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Vampire Kiss

Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)
von

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Der Schmerz raubte ihr den Atem. Die junge Frau rang nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und krümmte sich auf dem Boden. Erst nach und nach realisierte sie, dass Pinga sie mit dem Messer erwischt haben musste, als sie die anderen gewarnt hatte.

Jodie presste eine Hand auf die Wunde und spürte, wie das warme Blut zwischen ihren Fingern hindurchquoll.

Trotz der Schmerzen und der Verletzung fühlte sie seltsamerweise keine Panik in sich aufsteigen.

Sie wusste, dass ihre Lage ernst war, doch trotz allem hatte sie nicht verdrängt, dass die Tageslichtgranate für die anderen Anwesenden derzeit eine sehr reale Gefahr darstellte.

Das Schicksal der Anderen stand so sehr auf Messers Schneide, dass sie den Gedanken daran, selbst dringend medizinische Hilfe zu brauchen, in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannte.

Die Schmerzen hingegen waren weiterhin sehr präsent. Gekrümmt auf der Seite liegend und eine Hand auf die Stichwunde gepresst, breitete sich ein metallischer Geschmack in ihrem Mund aus. Blut. Die junge Frau hustete und ein paar der roten Tropfen verteilten sich auf dem alten, dunklen Holzboden der Halle. Ihre Sicht verschwamm für einen Moment, das hektische Stimmengewirr rückte kurzfristig in den Hintergrund.

Jodie kniff die Augen zusammen, blinzelte und versuchte sich zusammenzureißen. Ihr Blick scannte den Raum, so gut es ging. Sie musste wissen, was hier vor sich ging.

"Jodie!" Chris besorgte Stimme war plötzlich ganz nah. Die andere Blondine kniete neben ihr. Die Jüngere spürte, wie die Schauspielerin ihr eine Hand auf die Schulter gelegt hatte und vorsichtig versuchte sie auf den Rücken zu rollen. In den sonst so selbstsicheren grünen Augen standen derzeit nur Sorge und eine gewisse Hilflosigkeit geschrieben.

Wie die Daywalkerin sie so schnell erreicht hatte, war ihr ein Rätsel. Jodie hatte nicht mitbekommen, dass Rei Chris kurzerhand hochgehoben hatte und vom oberen Ende der Treppe gesprungen war, um sie binnen weniger Sätze zu der Stelle zu bringen, an der die Jägerin lag.

"Chris... die Tageslichtgranate...", brachte sie stockend heraus und hustete erneut Blut. "...wenn dieser Irre sie zündet..."

"Ich weiß, Kätzchen, ich weiß..." Die Gefahr, die derweil von Pinga ausging, war der Daywalkerin sehr wohl bewusst, doch ihre Hauptsorge galt derweil Jodie.

"Das er die Granate zündet, wird niemand hier zulassen.", knurrte der Bodyguard der Blondine derweil angespannt, ehe er sich direkt an Chris wandte: "Pass du auf sie auf, ich kümmere mich um Pinga."

Die Schauspielerin schob vorsichtig einen Arm unter der am Boden liegenden Jodie hindurch, zog sie in eine halb sitzende Position, in der Hoffnung, ihr so das Atmen zu erleichtern, und hielt sie.

Die Jägerin hustete und verzog gequält das Gesicht. Sie konnte kaum atmen und die Tatsache, dass sie bewegt worden war, hatte noch einmal ein zusätzliches, höllisches Feuerwerk der Schmerzen in ihrem Torso ausgelöst.

Kurz vergrub sie das Gesicht im Stoff des Oberteils ihrer Seelenverwandten, dann bemühte sie sich an ihr vorbei zu sehen, um den Raum im Blick zu behalten.

Nein, noch durfte ihr Bewusstsein sich nicht ausklinken. Sie musste mitbekommen, was genau hier vor sich ging...

Chris sprach sie an, doch Jodie erfasste die Bedeutung ihrer Worte nicht. In ihrem derzeitigen Zustand fiel es ihr schwer, sich überhaupt auf das zu konzentrieren, was sie sah.
 

Pinga hatte es für den Moment geschafft Kir abzuschütteln und eilte erneut in Richtung Kellertür.

Sein Blick wirkte inzwischen nicht mehr so selbstsicher und arrogant wie sonst. Die Selbstgefälligkeit war einer gewissen Anspannung gewichen, nun wo sein Plan aufgeflogen war, doch begraben hatte er ihn offensichtlich noch nicht.

"Die Worte des verdammten Menschengörs, werden jetzt auch nichts mehr an eurem Schicksal ändern können!", rief er aus und griff nach der Tageslichtgranate, als er die Kellertür fast erreicht hatte.

In diesem Moment hatte Rei ihn erreicht. Sein Faustschlag traf Pinga in der Magengrube, dem daraufhin die Granate aus der Hand fiel. Zum Horror aller leuchtete die neuste Erfindung Mondnebels, ein Zeichen dafür, dass sie aktiviert worden war.

Jodie riss erschrocken die Augen auf. Ihre Schmerzen hatte sie für einen Moment gänzlich ausgeblendet. Wenn die Tageslichtgranate händisch aktiviert worden war, dann blieben allen hier noch etwa vier bis fünf Sekunden. Nicht gerade die Welt.

Verzweiflung stieg in ihr auf. Chris, die sie unbewusst näher an sich drückte, musste es ganz ähnlich gehen.

"Kir!", rief Bourbon derweil nach seiner Kameradin. Es brauchte keiner Erklärung, die Aufforderung war klar. Während er selbst Pinga nachsetzte, hechtete die Brünette in Richtung der Tageslichtgranate, um zu verhindern, dass diese auf dem Boden aufschlug. Scheinbar wollte niemand das Risiko eingehen und abwarten, was in diesem Fall passierte. Das Zeitfenster, dass ihnen blieb, war eh bereits gering genug.

Kir schlitterte an den beiden Kämpfenden vorbei. Zwar gelang es ihr nicht die Tageslichtgranate wirklich zu fassen zu bekommen, doch sie schaffte es, die blinkende Waffe im hohen Bogen vom Boden wegzuschlagen, fast wie bei einem Volleyballspiel.

"Chianti!" Man konnte nicht gerade von Sternenstaubs ehemaliger Jägerin und der Scharfschützin behaupten, dass die beiden sich gut verstanden, doch das eine Zusammenarbeit derweil der einzige Weg war, um das hier zu überleben, war allen Anwesenden klar.

"Vodka, die Tür!", rief Chianti aus, während es ihr gelang die Granate aus der Luft zu greifen. Die Vampirin warf die tödliche Waffe geradewegs in Richtung Kellertür.

Gerade noch rechtzeitig öffnete der bullige Mann die Tür und die Tageslichtgranate flog hindurch.

Calvados hatte die Kellertür nun ebenfalls erreicht und warf sich von außen dagegen. Krachend schloss die schwere Eisentür sich wieder.

Von innen drang in der nächsten Sekunde ein schwaches Licht unter dem Türspalt hervor. Die Granate war detoniert. Glücklicherweise schirmte die Kellertür die Anwesenden vor dem Licht ab, sodass die Beinahe-Katastrophe gerade noch einmal hatte abgewendet werden können.

Jodie spürte, wie eine tonnenschwere Last von ihren Schultern fiel. Zeitgleich begannen ihre Ohren zu klingeln. Ihr Adrenalinpegel sank und sie spürte, dass sie gleich ohnmächtig werden würde.

Weiterhin quoll Blut aus ihrer Wunde.
 

"Verdammt! Alles nur, wegen diesem elenden Menschlein!", hörte sie Pinga im Hintergrund fluchen. Seine Stimme hatte an Selbstsicherheit verloren und klang nun beinahe wahnsinnig.

Dem Vampir musste bewusst sein, dass niemand hier sonderlich erfreut über seinen Verrat sein dürfte.

Sei es aufgrund des gescheiterten Plans, oder aber aufgrund der Tatsache, dass er den hier Anwesenden nicht in die Hände geraten wollte, beschloss Pinga das Anwesen auf schnellstem Wege zu verlassen.

Noch immer verwickelte Rei ihn in einen heftigen Schlagabtausch. Der Verräter entkam letztlich, indem er sich in einer fließenden Bewegung unter dem nächsten Schlag hinwegduckte, seinem Gegner die Beine wegtrat und schließlich keine Zeit mehr damit verschwendete, in Richtung Eingangstür zu hechten.

"Oh nein, so leicht machen wir es dir nicht!", schrie Chianti ihm mit schriller Stimme hinterher. Sie war außer sich vor Wut wegen des geplanten Anschlags ihres ehemaligen Kameraden.

Gerade noch nahm Jodie wahr, wie die japanische Gruppe dem Verräter nachsetzte, dann klinkte ihr Bewusstsein sich aus.

Sie bekam nicht mehr mit, wie Pingas Flucht jäh kurz vor der Tür endete, da Gin ihm den Weg versperrte.

Beinahe wäre Pinga geradewegs gegen den Silberhaarigen gerannt, konnte jedoch noch im letzten Moment stoppen.

"Du hast versucht gleich zwei Anführer zu stürzen, indem du dich der Technik der Vampirjäger bedienen wolltest? Wirklich interessant." Die Stimme des japanischen Vampirfürsten klang spöttisch und schneidend kalt. "Du weißt, was einem Verräter wie dir blüht."

Noch ehe der Flüchtende die Gelegenheit bekam zu reagieren, hatte der Urvampir ausgeholt. Sein Arm bewegte sich so schnell von links nach rechts, dass das menschliche Auge der Bewegung unmöglich folgen konnte.

Blut spritzte und klatschte auf die alten Dielen, als die Klinge des Jagdmessers durch den Hals des Verräters schnitt, wie durch weiche Butter. Auch vor dem Halswirbel machte sie nicht Halt. Die Kräfte des Urvampirs waren zu brachial.

Der Mann mit den feingeflochtenen Zöpfen gab einen überraschten, gurgelnden Laut von sich und riss die Augen weit auf, ehe sein Kopf von seinen Schultern glitt und mit einem dumpfen Laut auf dem Boden landete.

Vampire überlebten die meisten Verletzungen und waren in der Lage, sich binnen kürzester Zeit zu erholen, doch dies war nicht mehr der Fall, wenn sie den Kopf einbüßten. Von jetzt auf gleich begann der Besiegte zu glühen und löste sich zu Asche auf, welche auf dem Boden des Anwesens zurückblieb.

"Ich kann nicht glauben, dass einer unserer eigenen Männer versucht hat, uns ein Messer ins Kreuz zu rammen.", durchbrach Korns Stimme die Stille.

"Das hier war verdammt knapp.", stellte Vodka noch etwas neben der Spur fest.

"Der Verräter hat bekommen, was er verdient hat." Tequilas Stimme klang emotionslos und kalt.

"Recht hast du, Tequila." Chianti wirkte nach wie vor verärgert und aufgebracht.

Pisco hingegen hielt sich aus dem Gespräch heraus und inspizierte viel mehr die Kellertür. Der Lichtschein unter der Tür war verschwunden, was bedeutete, dass die Granate aufgehört hatte zu leuchten.

"Pinga hat für seinen Verrat bezahlt. Aber jetzt gilt es, den Amerikanern den Ring abzunehmen.", erinnerte Gin seine Leute, welche sich daraufhin den Gegnern zuwandten.
 

Die amerikanische Gruppe hatte sich, während die Japaner mit dem Verräter abgerechnet hatten, um die am Boden liegende Jodie versammelt.

Calvados und Irish wirkten recht unberührt und behielten viel mehr wachsam die Gegner im Auge, dem Rest der Gruppe stand die Sorge um die Jägerin jedoch in die Gesichter geschrieben.

"Die Wunde sieht böse aus...", stellte Curaçao gerade fest.

"Besonders für einen Menschen. Sie atmet kaum noch.", fügte der blonde Bodyguard hinzu.

"Hört auf das zu sagen! Ich sehe es selbst!", fuhr Chris ihre beiden Leibwächter an und legte damit eine der Verzweiflung geschuldete Reaktion an den Tag, die so gar nicht zu dem eigentlichen Charakter der Blondine passen wollte.

Rena hatte sich derweil neben Chris und Jodie auf den Boden gekniet und betrachtete die Stichwunde mit besorgtem, skeptischen Blick. "Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber für mich sieht es so aus, als wenn Pinga mit dem Messer die Herzgegend getroffen hätte. Wenn sie das hier überleben soll, sehe ich ehrlich gesagt nur einen Weg." Die Stimme der Brünetten klang bedrückt. Sie wusste aus eigener Erfahrung, was für ein zweischneidiges Schwert es sein würde, Jodie zu retten.

"Du hast Recht, aber... nein, das kann ich nicht tun. Nicht ohne ihre Zustimmung, zumindest." Die Stimme der Daywalkerin war vor Schmerz und Verzweiflung nicht mehr als ein ersticktes Wispern.

"Aber sie hat das Bewusstsein verloren. Jodie wird dir nicht sagen können, was sie davon hält.", drängte Curaçao Vermouth zu einer Entscheidung.

"Sie hat Vampire bis vor Kurzem noch bedingungslos gehasst. Sie hat mehr als einmal gesagt, dass es für sie der blanke Horror wäre, zu einem zu werden. Wie könnte ich da...?" Die Schauspielerin drückte ihre Seelenverwandte enger an sich.

"Wir kriegen hier gerade noch ein ganz anderes Problem.", knurrte Rei angespannt.

"Die Japaner interessiert es nicht, ob hier gerade ein Mensch im Sterben liegt, oder nicht.", stellte Irish wenig einfühlsam fest, woraufhin Curaçao ihn gereizt anfauchte.

"Er hat Recht mit dem was er sagt." Gins Stimme zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. "Was aus dem Menschlein dort wird, interessiert mich nicht. Die Zeit, die bis zum Jahreswechsel noch verbleibt, werden meine Leute nicht damit verbringen, der Kleinen dort beim Sterben zuzusehen."

Sein Blick wurde spöttischer, ehe er auffordernd die Hand in Richtung der Daywalkerin ausstreckte. "Es sei denn, du gibst mir den Ring freiwillig, Vermouth."

"Das kannst du gleich vergessen, Gin.", spie die Blondine ihm entgegen.

"Du willst den Ring? Dann musst du erst einmal an uns vorbei.", stellte ihre silberhaarige Leibwächterin entschieden fest.

"Oh, das werden wir, seid euch da sicher." Chianti klang inzwischen beinahe wieder amüsiert. "Das gegnerische Team zur Not kampfunfähig zu machen, ist doch immerhin Teil der ganzen Veranstaltung hier."

Gemeinsam mit Korn sprang sie los, doch noch ehe sie die beiden Blondinen erreicht hatten, wehrten Calvados und Bourbon die beiden Angreifer ab. Schnell verlagerte der Kampf sich in den hinteren Bereich der Halle.

Irish blockte Tequila und Pisco ab, während Chris Curaçao zunickte. "Greif in die linke, vordere Tasche meiner Jeans und schnapp dir den verdammten Ring.", wies sie ihre Leibwächterin an.

Diese stutzte kurz, tat dann jedoch wie ihr geheißen, als sie realisierte, dass Chris derweil nicht selbst nach dem Ring greifen konnte, hielt sie doch die bewusstlose Jodie in ihren Armen.

Interessiert blitzten Gins Augen auf, als er den Ring entdeckte, der sich nun in Curaçaos Besitz befand.

"Wenn du den Ring willst, musst du ihn nun wohl mir abnehmen. Aber lass sie in Ruhe." Mit diesen Worten sprang die Silberhaarige ein Stück weit zurück, um Gin von den beiden Blondinen wegzulocken.

Sie gab einen erschrockenen Laut von sich, als sie mit dem Rücken unerwartet gegen Vodka prallte.

"Her, mit dem Ring, Schätzchen!", forderte dieser.

Doch so einfach war es nicht - für beide Parteien. Bei dem unerwarteten Zusammenstoß, war der Ring Curaçao unglücklicherweise aus der Hand gerutscht. Nun rollte das Artefakt über den Boden. Sofort setzte sie ihm nach, wurde jedoch von Vodka aufgehalten, der sie angriff.

Auf den Lippen des japanischen Vampirfürsten machte sich derweil ein kaltes Grinsen breit.

"Wenn du nicht darauf aufpassen kannst, dann nehme ich den Ring jetzt an mich, Mädchen."

Er sprang los und die Mitglieder der amerikanischen Gruppe, die es mitbekommen hatten, sogen scharf die Luft ein, wusste jeder von ihnen doch, wie problematisch es werden würde, den Ring zurückzubekommen, wenn er erst einmal in den Händen des japanischen Anführers gelandet wäre.

Selbstsicherheit spiegelte sich auf dem Gesicht des Silberhaarigen, als er nach dem Ring griff. Gin war ganz offensichtlich überzeugt davon, das Spiel so gut wie entschieden zu haben.

Doch noch ehe seine Hand sich um das Artefakt schließen konnte, wischte jemand an ihm vorbei, klaubte den Ring vom Boden auf und brachte rasch zwei Sätze Abstand zwischen sich und den Urvampir.

"Oh nein, das kann ich nicht zulassen." Obwohl sie eingegriffen und Gin den Ring unter der Nase weggeschnappt hatte, konnte man Rena ihren Stress deutlich ansehen.

Der Vampirfürst zog lediglich eine Augenbraue hoch. "Sieh an, eine weitere Verräterin.", stellte er mit rauer Stimme fest. "Es überrascht mich zu sehen, dass du noch lebst und nun für Amerika kämpfst, Kir. Erst recht, da ich deine Angst förmlich riechen kann."

Rasch wich die Brünette noch ein wenig mehr zurück. Sie wusste, dass sie keine Gegnerin für den Urvampir war und wollte es folglich nicht auf einen Kampf mit ihm ankommen lassen.

"Dieser Clan hat mich mit offenen Armen aufgenommen, nachdem deine Leute und du versucht haben mich umzubringen. Natürlich kämpfe ich da auf Vermouths Seite, zumal ihre Pläne für dieses Haus nur all zu gut mit meinen eigenen Ansichten vereinbar sind."

Im Hintergrund erklang derweil ein schmerzerfülltes Stöhnen. Vodka hatte keine Chance gegen Curaçao gehabt. Bereits nach einem kurzen Kampf, war der bullige Mann zu Boden gegangen.

Mit zwei Sätzen war die Silberhaarige bei ihrer Freundin. "Der Ring, Süße.", forderte sie.

Sicherheitshalber steckte Rena der Anderen das Artefakt direkt an den Finger, um zu verhindern, dass der Ring noch einmal verloren ging.

Im nächsten Moment sprangen die beiden Frauen bereits wieder auseinander, da Gin angriff.

"Ich bin deine Gegnerin!" Mit diesen Worten trat die Leibwächterin nach dem japanischen Vampirfürsten, welcher den Angriff gekonnt abblockte. Seinem Schlag wich wiederum Curaçao geschickt aus, während Kir rasch auf Abstand ging, um nicht zwischen die Kämpfenden zu geraten.
 

Obwohl rings um sie das pure Chaos tobte, hatte Chris sich nicht vom Fleck bewegt. Nicht nur, dass sie als Daywalkerin ihren Leuten eh keine große Hilfe sein konnte, sie hielt weiterhin Jodie in ihren Armen und kniete auf dem Boden.

Im Blick der Schauspielerin stand der Horror, den sie derzeit empfand, nur all zu deutlich geschrieben. Egal wie wichtig der Ausgang des Kampfes auch war, sie wusste, dass sie sich diesbezüglich auf ihre Leute verlassen musste. Ihre gesamte Aufmerksamkeit lag derweil auf Jodie, deren Zustand sich von Minute zu Minute verschlechterte.

Es war grausam, ihre Seelenverwandte so zu sehen. Noch viel grausamer war es, in der Lage zu sein ihr zu helfen, doch genau dies nicht tun zu dürfen. Sie erinnerte sich noch viel zu gut daran, wie schockiert Jodie damals gewesen war, als sie befürchtet hatte, dass ein einfacher Biss sie gewandelt haben könnte. Wie könnte sie so etwas also einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden, nur um sich selbst besser zu fühlen?

Die Tatsache, dass die Jägerin in ihren Armen starb und ihr die Hände gebunden waren, war kaum erträglich für sie. Die Vampirin fühlte sich, als würde ihr ihr Herz bei lebendigem Leib herausgerissen.

"Bitte Kätzchen...wach auf. Sag mir, was ich tun soll." Ihre Stimme war kaum mehr als ein gequältes Flüstern, ehe sie das Gesicht an der Schulter der anderen Blondine vergrub und sich so hilflos fühlte, wie noch nie in ihrem Leben.

Im Normalfall war Chris ein Kopfmensch und verstand es, ihre Gefühle hinter einer nahezu perfekten Fassade zu verbergen. Jodie war die einzige Person, die in der Lage dazu war, besagte Fassade zum Bröckeln zu bringen und Emotionen wie diese in ihr auszulösen.
 

Mondnebels Jägerin hatte das Gefühl tiefer und tiefer in endlose Schwärze zu gleiten. Die Kämpfe um sich herum bekam sie nicht mit. Auch die Schmerzen, die die Verletzung verursachten, spürte sie nicht mehr.

Mit jedem flachen Atemzug sank sie tiefer in die Dunkelheit, welche sich um sie schmiegte wie ein gut sitzender Mantel. Sich fallen zu lassen und alles um sich herum auszublenden wäre so leicht.

Warum sich gegen das Gefühl der Ohnmacht wehren, wenn es ihr doch die Angst und die Schmerzen nahm? Der Gedanke daran war mehr als verlockend.

Dennoch, da gab es etwas, das Jodie hielt. Es kostete sie Mühe, doch letztlich gelang es ihr, den Nebel in ihrem Kopf so weit zurückzudrängen, als das ihr Denken sich wieder einklinkte.

Sie konnte Schmerzen spüren. Heftige, grausame Schmerzen. Das Verrückte daran war, dass diese nicht körperlicher Natur waren und nicht ihr selbst gehörten.

Ihr Herz fühlte sich an, als würde es jeden Moment in viele kleine Stücke gerissen werden. Auch dies lag nicht an der erlittenen Verletzung, es war viel mehr ein Gefühl. Der Schmerz einer anderen Person.

Durch die schier endlose Dunkelheit hindurch konnte sie spüren, wie sie gehalten wurde. Chris Wärme, während sie sie an sich drückte, strahle auf sie ab.

Und schließlich wusste Jodie, wessen Schmerz sie spürte. Es war der mentale Schmerz ihrer Seelenverwandten, der so allgegenwärtig und erschlagend war, dass ihre Ohren zu dröhnen begannen.

»Bitte Kätzchen...wach auf. Sag mir, was ich tun soll.« Die Worte der anderen Blondine fanden einen Weg durch den dichten Nebel in ihrem Kopf, auch wenn Jodie einen Moment brauchte, um ihre Bedeutung zu erfassen. Chris...

Sie konnte die Verzweiflung der Anderen so deutlich spüren. Nie hätte sie geglaubt, dass die in Sachen Gefühlen eher reservierte Schauspielerin so viel für sie empfinden könnte, als dass der drohende Verlust ihr solches Leid bescherte. Es war in diesem Moment, als würden sie sich ein Herz teilen. Während das Herz der Jägerin stetig schwächer wurde, schien das ihrer Seelenverwandten vor Verzweiflung zu zerbrechen.

Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchflutete sie, als sie sich bewusst wurde, ja förmlich spürte, was Chris für sie empfand.
 

»Diese Gruppe hier ist wie Feuer und Wasser. Alle wollen zusammenarbeiten und vertrauen sich doch gegenseitig nicht. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte, Jodie. Wir sind die einzigen, denen beide Seiten vertrauen. Wir werden zukünftig öfter Streit schlichten müssen, als uns lieb ist. Aber du bist besser darin als ich. Dir gelingt es viel leichter dir Gehör zu verschaffen. Ich denke du bist der Kitt, der die Gruppe zukünftig zusammenhalten und damit sicherstellen wird, dass der ausgemachte Deal funktioniert und Bestand hat.« Diesmal war es die Erinnerung an Renas Worte von vor ein paar Tagen, die es ins Gedächtnis der Blondine schaffte.

Sie war der Kitt, der diese Gruppe zusammenhalten und dafür sorgen konnte, dass der Deal Bestand haben würde? Wenn sie jetzt starb, dann legte sie die gesamte Last auf Renas Schultern, oder aber riskierte zukünftig tausende von Menschenleben, falls es der Brünetten allein nicht gelingen sollte, die ungleichen Mitglieder der Verschwörung zusammenzuhalten.

Bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz übel. Urg... Das durfte sie doch nicht...

Schlimmer, als der Gedanke an das Scheitern des Plans, kam ihr jedoch der Gedanke daran vor, Chris ganz allein zu lassen. Nicht, dass die Daywalkerin nicht ganz wunderbar auf sich selbst achtgeben könnte, doch der Schmerz, den ihr Tod in der Anderen auslösen würde...nicht zu ertragen.

»Menschen und Vampire sind grundverschieden. Menschen sind so zerbrechlich und kurzlebig. Während wir Vampire mühelos Jahrhunderte, wenn nicht länger überdauern, verwelkt ihr Menschen wie eine schöne Blume.« Das waren die Worte, die Chris damals zu ihr gesagt hatte. Sie hatte die Menschen mit zerbrechlichen, kurzlebigen Blumen verglichen.

Noch vor ein paar Tagen hatte Jodie es nicht verstehen wollen. Sie war der Meinung gewesen, dass die Ängste der Schauspielerin diesbezüglich übertrieben waren, nun wusste sie, dass sie durchaus ihre Berechtigung hatten. Auch wenn Chris sie immer ein Stück weit auf Abstand gehalten hatte, ihr seelischer Schmerz über den drohenden Verlust der Jüngeren war unbeschreiblich.

Waren das die tiefe Verbundenheit und die Gefühle, die ihre Seelenverwandtschaft mit sich brachte?

Um nichts auf der Welt wollte sie die Andere so am Boden sehen. Um nichts auf der Welt wollte sie sie nun wegen dieser dummen Stichverletzung verlassen.

Und den Deal zwischen den Vampiren und Mondnebel gefährdet zu wissen, das wollte sie auch nicht. Das alles ließ sich verhindern, wenn sie jetzt nicht starb, sondern dem Tod noch einmal von der Schippe sprang. Es gab sogar eine Lösung dafür...jedoch...
 

Jodies Herz wurde schwer, als ihre Erinnerungen sie an den Tag in ihrer Vergangenheit zurückführten, an dem ihr Leben sich nachhaltig verändert hatte. Vampire waren in ihr Elternhaus eingefallen. Diese Monster hatten ihre Familie gnadenlos ausgelöscht. Nur sie selbst war verschont geblieben, da sie im Kleiderschrank, verborgen hinter einigen Mänteln und einem riesigen Teddy, nicht bemerkt worden war.

Noch zu gut konnte sie sich daran erinnern, wie ihr kindliches Ich damals verängstigt stundenlang im Kleiderschrank gehockt hatte, bis ein Freund der Familie das Massaker im Haus bemerkt und letztlich auch sie gefunden hatte.

Wenn sie an dieses schreckliche, verstörende Ereignis zurückdachte, welches ihre gesamte Kindheit zerstört hatte, konnte sie den schweren Blutgeruch, der nach dem Angriff überall in der Luft gelegen hatte, wieder riechen und förmlich auf der Zunge schmecken. Eine Gänsehaut legte sich auf ihre Arme, als sie an den schrecklichen Angriff damals zurückdachte.

Dieses Ereignis war auch der ausschlaggebende Punkt in ihrem Leben gewesen, der sie dazu gebracht hatte, als junge Frau zum FBI zu gehen und sich letztlich der Sondereinheit Mondnebel anzuschließen.

Gemeinsam mit ihren Leuten hatte sie inzwischen dutzenden Zivilisten das Leben gerettet und ebenso vielen Vampiren den Garaus gemacht. Nur all zu gerechtfertigt.

Doch waren alle Vampire herzlose Monster? Damals hätte sie diese Frage ohne groß nachzudenken mit ja beantwortet. Nun allerdings...

Sie erinnerte sich an die letzten Wochen zurück. Die Entführung war im ersten Moment schrecklich gewesen, doch schließlich hatte sie den wahren Grund erfahren, warum die Daywalkerin sie weiter festgehalten hatte. Die Gesichter von Rei, Curaçao und Rena erschienen vor ihrem inneren Auge. Diese drei waren ganz gewiss keine Monster. Von Chris wusste sie, dass viele Vampire Amerikas ebenfalls keine brutalen Killer waren, sondern lediglich unter Karasumas Schreckensherrschaft gelitten hatten.

Und dann war da natürlich noch Chris selbst. Der Gedanke an ihre Seelenverwandte löste ein warmes Gefühl in ihr aus. Sie wolle die Andere noch nicht gehen lassen. Sie wollte noch so viel Zeit mit ihr verbringen, wollte es endlich schaffen, ihre teils unnahbare Fassade zum Bröckeln zu bringen und darunter zu schauen.

Ihre Gedanken und Erinnerungen gaben ihr Gewissheit.

//Mom, Dad... es tut mir leid. Ich werde immer ich selbst sein, ganz egal ob menschlich oder nicht.//

Jodie riss sich zusammen. Mit aller Macht kämpfte sie nun gegen den Nebel und die Dunkelheit an, welche sie umgaben. Stück für Stück fand sie ihren Weg aus der Ohnmacht und zurück ins Hier und Jetzt.
 

Sie blinzelte. Ihre Sicht war trüb und verschwommen, dennoch meinte sie Chris Umrisse ausmachen zu können, hatte die andere Blondine sich doch über sie gebeugt und hielt sie in ihren Armen. Weiterhin konnte sie die Verzweiflung der Älteren förmlich spüren.

Mit wiedergewonnenem Bewusstsein waren auch die Schmerzen, die aus ihrer Verletzung resultierten, wieder zurück. Sie drohten ihr den Atem zu rauben. Oh Gott... sie fühlte sich so unendlich schwach.

"...Chris...", ihre Stimme klang viel mehr nach einem leisen, heiseren Krächzen.

Dennoch, die Daywalkerin blickte sie praktisch sofort an. Überraschung spiegelte sich auf dem makellosen Gesicht, als sie realisierte, dass Jodie wieder bei Bewusstsein war.

"Jodie..!", sprach Chris sie an, doch Jodie unterbrach sie.

"Tu es...", krächzte die junge Frau mit heiserer Stimme, hustete und verzog gequält das Gesicht. "Das heute...ist noch nicht meine Zeit zu gehen.", fügte sie angestrengt hinzu.

Ungläubig starrte Chris sie an, scheinbar unsicher, ob sie sich nur verhört hatte, auch wenn Jodie meinte, dass hinter der schier unerträglichen Verzweiflung in den grünen Augen, plötzlich auch wieder ein kleines Fünkchen Hoffnung aufflammte.

"Kätzchen... bist du dir wirklich sicher?", hakte Chris trotz der derzeitigen Situation noch einmal nach. "Du hast Vampire gehasst. Es könnte sein, dass deine Kameraden dir misstrauen, oder dich am Ende noch ganz verstoßen. Du wirst nie wieder die Sonne oder Tageslicht sehen können, wirst nie wieder etwas Vernünftiges essen oder trinken können."

Jodie rechnete es Chris hoch an, dass sie ihr all diese Punkte noch einmal vor Augen führte und nicht überstürzt handelte. Das Glück der Jüngeren schien der Daywalkerin wichtiger zu sein, als ihr eigenes.

Auf die Lippen der Jägerin stahl sich ein Lächeln. Die Fürsorge ihrer Seelenverwandten, zeigte ihr noch einmal, dass ihre Entscheidung die Richtige war. Zu schwach zum Sprechen, nickte Jodie lediglich und blickte Chris fest in die Augen. Nur mit viel Mühe gelang es ihr, gegen die erneut drohende Ohnmacht anzukämpfen.

Nun war es Chris, die ihr zunickte und ihr sanft eine verirrte Ponysträhne aus dem Gesicht strich.

"Gut, wenn du dir wirklich ganz sicher bist."

Die junge Frau beobachtete, wie Chris sie vorsichtig zurück auf den alten Holzboden legte, ehe die Daywalkerin das eigene Handgelenk zum Mund führte und zubiss. Mit spielender Leichtigkeit durchdrangen die scharfen Vampirzähne die weiche Haut. Blut quoll aus der Bisswunde, doch die Vampirin verzog nicht einmal das Gesicht.

Schließlich legte sie der Verletzten das blutende Handgelenk an die Lippen. Jodie spürte, wie das Blut der Anderen ihr über die Lippen rann. Der metallische Geschmack löste Übelkeit in ihr aus und für einen kurzen Augenblick auch einen Anflug von Panik. Sie wusste, dass die Entscheidung, die sie getroffen hatte, ihr Leben komplett auf den Kopf stellen würde. Nichts würde mehr so sein wie früher.

"Ich weiß es ist schwer, aber du musst das Blut schlucken, Süße.", wies Chris sie an. Ihre Stimme klang verständnisvoll.

Einen Moment lang kämpfte die Jägerin gegen die eigenen Reflexe an, dann kniff sie die Augen zusammen und schluckte. Der Blutgeschmack war nicht mehr auszublenden.

Schließlich zog Chris ihr Handgelenk wieder zurück, wischte Jodie kurz über die Lippen und strich ihr erneut einige Strähnen aus dem Gesicht. "So ist es gut. Jetzt bleibt uns nur noch abzuwarten. Es kann sein, dass du dich komisch fühlst, wenn die Verwandlung einsetzt, es kann sein, dass du das Bewusstsein verlierst..."

Die Jüngere nahm die Stimme der Schauspielerin kaum noch wahr. Weiterhin schmerzte ihre Verletzung, doch war da plötzlich dieses seltsame Kribbeln.

Kurz nachdem sie sich überwunden und das Blut heruntergeschluckt hatte, hatte der Bereich um die Stichwunde herum zu kribbeln begonnen, ähnlich wie ein eingeschlafenes Bein. Das Kribbeln wurde immer stärker, breitete sich rasend schnell in ihrem ganzen Körper aus. Das Gefühl raubte ihr die Sinne. Sie meinte ein Pfeifen in den Ohren zu hören, während ihr schwarz vor Augen wurde. Ihr Kiefer schmerzte, ihr Atem ging stoßweise, ehe sie schließlich erneut das Bewusstsein verlor.
 

Jodie wusste nicht, wie lange sie so dagelegen hatte, doch als sie wieder zu sich kam, spürte sie keine Schmerzen mehr. Fast so, als hätte die Stichwunde nie existiert.

Einen Moment noch hielt sie die Augen geschlossen und versuchte ihre Umgebung mit ihren anderen Sinnen wahrzunehmen, welche ihr plötzlich so geschärft vorkamen.

Sie hörte Kampflärm. Also war die Schlacht noch nicht entschieden, richtig? Im Raum konnte sie Blut, Schweiß und Stress riechen, ausgehend von den Kämpfern. Kaum merklich rümpfte sie die Nase.

Aber da war noch ein anderer Geruch. Den kalten Zigarettenrauch mal ganz ausgeklammert..., das Parfüm kannte sie und beinahe meinte Jodie die warme Zuneigung, ausgehend von der Person direkt neben ihr, riechen zu können.

Oder aber hören? Fühlen? Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte. Sie fühlte sich Chris verbundener denn je. Es kam ihr fast so vor, als hätte ihr Herzschlag sich synchronisiert.

Lag es daran, dass die Vampirin sie gewandelt hatte, die ihre Seelenverwandte war? Hatte sich das Band noch einmal gestärkt?

Sie wusste es nicht, doch schließlich hielt Jodie es nicht länger aus und öffnete die Augen. Sie blickte geradewegs in die smaragdgrünen Gegenstücke der Schauspielerin.

"Wieder bei Bewusstsein?", neckte Chris sie. Wie typisch. "Willkommen in deinem neuen Leben, Kätzchen."

Ihr neues Leben... Jodie fuhr sich mit der Zunge über die obere Zahnreihe. Nur zu deutlich nahm sie die beiden spitzen Fänge wahr und erschauderte für einen kurzen Augenblick. Instinktiv wusste sie, dass von nun an in der Tat so vieles anders werden würde, doch gleichzeitig wusste sie auch, dass jetzt der falsche Zeitpunkt war, um damit zu beginnen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Sie befanden sich immer noch inmitten eines Schlachtfeldes.

"So schnell sterbe ich dir nicht weg, Prinzesschen.", richtete sie das Wort an die Schauspielerin und schmunzelte schief. Noch immer fühlte Jodie sich ein wenig erschlagen. Sie streckte eine Hand in Richtung der anderen Blondine aus. "Hilfst du mir auf?"

In der Tat schob Chris einen Arm unter ihr durch und zog sie vom Boden hoch, in eine halb sitzende Position. Kurz gab Jodie dem Drang nach und schmiegte sich an die Schauspielerin, dann hallte ein Schmerzensschrei durch die Halle, in der Japan und Amerika sich derweil eine Schlacht lieferten.

"...Sie kämpfen immer noch.", stellte Jodie sogleich ernster fest, ehe sie sich von Chris zurück auf die Füße ziehen ließ, sich nach wie vor jedoch noch von ihrer Freundin stützen lassen musste. "Wie lange noch?"

"Knappe zehn Minuten.", antwortete die Schauspielerin ihr. Kaum, dass die Sprache auf den derzeitigen Kampf fiel, klang ihre Stimme angespannt. "Wir hatten ziemliches Glück, dass sie uns nicht weiter beachtet haben, weil wir ohne den Ring und ohne uns einzumischen nicht wirklich von Interesse in dieser Schlacht sind. Aber sieh dich um."

Jodie folgte der Aufforderung und ließ ihren Blick langsam durch die Halle des Anwesens schweifen. Auf der japanischen Seite lagen Pisco und Tequila bereits am Boden. Auch Vodka war nach dem kurzen Schlagabtausch mit Curaçao vorhin nicht wieder aufgestanden.

Was die eigenen Leute betraf, so entdeckte Jodie Calvados in der Nähe der Kellertür liegen, während Irish verletzt am Treppengeländer lehnte.

Rena drückte Chianti im Polizeigriff zu Boden, blutete jedoch aus einer Verletzung an der rechten Schulter. Rei ärgerte sich immer noch mit Korn herum, während sich weiter hinten in der Halle Curaçao und Gin einen hitzigen Schlagabtausch lieferten.

Ein Tisch wurde achtlos bei Seite gefegt. Die beiden Silberhaarigen sahen bereits ziemlich zerrupft aus, doch aufgeben schien beiden fern zu liegen.

Jodie verzog das Gesicht. Was für ein Schlachtfeld. "Wer hat aktuell den Ring?", wollte sie von der anderen Blondine wissen.

"Der ist weiterhin in unserem Besitz. Curaçao trägt ihn am Finger und hat ihn bislang eisern verteidigt.", informierte Chris sie.
 

Mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination beobachtete die junge Frau den Kampf. Nun, wo sie nicht länger menschlich war, konnten ihre Augen den Bewegungen der beiden Kämpfenden um einiges leichter folgen.

Fast schon wirkten die Angriffe wie eine gründlich einstudierte Choreographie, ging es Jodie ironischerweise durch den Kopf. Wenn die Situation doch nur nicht so ernst wäre.

Curaçao lehnte sich ein kleines Stück nach hinten, um einem Schlag auszuweichen, ehe sie selbst von unten zu einem Haken ausholte und auf das Kinn des Gegners zielte. Der Silberhaarige hatte ihren Angriff bemerkt und blockierte ihre Faust mit seinem Arm.

Während sie den Kampf beobachtete, meinte Mondnebels ehemalige Jägerin eine gewisse Regelmäßigkeit in dem Schlagabtausch feststellen zu können. Gin wich den Angriffen seiner Gegnerin selten aus, sondern blockte Schläge und Tritte meist ab, während die Leibwächterin Attacken seltener abfing und dafür geschickt auswich, wann immer es möglich war.

"Er ist der Stärkere, sie die Schnellere, kann das sein?", äußerte sie ihre Beobachtung an Chris gewandt.

Die Schauspielerin nickte. "Genau so ist es.", bestätigte sie.

Jodie fuhr vor Schreck zusammen, als sie aus dem Augenwinkel eine plötzliche Bewegung direkt neben sich bemerkte. Sie wirbelte herum, befürchtete sie im ersten Moment doch, dass es sich um einen der Gegner handeln könnte, der nun doch noch auf die Idee gekommen war, Chris oder sie ins Visier zu nehmen, doch zu ihrer Erleichterung stellte sie im nächsten Augenblick fest, dass es lediglich Bourbon war, der sich zu ihnen gesellt hatte, nachdem er seinen Gegner vorerst ausgeschaltet hatte.

"Natürlich ist ein Urvampir einem A-Klasse Vampir an Körperkraft überlegen.", mischte er sich in das gerade begonnene Gespräch ein. "Aber sie macht ihre Sache gut. Was bringt Stärke, wenn er nur selten in der Lage ist, Curaçao wirklich zu treffen?"

"Zumal ihre Kräfte ebenfalls brachial sind. Das Gin sie meist verfehlt ist ein Vorteil. Allerdings ist es gleichzeitig auch ein Problem, dass er in der Lage ist, einen Großteil von Curaçaos Angriffen zu blockieren.", stellte Chris fest.

Derweil warf Jodie Rei einen schiefen Blick zu. "Schön und gut, dass du mit deinem Gegner den Boden aufgewischt hast, aber du siehst noch recht fit aus. Willst du Curaçao nicht vielleicht mal helfen?"

Anstatt sich in Bewegung zu setzen, folgte der Bodyguard dem letzten Kampf in der Halle lediglich mit dem Blick. "Wenn wir den Gegner zu zweit angreifen würden, würden wir uns am Ende nur gegenseitig unter den Füßen herumstehen und Gin einen Vorteil verschaffen. Sieh hin, Curaçao braucht den Platz."

Und tatsächlich. Die Bewegungen der Silberhaarigen waren kraftvoll und schnell. Sie wirbelte regelrecht um ihren Gegner herum. In der Tat wäre es gut möglich, dass ein zur Hilfe eilender Verbündeter ihr lediglich im Weg stehen würde.

"Noch eine knappe Minute.", kommentierte Chris angespannt mit einem Blick zur Wanduhr.

"Sie muss den Ring jetzt nur noch weniger als 60 Sekunden verteidigen. Ich würde sagen, es sieht gar nicht so schlecht-", begann Jodie, brach jedoch entsetzt ab, als es dem japanischen Vampirfürsten just in diesem Moment gelang, seiner Gegnerin den Ellbogen in die Magengrube zu rammen. Auch er musste die Uhr im Blick haben, war die Stärke hinter diesem Angriff doch enormer, als in den vorherigen Schlägen.
 

Curaçao wurde mit dem Rücken gegen die Wand hinter sich geschleudert, keuchte bei dem Aufprall schmerzerfüllt auf und sank im nächsten Moment zu Boden. Sei es wegen des Treffers, oder vor Erschöpfung, ihre Knie hatten unter ihr nachgegeben, während sie sich nach vorne krümmte und nach Luft rang.

Für einen kurzen Moment blickte Gin kalt auf sie herab. "Und jetzt her mit dem Ring, Mädchen."

Die silberhaarige Leibwächterin reagierte nicht auf seine Worte und schien derzeit viel mehr mit sich selbst beschäftigt, versuchte sie nach dem heftigen Treffer doch wieder Luft zu bekommen.

Entsetzen spiegelte sich in der Mimik der drei blonden Vampire, die dem Kampf bis eben zugesehen hatten.

"Curaçao!", rief die Daywalkerin besorgt nach ihrer Leibwächterin.

"Nur noch ein paar Sekunden! Gib jetzt nicht auf!", rief Jodie quer durch die Halle.

Obwohl nicht sie selbst es war, die dort kämpfte, raste ihr Herz und für einen kurzen Augenblick hatte sie das Gefühl, als würde auch ihr der Atem wegbleiben. Jedoch aus anderen Gründen.

Natürlich sorgte sie sich um die Vampirin, gleichzeitig wusste sie auch, dass in diesem Augenblick der Deal zwischen Mondnebel und dem Vampirclan auf Messers Schneide stand. Sie waren auf den Sieg hier und heute angewiesen!

Und nicht nur das. Ihr Bauch krampfte sich zusammen, als sie realisierte, was es bedeuten würde, sollte die Silberhaarige den Kampf nun verlieren und der Ring in Gins Hände fallen. Wem der Ring zum Jahreswechsel gehörte, der hatte auch einen Anspruch auf den dazugehörigen Halsreif, bloß dass das Artefakt sich im Besitz von Chris befand, die den verdammten Reif nicht ablegen konnte.

Würde Japan die Schlacht für sich entscheiden, dann wäre die Daywalkerin gezwungen, sich ihnen anzuschließen. Ein schrecklicher Gedanke!

Jodie war nicht gewillt ihre Seelenverwandte gehen zu lassen, zumal sie sich auch Sorgen um das Wohlbefinden der Anderen machen würde, müsste Chris mit nach Japan reisen. Darüber hinaus würde sie es nicht ertragen, von ihr getrennt zu werden. Ein Großteil ihrer Entscheidung, ihre Menschlichkeit aufzugeben und sich dem Vampirclan anzuschließen, beruhte immerhin darauf, dass sie bei der anderen Blondine sein wollte.

Mit äußerster Anspannung beobachtete Jodie, wie die letzten Sekunden des Kampfes verlaufen würden.

Neben ihr spannte sich Bourbon an, bereit loszuspringen und seine Kameradin zu unterstützen, immerhin galt es den japanischen Vampirfürsten nun nur noch über einen sehr kurzen Zeitraum in Schach zu halten.

"Komm schon! Reiß dich zusammen! Ich weiß du schaffst das!" Renas Stimme hallte durch den Raum. Normalerweise passte es gar nicht zu der Brünetten, einmal so die Stimme zu erheben, doch in Angesicht der Tatsache, dass ihre Freundin gerade den wichtigsten Kampf des Jahrhunderts bestritt... Auch auf dem Gesicht der ehemaligen Jägerin Sternenstaubs standen Sorge und blanker Horror geschrieben. Zur Hilfe eilen konnte sie Curaçao jedoch nicht, war sie selbst doch noch damit beschäftigt Chianti zu Boden zu drücken, die ihre Chance ganz sicher nicht verstreichen lassen und sofort angreifen würde, sobald sie sich wieder bewegen könnte.
 

Während Gin zu einem letzten, finalen Angriff ansetzte, wurde der Blick der Leibwächterin plötzlich hart. Sie mobilisierte ihre letzten Kraftreserven, wirbelte herum, stützte sich mit den Händen auf den alten Dielen ab und vollführte einen halben Handstand, ehe sie den damit gewonnenen Schwung nutzte und zutrat. "Das ist für das, was du über all die Monate meiner Freundin angetan hast, Dreckskerl!"

So kampferfahren der japanische Anführer auch sein mochte, er musste seine Gegnerin bereits schachmatt gesehen und nicht mehr mit Gegenwehr ihrerseits gerechnet haben.

Ihr letzter, verzweifelter Angriff, traf ins Schwarze. Der harte Tritt der Vampirin traf ihren Gegner genau unter der Nase. Ein hässliches Knacksen ertönte.

Im nächsten Augenblick stieß Curaçao sich vom Boden ab, wischte an ihrem Gegner vorbei und war mit drei Sätzen bei ihren Verbündeten. "Wie lange noch?", keuchte sie gehetzt.

"Fünf...vier...!", begann Chris einen Countdown herunterzuzählen. Jodie hatte, ohne es zu merken, den Atem angehalten.

Gin hatte sich recht schnell wieder gefangen, schüttelte kurz den Kopf und wischte sich das Blut unter der Nase weg, ehe er herumwirbelte und mit einem gewaltigen Satz auf die restliche Gruppe zusprang.

"Drei...zwei...!"

Rei sah den drohenden Angriff kommen und hechtete augenblicklich zwischen den japanischen Vampirfürsten und seine Kameraden.

Nur ganz am Rande spürte Jodie, wie Curaçao nach ihrer Hand griff und ihren Arm in einer triumphierenden Geste hochriss. Überrascht stolperte die Blondine halb gegen sie.

"Eins...!" Rei blockte den Angriff des Silberhaarigen ab, wurde einen Schritt zurückgedrückt und riss die Daywalkerin versehentlich mit sich zu Boden.

Im Hintergrund ertönte das Läuten der Wanduhr. Neujahr! Es war vorbei!
 

Im ersten Moment stand Unglaube auf den Gesichtszügen des japanischen Anführers geschrieben, dann legte sich eisige Kälte auf seine Mimik.

"Autsch... und das in der letzten Sekunde.", murrte Chris vor sich hin und schob Rei ein Stück weit von sich, der sie eben noch umgerissen hatte.

"Entschuldige. Aber der Kopf ist noch dran, oder?", neckte dieser die Daywalkerin, woraufhin sie ihn gegen den Oberarm knuffte.

Jodie fühlte sich in den ersten Sekunden des neuen Jahres wie erschlagen. Sie konnte nicht fassen, dass die Schlacht vorbei war. Das alles fühlte sich nun, nur Sekunden danach, bereits so unwirklich an. So viel war innerhalb der letzten Stunde geschehen. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos und erdrückende Leere zugleich.

"Wir haben es geschafft, oder...?", hakte sie ein wenig lahm nach.

Curaçao, die neben ihr stand, blinzelte sie beinahe amüsiert an. "Das haben wir wohl.", bestätigte sie.

Der ehemaligen Jägerin fiel ein Stein vom Herzen. Sie spürte, wie die Anspannung förmlich von ihr abfiel, wie eine tonnenschwere Last. Sie hatten es wirklich geschafft!

Neben ihr gratulierte Chris gerade der Silberhaarigen und umarmte diese herzlich, ehe sie sich zu Jodie gesellte.

Die junge Blondine hielt es nicht länger aus und fiel der Schauspielerin spontan um den Hals. Diese blinzelte im ersten Moment überrascht, schmunzelte dann aber und legte die Arme um sie.

Inzwischen hatten sich auch Rena und Chianti zu der Gruppe gesellt. Während die Brünette einfach nur erleichtert wirkte, spiegelten sich in der Mimik der Scharfschützin Frustration und Wut.

"Das glaube ich jetzt nicht! Der Sieg war doch zum greifen nahe!", regte Chianti sich auf.

Gin ließ seinen kalten Blick über die Gruppe schweifen. "Eine so unerfahrene und schwache neue Anführerin. Was für eine Schande für Amerika.", spottete er.

"Curaçao hat den Ring eine ganze Stunde lang eisern gegen dich verteidigt und ihre Sache ziemlich gut gemacht, dafür, dass sie angeblich so schwach sein soll.", kam es provokant von Bourbon, an den Silberhaarigen gewandt.

"Aus ihm spricht doch nur die Frustration, dass es ihm als Urvampir nicht gelungen ist, einer A-Klasse Vampirin das Artefakt abzunehmen. Ist doch so, mein Lieber?" Das typische, leicht spöttische Funkeln in Chris Augen war zurück.

"Ich denke, du wirst eine ganz wunderbare neue Anführerin abgeben.", wandte Rena sich ermutigend an ihre Freundin und blickte diese voller Zuneigung an.

Auf Curaçaos Lippen stahl sich ein beinahe amüsiertes Lächeln. "Aber ich trage den Ring doch gar nicht."
 

Ihre Worte schlugen ein wie eine Bombe. Gin musste es bereits bemerkt haben, doch alle anderen hielten inne und blickten sie irritiert an.

"Huh...?", brachte Kir verdutzt heraus. "Aber wenn du den Ring nicht hast, wer trägt ihn denn dann...?"

"Eine Person, die diese Position viel besser besetzen wird, als ich es je könnte. Eine Person mit Mitgefühl, einem starken Gerechtigkeitssinn und dem Privileg, dass sie sowohl Menschen, als auch Vampire verstehen können wird. Jemand, der sich bis zu einem gewissen Grad von Amerikas zweiter Anführerin leiten lassen, aber stur genug sein wird, um den eigenen Kopf durchzusetzen, wenn Chris einmal doch zu skrupellos sein sollte. Die beiden werden sich perfekt ergänzen, das weiß ich jetzt schon. Zumal es ohnehin üblich ist, dass das Anführer-Duo von Verwandten, oder einem Paar gebildet wird."

Das Lächeln auf den vollen Lippen der Silberhaarigen wurde noch etwas breiter. Sie wirkte so befreit, als wäre ihr mit der Entscheidung, den Ring und damit den Anführerposten weiterzugeben, eine tonnenschwere Last von den Schultern gefallen.

Kir war die Erste, die die Bedeutung der Worte verstand und sich schmunzelnd an die Seite ihrer Freundin schmiegte.

Während sich im Hintergrund die Kämpfer beider Seiten langsam wieder aufrappelten, ruhten die Blicke von Rei und Chris überrascht auf Jodie. Chianti war der Kiefer heruntergeklappt.

Curaçaos Worte eben...es gab nur eine Person in diesem Raum, auf die diese Beschreibung wirklich zutraf. Und dann noch die Geste, wenige Sekunden vor dem Ende des Kampfes, die der Silberhaarigen so überhaupt nicht ähnlich gesehen hatte. Sie hatte sich die Hand der ehemaligen Jägerin geschnappt und ihren Arm schließlich triumphierend nach oben gezogen.

Mit einem unbeschreiblich seltsamen Gefühl in der Magengegend, hob Jodie wie in Zeitlupe ihre Hand. Ihr logisches Denken setzte aus und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, als sie auf den goldenen, mit einem Rubin verzierten, Ring an ihrem Finger blickte.



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