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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Die Mauer der Erinnerung~

Am späten Abend nimmt Judy sich ein Taxi, um zu ihrer Schwester zurück zu kommen. Ich verabschiede sie an der Straße, während Toni einen Schritt hinter mir versetzt steht.

Sie drückt mir noch einen Kuss auf den Mund, dann steigt sie in das Automobil. Bevor sie jedoch die Tür schließt, betrachtet sie mich ernst. „Wir sollten uns morgen bei meinem Vater treffen und die Hochzeitsvorbereitungen mit ihm besprechen. Da gibt es sicher eine Menge zu klären und ich will die Sache so schnell wie möglich über die Bühne bekommen, bevor mir jemand den Grund dafür ansieht.“

Ich nicke lediglich, machen ihre Worte doch nur zu deutlich, dass ich aus dieser ganzen Sache nicht mehr heraus komme und mich diesem neuen Lebensabschnitt nun stellen muss.

Judy lächelt, sie nickt ebenfalls, dann schließt sie die Tür und gibt dem Fahrer Anweisung, wohin sie gebracht werden will. Das Taxi setzt sich in Bewegung und scherrt aus auf die Straße, wenig später wird es in der Ferne immer kleiner.

Ich sehe dem Automobil stumm nach und habe dabei das Gefühl, eine tonnenschwere Last legt sich auf meine Schultern.

Als wenn es diese Empfindung unterstreichen wollte, legt sich mir eine Hand auf die linke Schulter, warmer Atem streift meinen Hals und meine Ohrmuschel. „Folge mir!“, flüstert Toni mir zu.

Ein Schauer rinnt mir den Rücken hinab. Was hat er denn vor?

Als sich seine Hand von meiner Schulter löst und er sich in Bewegung setzt, drehe ich mich um und folge ihm.

Geradewegs hält er auf unseren Teil der Fabrik zu. Wir passieren das Tor im Zaun und laufen über den Trampelpfad zum Türrahmen, der offen ins Gebäude führt. Wir treten ein und folgen dem kurzen Flur, bis wir in unserem Aufenthaltsraum angekommen sind. Anette kommt uns entgegen, als sie Toni sieht, bekommen ihre Augen einen verliebten Glanz. Sie holt bereits Luft, um etwas zu sagen, doch Toni kommt ihr zuvor. Laut und keine Wiederworte duldend meint er: „Nein!“, und greift dabei nach meiner Hand. Schneller als zuvor setzt er seinen Weg fort und zieht mich dabei mit sich.

Anette bleibt mitten in der Bewegung stehen und schaut uns fragend hinterher.

Ich betrachte Toni ebenso forschend. Will er etwas Unanständiges tun oder ist er sauer auf mich? Genügend Gründe für Letzteres habe ich ihm ja in den letzten Stunden geliefert. Immerhin küsse ich ständig Judy direkt vor seiner Nase. Wo immer er mich hinbringen wird, das geht sicher nicht gut für mich aus. „Toni… ich…“, versuche ich ihn zu besänftigen, doch er fällt mir ins Wort.

„Nein!“, richtet er sich eben so streng auch an mich. Dabei geht er ohne Umwege in den Flur, wo wir unsere Zimmer haben. Er hält auf seines zu und öffnet die Tür.

„Toni…“, versuche ich es noch einmal.

Er bleibt abrupt stehen und dreht sich nach mir um. Tadelnd erhebt er den Zeigefinger und betrachtet mich dabei durchdringend. Seine Stimme wird deutlich leiser, dafür aber umso dunkler. „Für heute wirst du mein Zimmer nicht mehr verlassen!“

Sein entschlossener Blick und die dunkle Stimmlage schicken mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Ich muss schwer schlucken und spüre Furcht und Erregung gleichermaßen in mir aufsteigen.

„Mitkommen!“, verlangt Toni, dann zieht er seine Zimmertür auf und reißt mich in den Raum dahinter.

Wie immer ist hier alles aufgeräumt. Das Bett ist gerichtet, seine Kleidung vom Vortag liegt ordentlich gefaltet auf einem Stuhl, der als Nachttisch dient. Neben einer kleinen Kommode, in der sich seine restliche Kleidung befindet, ist der Raum leer. Lediglich seine beiden Gitarrenkoffer füllt noch eine Ecke aus. Wir müssen ihm ganz dringend mehr Möbel besorgen. Das hier ist bald genauso trostlos, wie seine Dachkammer bei Aaron.

Toni gibt meine Hand frei und entfernt sich einige Schritte von mir. Er öffnet den Knoten seiner Krawatte und zieht sie aus seinem Kragen, dann hält er auf seinen Kleiderschrank zu. „Schließe die Tür!“, fordert er streng.

Ich tue ihm den gefallen und schließe vorsorglich die Zimmertür mit dem Schlüssel, der im Schloss steckt, ab.

Toni öffnet den Schrank und kramt darin herum. Er holt einen kleinen Metallkasten aus ihm heraus und dreht sich damit nach mir um. Ein rotes Kreuz ist auf den Deckel aufgemalt. „Zieh dich aus!“, verlangt er.

Seine strengen Worte lassen Bilder in mir aufsteigen, die nicht hier her gehören. Je länger ich Tonis auffordernden Blick betrachte, umso deutlicher meine ich ihn am Boden liegen zu sehen, von dem Gift gequält, während es Vincent ist, der von mir verlangt, mich meiner Kleidung zu entledigen. Ich bringe es nicht über mich, dem nachzukommen.

„Enrico, worauf wartest du? Ich will mir den Schnitt in deinem Rücken ansehen. Dein Hemd ist ganz nass an der Stelle“, setzt Toni nach, doch in meinem Kopf hört sich seine Stimme nach der von Vincent an. Ich meine mich selbst zu sehen, wie ich mich ausziehe, in der Hoffnung dafür an das Gegengift zu kommen. Auch alles was dem folgte, drängt sich mir in den Kopf. Der Schmerz und die Atemnot suchen meinen Körper heim, als wenn es noch einmal geschehen würde. Ich weiche zurück, bis ich die geschlossene Tür im Rücken spüren kann. „Nein… ich will nicht…“, stammle ich und suche mit zitternden Fingern nach der Klinke. Als ich sie finde und drücke, bleibt die Tür verschlossen. Ich kann sie nicht öffnen. Noch mehr Panik drängt sich mir ins Herz, mein Atem beschleunigt sich. Das Gefühl zu ersticken wird immer schlimmer.

„Enrico?“, fragt Toni. Deutliche Sorge schwingt in seiner Stimme mit, doch als er einen Schritt auf mich zu kommt und sein Arm sich nach mir ausstreckt, sehe ich nur noch Vincent, wie er mich packt und unter Wasser drückt.

Dunkel kommt mir ins Gedächtnis, dass ich die Tür selbst verschlossen habe. Ich muss nur den Schlüssel drehen. Meine bebende Hand zwinge ich zum Gehorchen und suche nach dem Schlüssel. Als ich ihn mit den Fingern gefunden habe, schließe ich auf und drücke mit der anderen Hand die Klinke. Die Tür reiße ich auf und flüchte in den Flur. In der Hoffnung dort sicher zu sein, laufe ich eine Tür weiter und rette mich in mein eigenes Zimmer. Lautstark werfe ich die Tür nach mir zu und verschließe sie schnell, dann lehne ich mich an das Holz, um zu verhindern, dass jemand sie gewaltsam öffnen kann.

Schritte folgen mir, jemand bleibt vor der Tür stehen. „Enrico? Was ist denn los?“, fragt Toni. Er klingt weinerlich und fast schon ängstlich, doch das holt mich nur geringfügig aus meiner Panik zurück.

„Geh weg!“, verlange ich mit Nachdruck.

„Aber…“, entgegnet er, dann kann ich das Aufschlagen seiner Fäuste gegen die Tür hören.

Das Geräusch schickt mich noch tiefer in die alptraumhaften Bilder, die mich quälen.

Ich presse mir meine Hände gegen die Schläfen und balle sie dabei zu Fäusten. „Geh weg… geh einfach weg…“, sage ich immer wieder und rutsche dabei mit dem Rücken an der Tür hinab, bis ich auf dem Boden sitze. Meine Beine ziehe ich eng an den Körper und suche hinter meinen Oberschenkeln Schutz, während ich mich ganz klein zusammenkauere. Tränen überkommen mich und trüben meine Sicht. Ich schließe die Augen und schlage mir immer wieder die Fäuste gegen den Kopf, doch das Badezimmer und Vincent wollen daraus einfach nicht verschwinden.
 

…~*~…
 

So ängstlich hat Enrico ihn das letzte Mal angesehen, als er ihm auf das Dach gefolgt ist und Antonio beim Töten beobachtet hat. Doch damals gab es wenigstens einen Grund. Was jetzt mit seinem Freund nicht stimmt, versteht Antonio nicht und dass er ihn wegschickt, anstatt mit ihm zu reden, schmerzt entsetzlich. „Enrico, bitte lass mich rein! Lass uns reden…“, fleht er, doch es kommt keine Antwort.

Dafür kann er seinen Freund schluchzen hören, während etwas schweres gegen die Tür sackt und an ihr hinab rutscht. Es muss Enrico wirklich schlecht gehen und Antonio scheint der Grund dafür zu sein. Das schmerzt noch deutlich mehr und lässt Antonio die Beine weich werden. Kraftlos lässt er sich auf die Knie fallen und bleibt vor der Tür auf ihnen hocken. Das die Wunde in seinem Bein dabei schmerzt spürt er kaum, tobt doch in seiner Seele eine deutlich heftigere Qual. Was nur hat er dieses Mal falsch gemacht? Er wollte sich doch nur Enricos Wunde ansehen und dann endlich mal ausruhen. Er selbst ist am Ende seiner Kraft und seinem Freund geht es da sicher nicht besser. „Enrico, bitte…“, kommt ihm nur noch brüchig über die Lippen und so leise, dass man es durch die geschlossene Tür sicher nicht hören kann.

Dafür ist Enricos Schluchzen laut und deutlich zu vernehmen. Das treibt auch Antonio die Tränen in die Augen. Nach Halt suchend dreht er sich um und setzt sich auf den Boden, mit dem Rücken lehnt er sich an die Tür. Seine Beine zieht er eng an den Körper und legt seine Stirn auf den schmutzigen Knien ab. Den Kasten, in dem er ihre wenige Medizin und das Verbandszeug aufbewahrt, presst er dabei fest an sich.

Schritte bewegen sich auf dem Flur, doch Antonio findet nicht mehr die Kraft, um aufzusehen und nachzuschauen, wer da zu ihm kommt.

Jemand bleibt vor ihm stehen. Es wird deutlich dunkler, als die Person vor ihm in die Hocke geht. „Antonio?“, fragt die helle Stimme Anettes, während sich eine warme Hand auf seine Schulter legt.

Antonio sieht sich nicht im Stande zu antworten oder aufzusehen, schon gar nicht mit Enricos lautem Schluchzen im Hintergrund.

Einen Moment lang bleibt Anette still. Antonio spürt ihren Blick über sich wandern. Schließlich will sie wissen: „Was ist denn passiert und wo wart ihr die ganze Zeit?“

Eigentlich wollten sie nach dem Besuch bei Vincent wieder hier her zurück kommen, doch das Schicksal hat es mal wieder nicht gut mit ihnen gemeint. Antonio bringt es noch immer nicht über sich zu Antworten, nur ein schwerer Atemzug verlässt seine Lunge.

„Du siehst ganz blass aus…“, stellt Anette kleinlaut fest, dann spürt Antonio eine Hand an seinem Hosenbein. Sie schiebt den Stoff hinauf. Als Antonio an seinen Beinen vorbei schaut, hat sie den Verband freigelegt. Er ist blutgetränkt und sein Bein geschwollen. Kein Wunder das es so schmerzt.

Anette schiebt den Stoff wieder über sein Bein, dann hebt sie ihre andere Hand von seiner Schulter und legt ihm ihre Finger an die rechte Wange. Sanft hebt sie seinen Blick, bis er sie ansehen muss. Sorge kann er in den tiefblauen Augen lesen, gepaart mit einem mitfühlenden Lächeln. „Euch ist was ganz Schlimmes passiert, stimmts? Sonst würde Enrico doch sicher nicht so weinen.“

Erst mit ihren Worten beginnt Antonio zu begreifen. Er hat beinah die selben Worte wie Vincent benutzt und damit sicher die noch viel zu frischen Erinnerungen in Enrico geweckt. Doch nun, wo ihm das bewusst wird, beginnen die letzten Stunden auch in ihm zu toben. Er konnte schon wieder nichts tun, um seinen Freund zu beschützen. Zusehen zu müssen, wie Enrico gequält wurde, war schlimmer als die Wirkung des Giftes oder der Biss des Hundes. All der Schmerz, die Angst und Panik der letzten Stunden suchen Antonio auf einmal heim und lassen keinen Platz mehr, um stark zu sein. Schon gar nicht mit diesen sanften, fürsorglichen Augen vor sich. Unaufhörlich laufen Antonio Tränen über das Gesicht. Es werden immer mehr. Seine Stimme ist brüchig und transportiert nur gebrochene Worte, als er zu sagen versucht: „Es… es war die… Hölle…“

Anette gibt seine Wange frei und zieht ihn stattdessen ein Stück von der Tür weg, dann schlingen sich ihre Arme um seinen Oberkörper. Seinen Kopf legt sie sich auf den Busen. Der weiche Untergrund und ihre Wärme sind ein krasser Kontrast zu dem Leid, dass in Antonio tobt. Das lässt ihn nur noch mehr heulen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Brooky
2024-04-01T07:22:59+00:00 01.04.2024 09:22
Diese Erfahrung wird die beiden wohl noch eine ganze Weile begleiten. Und es ist nicht wirklich verwunderlich, dass die beiden jetzt, wo der ganze Trubel vorbei ist, endlich Mal alles Revue passieren lassen und dadurch zusammenbrechen. Annette ist hier in dem Kapitel wirklich lieb.
Traumata sind schon echt beschissen.
Antwort von:  Enrico
01.04.2024 09:27
Ja das wird auch noch lange eine Auaswirkung auf ihre Beziehung und besonders das Sexleben haben. Und ja nun wo sie zur Ruhe kommen wird ihnen erst mal bewusst was sie in den letzten Stunden erlebt haben. Anette wird hier für Antonio eine große Stütze werden. Im nächsten Kapitel werde ich die Grundsteine ihrer Beziehung zu legen versuchen, denn Antonio brauch auch ganz dringen eine Person mit der er sprechen und sich auch mal anlehnen kann.
Freut mich das du hier immer noch dran bleibst^^. Ich hoffe ich schaffe es jetzt auch den Band zu beenden. Das Ende habe ich schon im Kopf ich muss nur noch das dazwischen hin bekommen.


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