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Wetten, dass ...?

von

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#12

Kaoru hatte geplant, auf direktem Weg in die Buchhandlung zu gehen, sich seinen Roman zu kaufen und sich dann ins Café zu setzen, um in aller Ruhe auf Die zu warten. Während er die Rolltreppe hinunterfuhr, stieg ihm jedoch ein bekanntes Potpourri aus diversen Düften in die Nase, das typisch für eine Parfümerieabteilung war. Wenn er schon mal hier war, könnte er doch …
 

Es war unsinnig, nach einem Parfüm Ausschau zu halten, das vor über fünfundzwanzig Jahren auf den Markt gekommen war. Die Marke gab es sicher nicht mehr, außerdem hatte er den Namen vergessen. Wonach genau sollte er also suchen? Aber die Idee hatte sich festgesetzt. So fand er sich kurz darauf zwischen den Regalreihen wieder, den Blick über die Aberhunderte Fläschchen gleiten lassend, in der Hoffnung, eines von ihnen würde ihm bekannt vorkommen. Und tatsächlich, da war es.
 

„Ich glaub das nicht“, murmelte er und ging auf eine Auslage zu seiner Linken zu. Er konnte es nicht fassen, da stand es, tatsächlich, er erkannte den Flakon wieder. Kein Wunder, schließlich hatte er seinen armen Vorgänger mindestens ein halbes Dutzend Mal beinahe vom Waschbeckenrand gefegt, weil ihr Badezimmer in der WG viel zu klein gewesen war. Er nahm den Tester in die Hand, zog die Kappe ab und roch am Sprühkopf. Der vertraute Duft nach Tabakblüte, Akazie und dunkler Schokolade stieg ihm in die Nase und bevor er realisieren konnte, dass er einen Fehler gemacht hatte, fluteten Erinnerungen an längst vergessene Momente seinen Verstand.
 

Die, in einer Militäruniform, sein rotes Deckhaar zu allen Seiten hochtoupiert, während ihm die längeren Strähnen bis weit über den Rücken reichten.

Die, verkatert und verschlafen mit nichts weiter am Leib als einem viel zu weiten T-Shirt und einem schiefen Lächeln.

Die, seine Akustikgitarre auf dem Schoß und einen Bleistift zwischen den Zähnen, mit dem er von Zeit zu Zeit seine neuste Komposition auf einem Notenblatt festhielt.

Die, der sich an ihn klammerte, ungesund blass im Gesicht, weil er seine Nervosität vor dem ersten Auftritt von Dir en grey kaum noch ertragen konnte.
 

Energisch schüttelte er den Kopf, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben. Ebenso resolut schloss er das Fläschchen wieder und stellte es zurück. Gerade wollte er gehen, da räusperte sich jemand hinter ihm.
 

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Er drehte sich herum und sah sich einer jungen Verkäuferin gegenüber, die ihn mit einem geschäftsmäßigen Lächeln auf den Lippen musterte.

„Dieses Parfüm ist etwas ganz Besonderes, es ist erst seit ein paar Monaten wieder erhältlich.“
 

„Wirklich?“
 

„Ja. Die Produktion wurde bereits 2010 eingestellt, aber die Liebhaber dieses Duftes haben nie aufgehört, nach einer Wiederauflage zu bitten. Im Herbst dieses Jahres war es dann soweit.“ Die Verkäuferin strahlte ihn an, als würde sie sich ehrlich über die Rückkehr dieses Duftes freuen. Kaoru wusste, dass das nur Teil ihrer einstudierten Höflichkeit war, aber musste sich eingestehen, dass er ihren Enthusiasmus ansteckend fand.
 

„Ich …“ Seine erste Reaktion bestand dennoch darin, sich aus der Affäre ziehen und unverrichteter Dinge verschwinden zu wollen. Aber irgendetwas in ihm wollte diesen Duft unbedingt kaufen und Die schenken, was eine absolut dämliche Idee war, und trotzdem fühlte er sich nicken.

„Wissen Sie was? Ich nehme es.“
 

„Eine gute Entscheidung. Darf ich es Ihnen einpacken?“
 

„Gern.“
 

„Dann folgen Sie mir bitte. Welches Geschenkpapier darf ich verwenden?“
 

Kaoru war der Verkäuferin zur Kasse gefolgt und betrachtete nun die Auswahl der Verpackungsmöglichkeiten hinter dem Tresen. Die meisten der Rollen zierten Abbildungen von Spielzeug, Weihnachtsbäumen oder gemütlich lächelnden Weihnachtsmännern und waren eindeutig für Kinder gedacht. Der Rest war in Farben gehalten, die Kaoru erneut als viel zu grell empfand. Nur eines erschien ihm passend und wieso auch nicht? Er hatte ohnehin bereits mehrmals festgestellt, dass ihn diese Farbe verfolgte.
 

„Das Dunkelrote bitte und die weiße Schleife dazu.“
 

„Sehr gern.“

Routiniert verpackte die Verkäuferin das Parfüm, schien sich sogar extra Mühe zu geben, die Schleife hübsch aufzufächern, bevor sie ihm das kleine Kunstwerk überreichte.
 

„Vielen Dank“, murmelte er, erneut ein eigenartiges Gefühl in der Magengrube. Hätte er nur Nein gesagt und wäre gegangen. Doch für mentales Lamentieren war es nun zu spät. So bezahlte er und ließ einen Augenblick später das Päckchen in der Innentasche seiner Jacke verschwinden.
 

Auf schnellstem Weg ließ Kaoru die Parfümabteilung hinter sich, fuhr ein weiteres Stockwerk nach unten und suchte Schutz in der vertrauten Umgebung der Buchhandlung. Bücher waren gut, Bücher hielten keine Erinnerungen an Die zwischen ihren Seiten gefangen. Doch auch hier kam er nicht zur Ruhe. Den Roman hatte er schnell gefunden, aber dafür die Lust verloren, weiter durch die Regale zu stöbern. Genau genommen hatte er gerade zu nichts Lust. Er hatte keinen Hunger, wollte nicht länger hier in diesem fast menschenleeren Kaufhaus sein und allein der Gedanke daran, dass er seine Wohnung auch heute wieder mit Die teilen musste, bereitete ihm Unbehagen. Vielleicht wäre es besser, aufzugeben. Er könnte seinem Freund sagen, dass er gewonnen hatte, dass er ihm das beste Weihnachten ermöglicht hatte, das er je erlebt hatte und sie dieses Schauspiel endlich beenden sollten. Aber Die würde ihn durchschauen, das tat er immer und Kaoru hätte nichts gewonnen.
 

Ohne jeden Elan betrat er das Café. Von Die war noch nichts zu sehen, also entschied er sich für einen Tisch hinten rechts, wo er alles im Blick und die Wand im Rücken hatte. So war es ihm am liebsten. Er mochte keine Überraschungen. Das Päckchen schien derweilen ein Loch in das Futter seiner Jacke zu brennen und nicht aufzuhören, ihn an seine dumme Entscheidung zu erinnern. Mürrisch schlüpfte er aus der Jacke, legte sie neben sich auf die Bank und zog sein Buch aus der Tüte.

Solange Die noch nicht hier war, konnte er genauso gut zu lesen beginnen. So war zumindest sein glorreicher Plan. Die Realität sah anders aus, denn er hatte das Buch zwar aufgeschlagen, aber starrte nur die Seiten an, ohne zu erkennen, was dort geschrieben stand.
 

Wie war er nur auf die dämliche Idee gekommen, Die etwas zu Weihnachten schenken zu wollen?

Weihnachten war ein Fest für verliebte Paare oder Menschen, die diese besondere Zeit des Jahres zum Anlass nahmen, sich näher zu kommen, nicht für Freunde. Außerdem hatten sie sich noch nie etwas geschenkt. Nicht zu Weihnachten, nicht zum neuen Jahr und selbst zu ihren Geburtstagen brachten sie höchstens ein Gastgeschenk zur Party mit, weil sie eben nur Freunde waren. Sie waren Bekannte und Arbeitskollegen, aber standen nicht in einem Verhältnis zueinander, das ein Weihnachtsgeschenk rechtfertigte.
 

Kaoru war kurz davor, aufzuspringen und zurück in die Parfümerieabteilung zu gehen, um dieses Resultat von kurzzeitiger geistiger Umnachtung loszuwerden, da setzte sich ihm jemand gegenüber.

Und selbstverständlich war es nicht irgendwer, sondern Die, in all seiner kaum zu ertragenden Pracht.
 

„Du siehst aus, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen, ist was passiert?“
 

„Nein, nein, ich war nur vertieft in den Roman.“
 

„Hast du deshalb noch nichts bestellt?“
 

„Ja, außerdem wäre es unhöflich gewesen, nicht auf dich zu warten.“
 

„Verstehe.“ Die musterte ihn mit einem eigenartigen Ausdruck im Gesicht, bevor er der Servicekraft ein Zeichen gab, dass sie bestellen wollten.

„Für mich bitte einen Oolong Tee und das Frühstück Nummer zwei..“
 

„Ich nehme das Gleiche.“
 

„Wie; keinen Kaffee? Ich bin erstaunt.“

Kaoru zuckte nur mit den Schultern und sparte sich eine Antwort. Was hätte er auch sagen sollen?

‚Die, deinetwegen rast mein Herz und ich fühle mich, als würde ich jeden Augenblick einen Infarkt bekommen?‘ Ja, das würde der andere sicher verstehen und bestimmt auch keine weiteren Fragen stellen.

„Ist das eigentlich die neuste Art, dich geistig herauszufordern?“
 

„Bitte? Was meinst du?“
 

„Na, einen Roman auf dem Kopf stehend zu lesen.“
 

Kaoru blinzelte und blinzelte noch einmal, bevor er spüren konnte, wie seine Ohren heiß wurden. Verdammt, Die hatte recht. Er hatte das Buch die ganze Zeit über verkehrt herum gehalten und es nicht einmal bemerkt.

„So oft, wie ich dir oder Toshiya gegenübersitze und auf euren Notenblättern mitlese, fällt mir das gar nicht mehr auf.“
 

„Aha, das ist … wirklich sehr interessant.“

Kaoru verzog keine Miene, während auf dem Gesicht seines Freundes ein strahlendes Lächeln erblühte. Die hatte ihn durchschaut, natürlich hatte er das, aber zu seinem grenzenlosen Erstaunen ließ er die Sache auf sich beruhen.

„Du hast also alles gefunden, was du kaufen wolltest?“
 

„Ja. Und du auch, wenn ich mir die vielen Tüten so betrachte. Hast du den halben Laden leergekauft?“
 

„So in etwa.“

Die Servicekraft kehrte an ihren Tisch zurück und brachte ein unglaublich üppiges Frühstück mit. Omelette auf Reis, ein Fruchtsalat, ein Smoothie, einen Korb mit mehreren kleinen Croissants und dazu passende Marmeladen in kleinen Glasschälchen.
 

„Himmel, wer soll das alles essen?“
 

„Wir. Schließlich haben wir Zeit, also, lass es dir schmecken.“



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