun Akitsuki, Meister des Shinken 'Chikai' – und du?“

Zetsu warf Nanashi einen verunsicherten Blick zu. Sie seufzte wieder. „Das hier ist Zetsu Akatsuki, Meister“ - sie hielt für einen Moment inne und machte ein gequältes Gesicht - „des Shinken 'Gyouten'.“

„Interessant“, bemerkte Shun. „Dann wollen wir doch mal sehen, wie gut du mit deinem Shinken umgehen kannst, mein Freund.“

Bevor Zetsu die Worte verarbeiten konnte, sah er seinen Gegenüber bereits angreifen. Reflexartig riss er sein Shinken hoch. Gerade noch rechtzeitig wehrte er damit Shuns Klinge ab.

Der Weißhaarige griff immer weiter an und drängte seinen Feind damit zurück.

Immer wieder wehrte Zetsu die Angriffe ab, auch wenn es ihm mit jedem Mal schwerer fiel.

Was soll ich nur tun...?

„Überlass das mir.“

Die Stimme in seinem Inneren erschreckte ihn. Sie klang so ähnlich wie seine, aber doch lauerte etwas darin, was ihm Angst machte. Er versuchte, sich zu wehren, doch wer immer dieser andere war, er war um einiges stärker.

Im nächsten Moment hatte er seinen eigenen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Dafür wehrte er die Angriffe nicht mehr nur ab, sondern erwiderte ebenfalls. Shun knurrte, während er nun seinerseits zurückgedrängt wurde.

„Uruca!“

Sein ebenfalls weißhaariges Shinjuu erschien. Mit einem Grinsen zog der Spirit sein Katana und griff ebenfalls an. Zetsus Augen konnten gar nicht so schnell folgen wie die Angriffe kamen, doch diese Person in ihm reagierte schneller als er. Egal wie schnell die Attacken erfolgten, er wehrte jede einzelne erfolgreich ab.

Mit einer heftigen Bewegung aus dem Handrücken, schlug er beiden schließlich ihre Waffen aus der Hand.

„Na, wer ist jetzt im Vorteil?“

Shun fluchte leise. „Er ist einer von denen, auch das noch. Verschwinden wir, Uruca!“

Sie nickte zustimmend. Während sie einfach verschwand, fuhr Shun herum und lief davon.

Zetsu sah ihm zufrieden lächelnd hinterher. Nanashi schwebte zu ihm hinüber. „Meister...“

Er sah sie an, sein selbstsicheres Lächeln versicherte ihr, dass er endgültig nicht mehr derselbe wie zuvor war.

„Meister, ab sofort kann ich Euch mit Stolz so nennen.“

Sie strahlte geradezu, während sie diese Worte sagte. Zetsu lachte leise. „Das will ich doch hoffen. Lass uns gehen, wir sind für heute fertig.“
 

„Er wusste genau, dass ich mal ein Gott war. Er wird sich bestimmt nicht mit uns anlegen.“

„Wenn Ihr das sagt, Meister.“

Mit einem heftigen Schlag schleuderte Aselia Uruca gegen einen Baum. Der schwarze Spirit löste sich in Manafunken auf.

Siegessicher wandte Yuuto sich an Shun. „Scheint als ob du verloren hättest.“

Der Weißhaarige erwiderte nichts, sondern trat die Flucht an.

Genau wie ich es erwartet hatte.

Unbemerkt entfernte Zetsu sich wieder von dem Kampfplatz. Langsam lief er den Weg entlang. „Also ist Takamine wirklich ein Shinken-Träger und er gehört zum Errettungskomitee. Wie ich es mir gedacht habe. Aber was will er dann von mir?“

In Gedanken versunken schwebte Nanashi neben ihm her. „Das ist eine gute Frage. Ich werde versuchen, das herauszufinden.“

„Aber vorher will ich wissen, was du mir vorhin erzählen wolltest“, erinnerte er sie wieder.

Sie nickte heftig. „Oh ja, genau! Als Ihr verletzt wart, habt Ihr doch Fieber bekommen.“

Bei der Erinnerung daran verzog er sein Gesicht.

„Nun... Leana kam doch, um Euch zu helfen, nicht? Könnt Ihr Euch nicht mehr daran erinnern, was sie da getan hat?“

Zetsu runzelte seine Stirn. „Sie hat meine Verbände gewechselt und mir Suppe gegeben?“

„Nein, davor.“

Diesmal schüttelte er den Kopf. Er konnte sich an nichts erinnern, was während seines Fieberdeliriums passiert war.

„Sie hat...“

Nanashi zögerte für einen Moment, bevor sie fortfuhr: „Sie hat einen Zauber bewirkt, mit dem sie Euch geheilt hat.“

Zetsu blieb ruckartig stehen. „Was?“

Sie nickte, um ihre Worte zu unterstützen. Dennoch sah er sie ungläubig an. „Das würde ja bedeuten, dass sie auch eine Shinken-Trägerin ist.“

„Korrekt.“

Er legte eine Hand an sein Kinn, sein Blick ging ins Leere, während er nachdachte.

Ob sie bereits erwacht ist? Und wenn ja, gehört sie einer Gruppe an? Vielleicht schließt sie sich ja uns an... aber wie soll ich sie darauf ansprechen?

Nanashi wartete geduldig, bis Zetsu wieder aus seiner Starre erwachte. „Reden wir ein andermal darüber. Gehen wir lieber nach Hause, ich bin müde.“

„Ja, Meister!“, rief sie euphorisch.

Sie setzte sich auf seine Schulter, die graue Kampfkleidung verschwand wieder. Er lächelte. „Dann gehen wir.“

Gemeinsam verließen sie den Park, froh, den Tag endlich hinter sich lassen zu können.
 

Nicht weit von dem Ort entfernt, an dem Zetsu über Leana gegrübelt hatte, saß Shun auf einer Bank und wartete auf die Person, mit der er dort verabredet gewesen war.

Dass Yuuto zwischendurch aufgetaucht war, war nicht geplant gewesen, aber so hatte Shun sich auch ein Bild über die Fortschritte dessen Shinjuu machen können. Aselia war deutlich besser geworden, was auch Uruca ihm bestätigen konnte.

Aber das würde Shun nicht davon abhalten, seinen Rivalen eines Tages herauszufordern.

Die Schritte der Person, wegen der er hier war, unterbrachen seine Gedanken. Er hob den Blick und sah Leana grinsend an. „Ah, da bist du ja.“

Sie seufzte. „Leider. Bist du für heute fertig?“

Shun nickte. „Du auch?“

„Natürlich. Zetsu hat den Kampf zwischen Uruca und Aselia beobachtet und sein Shinjuu hat ihm erzählt, dass ich auch ein Shinken habe.“

„Woher weiß das Shinjuu davon?“, fragte er mit gerunzelter Stirn.

Sie verschwieg, dass sie Zetsu mit ihrer Magie geheilt hatte und zuckte dafür mit den Schultern. „Keine Ahnung. Sehe ich wie ein Hellseher aus?“

An seinem Blick konnte sie deutlich erkennen, dass er ihr nicht glaubte, aber er stellte auch keine weiteren Fragen. „Fein. Ach ja, ich soll dir außerdem sagen, dass unser Boss gerne mal wieder mit dir reden würde.“

„Er kann mit Isolde reden“, erwiderte sie. „Ich mache das bestimmt nicht.“

Entschieden schüttelte er mit dem Kopf. „Nein, nein, er hat ausdrücklich darauf bestanden, mit dir zu reden. Er erwartet dich morgen Abend.“

Ein plötzlicher Anfall von Ekel und Widerwillen überkam Leana, aber sie nickte. „In Ordnung.“

Ich finde schon einen Weg, da wieder rauszukommen.

Shun grinste. „Gut, das war alles. Man sieht sich dann.“

Als er außer Sichtweite war, erschien Isolde, die mit den Augen rollte. „So ein Widerling.“

„Zum Glück muss ich nicht für immer mit ihm zu tun haben.“

Leana pustete Luft durch ihre geschlossenen Lippen. „Wir sollten dann auch mal gehen, ich muss morgen noch zum Kendo-Training.“

Isolde nickte zustimmend und ging gemeinsam mit Leana zurück nach Hause.

Wiedersehen mit Zetsu

Yuuto seufzte tief. „Endlich Sonntag.“

„Wo ist der Unterschied?“, fragte Zetsu.

Der Silberhaarige machte eine ausholende Handbewegung, welche die ganze Bar miteinschloss. Wie die ganze letzte Woche war der Laden leer. Nicht einmal Leana war da. Allerdings konnte Zetsu ihr das nicht verübeln. Am Freitag hatten sie sich beim Kendo-Training getroffen. Da Leana schlecht drauf gewesen war, hatte Zetsu sie aufmuntern wollen – doch offensichtlich war dadurch alles nur schlimmer geworden. Seitdem ignorierte sie ihn eisern. Es hätte ihn doch sehr gewundert, wenn sie weiterhin vorbeigekommen wäre.

Yuuto zuckte mit den Schultern. „Das bedeutet, dass wir die erste Woche hinter uns haben und bald nicht mehr arbeiten müssen.“

„Schon vergessen, dass wir auch nach den Ferien noch arbeiten müssen?“

Wenigstens musste er während seiner Arbeit in dieser Bar nicht im Café arbeiten. Allerdings drängte sich ihm die Frage auf, wie der Besitzer sie bezahlen konnte, wenn hier kaum jemand vorbeikam? Womit machte er Umsatz? Würden sie am Ende überhaupt bezahlt werden?

„Da fällt mir ein... Morgen in einer Woche ist das Kendo-Turnier, oder?“

Zetsu pustete Luft durch seine geschlossenen Lippen. „Oh ja. Das wird ein Spaß.“

Seine trockene Stimme strafte der Aussagen Lügen. Yuuto schmunzelte. „Meinst du, wir werden gegeneinander antreten?“

„Vielleicht. Vielleicht darfst du aber auch gegen Nozomu antreten.“

Zetsu war gar nicht erpicht auf dieses Turnier, aber er war nun mal im Kendo-Team und musste das daher in Kauf nehmen. Irgendwie würde er das schon überleben. Und das meinte er wörtlich. Woher auch immer diese Sicherheit kam, aber er war sich absolut sicher, dass etwas Schlimmes bei diesem Turnier geschehen würde.

„Wer ist Nozomu?“, fragte Yuuto.

Plötzlich schien er um einiges aufmerksamer zu sein als noch zuvor. Mit erwartungsvollem Blick sah er Zetsu an. Der Silberhaarige wich ein wenig zurück. „Ähm, ein Freund von mir.“

Yuuto hob eine Augenbraue. „Du hast einen Freund namens Nozomu?“

Zetsu nickte langsam. „Habe ich doch gerade gesagt.“

Zufrieden nickend lehnte Yuuto sich wieder ein wenig zurück. „Ich verstehe.“

Er ignorierte den misstrauischen Blick des anderen und sah stattdessen zur Tür. „Scheint als bekommen wir Besuch.“

Zetsu wandte ebenfalls den Kopf. Lächelnd stand er auf, als die Tür aufging. „Nozomu! Nagamine, Motou, schön euch zu sehen.“

Suzume schmunzelte nach einer kurzen Begrüßung der anderen. „Das glaube ich gern. Hier ist ja gar nichts los.“

Er nickte ihr zu, dann richtete er sein Augenmerk auf die vierte Person, die ihm absolut nicht bekannt vorkam. „Uh, Nozomu, hast du dir eine neue Freundin angelacht?“

Nozomu brummelte leise. „Yumiko, das ist Zetsu Akatsuki. Zetsu, das ist Yumiko Arakawa, eine alte Freundin von mir.“

Yumiko sah den Silberhaarigen mit großen, bewundernden Augen an. Nozomu war sich nicht sicher warum, aber er spürte einen leichten Stich der Eifersucht. In seinem Inneren hörte er Rehme leise kichernd singen.

„Nozomu ist verliehiebt~ Nozomu ist verliehiebt~“

Sei still!

Nozomi stieß Yumiko leicht an, worauf diese wieder ins Leben zurückkehrte. ein bewunderndes Seufzen entfuhr ihr. „Wow~ Ich wusste nicht, dass Nozomu-chan so einen coolen Freund hat, ai~“

Zetsu und Suzume lachten als Reaktion darauf.

„Akatsuki-kuns Charme hat mal wieder gesiegt“, sagte sie.

Nozomu brummelte noch einmal. „Können wir jetzt was trinken? Ich habe Durst.“

Wessen Idee war es nochmal gewesen, Zetsu bei der Arbeit zu besuchen? Ach ja, die von Suzume.

Er warf dem Mädchen einen genervten Blick zu. Als sie diesen bemerkte, erwiderte sie mit einem verspielten Blinzeln. Mit einem innerlichen Seufzen stellte er fest, dass er nicht wütend auf sie sein konnte. Außerdem musste er zugeben, dass er Zetsu in der letzten Woche auch vermisst hatte.

Yuuto stand nun ebenfalls auf. „Setzt euch nur, ich werde euch bedienen. Dann könnt ihr euch mit Zetsu unterhalten.“

„Und du die Trinkgelder einsacken“, bemerkte der Silberhaarige grinsend.

Sein Kollege schnitt ihm eine Grimasse.

Die Gruppe setzte sich an einen Tisch. Nozomi achtete darauf, dass sie neben Nozomu sitzen konnte – allerdings konnte sie nicht verhindern, dass Yumiko sich auf die andere Seite des Jungen setzte.

Zetsu und Suzume setzten sich den dreien gegenüber an den Tisch. Sie grinste, während sie den lautlosen Zickenkrieg beobachtete. Yumikos Blick galt inzwischen wieder Nozomu, den sie genau wie vorhin Zetsu, mit strahlenden Augen betrachtete.

Wenn das nicht Liebe ist~

Yuuto nahm die Bestellung auf und verschwand hinter den Tresen.

„Dann erzähl mal, Nozomu“, forderte Zetsu ihn auf. „Wie war die Woche am Strand? Hast du viele gut aussehende Frauen gesehen?“

„Akatsuki-kun!“, empörte Nozomi sich. „Kannst du denn nur an das eine denken?“

Unschuldig hob er die Schultern. „Schöne Frauen sind nun einmal schön anzusehen.“

Suzume und Yumiko lachten zustimmend, lediglich Nozomi und Nozomu saßen mit versteinerten Gesichtern da.

Mit besorgtem Blick musterte Zetsu seinen Freund. „Alles okay?“

„Ja, mach dir keine Sorgen.“

Ihm war absolut nicht nach Lachen zumute, auch wenn er nicht wusste, weswegen. Die Tage am Meer hatten ihm gut getan, aber das Ereignis am letzten Tag hatte alles wieder zunichte gemacht. Seit der Begegnung mit der Undine fragte er sich, wer hinter ihr steckte. Natürlich, er wusste, dass es das Zerstörungskomitee war, aber ihn interessierte der Meister des Shinjuu selbst.

Und dann war da noch die Frage, was das Komitee eigentlich von ihm wollte. Bis er darauf keine Antwort hatte, war er nicht mehr in der Stimmung zu lachen – glaubte er zumindest.

„In Ordnung“, sagte Zetsu. „Aber was habt ihr sonst so erlebt?“

Nozomu und Nozomi erzählten abwechselnd von den Tagen, die sie im Hotel verbracht hatten. Während der Erzählung begann Zetsu zu schmunzeln. „Klingt ganz schön langweilig.“

„Ich fand es erholsam“, erwiderte Nozomu.

Suzume lachte. „Kann ja nicht jeder so sein wie du, Akatsuki, und sich ins Nachtleben stürzen.“

Gespielt verärgert fuhr er ihr durch die Haare. „Redet man so mit seinem liebsten Mitschüler?“

„Woher willst du wissen, ob du das bei mir bist?“

Er hielt wieder inne und warf sich in die Brust. „Weil ich der Lieblingsmitschüler von jedem bin.“

„Einbildung ist auch eine Bildung“, bemerkte Rehme in Nozomus Inneren.

Na ja, aber das macht Zetsu immerhin aus.

„Meinst du etwa, dass er ohne seine Einbildung nicht mehr Zetsu wäre?“

Jedenfalls wäre er dann ein sehr seltsamer Zetsu.

„Mhm, stimmt natürlich...“

Suzume schmunzelte. Offensichtlich gefiel es ihr, ihn herauszufordern, denn sie setzte sofort nach: „Und wenn ich dir sage, dass ich Ikaruga viel lieber habe?“

„Dann würde ich vermuten, dass du lügst oder mich nur eifersüchtig machen willst.“

Bevor sie noch etwas sagen konnte, brach Yumiko in Gelächter aus. „Ich wusste gar nicht, dass Nozomu-chan so lustige Freunde hat, ai~ Er kann ich wirklich glücklich schätzen, euch alle zu haben.“

Sie sah ihn wieder an. Er erwiderte ihren Blick ausdruckslos.

Sie hatte ja recht. Bis vor wenigen Monaten noch war er völlig allein in einer psychiatrischen Einrichtung gewesen und nun hatte er nicht nur Nozomi, sondern auch Zetsu, Suzume und Yumiko. Und auch Shinsuke, Misato, Sanae und nicht zu vergessen sein Shinjuu Rehme. Ja, er konnte sich wirklich glücklich schätzen, sie alle zu haben und nicht mehr allein zu sein.

Bei dieser Erkenntnis lächelte er leicht.

Yuuto stellte ihnen die Getränke hin und verschwand dann wieder in die Küche.

Nozomu sah zu Zetsu hinüber. „Wie sieht es zwischen dir und Vartanian aus?“

Für einen Moment war der Silberhaarige völlig perplex, doch dann lachte er plötzlich verlegen. Etwas, was keiner der Anwesenden von ihm kannte.

„Wie soll es aussehen?“

„Na ja, du bist doch so begeistert von ihr, ich dachte, du hättest inzwischen Fortschritte gemacht.“

Zetsu warf einen Blick zur Küche. Erst als er sicher war, dass Yuuto nichts mitbekam, blickte er wieder Nozomu an.

„Vielleicht“, antwortete er mit gesenkter Stimme. „Aber viel wichtiger ist es, zu wissen, dass Leana nicht das ist, was sie zu sein scheint.“

„Was meinst du damit?“, fragte Nozomi irritiert.

„Leana besitzt ein Shinken“, antwortete er ernst.

Irgendwie überraschte Nozomu diese Nachricht nicht. Dass Leana nicht einfach nur ein x-beliebiges Mädchen war, das hatte er bereits früher gemerkt. Dies war nur noch die Bestätigung dafür.

Erschrocken legte Nozomi eine Hand vor ihren Mund. „Tut sie das wirklich?“

Zetsu nickte. Er sah zu Yumiko hinüber, die er bei dieser Eröffnung völlig vergessen hatte, in der Erwartung, dass er ihr etwas erklären müsste. Doch sie legte eine Hand an ihre Wange. „Die Shinken-Nutzer versammeln sich wohl in Nozomus Nähe.“

Sie lachte leise.

„Sie weiß schon Bescheid?“, fragte Zetsu an seinen Freund gewandt.

Nozomu nickte zustimmend. „Sie hat selbst ein Shinken.“

Er verzichtete darauf, ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Bestimmt würde er nur genau wie Rehme davon anfangen, dass sie die Gruppe verraten würde und das wollte Nozomu nicht glauben.

So schmunzelte Zetsu nur. „Vermutlich hat sie recht und wir versammeln uns alle um dich.“

Nozomu winkte ab. „Ja, sicher. Warum sollte das so sein?“

Die anderen zuckten mit den Schultern. „Wer weiß?“

Er schüttelte nur den Kopf. „Lasst uns das Thema wechseln.“

Zetsu nickte zustimmend und begann von dem anstehenden Kendo-Turnier zwischen den Schulen dieser Stadt zu erzählen.
 

„Yuuto-sama...“

Aselia saß auf einem Barhocker, der in der Küche stand und sah ihren Meister abwartend an. Er wandte sich von der Tür ab und sah sie fragend an. „Was gibt es?“

„Das ist Setoki Nozomu, eine der Zielpersonen des Zerstörungskomitees. Sollten wir nicht etwas unternehmen?“

Yuuto sah wieder zur Tür. Also war er das wirklich. Welch ein Zufall. Doch er schüttelte seinen Kopf. „Was willst du denn unternehmen? Ihn fesseln und knebeln und zu unserer Anführerin schleppen?“

Er fragte es mit einem sarkastischen Unterton, den Aselia natürlich nicht mitbekam. Mit einem völlig ernsten Gesichtsausdruck nickte sie. „Natürlich.“

Ihre kleinen Flügel zuckten leicht, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie auf einen Kampf brannte.

Noch einmal schüttelte er seinen Kopf. „Das ist keine gute Idee. Denk daran, dass wir ihn als Verbündeten bräuchten – aber diese Maßnahme dient eher dazu, ihn zu unserem Feind zu machen.“

Sie nickte. Zwar schien sie die Erklärung nicht nachvollziehen zu können, aber was ihr Meister befahl, das wurde getan.

Yuuto tätschelte ihren Kopf. „Keine Sorge, du wirst bald wieder kämpfen dürfen, das habe ich im Gefühl. Solange musst du dich aber zurückhalten.“

Ein erneutes Nicken von ihr folgte darauf. Ein lautloser Befehl folgte und sie löste sich in blaue Manafunken auf, worauf Yuuto sich wieder um seine Arbeit kümmerte.
 

Nach zwei Stunden verabschiedete sich die Gruppe wieder von Zetsu, der noch keinen Feierabend hatte. Yumiko verabschiedete sich allerdings auffallend lange, sie zögerte die Zeit, in der sie Zetsus Hand hielt, so lange wie möglich hinaus.

„Kommst du eigentlich zu uns auf die Schule?“, fragte Zetsu, um das zu überspielen.

Sie nickte heftig. „Oh ja. Salles-sama hat bereits versprochen, mich dort unterzubringen.“

Zwar hatte sie noch nicht lange mit ihm gesprochen, doch das war eines seiner ersten Versprechen gewesen.

„Das freut mich“, sagte er lächelnd.

Sie nickte noch einmal. Auf Nozomis Räuspern ließ sie endlich Zetsus Hand los.

Der Silberhaarige sah zu Nozomu hinüber. „Ich sehe dich morgen beim Kendo-Training, nicht?“

Der Junge nickte zustimmend. „Natürlich.“

Er war zwar nicht auch wirklich wild darauf, aber es musste wohl sein. Yumiko quietschte leise. „Ai, Nozomu ist bestimmt ein guter Kendo-Kämpfer.“

Zetsu lachte. „Das werden wir ja beim Turnier sehen. Also bis dann~“

Lächelnd verabschiedeten die anderen sich und gingen davon.

Der Silberhaarige seufzte, als endlich die Tür hinter ihnen zufiel. Yuuto lachte. „Du bist wohl froh, dass sie weg sind.“

Zetsu drehte sich zu ihm und zuckte mit den Schultern. „Ein wenig. Freunde können ganz schön anstrengend sein.“

„Wem sagst du das? Ich bin froh, dass meine Freunde noch nicht aufgetaucht sind. Vermutlich sind sie beschäftigt.“

„Dann sei froh.“

Zetsu begann, den Tisch abzuräumen. Yuuto beobachtete ihn dabei. „Aber deine Freunde wirken sehr sympathisch.“

„Ja, das sind sie auch. Aber manchmal bin ich lieber allein.“

„Wie jeder Mensch eben.“

Beide nickten zustimmend und begaben sich wieder unabhängig voneinander an die Arbeit.

Subaru

Es gab kaum etwas, was Nozomu noch mehr hasste als frühes Aufstehen – aber frühes Aufstehen in den Ferien gehörte mit Sicherheit dazu. Seufzend erhob er sich, als sein Wecker klingelte.

Neidvoll stellte er sich vor, wie Suzume sich gerade genussvoll noch einmal umdrehte.

Als er angezogen war, warf er einen Blick auf sein ungemachtes Bett und knurrte leise. Rehme lag immer noch da, offensichtlich schlief sie tief und fest.

Er überlegte, sie zu wecken, doch er verwarf den Gedanken wieder. Es war schon genug, dass er schlecht gelaunt war, ein zickiges Shinjuu würde ihm auch nicht weiterhelfen.

Immer noch müde ging er in die Küche hinunter, wo er nicht allein war. Baila hob den Blick vom Küchentisch und musterte ihn fragend.

„Guten Morgen“, grüßte er sie.

Sie nickte nur.

So wortkarg wie üblich.

Er machte sich nichts daraus, nahm sich eine Schale und einen Löffel und setzte sich. Wortlos schob Baila ihm die Cornflakes und die Milch hinüber. Nozomu bedankte sich mit einem kurzen Lächeln, bevor er sich beides in die Schale füllte.

Das Frühstück ging schweigend vonstatten. Doch er konnte sich nicht helfen, sich zu fragen, warum Baila schon so früh wach war. Schlief sie so wenig oder schlecht oder hatte sie auch noch Pläne?

Dennoch traute er sich nicht zu fragen. Es war keine Furcht, die er empfand, eher wollte er nicht wie ein Idiot aussehen, weil sie ihm nicht antwortete. Und dass sie es nicht tun würde, war ihm klar.

Das Schweigen war ihm allerdings auch unangenehm, also beschloss er, etwas anderes zu fragen: „Wie war deine letzte Woche?“

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, bevor sie antwortete: „In Ordnung. Und deine?“

Er schmunzelte. „Ich hatte eine schöne Woche.“

Obwohl er nicht wusste weswegen, begann er, ihr von dem Hotel und dem Strand zu erzählen. Auf die Ereignisse vom letzten Tag verzichtete er allerdings auch diesmal.

Baila nickte verstehend, ohne ihn zu unterbrechen.

„Ich verstehe“, sagte sie schließlich. „Hört sich nach Spaß an. Ich war... auch mal am Strand.“

„Ist das wahr?“

Bislang hatte Baila nie etwas von sich aus erzählt, weswegen ihn das noch um einiges mehr überraschte. Sie nickte noch einmal. „Das war letztes Jahr. Damals waren Subaru, Shou und ich...“

Plötzlich verstummte sie wieder. Er legte den Kopf schräg. Shou war doch auch der Name des Jungen gewesen, der kurz vor Nozomus erstem Schultag getötet worden war.

Ob das nur ein Zufall war?

Und wer war Subaru?

Auch wenn er die Antworten darauf nicht wusste, konnte er sagen, dass die beiden sehr wichtige Personen für Baila gewesen waren, das sah er an ihrem Blick, während sie zurückdachte.

Auf einmal stand sie auf, räumte ihr benutztes Geschirr weg und verließ grußlos die Küche.

Nozomu sah ihr fragend hinterher. Anscheinend war das wirklich ein empfindlicher Punkt bei ihr.

Als er selbst fertig mit dem Frühstück war, räumte er sein Geschirr ebenfalls weg und begab sich mit seiner Sporttasche auf den Weg zur Schule.

Entgegen seiner Erwartung entdeckte er tatsächlich Zetsu, der vor dem Schulgelände stand. Er lehnte gegen die Mauer und schien – im Stehen – zu schlafen. Nozomu schmunzelte.

So vorsichtig wie möglich schlich er sich an seinen Freund heran, nur um ihm ein fröhliches „Guten Morgen!“ entgegen zu schmettern.

Zetsu machte einen erschrockenen Sprung zur Seite. Er ging in Abwehrhaltung und sah sich nach seinem Feind um. Nozomu dagegen lachte. „Oh Mann, du solltest dein Gesicht sehen!“

Mit gerunzelter Stirn, was bei ihm auf Verärgerung schließen ließ, sah Zetsu seinen Freund an. „Sind wir heute gut drauf, ja?“

„Nicht wirklich“, antwortete er ernst. „Aber jetzt schon ein bisschen.“

Er schmunzelte, was bei Zetsu zu einem Seufzen führte. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, erklang eine weitere Stimme: „Er gibt dir nur, was du verdienst, Akatsuki.“

Nozomu wandte den Kopf und sah die dazugekommene Leana an. Wie üblich musterte sie beide mit kühlen Blicken, aber inzwischen machte es zumindest Nozomu nichts mehr aus.

„Guten Morgen, Vartanian“, grüßte er sie.

Überrascht hob sie eine Augenbraue. Doch nur für den Bruchteil einer Sekunde, sofort verfiel sie wieder in ihr übliches kühles Gehabe. „Guten Morgen, Setoki.“

Aber immerhin erwiderte sie den Gruß, das war schon ein Fortschritt.

Sofort setzte Zetsu nach: „Guten Morgen, Leana.“

Unbeeindruckt ging sie an ihm vorbei. „Zu spät, Akatsuki.“

Er grummelte leise, als sie außer Sichtweite war. Bedrückt sah Nozomu ihn an. „Tut mir Leid?“

„Ach, vergiss es. Lass uns auch reingehen.“

Damit betrat Zetsu das Schulgelände, dicht gefolgt von Nozomu.
 

Während die drei mit dem Kendo-Unterricht anfingen, saßen die anderen Bewohner des Wohnheimes gemeinsam beim Frühstück. Rehme hatte sich einen eigenen Platz gesichert und haute ebenfalls rein – im wahrsten Sinne des Wortes.

Yumiko lachte leise. „Rehme-chan hat ganz schön viel Hunger, ai.“

„Ich wusste nicht einmal, dass Shinjuu essen“, bemerkte Jatzieta.

Rehme hielt inne und sah die Ärztin an. „Normalerweise tun wir das auch nicht. Aber es schmeckt einfach so gut.“

„So jemanden kenne ich auch.“

Jatzieta warf einen Seitenblick zu Salles, der allerdings nicht darauf reagierte. Nozomi und Suzume warfen sich einen fragenden Blick zu, wagten aber nicht, nachzuhaken.

Yumiko kümmerte sich nicht darum, sondern beschäftigte sich damit, Rehme anzustupsen. „Du bist so süß, ai!“

„Hör auf damit“, fauchte das Shinjuu.

Das Mädchen lachte und kümmerte sich wieder um ihr eigenes Frühstück.

„Yumiko, ich will nachher noch mit dir reden“, sagte Salles plötzlich, ohne von seinem Essen aufzusehen.

Sie nickte sofort. „Natürlich.“

Bislang waren sie nicht dazu gekommen, aber früher oder später musste Yumiko da durch.

Salles nickte ebenfalls und aß gedankenverloren wie üblich weiter.

Rehme zog derweil ihr Essen näher zu Nozomi hinüber, um vor Yumiko sicher zu sein.

„Wo ist eigentlich Baila?“, fragte Suzume. „Schläft sie noch?“

Jatzieta schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Sie scheint weggegangen zu sein, ich weiß aber nicht wohin. In der letzten Woche ist sie jeden Morgen sehr früh aus dem Haus. Ich glaube, ausschlafen ist ihr inzwischen fremd.“

Suzume legte den Kopf schräg. „Stimmt, ich habe sie ziemlich selten gesehen in der letzten Zeit. Fast so als würde sie uns ausweichen.“

„Ist sie wirklich eine zuverlässige Verbündete?“, fragte Nozomi. „Wenn wir so wenig über sie wissen, könnte es doch sein, dass sie für eine der Gegenseiten arbeitet...“

Sprachlos sahen die anderen sie an. Verwirrt erwiderte sie die Blicke. „Was denn?“

„Dass gerade du so etwas sagst, Nozomi“, hauchte Suzume. „Das hätte ich nie von dir erwartet. Seit wann bist du so misstrauisch?“

Das Mädchen druckste um eine Antwort herum, Salles seufzte bereits. „Keine Sorge. Baila ist sehr vertrauenswürdig. Eher würde ich mir Sorgen machen, dass Jatzieta uns verrät.“

Er warf der Ärztin einen schmunzelnden Blick zu, sie lachte als Antwort.

Nozomi nickte leicht. „Verstehe.“

Woher kam nur dieses unerschütterliche Vertrauen in das schweigsame Mädchen?

Schließlich stand Salles auf. „Yumiko, du kommst zu mir, wenn du fertig bist.“

Als sie nickte, verließ er den Raum.

Jatzieta sah die Mädchen lächelnd an. „Und was tun wir heute?“
 

Nach dem angespannten Training verließen Zetsu und Nozomu die Sporthalle. Die Laune des Silberhaarigen hatte sich um keinen Deut gebessert, besonders weil Leana ihn während des Trainings fertiggemacht hatte.

Er beachtete sie nicht einmal, als sie direkt an ihm vorbeilief und vor den beiden das Schulgelände verließ.

Zetsu grummelte leise, Nozomu schwieg. Er musste sich anstrengen, nicht einfach mit den Augen zu rollen, sonst wäre der Silberhaarige sicher noch ausgerastet.

Doch plötzlich seufzte dieser nur. „Na ja, ich muss noch arbeiten gehen. Wir sehen uns morgen. Aber dann erschreckst du mich bitte nicht so.“

Nozomu nickte nur. Er verabschiedete sich von seinem Freund und sah Zetsu hinterher, bis er um die Ecke bog.

Er selbst blieb dagegen stehen und warf einen Blick zu der anderen Gruppe hinüber, die er bislang nicht beachtet hatte. Es war die Kyudo-Gruppe, die sich dem Anschein nach auch für ein Turnier vorbereitete. Wieder einmal entdeckte Nozomu den Jungen mit dem Stirnband, der damals von Baila beobachtet worden war.

Unwillkürlich sah er sich nach dessen Shinjuu um. Pollux hatte damals mit ihm spielen wollen, aber war es für ein Shinjuu überhaupt möglich, zu erscheinen, bevor sein Meister erwacht war?

Nozomu wusste es nicht und da Rehme nicht bei ihm war, konnte er diese auch nicht fragen. Neugierig ging er näher. Der Junge mit dem Stirnband hielt inne und lächelte ihm zu. „Kann ich dir helfen?“

Nozomu schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Ich wollte nur etwas von dir wissen.“

„Und was?“, fragte der Junge freundlich.

Er zeigte auf das Stirnband. „Warum trägst du das?“

Eigentlich hätte ihn mehr interessiert, ob er Baila kannte, aber irgendwie kam ihm die Frage nicht angemessen vor – also musste eine Ausweich-Frage her.

Der Junge lächelte immer noch. „Ich habe eine Narbe auf der Stirn, die mich sehr stört.“

„Wie Harry Potter, eh?“

Die Frage war Nozomu herausgerutscht, bevor er es hatte verhindern können. Subaru lachte amüsiert. „So in etwa. Nur stammt meine nicht von einem bösen Zauberer, ich habe sie durch einen Unfall erhalten.“

Wenigstens war er nicht wütend geworden. Nozomu ging nicht weiter darauf ein. Er wollte ihn gerade nach seinem Namen fragen, als der Junge ihm zuvorkam: „Du kennst doch Baila Vays, oder?“

Die Frage überrumpelte Nozomu. Er nickte automatisch. „Wir sind im selben Wohnheim.“

Das Gesicht seines Gegenübers hellte sich auf. „Ein Wohnheim, natürlich. Wie geht es ihr denn?“

„Kennst du sie?“, erwiderte Nozomu mit einer Gegenfrage.

Der Junge nickte. „Ich bin Subaru Seraphca, ein früherer Freund von ihr.“

„Früherer?“, fragte Nozomu automatisch.

Also das ist Subaru.

„Ja, als sie sie noch auf diese Schule ging.“

Diese Aussage überraschte Nozomu. Er hatte nicht gewusst, dass Baila einmal auf der Monobe-Akademie gewesen war. Aber warum war sie dann auf die Akiyama gewechselt?

„Und nach dem Schulwechsel ist sie außerdem umgezogen“, erklärte Subaru weiter. „Ich wusste nicht mehr, wo ich nach ihr suchen sollte.“

Nozomu deutete auf das Schultor. „Aber sie steht doch so oft dort. Warum redest du nicht mit ihr?“

Ein bitterer Zug schlich sich auf Subarus Gesicht. „Ich habe es versucht. Aber... sie läuft immer weg.“

Das klang tatsächlich wie etwas, das Baila tun würde. Aber warum?

Je mehr Antworten er bekam desto mehr Fragen taten sich für ihn auf. Es war frustrierend.

Sofort hellte sich das Gesicht des Bogenschützen wieder auf. „Aber du kannst ihr doch etwas ausrichten, oder? Sag ihr bitte, dass ich mir Sorgen um sie mache.“

„Das tue ich“, versprach Nozomu.

Auch wenn er sich nicht sicher war, wie Baila darauf reagieren würde.

„Dann bis bald, Setoki.“

Nozomu hob überrascht seine Augenbrauen. „Du kennst meinen Namen?“

„Aber natürlich. Auf dieser Schule kennt jeder deinen Namen.“

„Weswegen?“, fragte er verständnislos.

Im ersten Moment glaubte er, dass es etwas mit seinen Eltern zu tun hätte, doch Subaru lächelte nach wie vor. „Natürlich redet jeder über den Jungen, der es geschafft hat, sich mit Schulschwarm Akatsuki anzufreunden.“

„Oh ja~“

Das hatte er fast schon wieder vergessen.

„Nun, ich muss wieder an die Arbeit“, sagte Subaru schließlich. „Bis dann, Setoki.“

Nozomu verabschiedete sich auch und ging davon.

Hoffentlich wird der morgige Tagen besser. Wenn Zetsu und Vartanian morgen immer noch so sauer aufeinander sind halte ich das nicht mehr aus.
 

Baila kehrte erst am Abend in das Wohnheim zurück. Nozomu saß gemeinsam mit den anderen Bewohnern im Eingangsbereich auf den Sofas und unterhielt sich mit ihnen hauptsächlich über den heutigen Tag.

Die Mädchen hatten diesen anscheinend gemeinsam mit Jatzieta bei einem Stadtbummel verbracht. Suzume, Yumiko und die Ärztin hatten dabei ihren Spaß gehabt – Nozomi dagegen schien ein wenig eingeschnappt zu sein. Allerdings kümmerte Nozomu sich nicht weiter darum.

Er stand auf, als Baila hereinkam. Fragend sah sie ihn an.

„Baila, ich soll dir etwas ausrichten.“

Sie legte den Kopf schräg. Er räusperte sich. „Subaru macht sich Sorgen um dich.“

Ihr Gesicht verschloss sich sofort. Ohne etwas zu sagen, wandte sie sich ab und lief in Richtung Treppe davon.

Die anderen sahen ihr fragend hinterher. Suzume hustete. „Noz, was hast du jetzt schon wieder gemacht?“

„Nur eine Nachricht weitergegeben.“

Er zuckte mit den Schultern. Eine solche Reaktion hatte er allerdings tatsächlich erwartet.

„Mein Nozomu-chan könnte doch nie einer Frau etwas antun, ai“, kam es von Yumiko.

Suzume lachte. „Wahrscheinlich. Will noch jemand Tee? Ansonsten räume ich jetzt die Küche auf.“

Die anderen schüttelten sofort ihre Köpfe. Yumiko stand auf. „Ich helfe dir!“

Gemeinsam gingen sie in die Küche davon.

Nozomi seufzte. „Langsam wünschte ich, wir hätten mehr Jungen in diesem Wohnheim.“

Schmunzelnd sah Nozomu sie an. „Weswegen?“

Als ihr bewusst wurde, dass sie das eben laut gesagt hatte, senkte sie verlegen den Blick. „Ach nur so. Ich gehe dann in mein Zimmer und lerne noch etwas.“

Nozomu nickte ihr zu. Er sah ihr hinterher, während sie davonging. Kaum war sie weg, seufzte er leise. „Tja, dann geh ich mal ins Bett...“

Und hoffe, dass der morgige Tag besser läuft.

Eine wässrige Begegnung

Einst war der Innenhof ein trostloses Stück Umwelt mit verdorrten Blumenbeeten gewesen. Abgesehen von den Bakterien in den Mülltonnen hatte es keinerlei Leben gegeben.

Vor ungefähr einem Jahr war das allerdings anders geworden. Seit dieser Zeit kümmerte sich jemand liebevoll um die Beete, die inzwischen mit farbenprächtigen Blumen bewachsen waren.

Und seit dieser Zeit nahm auch jemand seine Pflicht, den Hof zu fegen um einiges mehr wahr.

Fast schon automatisch bewegte Kouin den Besen hin und her, womit er den Sand und den Dreck nur immer von einer Stelle zur anderen schob.

Seine Gedanken dagegen galten dem, was Yuuto ihnen am Abend zuvor gesagt hatte. Er war tatsächlich fündig geworden und kannte neben Zetsu Akatsuki nun auch Nozomu Setoki.

Da fehlte nur noch diese Suzume Motou, auch wenn ihre Anführerin meinte, dass sie diese ignorieren könnten. Also konzentrierten sie sich auf Setoki und Akatsuki, doch was genau sie mit diesen machen sollten und wofür das Zerstörungskomitee sie brauchte, das war Kouin nicht klar.

Überhaupt schien Satsuki um einiges mehr zu wissen als der Rest ihrer Gruppe. Aber warum teilte sie das Wissen nicht?

Das war ihm nicht klar. Sie sollte doch wissen, dass es wichtig war, dass die Gruppe zusammenhielt und das ging normalerweise nur, wenn sie alle dasselbe wussten.

Yuuto und Kyoko schien es gar nicht zu stören, aber Kouin dachte bereits weiter – auch wenn ihm das im Moment nicht sonderlich half, sondern eher mit quälender Wissbegierde zurückließ.

Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Arm.

„Meister“, hörte er eine warme, weiche Stimme sagen, „ist alles in Ordnung?“

Er nickte sofort. „Ja, sicher.“

Seufzend wandte er sich der Person neben sich zu und sah direkt in ihre grünen Augen. Ihr braunes Haar reichte ihr nur bis zur Schulter, sie trug eine grüne Hausmädchenuniform. „Seid Ihr wirklich sicher?“

Sonderlich überzeugt wirkte sie nicht, also nickte er noch einmal. „Ja, nur keine Sorge, Espelia. Das ist es echt nicht wert.“

„Aber Ihr scheint in Gedanken versunken“, gab sie zu bedenken.

Espelia legte den Kopf schräg, um zu zeigen, dass sie nicht lockerlassen würde. Zwar wirkte sie so sanft und gutmütig, doch schlummerte darunter eine beeindruckende Entschlossenheit, gepaart mit einem starken Willen. Wenn sie sich etwas zum Ziel gesetzt hatte, ließ sie nicht mehr davon ab, bis es erreicht war.

Also gab er sich geschlagen. „Ich habe nur darüber nachgedacht, weswegen wir Setoki und Akatsuki brauchen und warum wir Motou ignorieren sollen. Satsuki und Naya wissen etwas, aber sie sagen es uns nicht und ich frage mich, warum.“

Espelia nickte verstehend. „Ich kann Eure Bedenken verstehen, Meister. Wenn ich könnte, würde ich Euch mehr verraten oder Informationen für Euch beschaffen... doch leider bin ich nicht so geschickt wie Orupha. Verzeiht.“

Sie trat einen Schritt zurück und verneigte sich demütig, um zu zeigen, wie Leid es ihr tat.

Kouin winkte hastig ab. „Lass das, Espelia. Das sollst du doch nicht tun!“

Sofort stellte sie sich wieder aufrecht hin. „Verzeiht, Meister.“

Er seufzte nur und sah zu dem Durchgang, der auf die Straße führte. Es war allerdings nur eine Hintergasse, so dass wie immer alles ruhig war. Dennoch konnte er sich manchmal nicht dem Eindruck erwehren, dass er beobachtet wurde, wenn er sich mit Espelia unterhielt.

Plötzlich wandte sich sein Shinjuu ab und nahm eine Gießkanne, die an der Seite stand. Andächtig ging sie vor den Beeten in die Knie und begann damit, die Blumen zu gießen.

„Wenn ich damit fertig bin“, sagte sie, „können wir unsere Runde machen. Heute sind wir doch dran, oder?“

Wieder einmal nickte er. Am liebsten hätte er das vergessen. Auch wenn er Espelia mochte, empfand er seine Pflichten als Shinken-Träger als absolut unliebsam und noch dazu undankbar. Jedenfalls konnte er sich nicht daran erinnern, jemals ein „Danke“ für seine Arbeit bekommen zu haben. Und noch dazu schien es ihm als würden sie keinerlei Fortschritte machen. Zwar starben immer wieder Shinken-Träger, doch kaum einer von ihnen schien zum Zerstörungskomitee zu gehören. Die meisten waren parteilose Träger oder solche, die gerade erst erwacht waren.

Es schien ein nie enden wollender Kreislauf aus immer wiederkehrenden Lakaien zu sein, egal wie oft man sie vernichtete.

Allein der Gedanke deprimierte Kouin und stimmte ihn missmutig. Aber er tat, was er tun musste, seit er das Shinken freiwillig ergriffen hatte.

Espelia wandte ihm den Kopf zu. „Meister, Ihr seht nicht zufrieden aus.“

„Ah, schon gut, kümmere dich nicht darum.“

Er stellte den Besen, den er an diesem Tag ohnehin kaum gebraucht hatte, zur Seite. „Lass uns lieber gleich gehen, Espelia. Die Sonne ist ja schon untergegangen.“

Mit einer ausholenden Handbewegung deutete er auf die leuchtenden Straßenlaternen und das Licht, das aus den Fenstern seines Heims schien. Seine Eltern waren bestimmt bereits damit beschäftigt, das Abendessen zuzubereiten. Er sollte also lieber vorher wieder zurück sein.

Espelia stellte die Gießkanne wieder ab und nickte zustimmend. „Gehen wir.“

Ein leises Lachen erklang. Fragend sahen die beiden sich um.

„Wenn ihr das noch schafft, meine Lieben.“

„Diese Stimme...“, murmelte Espelia.

Im nächsten Moment war der Innenhof von dicken Mauern aus Eis umgeben. Kouin knurrte leise. „Schon wieder die beiden...“

„Ich fühle mich geehrt, dass du dich an mich erinnerst.“

Eine Undine erschien vor den beiden, das Schwert hielt sie bereits in ihrer Hand.

Espelia ließ ihren Speer erscheinen und stellte sich schützend vor Kouin. „Nerida!“

Die Undine lächelte kalt. „Ja, es freut mich auch, euch zu sehen. Und das hoffentlich zum letzten Mal!“

Mit diesen Worten wurde der Boden des Hofes plötzlich unter Wasser gesetzt. Sechs Wassersäulen schossen in die Höhe und nahmen die Gestalt von lachenden Tänzerinnen an.

Kouin knurrte noch einmal und ließ sein Shinken erscheinen. Genau wie die roten Lakaien besaß er ein Schwert mit zwei Klingen, die durch einen Griff miteinander verbunden waren. Die Klingen waren flammend rot, im Gegensatz zu seinem Temperament.

„Was soll das jetzt?!“, fragte er scharf.

„Das Errettungskomitee wird überflüssig“, antwortete Nerida kühl. „Deswegen werden wir euch nun auseinandernehmen!“

Mit einem Lachen setzten sich die Wassertänzerinnen in Bewegung und umkreisten ihre Feinde.

Espelia ließ ihren Speer los, der weiter vor ihr schwebte, dann faltete sie ihre Hände. Eine grüne Pyramide aus Mana erschien um ihren Körper, während sie leise eine Zauberformel murmelte. Im nächsten Moment schossen unzählige Pfeilspitzen aus der Pyramide. Die ersten zwei Tänzerinnen lösten sich bereits wieder in Wasser auf.

Kouin wirbelte herum, sein Schwert ließ dabei zwei weitere von diesen Wesen zerplatzen.

Nerida schien zufrieden zu lächeln, es störte sie anscheinend gar nicht, dass sie gerade dabei waren ihren Plan zu zerstören.

Espelia ergriff ihren Speer wieder und stellte sich erneut in Angriffsposition.

Bevor sie die beiden verbliebenen Wesen auch zerstören konnten, ließ Nerida ihr Schwert aus Wasser erscheinen. Ohne weitere Worte griff sie ebenfalls an.

Ihre Attacke scheiterte an Espelias grünem Pyramiden-Schild. Das Spirit-Shinjuu erwiderte sofort mit einem eigenen Hieb seines Speers. In dem Moment, in dem die Spitze durch Neridas Körper ging, löste diese sich in Wasser auf.

Kouin seufzte genervt. „Es ist immer derselbe Trick.“

Normalerweise hätten nun beide versucht, aufmerksam auf Neridas Rückkehr zu warten, um nicht von einem Überraschungsangriff erwischt zu werden, doch da waren noch die beiden verbliebenen Wasserwesen. Diese zögerten auch nicht lange und stürzten sich wieder auf ihre Feinde.

Kouin und Espelia sprangen auseinander, um auszuweichen.

Noch einmal erklang das leise Lachen.

Kouin konnte gerade noch einmal ausweichen, bevor das Wasser an der Stelle, an der er eben gestanden hatte, zu Eis erstarrte.

„Wie schlecht“, bemerkte Nerida.

Sie schnalzte mit der Zunge, blieb aber nach wie vor nicht sichtbar.

Espelias Speer zerstörte die verbliebenen Wasserwesen. Erneut stellte sie sich mit dem Rücken an den von Kouin. „Seid vorsichtig, Meister.“

Er nickte zustimmend und sah sich aufmerksam um. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie sich jedes Mal selbst verraten, so dass sie nicht besiegt worden waren (selbst waren sie aber auch nicht siegreich gewesen). Aber in Kouin erwachte der Verdacht, dass sie das absichtlich tat als ob sie nur mit ihnen spielen würde. Doch welchen Sinn sollte das haben?

Hastig verwarf er den Gedanken, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. „Espelia!“

Sie nickte. „Ich habs auch gesehen.“

Ohne dass er noch etwas sagen musste, lief sie bereits vor und stach zielsicher mit dem grün glühenden Speer in die Luft. Ein lauter Schrei erklang als Antwort. Langsam wurde Neridas Körper, der immer noch auf der Spitze von Espelias Waffe steckte, sichtbar. Diesmal hatte sie sich nicht in Wasser aufgelöst.

Blaues Mana strömte aus der Wunde und erfüllte den eisigen Käfig, in dem sie sich befanden.

Nerida stöhnte leise. „W-wie kann das... sein?“

Ihre Hände legten sich um den Griff des Speers, in einem verzweifelten Versuch, ihn herauszuziehen. Espelias Gesicht verriet Anspannung, als sie mit ebensoviel Energie dagegendrückte, um das zu verhindern.

Neridas Anstrengungen führten nur dazu, dass immer mehr Mana ihren Körper verließ, vor Kouins Augen verschwamm bereits die Umgebung.

„Das reicht jetzt“, erklang eine herrische, aber gefasste Stimme.

Kouin schmunzelte. „Na endlich...“

Mit einem lauten Klirren zersprang das Eis um sie herum. In dem Bogen, der auf den Hof führte, stand ein braun gebrannter Mann mit dunkelblauem, fast schwarzen Haar. Sein Blick war eiskalt, unter seinem engen schwarzen Shirt standen die Muskeln deutlich sichtbar hervor.

Im selben Moment verschwanden Nerida und auch das Wasser auf dem Boden.

„Lange nicht gesehen, Medario“, bemerkte Kouin. „Warst du so beschäftigt?“

„Im Gegenteil“, erwiderte der Mann trocken. „Ich war sogar im Urlaub.“

Kouin versuchte, sich Medario in Badehose an einem belebten Strand vorzustellen, aber so richtig gelang ihm das nicht. „Was willst du?“

Hastig warf Kouin einen Blick zu den Fenstern, seine Eltern schienen noch nichts von den Ereignissen mitbekommen zu haben.

„Nerida hat es dir doch bereits gesagt. Unser Anführer hat entschieden, dass das Errettungskomitee überflüssig wird. Wir werden die benötigten drei Schlüssel schon bald in unserer Hand haben und dann können wir sämtliche Welten vernichten.“

„Das werden wir nicht zulassen!“, erwiderte Kouin entschieden.

Drei Schlüssel? Meint er Setoki, Akatsuki und Motou? Aber wie soll das funktionieren?

„Das ist uns egal“, meinte Medario schulterzuckend. „Wir werden euch vorher ohnehin auseinandernehmen. Das heute war nur ein Test.“

„Den du verloren hast.“

Kouins Einwand schien ihn nicht weiter zu interessieren. Betont ruhig fuhr Medario herum und ging davon. Bevor er durch den Bogen schritt, drehte er sich noch einmal zu ihm um. „Du solltest aufpassen, dass du dir keine Erkältung holst. Es wird langsam kühl.“

Bevor Kouin ihn fragen konnte, was er damit meinte, ergoss sich plötzlich ein Schwall Wasser über dem Jungen. Erschrocken kniff er seine Augen zusammen – und riss sie sofort wieder auf.

Medario war verschwunden und hatte nur einen durchnässten Kouin zurückgelassen.

„Meister, alles in Ordnung?“, fragte Espelia besorgt.

Er nickte ihr zu. „Ja, keine Sorge. Ich bin nur nass.“

Sein Shinjuu lächelte zufrieden. „Vielleicht sollten wir die Patrouille auf später verschieben.“

„Ja, eine gute Idee. Ich muss nämlich erst mal duschen – und dann essen.“

Und Yuuto anrufen, fügte er in Gedanken dazu.

Espelia nickte zustimmend. „Ich werde Euch Handtücher bereitlegen.“

Damit verschwand sie, bevor er Einspruch erheben konnte. Er schmunzelte nur leicht und fuhr herum, um ins Haus hineinzugehen.

Leer und leblos

Der Park lag still da, nicht einmal die Vögel sangen ihre Lieder. Lediglich die in regelmäßigen Abständen aufgestellten Straßenlaternen sorgten dafür, dass nicht alles in Dunkelheit versank.

Gelassen lief Jatzieta neben Salles her, er dagegen zeigte keinerlei Anzeichen, ob er überhaupt wusste, mit wem er da ging. Wären Leute an ihnen vorbeigekommen, hätte diese sie sicherlich nicht für ein Pärchen gehalten, vermutlich nicht einmal für Freunde. Die Distanz zwischen ihnen war dafür zu groß, es schien mehr wie ein Zufall zu sein, dass sie nebeneinander liefen.

Doch sie begegneten ohnehin niemandem. Dafür war es schon viel zu spät. Beim letzten Blick auf seine Uhr hatte er festgestellt, dass es bereits nach Mitternacht war. Zufrieden stellte er fest, dass offensichtlich nicht viele Menschen Interesse daran zu haben schienen, nachts durch die Gegend zu streunen. Zumindest nicht genug, um die Ausgangssperre zu umgehen.

Für eine lange Zeit herrschte Schweigen zwischen dem ungleichen Duo.

Jatzieta, die diese Situation nicht lange aushielt, warf Salles einen Blick zu. „Warum läufst du eigentlich so weit weg von mir, mein Lieber? Habe ich dir mal etwas getan?“

„Nein“, antwortete er, die Stimme gelangweilt wie eh und je, als hätte er eben erst Beruhigungstabletten genommen. „Aber warum sollten wir so dicht nebeneinander herlaufen? Das sorgt nur dafür, dass wir uns möglicherweise in unseren Schritten verheddern und stolpern oder uns gegenseitig auf die Füße treten.“

Sie kicherte. „Die Antwort ist so typisch für dich.“

Er reagierte nicht einmal darauf, sondern sah stur weiter geradeaus und schwieg.

Es war ihm klar gewesen, dass von ihr solch eine Reaktion folgen würde. Also warum tat er es überhaupt noch? Manchmal kam es ihm besser vor, wenn er einfach schweigen würde. Allerdings besaß sie einen seltsamen Charakterzug, der stets dafür sorgte, dass er wieder auf sie reagierte, egal wie sehr er sich vorgenommen hatte, es nicht mehr zu tun.

Da er nichts weiter sagen wollte, seufzte sie. „Alter Langweiler.“

Und das war wieder so ein Fall.

Plötzlich blieb er stehen. „Hör zu. Mir gefällt es genauso wenig wie dir, mit dir hier herumzulaufen, okay? Aber wir beide sind keine guten Einzelkämpfer, deswegen können wir nicht allein rausgehen, anders als die anderen.“

In seiner Stimme lag deutlich hörbarer Widerwillen, egal wie sehr er versuchte, diesen zu unterdrücken. Es lag nicht daran, dass er Jatzieta nicht mochte, nein, es gab dafür einen anderen Grund, über den er allerdings nicht sonderlich gern nachdachte.

Jatzieta blieb ebenfalls stehen. Empört stemmte sie die Hände in die Hüften. „Wer hat denn gesagt, dass es mir nicht gefällt? Ich für meinen Teil mag dich und deswegen stört es mich nicht, dass wir hier unterwegs sind. Selbst wenn du ein Langweiler bist.“

Der letzte Satz klang mehr wie ein Scherz. Sie konnte eben nie ernst sein, solange es die Situation nicht gerade erforderte – und das war im Moment nicht der Fall.

Salles neigte den Kopf. Seufzend verschränkte sie die Arme vor der Brust, bevor sie einen ihrer Arme anwinkelte, um ihr Kinn auf ihre Faust zu stützen. Mit großen Augen, die an die eines kleinen Kindes erinnerten, sah sie ihn an. „Du magst mich also nicht?“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte er mit einer Spur Verlegenheit.

Eine andere Reaktion konnte man einfach nicht bringen, er hatte das schon so oft versucht... immer erfolglos. Er schob seine verrutschte Brille zurecht. „Ich habe nichts gegen dich – nur gegen die Rundgänge.“

„Ist das wahr?“, fragte sie mit gespieltem Misstrauen.

Ein knappes Nicken, um seine Worte zu bestätigen, was zu einem glücklichen Lächeln von ihr führte. So wirkte sie noch um einiges mehr wie ein kleines Kind. „Aww~ Ich habe auch nichts gegen dich, mein Lieber.“

Sie kicherte. Ihre Reaktion, so typisch sie auch für sie war, brachte ihn dazu, dass er verlegen erneut seine Brille zurechtschob, obwohl diese gar nicht verrutscht war.

Das wiederum führte zu einem erneuten Kichern von ihr. Bevor er jedoch noch einmal in irgendeiner Art und Weise reagieren konnte, spürte er, wie sich hinter ihm Mana manifestierte.

Jatzietas Augen schienen sich noch einmal zu weiten, als sie das Wesen hinter ihm betrachtete. Salles musste sich nicht erst umdrehen und den knorrigen Baum betrachten, der plötzlich einfach auf dem Weg hinter ihm erschienen war, um zu wissen, dass es sein Shinjuu war. Er legte den Kopf in den Nacken. Der sonst blasse Schimmer, der den Baum immerzu umgab, hob sich in der Nacht noch mehr von dem Stamm ab und ließ ihn noch unwirklicher erscheinen.

Er hatte das Shinjuu der Treant-Gattung Great Wisdom getauft, nach der immensen Weisheit, die von ihm auszugehen schien und die es nur mit Salles teilte – immerhin war er der einzige, der es aufgrund der Verbundenheit zwischen Shinkenträger und Shinjuu verstand. Dabei gebrauchte es keine Worte, um sich mitzuteilen – es zeigte seinem Meister anhand von Bildern, was es ihm mitteilen wollte.

In dieser Nacht zeigte es Salles etwas, was ihn im ersten Moment erschreckte.

Es waren keine Lakaien und auch keine Spirits, die in einen Kampf mit Menschen oder anderen Trägern verwickelt waren, nein, das hätte den Anführer nicht weiter gewundert.

Was er ihm zeigte war ein außergewöhnliches Wesen, das ihm noch nie zuvor begegnet war. Es war mindestens zwei Meter groß, komplett bestehend aus schwarzer Materie, abgesehen von den gefährlich aussehenden Klingen, wo bei einem Menschen die Unterarme wären. Um die schwarze Materie herum schien eine unbekannte, knorrige schwarze Substanz einen unförmigen Körper zu bilden.

Was ist das für ein Unding?

Die Frage, obwohl nur gedacht, galt seinem Shinjuu, das sofort eine Antwort parat hielt. Es zeigte ihm eine junge blonde Frau mit leblosen dunkelblauen Augen, ihre Rüstung besaß denselben Farbton. Das riesige Schwert, das so groß und fast so breit wie sie selbst war, war locker geschultert, die von ihr eingenommene Pose erinnerte deutlich an eine Kampfhaltung.

Dafür gab es nur eine logische Schlussfolgerung.

Es ist ein Shinjuu.

Ein zustimmendes Brummen erklang, dann verschwand der Treant bereits wieder. Es dauerte einen Moment, bis die Benommenheit, die ein solches Gespräch nach sich zog, wieder von ihm abfiel.

„Und? Was hat er gesagt? Was hat er gesagt?“

Jatzietas Fragen rissen ihn gewaltsam in die Wirklichkeit zurück. Ihre kindliche Stimme irritierte ihn für einen Moment, doch er fing sich sofort wieder, wie es seine Art war. „Offensichtlich treibt ein fremdes Shinjuu hier sein Unwesen. Wir sollten es uns näher ansehen.“

Die leeren Augen der Meisterin flößten ihm ein ungutes Gefühl ein. Es war gut möglich, dass sie Mitglied des Zerstörungskomitees war oder mit diesem in irgendeinem Zusammenhang stand. Dies galt es, herauszufinden und sie von diesem schadhaften Einfluss zu befreien, falls nötig durch ihren Tod. Ihr Blick sagte ihm ohnehin, dass nicht mehr viel von ihrer Seele übrig war. Aber mehr könnte er sagen, sobald er ihr persönlich gegenüberstand.

Jatzietas ganzes Gesicht begann vor Aufregung zu leuchten. „Das klingt spannend. Lass es uns suchen – ich brenne auf einen Kampf!“

Er konnte ihren Enthusiasmus nicht nachvollziehen, aber er hatte es ohnehin aufgegeben, Jatzieta verstehen zu wollen. Mit Sicherheit brauchte es mehrere Forscher und viele Jahre Zeit, um diese Frau zu entschlüsseln und ihren Gedanken auch nur ansatzweise folgen zu können.

„Dann komm, führ uns hin!“, bat sie mit befehlendem Unterton.

Er nickte und lief eilig voraus. Sein Umhang bauschte sich dabei im Gegenwind, was Jatzieta zu freuen schien, da sie ihm grinsend folgte.

Ihr Weg führte die beiden quer durch den Park, der Salles plötzlich um einiges länger erschien, als noch zuvor. Erst nach gut dreißig Minuten konnte er die Spur von Mana wahrnehmen, der sie weiterhin bis zu dessen Quelle folgten.

Beeindruckt blieb Salles stehen. Aus der Nähe und in der Realität betrachtet, wirkte das Wesen nicht nur um einiges imposanter, sondern auch bedrohlicher. Seine Meisterin daneben wirkte geradezu verloren und winzig – besonders, wenn man dann noch das riesige Schwert bedachte, das über ihre Schulter geschwungen war.

Sie starrte blicklos ins Leere, Salles konnte nicht sagen, was sie auf dem leeren Weg vor sich sah. Aber ihr Shinjuu schien es nicht wirklich zu interessieren. Es wandte sich den beiden Neuankömmlingen zu.

Ein kalter Schauer fuhr durch Salles' Körper, als er in das augenlose Gesicht starrte. Obwohl ihm die Sehorgane fehlten, bekam er den Eindruck, dass das Wesen sie genau musterte.

Jatzieta zog angewidert die Stirn kraus. „Irgh... was ist denn das?“

Sie schien nicht im Mindesten so imponiert zu sein, wie Salles, sondern wirklich nur abgestoßen. Allerdings konnte er ihr das nicht verdenken, das Wesen war wirklich kein allzu schöner Anblick. Es erinnerte ihn auch mehr an eines jener Ungeheuer, die einem in Albträumen erschienen.

Mit verzögerter Reaktion wandte sich schließlich auch die Meisterin ihnen zu. Die kalten Schauer rissen gar nicht mehr ab. Ihr leerer Blick wirkte in der Realität noch um einiges irritierender.

Jatzieta schluckte schwer. In ihr schien etwas ganz anderes vorzugehen, als in Salles, denn im nächsten Moment seufzte sie bereits. „Das arme Mädchen.“

Salles warf ihr einen Blick zu. Sie dachte auf einer wesentlich emotionaleren Ebene und befand sich damit wohl auf einer vollkommen anderen Stufe als er, was sie zu der idealen Ergänzung zu ihm machte – auch wenn ihm dies aus verschiedenen Gründen nicht wirklich gefiel.

Hastig verwarf er den Gedanken wieder, um sich auf das ihm Bevorstehende zu konzentrieren.

Das blonde Mädchen ließ langsam das Schwert sinken. Die Bewegung ihres Armes wirkte mechanisch, als ob sie lediglich ein Gelenk darin hätte.

Auch wenn er nicht viel Hoffnung sah würde er wie üblich erst versuchen, mit der Person zu reden. Er hob die Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. „Ich hoffe, du kannst mich noch verstehen. Mein Name ist Salles Cworcs, ich-“

Das Mädchen ließ ihm keine Gelegenheit mehr, den Satz zu beenden. „Aigears...“

Sie sprach das Wort ohne jede Emotion aus, aber das genügte ihrem Shinjuu. Es hob eine seiner Klingen und hätte Salles mit Sicherheit auch erwischt – wenn er nicht gerade rechtzeitig zurückgesprungen wäre. Er strauchelte, doch sein Sturz konnte von Jatzieta verhindert werden.

Das Metall schaffte einen ungewöhnlich großen Krater im Asphalt direkt vor Salles.

„Ich glaube nicht, dass sie mit uns reden wird“, meinte Jatzieta.

„Das Gefühl habe ich auch“, stimmte Salles zu, worauf das Buch 'Egen' in seiner Hand erschien.

Jatzieta folgte seinem Beispiel und ließ ihr Shinken 'Yugou' materialisieren. Eine bauchförmige Laterne in deren Inneren ein Ball aus violettem Licht zu schweben schien, das entfernt an die Darstellung von Feen in verschiedenen Medien erinnerte. Bereits auf einen unhörbaren Befehl hin, konnte sich dieses harmlose wirkende Licht in einen glühenden Feuerball verwandeln, der unzählige Formen annahm, um den Feind zu bekämpfen.

„Ich bin bereit“, sagte Jatzieta, als das Feuer in der Lampe entfacht wurde.

Salles öffnete 'Egen', dessen Seiten in einem sanften Licht glühten und schob selbstbewusst seine Brille zurecht. „Dann sind wir soweit.“

Als ob sie nur darauf gewartet hätte, umfasste das Mädchen den Griff ihres Schwertes mit beiden Händen und hob es kerzengerade in die Luft. Sie sprach kein Wort, doch die violetten Manafunken, die sich um sie zu sammeln begannen, verrieten, dass sie einen Zauber wirken wollte.

„Als ob“, sagte Salles überzeugt von sich.

Betont gelassen fuhr er mit den Fingern über die Seiten seines Shinken, was dazu führte, dass es wie von Zauberhand weiterblätterte. Gelbgrüne Funken sprühten dabei, bis es schließlich auf einer bestimmten Seite wieder innehielt. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als sich ein grünes Schutzschild vor ihm und Jatzieta bildete.

Schwarze Hände schossen aus dem Nichts, um anzugreifen, doch scheiterten sie an dem erstellten Schild, das sich gleich darauf klirrend auflöste.

Jatzieta hob die Laterne. Die Flamme sprang heraus, einen leeren Behälter zurücklassend und verwandelte sich in einen hell leuchtenden Wolf, der auf das Mädchen zuschnellte.

Sie registrierte scheinbar nicht einmal, dass sie angegriffen wurde, eine dunkle Wand ließ den Angriff wirkungslos verpuffen. Das Licht kehrte in die Laterne zurück.

Doch Jatzieta blieb keine Zeit, um enttäuscht zu sein. Mit einemmal und ohne jeden Befehl griff das fremde Shinjuu plötzlich sie an. Mit einem überraschten Aufschrei hielt sie ihr Shinken schützend vor sich – was dem Angriff die Wucht nahm.

Doch ein brennender Schmerz an ihrem rechten Arm sagte ihr, dass sie zumindest verletzt worden war. Sie presste die Zähne aufeinander, während rote Funken aus der frischen Wunde strömten.

Das fremde Shinjuu kehrte derweil wieder hinter den Rücken seiner Meisterin zurück.

„Alles in Ordnung?“, fragte Salles hektisch, während 'Egen' wieder zu blättern begann.

Jatzieta nickte knapp. „So leicht gebe ich nicht klein bei. Konzentrier dich lieber.“

Die Warnung kam gerade rechtzeitig.

Hektisch wich Salles dem riesigen Schwert aus, während er die nachfolgende Energiewelle an einem überstürzten Schutzschild abprallen ließ.

Es wirkte surreal, ein so zierlich wirkendes Mädchen eine solch enorme Waffe schwingen zu sehen, doch ihr Umgang damit war geradezu meisterhaft. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ihr Körper nicht mehr ihr gehörte, sondern der Entität, die dem Shinken innewohnte.

Dennoch verspürte Salles Skrupel bei diesem Kampf. Er, der sonst darauf bestand, keine Rücksicht auf Verluste zu spüren, zögerte, als er in die Augen des Mädchens sah. Sie waren vollkommen leer und dennoch glaubte er, irgendwo tief unten noch Leben zu sehen, das darum bat, nicht ausgelöscht, sondern gerettet zu werden.

Eilig verdrängte er den Gedanken. Er musste nun ruhig sein, einen kühlen Kopf behalten.

Das Mädchen griff erneut an und zwang die beiden damit, auseinanderzuspringen. Die Klinge zerteilte den Asphalt fein säuberlich und riss die Erde darunter auf.

Salles wollte sich nicht ausmalen, wie sie wohl damit Knochen zermalmte.

Kaum stand er wieder richtig, zog er einen kleinen Wirbelsturm aus dem Buch, den er auf seiner Handfläche tanzen ließ. „Page: Hurricane!“

Er schleuderte den Zauber auf das Mädchen. Sie nutzte ihr Shinken wie einen Baseballschläger und schleuderte den Wirbelsturm damit von sich. Er traf einen Baum, der augenblicklich sämtliche Blätter verlor.

„Ich hasse Baseball“, kommentierte Jatzieta.

„Spar dir die Sprüche“, erwiderte Salles ernst. „Tu lieber etwas.“

„Ja, ja~“

Rote Funken sammelten sich um sie, elegant wie eine Tänzerin hob sie die Laterne über ihren Kopf und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Als sie wieder innehielt, schüttelte sie ihr Shinken wie eine Glocke. Sie murmelte dabei Worte, die ihr selbst unbekannt waren und von tief aus ihrem Inneren zu stammen schienen: „Ihr Sterne, die ihr das Dunkel zerreißt; ihr Meteore, die den Himmel zum Glühen bringen; kommt herab zu mir!“

Erneut hob sie das Shinken in die Luft, als wollte sie das eben Beschworene damit zu sich locken. „Star Zapper!“

Ein Meteor schoss aus dem Himmel herab und direkt auf das blonde Mädchen zu. In ihrem Gesicht war ein Ausdruck von Erstaunen und Überraschung zu sehen. Sie versuchte – ein wenig zu spät – noch auszuweichen. Ein lauter Schrei entfuhr ihr, als der Meteor aufschlug und ein blendend helles Licht Salles und Jatzieta dazu brachte, ihre Augen zu schließen.

Der Geruch nach verbranntem Fleisch ließ den Gelehrten die Nase rümpfen. Gedanklich bereitete er sich auf einen furchtbaren Anblick vor, sobald er wieder etwas sehen könnte – doch als er die Augen öffnete sah er etwas, mit dem er nicht gerechnet hätte.

„Sie ist... weg“, brachte Jatzieta hervor.

Sie klang geradezu enttäuscht und sah sich suchend um, als ob das Mädchen und das Shinjuu sich nur hinter einem Baum versteckt hätten.

Aber Salles wusste es genau: Die fremde Aura – man konnte sie nicht als bösartig bezeichnen – war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Noch nie war er Zeuge einer solchen Flucht gewesen. Es interessierte ihn brennend, wie so etwas möglich war und ob sein Komitee das ebenfalls nutzen konnte.

Doch dafür war im Moment keine Zeit.

Er ließ 'Egen' wieder verschwinden und sah Jatzieta an. „Diese Technik, die du eben verwendet hast, kannte ich noch gar nicht. Wann hast du das gelernt?“

Sie lachte verlegen, als ihr Shinken ebenfalls verschwand. „Ich würde dir so gerne sagen, dass ich eine fleißige Vize-Führerin war und trainiert habe – aber das war eben wirklich spontan. Ich weiß nicht, woher das kam, aber es war aufregend, nicht?“

Ein erneutes Lachen schloss die kleine Erzählung ab. Salles konnte nicht anders, als darüber zu lächeln. „Ich verstehe. Wie praktisch, dass du es gerade jetzt gelernt hast.“

„He! Weißt du, wie man jemanden wie mich im Internet nennen würde?“

Da fielen ihm einige Begriffe ein, aber keiner davon war sonderlich schmeichelhaft, weswegen er schweigend den Kopf schüttelte. Sie grinste. „Nun, ich sehe gut aus, bin attraktiv, talentiert und begehrt – und ich kann mir aus dem Nichts neue Techniken aus dem Arm schütteln. Ich bin eine waschechte Mary Sue!“

Sie lachte erneut, doch von ihm folgte keine Reaktion. Einen solchen Begriff hatte er noch nie gehört, danach würde er bei Gelegenheit erst einmal suchen müssen, um mehr darüber herauszufinden. Er räusperte sich, um ein neues Thema anzufangen: „Aigears... hast du diesen Namen schon einmal gehört?“

Fragend neigte sie den Kopf. „Ist das ein Name? Ich hielt es für irgendein Wort, ein Angriff oder so.“

Er wusste selbst nicht, woher er diese Sicherheit nahm, aber für ihn war es eindeutig ein Name und nicht nur irgendein Wort. „Wir sollten auf jeden Fall den anderen davon berichten. Möglicherweise werden sie den beiden noch begegnen.“

Jatzieta stimmte ihm zu. „Das wäre auf jeden Fall besser.“

Sie streckte sich genüsslich und gähnte. „Dann lass uns mal gehen, ich bin müde und will in mein Bett fallen.“

Er nickte zustimmend und ging wortlos voraus. Jatzieta warf noch einmal einen prüfenden Blick umher, dann folgte sie Salles, den verwüsteten Kampfschauplatz einsam zurücklassend.

Aigears

Am nächsten Morgen versammelte sich das Welterhaltungskomitee in Salles' Büro, um sich die Neuigkeiten anzuhören von denen er und Jatzieta berichten wollten. Es waren alle da, außer...

„Wo sind Setoki und Akatsuki?“

Die Augen des Gelehrten wanderten scheinbar müde über alle Anwesenden, die ebenfalls nicht sonderlich wach zu sein schienen. Es verwunderte ihn allerdings nicht weiter, immerhin war es früh am Morgen, mitten in den Ferien. Doch es würde nicht schaden, wenn sie sich gleich wieder an das frühe Aufstehen gewöhnen sollten, immerhin begann in zwei Wochen der Ferienunterricht für den er vorsorglich alle Mitglieder seines Komitees angemeldet hatte.

Nozomi musste ein Gähnen unterdrücken, als sie auf Salles' Frage antwortete: „Heute ist das Kendo-Turnier, die beiden sind in der Schule.“

Jatzieta weitete ihre goldenen Augen – wie schaffte sie es nur, morgens schon so wach auszusehen? - erstaunt. „Oh~ Akatsuki kann früh aufstehen? Das kenne ich gar nicht von ihm. Wenn ich ihn in den Ferien früh morgens anrufe, deckt er mich immer erst einmal mit Flüchen ein.“

Suzume, die bislang verschlafen auf dem Sofa gesessen hatte, brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. Die direkt neben ihr sitzende Yumiko zuckte erschrocken zusammen. „Ai! Was soll das? Was ist so lustig?“

Die anderen wandten sich der Lachenden ebenfalls zu. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte und endlich sagen konnte, was sie so lustig fand: „Ich glaube, Vartanian ist auch im Kendo-Club – Akatsuki ist wohl so sehr verknallt, dass er sogar seinen Schlaf opfert, um bei ihr zu sein.“

„Nein, wie süß~“, flötete Jatzieta, fest entschlossen, ihn bei der ersten Gelegenheit damit aufzuziehen.

Salles räusperte sich. „Auch wenn die beiden nicht hier sind, können wir endlich zum Thema kommen? Ich werde sie später von der Sachlage in Kenntnis setzen.“

Die lockere Stimmung im Raum wurde sofort von seiner gelangweilten, aber ernsten Stimme verscheucht. Yumiko wünschte sich, der Atmosphäre folgen zu können und wieder in ihr Bett zu sinken – oder wenigstens einen heißen Kakao zu trinken.

Doch sie setzte ein konzentriertes Gesicht auf und sah Salles an. Der Gelehrte ließ seine Arme schlaff herabhängen, was dafür sorgte, dass der Umhang, den er trug, vorne geschlossen war.

Es erinnerte Yukiko unwillkürlich an einen Kokon, fragte sich nur, was aus diesem schlüpfen würde.

„In der letzten Nacht“, begann er, „gingen Jatzieta und ich unserer Streife nach. Im Park trafen wir auf ein blondes Mädchen und ein außerordentlich seltsames Shinjuu.“

„Was war daran so außerordentlich seltsam?“, fragte Nozomi interessiert.

Sie war offensichtlich die einzige, die wirklich zuhörte. Yumiko machte nur einen konzentrierten Eindruck, war mit ihren Gedanken aber immer noch bei einem Kakao; Suzume fragte sich unterdessen, warum sie eigentlich hier war, da sie kein Shinken trug und Baila starrte wie so oft einfach nur einen Punkt an.

„Es war außerordentlich unheimlich“, antwortete Jatzieta, da Salles keine Anstalten dazu machte. „So schaurig und düster und... eben unheimlich.“

Ihr schienen geradezu die Worte zu fehlen, um das Wesen vollständig zu beschreiben, aber zumindest Nozomi lief ein kalter Schauer über den Rücken.

„Ich mag unheimliche Dinge“, warf Suzume nebensächlich ein.

Salles wandte sich ihr zu, die Augenbrauen leicht hochgezogen. „Wärst du ein Shinkenträger, würde ich dich liebend gern darauf ansetzen. Aber zu meinem Bedauern besitzt du keines.“

„Ja, Sensei“, seufzte sie.

Yumiko neigte den Kopf, der Gedanke an Kakao war vorerst beiseite geschoben. „Wie hieß das Mädchen denn?“

„Das wissen wir nicht“, antwortete der Gelehrte sofort. „Ihren Augen nach war ihre Seele dabei, von ihrem Shinken vereinnahmt zu werden, sie hat kaum ein Wort gesprochen. Als wir aufeinander trafen, sagte sie etwas, um ihr Shinken zu rufen.“

Er machte eine Pause, in der sich alle, sogar Baila, ihm neugierig zuwandten. Für einen Moment schien es als würde er diese geballte Aufmerksamkeit genießen oder darüber nachdenken, ob er es wirklich sagen wollte, doch schließlich sagte er das Wort doch noch: „Aigears.“

Von allen Anwesenden reagierte nur eine Person darauf. Nozomi stand auf und stürmte aus dem Raum hinaus. Die anderen sahen ihr ratlos hinterher.

„Was ist denn jetzt, ai?“, fragte Yumiko.

Suzume gähnte herzhaft. „Wer weiß? Sie ist schwer zu durchschauen, außer für Noz.“

Allerdings dauerte es nicht lange, bis Nozomi wieder zurückkam. In ihren Händen hielt sie eine Lokalzeitung, die Salles für das Wohnheim abonniert hatte, aber nie selbst las – eigentlich war Nozomi die einzige, die sie je las. Alle anderen waren zu beschäftigt oder hatten einfach keine Lust darauf. Warum der Gelehrte sie nicht las, verstand jedoch keiner.

„So langweilig ist das Ganze auch nicht, Nozomin“, sagte Suzume gespielt empört.

Nozomi ignorierte sie und schlug die Zeitung auf. Gezielt blätterte sie darin herum, bis sie schließlich auf einer bestimmten Seite innehielt. Ihre Augen huschten darüber, ein triumphierendes Glitzern erschien in ihren Augen. „Ich wusste es!“

„Was denn?“, fragten Suzume und Yumiko im Chor.

Die anderen sahen sie ebenfalls interessiert an. Zufrieden wedelte Nozomi mit der Zeitung. „An dem heutigen Kendo-Turnier nehmen neben der Monobe-Akademie auch die Akiyama-High und auch die Mädchen-Schule aus dieser Gegend teil. Von letzterer allerdings nur eine einzige Person, nämlich das Wunderkind Katima Aigears.“

„Oh~“, entfuhr es Jatzieta. „Was für ein Zufall.“

Salles schloss die Augen. „Das klingt nach viel mehr als einem Zufall.“

Plötzlich schmunzelte er, eine Gefühlsregung, die jeden sofort wieder neugierig werden ließ.

„Sieht aus als hättet Ihr einen Plan, Salles-sama“, sagte Yumiko.

Zufrieden öffnete er die Augen wieder. „Ich denke, wir werden heute ein Kendo-Turnier besuchen.“
 

Nozomu hatte sich ein Kendo-Turnier, selbst ein so lokales, immer ein wenig glamoröser vorgestellt. Doch an diesem Morgen befand sich kaum jemand in der Sporthalle. Leana, Zetsu, er selbst, drei Schüler von der Akiyama, ein blondes Mädchen, mehrere Trainer, Teamleiter und Schiedsrichter – und Satsuki.

Ihr rotes Haar wirkte selbst am Tag wie eine Signallampe, so dass Nozomu ihr jederzeit mit den Augen folgen konnte. Da das Turnier noch nicht begonnen hatte, war das seine einzige Beschäftigung, während er neben Zetsu auf den Rängen saß.

Von dem Silberhaarigen konnte er nichts erwarten, der war schon damit beschäftigt, mit Leana zu flirten, die allerdings kein Stück darauf einging, sondern betont desinteressiert in eine andere Richtung sah.

„Es ist die Herausforderung, oder?“, fragte Rehme. „Darum macht er das dauernd.“

Ja, wahrscheinlich.

Es gab nichts an Leana, was in Nozomus Augen in irgendeiner Art und Weise Zetsus Interesse an ihr rechtfertigte, es musste die besondere Herausforderung sein, die er in ihr sah. Bislang war die Beziehung der beiden ziemlich einseitig – normalerweise waren 'Zetsus' Beziehungen immer einseitig, aber eben von der weiblichen Seite und nicht seiner.

Diese Situation musste für Zetsu ziemlich neu und aufregend sein. Kein Wunder, dass er so hartnäckig an ihr dranblieb.

Nozomus Blick ging weiter zu den Akiyama-Schülern. Den Schwarzhaarigen erkannte er als Yuuto Takamine wieder, Zetsus Kollegen aus dem Café. Der größere Junge neben ihm mit dem hellbraunen Haar war leicht als Buddhist zu erkennen, das braunhaarige Mädchen vervollständigte das Trio und war für Nozomu in ihrer Turnierkleidung erst auf den zweiten Blick als Mädchen zu erkennen. Ihre Augen leuchteten aufgeregt, während sie die Halle betrachtete.

Spontan fragte Nozomu sich, ob sie möglicherweise etwas Interessantes sah, was sich seinem Bewusstsein entzog.

Schließlich sah er zu dem blonden Mädchen hinüber. Ihr hüftlanges Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, wirkte gut gepflegt, ihr schmaler Körperbau ließ hinter ihr keine sonderlich gute Kämpfern vermuten, aber möglicherweise verbargen sich unter ihrer Kleidung durchtrainierte Arme, die ihnen zum Verhängnis werden könnten.

Obwohl er sie hübsch fand, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er sie ansah. Rehme schwieg, weswegen er nicht in Betracht zog, dass sie ein Shinken trug. Stattdessen schob er es auf ihre kalten, blauen Augen, die stur in eine fixe Richtung starrten.

Hastig wandte er den Blick wieder ab – was ihm nicht sonderlich schwerfiel, denn im selben Moment öffnete sich noch einmal die Tür der Sporthalle. Ein weißhaariger Junge betrat das Gebäude, Nozomu konnte deutlich spüren wie Leana zusammenzuckte.

Ein leichtes Grinsen lag auf dem Gesicht des Neuzugangs, seine roten Augen sorgten für einen weiteren Schauer auf Nozomus Rücken.

„Er ist böse“, raunte Rehme. „Sei vorsichtig, Nozomu.“

Auch ohne ihre Warnung wäre er das gewesen, aber so war es noch ein wenig eindringlicher.

Zetsus Blick folgte dem Jungen, während er durch die Halle lief, um sich einen Platz zu suchen. Anscheinend hatte der Silberhaarige ebenfalls Leanas Zusammenzucken bemerkt.

Der Junge setzte sich in die Nähe der anderen Akiyama-Schüler, was diese mit einem verstimmten Blick quittierten. Sehr beliebt schien er also nicht zu sein.

Kato, der wie die anderen Teamleiter keine Turnierkleidung – die aus einem Keiko-Gi und einem Hakama bestand –, sondern einen bequem aussehenden Jogginanzug trug, kam zu ihnen herüber.

„Na, schon aufgeregt?“, fragte er grinsend.

Da weder Leana noch Zetsu antworteten – beide schienen noch immer konzentriert den Weißhaarigen zu beobachten – übernahm Nozomu das: „Es geht. Fangen wir bald an oder mussten wir so früh aufstehen, um uns zu Tode zu langweilen?“

Kato lachte. „Du bist richtig lustig, wenn du nicht ausgeschlafen hast.“

„Müsste das dann nicht immer sein?“, fragte Rehme.

Sehr witzig.

„Keine Sorge, es geht bald los“, fuhr Kato fort. „Wir haben nur noch auf Akitsuki gewartet, um mit den Auslosungen zu beginnen.“

„Was macht denn Ikaruga-Senpai hier?“, fragte Zetsu, dem plötzlich bewusst geworden zu sein schien, dass der Teamleiter da war.

Kato fuhr herum, um Satsuki einen Blick zuzuwerfen. „Keine Ahnung. Normalerweise sind Schülersprecher nicht bei den Turnieren dabei. Sie ist entweder sehr engagiert oder in einen hier verknallt.“

Während er laut lachte, konnte Nozomu hören, wie Rehme in seinem Inneren einen nachdenklichen Ton von sich gab. „Wenn Ikaruga hier ist, muss das bedeuten, dass noch mehr Shinkenträger hier sind.“

Meinst du wirklich? Bei ihr würde es mich nicht wundern, wenn sie wirklich nur verknallt ist.

„Red keinen Unsinn, Nozomu! Ikaruga tut doch nur so, als ob sie so inkompetent wäre.“

Du hältst ihr Verhalten für inkompetent?, fragte er überrascht.

Nicht einmal im Mindesten wäre er darauf gekommen, es so einzustufen. Überdreht, engagiert, velleicht sogar ein wenig naiv, aber mit Sicherheit nicht inkompetent. Für was hielt sie dann ihn erst?

Rehme schwieg darauf. Nozomu speicherte den Gedanken, um ihn ein andermal wieder aufzunehmen, da etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zog: Die Trainer, Teamleiter und Satsuki wandten sich den wartenden Teilnehmern zu.

„Eure Partien wurden ausgelost.“

Endlich, durchfuhr es Nozomu.

„Als erstes kämpft Leana Vartanian gegen Zetsu Akatsuki.“

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich kein bisschen, während der von Zetsu deutlich Frust zeigte. Gegen seine Liebste kämpfen zu müssen, gehörte wohl nicht zu seinen geheimen Fantasien.

Beide nahmen ihre Masken und ihre Schwerter und begaben sich auf die angegebenen Plätze. Der Schiedsrichter zögerte nicht lange und gab dem Kampf frei.

Leana wirkte um einiges entschlossener zu gewinnen als Zetsu. Ihre aggressiven Angriffe verrieten das sofort. Ihr Gegner dagegen schien die Ruhe selbst zu sein, locker wehrte er jeden Schlag ab, ohne selbst in die Offensive zu gehen. Er war genauso wie bei seinem Kampf mit seinem Shinken, auch wenn Nozomu das nur einmal hatte beobachten können.

Als er einen Angriff gegen seinen Rumpf abwehrte, schien Zetsu plötzlich von etwas irritiert zu sein. Er zögerte nur einen Moment zu lang – und hatte sofort ein Bambusschwert an seiner Kehle.

Nozomus Herz machte einen erschrockenen Sprung. Auch Zetsu schien unwillkürlich zurückweichen zu wollen, als ob die Klinge seinen Kopf von seiner Schulter trennen könnte.

Doch stattdessen hob der Schiedsrichter seinen Arm auf Leanas Seite. „Sieg an Vartanian.“

Ihm machte der fremdländische Name ein wenig mehr Probleme als Satsuki zuvor.

Obwohl sie ihre Maske nicht abnahm, konnte Nozomu deutlich sichtbar erkennen, wie zufrieden Leana war. Jede einzelne Bewegung, die sie bei ihrem Weg auf den Platz zurück tat, strahlte das aus. Man musste schon blind sein, um es nicht zu bemerken.

Zetsu dagegen war natürlich nicht zufrieden, aber er wirkte auch nicht sonderlich frustriert, eher verwirrt. Er setzte sich auch nicht neben Leana, sondern neben Nozomu, so weit weg von ihr wie möglich. Was hatte ihn so sehr verschreckt, dass er sogar auf das Flirten verzichtete? Immerhin schien sie nun um einiges besser gelaunt zu sein.

Der Braunhaarige sah ihn neugierig an, doch bevor er etwas sagen konnte, hörte er wieder Satsukis Stimme: „Als nächstes kämpft Katima Aigears gegen Nozomu Setoki.“

Wer wohl diese Katima war? Viel Auswahl blieb ja nicht.

Zetsu musste ihn erst auffordernd ansehen – die Verwirrung war dabei noch nicht ganz aus seinem Gesicht verschwunden – damit ihm selbst einfiel, dass er ja Nozomu Setoki und damit der war, der gegen das Mädchen antreten musste.

Er hatte sich so sehr auf den ersten Namen konzentriert, dass sein eigener für ihn dabei völlig untergegangen war.

Mit einem leisen Seufzen stand er auf, das blonde Mädchen tat es ihm nach.

Das ist also Katima Aigears.

Der Name klang adelig und genau so sah sie auch aus, er passte richtig gut zu ihr. Wenn diese furchteinflößende Aura nicht gewesen wäre, hätte er sich mehr für sie interessiert.

Nozomu nahm seine Maske und das Bambusschwert und begab sich damit auf seine Position. Katima stellte sich ihm gegenüber. Er konnte ihre Augen hinter der Maske nur erahnen, aber er spürte genau, dass sie ihn ansah, kalte Schauer liefen über seinen Rücken.

„Etwas stimmt nicht“, sagte Rehme plötzlich.

Ihre ungewohnt ernste Stimme verstärkte das Schauern noch.

„Diese Aura... sie hat ein Shinken. Sei vorsichtig, Nozomu!“

Darum war also Satsuki hier. Sie wusste, dass hier mindestens drei Shinkenträger anwesend waren.

Wollte sie jemanden beschützen oder ging es darum, jemanden als vermeintlichen Feind auszuschalten?

Aber vielleicht gehörte Katima auch zu Satsukis Gruppe und war wegen ihm und Zetsu hier? Doch selbst wenn, sie würde ihn doch nicht vor all diesen Zeugen angreifen, oder?

Es gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht. Aber um zurückzuweichen war es zu spät. Ihm blieb nur noch zu hoffen, dass es einen ganz normalen Kampf geben würde.

Doch seine Hoffnung zerschlug sich, noch bevor das Duell eröffnet war.

Der Feueralarm begann plötzlich in den höchsten Tönen zu schrillen. Bis auf Satsuki wirkten auch tatsächlich alle überrascht. Die Schülersprecherin setzte ein gespielt verwundertes Gesicht auf. „Oh nein~ Ein Feueralarm, ausgerechnet jetzt. Wir sollten besser gehen, keine Sorge, ich kümmere mich um alles.“

Die Turnierteilnehmer rafften sich langsam auf, als ob sie tatsächlich vorhätten, die Halle zu verlassen, obwohl sich Nozomu sicher war, dass keiner von ihnen gehen würde. Es war mehr eine bloße Ahnung, als Wissen, aber sie schien sich tatsächlich zu bewahrheiten.

Satsuki scheuchte die Trainer, Schiedsrichter und Teamleiter hinaus – kaum war das geschehen, schloss sie die Tür und versperrte diese.

Mit einem triumphierenden Lächeln wandte sie sich um, noch in der Bewegung erschienen Shinken und Kampfkleidung. Nozomu wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als ihr Blick für eine Weile auf ihm verruhte. Doch schon bald wanderte er weiter zu Katima hinüber.

„Dass es so leicht werden würde, dich zu bekommen...“

Langsam schüttelte Satsuki mit dem Kopf, während sie auf die Duellantin zuging. Die Maske der Blonden verriet keine Regung ihres Gesichts, doch plötzlich konnte Nozomu ihre Stimme hören. Sie sagte nur ein einziges Wort, doch aus irgendeinem Grund genügte es, um seinen ganzen Körper erstarren zu lassen: „Aigears...“

Der Hain der Erinnerung

Ein unheimliches Wesen, das aus schwarzer Materie zu bestehen schien und Klingen statt Armen hatte, erschien hinter Katima. Nozomu wich zurück, bis er direkt neben Satsuki stand. „Ist das... ein Shinjuu?“

Es war imposant und gleichermaßen furchterregend. Einerseits wünschte er sich, es aus der Nähe betrachten und anfassen zu können, andererseits wollte er lieber wegrennen – wenn seine Füße nicht geradezu festgewurzelt wären. Außerdem gab es ohnehin keinen Ausweg. Die Türen waren versperrt, er musste hier bleiben, ob er wollte oder nicht.

Satsuki nickte. „Katima Aigears ist eine Shinkenträgerin, genau wie ich~“

Das bezweifle ich.

Er wich noch einmal zurück, so dass Satsuki nun einige Schritte weiter vorne stand.

„Bleib einfach immer hinter mir“, sagte sie.

Nozomu nickte.

„Fühlst du dich davon nicht beleidigt?“, fragte Rehme.

Für einen Moment dachte er tatsächlich über diese Frage nach. Eigentlich müsste er sich beleidigt fühlen, denn immerhin war er auch ein Shinkenträger, aber er fühlte sich eher erleichtert. Außer gegen Lakaien hatte er noch gegen keine nennenswerten Gegner gekämpft – das Duell mit der Undine blendete er lieber aus. Ohne Nozomi und Yumiko hätte er diesen Kampf nie überstanden – aber auf die Unterstützung der beiden würde er an diesem Tag wohl verzichten müssen.

Sein Blick wanderte über die anderen Anwesenden, die angespannt zu ihnen hinübersahen. Keiner wirkte sonderlich überrascht, offenbar waren sie alle Shinkenträger. Aber warum griff keiner von ihnen zu seiner Waffe?

Lediglich Zetsu stand mit 'Gyouten' vor Leana, was ihm einen amüsierten Blick von Akitsuki einbrachte. Unter anderen Umständen hätte Nozomu sich noch weiter damit auseinandergesetzt, besonders gemeinsam mit Rehme, aber im Moment war es eher ungeschickt. So sah er weiter zu den anderen drei Akiyama-Schülern, die mit ernsten Mienen das dunkle Shinjuu betrachteten. Allerdings verrieten ihre Gesichter auch Unentschlossenheit über ihre nächsten Schritte.

Er sah wieder zu Katima. Ihr Pferdeschwanz flatterte in einem unspürbaren Wind, nein, kein Wind. Nozomu konnte die ausgehende Energie spüren, es musste schwarzes Mana sein, das sie in Wellen umwogte und ihr einen gewissen Schutz einbrachte. Die Maske verhinderte immer noch einen genaueren Blick auf ihr Gesicht, doch er war froh darum, so kam sie ihm noch weniger wie ein Mensch vor. Denn wenn sie einer war, so stimmte etwas ganz offensichtlich nicht mit ihr.

Während Nozomu sie noch betrachtete, hob sie plötzlich den Arm und zeigte auf ihn. Das schien ein Befehl für ihr Shinjuu zu sein, denn es gehorchte augenblicklich und schoss auf ihn zu.

Ihm blieb nicht einmal Zeit zu reagieren. Ein Augenblick schien übersprungen zu werden, blaues Licht blitzte auf, im nächsten Moment stand Satsuki zwischen ihm und dem Shinjuu. Ihr linker Arm war ausgestreckt und verriet, dass sie ein Schutzschild aufgebaut hatte.

„Ikaruga hat dich beschützt~“

Aber warum? Ich kann doch auch kämpfen.

Rehme antwortete nicht, aber ihm blieb keine Zeit, darauf einzugehen.

Katima sprang durch das Shinjuu hindurch, in ihren Händen war ein riesiges schwarzes Schwert erschienen. Es wirkte fast so groß wie das Mädchen selbst und wesentlich furchteinflößender.

Satsuki riss sofort ihr Shinken hoch, doch unter der Wucht des Aufpralls von Katimas Klinge ging sie mit in einem Keuchen in die Knie.

Ein Tritt ließ die Schulsprecherin endgültig zu Boden gehen und eine heftige Ohrfeige schleuderte sie zur Seite.

„IKARUGA!“

Einstimmig schrieen alle Anwesenden außer Leana und Akitsuki auf, als Satsuki mit einem ungesunden Knacken auf dem Boden aufkam. Das fremde Shinjuu hinterließ die Position hinter seiner Meisterin und griff die Außenstehenden an. Zetsu ließ den Angriff an einem Schutzschild abprallen und griff dann selbst an.

Katima schenkte dem Spektakel keinen weiteren Blick, sondern konzentrierte sich wieder auf Nozomu, der nun direkt vor ihr stand. Er starrte auf die Maske, hinter der er die leblosen blauen Augen erkennen konnte. Von diesen fühlte er sich wie hypnotisiert, es war, als ob er darin eintauchen und sich selbst verlieren würde. Gleichzeitig spürte er ein heißes Gefühl in seinem Inneren, es wollte, dass er sein Shinken zog und diesen Augen endgültig das Leben nahm. Es war so eindringlich, so fordernd, dass er glaubte, sein Herz würde jeden Moment reißen müssen, wenn er nicht endlich nachgab.

Doch er fürchtete sich davor, dem Verlangen nachzukommen. Er fühlte, dass etwas abgrundtief Böses in seinem Inneren nur darauf wartete, dass er das tat und er fürchtete sich davor, dieses Etwas freizulassen. Also stand er nur reglos da, während er den Blick erwiderte.

„Jiruol...“

Überrascht hob er eine Augenbraue. Er hatte diesen Namen schon einmal gehört, mehrmals sogar, zuletzt von Salles. Es war das einzige gewesen, was der Gelehrte ihm verraten wollte, als er nach einer Antwort verlangt hatte, verbunden mit den Worten, dass er alles verstehen würde, wenn die Zeit gekommen war. Das einzige, was er aber im Moment verstand war, dass dieser Name offenbar mit dem Etwas in seinem Inneren zusammenhing. Als es dieses Wort vernahm, wurde das Verlangen, Katima zu töten noch einmal stärker. Wie Wellen gegen eine Klippe, brandete der fremde Wille unbarmherzig gegen Nozomus Herz, mit dem festen Entschluss, aus diesem auszubrechen.

Die aufsteigende Übelkeit ließ seinen Blick verschwimmen, die blauen Augen blieben als einziger fixer Punkt zurück.

Wie durch Watte hörte er Zetsus Stimme, die ihm etwas zurief, was er allerdings nicht verstehen konnte. Dafür hörte er eine andere Stimme in seinem Inneren, klar und deutlich: „Töte sie! Sie ist eine Bedrohung!“

Nein... nein...

Sein Widerstand wurde langsam schwächer, er wich noch einmal zurück und fiel zu Boden. Sein Körper zitterte, Mana begann um ihn zu fließen, um ihn einzulullen, doch genau in dem Moment hörte er noch eine andere Stimme, die direkt neben ihm zu erklingen schien: „Gib nicht auf. Glaub an dich selbst, Nozomu. Wenn du das tust, wird er keine Macht über dich haben.“

Mit einem Mal kehrten die Geräusche wieder, sein Blick festigte sich wieder – nur damit er sehen konnte, wie Katima auf ihn zusprang. Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie sich ihm die Klinge gefährlich näherte, während er sich immer noch nicht bewegen konnte.

Er schloss die Augen und erwartete den Schmerz, als plötzlich-
 

Baila kniete sich neben die auf dem Boden liegende Personen. Pollux hüpfte auf ihnen herum, bis er eines feststellte: „Sie sind ohnmächtig. Nix Schlimmes aber.“

Salles ließ seinen Blick über die Männer und den Jungen schweifen, bevor er zur Tür der Sporthalle sah. „Ist sie offen?“

Zur Demonstration rüttelte Yumiko daran. „Verschlossen, ai. So kommen wir nicht rein.“

Der Gelehrte seufzte. Es wäre ja auch zu leicht gewesen. Irgend etwas mussten sie jedoch tun. Bevor er allerdings einen neuen Plan fassen konnte, wurde er von einer von Nozomis Fragen abgelenkt: „Wenn diese Leute hier draußen liegen, bedeutet das doch, dass es noch einen Feind gibt, oder?“

Er antwortete nicht darauf, aber sein Blick schweifte in eine bestimmte Richtung. Es war lange her, dass er zuletzt auf dem Schulgelände gewesen war, genau genommen drei Jahre, damals hatte er den Lehrdienst quittiert, um sich vollkommen auf die Suche nach dem Götternamen zu konzentrieren.

Doch damals hatte es noch keinen Wald direkt auf dem Schulgelände gegeben – und er war sich sicher, dass das auch heute nicht normal war.

„Jatzieta.“

Als er ihren Namen zischte, sah die Ärztin ihn fragend an. Sein Blick war immer noch auf den Wald gerichtet, den keiner der anderen sehen zu können schien. Bevor sie nachhaken konnte, was er wollte, sprach er bereits weiter: „Versucht weiter in die Halle hineinzukommen. Aber seid vorsichtig und macht keinen Unsinn. Und vor allem: Folgt mir nicht.“

Wäre seine Stimme nicht so ernst gewesen, hätte sie gefragt, weswegen, doch sein Tonfall zeigte ihr, wie wichtig es ihm war. Sie nickte und wandte sich dann den anderen zu. „Ihr habt es gehört, Kinder, kümmern wir uns um diese widerspenstige Tür~“

Salles ließ die anderen schnell hinter sich. Als er den Wald betrat war es, als würde er durch eine Wand aus Wasser laufen. Ein Blick zurück zeigte ihm nicht den Schulhof, auf dem er eben noch gewesen war, sondern nur einen See auf einer Lichtung. Er kannte diesen Ort, er verband unzählige Erinnerungen damit – und er hatte ihn nach diesem Ereignis vor zehn Jahren nie wiedersehen wollen.

Doch statt zurückzusehen, richtete er seinen Blick wieder nach vorne. Der Weg führte ihn auf die nächste Lichtung, auf der ein gefällter Baum lag, dessen Rinde bereits vollkommen mit Moos überwachsen war, das eine natürliche Unterlage bildete. Tatsächlich saß jemand auf dem Stamm, eine Flöte an den Lippen, genau wie Salles ihn vor zehn Jahren verlassen hatte.

Das braune Haar mit dem leichten Rotstich war inzwischen gewachsen und reichte ihm knapp über die Schulter. Früher hatte er es sehr akkurat auf Kinnlänge gehalten, inzwischen schien es ihm aber egal geworden zu sein. Außer seinem Gesicht war nichts mehr von seiner Haut zu sehen, seine Kleidung bedeckte jeden einzelnen Zentimeter davon, als ob er etwas zu verbergen hätte.

Seine Augen blieben geschlossen, selbst als Salles langsam näherkam, er war vollkommen in sein Spiel vertieft. Er spielte das Lied, das er einst selbst komponiert hatte und zwar für die Person, die er mehr als alles andere geliebt hatte. Das Lied und die Erinnerung ließen einen brodelnden Cocktail von Wut und Verachtung in Salles' Erinnerung entstehen. Er hatte geglaubt, es nach all diesen Jahren endlich vergessen zu haben, doch hier auf dieser Lichtung schien es ihm als wäre alles gerade eben erst geschehen. Wut, Unverständnis und Verachtung prasselten wieder auf ihn ein und verlangten, dass er dem Flöte spielenden Mann eben jene aus den Händen riss, um sie ihm über den Kopf zu ziehen. Ein Zug, der nicht zu ihm passte, weswegen er ihn gewaltsam unterdrückte.

Allerdings schien der Spielende seine überkochende Wut zu bemerken, denn er hielt im Musizieren inne und hob den Kopf. Die roten Augen glitzerten freudig hinter den Brillengläsern und trafen auf die kalten honigfarbenen Iriden von Salles.

„Ich wusste, dass du kommen würdest.“

Er musste tief durchatmen. Die Stimme seines Gegenübers brachte so viele Erinnerungen auf einmal zurück, dass Salles nicht wusste, ob er sich freuen oder immer noch wütend sein sollte. Immerhin war ihm die Person, die da vor ihm saß einmal sehr wichtig gewesen und drei Jahre lang hatte er gedacht...

„Ich dachte, du wärst tot“, sagte der Gelehrte emotionslos.

Er bemühte sich, weder in seiner Stimme noch in seinem Gesicht auch nur einen Hauch von Gefühl zu zeigen, auch wenn es sinnlos war. Sein Gegenüber kannte ihn immerhin lange genug, um auch so zu wissen, was in ihm vorging.

„Manchmal ist es besser, wenn die Leute denken, man wäre das. Du verstehst das doch, oder?“

„Sicher“, brachte Salles gepresst hervor.

Der andere lächelte leicht. Es war dieses Lächeln, das Salles so sehr hasste, denn es sagte ihm, wie überlegen sich der Mann fühlte.

„Nathanael...“

Wie lange hatte er diesen Namen nicht mehr ausgesprochen? Selbst jetzt erschien es ihm noch unwirklich, als er ihn über seine Zunge rollen ließ, es geradezu genoss, ihn wieder einmal zu sagen, als ob allein die Aussprache dafür sorgte, dass wieder alles wie früher werden würde.

Auch wenn er genau wusste, dass die Vergangenheit endgültig tot war.

„Nathanael, warum bist du auf der Seite des Zerstörungskomitees?“

Ehrliche Überraschung erschien auf dem Gesicht seines Gegenübers, doch Salles nahm ihm die Frage vorweg: „Setoki erinnert sich nicht an Arakawa, obwohl sie offensichtlich das Leben vieler Menschen in seiner Vergangenheit beeinflusst hat. Ich habe sogar Bilder gesehen.“

Yumiko hatte ihm auf seinen eigenen Wunsch einen ganzen Stapel von Fotos überlassen, auf jedem einzelnen waren die drei Kinder in irgendeiner Art und Weise abgebildet gewesen. Im Kindergarten, bei der Einschulung, auf einem Schulfest... er war jedes einzelne durchgegangen und war damit Zeuge einer wundervollen Kindheit geworden, von der er nur träumen konnte. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er ebenfalls ein glückliches Kind gewesen wäre.

„Ich kenne niemanden außer dir“, fuhr Salles fort, „der Erinnerungen so massiv beeinflussen kann. Du scheinst sogar besser geworden zu sein, die Fotos sind tadellos.“

Stolz glomm in Nathanaels Augen auf. „Ich habe auch sehr viel dafür geübt. Immerhin muss alles perfekt sein, sobald sie fertig ist.“

„Selbst in dem Bereich gibst du nicht auf?“

„Niemals.“

Die Entschlossenheit in seiner Stimme war genauso gefestigt wie noch vor drei Jahren, als sie sich zuletzt begegnet waren, kurz bevor die Nachricht von Nathanaels Tod an Salles' Ohr gedrungen war. Doch im jetzigen Moment sorgte dieser Ton nur für noch größeres Unverständnis. „Wenn dein Plan noch derselbe wie zuvor ist, warum bist du beim Zerstörungskomitee? Welche Logik verbirgt sich hinter deinen Gedanken?“

„Ich wünschte wirklich, ich könnte es dir sagen, Salles.“

Nathanaels Blick wurde ungewohnt trüb. „Aber du weißt genausogut wie ich, dass es nie wieder wie früher werden wird. Selbst wenn sie wieder da ist.“

„Glaubst du, sie würde deinen Plan oder den Weg dorthin gutheißen?“

Sorgsam vermieden beide die Erwähnung ihres Namens, als ob sie damit verhindern könnten, dass die Erinnerungen und die Trauer zurückkamen. Es war zwar zwecklos, aber inzwischen zu einer gängigen Praxis zwischen ihnen geworden.

Sein Gegenüber senkte den Kopf, so dass Salles sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. „Nein, mit Sicherheit nicht. Genausowenig wie das, was ich nun vorhabe.“

Er musste es nicht sehen, um zu wissen, dass Nathanael schmunzelte, er konnte es ganz deutlich in seiner Stimme hören. Die Warnung seines Shinjuu kam vergleichsweise spät, erst als Salles sich bereits zur Hälfte umgedreht und automatisch den Arm ausgestreckt hatte, um ein Schutzschild aufzubauen. Ein Strudel von Mana umhüllte ihn gerade noch rechtzeitig, um eine Ranke abzuwehren. Das Wesen, zu dem diese gehörte, kreischte schmerzerfüllt auf. Eine Frau, die aus einem Baumstamm geschnitzt zu sein schien, stand vor ihnen, Efeuranken umgaben sie und bewegten sich unablässig, um auf eine neue Möglichkeit zum Angreifen zu warten.

„Hadassah“, zischte Salles wütend.

Er konnte seine Emotionen gegenüber Nathanael in Zaum halten, aber das gilt nicht für dessen Shinjuu. Es war lächerlich, dieses zu hassen und für alles verantwortlich zu machen, aber für Salles war es leichter, als seinen Zorn auf Nathanael zu richten, der für ihn immer wie ein Bruder gewesen war.

Eine Bewegung hinter ihm ließ Salles zur Seite springen. Ein Speer durchbohrte die Luft, wo er eben noch gestanden hatte.

Nathanaels Shinken 'Chie', die Weisheit...

So wirklich verstanden hatte er nie, warum gerade das Shinken, das die Weisheit repräsentierte, die Mainfestation eines Speers war, aber im Moment war das auch egal.

„Dann versuchst du jetzt, mich zu töten?“, hakte Salles nach.

Nathanael schmunzelte. „Ganz genau. Und wenn du stillhältst, wird es auch nicht lange wehtun.“

Der Gelehrte wich zurück und ließ sein eigenes Shinken erscheinen. 'Egen' glühte bereits vor Erwartung, er konnte den Drang, 'Chie's Träger zu töten durch seinen Körper pulsieren spüren.

„Genau wie in alten Zeiten“, schwärmte Nathanael. „Nur noch tödlicher!“

Er griff erneut an. Salles breitete die Arme aus, Windmassen sammelten sich um ihn und warfen den Angreifer zurück. Während Nathanael sich wieder fing, wagte Hadassah noch einen Vorstoß. Salles reagierte zu spät, sein hastig aufgebautes Schild zerbrach, die Ranke hinterließ einen brennenden Schmerz über seinem rechten Auge. Heißes Blut und Mana traten aus der Wunde.

Er kümmerte sich nicht weiter darum. Stattdessen hob er 'Egen' in die Luft. Das Buch öffnete sich, die umblätternden Seiten ließen Manafunken sprühen, bis es wieder innehielt. Mana und Wind wirbelten erneut um ihn und wehrten weitere Angriffsversuche von Hadassah ab.

Great Wisdom!

Das herbeigerufene Shinjuu riss mithilfe seiner Wurzeln den Boden unter Nathanael auf.

Doch Hadassah reagierte sofort. Ihre Ranken griffen nach ihrem Meister und zogen ihn zurück auf festen Untergrund. Nathanael zögerte nicht und griff wieder Salles an. Er wich den Angriffen geschickt aus. Da er eben schlagartig all sein verbliebendes Mana entladen hatte, konnte er kein Schutzschild errichten. Gegen jeden anderen Gegner wäre er damit im Nachteil gewesen, aber Nathanael war genau wie er für Magie und nicht für Schnelligkeit bekannt, weswegen selbst die Attacken durch das Shinken immer nur verzögert kamen.

Schließlich erkannte sein Angreifer, dass er so nicht weit kommen würde. Er blieb wieder stehen. Blaue Manafunken sammelten sich um ihn, während er eine Beschwörungsformel murmelte.

Salles nutzte die Gelegenheit, um sein Schutzschild wieder aufzubauen und gleichzeitig erneut den Wind zu beschwören, damit dieser ihn vor Schaden bewahren konnte.

Schließlich explodierte das Mana um Nathanael. „Icicle Arrows!

Unzählige Pfeile aus Eis entstanden um ihn herum, jeder einzelne flog auf Salles zu, wurde aber von dessen Schutzschild abgeblockt. Mit lautem Klirren zerplatzten die Pfeile, bis am Ende auch das Schild zersprang.

„Nicht schlecht“, sagte Nathanael anerkennend.

Salles schnaubte, wieder öffnete er das Buch. „Elemental Blast!

Eine Kugel konzentriertes Mana schoss auf Nathanael zu, doch dieser wehrte den Angriff mit einer einfachen Bewegung seines Speers ab. Die Kugel verschwand irgendwo im Wald, das Geräusch splitternden Holzes war zu hören.

Salles wollte sich gerade auf einen neuen Angriff konzentrieren, als sein Gegenüber zu lachen begann. Der Gelehrte blickte ihn verwundert an. Die Anspannung in der Luft war plötzlich verschwunden, der Kampf schien vorbei zu sein.

„Was ist so komisch?“, verlangte er zu wissen.

Nathanaels Augen glitzerten amüsiert. „Ich glaube nicht, dass du viel Zeit zum Kämpfen hast.“

Schlagartig erinnerte Salles sich wieder an Nozomu, der mit Sicherheit immer noch in der Sporthalle war. Möglicherweise war es bereits zu spät und das nur, weil sie beide dem Willen ihrer Shinken nachgegeben hatten. Dem Willen der gegenseitigen Vernichtung, das einzige, was immer zwischen den beiden Jungen, die sich so nah wie Brüder fühlten, gestanden hatte.

„Lass uns den heutigen Kampf als Gleichstand betrachten“, fuhr Nathanael fort. „Es wäre doch eine Schande, wenn wir uns zur Feier unseres Wiedersehens schon töten.“

Schon? Denkt er wirklich, dass wir uns irgendwann gegenseitig umbringen werden?

„Aber vergiss nicht, dass auch ich in den letzten Jahren besser geworden bin. Vielleicht sogar endlich besser als du.“

Schon früher waren sie stets auf derselben Ebene gewesen, egal in welchem Bereich, doch das war dem ehrgeizigen Nathanael nicht genug gewesen. Er hatte stets danach gestrebt, besser zu werden, besser als Salles und besser als ihr Meister. Ein Konkurrenzdenken, das Salles stets fremd geblieben, aber für seinen Freund alles gewesen war.

„Das kümmert mich nicht“, erwiderte der Gelehrte.

Nathanael schmunzelte. „Noch nicht. Ich bin sicher, irgendwann wird es dich kümmern. Aber nun ja, ich habe heute auch noch etwas vor. Aber bevor ich gehe, bekommst du ein Geschenk von mir.“

Salles ging in Abwehrhaltung, als sein Gegenüber in eine Tasche seiner Kleidung griff. Schließlich holte er etwas hervor und warf es ihm zu.

Der Gelehrte fing es automatisch auf, um den Gegenstand genauer zu betrachten. Es war ein schwarzer Onyx unter dessen Oberfläche Salles Emotionen toben spüren konnte. „Was...?“

„Katima Aigears' Seele“, erklärte Nathanael geflissentlich. „Sie wird dem Erhaltungskomitee sicherlich eine große Stütze sein.“

Die Erklärung verwirrte Salles. „Warum tust du das? Du bist doch Teil des Zerstörungskomitees.“

Nathanael lächelte sanft, eine Mimik, die er nicht sonderlich oft an den Tag legte, aber dafür immer ehrlich gemeint war. „Du wirst es irgendwann noch verstehen, glaub mir.“

Damit fuhr er herum und ging langsam davon, sein Shinjuu folgte ihm. Salles sah ihm hinterher.

In seinem Inneren herrschte eine Mischung aus Erleichterung, Wut und Verwirrung, die seine Brust einengte.

Warum tat Nathanael das? Und was sollten die Gerüchte über seinen Tod? Welchen Plan verfolgte er? Irgendwie würde Salles es herausfinden, ganz sicher. Auch wenn er noch nicht wusste, wie.

Als Nathanael schließlich verschwand löste sich auch der Wald um Salles herum auf, so dass er wieder auf dem Schulhof von zuvor stand. Er atmete tief durch, während er wieder zu den anderen lief – gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass sie endlich die Tür zur Sporthalle aufbekamen.

Seelenlos

Ein lautes, metallisches Klirren direkt vor ihm, sorgte dafür, dass Nozomu seine Augen wieder öffnete. Er atmete erleichtert aus, als er Aselia erkannte. Der Spirit stand schützend vor ihm, ihre Klinge wehrte die von Katima ab. Das Bild wirkte vertraut, er fühlte sich an seine erste Begegnung mit ihr in der U-Bahn erinnert. Aber damals hatte sie ihn vor einem Lakai bewahrt.

Während Nozomu das Shinjuu anstarrte, spürte er plötzlich, wie er gepackt und weggezogen wurde. Ein Blick nach hinten zeigte ihm, dass es Yuuto war, der ihn offenbar in Sicherheit bringen wollte.

Hastig richtete Nozomu sich auf und löste sich mit einem Ruck aus dem Griff des anderen. „Ich kann allein laufen!“

Das wollte er auch gerade in die Tat umsetzen, als Aselia zur Seite gestoßen wurde und sowohl Katima als auch Aigears wieder auf ihn zustürmten.

Er wollte sich verteidigen und sein Shinken erscheinen lassen, doch ehe er dazu kam, erschienen zwei andere Gestalten vor ihm.

Die eine war eine braunhaarige junge Frau in einer grünen Dienstmädchen-Uniform und einem Speer in ihrer Hand, den sie benutzte, um Katimas Angriff abzufangen.

Die andere Gestalt war ein kleines Mädchen mit zu zwei Pferdeschwänzen gebundenem roten Haar und einem Schwert, das genau dasselbe war wie jenes, das die roten Lakaien mit sich führten. Obwohl die Waffe größer war als sie, führte sie diese äußerst geschickt und schaffte es damit, Aigears' Klingenarme abzuwehren.

Die beiden hatte er noch nie zuvor gesehen, aber anhand ihrer Waffen und ihrer Aura – und zumindest der Kleidung der Kleineren – schätzte er sie auch als Spirit-Shinjuu ein.

Überrascht starrte Nozomu die beiden an, nur um direkt wieder von jemandem am Arm gepackt zu werden. „Komm endlich, es ist hier nicht sicher!“

Zetsus Stimme riss ihn aus den Gedanken. Nozomu wandte den Kopf und entdeckte seinen Freund. Offenbar war er nicht mehr damit beschäftigt, Leana zu beschützen, aber von ihr war auch nichts mehr zu sehen. Möglicherweise hatte er sie bereits in irgendeine sichere Ecke manövriert.

Nozomu ließ sich von Zetsu zu Satsuki mitziehen, die immer noch auf dem Boden saß. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt sie sich die Seite.

„Alles okay, Senpai?“, fragte Nozomu, als er sich gegen Zetsus Willen neben sie kniete.

Sie nickte, auch wenn ihre Mimik etwas ganz anderes sagte.

Er wandte den Blick wieder ab und sah zu den drei Spirits, die gegen Katima und Aigears kämpften. Irgendwie schafften die drei es tatsächlich, ihre Feinde in Schach zu halten, sie waren wirklich außergewöhnlich schnell, Nozomus Augen konnten ihren Bewegungen kaum folgen.

Aber warum tat keiner der anderen etwas?

Er sah zu Yuuto und seinen beiden Freunden. Alle drei beobachteten gebannt den Kampf. Akitsuki und Leana dagegen waren nicht mehr zu sehen, offenbar hatten sie ein Versteck gefunden, vermutlich im Geräteraum – denn das war genau die Richtung, in die Zetsu ihn nun auch ziehen wollte.

Doch als er das realisierte, erwachte das Furcht einflößende Gefühl in seinem Inneren wieder. Es zog ihn in die andere Richtung, direkt zum Kampfgeschehen, in dem er sein Shinken nutzen wollte, um die anderen vier auszulöschen und ihr Mana in sich aufzunehmen.

Er versuchte, sich aus Zetsus Griff zu lösen, doch diese wurde noch einmal stärker. Nozomu stöhnte leise auf, der Drang zur Auslöschung kehrte wieder unter die Oberfläche zurück, brodelnd, nur darauf wartend wieder hochkochen zu können und endlich die Oberhand zu gewinnen.

„Warum willst du mich nicht kämpfen lassen!?“, fauchte er. „Ich kann das!“

Zetsu blieb so abrupt stehen, dass Nozomu beinahe in ihn hineingelaufen wäre. Ruckartig fuhr der Silberhaarige herum. In seinem Gesicht spiegelte sich Zorn. „Kannst du das, ja!?“

Verdutzt sah Nozomu ihn an. Warum war Zetsu so wütend?

„Dann versuch doch mal, Rehme zu rufen, wenn du das kannst!“

Vor lauter Empörung darüber konnte er erst einmal gar nichts sagen. Warum sollte er Rehme nicht rufen können? Das war das Einfachste der Welt, er sprach doch quasi ständig mit ihr.

Hastig konzentrierte er sich auf sein Shinjuu – doch es erschien nicht. Er versuchte es noch einmal, stärker, mit mehr Verzweiflung und Hingabe, aber egal, was er tat, Rehme erschien einfach nicht, sie antwortete nicht einmal auf seine Gedanken, wie sie es sonst tat.

Für einen kurzen Moment fühlte er sich mit der Furcht konfrontiert, dass er sein Shinken nicht mehr benutzen konnte, dass sein Orichalcum-Namen gerade in dem Moment, in dem er am meisten gebraucht wurde, für immer erloschen war. Doch kaum war die Panik ein wenig verebbt, spürte er das pulsierende Mana in der Luft um ihn herum, was er erst konnte, seit sein Orichalcum-Namen erwacht war, also war damit alles in Ordnung. Warum aber war Rehme fort?

Vor kurzem war sie noch da gewesen, aber dann war ihm übel geworden und diese andere Stimme hatte den Platz von Rehmes eingenommen...

Zetsu schnaubte. „Dachte ich es mir doch.“

Er wollte nach Nozomus Hand greifen und ihn weiter mit sich ziehen, doch ein plötzlicher Schrei ließ ihn inne halten und den Kopf in eine andere Richtung wenden. Nozomu wusste auch sofort, weswegen: Es war Leanas Stimme gewesen.

Noch ehe der Braunhaarige reagieren konnte, lief Zetsu in die Richtung davon, aus der sie den Schrei vernommen hatten.

Nozomu dagegen lief hastig zu Satsuki zurück und kniete sich wieder neben sie. Sie versuchte, ihn wütend anzusehen, doch die Schmerzen ließen eine seltsame Grimasse entstehen. „Warum bist du nicht weggelaufen? Du solltest nicht hier sein!“

„Was geht hier vor?“, erwiderte er mit einer Gegenfrage.

„Es ist gefährlich!“

Ihre Antwort brachte ihn nicht weiter, doch ihm blieb auch keine Zeit, noch einmal nachzuhaken.

Ehe er noch etwas sagen konnte, stieß Satsuki ihn beiseite. Er wollte sich gerade darüber beschweren, als er sah, wie Aigears auf sie zustürmte. Mit einem Schrei wurde sie zu Boden gerissen, Manafunken vernebelten Nozomus Sicht.

„S-Senpai!“

Er glaubte, zwischen all den Funken ausmachen zu können, dass sie sich gegen Aigears wehrte, jedoch nährte das befreite Mana wieder den destruktiven Drang in seinem Inneren. Übelkeit kam in ihm auf, alles drehte sich vor seinen Augen. Watte schien sich wieder in seinen Ohren zu bilden, Geräusche wurden langsamer leiser, aber mit viel Anstrengung schaffte er es, den Blick zu wenden.

Katima kämpfte inzwischen gegen Yuuto und dessen Freunde, die schwer damit beschäftigt waren, ihren Angriffen standzuhalten. Die Spirit-Shinjuu waren verschwunden.

Nozomus Kehle schnürte sich langsam zu, die Panik wuchs an, während er das Gefühl hatte, zu ersticken.

„Gib endlich nach!“, verlangte die Stimme in seinem Inneren. „Gib mir endlich das, was ich will!“

Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, hob Nozomu die Arme, um seinen schmerzenden Kopf festzuhalten. „Hör auf damit...“

Wie durch einen Nebelschleier sah er, wie das Mädchen an Yuutos Seite verletzt zu Boden stürzte. Eine schwarze Hand erschien aus dem Boden und griff nach dem Freund des Schwarzhaarigen, der ebenfalls mit einem lauten Schrei in die Knie ging.

Hinter sich konnte er hören, wie sich Aigears wieder aufrichtete, Satsukis Widerstand schien erloschen zu sein.

Sein Widerstand gegen diese fremde Macht schwand langsam, aber damit auch jegliche Kraft, die seinen Körper antrieb. Ehe er auf dem Boden aufschlug, konnte er aus weiter Entfernung hören, wie die Tür der Sporthalle geöffnet wurde. Doch bevor er sehen konnte, wer hereinkam, schwand sein Bewusstsein, ihm wurde schwarz vor Augen und dann war er bereits ohnmächtig.
 

Salles lief, ohne die anderen zu beachten, direkt durch die geöffnete Tür in die Sporthalle hinein. Er ignorierte die fragenden Blicke der Mädchen, während er sich in der Halle umsah. Schon im ersten Moment fielen ihm die Schwertkämpferin und das Shinjuu auf, gegen das er am Abend zuvor gekämpft hatte; sie musste Katima Aigears sein. Als nächstes entdeckte er den immer noch aufrecht stehenden Yuuto ihr gegenüber, seine beiden Freunde knieten verletzt auf dem Boden. Knapp neben Aigears konnte er den roten Haarschopf von Satsuki sehen, sie selbst bewegte sich allerdings nicht. Nur wenige Meter neben ihr lag-

„Nozomu-chan!“

Jatzieta griff nach ihrem Arm. „Nozomi, nein!“

Das Mädchen stürmte an der Ärztin vorbei in Richtung des Liegenden. Salles registrierte es nur knapp, Aigears dagegen wandte sich ihr direkt zu.

„Nozomin!“, kreischte Yumiko erschrocken, was auch Katimas Aufmerksamkeit auf die Gruppe lenkte.

Aus dem Nichts ließ die Vorangestürmte ihre Sense erscheinen. Schützend, mit entschlossenem Blick, stellte sie sich vor Nozomu. „Niemand wird ihn verletzen!“

Aigears gab keinen Ton von sich, aber Salles stellte sich vor, wie verdutzt das Wesen schauen würde, wenn es ein Gesicht besitzen würde. So aber schwebte nur die schwarze Materie reglos vor ihr, ohne irgend etwas zu tun. Scheinbar wartete es auf einen neuen Befehl, aber Katima blieb stumm.

Ihre blauen Augen blickten Salles starr und unerbittlich an. Er konnte den Onyx in seiner Tasche pulsieren spüren – also wusste sie, dass er ihre Seele mit sich trug und diese wollte auch unbedingt zu ihr zurück.

Dafür musste Salles allerdings erst einmal in seine Tasche greifen, um den Kristall herauszuholen. Doch gerade als er Anstalten machte, das durchzuführen, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Er fuhr herum und versuchte gleichzeitig, eine Barriere aufzubauen.

Doch wie er feststellte, war sein Mana nach dem Kampf von eben noch nicht genug aufgefüllt.

Sein Schild zerbrach klirrend, ein brennender Schmerz erfüllte seinen Arm, von dem Manafunken aufstiegen.

Verwirrt sah er Uruca an, die ihm gegenüberstand. Ein leichtes Lächeln zierte ihr Gesicht, sie schien äußerst zufrieden über diese Verletzung zu sein.

„Ah, du bist auch hier“, sagte er unbegeistert.

Sie lachte humorlos. „Das hier sollte eigentlich keine Bühne für euch werden. Ihr seid viel zu früh hier – und ihr nervt.“

„Das tut mir aber Leid.“

Er hörte den Pfeil, ehe er ihn in Urucas Arm stecken sah. Das Shinjuu gab nur einen erstickten Schmerzenslaut von sich, mehr Reaktionen folgten von ihrer Seite nicht. Yumiko stand immer noch mit dem Bogen im Anschlag da. Jatzieta rührte sich noch kein Stück, ihr Blick ging immer noch zwischen allen Anwesenden hin und her und blieb schließlich an dem letzten noch stehenden Mitglied des Errettungskomitees hängen.
 

Yuutos Hände verkrampften sich, während er sein Schwert festhielt, das immer schwerer zu werden schien. Er schluckte schwer, innerlich versuchte er, erneut Aselia zu beschwören, doch das dafür benötigte Mana fand sich nicht zusammen.

Er wollte sich über die schweißnasse Stirn wischen, doch das hätte bedeutet, das Schwert loslassen zu müssen und das wollte er nicht einmal riskieren. In einer quälend langsamen Bewegung wandte Katima ihm ihren Kopf zu. Die blauen Augen waren das einzige, was er durch die Maske hindurch sehen konnte. Starr, unerbittlich sahen sie ihn an, doch sie machte keinerlei Anstalten, ihn erneut anzugreifen. Sein Innerstes zog sich zusammen und ließ sein Shinken noch einmal schwerer werden.

Ihr Blick ging wieder zu den nachträglich Dazugekommenen, Mana floss immer noch aus der offenen Wunde des Mannes und verloren sich zu einem unbenutzbarem Nebel, der sich für immer auflöste, statt Teil eines anderen Shinkennutzers zu werden.

Ein sehnsuchtsvolles Wimmern schien plötzlich zu erklingen. Ratlos sah Yuuto sich um.

„Was ist das?“, fragte Kyoko leise.

Das klagende Geräusch, so leise es begonnen hatte, wuchs bald zu einem wütenden Heulen an, das alle, die noch wach waren in Verwirrung stürzte. Selbst Uruca sah sich irritiert um.

Es dauerte scheinbar endlos lange, bis nach und nach alle den Ursprung dieses Geräusches fanden. Sämtliche Blicke richteten sich auf Aigears, der den Kopf in den Nacken legte und einen stimmlosen Schrei ausschrie.

Fassungslos sahen alle das Wesen an, das dem Wahnsinn verfallen zu sein schien. Doch keinem von ihnen blieb Zeit, das Verhalten zu analysieren.

Auf eine stumme Einigung hin rasten sowohl Aigears als auch Katima plötzlich auf Salles zu.

Dieser ließ sich hastig fallen, statt auszuweichen. Der schwarze Onyx stürzte dabei aus seiner Tasche und schlitterte über den Boden.

Sofort änderten beide Angreifer die Richtung, um dem Stein zu folgen.

Uruca wich zurück, als das Shinjuu an ihr vorbeistürmte, nur um direkt in Zetsus Klinge zu laufen und sich mit einem lauten Schrei aufzulösen. Der Silberhaarige schnaubte. „Niemand legt mich hinterrücks rein!“

Eine Platzwunde an seiner Stirn zeugte tatsächlich von einem Angriff.

Doch ehe einer der anderen etwas dazu sagen konnte, erklang ein triumphierender Schrei, der die Aufmerksamkeit aller wieder auf Katima lenkte. Diese hatte den Onyx inzwischen in ihre Hand bekommen und zerschmetterte ihn nach einem kurzen Moment entschlossen auf dem Boden.

Augenblicklich verschwand Aigears und auch das bedrohliche Gefühl, das die Halle erfüllt hatte.

Dennoch ließ Yuuto sein Shinken nicht verschwinden, auch nicht als Katimas Körper leblos zu Boden sackte.

Die Bedrohung war noch immer zu präsent, als dass er sie einfach abschütteln könnte. Genauso bewegte sich keiner der anderen.

Erst als Jatzieta seufzend mit dem Kopf schüttelte, kehrte das Leben in alle zurück. „Wenn ihr schon bei solchen Gegnern schlappmacht, wie sollen wir da gegen die Anführer der anderen Komitees bestehen?“

Zetsu lachte durch die Nase. „Wenn du auch mal etwas tun würdest, wäre es vielleicht leichter.“

„Nein, viel zu schweißtreibend“, lehnte die Ärztin ab.

Beide lachten, während Nozomi und Yumiko sich neben Nozomu knieten. Schließlich blickte Jatzieta wieder ernst auf die Verwundeten. „Gut, dann kümmere ich mich mal hier um alles~“
 

Während die Gruppe im Inneren sich um die Verletzten kümmerten, stand Isolde draußen einige Meter von der Eingangstür entfernt. Allerdings war sie nicht allein.

Nathanael lehnte mit verschränkten Armen an der Wand. Ein leichtes Lächeln zierte seine Mundwinkel, allerdings war es keines, das von Freude sprach – außer man zählte Schadenfreude auch dazu, nur weil das Wort darin vorkam.

„Er ist gar nicht schlecht.“

Isolde wandte den Kopf, um ihn fragend anzusehen. Er schmunzelte leicht. „Setoki. Ich hätte nicht gedacht, dass er Jiruol so einfach widerstehen kann. Aber ich bin angenehm überrascht.“

„Zerstört das nicht deinen Plan?“

„Ganz und gar nicht“, widersprach er. „Es schafft mir nur eine neue Herausforderung, die ich zuvor nicht in Betracht ziehen konnte. Das ist aufregend.“

Seine Stimme klang amüsiert, was ihn noch bedrohlicher erscheinen ließ, als er ohnehin war.

„Der Onyx...“, warf sie vorsichtig ein.

Sie musste den Satz nicht beenden, dass er wusste, was sie sagen wollte: „Ich habe ihm den Stein gegeben in der Hoffnung, dass die beiden Salles zerfetzen würden, um daran zu kommen. Aber nun gut, er lebt immer noch, da kann man nichts machen.“

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern, als ob er es damit abschütteln könnte. „Lange wird er ohnehin nicht mehr haben.“

Er stieß sich von der Wand ab und drehte sich in eine andere Richtung, um wegzugehen. Doch zuvor warf er ihr einen Blick über die Schulter zu. „Richte deiner Meisterin mein Kompliment aus. Sie versteht es offenbar, Akatsuki um den kleinen Finger zu wickeln – wenn er bei ihrem Schrei sogar Jiruol einfach seinem Schicksal überlässt.“

Ehe sie etwas erwidern konnte, ging Nathanael davon und verschwand einfach. Isolde seufzte. Wie ich ihn hasse!

Damit verschwand auch sie, so dass kein Shinjuu mehr an diesem Ort zurückblieb.

Nach dem Kampf

Besorgt strich Nozomi ihm immer wieder über die Stirn. „Ist auch wirklich alles in Ordnung, Nozomu-chan?“

Er reagierte nicht einmal, da er ihr bereits viermal geantwortet hatte. Selbst für seine Verhältnisse war es irgendwann einmal gut und er schien das nicht als einziger zu denken.

„Er hat schon gesagt, dass es ihm gut geht“, meinte Zetsu leicht genervt. „Lass ihn doch endlich in Ruhe.“

Die anderen sahen zu ihm hinüber, Nozomi schnaubte. „Warum mischst du dich überhaupt ein?“

„Du behandelst ihn wie ein Kind, jeder vernünftige Mensch würde sich da einmischen.“

Für wenige Sekunden lieferten sich die beiden ein Blickduell, das erst endete, als Jatzieta ihm sacht auf den Kopf schlug. „Au! Lass das, alte Frau!“

Die Ärztin kicherte. „Immer noch so empfindlich, Akatsuki?“

Ehe er etwas erwidern konnte, räusperte Salles sich vernehmlich, worauf sich ihm alle Blicke zuwandten.

„Das reicht jetzt“, sagte er in einem ungewohnt gebieterischem Tonfall. „Niemandem ist geholfen, wenn wir uns streiten.“

„Warum sitzen wir überhaupt alle hier?“, fragte Zetsu. „Folgt jetzt die Standpauke, weil wir gestern verloren haben?“

Verunsichert sah Nozomu zu seinem besten Freund. Der Silberhaarige war seit der Rückkehr in das Wohnheim so aggressiv, was Nozomu sich nur damit erklären konnte, dass er sich Sorgen um Leana machte. Das Mädchen war noch während des Kampfes verschwunden, aber so wie Nozomu sie einschätzte ging es ihr verdammt gut – Unkraut verging immerhin nicht.

„Das ist aber nicht nett~“

Auch wenn ihm diese Zurechtweisung nicht gefiel, so war er doch glücklich darüber, wieder Rehmes Stimme hören zu können. Er kannte sie vielleicht erst einige Wochen, aber sie war bereits ein fester Teil seines Lebens geworden – ohne sie fehlte einfach etwas.

Ich muss nicht nett sein, sie ist auch nie zu mir nett.

„Vielleicht... Aber vielleicht ist Leana eine empfindsame Seele, die... okay, okay, ich bin schon still.“

Offenbar wirkte sein skeptischer Blick sogar, wenn er nur an diesen dachte und brachte Rehme zum Verstummen. Daran könnte er sich gewöhnen.

Salles seufzte. „Nein, keine Standpauke. Wir haben alle nicht unser Bestes gegeben – es hätte um einiges besser verlaufen können. Ich schließe mich da selbst nicht aus.“

Es schien Nozomu, dass er eigentlich noch etwas sagen wollte, dann aber doch lieber darüber schwieg. Stattdessen wandte der Gelehrte sich an Nozomi: „Nagamine, das betrifft vor allem dich. Du kannst nicht einfach losstürmen, um Nozomu zu beschützen. Du gefährdest damit dich und die anderen.“

Es war deutlich zu sehen, dass sie sich extrem auf die Zunge beißen musste, damit keine scharfe Erwiderung über ihre Lippen kam. Nozomu konnte sie da zu gut verstehen, er selbst würde Salles im Moment auch nicht widersprechen wollen. Die Züge des Gelehrten waren steinhart und wirkten damit noch unbarmherziger als sonst – wenn Nozomu genauer darüber nachdachte, wirkte er sonst eigentlich immer als ob er müde wäre. Seine Regung im Moment war also mal etwas anderes – aber nicht unbedingt positiv, wenn man ihn fragte.

Nozomi nickte widerwillig, statt etwas zu sagen. Salles wandte sich an Zetsu. „Und du, Akatsuki, kannst nicht einfach die Truppe verlassen. Du hast selbst gemerkt, dass du damit in einen Hinterhalt gelockt wurdest.“

Zetsu schnaubte. „Sag doch einfach, dass wir Setoki nicht allein lassen sollen. Der Rest der Truppe ist dir doch egal.“

Erschrocken über diese Widerworte starrten alle ihn wortlos an. Nozomu wunderte sich allerdings mehr darüber, wie der Silberhaarige über ihn sprach. So abfällig und gefühllos, dass es ihn fast schon grauste.

Ich versteh das einfach nicht. Warum sollte ich so wertvoll sein?

Rehme schwieg auf seine Frage, wie er es erwartet hatte, so dass er allein in dieser unwirklichen Szenerie mit dem angespannten Schweigen zurückblieb. Zumindest fühlte er sich plötzlich einsam, auch wenn sich noch andere Personen mit ihm im Raum befanden.

Ein weiterer Schlag von Jatzieta auf Zetsus Hinterkopf beendete das Schweigen.

„Verdammt noch mal!“, fauchte der Silberhaarige. „Lass das endlich!“

„Erst wenn du endlich Respekt lernst!“, erwiderte sie und hob mahnend den Zeigefinger.

Salles schüttelte allerdings hastig den Kopf. „Lass es, Jatzieta. Es ist schon gut.“

Sein Gesichtsausdruck kehrte zu dem übermüdeten von eh und je zurück, aber etwas veränderte sich noch. Es schien Nozomu, dass der Mann plötzlich um einiges älter wirkte. Seine wächserne Haut spannte sich über seine Wangenknochen – er schien dringend Urlaub zu brauchen.

Da wieder Schweigen eingekehrt war, meldete Yumiko sich vorsichtig. „Was ist denn mit Katima Aigears passiert, ai?“

Salles kehrte sofort zu seiner Professionalität zurück. „Sie ist noch bewusstlos, aber das Krankenhaus wird mich anrufen, sobald sie aufwacht.“

Dass der Mann solche Kontakte besaß, verwunderte Nozomu. Rehme dagegen pfiff anerkennend durch die Zähne. „Nicht schlecht, oder?“

Bemerkenswert, ja. Er scheint einige Geheimnisse zu verwahren.

„Wenn es nichts mehr zu sagen gibt, könnt ihr nun tun, was ihr wollt. Das war alles.“

Nozomu hatte das Gefühl, dass Salles eigentlich sehr wohl noch etwas sagen wollte, aber die Müdigkeit schien ihn dermaßen geschwächt zu haben, dass er darauf verzichtete – oder er wollte keinen erneuten Ausfall von Zetsu provozieren.

Ohne großartige Verabschiedung verließen alle bis auf Salles und Jatzieta den Raum.

Vor der Tür schnaubte Nozomi noch einmal. „Ich verstehe nicht, warum er mich zurechtgewiesen hat. Ich habe nichts falsch gemacht.“

Nozomu überlegte, sie darauf hinzuweisen, dass es wirklich kein schlauer Zug war, die Gruppe zu verlassen und blindlings in einen ungesicherten Raum zu stürmen, in dem es von Gegnern wimmelte, doch er verzichtete darauf, um von ihr keinen Ärger zu bekommen.

Sie atmete tief durch. „Ich werde dann mal zu Suzume in die Küche gehen.“

Da sie kein Shinken trug, war das blonde Mädchen nicht bei der Besprechung dabei gewesen, sondern war stattdessen für den Küchendienst eingeteilt worden. Nichtsdestotrotz hinderte Nozomi das nicht daran, ebenfalls beim Kochen mitzumischen.

„Akatsuki, isst du heute mit?“

Der Silberhaarige schüttelte schweigend mit dem Kopf.

„Das überrascht mich~ Akatsuki verzichtet auf etwas zu essen?“

Wahrscheinlich macht er sich noch Sorgen um Vartanian.

Das sah Zetsu zwar nicht sonderlich ähnlich, aber Nozomu hatte inzwischen das Gefühl, dass es immer wieder einen neuen Aspekt an dem Silberhaarigen zu finden gab – so wurde er immerhin nie langweilig.

Yumiko griff nach Bailas Hand und zog diese hinter Nozomi her in die Küche. Rehme würgte.

„Hoffentlich verderben viele Köche nicht wirklich den Brei.“

Zetsu und Nozomu blieben noch immer schweigend im Eingangsbereich stehen. Doch plötzlich räusperte der Silberhaarige sich. „He, Nozomu... wegen dem, was ich da drinnen gesagt habe...“

Er sah den Braunhaarigen an, als hoffte er, dass dieser ihm die Worte abnehmen würde, doch der schwieg und erwiderte den Blick nur.

Schließlich seufzte Zetsu. „Tut mir Leid. Ich meinte das nicht so.“

Nozomu nickte, worauf der Silberhaarige zu lächeln begann. „Wir sind Freunde, nicht? Ich muss jetzt aber los, wir sehen uns, ja?“

Bevor er auch nur Gelegenheit bekam, etwas zu erwidern, verließ Zetsu das Gebäude mit großen Schritten.

„Ich werde ihn nie verstehen.“

Um Nozomus Mundwinkel zuckte ein Lächeln. Das ist doch das Tolle an ihm.
 

Mit einem tiefen Seufzen griff Salles sich an die Stirn. Er nahm die Brille ab und legte diese auf dem Tisch ab. Zwar nahm er seine Umgebung nun nur noch leicht verschwommen war, aber zumindest im Moment störte ihn das nicht. Es gab ohnehin nichts, was zu beachten wert gewesen wäre.

Vorsichtig ging Jatzieta näher, um ihn nicht zu erschrecken. Aus ihrem Blick sprach Besorgnis. „Was ist los mit dir, mein Lieber?“

Selbst ihre Stimme zeigte ausnahmsweise das Ausmaß ihrer Sorgen. Jeglicher Spott war daraus verschwunden.

Er schüttelte sacht den Kopf, damit die Schmerzen des letzten Abends nicht unvermittelt zurückkehrten. „Nichts weiter, kümmere dich nicht darum.“

„Was ist denn gestern eigentlich passiert, während du verschwunden warst?“

Die Neugier plagte sie bereits seit dem Vortag, doch bislang hatte sie nicht zu fragen gewagt. Allerdings war sie sich sicher, dass seine Müdigkeit etwas damit zu tun hatte, weswegen sie sich doch noch überwand.

Doch seine Antwort belohnte diesen Mut nicht: „Unwichtig. Es ist nichts, was jemanden außer mir angeht.“

Er wollte nicht einmal mehr an die Ereignisse denken, also warum sollte er ihr davon erzählen?

Noch dazu war besonders die Unterhaltung seiner Meinung nach dermaßen privat gewesen, dass es niemanden sonst zu interessieren hatte – oder jemand anderes es gar verstehen würde.

„Wenn es mit Nathanael zu tun hat-“

„Hat es nicht“, unterbrach er sie ruhig. „Du musst nicht weiter nachfragen.“

Obwohl sie ganz offensichtlich daran zweifelte, fragte sie wirklich nicht weiter. Sorgenfalten erschienen dafür auf ihrer Stirn. „Du solltest wirklich vorsichtig sein, Salles. Sonst opferst du dich am Ende selbst noch.“

„Ich bin immer vorsichtig. Aber Opfer sind manchmal nötig, um Ziele zu erreichen.“

Und wenn ich das Opfer bin, ist das besser als irgendein anderer.

Diese Antwort gefiel ihr ganz und gar nicht, aber es war auch unnötig, weiter nachzufragen, da war sie sich sicher. Er würde weder antworten noch seine Meinung ändern.

Schließlich setzte er seine Brille wieder auf und erhob sich. „Ich werde mich noch mal ins Bett legen, meine Mana-Reserven sind noch nicht wieder aufgefüllt. Hol mich bitte, wenn es Essen gibt.“

„Selbstverständlich“, sagte sie.

Er verließ den Raum und ließ nur eine besorgt seufzende und ratlose Jatzieta zurück.
 

Hinter Zetsu fiel die Tür wieder ins Schloss. Normalerweise fing er sie immer ab, um sie leise zu schließen, damit er weniger Aufmerksamkeit auf sich zog, aber im Moment war es ihm egal. Seine Gedanken waren ganz woanders, weswegen er auch nicht auf den Aufzug wartete, sondern die Treppe in seine Etage hinaufhastete.

Mit einem flauen Gefühl im Magen lief er den Gang hinunter. Je näher er der speziellen Wohnung kam, desto flauer wurde das Gefühl. Ob sie inzwischen wieder da war? Ob es ihr gut ging?

Vor der Tür blieb er stehen. Er versuchte zu lauschen, ob ein Laut aus ihrer Wohnung erklang, doch sein Herz klopfte zu schnell, so dass er nur sein eigenes Blut in seinen Ohren rauschen hörte.

Also zuckte er mit den Schultern und klopfte einfach, egal wie sie darauf reagieren würde.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis tatsächlich jemand die Tür öffnete. Zetsus Mundwinkel zuckten nach oben, als er Leana erkannte. „Du bist wieder da~“

Sie hob eine Augenbraue. „Und?“

„Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht.“

Er war froh, dass sonst gerade niemand da war. Diese Worte in Verbindung mit seiner Stimme klangen selbst in seinen eigenen Ohren so unglaublich falsch, dass es ihm grauste. Aber zumindest im Moment störte es ihn nicht.

„Bin ich deine Mutter oder was?“, fragte sie genervt.

„Ist es so seltsam, dass sich jemand Sorgen um dich macht?“

Sie pustete Luft durch ihre geschlossenen Lippen und wandte das Gesicht ein wenig ab. Es kam Zetsu vor, als ob ihr diese Situation nur unangenehm wäre, aber er ging nicht weiter darauf ein.

Schließlich sah sie ihn wieder an. „Ich brauche niemanden, der sich Sorgen um mich macht. Und schon gar nicht dich.“

Er schmunzelte. Fast genau denselben Wortlaut hatte er damals auch genutzt – dann war er niedergeschlagen und von Salles verschleppt worden. Ihm war es aufgedrückt worden, dass es Leute gab, die sich um ihn sorgten – und er würde das auch bei ihr machen, wenn es sein musste. Es hatte ihm gut getan und das würde es bei ihr auch.

Er sagte nichts, aber sie schloss aus seinem Schweigen, was er wollte. „Du wirst nicht gehen? Auch, wenn ich dich darum bitte?“

„Zumindest nicht für einige Stunden“, stimmte er zu.

Seufzend ging sie einen Schritt zurück, um ihn hereinzulassen. „Dann komm. Je schneller wir es hinter uns haben desto besser.“

„Du klingst, als ob ich was Schlimmes mit dir vorhätte.“

Er betrat die Wohnung, während sie mit den Augen rollte. „Mit dir Zeit zu verbringen, ist schlimm.“

„Wie auch immer~“

Während er ins Wohnzimmer ging, nahm er keine Notiz von dem zufriedenen, aber finsteren Lächeln, das über ihr Gesicht huschte. Aber selbst wenn, im Moment war er so erleichtert, sie lebend zu sehen, dass ihn das gar nicht gestört hätte.

Ein Abend bei Leana

„Du lebst auch eher nach dem Motto Weniger ist mehr, oder?“

Ein wenig enttäuscht sah Zetsu sich in der spartanisch eingerichteten Wohnung um, in die er so hatte kommen wollen, nur um nun zu erkennen, dass es nichts Interessantes zu entdecken gab.

Im Wohnzimmer befand sich lediglich ein Schrank und ein leer aussehendes Regal – das Interessante war wohl darin verschlossen. Ein mit unzähligen Macken versehener Tisch lud zum daran Verweilen ein.

Ansonsten gab es nur noch zwei Türen, die wie Zetsu aus seiner eigenen Wohnung wusste, ins Bad und zu einem Wandschrank führten. Im letzteren bewahrte Leana mit Sicherheit ihren Futon auf, genau wie er.

„Aber man kann es auch etwas übertreiben“, fuhr er fort.

Er hatte auf persönliche Dinge gehofft, nicht unbedingt frei herumliegende Kleidungsstücke, aber doch zumindest Familienbilder oder kleinere Accessoires oder sonstigen Nippes, den Menschen so gern sammelten.

Er selbst legte auch nicht viel Wert darauf, aber dennoch gab es in seiner Wohnung das ein oder andere, was ihn ausmachte. So lag auf dem Regal in seinem Wohnzimmer eine Zeitschrift, die zwar schon ein Jahr alt war, die er aber immer wieder gern durchblätterte. Daneben standen Bücher, die er als Kind gern gelesen und von denen er sich nicht hatte trennen wollen – auch wenn er mit seinem jetzigen Kenntnisstand zugeben musste, dass so manches Märchen doch einiges brutaler war als man als Kind dachte.

Doch bei Leana war davon absolut gar nichts zu sehen. Möglicherweise versteckte sie aber auch alles persönliche in ihren Schränken, solche Menschen gab es immerhin auch.

Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. „Wenn es dir nicht gefällt, kannst du auch wieder gehen.“

„So weit wollte ich eigentlich nicht gehen~ Wohnst du denn nicht mit deiner Schwester zusammen?“

Der Gedanke verfolgte ihn schon lange. Diese Wohnung war seiner Meinung nach zu klein für mehr als nur eine Person. Manchmal reichte es ihm schon, dass er sich seine mit Nanashi teilen musste. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es sein könnte, den Wohnraum mit einem echten Menschen zu teilen. Da fiel ihm ein: Wo war Isolde eigentlich?

„Nein, tue ich nicht“, erwiderte Leana. „Sie wohnt woanders.“

„Warum?“

Es erschien ihm unverständlich. Er lebte allein, weil es niemanden gab, mit dem er leben konnte. Seine Familie war immerhin tot und in das Wohnheim wollte er nicht. Es war schon schlimm genug, dass er sich überhaupt einem Komitee angeschlossen hatte, aber er würde sich niemals von diesen Leuten abhängig werden lassen. Auch wenn er in naher Zukunft nicht vorhatte, einem anderen Komitee beizutreten, so wollte er sich alle Möglichkeiten offenhalten – vielleicht würde es ihm in einigen Monaten ja besser gefallen, die Welt zu vernichten.

„Das geht dich nichts an“, antwortete sie knapp.

Zetsu seufzte leise, während er sich ungebeten auf den Boden, der von einem mausgrauen Teppich bedeckt war, setzte. „Du könntest ruhig ein wenig netter sein, immerhin wollte ich dir helfen und hab mich dabei verletzt.“

„Ich habe dich nicht darum gebeten“, knurrte sie.

Doch nach einem kurzen Moment besann sie sich anders: „Möchtest du etwas zu trinken?“

„Ja, bitte~“

Sie ging in die Küche und ließ ihn allein im Wohnzimmer zurück.

Von seiner neuen Position aus betrachtete Zetsu noch einmal den Raum, ohne die Hoffnung, sonderlich viel zu entdecken. Doch vom Boden aus erkannte er tatsächlich, dass eine der Türen des Regals ein wenig geöffnet war. Etwas schien hervorzustehen als ob es ihn locken wollte.

Er wusste, er sollte seine Neugier zügeln und das, was auch immer sich darin befand, ignorieren, doch das war leichter gedacht als getan. Vielleicht war das seine einzige Möglichkeit, jemals etwas über Leana zu erfahren, was über „Das geht dich nichts an“ hinausging.

Seine Neugier gewann schließlich die Oberhand. Er warf einen prüfenden Blick in Richtung der Küche, aus der er Leana leise murmeln hören konnte, während Gläser klirrend aneinanderschlugen.

Vermutlich sprach sie mit sich selbst und regte sich darüber auf, dass sie ihn überhaupt hereingelassen hatte. Immerhin würde sie also nicht auf ihn achten.

Er streckte sich zum Regal hinüber und zog an dem, was sich darin befand. Es war ein Bild, wie er sofort erkannte. Neugierig betrachtete er dieses, ohne sich wieder in seine normale Sitzhaltung zu begeben.

Neben Leana, die einen recht neutralen Eindruck machte, befanden sich auch zwei ältere Erwachsene, ein junger Mann und eine junge Frau darauf. Die einzig ihm bekannte Person wirkte allerdings ein wenig jünger als sie nun war. Er drehte das Bild um und betrachtete die Buchstaben eine Weile, während er seine Englischkenntnisse zusammenkramte.

Familie Vartanian, 2004... das war vor vier Jahren.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete er wieder das Bild selbst. Die junge Frau neben Leana sah ganz und gar nicht aus wie Isolde, nein, eigentlich sah keines der Familienmitglieder der Lehrerin auch nur ansatzweise ähnlich. Das konnte eigentlich nur eines bedeuten...

Isolde ist Leanas Shinjuu. Darum ist ihre Aura auch so seltsam. Aber warum tun die beiden das?

Dafür gab es – leider – viel weniger Antwortmöglichkeiten als ihm lieb war, besonders wenn er wieder daran dachte, wie Leana auf Shun Akitsuki reagierte.

Leana...

Er konnte es kaum glauben, aber so wie es aussah, arbeitete Leana für das Zerstörungskomitee.

Aber warum? Was erhoffte sie sich davon, alles zu zerstören, inklusive ihrer Familie?

Wobei... warum war sie überhaupt nach Japan gekommen?

Bestimmt nur wegen diesem Kampf.

Nein, nein, das durfte er sich erst gar nicht einreden! Bestimmt war sie aus einem anderen Grund nach Japan gekommen und ihre Reaktion auf Akitsuki ließ sich damit erklären, dass sie vom Zerstörungskomitee bedroht wurde, das war nicht selten.

Wie viele Shinkenträger waren von ihnen bereits zerstört worden?

Unzählige, wenn er es nur überschlug.

Und auch auf die Frage, warum sie sich keinem anderem Komitee anschloss, um sich zu schützen, so wie er es getan hatte, fand er eine einfache Antwort: Sie war zu unabhängig.

Sie wollte frei sein und nicht nach den Plänen eines anderen handeln müssen.

Da konnte er sie allzugut verstehen – er selbst würde das auch nicht tun, wenn er nicht müsste. Aber ihm blieben einfach nicht viele Alternativen, wenn er überleben wollte.

Aber Leana schon. Er würde sie einfach beschützen, nichts leichter als das.

Als er hörte, dass sie in der Küche fertig wurde, steckte er das Bild hastig wieder zurück und setzte sich wieder aufrecht hin. Er lächelte als ob nichts gewesen wäre.

Selbst Leanas neutrale Miene änderte nichts an seinem Lächeln. Sie reichte ihm das Glas, das er ihr dankend mit beiden Händen abnahm. Dabei ruhten seine fast schon zu lange auf ihrer Hand, bis er seine schließlich zurücknahm und an dem Glas nippte.

Sie zeigte keinerlei Anzeichen, ob ihr das unangenehm war oder ob sie es überhaupt bemerkt hatte. Wortlos setzte sie sich neben ihn.

Erst als er das Glas wieder abstellte, sagte sie etwas: „Ich hab echt keine Ahnung, was du eigentlich hier willst. Du hast doch gesehen, dass es mir gut geht.“

„Aber ich dachte, du könntest vielleicht ein wenig Gesellschaft gebrauchen.“

„Ich lege keinen Wert darauf“, erwiderte sie kühl.

Sie erinnerte ihn so sehr an sich selbst, dass es fast schon lächerlich war. Er lächelte nach wie vor. „Solltest du aber. Gesellschaft ist viel schöner als immer allein zu sein.“

Plötzlich erwiderte sie seinen Blick mit einer Intensität, bei der ihm ein Schauer den Rücken hinunterlief. Er hatte bislang nicht einmal gewusst, dass braune Augen so kalt sein konnten, sonst brachte er sie immer mit Wärme in Verbindung.

„Hör endlich auf, mir was vorzumachen“, verlangte sie. „Ich weiß, dass du Setoki deine Freundschaft vorgegaukelt hast, um ihn ins Erhaltungskomitee zu bringen – das werde ich mit mir nicht machen lassen.“

Sie verzichtete darauf, so zu tun, als ob sie keine Ahnung von dem hatte, was er machte, was Zetsu recht gelegen kam. Immerhin musste er ihr so nicht großartig erklären, dass er inzwischen erkannt hatte, dass sie ein Shinken trug und sie ihm nichts mehr vormachen musste.

„Du weißt also von den Komitees?“

Sie stutzte für einen Augenblick, doch sie fing sich sofort wieder. „J-ja, schon...“

Er ahnte nicht mal, dass sich in diesem Moment ein neuer Plan in ihrem Inneren entfaltete, aber gerade wäre ihm das auch egal gewesen. „Aber ich werde mich keinem anschließen!“

„Das dachte ich mir schon“, sagte er bedächtig nickend. „Das wollte ich aber auch nicht. Du bist nicht Setoki.“

Sie schwieg. Die entstehende Stille lastete auf Zetsus Ohren, weswegen er nach einem Gesprächsthema suchte. Am Liebsten hätte er sie nach ihrer Familie gefragt, nach dem Grund ihres Hierseins, wenn sie sich ohnehin keiner Seite anschließen wollte, doch er wagte es nicht. Inzwischen kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass sie ohnehin nicht antworten und ihn vielleicht sogar eher rauswerfen würde – und das wollte er nun wirklich nicht.

Doch während er noch über ein Thema nachdachte, schien sie bereits eines gefunden zu haben: „Warum hast du dich eigentlich dem Erhaltungskomitee angeschlossen?“

Ihm war nicht danach, seine ganze Lebensgeschichte auszubreiten, die ihn zumindest zu diesem Zeitpunkt auf diese Seite gebracht hatte, also antwortete er mit seiner Kurzfassung: „Mir war danach.“

„Heißt das, du würdest die Seiten wechseln, wenn deine Stimmung sich ändert?“, hakte sie nach.

„Möglich.“

Er bemerkte den Schimmer des Triumphs in ihren Augen nicht, ihre Stimme ließ jedenfalls nicht darauf schließen. „Ich verstehe.“

Damit breitete sich wieder Schweigen im Raum aus.

Leanas Blick war auf einen unbestimmten Punkt an der Wand gerichtet, während Zetsu sie betrachtete, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Er dachte wieder über ein Thema nach, über das sie reden konnten, doch alsbald bemerkte er, dass es unnötig war.

Es gab viel zu besprechen, aber nichts, worauf sie antworten würde und nicht, was er zu erzählen hatte, würde sie interessieren, da war er sich sicher. Aber es erschien ihm auch nicht mehr nötig.

Das Schweigen kam ihm wohltuend vor, besonders in ihrer Gegenwart und sie genoss es offensichtlich, nichts hören zu müssen. Also warum etwas an dieser perfekten Situation ändern?

Solange er bei ihr sein konnte war doch alles in Ordnung.

So verbrachten sie den Rest des gemeinsamen Abends schweigend. Er ahnte nicht einmal, dass er ihr damit unwissentlich zu einem neuen Plan verholfen hatte, der ihr um einiges besser gefiel, als der ursprüngliche Plan von Nathanael.

Senpai

Der köstliche Geruch, der trotz der sorgfältigen Verpackung aus der Tüte stieg, regte Nozomus Appetit an und ließ seinen Magen knurren, obwohl er erst vor kurzem gefrühstückt hatte. Am Liebsten hätte er Nozomi dazu überredet, dass sie sich gemeinsam in den Park setzten und sich das Essen teilten, statt zu Satsuki zu gehen, um ihr das Gekochte zu übergeben. Er verstand ohnehin nicht, warum sie zu ihr gingen, immerhin bezeichnete sie sich selbst als ihre Feindin. Aber Nozomi bestand darauf, ihrer Freundin etwas zu essen zu bringen und wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie ziemlich furchteinflößend werden. Selbst Salles hatte das Anliegen nicht mehr ablehnen können.

Allerdings wirkte der Gelehrte immer noch müde und abgespannt, was wohl auch ein Grund dafür war, dass er sich auf keine Diskussion einlassen wollte.

Er braucht wirklich mal Urlaub..., überlegte Nozomu.

Rehme antwortete nicht auf seinen Gedanken, was ihn im Moment auch nicht weiter verwunderte. Seit dem Morgen schien sein Shinjuu es vorzuziehen, zu schweigen, möglicherweise fürchtete sie, dass er ihr zu viele Fragen stellen würde, denen sie allen ausweichen müsste. So stellte sie sich lieber taub oder schlief möglicherweise, so ganz sicher war er sich nicht.

Als Yumiko ihn anstieß, schreckte Nozomu aus seinen Gedanken. Er hatte vollkommen verdrängt, dass sie ebenfalls dabei war, auch wenn er nicht wusste, weswegen. Wäre es Suzumes Wunsch gewesen, mit ihnen zu gehen, hätte er das verstanden, aber wenn er sich recht erinnerte, waren Yumiko und Satsuki sich noch nie wirklich begegnet, sie konnte die Schülersprecherin bislang nur aus Nozomis Erzählungen kennen – aber das war möglicherweise der Antrieb gewesen.

Dabei war sich Nozomu noch nicht einmal sicher, dass Satsuki sie überhaupt hereinlassen würde. Wenn sie wirklich auf ihre Feindesrolle bestand, würde sie alle an der Tür abweisen und auffordern, nie wieder bei ihr aufzutauchen.

Allerdings hoffte er das nicht, denn er war sich ziemlich sicher, dass Nozomi im Anschluss ziemlich viel Aufhebens darum machen würde und er derjenige wäre, der sie dann trösten müsste.

Allein bei der Vorstellung daran rollte er mit den Augen, riss sich aber sofort zusammen, als er Yumikos Stimmte hörte: „Nozomu-kun, alles in Ordnung?“

Langsam begann er, diese Frage zu hassen. Besonders da er immer dasselbe antwortete und bereits mit dem Gedanken spielte, diese Worte auf Tonband aufzunehmen, damit er sie immer wieder abspielen konnte. „Ja, natürlich.“

Sie lächelte freudig, als sie das hörte. Es schien ihm, dass sie nur deswegen immer wieder fragte, genau wie Nozomi, die ebenfalls lächelte, als sie das hörte.

„Dann mach aber nicht so ein Gesicht, Nozomu-chan“, wies sie ihren Kindheitsfreund zurecht. „Lächle doch mal.“

„Das fällt mir schwer“, erwiderte er, ehe er hinter sich zeigte. „Warum sind die beiden denn dabei?“

Misato, die hinter ihm lief, verpasste ihm einen leichten Tritt gegen das Bein. „Das geht auch netter, Setoki-kun! Wir wollen immerhin nur Ikaruga-senpai besuchen.“

„Aber warum?“, fragte er gereizt.

Shinsuke zuckte mit den Schultern. „Nozomin hat deswegen Misato angerufen und die hat mich angerufen und schon waren wir unterwegs.“

Nozomu warf ihm einen genervten Blick zu, was von dem Jungen aber nur mit seinem typischen Grinsen erwidert wurde. Offenbar prallte alles Negative einfach daran ab.

Gerade als Nozomu sich fragte, ob sie jemals ankommen würden, führte Nozomi sie zu einem Hochhaus, das lächerlich viele Namensschilder aufwies. Einige der dargestellten Kanji kannte Nozomu nicht einmal – wie sollte man da jemals jemanden finden?

Aber im Falle von Satsuki war es recht einfach. Ihr Name schien in roten Lettern hervorzustechen und sprang ihm somit direkt ins Auge.

Es dauerte nach Nozomis Läuten nicht lange, bis der Türsummer erklang und Yumiko die Tür vergnügt aufdrückte.

Nozomu ließ alle anderen zuerst rein und spielte für einen Moment mit dem Gedanken, umzudrehen und den Tag irgendwo anders zu verbringen. Die fröhlichen Stimmen von Misato und Shinsuke, die sich plaudernd auf den Weg nach oben machten, ließen ihn eher an einen Schulausflug denn einen Krankenbesuch denken und danach war ihm nun wirklich nicht.

Aber noch bevor er den Gedanken in die Tat umsetzen konnte, drehte Yumiko sich wieder um. Sie lächelte. „Kommst du, Nozomu-chan? Es wird bestimmt ein lustiger Tag~“

Ja, das befürchte ich auch.

Ihrem entwaffnenden Lächeln hatte er allerdings nichts entgegenzusetzen, weswegen er ihr hinein folgte. Als die Tür hinter ihm wieder ins Schloss fiel, bekam er zwar das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein, aber es störte ihn plötzlich nicht mehr sonderlich.

Satsuki empfing die Gruppe an der Wohnungstür, nicht sonderlich enthusiastisch, wie Nozomu bemerkte, aber dennoch mit einem Lächeln. Als sie hörte, dass man sich Sorgen um sie gemacht hätte, lachte sie leise. „Oh, wirklich? Das wäre doch nicht nötig gewesen.“

Mit einer einfachen Handbewegung bat sie ihre ungeladenen Gäste herein, die sich sogleich aufmerksam umzusehen begannen. Nozomu hatte bereits vor der Tür solch einen Gedanken gehabt, doch im Inneren fiel es ihm noch einmal genauer auf: Es war eine recht teure Wohngegend.

Neben einem geräumigen Wohnzimmer gab es eine gut ausgestattete Küche, in die sich Nozomi sofort zurückzog, so wie ein Bad, dessen Tür offen und somit deutlich einsehbar ebenfalls teuer bestückt war. Eine weitere Tür musste ins Schlafzimmer führen – zumindest wenn man dem Balkon glaubte, der das Wohnzimmer ebenfalls mit dem anderen Raum verband.

„Woah, Senpai!“, entfuhr es dem beeindruckten Shinsuke. „Ich wusste ja gar nicht, dass du reich bist! Hätte ich das gewusst, wäre ich früher vorbeigekommen.“

Satsuki schmunzelte. „Ich weiß schon, warum ich das nicht jedem erzähle.“

Er schien den Seitenhieb nicht einmal zu bemerken, stattdessen sah er sich begeistert weiter um als erwartete er, noch mehr Reichtümer zu finden.

Nozomus Blick dagegen galt den Bildern an der Wand. Eines davon zeigte ein junges Ehepaar bei ihrer Hochzeit, ein anderes das Paar mit einem Baby, ein drittes stellte die junge Satsuki gemeinsam mit dem Paar dar – es mussten ihre Eltern sein. An einem Bild blieb Nozomus Blick besonders lange hängen. Darauf waren Satsuki, ihre Eltern und auch Zetsu zu sehen. Zumindest glaubte Nozomu, dass der abgebildete silberhaarige Junge sein bester Freund war. Es würde Sinn machen, immerhin schienen Satsuki und Zetsu eine gemeinsame Vergangenheit zu teilen. All der Hass und die Verachtung, die sie inzwischen füreinander aufbrachten, musste einen Grund haben, der sich irgendwo darin verbarg. Nozomu hätte zu gern mehr darüber erfahren.

„Was wollt ihr eigentlich alle hier?“

Satsukis Frage riss Nozomu unsanft wieder in die Wirklichkeit zurück. Nicht sonderlich freundlich blickte sie von einem zum anderen, wie er es erwartet hatte. Er wollte Nozomi antworten lassen, doch diese war immer noch in der Küche. Sie hatte diese mit solch einer Selbstverständlichkeit betreten, dass Nozomu überzeugt war, dass sie schon öfter hier gewesen war. Sie und Satsuki mussten wirklich gute Freundinnen gewesen sein.

Die nicht enden wollende Stille verunsicherte Nozomu ein wenig. Als er die anderen ansah, merkte er, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren – offenbar erwarteten alle, dass er antworten würde.

Er seufzte lautlos. „Nozomin wollte unbedingt, dass wir dir etwas zu essen bringen. Nachdem du vorgestern...“

Er verstumme wieder, als ihm einfiel, dass Shinsuke und Misato keine Ahnung von der ganzen Sache hatten und er deswegen besser nicht zu viel sagen sollte.

Etwas in Satsukis Mimik veränderte sich, als er ihr antwortete. Ihre Gesichtszüge wurden augenblicklich weicher, Rührung trat in ihre Augen. „Awww, ihr seid so lieb zu mir~“

Nozomu stellte sich vor, dass er sich in ihrer Situation denken würde, dass dies nur ein Trick war, um sie wieder zum Erhaltungskomitee zu locken, aber in ihrem Gesicht war kein bisschen Argwohn zu sehen.

Endlich ging Satsukis Blick zu Yumiko, die sofort zu strahlen begann, als sich die Aufmerksamkeit ihr zuwandte. „Und wer bist du?“

Die Blonde nahm direkt Satsukis Hand und begann diese enthusiastisch zu schütteln. „Ich bin Yumiko Arakawa~ Eine Freundin von Nozomu und Nozomi, ai~ Nozomi-chan hat mir so viel von dir erzählt~“

Die Begeisterung über diese Begegnung schien der Schulsprecherin zu gefallen, sie lächelte erfreut. „Oh, wie schön~ Dann muss ich mich wohl nicht vorstellen.“

Nozomu wurde das Gefühl nicht los, dass Satsuki ihren Argwohn hinter einer Maske von Diplomatie und Freundlichkeit versteckte – er konnte und wollte einfach nicht glauben, dass es ihr tatsächlich nichts ausmachte, dass nicht nur ihre Feinde, sondern auch eine gänzlich fremde Person in ihrer Wohnung auftauchte. Dass Nozomi ihre Freunde Misato und Shinsuke eingeladen hatte, war mit Sicherheit ein Plan gewesen, um Satsuki davon abzuhalten, sie gleich wieder hinauszuwerfen – immerhin bedeutete die Anwesenheit der beiden Außenstehenden doch, dass sie in friedlicher Absicht kamen. Als so clever hatte Nozomu seine Kindheitsfreundin gar nicht eingeschätzt.

Auf Satsukis Bitte setzten sich ihre Besucher schließlich auf den Boden, vermutlich damit sie diese besser im Auge behalten konnte und nicht dauernd durcheinanderliefen.

„Ich finde es ziemlich nett, dass ihr alle vorbeigekommen seid – aber nächstes Mal solltet ihr vielleicht vorher anrufen.“

Erst als Satsuki wieder etwas sagte, fiel ihm auf, dass er zwischen ihr und Yumiko saß, was das blonde Mädchen sehr zu freuen schien, auch wenn er nicht verstand, weswegen.

„Warum?“, fragte Shinsuke ratlos. „Aufgeräumt ist hier doch...“

Die Schulsprecherin seufzte leise. „Ich erwarte heute noch jemand anderen.“

„Einen Freund?“, hakte Misato aufgeregt nach.

Satsuki und Nozomu warfen ihr einen gleichermaßen genervten Blick zu. Eigentlich hatte er fragen wollen, ob sie möglicherweise noch auf Zetsu wartete, aber da Misato ihm zuvorgekommen war und Satsuki nicht sonderlich positiv auf diese Frage reagierte, zog er es vor, zu schweigen. Wenn sie lange genug blieben, würden sie es ohnehin noch erfahren.

„Was ist denn vorgestern genau passiert?“, fragte Misato weiter, da Satsuki auf ihre vorherige Frage nicht einging.

Nozomu spürte bereits, wie er in kalten Schweiß ausbrach, obwohl nicht er es war, der sich die Lüge ausdenken musste. Satsuki dagegen blieb vollkommen ruhig, sie lächelte sogar ein wenig. „Das Kendo-Turnier und die Hitze haben mich ziemlich ausgelaugt, da wurde mir schwarz vor Augen und ich bin für kurze Zeit in Ohnmacht gefallen, mehr nicht.“

Shinsuke seufzte theatralisch. „Wäre ich dagewesen, Senpai, hätte ich Erste Hilfe bei dir durchgeführt.“

Satsuki rollte mit den Augen. „Nozomu-kun war ja da, da war weitere Hilfe nicht notwendig.“

Die Augen aller richteten sich sofort auf den Erwähnten, der die Blicke nur kühl erwiderte. Hätte er Verwirrung gezeigt, wäre Satsukis Lüge aufgeflogen und das wollte er nun wirklich nicht.

Ein Klingeln an der Tür unterbrach die Unterhaltung. Die Schulsprecherin stand auf und ging an die Tür, offenbar war sie überzeugt, dass es sich diesmal um ihren angekündigten Besuch handelte.

Kaum war sie aus dem Raum, beugte Shinsuke sich zu Nozomu und verpasste ihm einen leichten Schlag gegen die Brust. „He, Setoki~ Hast du bei Senpai Mund-zu-Mund-Beatmung duchgeführt?“

Er sah den Fragenden nur an, ohne die Absicht, ihm auf diese unsinnige Frage zu antworten. Es dauerte nicht lange und er zog sich eingeschnappt wieder zurück. Yumiko kicherte leise.

Die aufgeregten Stimmen,die aus dem Flur kamen, verhießen Nozomu nichts Gutes, besonders da er diese kannte, er hatte sie zwei Tage zuvor erst gehört. Es waren die Shinkenträger des Errettungskomitees.

Plaudernd kamen sie ins Wohnzimmer – und hielten sofort inne, als sie die Anwesenden erblickten.

Eine unangenehm frostige Atmosphäre breitete sich im Raum aus, Nozomu hätte kurzzeitig schwören können, dass die Temperatur unter Null gefallen war.

„Kommen wir ungelegen?“, fragte Yuuto, um das Schweigen zu durchbrechen.

Sein Blick huschte zu Misato und Shinsuke, die er als unbeteiligt einstufte, weswegen er sich entschied, so zu tun als gäbe es keine Probleme zwischen ihnen.

Kouin nahm Satsuki die Antwort bereits vorweg, wie selbstverständlich setzte er sich neben Yumiko. „Wir kommen eher wie gerufen. Wir können Ikaruga-san in ihrem Zustand doch nicht allein mit diesen bezaubernden Mädchen lassen.“

Dabei zwinkerte er Yumiko und Misato zu, die beide nur leise kicherten. Yuuto und Kyoko rollten gleichermaßen mit den Augen.

„Fang nicht schon wieder an“, wies die Braunhaarige ihren Freund zurecht und verpasste ihm einen schmerzhaft aussehenden Schlag auf den Kopf.

Leise jammernd ging Kouin zu Boden, wo er von Kyoko mit einem Tritt zur Seite gerollt wurde, damit sie sich neben Yumiko setzen konnte, der sie sich gleich lächelnd vorstellte: „Kyoko Misaki~ Dieser Idiot hier ist Kouin Midori und der Trauerkloß in der Tür ist Yuuto Takamine~“

Während Yumiko die Vorstellungsrunde gut gelaunt erwiderte, blickte Nozomu zu Yuuto hinüber, der immer noch in der Tür stand und mit gerunzelter Stirn alle Anwesenden betrachtete, bis Satsuki ihm auf die Schulter tippte. „Setz dich endlich, Yuuto-kun. Meine Wohnung ist kein Stehcafé.“

Sie lachte leise, ehe sie in der Küche verschwand und ihre Gäste sich selbst überließ.

Nozomu konnte sehen, wie Yuuto lautlos seufzte und sich dann neben ihm niederließ. Sie nickten sich zur Begrüßung zu. Gerade als Nozomu wegsehen wollte, um sich auf das triviale Geplauder von Yumiko, Kyoko und Misato zu konzentrieren, konnte er Yuuto leise flüstern hören: „Ist alles in Ordnung? Das vorgestern sah ziemlich schlimm aus.“

Nozomus Nackenhaare stellten sich auf, als er Yuutos Atem auf seinem Hals spüren konnte. Damit die anderen nicht mithörten, war er nähergekommen – zu nahe, fand Nozomu, der unwillkürlich ein Stück wegrutschte.

„Alles bestens, keine Sorge.“

Sein Körper zeigte tatsächlich keinerlei Anzeichen dafür, dass er vor zwei Tagen einen schweren Kampf ausgefochten hatte, er fühlte sich erholt und frisch – nur etwas in seinem Inneren fühlte sich... deprimiert, betrübt, dass er nicht mitkämpfen durfte. Er war davon überzeugt, dass es sich dabei um dieses fremde Etwas handelte, das ihn zu überzeugen versucht hatte, in den Kampf zu ziehen. Doch solange er nicht daran dachte und es ignorierte, ging es ihm äußerst gut.

Yuuto nickte sichtlich zufrieden und konzentrierte sich nun selbst auf das Gespräch zwischen den drei Mädchen, in das sich inzwischen auch Shinsuke und Kouin eingemischt hatten. Nozomu schmunzelte leicht, jedes Mal, wenn Kyoko dem vorlauten Kouin wieder einen Schlag auf den Kopf versetzte, wofür sie mitunter sogar einen Papierfächer nutzte, den sie immer wieder aus dem Nichts zu ziehen schien.

Die angespannte, frostige Atmosphäre war verschwunden, nichts erinnerte mehr daran, dass hier zwei Fronten aufeinandertrafen, die eigentlich gegeneinander kämpften. Stattdessen wirkte alles mehr wie das Treffen einer Clique oder einer Klasse auf einem Schulausflug – und seltsamerweise störte es Nozomu plötzlich nicht mehr so sehr wie der Gedanke zuvor daran.
 

Es wurde bereits dunkel, als wieder Stille in Satsukis Wohnung eintrat. Die fröhlich plaudernden Stimmen wurden langsam leiser, als die Gruppe sich im Gang entfernte.

Satsuki seufzte erleichtert und lehnte sich gegen die Wand. „Owww, ich brauche einen Kaffee...“

„Also braucht selbst Senpai einmal Ruhe“, bemerkte Nozomu monoton.

Sie zuckte zusammen und sah den am Tisch Sitzenden verdutzt an. „Nozomu-kun, warum bist du nicht mit den anderen gegangen?“

Er hob die Schultern. „Yumiko sagte, ich soll sitzenbleiben, also habe ich das getan.“

„Hörst du immer auf das, was Mädchen dir sagen?“, fragte sie skeptisch.

Eigentlich nicht, dachte er. Aber in diesem Moment war es ihm äußerst gelegen gekommen, dass Yumiko es geschafft hatte, alle außer ihn hinauszuscheuchen.

Er nickte zustimmend, worauf Satsuki lächelte. „Damit kommst du bestimmt weit. Gehorsame Männer findet man heute selten.“

Statt etwas darauf zu erwidern, räusperte er sich. „Senpai, darf ich dich etwas fragen?“

Neugierig neigte sie ein wenig den Kopf. Sie schien inzwischen vollkommen vergessen zu haben, dass sie eigentlich Feinde waren. „Worum geht es?“

Er sah noch einmal zu dem Bild, das sie gemeinsam mit ihren Eltern und Zetsu zeigte, ehe er sie fragte: „Du kennst Zetsu schon ziemlich lange, oder?“

Sie nickte betrübt. „In letzter Zeit sehe ich ihn aber eher selten. Seit Leana an der Schule ist, ist er meist damit beschäftigt, hinter ihr her zu sein.“

Ihr Lachen, das diesen Worten folgte wirkte so gekünstelt, dass Nozomu überzeugt war, dass sie ihm das nur vorspielte. Störte es sie, dass Zetsu Interesse an einem Mädchen zeigte? Oder war es etwas anderes?

Augenblicklich wurde sie wieder ernst. „Ich mache mir manchmal ein wenig Sorgen um ihn. Er neigt dazu, leicht in Schwierigkeiten zu geraten, weil er sich selbst überschätzt. Kannst du ihn für mich vielleicht im Auge behalten?“

Offenbar hasste sie ihn doch nicht so sehr wie sie immer vorgab, wenn sie sich trafen. Er nickte, um zu zeigen, dass er auf Zetsu aufpassen würde, auch wenn diesem das gar nicht gefallen würde – zum Glück wusste er nichts hiervon.

„Warum seid ihr jetzt keine Freunde mehr?“, fragte Nozomu neugierig.

Sie runzelte ihre Stirn als ob sie sich an etwas Schlimmes erinnern würde, doch statt zu antworten, schüttelte sie mit dem Kopf. „Keine Ahnung, das ist alles ziemlich lange her.“

Er war sich sicher, dass sie ihn anlog, aber solange sie ihm nichts erzählen wollte, würde er sie auch nicht dazu drängen – er würde es einfach bei Zetsu versuchen.

Satsuki lächelte plötzlich. „Genug mit den trüben Gedanken. Nozomi-chans Essen ist wunderbar, oder? Das hat mir richtig gefehlt~“

Er konnte nicht anders als ihr Lächeln zu erwidern. „Ja, stimmt. Sie ist eine richtig gute Köchin geworden. Das hätte ich früher nicht gedacht.“

Aus dem einstmals tollpatschigen kleinen Mädchen war inzwischen eine wahre Meisterin in der Küche geworden. Wie sie das geschafft hatte, war ihm unerklärlich, aber immerhin bekam er alle Vorzüge davon zu spüren.

„Es heißt doch immer, Liebe geht durch den Magen, oder?“, fragte sie grinsend.

Fragend hob Nozomu eine Augenbraue. „Was?“

„Du hast mich genau verstanden~“

Sie blinzelte ihm vielsagend zu, was er nur mit einem Stirnrunzeln erwidern konnte.

„Kannst du mir vielleicht beim Aufräumen helfen, wenn du schon da bist?“

Wortlos nickend stand er auf und half ihr dabei, den Tisch abzuräumen.

„Aber dass das nicht zur Gewohnheit wird, ja?“, sagte sie plötzlich. „Beim nächsten Mal musst du verhindern, dass Nozomi-chan einfach vorbeikommt – immerhin sind wir Feinde.“

Das fällt ihr aber früh ein.

„Ich werde mich bemühen“, versprach er, obwohl er sich sicher war, dass er bei Nozomi im Vorfeld verloren hätte, falls er sie tatsächlich von so etwas abhalten wollte.

„Fein~“

Sie lächelte entspannt, was Nozomus Brust mit einem warmen Gefühl erfüllte. Er würde dafür kämpfen, dieses Lächeln öfter zu sehen – am besten so oft wie möglich.

Freunde?

Er versuchte wirklich, das Klingeln zu ignorieren, nachdem er auf dem Display gesehen hatte, von wem der Anruf kam. Aber sobald er glaubte, dass es endlich vorbei war, begann es nur von vorne, um ihn zu quälen, davon war er inzwischen überzeugt. Nur schwer konnte er der Versuchung widerstehen, sich das Telefon zu nehmen und es einfach gegen die Wand zu werfen, wo es hoffentlich in unzählige Teile zerspringen würde. Allein der Gedanke an das Geld, das er für dieses Handy ausgegeben hatte, hielt ihn davon ab.

Es auszuschalten war auch keine Option. Sein Anrufer würde merken, dass er ihn abwimmeln wollte und außerdem bestand die Möglichkeit, dass jemand anderes, jemand Wichtiges, anrufen könnte.

Also war ihm die Wahl bereits abgenommen worden.

Er atmete tief durch, räusperte sich und wartete einige Sekunden ab, als es erneut zu klingeln begann. Sein Anrufer sollte glauben, dass er lange gebraucht hatte, um das Klingeln wahrnehmen zu können, ungeachtet aller vorhergehenden Anrufe.

Schließlich klappte er sein Handy auf und hielt es sich ans Ohr. „Was gibt es?“

Er bemühte sich, nicht genervt oder ungeduldig zu klingen, konnte aber nicht verhindern, dass seine Standardfloskel über seine Lippen kam – besonders da seine einzige andere Begrüßung darin bestand, zu fragen, woher der Anrufer seine Nummer hätte.

„Ah, endlich“, hörte er eine vertraute Stimme, die durch die Leitung leicht blechern bei ihm ankam. „Ich dachte schon, Jatzieta hat mir die falsche Nummer gegeben.“

Jatzieta, das werde ich mir merken.

„Was gibt es?“, wiederholte er mit wachsender Ungeduld, die sich auch in seiner Stimme spiegelte.

„Störe ich vielleicht?“

Hör auf so blöde Fragen zu stellen!

Am Liebsten hätte er seinen Anrufer das entgegengeschrien, doch er atmete noch einmal tief durch. „Nein, alles bestens. Ich habe letzte Nacht nur schlecht geschlafen. Also, was willst du?“

„Ich wollte fragen, ob du Lust hast, etwas zu unternehmen.“

Nein, hatte er nicht, aber darum ging es wohl eher nicht. Würde er ablehnen, würde er eine weitere Standpauke von Salles bekommen und die wollte er sich sparen. Selbst wenn das bedeutete, dass er den Tag mit Nozomu verbringen müsste – immerhin glaubte der immer noch, dass sie miteinander befreundet wären.

„Sicher, ich hab Zeit“, antwortete er schließlich, bemüht, den Widerwillen zu unterdrücken.

„Oh, gut, dann treffen wir uns im Park? So... in einer Stunde?“

Er zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn der andere es nicht sehen konnte. „Klar. Bis dann.“

Mit einem Seufzen legte er wieder auf.

Wie nervig...
 

Trotz seiner abweisenden Gedanken fand sich Zetsu eine Stunde später im Park ein. Ein genauer Treffpunkt war nicht nötig gewesen.

Ein Kiosk an der Uferpromenade war ein für alle Jugendliche in der Umgebung populärer Treffpunkt, weswegen es für sie beide unausgesprochen klar gewesen war, dass sie sich ebenfalls dort treffen würde – zumindest nach Zetsus Ansicht.

Er bemühte sich, nicht zu kalt und abweisend auszusehen, aber auch nicht einladend genug, um die kichernden Mädchen an einem der Tische dazu zu bringen, aufzustehen und zu ihm zu kommen. Dass sie stets in seine Richtung sahen, dann die Köpfe zusammensteckten und aufgeregt zu tuscheln begannen, war ihm Beweis genug, dass sie es eigentlich wollten.

Vor der Begegnung mit Leana hätte er sich möglicherweise einen Spaß daraus gemacht, sich zu ihnen zu setzen und ihre Hoffnungen zu schüren, aber nun interessierte ihn das nicht mehr so sehr.

Was wohl Leana gerade macht?

Seit dem vorletzten Abend hatte er sie nicht mehr gesehen. Mit Sicherheit ging es ihr gut, aber er hätte sich dennoch lieber selbst noch einmal davon überzeugt.

Nozomu unterbrach seine Gedanken. „He, Zetsu~“

Der Silberhaarige blickte ihn an und lächelte noch einmal wärmer, in der Hoffnung, dass sein Freund nichts bemerken würde. „He, Nozomu. Hast du dich einsam gefühlt?“

Der Braunhaarige schnaubte spöttisch. „Wohl kaum. Aber dauernd von Mädchen umringt zu sein, kann einem ziemlich auf die Nerven gehen.“

„Oh, da sagst du etwas Wahres.“

Zetsus Mundwinkel hoben sich. Vielleicht würde dieser Nachmittag doch nicht so schlimm werden, wie er bislang befürchtet hatte. „Lass uns lieber ein wenig herumlaufen. Die Mädchen da drüben scheinen mich mit ihren Augen auffressen zu wollen.“

Er lachte leise und lief los, Nozomu folgte ihm schmunzelnd.

Gemeinsam gingen sie an der Uferpromenade entlang. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf dem Wasser wider und blendete den Braunhaarigen, als er versuchte, hinüberzusehen. Mütter gingen mit ihren Kindern spazieren, ermahnten sie, nicht zu nah ans Wasser zu gehen; den Kontrast dazu bildeten Schülerpaare, die Arm in Arm dem Weg folgten, die Mädchen mit verträumten Gesichtern, die Jungen mit eher genervten.

„Und dir war wirklich nur langweilig?“, fragte Zetsu unwillkürlich.

Er glaubte, Nozomu zusammenzucken zu sehen, doch das ging so schnell vonstatten, dass er glaubte, sich geirrt zu haben.

„Ja. Die Mädchen wollten heute mal wieder einkaufen gehen.“

„Sie scheinen sich ziemlich gut zu verstehen, was?

Nozomu zuckte zustimmend. „Ja. Fast schon zu gut. Aber vielleicht tun sie auch nur so.“

„Das wäre auch möglich.“

Zetsu hob die Schultern.

„Was hast du gestern getan?“, fragte Nozomu.

Der Silberhaarige neigte den Kopf. „Ich habe... gearbeitet. Heute ist seit langer Zeit mal wieder mein freier Tag.“

„Ah, tut mir Leid, wenn ich den gestört habe.“

„Schon gut.“

Er winkte hastig ab. „Was hast du denn gestern getan?“

Nozomu schien erstaunlich erfreut, dass er das gefragt wurde. „Wir waren bei Ikaruga-senpai.“

Zetsus Körper versteifte sich automatisch, als er Satsukis Namen hörte.

„Und? Wie war es?“, fragte er widerwillig.

„Sehr lustig. Yuuto, Kouin und Kyoko waren auch da.“

Zetsu runzelte seine Stirn, als er sich daran zu erinnern versuchte, wer die beiden anderen waren. Nach kurzem Nachdenken kamen ihm tatsächlich die beiden vom Turnier wieder in den Sinn. „Worüber habt ihr euch unterhalten?“

„Nicht über die Komitees, falls du das denkst. Nein, wir haben über ziemlich viele verschiedene Dinge gesprochen. Die drei sind ziemlich unterhaltsam, wenn man darüber nachdenkt.“

Zetsu konnte sich nicht daran erinnern, Yuuto während ihrer gemeinsamen Arbeitszeit als amüsant empfunden zu haben. Andererseits aber waren die langweiligen Stunden mit ihm auch um einiges schneller vergangen. Möglicherweise war er also wirklich gar nicht so schlimm.

„Wolltest du mir das erzählen?“

Nozomu nickte. „Ja... und ich wollte dich etwas fragen.“

Ein schlechtes Gefühl überkam Zetsu, als er das hörte. Ich werde nicht mögen, was er sagt...

Der Braunhaarige wartete keine Antwort ab, sondern sprach direkt weiter: „Als ich bei Senpai war, sah ich ein Bild, auf dem du mit ihr und ihren Eltern zu sehen warst.“

Das hat sie immer noch?

Zetsus Mundwinkel zuckten, als er an die Tage zurückdachte, die er gemeinsam mit Satsuki und deren Eltern verbracht hatte.

„Ihr wart früher Freunde, hat sie mir gesagt. Aber warum ist eure Freundschaft zu Ende gegangen?“

Zetsu blieb augenblicklich stehen, als er diese Frage hörte. Er hatte damit gerechnet, aber dennoch – oder gerade deswegen – war er wütend darüber. „Was geht dich das an?“

Er bemühte sich nicht länger, freundlich zu sein, seine Augen funkelten kühl. Nozomu verschränkte die Arme vor der Brust als ob er versuchen würde, damit die Kälte abzuwehren, die von seinem Gegenüber ausgestrahlt wurde. „Eigentlich geht es mich gar nichts an. Aber es interessiert mich. Wenn man es so betrachtet, weiß ich eigentlich gar nichts über dich, du aber umso mehr über mich.“

Zetsu runzelte seine Stirn. „Ich habe dich nie darum gebeten, mir das alles zu erzählen!“

Beim Klang seiner scharfen Stimme zuckte Nozomu wie unter Peitschenhieben zusammen, doch keinerlei Furcht zeigte sich in seinem Gesicht. Er wollte das durchziehen. „Wir sind Freunde, da tut man das doch.“

Am Liebsten hätte Zetsu ihm entgegengeschleudert, dass sie keine Freunde waren, dass er das alles nur auf Anweisung von Salles tat, doch stattdessen presste er die Lippen aufeinander.

„Ich werde es dir dennoch nicht erzählen“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das ist nicht deine Sache.“

Er glaubte zu sehen, wie die Enttäuschung Nozomu übermannte. „Oh, in Ordnung. Wollen wir... dann weiter?“

Zetsu schüttelte rasch mit dem Kopf, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. „Ich muss los, einkaufen und so 'nen Kram und Nanashi bringt mich um, wenn ich nachher nicht aufräume.“

Bevor Nozomu noch etwas sagen oder sich verabschieden konnte, hastete Zetsu eilig los.

Ich habe doch gleich gewusst, dass das ein schlimmes Treffen werden würde.

So schnell wie er davoneilte, konnte er Nozomus enttäuschtes Gesicht nicht mehr sehen, während dieser ihm hinterherblickte, nur um sich dann in eine andere Richtung aufzumachen.
 

Die Türen des Krankenhauses schwangen wie von Geisterhand geführt auf.

Salles trat mit ernstem Blick ein, während Jatzieta sich einen Spaß daraus machte, über die ebene Schwelle zu springen, um mit beiden Füßen gleichzeitig im Inneren des Gebäudes zu landen. Sie kicherte vergnügt und stoppte dieses erst, als Salles ihr einen tadelnden Blick zuwarf.

Augenblicklich hielt sie inne, räusperte sich und setzte eine neutrale Miene auf. Zufrieden sah er wieder nach vorne und lief weiter, gefolgt von Jatzieta, die all die neuen Eindrücke in sich aufzunehmen versuchte. Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, war sie noch nie in diesem Krankenhaus gewesen, Salles dagegen aber schon, wie es aussah. Zielsicher und ohne zu zögern oder jemanden fragen zu müssen, bahnte er sich seinen Weg durch sterile Gänge, in denen nur wenige Pfleger und noch weniger Patienten zu sehen waren.

Jatzieta wollte einen Blick auf den Namen der Station werfen, die Salles schließlich betrat, doch er lief zu schnell, um ihr die Gelegenheit zu lassen. Da ihre Schritte plötzlich aber durch Teppichboden gedämpft wurden, konnte sie erahnen, dass es sich um eine Station für Privatpatienten handelte.

Vor einer bestimmten Tür blieb Salles wieder stehen. Er holte noch einmal ein wenig Luft – was Jatzieta ihm unwillkürlich nachmachte – und klopfte an. Eine undeutliche Antwort erklang, worauf beide eintraten.

Jatzieta, die bislang nicht gewusst hatte, wen sie eigentlich besuchen würden, lächelte wissend, als sie das blonde Mädchen erblickte, das im Bett saß. Ihre großen blauen Augen blickten sie beide unschuldig an, nichts erinnerte mehr an die Kämpferin, die ihnen mehrmals begegnet war. Jatzieta mochte dieses Mädchen nun auf Anhieb.

„Wer sind Sie?“, fragte Katima mit fester Stimme.

„Wir sind Salles Cworcs und Jatzieta...“

Er hielt einen Moment inne und sah zu ihr hinüber als würde er darauf warten, dass sie ihren Nachnamen verriet, doch da sie nur lächelte, blickte er wieder zu Katima, um fortzufahren: „Wir gehören zum Erhaltungskomitee.“

Jatzieta war sich sicher, dass das Mädchen damit nichts würde anfangen können, doch ihre Augenbrauen hoben sich in Erkenntnis. „Wo ist Nathanael-dono?“

Salles legte seine Stirn in Falten. „Hat er dir erzählt, dass er zu uns gehören würde?“

Sie nickte zur Antwort, doch als ihr bewusst wurde, was diese Frage zu bedeuten hatte, wurde ihr Gesicht bleich. „Er hat mich angelogen?“

„Ich fürchte ja“, antwortete Salles tonlos. „Was hat er dir denn erzählt?“

Sie überlegte für einen Moment, vermutlich um alles so genau wie möglich wiedergeben zu können. „Ich hatte einige Probleme in der Schule, weswegen jemand mir empfahl, mit Nathanael-dono zu sprechen, er könnte mir helfen. Also ging ich zu ihm und er erzählte mir, dass ich das Potential hätte, ein Shinken zu führen... er nannte es Orichalcum-Name, wenn ich mich richtig erinnere. Er half mir, diesen zu erwecken, damit ich die Energie aus dem Shinken nutzen könnte, um effektiver zu arbeiten. Im Austausch wollte er, dass ich das Erhaltungskomitee, zu dem er gehöre, unterstütze.“

Schuldbewusst senkte sie den Blick.

„Oh, mach dir nichts daraus, Liebes“, sagte Jatzieta mitleidig. „Nathanael kann manchmal ein wenig hinterhältig sein, wenn es zu seinem Vorteil ist – und überzeugend ist er auch sehr.“

Allerdings hätte sie nie geglaubt, dass er so tief sinken und selbst ahnungslose Shinkenträger derart ausnutzen würde, um sein Ziel zu erreichen. Wobei sie sich langsam nicht mehr so sicher war, ob Nathanael wirklich ihr Feind war. Salles hatte zwar nur ausweichende Antworten auf den Ursprung des Onyx gegeben, aber sie war sich sicher, dass er diesen von seinem alten Freund bekommen hatte – warum auch immer.

Ihre Worte schienen nicht wirklich etwas zu bewirken, Katima blickte nach wie vor deprimiert auf ihre Bettdecke. Dass dieser Mann ihr Vertrauen so sehr ausgenutzt hatte, setzte ihr ordentlich zu und Jatzieta konnte das nur zu gut nachvollziehen.

„Katima, ich weiß, das kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt“, begann Salles plötzlich.

Die Ärztin zuckte zusammen und sah ihn an. Er hat nicht wirklich vor...?

Das Mädchen hob den Blick wieder, die Augen dunkler und weniger unschuldig als zuvor.

„Ich möchte, dass du deine Stärke dem Erhaltungskomitee zur Verfügung stellst.“

Jatzieta verzog ihr Gesicht. Nicht, weil sie Katima nicht dabeihaben wollte, sondern aufgrund der Tatsache, dass Salles nicht einmal die Genesung des Mädchens abwarten konnte, um sie danach zu fragen. Es war bereits seine Idee gewesen, Zetsu zum Beitreten zu zwingen, offenbar stürmte er gern mit dem Kopf gegen die Wand, wenn es um das Komitee ging.

Katima schluckte schwer. „Ich...“

Sie verstummte wieder, kaum, dass sie den Satz begonnen hatte. Ihr Blick ging hilfesuchend zum Fenster und wieder zurück zu Salles, in dessen Gesicht nichts zu lesen war, nicht einmal ein aufmunterndes Lächeln, das sie möglicherweise überreden könnte.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dafür geeignet wäre...“

„Ich konnte mich bereits von deiner Stärke überzeugen“, wehrte er ihr Argument sofort ab. „Deine Fähigkeiten werden zwar eingeschränkt sein, solange dein Shinken dich nicht kontrolliert, aber ich weiß, dass dies kein Hindernis für dich sein wird.“

Sein Blick wurde noch härter, so dass Katima, die dem im Moment nicht gewachsen war, wieder auf ihre Decke hinuntersah. Besorgt griff Jatzieta nach Salles' Arm, um sein Starren zu unterbrechen. „Nun komm, mein Lieber, du machst ihr nur Angst.“

Er versuchte, sie abzuschütteln. „Lass mich, ich-“

„Ich denke, Sie sollten nun gehen.“

Jatzieta und Salles hielten augenblicklich inne und blickten zur Tür. Ein weißhaariger Mann mit ungesund blasser Haut stand dort und sah beide streng an. In seinen Händen hielt er zwei Tassen, die wohl der Grund waren, weswegen er nicht im Zimmer gewesen war.

Katimas Gesicht hellte sich aufgrund der Erleichterung deutlich auf. „Kuromei-san!“

Jatzieta musterte den Mann und dessen dunkle Uniform ein wenig. Ah, er muss ein Angestellter der Aigears-Familie sein.

Nach dem Turnier hatte die Ärztin ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass die Aigears in Europa eine recht wohlhabende Unternehmerfamilie waren. Was genau sie machten hatte Jatzieta zwar nicht lesen und verstehen können, aber sie taten es offenbar mit großem Erfolg.

„Alles in Ordnung, Katima-sama?“

Sie nickte lächelnd. „Jetzt ja.“

Er reichte ihr eine der Tassen und stellte die verbliebene ab, ehe er sich mit strengem Blick wieder an Salles und Jatzieta wandte. „Ich bitte Sie noch einmal, nun zu gehen.“

Für einen kurzen Moment befürchtete die Ärztin, dass der Gelehrte sich dem widersetzen würde, doch er ließ die Schultern sinken und senkte ein wenig den Kopf. „Gut, wir gehen. Aber bitte denk darüber nach, Katima.“

Sie reagierte nicht auf seine Worte, schien diese nicht einmal gehört zu haben.

Bevor Kuromei noch etwas sagen konnte, zog Jatzieta ihren Begleiter nach draußen. Wortlos liefen sie miteinander den Gang entlang, erst als sie die private Station hinter sich gelassen hatten, wagte sie wieder, etwas zu sagen: „Du wirst immer furchteinflößender, mein Lieber. So heuerst du keine neuen Rekruten an.“

Er antwortete nicht, aber sie konnte sehen, dass er wütend seine Kiefer aufeinanderpresste – so sehr, dass sie selbst schon Schmerzen davon bekam. Ansonsten war seine Mimik neutral wie immer.

„Was macht dich so wütend?“, fragte sie leise.

Wie erwartet antwortete er nicht, aber sie spürte genau, dass es etwas mit Nathanael zu tun hatte. Dieser Mann war so ziemlich der einzige, der es schaffte, eine solche Reaktion aus Salles hervorzulocken.

Zusammen traten sie schließlich, immer noch schweigend, ins Freie, wo sie sofort von einer Fülle von Geräuschen empfangen wurden. Dies schien Salles tatsächlich aufzulockern, seine Mimik entspannte sich wieder. „Wir sollten zum Wohnheim zurück.“

Seine Stimme war tonlos wie eh und je, aber Jatzieta glaubte, einen Hauch von Bitterkeit darin wahrnehmen zu können.

„Es wird bald Zeit zum Abendessen.“

Sie überlegte, ihn darauf hinzuweisen, dass es dafür noch viel zu früh war, aber er wirkte gedanklich in einer anderen Welt, so dass er sie vermutlich nicht einmal verstehen würde. Also nickte sie nur zustimmend. „Ja, lass uns gehen.“

Für eine Weile sah sie ihm hinterher, ehe sie ihm schließlich folgte, bevor er noch in einen Unfall verwickelt werden würde. Langsam, aber sicher bekam sie das Gefühl, dass dem Gelehrten alles über den Kopf wuchs und das machte ihr Sorgen, schon allein wegen seinem gesundheitlichen Zustand. Als sie ihn wieder eingeholt hatte, klammerte sie sich an seinen Arm und lächelte ihm zu. Er reagierte nicht darauf, sein Blick blieb stur geradeaus gerichtet.

Sie seufzte innerlich. Sieht so aus als würde einiges an Arbeit auf mich zukommen...

Der Gott der Zerstörung

Zetsu meldete sich nicht mehr. Egal wie oft Nozomu versuchte, ihn anzurufen oder ihm Kurznachrichten schickte, der Silberhaarige hob nicht ab und beantwortete auch nichts. Jatzieta schien das alles nicht weiter zu kümmern, auf Nozomus Besorgnis erwiderte sie stets, dass Zetsu sich gern von allen anderen zurückzog und sich tagelang nicht meldete, doch sie schaffte es damit nicht, den Braunhaarigen zu beruhigen.

Dass Salles immer weiter gedanklich fortzuwandern schien und Rehme auch nicht mehr mit ihm sprach, sorgte auch nicht gerade dafür, dass Nozomu sonderlich gut gelaunt war.

Entsprechend gedrückt war seine Laune dann auch, als er am Morgen des zehnten Augusts für den Sommerunterricht geweckt wurde, zu dem Salles alle Bewohner des Wohnheims angemeldet hatte.

Die Luft war schon auf dem Weg zur Schule ekelhaft drückend als ob sie unter einer Glaskuppel leben würden, selbst ohne die blaue Jacke über seinem weißen Hemd hatte er das Gefühl, als würde ihm etwas die Kehle zuschnüren und er würde jeden Augenblick daran ersticken.

Er beneidete Nozomi und Yumiko, die fröhlich plaudernd neben ihm herliefen und für den frühen Morgen mitten in den Ferien überraschend gut gelaunt zu sein schienen.

Suzume dagegen, die auf der anderen Seite lief, blickte genauso genervt wie er sich fühlte und es hätte nur noch eine „Ich wäre im Moment wirklich lieber ganz woanders“-Plakette an ihrer Kleidung gefehlt, um Nozomu wissen zu lassen, dass sie sich wirklich genau wie er fühlte.

Unterwegs begegnete ihnen so manch anderer Schüler, der ebenfalls ohne jeglichen Elan zum Sommerunterricht unterwegs war – darunter entdeckte Nozomu auch Thalia und den braun-gebrannten Jungen, mit dem er sie an seinem ersten Schultag bereits gesehen hatte. Immerhin war sein roter Pony noch vorhanden und er war ihm noch nicht von Thalia ausgerissen worden.

Keiner von beiden wirkte sonderlich erpicht auf den kommenden Unterricht, aber wer könnte sich auch schon auf so etwas freuen?

Diese Frage beantwortete sich geradezu von allein, als sie die Schule betraten und direkt Satsuki begegneten, die enthusiastisch wie immer Anweisungen verteilte. Nichts deutete mehr darauf hin, dass sie noch vor einer Woche verletzt gewesen war. Nozomi nahm das mit einem Strahlen zur Kenntnis, doch noch ehe sie die Schulsprecherin ansprechen konnte, wurde diese von einem anderen Schüler zu einem dringenden Notfall gerufen, dessen genaue Natur Nozomu nicht verstehen konnte.

„Satsuki-chan scheint es wieder gut zu gehen, ai~“

Während Nozomi ihr enttäuscht hinterhersah, lächelte Yumiko immer noch. Nozomu musste ehrlich zugeben, dass er sehr erleichtert war, Satsuki wieder so dynamisch zu sehen. Was auch immer der Grund für ihre schnelle Genesung war, es tat gut, in die Schule zu kommen und sie quasi als das Herz davon zu erblicken, wie sie eifrig am Arbeiten war.

Er wünschte nur, sie hätte ihm etwas von dieser Energie abgeben können. Inzwischen wollte er zwar nicht mehr in sein Bett zurück, aber dafür in eine Badewanne oder an den Strand... Hauptsache, diese Hitze würde ihm nicht mehr so sehr zusetzen.

Suzume verabschiedete sich von den Dreien, um in ihr Klassenzimmer zu gehen, während Nozomu den anderen beiden Mädchen hinterher trottete. Er beneidete Zetsu geradezu, der sich mit Sicherheit gerade an einem kühlen Ort befand, weil er schlau genug gewesen war, sich einen derartigen Job zu suchen und nicht im Wohnheim zu leben.

Immerhin hatte jemand daran gedacht, im Klassenzimmer die Fenster zu öffnen, so dass eine angenehme Brise den Raum kühlte – dabei windete es nicht einmal draußen. Aber Nozomu war zu erleichtert und dankbar, um sich einem solchen Gedanken hinzugeben, lieber konzentrierte er sich auf etwas, was wesentlich offensichtlicher für ihn war. „Seit wann gehst du eigentlich auf diese Schule, Yumiko?“

Sie lachte vergnügt, während sie sich auf den Platz neben seinem setzte, sehr zum Unwillen von Nozomi, die auf der anderen Seite Platz nahm. „Seit heute. Salles-sama hat das so mit der Schulleitung geklärt, ai.“

Erneut wunderte er sich über den Einfluss, den der Heimverwalter offenbar genoss. Nicht nur bei dem Krankenhaus, das ihn anrufen sollte, sobald Katima aufwachte, sondern auch bei der Schule, um neue Schüler mitten im Jahr einfach so mal eben einzuschleusen. Dabei war er nicht einmal sonderlich charismatisch, wie hatte er seinen Einfluss nur erworben?

„Und dann gleich zum Sommerunterricht“, seufzte Nozomu. „Du bist nicht zu beneiden.“

Statt einer Antwort lachte sie nur noch einmal.

Damit entschied sein Gehirn, dass es fürs Erste genug getan hatte und schaltete auf Leerlauf. Immer noch müde betrachtete er gedankenverloren einen Punkt an der Wand, der durch sein konzentriertes Starren alsbald zu flimmern begann. Die anderen Schüler plapperten munter durcheinander, unterhielten sich über ihre Ferienerlebnisse oder versuchten Yumiko in ein Gespräch zu verwickeln, doch alle Stimmen verschmolzen in seinem Inneren zu einem einzigen Summen, so dass es ihm nicht möglich war, Informationen dazu herauszuziehen.

Er schloss die Augen, um seinen Blick wieder zu klären und hörte, wie die Tür aufging und das Gerede der anderen Schüler schlagartig verstummte. Gleichzeitig spürte er, wie ein unangenehm kalter Schauer über seinen Rücken fuhr, etwas unsagbar Frostiges betrat den Raum und ließ den Schweiß auf seiner Haut augenblicklich erkalten.

Nozomu wollte die Augen nicht öffnen, er wollte nicht sehen, was diese Kälte mit sich bringen konnte – doch schließlich gewann seine Neugier, die ihm einen heftigen Tritt verpasste und ihn die Lider wieder öffnen ließ.

Nozomu kannte den Mann nicht, der mit hinter den Rücken verschränkten Armen und einer gehörigen Portion Selbstverständlichkeit an den Reihen von Schülern vorbei zum Lehrerpult nach vorne ging. Die hochgeschlossene Kleidung und die Handschuhe verbargen bis auf sein Gesicht jeden Millimeter Haut an seinem Körper, die braunen Haare mit dem leichten Rotstich fielen offen über seine Schulter und wirkten nicht sonderlich lehrermäßig und hinter einer Brille glitzerten amüsierte rote Augen, die sofort die gesamte Klasse musterten, als er sich vorne angekommen endlich zu ihnen umwandte.

Nozomu glaubte, wie Rehme in seinem Inneren panisch Luft einsog, doch sie reagierte nach wie vor nicht auf seine Impulse, die sie zum Sprechen animieren sollten, weswegen er sich wieder dem fremden Mann zuwandte, der den Mund öffnete, um etwas zu sagen.

„Guten Morgen, Klasse~“

Obwohl Nozomu deutlich die Kälte in der Stimme des Mannes hören konnte, wurde er von den Worten sofort eingefangen, genau wie der Rest der Klasse offenbar, der diesen Mann anstarrte als wäre er die Verkörperung der Erlösung.

„Es freut mich, heute bei euch sein zu können. Mein Name ist Nathanael Voss, ich bin einer der Lehrer für den Sommerunterricht.“

Schon wieder so ein seltsamer Name, schoss es Nozomu durch den Kopf. Also noch ein Ausländer.

Nathanael trat hinter den Pult und nahm dort ein Blatt in die Hand, das offenbar die Anwesenheitsliste war – zumindest konnte Nozomu das anhand der durch das Papier scheinenden Kanji sagen. Doch statt sie abzufragen, ließ der Lehrer nur den Blick darüber schweifen, ehe er es zerknüllte und zielsicher in den Papierkorb warf, was zu einem leisen Raunen der Schüler führte.

Lächelnd wandte Nathanael sich wieder an die Klasse. „Eigentlich sollte ich diese Liste abfragen und dann den Lehrplan gemeinsam mit euch abarbeiten – aber ich habe eine bessere Idee.“

Leises Murmeln wurde laut, daraus erklang die Hoffnung, dass er sie einfach wieder nach Hause schicken würde, doch er lachte leise, als er das mitbekam. Mit einer betont langsamen Bewegung schob er seine Brille zurecht – eine Geste, die Nozomu unangenehm an Salles erinnerte – ehe er widersprach: „Nein, nein, ihr werdet mir den ganzen Vormittag Gesellschaft leisten müssen, fürchte ich. Aber keine Sorge, wir werden eine sehr interessante Zeit miteinander haben.“

Sein Blick richtete sich auf Nozomu, durchbohrte diesen geradezu auf eine Weise, dass der Junge tatsächlich Schmerzen zu spüren glaubte. Gleichzeitig begann ein seltsames Pochen hinter seiner Stirn als ob jemand tatsächlich versuchen würde, aus seinem Kopf herauszukommen.

„Wir werden heute über eine Geschichte sprechen, von der die meisten von euch mit Sicherheit noch nie gehört haben.“

Nathanaels Stimme erfüllte das Klassenzimmer und überdeckte alle anderen Geräusche, obwohl er nicht sonderlich laut sprach. Es klang beruhigend, ohne dabei einschläfernd zu sein, aber in Nozomus Inneren löste es eher Übelkeit aus statt Ruhe.

So entging ihm aber auch das ratlose Murmeln der anderen Schüler, welche Geschichte das wohl sein mochte – was das mit dem regulären Unterrichtsstoff zu tun haben könnte.

„Es ist die Geschichte eines Mannes, der als Gott der Zerstörung bekannt wurde.“

Wieder leises Murmeln, während man rätselte, für welches Fach diese Geschichte wohl von Belang sein könnte.

„Dabei ist unerheblich, wie lange diese Ereignisse bereits her sind“, fuhr Nathanael fort, um das Flüstern zu unterdrücken und begann, langsam zwischen den Tischen entlangzulaufen, die Arme immer noch hinter dem Rücken verschränkt. „Wichtig ist nur, dass ihr glaubt, dass sie stattgefunden haben. Denn das kann ich euch versichern. Vielleicht... kennen einige die Geschichte ja tatsächlich schon.“

Sein Blick streifte Nozomi und Yumiko, blieb für einen Moment erneut an dem kaum merklich zitternden Nozomu hängen und richtete sich dann wieder nach vorne, als er seinen Weg fortsetzte.

„Zu der Zeit, als dieser Mann lebte, gab es viele Kämpfer wie ihn, die allesamt als Götter bezeichnet wurden. Und sie alle bekriegten sich, um eine ganz bestimmte Auszeichnung zu erhalten: den Ewigen Göttername.“

Nozomi sog erschrocken die Luft ein und hielt sich die Hand vor den Mund. Yumiko dagegen machte den Eindruck als kannte sie die Geschichte bereits. Und Nozomu... seine Übelkeit nahm noch einmal zu, er war sich sicher, es nicht mehr lange verbergen zu können, besonders da er trotz der Kälteschauer, die über seinen Rücken liefen, wieder zu schwitzen begonnen hatte.

„Diese Auszeichnung gewährt ihrem Träger die Macht, das komplette Universum zu verändern, ja sogar, es zu zerstören. So trafen Götter aufeinander, die nach Vernichtung strebten, jene, die das verhindern wollten und sogar solche, die das Universum in ein neues, goldenes Zeitalter ohne jedes Leid führen wollten.“

Bei dem letzten Punkt erklang begeistertes Tuscheln, offenbar waren einige von Nozomus Mitschülern dafür, dass diese Götter gewannen.

„Es kam wie es kommen musste und sie alle starben bei diesem Kampf. Einer. Nach. Dem. Anderen.“

Die Art, wie Nathanael jedes Wort des letzten Satzes betonte, erweckte den Eindruck als würde jedes davon für sich selbst stehen. Gleichzeitig zeigte er damit die Endgültigkeit dieser Aktion – und nach jedem einzelnen Wort war es Nozomu als würde er einen Schrei hören, so erschütternd, verzweifelt und voller Agonie als wäre es der Todesschrei einer Person. Tief in seinem Inneren gab ihm etwas zu verstehen, dass diese Einschätzung auch vollkommen korrekt war.

„Zum Schluss waren nur noch zwei Götter übrig. Jener, der Zerstörung brachte und sein Gegenstück, der aus ihm geschaffen worden war und gemeinhin als Erlöser galt.“

Für den Bruchteil einer Sekunde sah Nozomu einen Blitz zucken und in diesem erleuchteten Moment konnte er ein eisblaues Auge erkennen, das ihn spöttisch anblickte, während das andere durch sein langes Haar verborgen war. Doch bevor Nozomu sich mehr einprägen konnte, verschwand das Bild wieder in seinem Unterbewusstsein.

Das Etwas in seinem Inneren wurde bei dieser Erinnerung von kaltem Zorn erfüllt, es begann lautstark zu kreischen und versuchte mit aller Macht auszubrechen, seinen Körper zu übernehmen. Leise keuchend krümmte Nozomu sich zusammen, bemerkte in seinem inneren Kampf, diese Übernahme zu verhindern auch nicht die verwirrten und besorgten Blicke, die seine Mitschüler ihm zuwarfen. Doch hielt die Aufmerksamkeit nicht lange an, schon einen Wimpernschlag später richteten sich sämtliche Blicke wieder auf Nathanael, der gemäßigt, fast schon gelangweilt, wieder in Richtung Pult schritt.

„In diesem Kampf töteten die beiden Götter sich allerdings gegenseitig – und so bekam keiner den Götternamen und alles verlief seinen gewohnten Gang, wie wir ihn sicherlich alle kennen.“

Während alle dem Nachhall seines letzten Wortes lauschten, war es still in der Klasse. Nozomu hielt krampfhaft den Blick gesenkt, eine Hand auf seinen Bauch gelegt, um den rebellierenden Magen zu besänftigen. Doch weder dieser noch das wild gewordene Etwas wollten sich durch diese einfache Geste beruhigen lassen.

Es war Shinsuke, der schließlich ungewohnt schüchtern die Hand hob. Nathanael nickte ihm aufmunternd zu, worauf der Junge aufstand, um seine Frage zu stellen: „Wie hieß dieser Gott der Zerstörung denn?“

Offensichtlich bestand bei den Schülern noch Hoffnung, dass man mit dem Namen etwas anfangen konnte oder dass ihr Lehrer an dieser Stelle zugeben würde, dass er sich das alles nur ausgedacht oder es als Metapher für irgendeinen komplexen Zusammenhang zu verstehen war.

Nathanaels Lächeln schwand nicht, als er Shinsuke für diese Frage lobte. „In der ganzen Erzählung habe ich ihn nicht einmal erwähnt, stimmt's?“

Die anderen nickten zustimmend, lediglich Nozomu saß unbeteiligt da, die Hand immer noch auf seinen Bauch gepresst, die Augen zusammengekniffen, um die ineinander überlaufenden Kontraste nicht mehr in aller Deutlichkeit sehen zu müssen.

Mein Gehirn muss durchgebrannt sein...

Doch Nathanaels Blick, der sich erneut auf ihn richtete, brauchte er auch nicht zu sehen, um dessen Intensität zu spüren.

„Euch wird dieser Name vermutlich nichts sagen, aber es schadet nicht, wenn ihr ihn kennt.“

Noch einmal machte er eine Pause, für die anderen Schüler genug Zeit, um ihn gebannt anzusehen, für Nozomu lediglich eine erneute Spanne, in der er dem Toben in seinem Inneren ausgesetzt war.

„Sein Name war... Jiruol.“

Während die anderen sich fragende Blicke zuwarfen, stand Nozomu so abrupt auf, dass sein Stuhl nach hinten fiel und mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Er verschwendete keinen Blick an seine Umwelt, sah nicht einmal Nathanael an, als er auf die Tür zustürmte. Egal, wohin, Hauptsache fort von diesem Ort, diesem Mann und dieser Geschichte, die er soeben erzählt hatte. Vor seinen Augen drehte sich alles, ein dunkler Schleier hatte sich zusätzlich davor gelegt und erleichterte es ihm nicht unbedingt, den Weg hinaus zu finden.

Doch an der Tür angekommen, riss er diese hastig auf und sprintete hinaus.

Hätte er noch einmal zurückgesehen, wäre ihm nicht nur das zufriedene Lächeln auf Nathanaels Gesicht aufgefallen, nein, er hätte auch beobachten können, wie er sich siegessicher die Brille zurechtschob, ehe er so tat als wäre Nozomus Flucht nicht geschehen und er mit dem Unterricht fortfuhr.

Senpais Rat

Die Hitze war immer noch unerträglich, aber neben den Waschbecken an denen die Sportclubs normalerweise ihre Schuhe wuschen, ließ es sich aushalten. Nozomu saß auf dem Rand des steinernen Beckens und füllte sich immer wieder die hohlen Hände mit Wasser, um es sich ins Gesicht zu klatschen, in der Hoffnung, dass er sich dann beruhigen würde. Jedes Mal fühlte er sich für einen Moment abgekühlt, aber die innere Unruhe über das eben Gehörte blieb.

Jiruol, das war der Name, den Salles ihm mit auf den Weg gegeben hatte, damit er Ruhe gab. Aber es war noch mehr, inzwischen war er sich sicher, dass es einmal sein Name gewesen war. Er war dieser furchtbare Jiruol gewesen, der so viele Leben genommen hatte.

Aber warum hatte er das getan?

Er erinnerte sich nicht daran, die Beweggründe des anderen blieben ihm verschlossen und er fürchtete sich zu sehr, tiefer nachzubohren. Er zweifelte nicht daran, dass Jiruol erwachen und ihm mit Freuden Auskunft darüber erteilen würde, aber gleichzeitig wusste er auch, dass der andere stärker war als er und dann seine Macht nutzen würde, um diesen Körper zu übernehmen und erneut für Furcht und Schrecken zu sorgen. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was für Katastrophen über die Stadt hereinbrechen würden. Nein, er durfte nicht zulassen, dass das geschah, er musste Jiruol mit aller Macht bekämpfen und am Schlafen halten!

Aber war es nicht möglich, dass Rehme etwas wusste?

Das Shinjuu musste bereits den Gott begleitet haben, also war die Wahrscheinlichkeit immerhin gegeben. Er müsste sie nur noch fragen.

Rehme...

Er lauschte in sich hinein, nachdem er ihren Namen gedacht hatte, wartete auf ihre Reaktion, die zu seiner Enttäuschung ausblieb. Sie machte keine Anstalten etwas zu erwidern, im Moment konnte er nicht einmal ihre Anwesenheit spüren. Er fragte sich, ob es möglich war, dass Shinjuu sich so weit von ihrem Meister entfernen konnten, dass die Verbindung zwischen ihnen abbrach. Nicht einmal so etwas wusste er. Wenn er genau darüber nachdachte, wusste er fast gar nichts und Salles war auch nicht sonderlich gesprächig, fast so als würde er wollen, dass sie wenig wussten. Aber warum sollte er das tun, wenn er mit ihnen verbündet war?

„Menschen, die wenig wissen, sind leichter zu kontrollieren.“

Er zuckte erschrocken zusammen, als die Stimme so plötzlich direkt neben ihm erklang. Ihm war nicht aufgefallen, dass jemand neben ihn getreten war. Aber als er den Blick hob, wurde ihm bewusst, dass er das gar nicht hätte bemerken können. Dort stand wieder das Mädchen, dem er bereits mehrmals begegnet war. Sie trug eine Schuluniform, ihre gelbe Schleife deutete darauf hin, dass sie in der zweiten Stufe war, aber dennoch hatte er sie noch nie irgendwo an der Schule gesehen, außer wenn sie so plötzlich auftauchte wie an diesem Tag. Sie fuhr sich durch das schwarze Haar, dann blickte sie ihn an. „Das ist doch logisch. Deswegen haben sich Herrscher aller Zeiten schon immer bemüht, ihre Untertanen so dumm und ungebildet wie möglich zu halten.“

Er fragte sich nicht, woher sie wusste, was er dachte oder was ihn beschäftigte, stattdessen stellte er eine andere Frage: „Wer bist du?“

Wenn er zumindest ihren Namen wusste, könnte er einmal jemand der anderen fragen, wer sie war. Aber statt einer Antwort lächelte sie nur vielsagend. Er wollte gerade noch einmal fragen, als er plötzlich jemanden seinen Namen sagen hörte. Als Reaktion wandte er den Kopf und erkannte, dass Satsuki auf ihn zukam. „Guten Morgen, Senpai...“

Sie blieb vor ihm wieder stehen. „Was machst du denn hier draußen?“

Ehe er antwortete, sah er noch einmal auf die Stelle, wo eben das Mädchen gestanden hatte, aber wie er erwartet hatte, war sie nicht mehr da. Also blickte er wieder Satsuki an. „Ich brauchte eine kleine Erfrischung.“

„Und deswegen schwänzt du den Nachhilfeunterricht?“ Sie schnitt eine Grimasse und wartete auf seine Antwort, die nur aus einem „Hm“ bestand.

„Ist der Lehrer denn so schlimm?“, fragte sie weiter.

„Sein Name ist Nathanael Voss.“ Eigentlich hatte er noch fragen wollen, ob sie ihn möglicherweise kannte, aber ihre Reaktion – ein erschrockenes Zusammenzucken – war ihm bereits Antwort genug. „Wer ist er?“

Die Frage schien sie aus irgendeinem Grund fast schon peinlich zu berühren, es war deutlich, dass sie nicht antworten wollte. Bei Salles hätte er beschlossen, den Rückzug anzutreten, aber bei Satsuki war es etwas anderes, sie war nur ein wenig älter als er und damit befand sie sich auf derselben Ebene wie er, sie war kein verschlossener Gelehrter, der alles Leid der Welt zu schultern schien.

Sie wollte sich gerade selbst zurückziehen, um zumindest für eine räumliche Trennung zu sorgen, doch Nozomu griff nach ihrer Hand und zog sie abrupt zu sich herunter. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus und errötete augenblicklich. „N-Nozomu-kun!“

Er kümmerte sich nicht weiter um ihren Protest. „Du weißt etwas, stimmts? Immerhin bist du schon wesentlich länger in diese ganze Sache verstrickt als ich.“

Sie runzelte die Stirn und öffnete ihren Mund, zögerte aber noch mit einer Erwiderung, vermutlich weil sie ohnehin wusste, dass es sinnlos war, gegen einen entschlossenen Nozomu anzutreten. Sie konnte in seinen Augen sehen, dass er keine Ausrede gelten lassen würde und in seinem festen Händedruck spüren, dass er sie nicht gehen lassen würde.

Das bewog sie schließlich dazu, etwas zu antworten, auch wenn es nicht unbedingt das war, was er in diesem Moment hören wollte: „Ich kann dir nur einen Rat geben. Mehr nicht, wirklich.“

Seine Augen forderten sie stumm auf, genau das zu tun, immerhin war es das Mindeste, was ihm jemand für den Kampf gegen Lakaien geben könnte: Antworten.

„Wenn du wirklich daran interessiert bist, die Wahrheit zu erfahren, solltest du eine bestimmte Adresse aufsuchen. Dort wird man dir mehr sagen können.“

In seinen Gedanken rang er mit sich selbst. Es war gut möglich, dass es sich um eine Falle handelte, immerhin befanden sie sich in verfeindeten Lagern, aber er glaubte nicht daran, dass sie so etwas tun würde. Sie war immerhin Teil des Errettungskomitees, da würde sie sich doch nicht auf solch ein niedriges Niveau begeben und schon gar nicht gegen ein Mitglied des Erhaltungskomitees. Gegen das Zerstörungskomitee vielleicht, aber nicht das seine.

„Welche Adresse?“

Ein Versuch war es wert, für Antworten hätte er sogar sein eigenes Leben eingetauscht – und möglicherweise würde das sogar noch notwendig werden.

Sie löste sich mit sanfter Gewalt von seiner Hand und griff in eine Tasche, die sie um ihren Bauch gebunden hatte und die ihm erst in diesem Moment auffiel. Als Schulsprecherin war es wohl nötig, dass sie stets bestimmte Dinge mit sich führte, vor allem im Moment, da er nicht glaubte, dass sie ebenfalls wegen Nachhilfe in der Schule war. Sie zog einen beschriebenen Zettel hervor, den sie ihm reichte. Fast schon schien es ihm als hätte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihm diesen zu geben. „Geh dort morgen Vormittag vorbei, man wird auf dich warten.“

„Wer wird auf mich warten?“, fragte er neugierig.

Sie lächelte. „Du wirst schon sehen. Sei auf jeden Fall da.“

Dieses Mal hielt er sie nicht auf, als sie ohne jede Verabschiedung davonging und wieder aus seiner Sicht verschwand. Er sah auf den Zettel hinab und stellte fest, dass er die Adresse nicht kannte und er nicht einmal den Hauch einer Ahnung besaß, wo sich diese befinden könnte. Am besten wäre es, wenn er Nozomi fragen würde...

Nein, Moment! Sie wird mir das ausreden oder mit mir mitgehen wollen.

Und das empfand er beides nicht als sonderlich gut. Er wollte sich das nicht ausreden lassen und er wollte nicht, dass sie mitkam, denn ihre Begleitung hätte nur dafür gesorgt, dass er auf sie achten müsste, wenn es zu einem Kampf oder einer Flucht käme. Es war besser, wenn er allein dorthin ging, er würde den Weg schon irgendwie finden.

Es gibt doch Informationsschalter an Bahnhöfen... vielleicht können die mir helfen.

Er erinnerte sich, dass er eigentlich wieder ins Klassenzimmer zurückkehren müsste, aber bei dem Gedanken, dass dieser Nathanael ebenfalls noch dort war, wuchs das Widerstreben in seinem Inneren. Besser also, er suchte sofort einen Informationsschalter auf.

Angefüllt mit neuer Energie, die ihn sogar die drückende Hitze ignorieren ließ, sprang er auf und machte sich direkt auf den Weg.

Der nächstgelegene Bahnhof war trotz der sommerlichen Temperaturen mit Leben gefüllt, besonders mit Schülern, die glücklich genug gewesen waren, nicht zum Nachhilfeunterricht angemeldet zu werden und sich so mit ihren Freunden zum Besuch des ansässigen Kinos treffen konnten. Soweit Nozomu wusste, wurde ein besonders sehnlich erwarteter Anime an diesem Tag erstmalig gezeigt, so dass die Schüler auch dementsprechend aufgeregt waren.

Sein Blick glitt über die einzelnen Personen in der Hoffnung, Zetsu zu entdecken, aber keiner von ihnen hatte silbernes Haar oder diese eiskalten blauen Augen. Doch die Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Er hätte sich ja denken können, dass Zetsu mit Sicherheit keinen Sinn für solche Unterhaltung oder auch nur das Geld dafür besaß.

Der Informationsschalter war nur eine kleine Zelle, kaum größer als eine Telefonzelle und bot gerade einmal Platz für einen Tisch und einen Stuhl auf dem eine Frau saß, die jedem, der auch nur einen kurzen Blick hineinwarf, ein einstudiertes Lächeln zeigte. Sie wirkte wie eine Frau aus der Werbung, weswegen Nozomu erst einmal nicht nähertreten konnte, weil er befürchtete, dass er mit einem Bildschirm sprechen würde, falls er sie ansprach.

Eine Frau, vermutlich eine Touristin, trat ohne jede Scheu an die Zelle, um im gebrochenen Japanisch eine Frage zu stellen und dafür eine routiniert freundliche Antwort zu bekommen.

Kaum war sie fort, traute Nozomu sich endlich selbst zu der Frau, die ihn freundlich grüßte.

„Äh, ja“, erwiderte er ein wenig verunsichert von ihrem Auftreten. „Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo sich diese Adresse befindet?“

Er reichte ihr den Zettel, sie las diese Adresse – und hob erstaunt die Augenbrauen, ohne dabei zu lächeln aufzuhören, was ein überaus interessanter Anblick war. Aber Nozomu interessierte sich eher dafür, was sie so erstaunte. Schließlich fand sie ihre Fassung wieder und antwortete ihm: „Du musst neu hier in der Gegend sein. Das ist eine Adresse aus dem gut bestellten Norden der Stadt.“

„Wie komme ich dort am besten hin? Also zu dieser Adresse.“

Sie tippte etwas auf den Computer, den er erst bemerkte, als er so nah vor ihr stand, aber der Monitor war ihr zugewandt, so dass er nicht lesen konnte, was darauf erschien. Dafür lauschte er der Erklärung und gab dann mit einem Nicken zu verstehen, dass er begriffen hatte.

„Vielen Dank.“ Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung und machte sich dann auf den Weg zu dem Gleis, das sie ihm genannt hatte.

Zwar hatte Satsuki gesagt, dass er erst morgen gehen sollte, aber er wollte so schnell wie möglich Antworten, deswegen verlangte seine Neugier, dass er sich sofort auf den Weg machte.

Das Gleis war genau wie der Bahnhof selbst an diesem Tag gefüllt mit Leben, aber fast jede Person schien ein Schüler zu sein, sonstige Fahrgäste waren wohl im Moment nicht unterwegs. Sie standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich über den neuesten Klatsch und Tratsch, nicht wenige schrieben nebenbei Nachrichten auf ihren Handys.

Er beneidete diese Menschen nicht darum, dass sie Freunde hatten, die es kümmerte, was sie schrieben oder sagten, während er vergeblich auf eine Nachricht von Zetsu wartete, er verachtete sie aber auch nicht dafür, dass sie eben waren wie sie waren. Er ignorierte sie, während er an ihnen vorbeilief und sich eine Stelle suchte, die einigermaßen leer war, damit er seine Ruhe fand.

Während er lief, hörte er plötzlich ein leises Kichern, das nicht so recht zu den Anwesenden zu passen schien. Es klang amüsiert, fast schon schadenfreudig und er war sich absolut sicher, dass es ihm galt, aber wann immer er den Kopf wandte, konnte er niemanden sehen, der sich um ihn kümmerte. Für die anderen war er wohl auch nur jemand, der einfach vorbeilief und den man nicht weiter beachten musste.

Er hörte den herannahenden Zug, darunter wieder dieses Kichern – und im nächsten Moment spürte er einen heftigen Stoß, der ihn vom Bahnsteig direkt auf die Gleise warf.

Ein wenig benommen von der Überraschung und dem eingesetzten Schmerz in seinem Bein und seinen aufgeschürften Handflächen, blieb er auf den Gleisen knien.

Was ist da gerade geschehen?

Sein Blick ging nach oben, suchte den Bahnsteig nach jemandem ab, der nun schadenfreudig auf ihn herabblickte oder eilig flüchtete, sah stattdessen aber nur fragende Gesichter und hörte leises Tuscheln über den nächsten Selbstmörder. Es dauerte einen weiteren Moment, ehe er begriff, dass er damit gemeint war.

Der Zug näherte sich rasch, was ihn dazu bewog, aufzustehen und wieder auf den Bahnsteig zu klettern. Doch als er das versuchte schossen scharfe Schmerzen durch sein Bein, ein Blick hinab verriet ihm, dass seine Hose bereits Blut getränkt war, die Verletzung war wohl schlimmer gewesen als gedacht.

Wenn ich das Shinken rufen könnte, wäre es mir möglich, die Verletzung zu heilen, aber so?

Bei all diesen Zeugen war ihm das nicht möglich und noch dazu war er sich nicht ganz sicher, ob das bei solchen Verletzungen, die nicht Ursprung des Kampfes mit Lakaien waren, überhaupt funktionierte.

Er versuchte noch einmal, sich aufzurichten, um auf den Bahnsteig zu klettern, aber es war ihm nach wie vor nicht möglich und dort oben hielt es offenbar auch keiner für nötig, ihm zu helfen, stattdessen zückten einige sogar schon ihre Handys und richteten die Kamera auf ihn.

Er wandte den Kopf in Richtung des Tunnels aus dem der Zug kommen würde und konnte bereits die Lichter erkennen. Sein Puls beschleunigte sich rasch, während er versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und gleichzeitig einen Ausweg aus dieser Misere zu finden.

Aber egal, was er tat, ihm kam kein Einfall, auch nicht als er den Zug schließlich richtig erkennen konnte und er sich ihm immer rascher näherte, während er selbst absolut unfähig war, sich zu rühren.

„Nozomu!“

Noch am Leben

Selbst Rehmes Ruf schaffte es nicht, ihm einen Einfall zu geben, der ihn aus dieser Situation retten könnte. In Gedanken begann er bereits, sich von seinem Leben zu verabschieden, überlegte, was er bereute und was er gern noch getan hätte und stellte unzufrieden fest, dass er tatsächlich als Jungfrau sterben würde. So hatte er sich sein Leben und dessen Ende mit Sicherheit nicht vorgestellt. Aber wer stellte sich schon so sein Ende vor?

Doch plötzlich – ganz unvermittelt, weswegen er zuerst an Einbildung glaubte – hörte er zwischen dem erwartungsvollen Murmeln und dem Donnern des Zuges eine bekannte Stimme: „Setoki!“

Irritiert wandte er den Kopf und entdeckte, noch bevor er das Gesicht erblickte, eine ihm entgegengestreckte Hand, die seine letzte Rettung zu sein versprach.

Ihm blieb keine Zeit mehr, sicherzustellen, dass die Person ihm freundlich gesinnt war oder festzustellen, wer sie überhaupt war.

Stattdessen ergriff er sofort die Hand und ließ sich auf den Bahnsteig ziehen, wo er direkt wieder auf den Boden stürzte. Hinter ihm fuhr mit einem lauten Dröhnen der Zug ein und kam mit quietschenden Bremsen zum Halten.

Nozomu atmete schwer, während ihm die anderen Wartenden enttäuscht schienen und ihre Handys wieder einpackten, ohne die gewünschten Aufnahmen bekommen zu haben. Er verfluchte diese Leute kurz in Gedanken, dann hob er den Blick, um den herbeigeeilten Schaffner zu beruhigen.

„Mir geht es gut, mein Bein tut nur ein wenig weh... Nein, ich brauche keinen Arzt.“

Er wehrte das Angebot ab, noch bevor der Schaffner es machen konnte, aber das erleichterte Aufatmen, dass ihm mit dieser Antwort der Papierkram erspart blieb, entging Nozomu keineswegs.

Noch einmal stellte der Schaffner sicher, dass es ihm gutging, dann fuhr er herum, um wieder in den Zug einzusteigen, da die ersten Fahrgäste in einem der Abteile bereits lautstark ein genervtes Räuspern von sich gaben.

Erst als der Zug den Bahnhof wieder verließ, wurde Nozomu wirklich bewusst, dass er überlebt hatte – und dass er seinem Retter noch dafür danken müsste.

Er sah zur Seite und erkannte die Person, worauf ihm geradewegs die Luft wegblieb, so dass er nichts mehr sagen konnte. Leana seufzte leise. „Da rettet man dir einmal das Leben und du bedankst dich nicht einmal. Wie unhöflich.“

„Tut mir Leid. Ich war jetzt nur ein wenig überrascht... ich werde nicht oft beinahe von einem Zug überfahren.“

Sie hob eine Augenbraue. „Man spielt auch nicht auf den Gleisen, das solltest du wissen.“

Er war zu erschöpft, um sich über diese Aussage und vor allem den spöttischen Unterton davon, aufzuregen, deswegen seufzte er. „Ich weiß. Ich habe das auch nicht freiwillig gemacht, ich wurde von jemandem geschubst.“

„Von wem?“

„Ich weiß nicht.“

Immerhin hatte er niemanden gesehen und Rehme offenbar auch nicht, sonst hätte sie ihn ja gewarnt. Er tendierte bereits dazu, es als Einbildung abzutun – aber weswegen hätte er dann auf den Gleisen landen sollen? Nein, es musste irgendetwas geschehen sein.

Vielleicht war es ein Shinjuu...

Der Gedanke durchzuckte ihn eiskalt und ließ ihn trotz der Hitze frösteln. Um sein normales Leben zu schützen, hatte er sich entschlossen, in den Kampf zu ziehen und nun musste er quasi immer damit rechnen, dass eines dieser Wesen, das für normale Menschen nicht existierte, versuchte, ihm das Leben zu nehmen – und es auch noch wie einen Unfall aussehen zu lassen. Da lief doch etwas gehörig schief, wenn er sich das genau betrachtete.

Leana saß schweigend neben ihm und sah ihn ausdruckslos an, anscheinend wartete sie immer noch auf einen Dank oder eine weitere Erklärung, letzteres wollte er ihr aber nicht geben.

„Danke“, sagte er dafür, was ihren Gesichtsausdruck ein wenig weicher werden ließ. „Wenn du nicht gewesen wärst, könnte man mich in Teilen von den Schienen aufsammeln.“

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Hmm, das wäre sehr unschön geworden, du bist schon in einem Stück kaum zu ertragen.“

„War das Sarkasmus?“, fragte er ehrlich verwundert und ratlos, da ihre trockene Art es nicht leicht machte, zu sagen, wann sie etwas ernst meinte und wann sie scherzte.

Zu seinem großen Erstaunen lächelte sie daraufhin, wenngleich es kein wirkliches Lächeln war. Ihre Augen blieben davon unberührt, sie blickten weiterhin so distanziert und unbeteiligt als gehörten sie gar nicht zum Rest ihres Gesichts. Aber er war doch überrascht, dass ihre Mundwinkel ein Lächeln zustande brachten.

„Ja, war es“, antwortete sie. „Aber wenn du nachfragen musst, sollte ich es vielleicht noch einmal üben.“

„Du könntest bei Zetsu in die Lehre gehen.“

Doch sein Vorschlag legte nicht nur auf sein, sondern auch auf ihr Gesicht einen Schatten. Wie auf eine stumme Einigung hin, ging keiner von beiden weiter auf Zetsu ein, sondern wechselten das Thema.

„Du hast Glück, dass ich gerade vorbeigekommen bin“, sagte Leana. „Eigentlich wollte ich ganz woanders sein und bin nur zu spät dran.“

„Ich schätze, dann sollte ich dich nicht aufhalten, was?“

Sie nickte bestätigend, blieb aber dennoch sitzen. „Soll ich dich noch irgendwo hinbringen?“

Er musste sich beherrschen, sie zu fragen, was denn mit ihr los sei, da er sie gar nicht so freundlich kannte, aber vielleicht hatte sie einen Helferkomplex?

„Danke, es geht schon“, wehrte er ihr Angebot ab, obwohl er sein Bein immer noch nicht bewegen konnte. „Ich werde Jatzieta anrufen, damit sie mich abholt. Du solltest dich lieber beeilen.“

Sie verabschiedete sich knapp von ihm und ging dann hastig davon. Er blickte ihr nach, bis sie verschwunden war, dann richtete er sich vorsichtig auf und humpelte zu einer der Bänke. Sein Bein schmerzte noch immer und ließ sich kaum bewegen, er musste seinen Plan, diese Adresse aufzusuchen, wohl erst einmal auf den nächsten Tag verschieben. Mit Sicherheit würde Jatzieta ihn wieder hinkriegen. Doch noch während er in seiner Tasche nach seinem Handy wühlte und auch noch während er darauf wartete, dass sie den Anruf annahm, gingen ihm zwei Fragen nicht aus den Kopf:

1.: Wer hatte ihn auf die Gleise geschubst?

Und 2.: Warum war Leana wirklich dagewesen?
 

„Bist du sicher, dass es gut war, dich einzumischen?“ Isoldes besorgte Stimme erklang, noch bevor das Shinjuu neben der eilig laufenden Leana erschien.

Diese änderte ihren Gesichtsausdruck nicht. „Ich kann nicht einfach zusehen, wie jemand stirbt, selbst wenn es sich dabei nur um Nozomu handelt.“

Sie hatte es wirklich und wahrhaftig versucht, aber ihr innerer Drang zu helfen, war wesentlich stärker gewesen als der Wunsch, einen Konkurrenten weniger zu haben im Kampf um den Götternamen.

„Meinst du nicht, dass du dich dann im falschen Komitee befindest?“

Diese plötzlich erklingende Stimme ließ Leana innehalten als wäre sie festgefroren. Es war nicht Shun, diesem hätte sie einfach einen Fausthieb verpasst, damit er ruhig war. Stattdessen sah sie plötzlich Medario vor sich, der sie so ausdruckslos wie eh und je ansah.

Leana schluckte schwer. Gegen Shun konnte sie sich wehren, kein Problem, Nathanael war hauptsächlich nervig, aber Medario war anders. Er war eine Bestie, im wahrsten Sinne des Wortes, immerhin hatte sie ihn einmal bereits kämpfen gesehen. In ihrem jetzigen Zustand, allein, mit einem Shinken der unteren Ränge, hatte sie nicht den Hauch einer Chance gegen ihn, das musste sie zähneknirschend anerkennen. Also war es besser, es sich nicht mit ihm zu verscherzen.

„Also?“, fragte er. „Meinst du nicht, dass du dich im falschen Komitee befindest?“

Da Leanas Antwort so viel Zeit in Anspruch nahm, wollte Isolde bereits vortreten und das übernehmen, doch Leana gebot ihr mit einer Handbewegung, zu schweigen. „Ich bin aus freiem Willen dem Zerstörungskomitee beigetreten und ich bin mir dessen Konsequenzen vollkommen bewusst. Lass das also nur meine Sorge sein.“

Er nickte wohlwollend über ihre Antwort. Es war nicht leicht, in das Zerstörungskomitee zu kommen und dort nicht unterzugehen, ein normaler Mensch würde es mit Sicherheit nicht einmal eine Woche darin aushalten. Leana schaffte es bereits seit mehreren Monaten und langsam gewann sie den Eindruck, dass sie tatsächlich ihre Menschlichkeit schon vor Langem eingebüßt hatte, genau wie alle anderen Mitglieder.

„Magst du mir dennoch erklären, warum du 'Reimeis' Meister gerettet hast?“

Sie biss sich auf die Unterlippe. Eigentlich hatte sie gehofft, ihr würde noch ein wenig Zeit bleiben, ehe sie eine Erklärung finden müsste, die auch die drei obersten Mitglieder zufriedenstellte, aber nun würde sie improvisieren müssen: „Mir war nicht bewusst, dass es sich bei ihm um einen Feind handelt. Ich war zwar bei manchen Kämpfen anwesend, aber seinen Auftritt muss ich dabei immer verpasst haben.“

Da jeder darauf verzichtet hatte, ihr einen Kurs zu geben, was ihr Feinde betraf, war sie davon überzeugt, dass Medario ihr das abkaufen würde – und tatsächlich tat er das.

„Ich verstehe. Fortan solltest du aber aufhören damit, diesem Jungen helfen.“

Sie nickte. „Okay, verstanden.“

Er lächelte auf eine Art und Weise, die Leana verriet, dass er sie am Liebsten direkt in Stücke gerissen hätte, doch stattdessen ließ er sie ganz und verschwand wieder.

„Er war es, der Setoki geschubst hat, oder?“

„Es war Nerida“, antwortete Isolde. „Aber das kommt wohl auf dasselbe heraus.“

Leana stieß ein Seufzen aus und legte den Kopf in den Nacken. „Ich wünschte, es wäre schon vorbei...“
 

Jatzieta ignorierte die neidischen Blicke der umstehenden Bahnhofsbesucher, während sie vorsichtig Nozomus Bein abtastete. Er dagegen fühlte sich unbehaglich, es kam nur selten vor, dass er so viel Aufmerksamkeit auf sich zog und dass er gleichzeitig brennende Eifersucht in den Augen der Wartenden erkennen konnte, machte die Sache nicht besser.

„Also verletzt ist das Bein nicht“, stellte Jatzieta fest. „Aber es kann sein, dass es geprellt ist. Kannst du es immer noch nicht bewegen?“

„Doch, es geht inzwischen wieder.“

Zwar schmerzte es noch immer, aber immerhin spürte er langsam wieder etwas und konnte das Bein auch wieder bewegen, ohne vor Schmerzen wieder in sich zusammenzusinken. Er hatte schon fast bereut, Jatzieta angerufen zu haben, aber sie war überraschend schnell gekommen – oder zu seiner Hilfe geeilt, wie sie es nannte.

„Wollen wir uns dann auf den Rückweg machen?“

Er konnte sie schlecht dazu überreden, gemeinsam mit ihm die Adresse aufzusuchen, die Satsuki ihm genannt hatte, deswegen nickte er zustimmend. „Ja, gehen wir.“

Sie half ihm, aufzustehen und ging dann gemeinsam mit ihm davon, ohne die enttäuschten Blicke der anderen Wartenden zu beachten. „Solltest du nicht eigentlich in der Schule sein?“

Er runzelte die Stirn. „Ja, aber unser Nachhilfelehrer hat mich gewissermaßen... verunsichert.“

„Oh? Wie heißt er denn? Vielleicht kenne ich ihn und kann ihn dann ein wenig tadeln.“

Sie zwinkerte ihm zu, was dazu führte, dass er vorbehaltlos antwortete: „Nathanael Voss.“

Doch im selben Moment bereute er bereits, das getan zu haben, denn ihr Blick verdüsterte sich augenblicklich. Er wusste sofort, dass sie ihn kannte und keine positiven Erinnerungen mit ihm verband – und er wusste, dass sie Salles davon erzählen würde.

Das Errettungskomitee

Am nächsten Morgen stand Nozomu früher auf als alle anderen, um sich heimlich aus dem Haus zu schleichen und den Weg zu der Adresse einzuschlagen, die Satsuki ihm genannt hatte. Wenn er schon am Tag zuvor darauf hatte verzichten müssen, wollte er nun so schnell wie möglich dorthin. Außerdem verspürte er einen innerlichen Abscheu gegen den Gedanken, wieder zu Nathanael Voss in den Unterricht zurückzukehren.

Um nichts in der Welt wollte er das tun und so vermied er es tunlichst, Salles oder Jatzieta am Morgen zu begegnen, um auf jeden Fall der Gefahr auszuweichen, dass einer von ihnen ihn dazu überreden könnte, doch den Nachhilfeunterricht aufzusuchen.

An diesem Tag schaffte er es ohne jede besondere Vorkommnisse, in den richtigen Zug einzusteigen, da es noch früh war, gab es außer ihm auch nicht sonderlich viele andere Passagiere. Es waren gelangweilte Geschäftsleute in billigen Anzügen und mit viel zu großen Hornbrillen, mit deren Hilfe sie die neueste Zeitung lasen, bei der die Druckerschwärze noch derart frisch war, dass sie Spuren auf den Fingern der Männer hinterließ und auch noch deutlich riechbar war.

Während sie sich mit jeder Station dem Norden näherten, stiegen diese Männer allesamt aus, keiner von ihnen beabsichtigte, in das reiche Viertel zu fahren, was Nozomu nur recht sein konnte.

Er versuchte die Fahrt über nachzudenken, über das, was er sagen und fragen sollte, aber seine Gedanken waren vollkommen leergefegt und seine Überlegungen huschten immer wieder davon, wenn er es wagte, auch nur eine Sekunde lang nicht auf sie zu achten, daher gab er es auf.

Als er schließlich ausstieg, stellte er fest, dass auch der Bahnhof wie verlassen dalag, weswegen ihn nichts davon abhielt, diesen schnell hinter sich zu lassen. Es war das erste Mal, dass er sich in einem Viertel der höheren Gesellschaftsschicht befand, daher war er recht überrascht, als er feststellte, dass es keinerlei große Villen mit ausschweifenden Grundstücken gab, sondern lediglich Familienhäuser, die sich nach außen höchstens durch Farbe oder andersartige Fenster voneinander unterschieden. Wenn er allerdings den allgemein vorherrschenden Platzmangel, der in Japan herrschte, bedachte, war es wohl nur allzu verständlich, dass man auch hier nicht gerade mit großen Gärten protzen konnte.

Es dauerte nicht lange, bis er vor dem Haus stehenblieb, dessen Adresse Satsuki ihm genannt hatte. Ein Messingschild an der Eingangstür verriet, dass der Besitzer des Hauses Nanafe hieß. Spontan konnte er sich nicht an diesen Namen erinnern, weswegen er umso neugieriger war, wer ihn willkommen heißen würde. Aber er war sich fast sicher, dass es sich hierbei um das Zuhause eines Mitglieds des Errettungskomitees handelte.

Als er die Klingel betätigte, erklang ein melodiöser Ton, der ihm derart gefiel, dass er am Liebsten sofort noch einmal draufgedrückt hätte, aber er beherrschte sich noch einmal, um nicht noch einen negativen Eindruck auf die Bewohner zu machen.

Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde und er sich einer jungen Frau gegenübersah, die eine Hausmädchenuniform in einem gedeckten Braun trug. Ihr grünes Haar war zu einem Zopf gebunden, ihre blauen Augen blickten einladend, aber Nozomu war im ersten Moment dennoch zu sprachlos, um etwas zu sagen, auch wenn er wusste, dass sein Schweigen unhöflich war. Es war das erste Hausmädchen, das er außerhalb eines Anime oder Manga sah und noch dazu hätte er nicht erwartet, ein solches in dieser Gegend anzutreffen.

„Herzlich Willkommen“, flötete sie mit melodischer Stimme. „Wie kann ich helfen?“

Er fand seine Stimme wieder, indem er schluckte. „Ich bin Nozomu Setoki.“

Eine kurze Pause entstand, als er seine Gedanken zu ordnen versuchte, doch noch während er sich dafür schalt, sich das nicht im Vorfeld überlegt zu haben, brach sie das Schweigen wieder: „Wir haben dich bereits erwartet, komm ruhig herein.“

Er folgte der Aufforderung und dachte sich auch nichts weiter dabei. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte Satsuki erwähnt, dass er erwartet werden würde, mit Sicherheit war die Ankündigung von ihr gekommen.

Das Dienstmädchen, das sich als Philomela vorstellte, führte ihn durch das Haus, das jegliches Flair vermissen ließ, das man sonst im Fernsehen in den Behausungen der Reichen zu sehen bekam. Kein Marmor, keine geschmacklosen Statuen, keine teuren Teppiche und nicht einmal etwas, das mit Gold überzogen war. Er war beinahe schon enttäuscht.

Erst als er in ein Büro geführt wurde, bekam er etwas von dem gewünschten Flair. Ein Panoramafenster erlaubte einen großzügigen Blick auf den Garten mit seinem gepflegten Rasen und einem farbenfrohen Blumenbeet. Vor dem Fenster stand ein sperriger Schreibtisch aus dunklem Holz, auf dem sorgsam sortierte Unterlagen abgelegt waren.

Sein Blick wanderte über die schicken Aktenschränke und blieb an dem hängen, was in der Ecke stand. Es war ein seltsames Gebilde, das mit nichts vergleichbar schien, was Nozomu zuvor je gesehen hatte. Aber es erinnerte ihn entfernt an einen roten Roboter... oder eine Miniatur davon.

Er widerstand dem Drang, dieses Etwas zu berühren, um festzustellen, ob es wirklich aus Metall oder aus Plastik war. Stattdessen wandte er sich der Person zu, die ihn erwartet hatte – und erschrak.

Es war nicht die Tatsache, dass sie violettes Haar und ebenfalls violette Augen hatte, auch nicht, dass sie ein höchstens elfjähriges Mädchen zu sein schien, nein, es waren die Katzenohren auf ihrem Kopf und der buschige violette Schwanz, der aus ihrer Kleidung herausragte.

Die Ohren bewegten sich sacht, während er sie musterte, aber dennoch glaubte er, dass es sich dabei um ein Cosplayzubehör handelte. Erst vor kurzem hatte er einen Artikel gelesen, in dem über die neuartigen Ohren berichtet wurden, die sich durch eingebaute Elektronen sogar je nach Willen des Trägers bewegten, möglicherweise gab es so etwas nun auch für Schwänze. Aber auch hier widerstand er dem Drang, nachzuprüfen, ob sie echt waren oder ob es sich bei ihr um eine Cosplayerin handelte. Er konzentrierte sich besser auf das Gespräch.

Sie wartete geduldig, bis er ihr wieder ins Gesicht sah, dann lächelte sie. „Herzlich Willkommen, Nozomu.“

Ihre Stimme klang überraschend erwachsen, das verwunderte ihn sichtlich, aber sie störte sich nicht daran, sondern behielt ihre Contenance bei. „Mein Name ist Naya Tatca Nanafe, ich bin die Anführerin des Erhaltungskomitees.“

Seine Verwunderung kannte keine Grenzen, er schaffte es schon gar nicht, seine Augen noch weiter aufzureißen. Offenbar war sie solche Reaktionen aber bereits gewohnt, denn sie zeigte sich nicht einmal amüsiert. „Satsuki hat mir bereits gesagt, dass du heute kommen würdest. Du hast Nathanael getroffen und hast jetzt viele Fragen, die Salles dir nicht beantwortet, nicht wahr?“

„Du... Ihr kennt die beiden?“

Sie nickte. „Richtig. Früher waren sie beide Schüler meines Vaters, der das Erhaltungskomitee gegründet hat. Sie waren Waisenkinder, mit dem Potential Shinken zu führen, deswegen nahm mein Vater sich ihrer an. Er war der Überzeugung, dass die Menschen es verdient hätten, gerettet zu werden und dies gab er an seine Schüler weiter.“

Dass sie eine gemeinsame Geschichte hatten, wunderte ihn gar nicht, immerhin sahen sie sich auch beide irgendwie ähnlich. Aber dass sie einmal ein Teil des Erhaltungskomitee gewesen waren...

„Damals bestand das Komitee nur aus vier Leuten“, fuhr sie ungebeten fort. „Meinem Vater, Salles, Nathanael und Ryuka.“

Der letzte Name war unbekannt für ihn. Aber es war ein Frauenname und wie er aus Büchern, Filmen und Serien wusste, waren es immer Frauen, die eine Veränderung über Männer und ihre Freundschaft brachten.

„Salles und Nathanael wuchsen wie Brüder auf, die um das Amt des Nachfolgers meines Vaters konkurrierten und dabei immer Freunde blieben.“

Wie Geschwister eben, stellte Nozomu in Gedanken fest.

Naya schloss die Augen und zog die Brauen zusammen, als würde sie sich an etwas besonders Schlimmes erinnern. „Aber eines Tages verlor Nathanael die Kontrolle über sein Shinjuu, das daraufhin zum Berserker wurde und Ryuka tötete.“

Es fiel ihm schwer einzuschätzen, wie die beiden darauf zu reagieren hätten, weil er nicht wusste, wie nahe sie ihr gestanden waren, aber allein die Vorstellung, dass sein Shinjuu oder das von Zetsu jemanden umbringen könnte, den er kannte war furchtbar und schnürte ihm die Kehle zu. Das erklärte ihm zumindest ein wenig, weswegen Salles so unterkühlt und verbittert wirkte.

„Dieses Ereignis erschütterte das Leben der beiden und änderte es nachhaltig. Nathanael zog sich zurück und gab sich ganz der Wissenschaft hin, in einem Versuch, Ryuka neu zu erschaffen.“

Ein eiskalter Schauer lief an seinem Rückgrat hinab, ihm kamen sofort allerlei Zombiefilme in den Sinn, in denen eine Invasion dieser Menschenfresser durch solche Experimente ausgelöst worden war. Aber er hätte niemals gedacht, dass so etwas im wirklichen Leben sein könnte.

Andererseits hätte ich auch nie gedacht, dass es Menschen mit magischen Waffen gibt, die gegeneinander kämpfen.

„Mein Vater beschloss, dass es besser wäre, Salles als seinen Nachfolger zu bestimmen und so übernahm er die Führung nach dessen Ableben.“

Für einen kurzen Moment trat Trauer in ihren Blick, aber sie hatte sich erstaunlich gut im Griff, denn schon gleich darauf sah sie wieder so neutral aus wie zuvor. „Irgendwann verschwand Nathanael, es hieß, er sei seinen eigenen Experimenten zum Opfer gefallen – und im Zuge dessen verließ Salles das Errettungskomitee, um das Erhaltungskomitee zu gründen.“

Sie runzelte ein wenig die Stirn, so als könne sie nicht verstehen, weswegen er dieses – ihrer Meinung nach – schlechtere Ziel verfolgen sollte, wenn er doch bereits dabei gewesen war, den Menschen ewiges Glück und Wohlstand zu sichern.

Aber Nozomu wusste nach Jahren der Therapien, auch ohne mit Salles darüber sprechen zu müssen, warum er sich derart entschieden hatte: Glück lag bereits im Alltag, in jedem kleinen Moment, den man ohne Depressionen erlebte und nur auf diesem Weg war es einem Menschen auch wirklich möglich, glücklich sein zu können. Denn wenn man im ewigen Wohlstand schwelgte, wusste man doch irgendwann gar nicht mehr, wie gut es einem ging.

Am besten ist es, wenn alles so bleibt, wie es ist... ich bin sicher im richtigen Komitee.

„Aber Nathanael lebt“, erwiderte Nozomu.

Naya nickte. „Ich weiß – und er ist nun einer der Verantwortlichen im Zerstörungskomitee.“

So ganz verstand Nozomu den plötzlichen Umschwung dieses Mannes nicht, nachdem er versucht hatte, das Errettungskomitee leiten zu dürfen. Aber mit Sicherheit gab es dafür den ein oder anderen Grund, den er nur noch nicht kannte.

„Hat dir das deine Fragen beantwortet?“, fragte Naya freundlich.

„Absolut... nicht. Mich interessiert die Geschichte der Komitees nicht wirklich, es geht mir um etwas anderes.“

Auch wenn er den Exkurs doch relativ interessant fand und er sich das auf jeden Fall merken würde.

Naya blickte ihn auffordernd an, so dass er weitersprach: „Warum sind alle hinter mir her? Was habe ich mit Jiruol zu tun?“

Da keiner aus seinem Komitee ihm diese Frage beantwortete und er nicht daran dachte, sich auf eine Unterhaltung mit diesem unangenehmen Nathanael einzulassen, konnte er das nur Naya fragen und hoffen, dass sie ihm endlich Rede und Antwort stehen würde.

„Weißt du, dass Jiruol als Gott der Zerstörung bekannt ist und was er getan hat?“

„Ja, Nathanael hat uns gestern im Unterricht davon erzählt.“

Naya wirkte über diese Antwort nicht sonderlich glücklich, nickte aber. „Gut, dann kann ich mir das bereits sparen. Sicherlich weißt du dann auch bereits, dass du sein Tenseitai bist?“

Er wusste, dass dieses Wort für eine Reinkarnation stand, also genau das, was er bereits vermutet hatte, auch wenn ihn das nicht sonderlich erleichterte. Also nickte er zustimmend.

„Mit Sicherheit weißt du auch, dass wir alle um den Götternamen kämpfen – und es heißt, dass Jiruols Tenseitai derjenige ist, der den Namen am Ende erringen wird.“

Das war allerdings neu für Nozomu, aber es erklärte, weswegen um ihn solch ein Aufhebens gemacht wurde, während Subaru von keinem der Komitees beachtet wurde. Es waren also nicht nur die Kräfte Jiruols, sondern auch diese... diese...

„Ist das Teil einer Prophezeiung?“

„Nicht wirklich“, antwortete sie. „Aber Narukana hat es uns verraten.“

Der Name sprach etwas in seinem Inneren an, eine Erinnerung und gleichzeitig eine gewisse Freude, aber er konnte nicht wirklich etwas mit diesem Gefühl anfangen. „Wer?“

„Die jetzige Trägerin des Namens heißt Narukana... wusstest du das etwa nicht?“

Sie schien wirklich erstaunt darüber, dass er noch nie von ihr gehört hatte, offenbar war der Name ein offenes Geheimnis zwischen den Komitees.

„Dabei solltest du sie bereits gesehen haben.“

Naya winkte ihn mit sich und führte ihn zu einer Nische, in die er bislang nicht hatte sehen können. „Das hier ist sie.“

Sie deutete auf ein dort hängendes Porträt, das eine junge Frau mit langem schwarzen Haar zeigte. Nozomu sog erschrocken die Luft ein, als er sie erkannte – es war eindeutig dieselbe Person, die ihm seit seiner Ankunft in der Stadt immer wieder begegnet war.

Freunde

So langweilig ihm der Beruf am Anfang erschienen war, so glücklich war er inzwischen darüber. Es gab kaum Gäste während seiner Schicht und so konnte er sich ganz darauf konzentrieren, den Tresen abzuwischen oder Gläser zu reinigen, die noch von der Nachtschicht übriggeblieben waren.

Yuuto fand sein Glück zu Zetsus Erleichterung in der Küche, so dass er sich nicht weiter mit ihm auseinandersetzen musste. Normalerweise störte es ihn nicht weiter, aber in den letzten Tagen ging es ihm doch mehr darum, dass er allein war, um seinen Gedanken nachzuhängen.

Vieles von dem, was er in den letzten Tagen und Wochen getan hatte, ging ihm noch immer nach. Normalerweise störte es ihn nicht weiter, zu schauspielern und anderen Leuten etwas vorzumachen, aber in letzter Zeit schien es ihm immer schwerer zu fallen. Ob es an Nozomu lag? Oder Leana? Oder vielleicht etwas ganz anderem?

Vielleicht werde ich auch einfach alt.

Während er gedankenverloren zum wiederholten Mal in der letzten Zeit über den Fleck strich, der den Tresen verunstaltete und der sich erfahrungsgemäß nicht entfernen ließ, öffnete sich die Tür der Bar. Er setzte eines der strahlendsten Lächeln auf, das er beherrschte, ehe er sich dem Gast zuwandte. „Herzlich Willkommen! Wie kann ich Ihnen helfen?“

Doch als er sah, wer hereingekommen war, erstarb das Lächeln auf seinen Lippen. Nicht, weil er sich nicht über diesen Besuch freute, sondern weil er überrascht war, sie wieder einmal zu sehen. Auch wenn sie beide Tür an Tür wohnten, sah er sie nicht gerade oft in den letzten Tagen. „Leana, was führt dich hierher?“

Sie stand mitten im Raum, ein wenig unentschlossen, was sie nun tun sollte. Ein Anblick, den er reichlich... süß fand, wie er sagen musste. Wieder einmal entdeckte er eine Seite an ihr, die ihm durchaus gefiel und ihn noch interessierter sein ließ.

„Ich dachte, ich besuche dich mal wieder“, sagte sie schulterzuckend. „In letzter Zeit sehe ich dich selten. Du arbeitest viel, oder?“

„Ich versuche es jedenfalls.“ Immerhin lenkte ihn das von seinen ganzen Überlegungen ab und verhinderte, dass er Nozomu sehen musste, der immer noch nichts davon wusste, dass diese Freundschaft eigentlich nicht wirklich echt war.

Er vollführte eine einladende Handbewegung, direkt zum Barhocker vor sich. „Setz dich doch. Möchtest du etwas zu trinken?“

„Ein Glas Wasser, bitte.“

Mit einem charmanten Lächeln nahm er eines der frisch gespülten Gläser, holte eine Flasche Wasser hervor und schenkte ihr davon ein, ehe er es ihr reichte. „Hier, geht auf's Haus.“

Ihre Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben, als sie das Glas an sich nahm und einen Schluck trank. Danach setzte sie es wieder ab und blickte Zetsu durchdringend an.

„Was gibt es?“, fragte er erstaunt darüber, da er sie so sonst nicht kannte.

Normalerweise sah sie ihn immer genervt an, so als würde sie gar nicht schnell genug von ihm wegkommen können. Aber zumindest an diesem Tag war es wohl das Gegenteil.

„Ich habe nur gerade überlegt, ob ich dir etwas erzählen sollte...“

Etwas in seinem Inneren sagte ihm, dass es sich hierbei nur um einen psychologischen Trick von ihr handelte, aber er konnte sich seiner Neugier nicht entziehen. „Worum geht es?“

„Ich bin gestern Setoki begegnet.“

Sein Blick verfinsterte sich augenblicklich, als er das hörte. „Und? Warum sollte mich das interessieren?“

Da sie ohnehin bereits einmal erraten hatte, dass er die Freundschaft nur spielte, sah er keinen sonderlich großen Sinn mehr darin, ihr noch weiter etwas vorzumachen, jedenfalls wenn Nozomu nicht dabei war.

„Vielleicht solltest du wissen, dass ich ihm das Leben gerettet habe.“

Tatsächlich stutzte er einen Moment lang, aber kaum genug, dass es jemandem außer ihm selbst auffallen könnte. „Was ist passiert?“

Sie erzählte ihm von dem Erlebnis auf dem Bahnsteig, dem er unbeeindruckt lauschte. Jedenfalls nach außen, denn innerlich ertappte er sich selbst dabei, dass es ihm doch ein wenig Sorgen bereitete, dass es jemanden bei einer gegnerischen Fraktion gab, der Nozomus Ableben offenbar nicht nur in Kauf nehmen, sondern es auch aktiv herbeiführen würde, egal wie.

Doch auch als Leana fertig war, gab er keinerlei Zeichen von sich, aus dem man hätte schließen können, ob er froh war, dass sie Nozomu gerettet hatte oder nicht.

„Warum erzählst du mir das alles und nicht Salles oder sonst wem?“

Sie runzelte die Stirn und neigte irritiert den Kopf. „Salles?“

Er glaubte, Nanashis Stimme in seinem Inneren zu hören, die ihm sagte, dass sie ihm gerade nur vorspielte, den Anführer des Erhaltungskomitees nicht zu kennen, aber er ignorierte die Stimme seines Shinjuu, die ihn im Moment sogar noch mehr störte als sonst.

„Vergiss es einfach“, erwiderte er Leana gegenüber. „Aber ich verstehe trotzdem nicht, weswegen du mir das alles erzählst, wirklich nicht. Willst du dich bei mir einschmeicheln oder so?“

Ehe sie antworten konnte, beugte er sich ein wenig vor, das übliche, verspielte Grinsen auf dem Gesicht. „Dabei gibt es dafür gar keinen Grund, du bist mir doch jetzt schon ans Herz gewachsen, meine Liebe.“

Sie öffnete bereits den Mund, um empört zu widersprechen, beherrschte sich dann aber und sagte nichts. Stattdessen hob sie die Schultern. „Ich weiß auch nicht... ich kenne wohl nicht viele Leute hier, denen ich das hätte erzählen können.“

Er wollte etwas Sarkastisches darauf erwidern, ließ es aber lieber bleiben, immerhin kam es nicht oft vor, dass sie derart verständig ihm gegenüber war. Also war es möglicherweise besser, ihr gegenüber ebenfalls ein wenig netter und weniger sarkastisch zu sein.

Also schenkte er ihr ein ehrliches Lächeln, wie man es nur selten von ihm zu sehen bekam und das sogar seine Augen erreichte, die plötzlich nicht mehr ganz so kalt erschienen. „Weißt du, vielleicht sollten wir wirklich Freunde werden.“

Überrascht weitete sich ihre Augen. „Bitte?“

Sie neigte den Kopf ein wenig, verwirrt über das, was er ihr da eben vorgeschlagen hatte. „Wir sollen Freunde werden?“

Er wusste genau, was es war, das ihr bei diesem Vorschlag nicht zusagte, aber er beschloss, das einfach zu ignorieren und etwas anderes zu sagen: „Du hast recht, wir waren eigentlich die ganze Zeit über schon Freunde, wir müssen es erst gar nicht werden.“

Erneut wollte sie etwas erwidern und öffnete bereits den Mund, um das wirklich zu tun, doch dann schloss sie ihn wieder und lächelte. „Ja, ich denke du hast recht, wir sind schon lange Freunde.“

Und dass sie das derart einfach zugab, versicherte Zetsu darin, dass er einige Dinge richtig machte und sie eines Tages vielleicht sogar mehr als nur Freunde sein könnten. Bis dieser Tag kommen würde, würde er seine erste richtige Freundschaft seit langem genießen – und insgeheim hoffen, dass irgendwann vielleicht einmal mehr daraus werden würde, egal was er dafür tun musste.
 

Es fiel Nozomu schwer, den Blick von diesem Gemälde, das Narukana zeigte, zu nehmen, so dass er sie nur weiterhin mustern konnte. Die junge Frau trug keine Schuluniform auf diesem Porträt, sondern die Kleidung einer Schreinmaid, wenngleich sie braun, statt rot war und der Rock bereits auf ihren Oberschenkeln endete. Dafür trug sie schwarze Strümpfe, die ihr bis zu den Schenkeln reichten und ihre Ärmel waren derart lang, dass sie mit Sicherheit auf dem Boden schleiften, wenn sie zu laufen versuchte. Sie hielt die Augen auf diesem Bild geschlossen, die Hände auf Brusthöhe, um ein helles Licht darin zu halten.

Sie sah derart wunderschön und auch bekannt aus, dass es ihm für einen kurzen Moment den Atem verschlug, während er sie betrachtete.

„Narukana hat es euch erzählt?“, fragte Nozomu ein wenig irritiert, als er endlich wieder Luft holen konnte.

So ganz verstand er es immer noch nicht. Wenn Narukana sogar mit ihnen sprach, warum gab sie dann nicht einfach den Namen weiter und beendete somit diese sinnlosen Kämpfe?

Naya nickte. „Sie ist dir selbst schon erschienen, nicht wahr? Sie ist jedem von uns schon erschienen, manchmal in Träumen, manchmal in der Wirklichkeit und dabei hat sie uns gesagt, dass sie den Namen nur an Jiruol übergeben wird.“

Er deutete ein leichtes Kopfschütteln an, was sie sogar verstand, weswegen sie ihm direkt antwortete: „Sie und Jiruol waren Partner, bevor sie erstmals den Götternamen an sich bringen konnte. Ihr Wunsch erfüllte sich – aber dafür mussten sich die Wege der beiden trennen, denn der Träger des Götternamen hört auf, ein Mensch zu sein und kann nicht mehr unter diesen leben.“

Kaum hatte sie das gesagt, spürte er ein stechendes Schmerzen von Traurigkeit in seiner Brust, aber er verflog sofort wieder, da er sich mit keiner richtigen Erinnerung verknüpfen ließ.

„Jiruol schloss sich dem erneuten Kampf um den Götternamen an, um sich den eigenen Wunsch zu erfüllen, auch wenn niemand weiß, was er sich eigentlich wünschte.“

Er erinnerte sich, dass Nathanael ihnen von diesen Kämpfen erzählt hatte, aber seine Geschichte hatte wesentlich finsterer geklungen, als das, was Naya ihm gerade berichtete – jedenfalls bis sie fortfuhr: „In diesem Kampf wurde Jiruol seinem Ruf als Gott des Schlachtens gerecht, denn er tötete die anderen Götter einen nach dem anderen, um sich der Erfüllung seines Wunschs zu nähern.“

Noch immer wollte er nicht darüber nachdenken und sich in Erinnerung rufen, was Jiruol ihm zu zeigen versuchte. Es war einfach viel zu grausam und er wollte auch nichts mehr davon wissen.

„Du weißt ja selbst, dass es mit dem Tod von Jiruol und Rutsuruji endete, die beide als letzte Götter gestanden hatten...“

Wieder schien es ihm als würde ein Blitz vor seinen Augen zucken, dann entdeckte er erneut einen Mann mit silbernem Haar und dem eisblauen Auge, das ihn spöttisch ansah und plötzlich kam ihm dieser sogar bekannt vor, aber noch ehe er ihn wirklich einordnen konnte, schwand das Bild wieder.

Dieses Mal schwieg Jiruol, die ganze Erzählung über hatte er sich nicht gerührt, fast schien es ihm als wäre der Gott darüber sogar erfreut, immerhin fehlte Naya auch der bedrohliche Unterton, den Nathanael umgeben hatte.

Allerdings gab es da immer noch eine Sache, die ihn ein wenig ratlos zurückließ.

„Was hat er sich gewünscht?“, fragte Nozomu, während er gedankenverloren das Gemälde betrachtete und sich selbst im Moment nur wünschte, herauszufinden, was die beiden einst verbunden hatte und welchen Wunsch der Gott hatte äußern wollen.

Und während er den Blick konzentriert auf das Licht in Narukanas Händen gerichtet hielt, glaubte er plötzlich, dieses aufflammen zu sehen, bis es seine Augen überschattete und er im vollkommenen Weiß die amüsierte Stimme der Göttin hören konnte: „Ich werde dir diesen Wunsch erfüllen, Nozomu Setoki.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (36)
[1] [2] [3] [4]
/ 4

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  LeanaCole
2020-02-25T20:39:53+00:00 25.02.2020 21:39
Whaaaaat!? Ich habe damals keinen Kommi zu dem Kapitel geschrieben, obwohl es so viel Lea hat!? Schande über mich! Forgive me! T__T
Ich fand das Kapitel vom Inhalt her awesome. Klar, dass dein Schreibstil heute tausend mal besser ist, als damals. Trotzdem ist es trotzdem sehr angenehm zu lesen und es fällt kaum auf, dass es schon sooo alt ist *lol*
Anyway. Das Lea ihrem Instinkt gefolgt ist und Nozomu gerettet hat, finde ich so awesome. Es zeigt halt, dass sie im Herzen ein Ritter ist... well, hier eher weniger, weil es keine Ritter gibt, aber du weißt, wie ich das meine.
Auch das sie Kontakt mit Nozomu hier hat, ist echt cool. Ich finde es schade, dass sie so gut wie keinen Kontakt zu den anderen hat... nur halt zu Zetsu. Natürlich macht das Sinn, weil Lea ein sehr verschlossener Mensch ist und es ziemlich lange dauert, bis sie sich jemanden öffnet. Aber ich finde, dass dies schon mal ein guter Anfang war. Ich hoffe, dass sie in Zukunft mehr Kontakt mit den anderen hat. Denn sie kann sehr gesellig sein, wenn sie will XD
Medarios Auftritt fand ich auch toll. Beim Lesen hatte ich auch ein wenig Respekt vor ihm, weil er so... gefährlich rüberkam.
Außerdem wurde mehr über das Zerstörungskommitee und ihre Strukturen erzählt. Das fand ich sehr interessant, weil man dazu bislang noch nicht viel gelesen hat... was auch Sinn ergibt. Wir stehen immerhin auf der Seite des Erhaltungskommitee *grins*

Es war nicht leicht, in das Zerstörungskomitee zu kommen und dort nicht unterzugehen, ein normaler Mensch würde es mit Sicherheit nicht einmal eine Woche darin aushalten. Leana schaffte es bereits seit mehreren Monaten und langsam gewann sie den Eindruck, dass sie tatsächlich ihre Menschlichkeit schon vor Langem eingebüßt hatte, genau wie alle anderen Mitglieder.

Der Teil ist mein Highlight in diesem Kapitel. Weil es einerseits total traurig ist, dass Leana glaubt ihre Menschlichkeit verloren zu haben (obwohl dem nicht so ist). Es zeigt aber auch, wie standhaft sie sein kann. Wie bei den Sospita-Rittern erträgt sie solch harten Situationen stoisch, wenn sie der Überzeugung ist, dass es sein muss. Sie ist auf der einen Seite so stark... aber sie kann auch so unglaublich schwach und sensibel sein, wenn sie sich öffnet. Ich finde, dass du Leana hier so gut auf den Punkt gebracht hast und das finde ich richtig klasse ^^
Von:  LeanaCole
2010-12-29T10:58:48+00:00 29.12.2010 11:58
wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie ziemlich furchteinflößend werden.

Die haben alle Angst vor dem schrecklichen Nozomin-Punch!!!! XD

Er braucht wirklich mal Urlaub

Salles und Urlaub? Never! XD

aber das war möglicherweise der Antrieb gewesen.

Es reichen bereits Erzählungen, um Yumiko zu begeistern X3

Als so clever hatte Nozomu seine Kindheitsfreundin gar nicht eingeschätzt.

Nozomu ist so fies XD

Dabei zwinkerte er Yumiko und Misato zu, die beide nur leise kicherten.

Kouin lässt nichts anbrennen *lach*

und seltsamerweise störte es Nozomu plötzlich nicht mehr so sehr wie der Gedanke zuvor daran.

Du wirst weich, Noz *grins*

„Yumiko sagte, ich soll sitzenbleiben, also habe ich das getan.“

Yumiko ist raffiniert~

Offenbar hasste sie ihn doch nicht so sehr wie sie immer vorgab

OMG!!!! Satsuki liebt Zetsu!!!11elf1!!11

„Du hast mich genau verstanden~“

Hat er nicht. Er ist ein Mann *lach*

Sie lächelte entspannt, was Nozomus Brust mit einem warmen Gefühl erfüllte. Er würde dafür kämpfen, dieses Lächeln öfter zu sehen – am besten so oft wie möglich.

Sag ich dich. Er wird weicher XD

Joar. Das Kapitel hat mir ganz gut gefallen. Aber jetzt bin ich neugierig zu wissen, was zwischen Satsuki und Zetsu vorgefallen ist. Du machst mich immer so neugierig und quälst mich damit. Du bist voll fies und so XDDDD
Von:  LeanaCole
2010-07-30T09:09:18+00:00 30.07.2010 11:09
My. Das Kapitel war recht kurz, weswegen ich gar nicht so genau weiß, was ich sagen soll XD
Obwohl mir was aufgefallen ist. Zetsu wundert sich darüber, dass Leanas Eltern keine Ähnlichkeit mit Isolde haben und daraus schließt, dass sie Leas Shinjuu ist. Aber hat Isolde nicht gesagt, dass sie nur adoptiert wäre? Also ist doch klar, dass da keine Ähnlickeit besteht XD
Natürlich kann da keine sein, weil sie ja ein Shinjuu ist. Aber ich wollte das nur mal erwähnen XD

Leanas spartanisch eingerichtete Wohnung irritiert mich etwas. Natürlich passt das zu ihr, aber irgendwie ist es etwas ZU spartanisch XD
Liegt aber wahrscheinlich an mir. Ich bin sowas nicht gewohnt *lach*

Außerdem bin ich überrascht, dass Zetsu wegen den Komitees so wankelmütig ist. Ich dachte immer, er wäre von seiner Meinung überzeugt, dass es Dinge gibt, die erhalten bleiben müssen XD
Von:  LeanaCole
2010-07-24T11:42:24+00:00 24.07.2010 13:42
Kaum lese ich wieder den Anfang, schon möchte ich Nozomi eine reinhauen! Sie ist SO nervig! Und so aufdringlich! Argh, ist das ätzend! *Nozomi tret*
Ha-Ha! Salles schimpft sie aus! Hat sie verdient >D

Aber wieso ist Zetsu so fies zu Noz? Sie sind doch Freunde T____T
*Zetsu hau*
Schäm dich! Aber ich verzeihe dir nochmal, weil du dir ja nur Sorgen um Lea machst XD
Waaah~ Ich finds so süß, wie er direkt an ihre Tür klopft, um sie zu sehen. Und dann gleich bei ihr bleiben will. Ich kann das nächste Kapi gar nicht abwarten. Schreib schnell weiter X3


Von:  LeanaCole
2010-07-17T12:37:00+00:00 17.07.2010 14:37
Yuutos Gruppe ist ziemlich faul, wenn die erst ihre Shinjuu einsetzen und darauf warten, dass die Katima und Aigears besiegen XDDD
Machen die das immer so? *lol*

Akitsuki und Leana dagegen waren nicht mehr zu sehen
Die haben sich verzogen und haben sich jetzt im Geräteraum lieb XD

Lea: -.-


*lach*
Ich finde es aber so süß, wie Zetsu direkt springt, sobald Lea schreit. Auch wenn es eine Falle war XD

Außerdem gefällt mir die Beschreibung, die du gemachst hast, als Jiruol versucht hat die Oberhand zu gewinnen. Richtig gut beschrieben mit Übelkeit und so. Genauso stelle ich mir das auch vor.

Aus dem Nichts ließ die Vorangestürmte ihre Sense erscheinen. Schützend, mit entschlossenem Blick, stellte sie sich vor Nozomu. „Niemand wird ihn verletzen!“
Seht und staunt, wie Nozomi sich wieder aufspielt. Das ist so typisch für sie XD

Ich frage mich, wie eine seelenlose Person ihre Seele spüren kann. Also einerseits ja, aber andererseits... es verwirrt mich XD
Wie kommt es dann, dass sowohl Katima als auch Aigears dann Salles angreifen, um den Stein zu bekommen. Das muss bedeuten, dass irgendwo noch ein Rest ihrer Seele im Körper sein muss. Denn sie verhält sich in diesem Moment nicht wie eine seelenlose Puppe. Nicht zu vergessen, dass sie den Stein entschlossen zu Boden wirft.

Muhahahaha! Ich liebe es, wenn Yumiko ihren Bogen einsetzt. Sie ist so awesome! *______*
Und mein Charakter, ha ha~ XD

Anyway. Im Großen und Ganzen hat es mir sehr gefallen. War schön spannend und hatte tolle Beschreibungen. Nur diese Sache mit Katima hat mich ein wenig verwirrt.


Von:  LeanaCole
2010-04-02T11:41:58+00:00 02.04.2010 13:41
Außer den Bakterien in der Mülltonne? Also das finde ich ja doch ein wenig seltsam XD

Ich verstehe ja immernoch nicht, was an Suzume so toll sein soll, dass das Zerstörungskomitee was von ihr will. Sie hat doch nicht mal ein Shinken XD
Sehr mysteriös~

Hoi, Espelia! :D
Endlich bekommt auch sie mal einen Auftritt~ Ich mag sie, obwohl sie ja doch ein wenig zu fürsorglich ist, für meinen Geschmack XD
Also würde sie mich so oft mit Fragen um mein Wohlbefinden nerven, nachdem ich ihr gesagt habe, dass es mir gut geht, würde ich sie treten XD
Aber das bin nur wieder ich~
Jedenfalls finde ich diese Kombination Kouin/Espelia doch recht interessant. Yuuto/Aselia passen ja prima zusammen und auch Kyoko/Orupha ist auch sehr passend, finde ich. Kouin und Espelia hingegen... ich will jetzt nicht sagen, dass es unpassend ist, aber die Kombination ist doch recht interessant, finde ich XD

Mir ist ja aufgefallen, dass die EnA-Charas ja die Spirits haben (is ja logisch XD), aber es scheint ja hier so, als seien die Spirits eine besonders Gattung von Shinjuu. Und nur das Komitee um Satsuki scheint diese Spirits zu haben (nur Satsuki ja selber nicht, was auch wiederum seltsam ist XD).
Während das Komitee um Noz ja die normalen "Shinjuu" hat. Jetzt frage ich mich, ob das Zerstörungskomitee auch eine spezielle Gattung an Shinjuu hat oder die mit dem Erhaltungskomitee gemeinsam hat. Sehr interessant :D

Genau wie wie die roten Lakaien
Sorry, hier habe ich beim Betalesen nicht aufgepasst. Da sind zwei wie im Satz XD

Nerida ist mir ja sowas von unsympatisch, bäh! Aber ich mag ihre Tänzerinnen da. Sowas finde ich immer tollig XD
Obwohl ich den Kampf selber jetzt nicht so spannend fand, muss ich zugeben. Aber man kann ja nicht immer super epic Battle machen XD

Zu Kouin will ich noch sagen, dass ich ihn doch sehr gern mag, obwohl ich so gut wie nichts über ihn weiß, da ich insgesamt nur wenig von Eien no Aselia weiß. Aber bisher war er mir hier recht sympatisch und auch das bisschen, was ich im Anime gesehen habe, hat mir gefallen.

Von:  LeanaCole
2010-04-02T11:22:00+00:00 02.04.2010 13:22
Ich verstehe immernoch nicht, warum Rehme schläft. Sie ist doch ein Shinjuu und soweit ich weiß, brauchen die nicht zu schlafen oder zu essen. Ich wusste ja nicht mal, dass sie schlafen können XD
Ist sowieso, wie ich finde, ein interessantes Thema. Sobald ein Shinjuu das Aussehen eines Menschen hat (Rehme und Nanashi zum Beispiel), verhalten sie sich zum Teil auch so. Soll das bedeuten, dass sie gerne Menschen wären oder einfach nur ihr Dasein als Shinjuu nicht mögen?
Cheiron tut waschen und Kaffee kochen (XD), aber er schläft und isst ja nicht. Er unterstützt ja nur Satsuki, die ja scheinbar nicht waschen kann oder zu faul ist XD
Also bedeutet das automatisch, dass ein menschenähnliches Shinjuu sich auch wie ein Mensch verhält? Und auch Dinge will, die Menschen haben? *zur crappy Fandisk schiel*
Ah, moment. Das soll ja ein Kommi werden und keine Diskussion. Sorry XD

Also zum Kapitel: Baila tut mir ja voll leid. Die muss ja echt am Tod Shous zu knabbern haben. Finde ich aber interessant, dass sie zum Teil der Freundschaft von Shou und Subaru gemacht wurde. Wo die eigentlich nur zu zweit waren :3
Aber ich finde, dass sie da einen guten Platz hat. Einen anderen Platz hätte ich mir für Baila nicht vorstellen können.

Muhahahahaha! Lea ist so fies zu Zetsu. Ich liebe das XD
Der arme Kerl hat es echt nicht leicht mit ihr. Und trotzdem ist er so verrückt nach ihr. Ich finde das irgendwie tollig XD

Ich war ja ein wenig erschrocken, als Nozomi plötzlich ihr Misstrauen gegen Baila äußerte. Ausgerechnet Nozomi, die Mutter der Nation *lach*
Kleiner Scherz XD
Aber ich bin trotzdem ein wenig überrascht (wie die anderen XD), da das irgendwie nicht zu ihr passt. Ich frage mich, was sie an Baila so sehr stört, dass sie ihr misstraut. Vielleicht mag sie das Mädchen auch nicht, wer weiß?

Endlich hatte dann auch mal Subaru seinen Auftritt. Wurde meiner Meinung nach auch langsam Zeit XD
Bei der Harry Potter-Sache musste ich ja doch lachen. Das erinnerte mich wieder an "Irgendwo in dieser Welt", wo wir ja immer schöne Sticheleien gegen Twilight bekommen XD
Ich fands ja übrigens süß, wie besorgt Subaru um Baila ist. Er ist einfach zu tollig X3

Ich habe mich ja ein zweites Mal wegen Nozomi erschreckt, weil sie Yumiko ja nicht "an die Gurgel" gesprungen ist, weil sie "mein Nozomu-chan" gesagt hat. Normalerweise wird sie dann doch immer sauer XD

Jedenfalls ein nettes und ruhiges Kapitel... mit was zum Lachen XD
Von:  LeanaCole
2010-04-02T11:02:25+00:00 02.04.2010 13:02
Waaaah~ Ich fand den Kampf zwischen den beiden Männern so tollig~ Dabei bin ich kein großer Salles-Fan XD
Aber hier war er einfach nur cool~ Ein Kampf, der mit Magie ausgefochten wird, ist echt mal was anderes, als das ewige Klingen kreuzen der anden Shinken-Träger. Defenitiv einer meiner Lieblingskämpfe von dir :3
Sowieso, muss ich sagen, hast du diesen Kampf sehr gut beschrieben. Nicht perfekt, aber du bist auf jeden Fall sehr viel besser geworden ^^

Außerdem fand ich es soooo süß, wie Zetsu sich mit Gyouten schützend vor Lea gestellt hat XD
Dabei hat sie eigentlich ein Shinken~ Aber trotzdem total sweet~
Das Shun das amüsiert hat, ist mir ganz klar. Der hat auch nichts anderes zutun, denke ich XD
Der stand eh nur doof da und hat sich innerlich sicher über die anderen kaputt gelacht XD

Übrigens gefällt mir der Name des Kapitels. Passt echt gut, finde ich ^^
Von:  LeanaCole
2010-02-27T16:24:46+00:00 27.02.2010 17:24
Wieder ein (fast) gelungenes Kapitel... meiner Meinung nach XD
Besonders hat mir natürlich der Kampf zwischen Zetsu und Lea gefallen *kicher*
Zetsu hat Lea nur gewinnen lassen. Er ist mit Sicherheut besser, als sie XDDD

Irgendwie hat mir aber was gefehlt. Irgendwie kam die Turnier-Stimmung nicht rüber, finde ich. Ist mir aber erst beim Lesen eben wieder aufgefallen. Insgesamt habe ich irgendwie das Gefühl, dass nach dem Gespräch mit Salles und den anderen alles nur geschrieben wurde, damit es zum Kampf gegen Katima führt. Was dazwischen war, kam mir irgendwie so... komisch vor XD

Aber was ich auch noch toll fand, war die Beschreibung der seltsamen Beziehung zwischen Zetsu und Lea. Das war so passend XDDD
Von:  LeanaCole
2010-02-02T10:57:08+00:00 02.02.2010 11:57
Yeah, Jatzi. Du hast so recht. Du wärst mit Sicherheit eine Mary Sue *lach*

Mal sehen. Was kann ich noch sagen, was ich nicht schon in der ENS gesagt habe?
Ach ja. Genauso habe ich es gemeint, als ich versuchte das richtige Wort für Salles Ton zu finden. Gelangweilt ist genau der richtige Ausdruck XDDD

Übrigens: Als Katima ihr Schwert wie einen Baseballschläger benutzt hat, musste ich an Lea denken, weil sie das in Sopsita auch mal gemacht hat. Ich glaube bei ihrem ersten Kampf gegen Panthera XD

Was kann ich sonst sagen? Also ich fand es gut geschrieben und auch mit den ganzen Gefühlen war das kein Problem. Ich finde es gut, dass du das gemacht hast, weil so ist es auch viel unterhaltsamer XD

Ich hoffe mal, dass es schnell weitergeht, weil bei Göttername warte ich nur ungerne XD




Zurück