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Lass dein Herz darauf vertrauen

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Das brechende Herz (Tokyo/Infinity)

Nachdem sie aus Yama weitergereist waren, war Fye in Anwesenheit der Kinder und des Wollknäuels die meiste Zeit dieser alberne Gummiball, den Kurogane am liebsten zum Mond gekickt hätte. Aber wenn sie unter sich waren, dann nutzte der Ninja jede Gelegenheit, um hinter diese Fassade zu blicken. Das Erstaunliche war, dass der Magier ihn – zumindest ein Stück weit - gewähren ließ. Es war mal wieder ein schleppender, elendig langsamer Prozess, doch ihre gemeinsame Zeit in Yama hatte sie einander so viel näher gebracht, dass Kurogane kaum noch Probleme hatte, den Anderen 'lesen' zu können. Fye konnte seine Show aufführen so viel er wollte, ihm entging keine noch so mikroskopisch kleine Mimik oder Gestik mehr an ihm. Wenn er beharrlich genug war, dann gab es eine realistische Chance, dass Fyes Veränderung zum Positiven, die dem Magier selbst allem Anschein nach nicht einmal auffiel, irgendwann in der Lage sein würde, diese Fassade niederzureißen. Und wenn Fye dies allein nicht schaffte, dann würde er eben nachhelfen. Etwas niederzureißen und zu Staub zu zermalmen, gehörte schließlich zu seinen besonderen Talenten.

Er wusste, dass er sich in Geduld üben musste (was immer noch nicht zu seinen besonderen Talenten gehörte), wenn er dem Magier näher sein wollte. Sie waren zwar hin und wieder intim miteinander, aber seit die Kinder und das Wollknäuel in Yama aufgetaucht waren, hatte sich diese Form ihrer Zweisamkeit stark verändert. Kurogane hatte nicht das Gefühl, Fye nahe zu sein, wenn sie miteinander schliefen, vielmehr schlich sich diese immer größer werdende emotionale Distanz zwischen sie, die geprägt war von wachsender Verzweiflung seitens des Anderen. Es versetzte Kurogane heftige Stiche in sein Herz, dass der Mann, in den er sich verliebt hatte (manchmal kam ihm dieser Umstand immer noch unwirklich vor, aber er war niemand, der daran zu viele Gedanken verschwendete), von einer Zerrissenheit geplagt wurde, aus der er offenbar selbst keinen Ausweg fand. Fye suchte seine Nähe und versuchte gleichzeitig einen Abstand zwischen ihnen zu bewahren. Dies konnte nicht mehr lange gut gehen. Weder für den einen, noch für den anderen.

Es war daher unvermeidlich, dass dem Ninja der Kragen platzte, nachdem sie in einer Welt namens „Tokyo“ angekommen waren und Fyes Widersprüchlichkeit immer schlimmer wurde. Seine Zerrissenheit musste ihren Ursprung in seiner Vergangenheit haben und Kurogane war es satt, dass der Magier in dieser lebte statt zu ihm und den Anderen in die Gegenwart zu kommen. Wer auch immer Fye früher gewesen war, was auch immer er getan oder verbrochen hatte, war nicht mehr wichtig. Für Kurogane war einzig und allein wichtig, dass Fye jetzt endlich hier bei ihm sein sollte.

 

Auf die schrecklichste Art und Weise, die niemand von ihnen sich je auch nur hatte vorstellen können, kam alles anders.

 

Kuroganes Herz stoppte beinahe, als er die ohnmächtige, im Gesicht blutüberströmte Gestalt des Magiers aus dem Wasser hervorkommen sah. Zusammen mit dem Jungen, der zur gleichen Zeit nicht der Kleine und doch der Kleine war. Mit einem Gefühl, als hätten sich die Klauen eines wilden Tieres in sein Herz gekrallt, um es ihm gewaltsam aus seiner Brust zu entreißen und einer verzweifelt schreienden Stimme in seinem Innern, die ohne Unterlass brüllte „Stirb nicht! Stirb nicht! Du darfst nicht sterben! Du darfst nicht sterben!“, versuchte der Ninja in diesen albtraumhaften Wirren zu reagieren und zu retten, was noch zu retten war.

Er konnte ihn nicht verlieren. Er konnte nicht zulassen, dass der Mann, den er liebte, starb. Er liebte ihn und er würde sein Leben retten, egal, um welchen Preis und auch wenn der Idiot selbst dies gar nicht wollte. Aber es war nicht mehr dessen Entscheidung. Fye war nun ein Teil seines Lebens und Kurogane konnte, wollte sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn dieser sich so unglaublich breit machende Teil einfach aus seinem Leben entrissen würde. Nie, nie wieder würde er es zulassen, dass jemand, den er liebte, der ihm die Welt bedeutete, starb. Das hätte der Idiot sich überlegen sollen, bevor er in sein Leben getreten war. Bevor er angefangen hatte, ihm auf den Nerv zu gehen. Bevor er ihm dümmliche Spitznamen gegeben hatte. Und vor allem bevor er zu demjenigen geworden war, in den Kurogane sich verliebt hatte, denn damit war es Kuroganes Entscheidung geworden.

Um jeden Preis.

Und der Ninja hielt den Schmerz aus; nicht den von Fyes Fingern wie sie sich durch seine Haut in seine Arme bohrten, während er versuchte, ihn festzuhalten, um ihm Halt zu geben, um ihn bei sich zu behalten, damit er ihm nicht entrissen werden konnte. Nein, er hielt den Schmerz aus, dass der Mensch, den er liebte, solche Qualen ertragen musste und er nichts weiter tun konnte, während Fye vor Schmerzen keuchte und sich wandte und er nur hilflos auf ihn blicken konnte und die Stimme in seinem Kopf immer weiter verzweifelt und so lautstark schrie, dass der Ninja glaubte, sein Schädel würde gleich zerspringen.

Du darfst nicht sterben! Du darfst nicht sterben!

Der Preis war hoch. Doch er würde jeden Preis bezahlen. Er würde alles aushalten.

 

Guten Morgen, Kurogane.“

 

Kurogane war der festen Überzeugung, dass er sein Herz hatte brechen hören. Als hätte es in seinem Inneren ein lautes Knallen und Klirren gegeben und sein Herz wäre in tausend Teile zersplittert, die sich in den nun dunklen und hohlen Rest seines Körpers verteilten, sich in sein Fleisch stießen und ihn innerlich verbluten ließen. Keine Wunde, die er äußerlich je davon getragen hatte, kam an diesen grausamen Schmerz heran.

Der Preis, den er bezahlt hatte, war höher gewesen als er auch nur hatte erahnen können.

Doch er war nicht zu hoch gewesen.

Der Magier lebte.

Dies war das einzige, was zählte. Auch wenn sein zerbrochenes Herz ihn kaum atmen ließ. Auch wenn er nicht wusste, was nun aus ihnen werden sollte. Auch wenn der Andere nun so weit weg wie nie zuvor schien. Selbst wenn Kurogane es geahnt hätte, wenn eine dunkle Vorahnung ihn beschlichen hätte, wenn er gewarnt worden wäre, dass dies passieren würde, selbst dann hätte er ihm das Leben gerettet.

Der Magier lebte.

Dieser Gedanke ließ ihn den entsetzlichen Schmerz ertragen und die aufkommende Wut herunterschlucken.

Der Mann, den er liebte, lebte.

 

Und er brauchte sein Blut, nur seins, um weiter zu leben.

 

Es war der einzige Kontakt, den sie noch hatten, die einzige Nähe, die noch bestand.

Nein.

Er würde sich selbst belügen, wenn er es so nennen würde.

Fye gab sich größtmögliche Mühe, keine Nähe zwischen ihnen mehr entstehen zu lassen. Keine Nähe jedweder Art. Der Vollidiot riskierte es lieber zusammenzubrechen als zu ihm zu kommen.

Richtete sich die Abneigung des Magiers gegen das, was er jetzt zum Überleben tun musste? Gegen das, was er jetzt war? Oder richtete sie sich auch gegen ihn, der ihm dies angetan hatte, der gegen seinen Willen sein Leben gerettet hatte? War es vielleicht sogar mehr als nur Abneigung? War es gar Hass?

Fye tat alles, um ihm aus dem Weg zu gehen, um eine Mauer zwischen ihnen zu errichten, die nicht einmal der Ninja einschlagen konnte. Es war nicht mehr wie früher, als er ihn einfach für ein solches Verhalten hätte zurechtweisen können. Nichts war mehr wie früher und Kurogane fühlte sich entsetzlich leer und schwach und ausgebrannt. Er konnte keinem von ihnen helfen. Nicht der leidenden Prinzessin, nicht dem verschlossenen Jungen, der nicht der Kleine war und trotzdem Shaolan, nicht dem Magier, der sich vollständig von ihm abzuwenden drohte, der ihm zu entgleiten drohte, und nicht einmal sich selbst, der nicht in der Lage war, die Teile seines zersplitterten Herzens aufzuheben.

Das einzige, was er noch tun konnte, war Fye weiterhin gegen dessen Willen am Leben zu halten. Und mit jedem weiteren Schnitt in seinen Arm und jedem weiteren Mal, bei dem er sich der merkwürdigen Sensation hingeben musste, Fyes saugende Lippen an seinem Handgelenk zu spüren, verlor Kurogane die Hoffnung, dass aus der schmerzvollen, stetig wachsenden Distanz zwischen ihnen irgendwann diese Nähe werden würde, nach der sich sein Herz so sehr sehnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lady_Ocean
2021-06-13T12:00:13+00:00 13.06.2021 14:00
Aaaaah. Jetzt ordne ich die ganze Geschichte ganz anders ein als vorher. Ich dachte erst, es wird 'ne Alternativ-Erzählung, beginnend bei Yama, oder es bleibt alles in Yama. Aber du zeichnest den ganzen Verlauf der Ereignisse aus Kuroganes Sicht nach, bis Nihon, würde ich vermuten. Und das passt vom Setting her auch echt gut.
Tut mir leid, dass ich die letzten Kapitel nichts geschrieben hab. Einige Stellen waren etwas abgeschflacht (ins Klischee abgedriftet) und ich wusste nicht, wie ich das aufnehmen oder ob ich was dazu anmerken sollte und falls ja, wie. Daher bin ich mit meinen Gedanken irgendwie nicht vom Fleck gekommen. Vor allem, weils zeitlich die letzten Monate grad ganz, ganz schwierig bei mir aussieht (irgendwie hab ich entweder Fieber oder ertrinke in Arbeit. Ist das dritte Mal seit Ende April, dass ich Antibiotika und ein fiebersenkendes Mittel vom Arzt bekommen habe... -.-) Aber ich wollte und will trotzdem weiter dranbleiben mit dem Lesen. :)
Antwort von:  rokugatsu-go
16.06.2021 13:19
Ah, tut mir leid, dass es dir nicht gut geht. Ich wünsche dir, dass du möglichst bald wieder besser dran sein wirst!

Wenn dir etwas nicht gefallen hat, dann kannst du mir das natürlich auch mitteilen (aber nett, bitte ^^°). Es ist wie gesagt meine erste TC-FF und ich bin für konstruktives Feedback dankbar.
Es freut mich auf jeden Fall, dass du trotz allem weiterliest und mir sagst, dass du noch dabei bist. ^^


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