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Wetten, dass ...?

von

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#11

Der nächste Morgen empfing Kaoru in altbekannter Dunkelheit, so wie es sein sollte. Eine ganze Weile blieb er liegen, den Blick zur Zimmerdecke gerichtet und dachte über den vergangenen Tag nach. Den Versuch, die Ereignisse als eine Art Traum abzutun, musste er spätestens dann aufgeben, als er den Fehler machte, sich auf die Seite zu drehen. Gott, ihm tat jeder Knochen weh.

Wenig später schleppte er sich ächzend und mit dem ein oder anderen derben Fluch auf den Lippen ins Bad, ohne seiner Umgebung viel Interesse zu schenken. Vor dem ersten Kaffee war er schlichtweg nicht aufnahmefähig. So erklärte sich auch seine Verblüffung, als er wenig später die Küche betrat und erneut nicht nur mit dem Duft von frischem Kaffee, sondern auch von einem recht munter wirkenden Die begrüßt wurde.
 

„Ich glaub, ich hab gerade ein Déjà-vu, bist du krank?“, entfuhr es ihm unhöflicher, als er beabsichtigt hatte.
 

„Guten Morgen, Die, hast du gut geschlafen? Oh, vielen Dank der Nachfrage, Kaoru, mein Rücken scheint sich langsam an den Gästefuton zu gewöhnen“, trällerte sein Freund, bevor er ihn abwartend musterte.
 

„Ich … ja … guten Morgen, Die. Du hast recht, das war unhöflich von mir, tut mir leid. Aber trotzdem, warum bist du schon wach?“
 

„Alles gut, ich weiß ja, dass du zwar ein Frühaufsteher, aber kein Morgenmensch bist.“ Die schenkte ihm ein brillantes Lächeln und deutete auf die zweite Tasse auf dem Tisch.

„Setz dich, ich hab dir schon eingegossen.“
 

„Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen; alles, auch das Kaffeekochen und so.“
 

„Ich dachte mir, wenn ich mich schon bei dir einquartiert habe, sollte ich mich wenigstens etwas deinen Gewohnheiten anpassen und da gehört es dazu, früh aufzustehen und dich mit deinem Lebenselixier zu versorgen. Außerdem haben wir heute viel vor.“
 

„Haben wir das?“, fragte er lauernd und nichts Gutes ahnend. Er setzte sich Die gegenüber, hielt seine dampfende Tasse in beiden Händen und hob abwartend eine Augenbraue.
 

„Natürlich haben wir das, sagte ich dir doch gestern schon.“
 

„Ich hatte gehofft, du würdest mich nur auf den Arm nehmen.“
 

„Nope.“
 

„Mir tut jeder Knochen weh, muss das sein?“ Kaoru lehnte sich in seinem Stuhl zurück und versuchte, seine Unlust mit großen Schlucken Kaffee hinunterzuspülen.

„Verrate mir wenigstens, worauf ich mich heute einstellen muss.“
 

„Jedenfalls nicht auf sportliche Aktivitäten, so viel kann ich dir versprechen.“
 

„Immerhin.“
 

„Ich pack schon mal zusammen, trink in Ruhe deinen Kaffee, frühstücken können wir auch in der Innenstadt.“
 

„Du willst in die Innenstadt fahren? Bist du lebensmüde oder so?“
 

„Hab doch mal ein bisschen Vertrauen in mich, Mister Grumpy.“
 

„Mister Grumpy, hu?“, brummte Kaoru stilecht in seinen Bart und musste sich ein Schmunzeln verkneifen, während er dabei zuhörte, wie Die im Flur seine Sachen packte. Sein Englisch reichte gerade so weit, dass er verstand, was sein Freund mit diesem Spitznamen aussagen wollte und er musste zugeben, dass Die damit gar nicht so unrecht hatte. Er war gerade wirklich etwas missgelaunt, aber ihm tat alles weh und außerdem machte es Spaß, Die etwas zu necken. Große Lust, sich ins Getümmel der Stadt stürzen zu müssen, hatte er dennoch nicht. Was sollten sie überhaupt dort? Weihnachtsgeschenke auf den letzten Drücker kaufen? Na, immerhin lief Kaoru dann nicht Gefahr, diesem weihnachtlichen Zirkus doch noch etwas abzugewinnen. Es gab schließlich nichts, was für ihn weniger erstrebenswert wäre, als Menschenmassen im Weihnachtsstress und er mittendrin.
 

~*~
 

Falls Kaoru gedacht hatte, diesen Teil von Dies Plan schon so gut wie für sich entschieden zu haben, hatte er sich schwer getäuscht. Die U-Bahn war um diese frühe Uhrzeit angenehm leer, wie auch die Straßen und sogar das große Kaufhaus, in das es sie verschlagen hatte.
 

„So, da sind wir“, verkündete Die, als hätte Kaoru keine Augen im Kopf.
 

„Und was wollen wir hier?“
 

„Ich hab bislang nur die Halterung für den Baum, die Lichterkette und die Decke für darunter besorgt.“
 

„Ja~ …“
 

„Was heißt, dass wir uns jetzt nach Baumschmuck umsehen werden.“
 

„Baumschmuck …“, echote Kaoru und hätte mit Worten nicht beschreiben können, wie unterirdisch seine Begeisterung gerade war.

„Weißt du was? Ich hab eine grandiose Idee. Du kaufst einfach irgendwas und ich verzieh mich derweilen in die Buchabteilung. Ich wollte mir schon lange den neuen Dan Brown Roman zulegen.“
 

„Meinst du Inferno?“
 

„Ja.“
 

„Das ist doch schon seit Jahren auf dem Markt.“
 

„Siehst du mal, wie wenig Zeit ich zum Lesen habe.“

Die hatte sich bei ihm untergehakt – das schien zur Gewohnheit zu werden – und dirigierte ihn zu den Rolltreppen.

„Die Buchabteilung ist im Untergeschoss.“
 

„Schön, wir müssen aber in den ersten Stock.“
 

„Ich hab aber keine Ahnung von Baumschmuck und es interessiert mich auch nicht.“
 

„Abwarten.“
 

Nur mit Mühe konnte sich Kaoru ein Seufzen verkneifen, während die Rolltreppe sie ihrem Ziel immer näher brachte. Wieder einmal musste er feststellen, dass er keine Chance hatte, wenn Die sich etwas in den Kopf setzte.

„Es ist erstaunlich ruhig hier“, stellte er fest, als er nach unten sah und auf der Verkaufsfläche tatsächlich nur eine Handvoll Angestellte zu erkennen glaubte.

„Öffnet das Kaufhaus nicht eigentlich erst um zehn?“
 

„Möglicherweise kenne ich den Storemanager und hab den Gefallen eingefordert, den er mir noch schuldig war.“
 

„Du hast was?“
 

„Glaubst du denn, ich jage dich im größten Weihnachtstrubel in ein Kaufhaus? Ich habe vor, zu gewinnen, schon vergessen?“
 

Für einen langen Moment konnte er Die nur fassungslos ansehen. Er konnte nicht glauben, was sein Freund sich alles einfallen ließ und auf sich nahm, nur um diese dämliche Wette zu gewinnen. Wer tat so etwas, bitte? Sein Herz, das sich bis eben in Dies Gegenwart beinahe normal verhalten hatte, fing nun an, in doppeltem Tempo zu schlagen und wohlige Wärme durch seinen Körper zu jagen. Die, der bis über beide Ohren grinste, machte es ihm noch schwerer, den aufziehenden Tumult in seinem Inneren zu ignorieren. Oh, bitte, könnte der Tag nicht bereits vorbei sein? Nein, natürlich nicht, das war zu viel verlangt, und zu allem Überfluss legte Die ihm gerade den Arm um die Schultern, um ihn erneut zu dirigieren, bis sie in der Schöner-Wohnen-Abteilung angekommen waren.
 

„Du bist … Das ist … Wie kommst du nur auf so eine Idee?“, stammelte er schlussendlich mit einiger Verspätung und schüttelte den Kopf. „Wenn du, was die Band angeht, auch solche Einfälle hättest …“ Dies Finger schnellte vor und legte sich über seine Lippen.
 

„Sag nichts, was du später bereust. Erstens habe ich auch die Band betreffend gute Einfälle und zweitens willst du jetzt ganz bestimmt nicht über die Arbeit reden.“
 

„Wollen schon …“ Kaoru schmunzelte und trat einen Schritt zurück, um der Berührung zu entgehen, die seine Lippen viel zu interessant fanden.
 

„Du bist unmöglich, aber das hindert mich trotzdem nicht daran, mit dir gemeinsam Baumschmuck auszusuchen.“
 

„Das habe ich befürchtet.“
 

„Was hältst du von orange? Das ist die Trendfarbe dieses Jahr.“
 

„Schrecklich.“
 

So oder so ähnlich verlief ihre Unterhaltung für die nächste halbe Stunde. Kaoru schlug alles aus, was ihm zu grell, zu kitschig oder zu kindlich war, bis er ganz am hinteren Ende der Abteilung etwas erspähte, was ihm tatsächlich gefiel.
 

„Die sind in Ordnung, denke ich.“
 

„Oh, wie hübsch, Eiszapfen.“ Die zog einen der filigranen Anhänger von der Kunsttanne, an deren Ästen sie ausgestellt waren, und begutachtete ihn genauer.

„Nicht das, was ich mir ausgesucht hätte, aber das schlichte Design passt zu dir. Du bist eben ein Mann, der weiß, was er will, und nicht mehr davon abrückt, wenn er sich erst entschieden hat, nicht wahr?“
 

„Mh, wenn du das sagst.“ Kaoru hatte sich nach einer der Schachteln gebückt, die unter dem Auslagentisch gestapelt waren, und kämpfte damit, diesem eher fragwürdigen Kompliment nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Täuschte er sich, oder war bei Dies Worten soeben ein eigenartiger Unterton in seiner Stimme mitgeschwungen? Er schielte nach oben, aber sein Freundhatte sich einer anderen Auslage zugewandt und beachtete ihn nicht weiter. Nein, er musste sich das nur eingebildet haben.

„Es gibt auch noch Tannenzapfen im gleichen Stil, aber die gefallen mir nicht wirklich.“
 

„Lass mich raten, an denen ist dir schon zu viel Glitzer dran?“
 

„Das wird es sein.“
 

„Und wie findest du die Schneeflocken?“
 

„Die sind okay.“
 

„Uh, nicht zu viel Begeisterung auf einmal.“ Die lachte und schlug neckend gegen seine Schulter.

„Ich würde sagen, fünf Packungen von den Eiszapfen, fünf von den Schneeflocken und den großen Stern als Spitze. Damit sollte dein Bäumchen zwar festlich, aber nicht zu überladen aussehen.“
 

„Und was hast du da noch gefunden?“
 

„Das, mein lieber Kaoru, ist ein Geheimnis.“
 

„Warum frage ich überhaupt noch? Heißt das, ich kann endlich nach meinem Buch sehen?“
 

„Mh ja, ich brauch auch noch ein paar Kleinigkeiten für meine Neffen zum neuen Jahr. Am besten ich nehme den Baumschmuck mit zu den Kassen und sehe mich dann ein bisschen um. Treffen wir uns in zwanzig Minuten im Café im Untergeschoss? Das ist gleich gegenüber der Buchhandlung.
 

„Hat das denn schon geöffnet?“
 

„Hiro, der Storemanager, von dem ich vorhin gesprochen habe …“ Kaoru nickte als Zeichen, dass er sich erinnerte. Wie konnte er vergessen, was Die dem armen Kerl abverlangt hatte? „… hat mir gestern noch Bescheid gegeben, dass wir auch vor Ladenöffnung im Café Frühstücken können.“
 

„Das muss wirklich ein überaus großer Gefallen gewesen sein, den er dir schuldig war.“
 

„Nein, nein, er fand meine Idee nur cool und war recht begeistert davon, mir helfen zu können.“
 

„Ich frag mich gerade, wer von euch beiden verrückter ist: Du, weil du den Einfall hattest oder er, weil er dich dabei unterstützt hat.“
 

„Manchmal ist es gut, etwas verrückt zu sein, macht das Leben interessanter. Bis nachher, Mister Grumpy.“
 

„Wehe du lässt das zur Gewohnheit werden!“, rief er diesem zu großen Kind hinterher, erhielt jedoch nur eine winkende Hand als Antwort.

„Grumpy, pah, der würde sich wundern, wäre ich wirklich so mürrisch, wie er immer behauptet.“ 



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