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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Anettes Fürsorge~

Anette löst sich von Antonio. Sie lehnt sich ein Stück zurück und hält ihm offen ihre Hand hin. „Komm mit mir!“, bittet sie ihn.

Antonio muss sich die Tränen aus den Augen wischen, um besser sehen zu können. Er zieht die Nase hoch, erst dann gelingt es ihm die gereichte Hand zu ergreifen.

Anette erhebt sich und zieht ihn am Arm mit auf die Beine.

Als Antonio wieder auf beiden Füßen steht, jagt nur all zu deutlich ein stechender Schmerz durch die Bisswunde. Er findet keinen Halt auf seinem verletzten Bein und schwankt einen Schritt nach vorn. Dabei ist es nicht nur der Schmerz, der ihn ins Wanken bringt. Auch ein flaues Gefühl in seinem leeren Magen und eine allgemeine Übelkeit überkommen ihn, während sich der Flur zu drehen scheint. Antonios Kraft weicht, doch als sein Körper nachgibt, schließen sich Anettes Arme um ihn. Er lehnt schon wieder an ihren weichen Brüsten und wird fest gegen sie gedrückt. „Langsam…“, flüstert sie fürsorglich und hält ihn aufrecht.

„Langsam…?“, wiederholt Antonio so leise, dass er sich selbst kaum hören kann. Bisher gab es ein langsam nicht in seinem Leben, auch nicht einen Moment, um auszuruhen oder mal durchzuatmen, geschweige denn der eigenen Erschöpfung mal nachzugeben. Dafür spürt er sie nun umso deutlicher in sich. Selbst das Gift tobt noch in seinem Organismus, aber er musste laufen, kämpfen, wach bleiben, damit sie noch einmal die Sonne aufgehen sehen. Bei all diesen Gedanken steigen Antonio erneut Tränen in die Augen.

Anette löst einen Arm um ihn und legt ihre Hand auf seinen Kopf, sanft streichelt sie ihm über die Haare. „Es wird alles wieder gut…“, fügt sie flüsternd an.

Ihre Worte lassen ihn nur noch mehr heulen. Es ist doch noch nie etwas gut geworden, egal was er tut. Antonio fühlt sich elend und gerade gibt es keine Ablenkung mehr davon. „Mir ist schlecht…“, murmelt er und versucht dem Brechreiz entgegen zu atmen.

Die Hand Anettes verlässt seinen Hinterkopf und wandert nach vorn, sie befühlt seine Stirn. „Du bist ganz heiß“, stellt sie fest.

Wirklich? Hat er jetzt auch noch Fieber bekommen? Antonio löst sich von dem haltenden Körper und greift sich selbst an die Stirn. Tatsächlich ist seine Haut warm, deutlich heißer als die an seiner Hand. Das hat ihm gerade noch gefehlt!

„Du musst dich auch mal ausruhen“, tadelt Anette und nimmt seine Hand. „Komm!“, bittet sie ihn und setzt sich in Bewegung.

Als sie losläuft folgt Antonio ihr und ist froh darüber, dass sie gerade zu wissen scheint, was zu tun ist.

Anette steuert seine Zimmertür an und öffnet sie. Gemeinsam betreten sie den Raum. Sie führt ihn zu seinem Bett und fordert ihn auf: „Gib mir den Kasten und leg dich hin!“

Was für ein Kasten? Antonio braucht einen Moment, bis ihm klar wird, dass er noch immer die Metallbox mit dem roten Kreuz auf dem Deckel in der Hand hält. Er übergibt ihn Anette, dann schlägt er die Bettdecke zurück. Die Kraft sich auszuziehen, findet er nicht mehr, so legt er sich einfach mit seiner Kleidung hin. Doch als er die Decke über sich schlagen will, hält ihn Anette davon ab.

„Warte!“, bittet sie und beugt sich über sein Bein. Die Box öffnet sie und stellt sie geöffnet auf der Matratze ab, dann schiebt sie Antonios Hosenbein hinauf. Den Verband entfernt sie. Er ist blutgetränkt. Als sie die Wunde freigelegt hat, ist Antonios Wade geschwollen und um die Löcher in der Haut, haben sich tiefblaue Blutergüsse gebildet. Obwohl sie die Wunden bei Robin desinfiziert haben, eitert es aus zwei der größeren Löcher.

„Wie ist das passiert?“, möchte Anette wissen und kramt aus der Box Desinfektionslösung und einen Wattebausch. Während sie ihn mit der Flüssigkeit tränkt, schaut sie Antonio fragend an.

„Ein Hund hat mich gebissen“, ist seine kurze Antwort, während er sich den Unterarm auf die heiße Stirn legt. Das kühlt zumindest ein bisschen.

Anette reinigt die Wunde. Obwohl sie sich Mühe gibt vorsichtig zu sein, brennt das Mittel. Antonio zieht die Luft scharf ein und zuckt immer wieder, wenn die Watte seine geschwollene Haut berührt.

Kommentarlos fährt Anette fort, bis alles Blut abgewaschen und jedes Loch versorgt ist, dann legt sie einen neuen Verband an. Dabei geht sie so routiniert vor, als wenn sie eine Krankenschwester wäre. Es sind wahrlich nicht die ersten Verletzungen, die sie hier behandelt. Sie kommen alle ständig mit neuen Schrammen nach Hause zurück. Es ist ewig her, dass Antonio mal keinen Verband oder zumindest ein Pflaster irgendwo getragen hat. Wieder kann er nur seufzen und je mehr er in seinen Körper hinein hört, umso deutlich spürt er Hunger, Durst, Schmerz und Erschöpfung. Auch seine Gedanken können nun frei ihre Kreise drehen. Enrico wird heiraten und damit bald ganz Aaron gehören. Als Schwiegersohn des Paten wird er sicher noch attraktiver für einen Angriff sein. Vincent wird sie nun erst recht tot sehen wollen und bald werden sie auch noch Säuglinge lebend durch diese Hölle bringen müssen. Dem allen fühlt sich Antonio nicht mehr gewachsen und das im Nachbarzimmer immer noch Enricos Schluchzen zu hören ist, macht es noch schlimmer.

Ganz egal wie sehr Antonio auch versucht dagegen anzukämpfen, er muss schon wieder heulen.

Die Matratze auf der rechten Seite senkt sich, Anette setzt sich zu ihm und greift ihn an der Schulter. Sie zieht ihn auf ihren Schoß.

Nur wiederwillig gibt Antonio ihr nach, fehlt ihm doch die Kraft sich zur Wehr zu setzen. Als er auf ihren Oberschenkeln zum Liegen kommt, streichelt sie ihm durch die Haare.

Das ist schon wieder viel zu sanft und ganz anders, als alles was er kennt. Selbst Enrico tut das nicht. Wie soll Antonio sich so beruhigen? Ihm laufen nur noch mehr Tränen über die Wangen und immer wieder kommt ihm ein Schluchzen über die Lippen.

„Willst du mir davon erzählen?“, fragt Anette kleinlaut.

Antonio zieht die Nase hoch und schaut fragend auf. „Erzählen?“, will er wissen, ist er doch so in seinem Schmerz gefangen, dass er die Bedeutung ihrer Worte nicht sofort erfassen kann.

„Was euch heute passiert ist und was dich so quält. Ich habe dich noch nie so weinen gesehen“, erklärt sie und streichelt ihm weiter durch die Haare.

Antonio wischt sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Ein wenig hilft das, um klarer sehen zu können, doch die Kraft sich wieder aufrichten zu können, findet Antonio nicht. Dafür toben mit der Frage wieder all die schrecklichen Erinnerungen in seinem Kopf. „Vincent… er… er hat versucht uns umzubringen. Schon wieder!“ Nach Atem ringend versucht Antonio die Kraft zu finden alles auszusprechen, fühlt es sich doch gut an, diesen ganzen Dreck auf diese Weise loszuwerden. „Er hat mich mit Gift außer Gefecht gesetzt und Enrico gezwungen…“ Antonio fehlen die Worte, das Grauen zu beschreiben. Nur mühsam kann er einzelne Brocken der menschlichen Sprache in sich wiederfinden, um zu sagen: „Er sollte sich ausziehen und… und dann, dann… hat er ihm so schrecklich weh getan. Dabei hat er versucht ihn in der Wanne zu ertränken. Ich… ich konnte nichts machen, mein Körper hat mir einfach nicht gehorcht. Als Enrico sich nicht mehr bewegt hat, hat er das Selbe mit mir gemacht. Ich lag dabei die ganze Zeit neben Enricos leblosen Körper und habe gedacht er wäre tot. Und ich… ich wollte auch nur noch sterben. Ich war so froh als endlich alles schwarz geworden ist. Doch dann sind wir in dieser Schrottpresse aufgewacht und der Kampf ging einfach nur weiter. Ich weiß nicht mal mehr, wie wir aus dem Auto rausgekommen sind. Da war nur noch dieser Tunnel. Sterben wie zwei Kanalraten in der Kanalisation, so kam ich mir dort drin vor, aber auch da sind wir wieder aufgewacht. Warum habe ich da nicht einfach draufgehen können? Unser Leben gehört uns doch sowieso nicht mehr. Enrico wird heiraten und Vater werden, dann braucht mich eh keiner mehr.“ Immer verzweifelter wird Antonios Stimme und immer dunkler fühlt es sich in seinem Herzen an. Sterben, um aus diesem Kreislauf aus Leid und Verlust endlich heraus zu kommen, erscheint ihm mehr als verlockend. Das einzig Gute in seinem Leben, ist bald nur noch eine verschwommene Erinnerung. Es war ja jetzt schon beinah unmöglich gewesen, Enrico mal für sich allein zu haben, doch so wie die Dinge sich gerade entwickeln, wird das Schicksal sie noch weiter voneinander wegreißen. Ständig dabei zusehen zu müssen, wie Enrico mit seiner Zukünftigen rumturtelt ist bald genauso beschissen, wie das was Vincent getan hat. Das erträgt Antonio nicht den Rest seines Lebens.

„Ich verstehe dich. Manchmal habe ich auch so große Angst, dass ich lieber mit Mama gestorben wäre…“, sagt Anette und klingt dabei so trostlos, wie Antonio sich fühlt. Das sie solche Gedanken hegt erschrickt ihn. Sie wirkt doch immer so fröhlich und ausgeglichen.

Als Antonio sich die Tränen wegwischt und zu ihr aufsieht, sind ihre Augen leer und gläsern. Glänzende Nässe liegt auf ihren Wangen, die sie eilig mit dem Handrücken wegwischt. „Tut mir leid… ich wollte dich eigentlich aufmuntern… aber…“

Antonio lächelt bitter. „Schon gut. Jetzt wo Enrico bald verheiratet ist, gibt es eh kein Licht mehr in meiner Dunkelheit. Du kannst dir also die Mühe sparen“, erwidert Antonio und lässt sich wieder in Anettes Schoß sinken.

„Es ist also doch wahr… du liebst ihn, stimmts?“, fragt Anette.

Augenblicklich versiegen Antonios Tränen, während ihm ein Stich des Entsetzens ins Herz fährt. Hat er zu viel verraten? Verdammt! Antonio richtet den Oberkörper auf. „Nein, also nicht so wie du jetzt denkst… also er ist nur mein bester Freund und…“, versucht er sich zu verteidigen.

Anette betrachtet ihn mahnend, ihr Blick allein ist schon genug, doch ihre Worte unterstreichen die Erkenntnis noch einmal: „Hör auf mich anzulügen!“

Als Antonio verstummt und sich nervös auf der Unterlippe herumbeißt, senkt sie den Blick. Ein Seufzen entkommt ihren Lippen, dann schaut sie zur Seite weg, an die Wand hinter der Enricos Zimmer liegt und in dem es inzwischen still geworden ist. „Ich weiß das schon eine ganze Weile. Ihr seid ja manchmal auch nicht zu überhören…“

Ein imaginärer Kloss presst sich in Antonios Kehle. Er schluckt ihn immer wieder, doch er will nicht verschwinden. Wenn Anette es weiß, wissen es dann auch die anderen? Noch mehr Unheil sieht Antonio über sich und seinen Freund hereinbrechen. Das scheint sie seinem Gesicht anzusehen, denn sie sagt:

„Nur keine Sorge, die anderen glauben nicht, dass es so ist. Sie haben mich immer verrückt genannt, wenn ich es angesprochen habe.“

So sehr Antonio das auch erleichtert, so deutlich macht es ihm auch, dass seine Alibifreundin nun wohl Geschichte ist. „Dann sind wir jetzt nicht mehr zusammen, oder?“, fragt er ermattet und lehnt sich an die Wand hinter dem Bett.

Anette senkt den Blick, sie knetet ihre Finger. „Waren wir das denn je?“, will sie wissen und klingt traurig dabei.

Antonio seufzt. Er hat die ganze Zeit gehofft seine Maskerade war gut und Anette glücklich dabei, doch da hat er sich scheinbar geirrt. Weil er nichts zu sagen weiß, dass die Situation verbessern würde, schweigt er, bis ihm eine Frage in den Sinn kommt, die ihn nicht loslässt, bis er sie schließlich stellt: „Wenn du es die ganze Zeit gewusst hast, wieso hast du mitgespielt?“

Anette presst die Finger ineinander, bis die Haut an ihnen weiß wird. „Naja… weil… also ich liebe euch beide. Also wirklich und ich wollte… also ich habe gehofft, dass ihr mich vielleicht auch ein bisschen lieb habt, aber da habe ich mir scheinbar was vorgemacht. Vielleicht… vielleicht sollte ich jetzt gehen“, schlägt Anette vor und sieht an den Bettrand vorbei, weg von Antonio.

Bei der Vorstellung gleich allein zurückbleiben zu müssen, fühlt sich Antonio noch elender. Dabei war es gerade fast schön mit ihr. Ganz anders als er es bisher mit Enrico erlebt hat aber trotzdem zu schön, um das jetzt auch noch zu verlieren. „Kannst du bitte bleiben? Nur bis ich eingeschlafen bin, bitte!“, fragt er und fühlt sich dabei fast wie ein Kind das Angst im Dunkeln hat.

Anette hebt den Blick und betrachtet ihn prüfend. „Ich bin dir nicht zu viel, so wie sonst immer?“, fragt sie überrascht.

Antonio zwingt sich ein Lächeln in seine müde Gesichtsmuskulatur. „Nein! Gerade bin ich einfach nur froh, dass du da bist“, gesteht er.

Auch in Anettes Mundwinkel schleicht sich ein flüchtiges Lächeln. „Na gut. Ich bleibe noch etwas“, gibt sie nach.

Antonio betrachtet sie mit großen Augen. „Wirklich?“, fragt er überrascht, „Bist du denn nicht böse auf mich, weil ich dich getäuscht habe?“

Sie rutscht auf dem Bett weiter zu ihm auf, bis sich ihre Arme wieder berühren. „Ich habe versucht böse auf euch beide zu sein, aber ich kann es nicht.“ Wieder zieht sie Antonio an den Armen auf ihren Schoss und als er ihr nachgibt, streichelt sie ihm erneut so wunderbar beruhigend über den Kopf.

Das ist so angenehm, dass Antonio versucht sich nur noch darauf zu konzentrieren. „Als du damals in mein Zimmer gekommen bist und ich dich das erste Mal gesehen habe, habe ich gedacht du bist ein Engel. Ich glaube ich hatte recht damit“, murmelt Antonio, während ihn nach und nach die Müdigkeit einholt. Ihr Lächeln sieht er dabei nicht mehr, doch er kann es in ihren Worten hören.

„Ich liebe dich und kann und will das nicht ändern…“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Brooky
2024-04-17T18:17:53+00:00 17.04.2024 20:17
Jo, hab geahnt, dass Annette die beiden langsam durchschaut hat. Sie ist schließlich nicht blöd. Im Gegenteil. Sie ist eine der klügsten bei den Wölfen. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass sie alles weiß und ihnen im Zweifel ein Alibi geben kann. Und wenn die beiden noch eine Vertraute neben Robin haben, die Bescheid weiß und sie dafür nicht verurteilt.
Antwort von:  Enrico
17.04.2024 20:25
Stimmt Anette ist noch eine der schlachten Köpfe. Zenit und Streuner haben zwar Straßenschleue sind aber doch eher naiv veranlagt. Ich fand es hier auch mal schön Antonio jemanden an die Seite zu geben wo er mal halt bekommt und nicht nur geben muss. Anette wird auf jeden Fall noch eine wichtige Verbändete sein. In allen Lebenslagen😉.


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