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Wetten, dass ...?

von

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#9

„Bist du dir sicher, dass die Dinger sicher sind?“

Kaoru starrte mehr als skeptisch auf das grellgrüne Gefährt, dass Die ihm gerade übergeben hatte. Es erinnerte ihn vage an eine Wahlnussschale aus Plastik. Am hinteren Ende war ein Sitz angebracht, der, wenn man ihn Fragte, nicht einmal breit genug für einen Kinderpopo war und am vorderen Ende befand sich eine Schnur, mit der er entweder lenken oder sich in Todesangst festhalten konnte. Letztere Verwendungsmöglichkeit erschien ihm die Logischste, und er fragte sich wirklich, ob Die wusste, was er tat. Ihm war schon klar, dass er ihre Wette verlieren würde, sollte einer von ihnen das Zeitliche segnen, oder? Ohne diese überlebenswichtigen Fragen jedoch zu stellen, folgte er dem anderen den Berg wieder bis ganz nach oben.

„Sollten wir uns nicht lieber langsam vortasten und vom Verleih aus starten? Ab dort ist es nicht mehr gar so steil und …“
 

„Quatsch, wenn schon, denn schon. Und um deine Frage zu beantworten, ja, ich bin mir sehr sicher, dass die Rodel sicher sind. Schau doch, die Gruppe Kinder dort drüben hat den Spaß ihres Lebens.“
 

„Auch nur, weil deren Knochen nicht alt und spröde sind.“
 

„Das Einzige, was hier spröde ist, bist du, alter Mann.“
 

„Ach, halt die Klappe und fahr endlich los, bevor ich es mir noch anders überlege.“
 

„Siehst du, das ist die richtige Einstellung.“
 

„Die~!“ Sein Freund lachte herzhaft, als Kaoru ihm einen kleinen Schubs verpasste, richtete seinen Rodel aus und schaffte es tatsächlich, seine langen Beine so zu drapieren, dass er in der Nussschale Platz fand, und keinen Moment später in wildem Tempo den Berg hinunter sausen konnte.

„Wunderbar, wenn er sich jetzt das Genick bricht, kann ich meine freien Tage mit der Suche nach einem neuen Gitarristen verbringen“, brummte Kaoru in seinen Bart, doch seine Lippen zierte ein verstohlenes Lächeln.
 

Die bremste und kraxelte von seinem Rodel, bevor er sich suchend umblickte und feststellen musste, dass Kaoru noch immer wie angewurzelt an Ort und Stelle stand.

„Jetzt komm schon!“, hörte er die Stimme seines Freundes nur leise zu ihm nach oben wehen, gefolgt von einem ausladenden Winken, als hätte Kaoru nicht ohnehin jede seiner Regungen wie gebannt verfolgt.
 

„Ich werde das so bereuen, ich weiß es.“ Mit einem ungenierten Ächzen, das ihm einen besorgten Seitenblick einer Mutter einbrachte, die ihren Sprössling gerade auf den Schoß zog, um gemeinsam den Berg hinunterzufahren, klappte er sein eingerostetes Gestell zusammen und kauerte sich auf den Rodel. Gerade, als er sich fragte, wie er das Todesgefährt nun in Bewegung setzen sollte, machte es sich selbstständig.

„Oh, Shit!“, brachte er noch heraus, bevor der Fahrtwind seinen nicht wirklich begeisterten Ausruf mit sich forttrug.
 

„Kaoru, bremsen!“
 

„Wie denn?“
 

„Beine raus und Hacken in den Schnee!“
 

„Okay!“
 

„Wuah!“ Die schaffte es gerade so, aus dem Weg zu springen, als Kaoru mit deutlich zu hoher Geschwindigkeit direkt auf ihn zuraste. Seine Fersen gruben sich in den Schnee, sein rechtes Bein traf auf Widerstand, der Rodel drehte sich einmal um die Eigene Achse, bevor er samt Kaoru wie ein Mehlsack zur Seite kippte. Aus einiger Entfernung hörte er Dies gackerndes Lachen und das Knirschen von Schritten im Schnee, die schnell näherkamen.

„Alles in Ordnung? Lebst du noch?“
 

„Nein, du hast es geschafft, mich umzubringen.“
 

„Mh, dann bist du aber eine sehr gesprächige Leiche.“ Dies Füße kamen zuerst in sein Blickfeld, dann ging sein Freund in die Hocke und grinste ihm mit leicht schief gelegtem Kopf wie der Inbegriff eines Lausejungen ins Gesicht. „Und wieder stelle ich deine Wahl eines Plätzchens zum Ausruhen infrage.“
 

„Und ich für meinen Teil stelle deine Zurechnungsfähigkeit infrage, aber das ist nichts Neues. Willst du mir nicht endlich aufhelfen?“
 

„Oh, doch, natürlich.“ Eilig richtete sich der andere auf und wieder hielt er ihm die Hand entgegen. Kaoru griff nach ihr, doch statt sich hochzuziehen, zog er Die mit einem Ruck neben sich in den Schnee. Sich zur Seite wegdrehend kämpfte er sich zurück in eine stehende Position und hatte einen lockeren Schneeball genau zum richtigen Zeitpunkt parat, als Die sich halb lachend, halb motzend aufsetzte.

„Ugh, hey, was soll das?“
 

„Frag nicht so blöd. Wenn du von mir verlangst, mich wie ein Kind den Berg hinunterzustürzen, kann ich mich auch sonst wie eines benehmen. Angriff!“ Er lachte triumphierend, als auch sein zweiter Schneeball sein Ziel nicht verfehlte, doch Dies Rache ließ nicht lange auf sich warten.
 

Wie lange sie sich den Schnee um die Ohren geworfen hatten, hätte er hinterher nicht sagen können. Was er jedoch wusste war, dass sein Bauch vor lauter Lachen schmerzte, seine Lungen von der kalten Luft brannten und seine Kleidung auch schon einmal deutlich trockener gewesen war.

„Können wir uns auf ein Unentschieden einigen?“, fragte er keuchend, nachdem er erneut nur knapp einem von Dies Schneebällen ausgewichen war.
 

„Okay, weil du es bist.“ Die ließ den Schnee fallen, der sein nächstes Geschoss hätte werden sollen, und klopfte sich Feuchtigkeit und Kälte von der Kleidung. Kaoru tat es ihm gleich, ging auf ihn zu und deutete einen Stoß an, den Die mit Leichtigkeit parierte.
 

„Wollte nur sichergehen, dass du nicht nachlässig wirst.“ Grinsend sah er auf und direkt in Dies Augen, die mit den Eiskristallen um ihn herum um die Wette funkelten. Egal, was er eben noch hatte sagen wollen, die Fähigkeit zu sprechen verließ sein Gehirn ebenso schnell, wie ein langes Ausatmen seine Lungen. Kaoru blinzelte und blinzelte noch einmal, ohne sich aus seiner Starre lösen zu können.
 

Durch die hohen Fenster und das Glasdach der Anlage fiel nur noch dämmriges licht und die Betreiber hatten die Beleuchtung im Inneren den vorherrschenden Lichtverhältnissen angepasst. Kaoru war niemand, der sich für stimmungsvollen Lichteinsatz interessierte, aber selbst ihm fiel auf, dass sie damit ein beinahe romantisches Ambiente geschaffen hatten. Gerade, als er sich räuspern wollte, um dieser irrealen Situation zu entgehen, stockte ihm erneut der Atem.
 

„Du siehst aus, wie eine Vogelscheuche.“ Die zog seine Handschuhe aus und fuhr durch seine Haare, die, so fühlte es sich zumindest an, tatsächlich nach allen Seiten hin abstanden.
 

„Glaubst du, du siehst besser aus?“, brachte er etwas zu leise heraus, aber immerhin hatte seine Stimme nicht versagt. Was man von seiner Atmung und seinem Herzschlag nicht ganz behaupten konnte.
 

„Ach, das war es mir wert.“ Von seinem Handgelenk zog Die einen dünnen, schwarzen Haargummi, raffte seine langen Strähnen zusammen und band sie in einem unordentlichen Dutt. „So, wäre das auch erledigt.“ Die Handschuhe wieder angezogen bückte er sich nach seinem Rodel und nahm auch die Schnur von Kaorus auf.

„Lass sie uns zurückbringen und dann ins Weihnachtsdorf gehen. Ich hab einen Bärenhunger und brauch dringend etwas Warmes zu trinken.“
 

„Klingt gut.“
 

Der Teenager, der ihre Rodel in Empfang nahm, musterte sie mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck und Kaoru fragte sich für einen Moment, ob er sie erkannt haben könnte. Aber nein, vermutlich wunderte er sich nur über die alten Männer, die sich die letzte halbe Stunde wie die Kinder vor seinen Augen im Schnee gebalgt hatten. Er konnte es sich nicht verkneifen, ihm ein überhebliches Grinsen zuzuwerfen, bevor sie sich auf den Weg zum Weihnachtsdorf machten.
 

„Wegen dir bekommt der junge heute sicher Albträume. Hast du gesehen, wie er uns nachgeschaut hat?“
 

„Warum? Ich hab ihn doch nur angelächelt.“
 

„Das war kein Lächeln und das weißt du.“
 

Schmunzelnd war es nun an Kaoru, sich bei seinem Freund unterzuhaken und ihn, kaum hatten sie die Ansammlung an Ständen und Hütten erreicht, in die Richtung zu dirigieren, aus der es wunderbar nach gegrillten Würsten duftete. Vielleicht würde er heute noch einem Herzinfarkt entgehen,, wenn er sich Die anpasste und nicht immer das Reh im Scheinwerferlicht markierte, sobald der andere ihm freundschaftlich näherkam. 



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