Irrtum: Es ist besser, wenig zu verdienen, als gar nichts zu verdienen.
"Es ist OK, als Künstler Aufträge anzunehmen, bei denen man weiß, dass man sich weit unter Wert verkauft. Es ist besser, wenig zu verdienen, als gar nichts zu verdienen."
Die Krux des Preisdumpings. Wenn andere Illustratoren für 100 Euro zeichnen, dann zeichne ich für 90 Euro und schon kommen die Kunden lieber zu mir, als zu den anderen. Einfaches Prinzip. Wenn es da nicht ein klitzekleines wirtschaftliches Problem geben würde.
Klar, einerseits schadet ihr euch damit selbst. Wer will schon für einen Stundenlohn von 20 Cent arbeiten? Andererseits richtet ihr damit größeren Schaden an, als nur an euch selbst. An dieser Stelle zitiere ich einen Artikel, den ich vor einigen Jahren schon geschrieben habe.
Ihr schadet damit der gesamten Künstlerszene in erheblichem Maße.
Ich erkläre euch mal, wohin Preisdumping führt. Stellt euch Folgendes vor. Es gibt zehn etablierte professionelle Künstler, die alle etwa gleich gut sind und alle im gleichen Stil malen. Einer dieser Künstler, nennen wir ihn Künstler Eins, hält sich selbst für nicht ganz so gut, findet seine Arbeiten nicht wirklich wertvoll, hat ein etwas angeknackstes Selbstbewusstsein und verkauft seine Werke für weniger als die Hälfte des Preises, den die anderen neun Künstler verlangen.
Künstler Eins kommt mit einem Kunden ins Gespräch. Dieser Kunde sieht die Werke, findet die prima und möchte sie vervielfältigen und verkaufen. Er fragt Künstler Eins nach seinem Preis und Künstler Eins nennt einen unfassbar niedrigen Preis, der wie gesagt wesentlich niedriger ist als der der neun anderen Künstler. Der Kunde hat noch keine so richtige Ahnung, wie viel so ein Bild wert ist. Er ist Geschäftsmann und handelt – seinem natürlichen Geschäfts-mann-Instinkt folgend – Künstler Eins noch ein wenig herunter, denn das gehört zu seinem Job. Künstler Eins – ein wenig angeknackst im Selbstbewusstsein und nicht gut im Verhandeln – drückt den Preis sogar noch unter die Materialkosten und der Deal steht. Der Kunde freut sich und Künstler Eins ist froh, überhaupt irgendetwas verkauft zu haben. Es ist besser, wenig zu verdienen, als gar nichts zu verdienen.
Lassen wir Zeit verstreichen.
Künstler Eins ist mittlerweile pleite gegangen – klar, bei den Preisen, die er verlangte. Er ist aus der Künstlerszene ausgestiegen und arbeitet in einem Minijob, um sich über Wasser halten zu können.
Unser Kunde hat die vervielfältigten Werke prima verkauft und er möchte das Geschäftsmodell weiter ausbauen, aber sein Künstler Eins arbeitet nicht mehr als Künstler, also sucht der Kunde nach einem anderen der neun verbliebenen Künstler. Künstler Zwei meldet sich auf das Gesuch hin und kommt mit dem Kunden ins Gespräch. Er zeigt seine Werke, der Kunde ist zufrieden.
Künstler Zwei nennt seinen Preis, der – wie gesagt – der normale Preis ist, den alle anderen Künstler verlangen, mit Ausnahme des pleitegegangenen Künstler Eins.
Dem Kunden fällt die Kinnlade auf den Boden: „DAS IST JA WUCHER!!!!“
Warum? Weil er den billigen Preis von Künstler Eins gewohnt war und ihm jetzt jedes Gefühl für den echten Wert von künstlerischen Werken fehlt.
Wie geht’s weiter? Der Kunde sucht nach einem anderen Künstler, der billiger ist. Künstler Drei denkt sich: „Wenn ich mit meinem Preis runtergehe, kommt der Kunde zu mir anstatt zu den anderen“. Gesagt getan, der Kunde reagiert, handelt Künstler Drei sogar noch weiter runter, weil auch Künstler Drei in Bedrängnis ist, endlich wieder Aufträge zu bekommen. Miete, Strom, Wasser, Versicherung und Steuern müssen bezahlt werden. Es ist besser, wenig zu verdienen, als gar nichts zu verdienen.
Ergebnis: Künstler Drei hat sich unter Wert verkauft und der Kunde wird in seinem Denken bestärkt, dass Kunst so billig ist.
Künstler Vier, Fünf und Sechs merken das, unterbieten sich gegenseitig in ihrem Preis, um überhaupt noch konkurrenzfähig zu bleiben. Künstler Sieben, Acht und Neun steigen gezwungenermaßen in das Preisdumping mit ein und plötzlich bekommen neun von zehn etablierten, ausgebildeten Künstlern mit jahrelanger Erfahrung ein Gehalt, das bereits unter dem Mindestlohn liegt.
Der Kunde und alle anderen Kunden sehen die niedrigen Preise von neun Künstlern und denken, dass das ein fairer Preis ist. „Alle“ Künstler verlangen ja so viel. Der eine Künstler Zehn, der immer noch den ursprünglichen, fairen Preis verlangt, ist ein „arroganter Arsch, der nur reich werden will“.
Das ist natürlich nur ein Beispiel in einem Mikrokosmos, aber bezieht das mal auf die ganze Künstlerszene. Wenn sich Künstler dauerhaft unter ihrem Wert verkaufen, weil sie denken, dass sie das machen müssen, um mit anderen mithalten zu können, oder weil sie gar nicht wissen, wie viel sie für ihre Werke eigentlich verlangen können, dann gewöhnen sich Kunden an diesen niedrigen Preis.
Aber wie kann man dem nun aus dem Weg gehen? Wenn alle gleich gut sind, dann ist der Preis ja das einzige Unterscheidungsmerkmal. Alle Künstler müssten sich also einig sein, den gleichen Preis zu verlangen. Wenn auch nur ein einziger Künstler mit dem Preis runter geht – egal aus welchen Gründen – zwingt er automatisch alle anderen dazu, gleichzu-ziehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt.
Es gibt aber ein einfaches Heilmittel gegen diesen Teufelskreis:
Sei anders, nicht billiger.
Nehmen wir noch mal unser Beispiel. Künstler Zehn, der letzte verbliebene Künstler, der noch immer den ursprünglichen fairen Preis verlangt, sieht das jetzt alles und denkt sich: „Ich kann mit meinem Preis nicht runter gehen. Dann verhungere ich“. Aber niemand kauft mehr bei ihm, denn er produziert ja das Gleiche wie die neun anderen Künstler, die jetzt alle billiger sind als er. Wenn zehn Leute die gleichen Kartoffeln anbieten und einer bietet sie teurer an als die anderen neun, dann wird kein Kunde auf die Idee kommen, beim zehnten Kartoffelverkäufer einzukaufen.
Was tut nun dieser Künstler Zehn? Er produziert eben nicht mehr das, was alle anderen produzieren. Er schaut sich auf dem Markt um, was gerade angesagt ist und ändert sein Sortiment, sodass es attraktiver wird. Plötzlich sehen alle auf Künstler Zehn, denn er bietet etwas an, das kein anderer Künstler anbietet. Alle stürzen zu ihm und er hat eine so hohe Nachfrage, dass er seinen Preis sogar noch verdoppeln kann. Angebot und Nachfrage.
Die Schwierigkeit eines Künstlers besteht darin, sich zu etablieren, seine Kunst gut zu verkaufen, etwas zu produzieren, was die Zielgruppe mag, was gut ankommt und gemocht wird. Das ist die eigentliche Aufgabe! Produziere Werke, die dein Publikum will, anstatt den Preis so weit zu drücken, dass man deine Arbeiten auch als Klopapier verwenden könnte.
Die Gesellschaft hat uns darauf trainiert zu denken, dass wir als Künstler „nur ein Hobby betreiben“. Unsere Arbeit macht Spaß, deswegen ist es keine richtige Arbeit, die mit Geld wertgeschätzt werden kann. Aber das ist Bullshit. Natürlich könnt ihr eure Arbeit lieben und dafür einen fairen Preis verlangen, der die Materialkosten, die Herstellungskosten, eure Arbeitszeit und den Mehrwert deckt. Ihr müsst das sogar! Das ist schwer und anstrengend und es wird nicht sofort klappen, aber das gehört zum Beruf eines freien Künstlers dazu, diese Hürde zu nehmen.
Es ist supereinfach, den Preis runterzusetzen und den Kopf einzuziehen, aber die wirklich erfolgreichen Künstler kämpfen für ihre Wertschätzung.
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Das war ein Kapitel aus dem Ratgeber „24 Irrtümer – denen selbstständige Kunst-Rookies♥ auf den Leim gehen“. Eine Sammlung von Erfahrungen und Fehlern, die mir während meiner Selbstständigkeit immer wieder über den Weg gelaufen sind und von denen ich hoffe, dass sie euch in eurem Schaffen helfen können. Hier geht’s zu einer Leseprobe mit noch mehr Kapiteln und noch mehr Irrtümern: https://www.fourth-instance.de/24-irrtuemer-leseprobe/
Am 12.7.22 halte ich eine Online-Lesung und lese ein paar Kapitel aus dem Buch vor. Ihr seid herzlich eingeladen dabei zu sein, zuzuhören oder mir Fragen zu Selbständigkeit, Mangazeichnen oder allem, was euch einfällt, zu stellen:
https://www.twitch.tv/fourthinstance
Dienstag 12.7.22 von 19 bis 21 Uhr.