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Wetten, dass ...?

von

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#10

Kaoru fühlte sich wie erschlagen, ihm war noch immer kalt und eine heiße Dusche hatte sich in seinem Leben noch nie besser angehört. Dennoch ertappte er sich dabei, wie er Dies Auto mit einem feinen Lächeln auf den Lippen verließ. Er war wirklich froh, dass sein Freund es erneut auf sich genommen hatte, sie zu fahren, denn er selbst wäre vermutlich hinterm Steuer eingeschlafen. Er war so erschöpft gewesen, dass er sich nicht einmal darüber hatte aufregen können, als Die einen Radiosender entdeckt hatte, der das Innere des Wagens mit weihnachtlichen Klängen geflutet hatte. In erster Linie waren es die allseits bekannten, wenn auch seiner Meinung nach nicht beliebten, englischsprachigen Weihnachtslieder gewesen, doch Kaoru glaubte, sich zu erinnern, auch andere Sprachen herausgehört zu haben. Japanisch, natürlich, vielleicht auch Spanisch und … Deutsch? Er wusste es nicht mehr, weil er ihre Autofahrt in einer Art Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen verbracht hatte. Es sprach Bände, wie sehr er Die vertraute, dass er sich sicher genug gefühlt hatte, um ein Nickerchen zu machen.
 

„Puh, ich bin komplett durchgefroren, nicht einmal die Heizung im Auto hat was gebracht.“
 

„Dito“, bestätigte Kaoru und schleppte sich die letzten Stufen hinauf in den fünften Stock. Noch nie hatte er die Unfähigkeit seiner Hausverwaltung mehr verflucht als gerade eben.

„Was zum …“

Überrascht starrte er auf die diversen Dinge, die, kaum war er vor seiner Wohnungstür angekommen, ihm den Zutritt zu eben jener Wohnung versperrten. Eine Tüte, zwei Schachteln in unterschiedlichen Größen und …

„Ist das ein Weihnachtsbaum? Die?!“
 

„Ah, perfekt. Ich hatte gehofft, dass die Lieferung rechtzeitig kommt.“
 

„Lieferung? Was hast du angestellt?“
 

„Glaubst du denn, mein Plan bestünde nur darin, mit dir Wintersport zu machen und dich in ein Weihnachtsdorf zu entführen? Nee, mein Lieber, ich hab noch mehr weihnachtliche Dinge in der Hinterhand.“
 

Kaorus Mund öffnete und schloss sich, ohne dass ihm auch nur ein Wort über die Lippen kam. Schlussendlich entschied er sich für ein tief empfundenes Kopfschütteln und deutete auf den eingepackten Baum.

„Den räumst du beiseite.“
 

„Na klar. Wenn du mir die Tür aufhältst, trage ich ihn dir sogar bis ins Wohnzimmer.“
 

„Da ist kein Platz.“
 

„Platz ist in der kleinsten Hütte und nun red nicht rum, sondern sperr auf.“
 

„Muss das sein?“
 

„Kaoru~, wo bleibt deine Fairness?“
 

„Die ist erfroren“, murrte er, aber öffnete wie gefordert die Tür und hielt sie fest, damit Die den Baum hineinhieven konnte, nachdem er sich sogar noch brav die Schuhe ausgezogen hatte. Manchmal besaß dieses zu große Kind doch so etwas wie Anstand. Kaoru presste Daumen und Zeigefinger gegen seine Nasenwurzel und atmete tief durch, während aus dem Wohnzimmer leise Flüche und ein unheilvolles Klirren zu hören waren.

„Die? Was war das?“
 

„Nichts, nichts, alles in Butter hier.“
 

„Wer’s glaubt, wird selig.“ Mit einem tief empfundenen Ächzen bückte er sich nach Dies Stiefeln, stellte sie an die Garderobe und seine gleich daneben. Irgendwie … Einen langen Moment betrachtete er die Schuhe, bevor er sich energisch losriss. Seine Gedanken am heutigen Tage gehörten wirklich verboten. Warum brachten zwei Paar Stiefel, die nebeneinander im Flur standen, sein Herz dazu, schon wieder verrückt zu spielen? Das waren nur Schuhe, verdammt.
 

„Kannst du mir die kleinere der beiden Kisten bringen, bitte?“
 

„Natürlich“, nuschelte Kaoru in seinen Bart, gab der großen Kiste einen zufriedenstellenden Tritt, der sie über die Türschwelle beförderte, und bückte sich nach der Kleineren.

„Was ist da drin?“, rief er, „Wackersteine?“
 

„Die Halterung für den Baum, die muss so schwer sein, damit er nicht umfällt.“
 

„Noch ein Grund, warum das eine dumme Idee ist.“ Bevor er zu Die ins Wohnzimmer ging, schob er noch die Tüte mit dem Fuß in die Wohnung und knallte der Welt dann endlich die Tür vor der Nase zu. Dumm nur, dass Die auch zu dieser Welt gehörte, sich jedoch nicht auf gleiche Weise aussperren ließ.
 

„Kaoru, ich brauch die Halterung!“
 

„Ja doch, daran hättest du auch denken können, bevor du die halbe Botanik in meine Wohnung schleppst. Hier.“
 

„Packst du sie bitte noch aus?“
 

Er verkniff sich ein Augenrollen, denn irgendetwas sagte ihm, dass Die sich gerade köstlich amüsierte. Kaoru hatte absolut keine Ahnung, wie er nur auf diesen Gedanken kam. Ob es an dem breiten Grinsen lag, dass er seinem Freund am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte?
 

„Du bewegst dich auf sehr, sehr dünnem Eis, mein Guter.“
 

„Motz nicht.“ Die bedeutete ihm, das schwere Ungetüm von Christbaumständer neben seinem Sofa zu platzieren. Erstaunlich geschickt und vor allem schnell hatte er den Baum in die Halterung gestellt und mit wenigen Handgriffen fixiert. Die machte das wirklich nicht zum ersten Mal, das stand fest.

„Siehst du, schon steht er.“
 

„Ja, das schon, aber noch etwas schiefer und du kommst damit ins Guinnessbuch der Rekorde.“
 

„Genau das ist das Ziel, Einstein.“ Die schnippte ihm leicht gegen die Stirn, bevor er sich ihm zu Füßen warf. Nun gut, in Wahrheit kniete er sich nur hin, um unter den Baum sehen und die Halterung so ausrichten zu können, damit er hoffentlich irgendwann auch gerade stand.
 

„Mehr nach rechts“, kommentierte Kaoru sein Tun und wechselte die Seite, als Die seiner Anweisung nachgekommen war.

„Jetzt noch ein Stück nach vorn … zu weit. Wieder etwas zurück, nein, näher zum Fenster …“
 

„Passt es jetzt?“

Kaoru ließ sich auf das Sofa fallen, lehnte sich gegen die Polster und streckte die Beine aus.

„Kaoru?“
 

„Mh?“
 

„Steht der Baum jetzt gerade?“
 

„Nö.“
 

„Wie, nö?“ Die kroch unter dem Baum hervor und warf erst ihm einen irritierten Blick zu, bevor er die Tanne ausführlich musterte.

„Ich weiß nicht, was du willst, die steht doch gerade.“
 

„Ich hab nie was anderes behauptet.“
 

„Was? Du sagtest doch …“ Kaoru lachte leise und erst jetzt schien auch Die zu verstehen, dass er ihn nur auf den Arm genommen hatte.

„Okay, das hab ich verdient.“
 

„Das und noch so vieles mehr.“
 

„Wie bitte?“
 

„Ich hab gefragt, ob du auch ein Bier willst.“
 

„Unbedingt.“
 

Kaoru nickte, erhob sich und ging in die Küche, um besagtes Bier zu holen. Seine Füße waren noch immer kalt und er sehnte sich mit jedem verstreichenden Moment mehr nach einer heißen Dusche. Aber er würde sich noch gedulden müssen, denn auch wenn Die sich mehr oder weniger selbst eingeladen hatte, war er ein Gast, und der Gast ging nun mal vor.
 

„Bitte sehr, der Herr.“
 

„Die Firma dankt, kanpai!“ Die Flaschen klirrten leise, als sie sie aneinanderstießen, während sie vor dem einigermaßen geraden Baum standen und vor allem Die sein Werk begutachtete, als wäre es ein architektonisches Meisterstück.
 

„Du musst zugeben, dass sich ein bisschen Grün in deiner Wohnung richtig gut macht.“
 

„Etwas weniger hätte es auch getan. Wenigstens riecht er gut.“
 

„Schon oder? Das ist der Grund, weshalb ich eine echte Tanne besorgen wollte, was übrigens gar nicht einfach war, aber für das richtige Weihnachtsfeeling gehört dieser spezielle Duft unbedingt dazu.“
 

„Ich verstehe echt nicht, warum du das alles machst. Nur, um diese dämliche Wette zu gewinnen?“ Er setzte sich und Die tat es ihm gleich, saß sogar näher bei ihm, als er es für angemessen gehalten hätte, aber er sagte nichts.
 

„Natürlich mache ich das in erster Linie, um zu gewinnen.“ Interessiert betrachtete er Dies Profil und musste feststellen, dass sein Freund plötzlich eigenartig ernst wirkte. Hatte er etwas Falsches gesagt oder mit seiner mürrischen Laune endgültig die Stimmung verdorben?

„Aber es ist auch schön, Weihnachten nicht allein zu verbringen. Fast wie früher, findest du nicht auch?“
 

„Schon … irgendwie.“

Weder Die noch er selbst fuhren regelmäßig an Weihnachten zu ihren Familien. Falls es sich in einem Jahr ergab, war das so, aber sie verschoben nicht absichtlich Termine, um Zeit zu haben. Die hielt es da meist wie Toshiya und Shinya, die ihre Eltern zum Neujahrsfest besuchten, aber Kaoru blieb um diese Zeit gern für sich. Aber früher, ja, früher, als er noch mit die zusammengewohnt hatte, war das ganz anders gewesen.

„Zugegeben, es hatte schon was für sich, am Weihnachtsabend mit dir um die Häuser zu ziehen.“
 

„Erinnerst du dich noch, wie herrlich wir uns immer über die Pärchen amüsiert haben, die Stunden vor den Konditoreien Schlange standen, nur um einen dieser überteuerten Weihnachtskuchen zu ergattern?“
 

„Du hast dich köstlich amüsiert. Ich finde, für einen richtig guten Weihnachtskuchen kann man den Aufwand schon betreiben.“
 

„Nicht dein Ernst? Die sind doch viel zu süß und zu üppig mit den Bergen an Sahne und Zucker.“
 

„Sagt derjenige, der schon zum Frühstück Toast mit pappsüßer Erdnussbutter und Traubengelee isst. Vor allem Traubengelee … das schmeckt doch wirklich nach nichts außer Zucker.“
 

„Das ist Jahre her, das zählt nicht mehr.“
 

„Ach nein? Und was ist mit deinen heiß geliebten Karamellbonbons, die quasi nach einem Zahnarztbesuch schreien?“
 

„Die sind Kult, Kult darf süß sein.“
 

„Bitte erinnere mich das nächste Mal daran, dass Logik bei dir vergebene Liebesmühe ist.“
 

„Wird gemacht.“ Die lachte herzhaft und lehnte sich kurz gegen seine Seite. Kaorus Finger kribbelten, wollten den anderen näher gegen sich ziehen, seine Wärme genießen. Stattdessen hielt er sich lediglich an seiner Bierflasche fest und bemühte sich redlich, gleichmäßig weiterzuatmen. Seine Stimme war kratzig und er musste sich räuspern, bevor er einen anständigen Ton herausbekam, nachdem Die endlich wieder auf Abstand gegangen war.
 

„Du solltest duschen gehen, damit ich meine eingefrorenen Knochen auch bald aufwärmen kann.“
 

„Okay.“
 

„Handtücher liegen auf der Waschmaschine.“
 

„Danke.“

Zwei harte Herzschläge lang fühlte er Dies Blick noch auf sich ruhen, dann verschwand er im Flur. Wenig später hörte Kaoru die Badezimmertür, aber statt dem Rauschen der Dusche war es erneut die Stimme seines Freundes, die an seine Ohren drang.

„Die Tüte kannst du übrigens stehen lassen, die räume ich nachher weg.“
 

„In Ordnung.“
 

„Und die große Schachtel auch.“
 

„Ist gut, aber was ist da überhaupt drin?“
 

„Die Grundausstattung für den Baum.“
 

„Grundausstattung?“, murmelte Kaoru in seinen Bart und ahnte Schlimmes.
 

„Den Rest besorgen wir morgen.“

Und mit diesen Worten bewahrheitete sich auch die zweite Vorahnung des Tages.



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