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Lass dein Herz darauf vertrauen

von

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Die ersehnte Einheit (Clow)

Ihre Reise würde weitergehen.

Sie hatten Sakura gerettet, sie hatten Feiwang besiegt, aber dafür die beiden Kinder (Kurogane wollte sie nur ungern Klone nennen, das drückte nicht aus, was sie für ihn waren) verloren. Doch der Kleine hatte Hoffnung und diese Hoffnung war in Nullkommanichts auf sie alle über gesprungen. Damit rückte seine Rückkehr nach Nihon zwar in eine unbekannt weite Ferne, aber er konnte die Aufsicht über den Kleinen nicht dem trotteligen Magier überlassen und somit bestand zu keiner Sekunde ein Zweifel daran, mit dem Kleinen mitzugehen. Und außerdem ... musste auch jemand auf den trotteligen Magier aufpassen.

Nachdem sie die Entscheidung getroffen hatten, gemeinsam mit Shaolan weiterzureisen und um nicht zu viel Melancholie (so wie die Schwermut ihnen ein ständiger Begleiter war, konnte man sie getrost das lästige sechste Mitglied ihrer kleinen Gruppe nennen) über ihre baldige Trennung aufkommen zu lassen, hatte Sakura sie zu einem kleinen Festmahl nur für ihre Fünfergruppe eingeladen. Es war ein bisschen wie zu den besseren Zeiten ihrer langen Reise, wie sie so gemeinsam dasaßen, aßen, tranken und auch mal lachten. Gleichzeitig war es vollkommen anders, denn die Kinder, die damals eigentlich bei ihnen gewesen waren, waren nicht mehr bei ihnen. Es war ein Umstand, dem sie sich alle bewusst waren, doch Sakura war diejenige, die es aussprach.

„Fye-san, Kurogane-san, Moko-chan, ihr würdet sicher gerne mit ihnen nun hier sitzen, nicht wahr?“

Während das Wollknäuel tapfer seine Tränen zurückzuhalten versuchte, bedachte Fye die Prinzessin mit einem sanften Lächeln und an diesem Punkt hatte Kurogane sogar so etwas wie Hoffnung für den Idioten übrig.

„Ihr seid genauso unsere Reisegefährten wie sie. Eines Tages werden wir alle vereint hier sitzen und gemeinsam lachen und weinen über alles, was passiert ist.“

Zu Kuroganes innerer Freude zeigte die Antwort des Magiers bei den Kindern die gewünschte Wirkung. Der Anflug von Traurigkeit und Anspannung, der sich so gerne und so leicht über ihre Truppe legte, löste sich wieder ein wenig auf.

„Außerdem soll man ja auch niemanden unter seinen Kindern als Liebling bevorzugen“, legte Fye nach. „Papa und ich lieben euch alle gleichermaßen.“

„Hn.“

„Liebt Papa Mokona auch?“, fragte der weiße Klops.

„Aber natürlich! Wenn er doch einen Liebling hätte, dann wärst das du, Mokona!“

„GLEICH SETZT'S WAS!!“

„Aww, Kuro-papa, du hast so eine eigenwillige Art, deine Liebe für uns auszudrücken.“

„WO IST MEIN SCHWERT?!“

„Aww, willst du uns mit noch mehr Liebe überschütten?“

Die Reaktion des Ninja und Fyes Bemerkungen ließen erst Sakura und dann Shaolan plötzlich in schallendes Gelächter ausbrechen. Kurogane hielt in seinen Tötungsabsichten inne, als er dies bemerkte. Was für eine Wohltat das Lachen der Kinder war, nachdem sie so viel durchgemacht hatten und noch einiges mehr auf sie zukommen würde. Sie alle hatten wirklich eine lange Reise hinter sich und keiner von ihnen war noch der, der er zu Beginn ihres Abenteuers gewesen war. Aus dem Nichts machte Kuroganes Herz einen kleinen Sprung und sein Instinkt ließ ihn zum Magier blicken. Ob ihm in diesem Augenblick etwas Ähnliches durch den Kopf ging? Fye schaute mit beseelter Miene auf die Kinder. Doch im nächsten Moment schien er innerlich zu stutzen und für den Bruchteil einer Sekunde blitzte etwas in seiner Mimik auf, das dem Ninja ganz und gar nicht gefiel. Wieso überkam diesen Idioten plötzlich Wehmut?

Er war nicht der einzige, der es bemerkt hatte.

„Ist alles in Ordnung, Fye-san?“, fragte Sakura besorgt.

Erwischt zuckte der Magier zusammen, nur um dann lächelnd abzuwinken.

„Aber ja, es ist nichts.“

Kurogane bemerkte den Ärger in sich aufsteigen, während er den Blondschopf, der neben ihm saß, wütend aus dem Augenwinkel anblickte. Hatte er nichts dazu gelernt? War er doch ein hoffnungsloser Fall?

„Bist du dir sicher?“, hakte Sakura nach und klang noch sorgenvoller als zuvor. Auch Mokona sah bedrückt zu dem Kameraden.

„Ja, ganz sicher.“

Er würde diese Knalltüte umbringen. Wie konnte er sie immer noch belügen? Wie konnte er ihn immer noch belügen und allen Ernstes glauben, er käme damit durch?

„Wenn etwas ist ...“, sagte Shaolan genauso besorgt, „dann ...“

„Nicht doch, nicht doch! Oje.“ Fye seufzte. „Macht euch bitte keine Sorgen.“ Er stand auf und obwohl seine Bewegungen langsam und ruhig waren, spürte Kurogane, dass sie dies nur waren, weil Fye seinen Instinkt unterdrückte, hastig wegzulaufen. „Entschuldigt mich bitte kurz. Es ist wirklich nichts, aber ich brauche nur gerade einen kurzen Moment für mich“, fügte er entschuldigend hinzu, ehe er sich von ihrem kleinen Kreis entfernte.

Und wie er ihn töten würde!!

Den Kindern solche Sorgen zu bereiten!!

Der Ninja fühlte drei Augenpaare auf sich, als er dem Magier hinterher sah.

„Sollen … sollen wir nach ihm sehen?“, fragte die Prinzessin vorsichtig.

„Kurogane macht das“, entgegnete Mokona bestimmt.

„Einen Scheiß mach ich“, erwiderte der Erwähnte angesäuert.

„Nein, Kurogane schaut immer nach Fye“, sagte das Wollknäuel mit mehr Nachdruck. „Weil Kurogane sich immer am meisten um ihn sorgt.“

Der Ninja warf dem Klops einen giftigen Blick zu und überlegte, ob es unangebracht wäre, ihn vor den Augen der anderen zu zerquetschen.

„Kurogane-san ...“, begann Shaolan und sah ihn mit diesen großen, determinierten Augen an, die im Prinzip nichts anderes sagten als: Wir beide wissen, dass du gehen wirst.

Grummelnd erhob sich Kurogane. „Ich geh mal kurz raus. Und das hat absolut nichts mit dem Vollidioten zu tun!“

Als er mit besonders laut stampfenden Schritten Fye hinterher stapfte, lächelte Mokona zufrieden.

„Weil Kurogane sich immer um Fye kümmert.“

 

Nicht einmal im Traum dachte er daran, zu klopfen. Kurogane ließ sich selbst in das Zimmer rein, das Fye im Palast zugeteilt worden war. Genau dort fand er den Bastard, auf dem Boden sitzend und mit dem Rücken gegen eine Wand lehnend. Draußen war die Dunkelheit hereingebrochen, aber der Spinner hatte kein Licht im Zimmer gemacht. Nur das Mondlicht schien herein.

Der Magier sah erschrocken zu seinem Besucher hoch und – erschrak noch mehr.

Kurogane war mehr als wütend. Er platzte fast vor Zorn.

„Du hast drei Sekunden, um dich zu erklären.“ Der dunkelhaarige Mann schritt (selbst seine Schritte klangen zornig!) zu ihm und blieb vor ihm stehen.

„Kuro-sama ...“

„Eins.“

„Du musst nicht extra ...“

„Zwei.“

„Will ich wissen, was bei 'drei' passiert?“

„Drei!!“

„Hey!“

Der Ninja packte ihn mit seinem rechten Arm gewaltsam am Kragen und zog ihn hoch.

„Was soll der Scheiß?! Hast du nichts dazu gelernt?! Ich habe kein Problem damit, alles aus dir rauszuprügeln, wenn du freiwillig nicht damit rausrückst!“

„Ich rede! Ich rede!“

„Dann los.“ Kuroganes Griff lockerte sich kein Stück. Er traute dem Anderen nicht zu, es ihm tatsächlich einfach zu machen.

„Eigentlich wollte ich die Stimmung nicht herunterziehen, aber ich denke, dass ist mir wohl nicht gelungen, was?“, erklärte der Magier und klang so geknickt, wie er dreinblickte. „Es ist auch lächerlich, wirklich. Mir kam nur plötzlich der Gedanke, dass … na ja … als die Kinder so lachten, fiel mir auf wie viel sich verändert hat und wie viel geschehen ist und ... “

„Was?“, knurrte Kurogane, als Fyes Sprechpause ihm zu lange dauerte.

„Und dass … dass es wirklich vorbei ist. Unsere erste Reise, meine ich. Irgendwie überwältigte mich plötzlich alles, was passiert ist und ich brauchte einen Moment, um durchzuatmen und zu begreifen, dass es wirklich vorbei ist. Und jetzt etwas Neues beginnt.“

Der Ninja ließ den Kragen los und blickte in diese tiefen hellblauen Augen, in denen man sich verlieren konnte - in denen er sich längst verloren hatte - und die seinen Blick entschlossen erwiderten.

„Ich bin nicht wie du“, erläuterte Fye von sich aus weiter, „ich kann nicht so einfach mit Dingen abschließen. Besonders, wenn man zwischendrin kaum Zeit hat, sie zu verarbeiten. Und es gibt wirklich so schrecklich viel zu verarbeiten.“

Fye wartete einige Sekunden ab, doch Kurogane sagte nichts.

„Uhm, Kuro-sama? Hast du mir zugehört?“

„Hah“, antwortete dieser und zum sichtbaren Unglauben des Magiers konnte er im Gesicht des Ninja so etwas wie ein Lächeln ausmachen. „Du erzählst ja sogar die Wahrheit.“

Der Blonde stutzte kurz, ehe ein leichtes Lächeln auch den Weg auf sein Gesicht fand. „Von nun an will ich Sakura, Shaolan, Mokona und ... vor allem dich nie wieder anlügen.“

Seine Worte lösten bei Kurogane das ihm schon bekannte Poltern seines Herzens aus, das er schon so lange nicht mehr so deutlich gespürt hatte. Er hatte dieses Gefühl definitiv vermisst.

„Dass du dich immer noch so um mich sorgst, obwohl ich dich ständig nur belogen habe“, fuhr Fye fort und Kurogane gefiel es überhaupt nicht, dass sich die Melancholie wieder in die Stimme und die Mimik des Magiers schlich.

„Du hast mich nicht nur belogen.“

Die Schwermut in Fyes Augen wich rasch einem fragenden Blick.

„Es war nicht alles gelogen … oder?“ Zwar fand er, dass der Wirrkopf viel zu lange brauchte, um darauf zu kommen, was er meinte, aber es störte ihn nicht weiter, da er währenddessen weiter diese wunderschönen, hellblauen Augen hatte bewundern können, die nun von Klarheit überwältigt wurden.

„Nein“, sagte Fye schließlich, „daran war nie etwas gelogen.“

„Na, immerhin, das ist doch ein Anfang.“ Kurogane wollte unter keinen Umständen durchblicken lassen, wie erleichtert er war, dies vom Magier zu hören. Zum einen hatte er immer noch seinen Stolz (dem zu viel Gefühlsduselei ganz und gar nicht gefiel), zum anderen hatte er die gesamte Zeit die schwache Hoffnung am Leben gehalten, dass er keiner endgültig verlorenen Liebe hinterherlief, sondern lediglich darauf wartete, dass die Liebe zu ihm zurückkehrte. Allerdings … was sollte er jetzt sagen? Er war selbst ratlos (und ein wenig verlegen), das Thema anzusprechen. Nach all dem, was geschehen war; was mit ihnen geschehen war, schien alles so vertrackt zu sein, dass keiner von beiden den ersten Schritt auf den Anderen zu machen wollte. Eine Frage stand so unfassbar offensichtlich und dringlich im Raum und doch wagte es niemand, sie auszusprechen.

Und was wird jetzt aus uns?

Musste, sollte er nun etwas tun oder sagen? Sollte er warten, bis der Magier wieder auf ihn zukam? Würde er selbst dafür die Geduld haben?

Seine Gedankengänge wurden jäh durch den Blonden gestoppt. Zaghaft ließ Fye seine linke Hand über Kuroganes rechten Arm fahren. Ein bisschen kratzte es schon an seinem Stolz als Ninja, dass sein gesamter Körper mit Gänsehautschauern auf diese zarten Berührungen reagierte. Aber wenn er wählen müsste zwischen den Berührungen durch Fye und seinem Stolz … dann zum Teufel mit seinem Stolz!

Sollte es ihn aber beunruhigen, dass die Finger des Anderen an einem Punkt nahe seines Handgelenks immer wieder über die selbe Stelle fuhren? Kurogane wusste, was dort war. Die Narbe war klein, doch wenn man ganz genau hinsah, konnte man sie erkennen. Es gab an seinem Handgelenk mehrere dieser kleinen Narben. An seinem verlorenen Arm waren sogar noch mehr davon gewesen.

„Das werde ich dir auch nie vergessen“, hauchte Fye, den Blick auf das Handgelenk gerichtet.

„Vergiss es einfach.“ Kurogane konnte nicht mit absoluter Sicherheit sagen, wie der Magier dies gemeint hatte; so viele Emotionen hatten in seinem Satz mitgeschwungen. Die Wahrheit, die unabänderlich war, war dass der Idiot damals nicht gerettet hatte werden wollen und Kurogane gegen seinen Willen ihm diese Entscheidung abgenommen hatte. Die ganze Vampirgeschichte hatte Fye unermessliches Leid zugefügt und auch wenn der Ninja jeder Zeit wieder genau so handeln würde, war es nicht undenkbar, dass der Magier ihm dies alles nicht gänzlich verziehen hatte. Vielleicht stand es immer noch zwischen ihnen.

„Ich bin nicht nachtragend.“ Fye blickte wieder zu dem Dunkelhaarigen, der bei diesen erlösenden Worten nun doch seine gefasste Miene ein wenig verlor. „Ich bin dir dankbar, dass du mein Leben gerettet hast.“

„Pah. Schnee von gestern.“ Kurogane merkte, wie der letzte Rest seines Ninja-Stolzes den Bach hinunterging, als der Blondschopf ihm ein bezauberndes Lächeln zuwarf und er selbst dezent rot wurde. Wieso, wieso nur musste sein aufrichtiges Lächeln so umwerfend sein? Was sollte er dem denn entgegensetzen?

Fye legte seine rechte Hand auf die linke Schulter des Schwertkämpfers und sein Lächeln wich einem Seufzen. „Du hast mich selbst dann noch gerettet, nachdem ich dich beinahe getötet hätte.“

Ein tiefes, mürrisches Grummeln warnte Fye, dass er etwas massiv Falsches gesagt hatte. Kurogane entriss der Hand des Magiers seinen Arm und …

Whack!

„Auauauauauau! Kuro-tan! Das tut weh!!“ Fyes Hände schnellten zu der geschlagenen Stelle auf seinem Kopf.

„Selbst schuld, wenn du so einen Unsinn verzapfst. Seit wann leidest du denn an Selbstüberschätzung? Wann und wo hättest du mich denn bitte töten können?? Zu keiner Zeit wäre dir das je möglich gewesen!“

Er wollte nicht zurückdenken an das, was in Ceres geschehen war. Der Schmerz und die Verzweiflung, die dem Magier damals ins Gesicht geschrieben waren, hatten seinem eigenen Herzen so unerträgliche Qualen bereitet, dass er fast den Verstand darüber verloren hätte. Damals in Ceres hatten sich alle Puzzleteile, die er über einen so langen Zeitraum von Fye gesammelt hatte, zusammengefügt. Und das Bild, das er erhalten hatte, hatte sich als tausendmal grausamer herausgestellt als alles, was er sich zuvor ausgemalt hatte. Das, was er dort erfahren hatte, überstieg alle Schreckensszenarien, die er sich vorgestellt hatte und wie damals in Ceres stieg in Kurogane immer eine immense Übelkeit hoch, wenn er an die Leiden dachte, die der Magier hatte durchleben müssen. Doch, trotz allem, was er dort erfahren hatte, hatte sich für den Ninja nicht viel geändert. In einer einzigen Sache hatte er sich in Bezug auf Fye getäuscht: Dieser nervende Volltrottel, diese zappelnde Knalltüte, dieser lebensmüde Spinner war noch viel stärker als er es gedacht hatte. Der Magier hatte so viel Leid ertragen und war trotzdem nicht bereit aufzugeben. In dieser schlaksigen, zerbrechlich aussehenden, filigranen Gestalt schlug ein kräftiges Herz, das um seine Stärke überhaupt nicht gewusst hatte.

Sogar nachdem Kurogane erfahren hatte, dass Fye ein Agent Feiwangs war, hatte er zu keiner Zeit den Magier als Bedrohung oder als Feind betrachtet. Nur weiterhin als Trottel – als einen Trottel in einer scheinbar ausweglosen Lage, der sichtlich daran zu zerbrechen drohte und trotzdem nicht imstande war, ihn offen um Hilfe zu bitten. Doch der Ninja hatte seinen Schwur aus Yama nie vergessen und so hatte es in ihm nie einen Zweifel gegeben, dass er die Dämonen, die den Anderen quälten, töten musste. Auch der Verlust seines Arms war nichts, worüber er lange hatte nachdenken müssen. Fye musste leben. Und Kurogane war erneut bereit, jeden Preis dafür zu zahlen. Denn nur wenn Fye lebte, konnte auch er leben.

„Warum ...“, ertönte die Stimme des Magiers nach einer Weile der Stille, „warum hast du das alles für mich getan?“

„Du weißt warum“, entgegnete Kurogane ohne zu zögern. „Selbst du kannst nicht so dumm sein, das nicht zu wissen.“

Wieder legte sich Stille über sie. Fyes Hand hatte ihren Weg zurück zu der Hand des Dunkelhaarigen gefunden und umschloss sie mit sanftem Druck. Kurogane bemerkte das leichte Zittern der blassen Finger. Er hatte sich nicht getäuscht. Dieses Gespräch fiel dem Blondschopf schwer. Doch da musste er jetzt durch.

Eine gefühlte Ewigkeit verging, ehe Fye endlich den Mut fand, um weiterzusprechen.

„ … Aber warum liebst du mich?“

„Was weiß ich.“ Das Rot seiner Wangen nahm eine dunklere Färbung an. „Ich verschwende keine Gedanken an das Warum. Es ist so und fertig. Und es steht nicht zur Diskussion.“

Aus dem Nichts musste der Magier angesichts dieser Antwort kichern. „Oh, Kuro-pon, du bist so ein großer Romantiker.“

„'Ne bessere Antwort hab ich nicht.“

„Das ist für mich nur schwer nachvollziehbar.“

Kurogane unterdrückte ein entnervtes Stöhnen. Konnte der Kerl nicht einmal etwas einfach hinnehmen? Musste er immer alles hinterfragen?

„Wie ich schon sagte: Es ist so und fertig. Ich weiß nur, dass ich nicht viel dazu beigetragen habe, dass dem so ist, also muss es irgendwas an dir sein, weswegen es so gekommen ist.“

Großes Erstaunen legte sich über Fyes Gesicht. Es war beinahe schon Erschütterung.

„Dann … bin ich es wert geliebt zu werden ...“

„Ich hoffe für dich, dass das keine Frage, sondern eine Aussage war“, grummelte Kurogane. „Und wenn du es weiter hinterfragst, gibt es noch mehr Hiebe.“

„Könnten wir bitte einen Waffenstillstand vereinbaren?“, erwiderte der Magier hastig und gekünstelt jammernd. „Mein armer Schädel wird noch ganz verbeult und jedes Mal, wenn ich deinen harten Dickkopf schlage, tun mir hinterher die Finger weh.“

„Dann schlag mich nicht. Und gib mir in Zukunft keinen Grund mehr dafür, dich zu hauen.“

„Okay, einverstanden.“ Fye lachte und Kuroganes Herzschlag geriet noch mehr aus dem Takt, als der Magier hinzufügte: „Ich will sowieso lieber etwas anderes tun. Denn ich … liebe dich auch.“

Kurogane bemerkte es in der Sekunde, in der sich ihre Lippen berührten. Alles an diesem Kuss war anders als an all denen, die diesem vorausgegangen waren. Es war ihr erster Kuss ohne Schuldgefühle, ohne Angst, ohne Verzweiflung, ohne Geheimnisse, die im Verborgenen lauerten und drohten, sie auseinander zu reißen. Jede Faser seines Körpers ging in diesem Kuss auf. Er spürte Fyes Finger auf seiner Haut, seine eigenen Finger in den blonden Locken, es gab nichts mehr außer dieser Berührung, nichts mehr außer dieser Nähe.

Und dem plötzlichen Gefühl, dass sie jetzt gerade keine zu lauten, zu eindeutigen Geräusche machen sollten. Waren die Kinder etwa …?

„Fye-san?“, ertönte von draußen Sakuras Stimme und der Magier ließ ein Stück weit von seinem Geliebten ab und unterdrückte – mit eher mäßigem Erfolg – ein Glucksen.

„Das ist aber jetzt echt schlechtes Timing“, feixte er.

„Das ist deine Schuld, Idiot“, knurrte Kurogane möglichst leise zurück. „Sie sind hier, weil sie sich Sorgen um dich machen.“

„Ich kümmere mich drum!“ Mit einem unguten Gefühl beobachtete der Ninja wie der Magier zur Tür tänzelte, sie einen Spalt weit aufmachte und seinen Kopf herausstreckte.

„Ah, Fye-san!“ Die Prinzessin klang erleichtert. „Geht es dir wieder besser?“

„Ja, alles ist in bester Ordnung. Entschuldigt, dass ich euch Sorgen bereitet habe.“

„Nicht doch“, wandte Shaolan ein. „Dafür musst du dich nicht entschuldigen.“

„Dann danke ich euch von Herzen für eure Fürsorge.“ Obwohl er das Gesicht des Magiers nicht sehen konnte, wusste Kurogane um das Lächeln in dessen Gesicht.

„Dann war es eine gute Idee von Mokona, Kurogane zu Fye zu schicken?“ Das Wollknäuel klang mächtig stolz auf sich selbst.

Fye streckte eine Hand heraus und tätschelte Mokona, die von Sakura gehalten wurde, auf den Kopf. „Eine hervorragende Idee, Mokona!“

Konnte der Vollidiot vielleicht ein bisschen weniger enthusiastisch klingen? Die Kinder sollten ja nicht unbedingt erfahren …

„Ist Kurogane-san noch bei dir?“, fragte Sakura und löste daraufhin einen mittelschweren Schweißausbruch bei dem Ninja aus.

Fye warf einen verschmitzten Blick ins Zimmer zurück und Kurogane fuchtelte wild mit seinem Arm.

„Ja, er ist noch hier. Vielleicht wollt ihr noch einen kleinen Spaziergang machen? Wir kommen dann gleich wieder zu euch.“

Argh. Unauffällig war anders.

„Dann habt ihr noch etwas zu bereden?“, fragte Sakura voller Unschuld nach.

„Ääääh, ja, wir haben noch etwas zu … bereden.

UNAUFFÄLLIG WAR ANDERS.

„Gut, dann werden wir noch etwas spazieren gehen und auf euch warten.“ Die Prinzessin stutzte. „Shaolan-kun, warum bist du denn auf einmal so rot im Gesicht? Hast du etwa Fieber?“ Besorgt hielt sie ihm eine Hand gegen die Stirn. Der Junge schüttelte hastig seinen nun fast pinken Kopf und richtete seine Augen gen Boden, um intensiv seine Schuhe anzustarren.

„Ah, Mama und Papa brauchen noch etwas Zeit für sich!“, quietschte Mokona vergnügt.

„L-lasst eu-euch r-ruhig Z-zeit“, stammelte Shaolan mit ungebrochenem Interesse für seine Füße, ehe er die Hand der Prinzessin nahm und mit ihr und Mokona eilig davon schritt. Vermutlich würde er besagten Spaziergang nun möglichst lange ausdehnen.

Der Magier schloss die Tür wieder.

„Ich hoffe, diese Lüge war in Ordnung, Kuro-pii? Oder hätte ich ihnen die Wahrheit sagen sollen?“

„BIST DU IRRE?!“

Fye kicherte erneut. „Ich glaube, Shaolan ahnt auch vielleicht, dass wir nicht so sehr vorhaben zu 'reden' …. Haha, Kuro-sama, du bist ja auch rot geworden.“

„Die Kinder müssen ja nicht unbedingt mitkriegen, was wir hier machen.“ Welche Kinder wollten das schon so genau wissen? Und er wollte gerne noch weiterhin der Prinzessin und dem Kleinen ins Gesicht sehen können, ohne dass beide Seiten vor Scham im Boden versanken. Nein, keine Kinder wollten das so genau wissen – egal, ob es sich nun um leibliche Eltern oder Ersatzeltern handelte.

„Aww, du bist so ein fürsorglicher Vater.“

„Du bist ein Spin-“

Im Nu waren Fyes Lippen wieder auf den Seinen und die schlanken Finger des Magiers überall auf dem Körper des Dunkelhaarigen. Endlich fanden sie die Nähe, nach der Kurogane sich schon so lange gesehnt hatte. Endlich verschmolzen sie zu einer Einheit. Endlich wurden aus zwei Herzen eins.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein Kapitel wird es noch geben und ich dachte mir, Fye sollte das letzte Wort haben. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Lady_Ocean
2021-06-26T13:06:16+00:00 26.06.2021 15:06
Erst mal hast du mich mit dem Beginn dieses Kapitels total überrumpelt. Ich ging total davon aus, dass wir zumindest in Nihon noch einen Zwischenstopp einlegen, wo die zwei sich aussprechen, weil sich dort ja so viel für sie geändert hatte. Daher habe ich nach dem ersten Absatz erst mal in die Kapitelübersicht zurückgeschaut und geguckt, was ich verpasst hab. XD
Aber diese Aussprache hier in Clow war genial. Und passt total gut zu den beiden. Dass Kurogane nach wie vor so empfindlich auf aufgesetzte Mimik reagiert. Seine grenzenlose Un-Romantik. Und dass beide doch auch recht gut zwischen den Zeilen lesen können. Und: Ich denke, Kurogane redet sich in Sachen Gefühlen auch ein bisschen ein, dass er so ein starker, abgeklärter Ninja ist, als er die Initiative zu diesem Gespräch fast vollständig Fye überlässt. Die einzige Andeutung, die er in die Richtung, dass er Gefühle für Fye hat, macht, ist, dass nicht alles gelogen war (Hilfe, so viele Kommas). Bei allem anderen wartet er darauf, dass Fye die zeichen richtig deutet und den Weg weiter beschreitet. Mokona hätte ihn bestimmt als Feigling tituliert. ;)
Und ich denke auch, dass Fyes eindeutige Zweideutigkeit am Ende auch in erster Linie einfach nur darauf abgezielt hatte, Kurogane zu ärgern. Shaolans peinlich berührte Reaktion hat ihn sicher auch sehr erfreut, aber das war garantiert nichts im Vergleich zu Kuroganes bodenloser Scham, die er sich nur allzu lebhaft vorstellen konnte, auch wenn er ihm während des Gesprächs mit den Kindern den Rücken zugedreht hatte.
Jedenfalls war das echt ein herrliches Ende für die Fanfic! :D
Antwort von:  rokugatsu-go
01.07.2021 11:53
Vielen Dank für deine lieben Worte! Das freut mich ungemein, dass dir das Kapitel gefallen hat. ^__^
Die Verwirrung tut mir leid, ich hatte schon geahnt, dass das passieren könnte, aber ich wollte Nihon auslassen und das klärende Gespräch in Clow stattfinden lassen, wenn wirklich alles vorbei ist.
"Grenzenlos unromantisch" finde ich eine schöne Beschreibung für Kurogane. *lach* Ich bin froh, dass die beiden in ihrem Gespräch IC rüberkommen. Ich weiß nicht, wie andere das sehen, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Kurogane tatsächlich so etwas wie "Ich liebe dich" zu Fye sagen würde. Kuro-pon ist eben ein Mann der Taten. Und emotional etwas unbeholfen. Also, ja, Mokona würde ihn definitiv einen Feigling nennen. ;)
Kann ich an dieser Stelle sagen, dass mir der Schluss des Kapitels diebische Freude bereitet hat? Fye Kurogane ärgern zu lassen, macht Spaß, das ist ein Fakt. XD
Es wird übrigens noch ein Kapitel geben, sozusagen als Bonus, weil Fye so schrecklich wenig Text hatte und seine Sicht der Dinge bisher zu kurz gekommen ist. ;)

Noch einmal vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Ich weiß das sehr zu schätzen! ^^
Antwort von:  Lady_Ocean
01.07.2021 14:23
Ich finde, die Verwirrung muss nicht unbedingt was Schlechtes sein! Geschichten sind doch langweilig, wenn man immer weiß, was als nächstes passiert. Man will doch überrascht werden. ;) Überraschendes bleibt länger im Kopf. Und über so was unterhält sich die Leserschaft ja letztlich. Die besten Szenen und Charaktere sind die kontroversen, finde ich.

Das merkt man, dass dir das Kapitelende so viel Freude bereitet hat. Und ich glaube, uns KuroFye-Fans geht es da allen so. ^^

Ja, ist echt schade, dass das Kommentieren im Verlauf der Jahre auf Animexx so eingeschlafen ist, was? Bei Fanarts auch. Ist erschreckend, wie wenig Feedback ALs nur noch bekommen. :( Dabei freut man sich als Autor oder Zeichner doch so sehr, wenn die Leser ihre Freude und Gedanken mit einem teilen. Man schreibt ja für andere. Sonst würde man seine Werke nicht veröffentlichen (geht mir jedenfalls so).


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