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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Wir~

Es pfeift durch die Spalten im Dach und dem Mauerwerk, wie ein Unheil bringender Geist. Die alten Dielen knacken, während sie sich unter der Kälte zusammenziehen. Es ist stockfinster hier, der neue Tag hat noch nicht begonnen. Durch die winzige Lucke, die als Dachfenster dient, kann ich ein paar wenige Sterne erkennen.

Starke Arme hüllen mich ein, geben mir das Gefühl von Geborgenheit. Obwohl ich nackt bin und die Decke dünn, reicht seine Körperwärme für uns beide. Ich schließe die Augen und atme seinen vertrauten Duft. Wenn es doch nur immer Nacht bleiben könnte. Ein Hauch von Müdigkeit überkommt mich und entführt mich in einen traumlosen Schlaf.

Sein warmer Atem streift meinen Nacken. „Du musst gehen!“, flüstert er.

Ich weigere mich die Augen zu öffnen, schüttle lediglich sacht den Kopf.

„Aber die Sonne geht schon auf!“, sagt er mit Nachdruck. Seine Hand wandert über meinen Oberkörper und meinen Bauch hinab.

Ein wohliger Schauer durchströmt mich. „Kann nicht sein“, antworte ich und rücke näher an ihn heran. „Da oben sind doch noch die Sterne zu sehen.“ Seine Hand nehme ich am Gelenk und führe sie in meine Mitte. Es ist sicher noch Zeit genug für eine weitere Runde.

Er gibt meinem Drängen nach und packt mir fest in den Schritt – zu fest. Ich zucke zusammen und öffne die Augen.

Durch das Dachfenster ist der Himmel in Rot und Lila gefärbt. Die schäbige Dachkammer ist in schummriges Licht getaucht, der Schrank und das Bettgestell als Schatten bereits zu erkennen.

Sein Griff wird noch fester. „Jetzt steh endlich auf!“, fordert er.

„Aber…!“, presse ich mit zusammengebissenen Zähnen heraus und versuche seine Finger von mir zu lösen.

„Nichts aber! Du hast hier nichts zu suchen. Wenn dich jemand sieht, können wir unser Testament machen. Also geh!“ Er gibt mich frei und stößt mich Richtung Bettrand.

Als ich über die Schulter zurückschaue, ist er bereits wieder in sein Kissen gesunken. Sein Gesicht wird von schulterlangen, schwarzen Haaren verdeckt, sie drehen sich an ihren Spitzen zu kleinen Locken zusammen. Ein Teil der Decke ist zurückgeschlagen und entblößt seinen muskulösen Oberkörper. Von den Brustmuskeln abwärts schlängelt sich ein feuerrotes Drachentattoo abwärts, der Schwanz der Bestie endet genau über der Wurzel seines Gliedes.

Gierig betrachte ich ihn.

Tonis grüne Augen funkeln mich zwischen den schwarzen Haaren heraus an. „Verschwinde!“, verlangt er und schlägt die Bettdecke über sich.

„Ach komm schon! Nur noch einmal!“, bitte ich.

„Nein! Ich habe dich die ganze Nacht gevögelt. Jetzt will ich wenigstens noch eine Stunde pennen, bevor ich Jester ablöse.“ Toni dreht sich auf die Seite, weg von mir.

Ich bleibe unentschlossen sitzen. Mein Blick wandert hinaus aus dem Dachfenster. Die Wolkenstreifen am Himmel sind bereits orange, immer mehr Tageslicht flutet den Raum.

Ich seufze tief. Bevor die anderen Bediensteten aufwachen, muss ich verschwunden sein. Immerhin gibt es keine vernünftige Erklärung, für meine Anwesenheit hier. „Na schön, du hast gewonnen. Dafür nerve ich dich nachher, wenn du Wache schieben musst.“ Zum Schlafen komme ich nach diesem Anblick sowieso nicht mehr.

Aus seiner Richtung kommt nur ein leises Schnarchen.

Habe ich ihm heute Nacht wirklich zu viel abverlangt? Der Gedanke lässt mich schmunzeln, zumindest bis ich es geschafft habe aufzustehen. Der Schließmuskel meines Hinterns schmerzt bei jedem Schritt. „Verdammt…“, murmle ich, während ich darüber nachdenke, ob der Schmerz die Sache wirklich wert war. Vorsichtig bücke ich mich nach meinen Klamotten, sie sind auf dem ganzen Boden verteilt.

Sein Blick folgt mir, ich kann es förmlich spüren. Als ich zum Bett zurückschaue, stützt er den Kopf mit der Hand. Ein breites Grinsen hebt seine Mundwinkel, während er mir auf den Hintern starrt. „Na, willst du wirklich noch mal?“, fragt er spöttisch.

Ich schaue grimmig und werfe ihm mein Hemd ins Gesicht. „Klappe!“, schnauze ich ihn an.

Er nimmt das Kleidungsstück mit unter die Decke und schließt es wie ein Stofftier in seine Arme ein. „Das kannst du da lassen“, sagt er und vergräbt die Nase darin. Leise fügt er hinzu: „Es riecht nach dir…“

Ich stemme die Arme in die Seiten und ziehe einen Schmollmund. „Du spinnst wohl! Wenn ich hier halb nackt rauskomme, sind wir geliefert.“

Er zuckt mit den Schultern und dreht mir den Rücken zu. „Nicht mein Problem!“, entgegnet er herausfordernd.

Dieser Idiot!

Der Himmel wird langsam blau, die ersten Sonnenstrahlen werfen ein Lichtviereck auf den Boden. In den Kammern nebenan sind Schritte zu hören. Verdammt, ich muss mich beeilen! Hastig ziehe ich mir meine Unterhose und Hose an, dann laufe ich zum Bett. Mit den Knien voran stemme ich mich in die Matratze und beuge mich über ihn. „Jetzt gib es schon her!“, verlange ich aufgebracht und zerre an einem der Ärmel.

Toni sieht über die Schulter und grinst verschlagen. Das Hemd wirft er mir um den Nacken und zieht mich damit zu sich. Seine Lippen legt er auf meine.

Ich schließe die Augen und erwidere seinen Kuss. Einen Moment lang - einen kurzen - ist meine Welt in Ordnung.

Doch viel zu schnell löst er sich von mir. Eindringlich betrachtet er mich, als er mich erinnert: „Du musst jetzt wirklich gehen!“

Ich öffne die Augen. „Ich weiß“, seufze ich und klettere vom Bett. Auf dem Weg zur Tür ziehe ich mir das Hemd an. Als ich die Klinke erreiche, bin ich soweit wieder hergerichtet, das ich den Rest mit Verschlafenheit tarnen kann.

„Enrico!“, ruft er mir vom Bett aus zu.

Ich schaue zurück.

„Versuch auch mal ein paar Stunden zu schlafen! Möglichst morgen Nacht, damit ich mal pennen kann.“

Bitter lächle ich. „Ja, klar, wenn es unbedingt sein muss.“ Meinen Blick wende ich von ihm ab. Leise, fast tonlos füge ich an: „War ja sowieso die letzte Nacht…“

Vorsichtig öffne ich die Tür und spähe in den langen Flur.

Die Wände sind kahl und nur dürftig verputzt, an einigen Stellen ist der blanke Ziegel zu sehen. Spinnweben hängen wie Gardinen von der Decke und spannen sich in den Ecken. Der Boden ist staubig und die Holzdielen alt und morsch.

Niemand ist hier, die Türen der anderen Dachkammern sind verschlossen. Nur hin und wieder sind Schritte dahinter zu hören, jemand räuspert sich, ein anderer hustet.

Ich trete hinaus und schließe die Tür leise. Immer wieder lausche ich, doch es bleibt still. Auf Zehenspitzen laufe ich weiter. Bei jedem Schritt verlagere ich gerade so viel wie nötig Gewicht auf die knarrenden Dielen.

Endlich habe ich das Ende des Flurs erreicht. Eine Steintreppe führt nach unten, zu einer schmucklosen Holztür. Von hier an werde ich rennen können. Leichtfüßig steige ich nach unten. Wenn ich es erst durch die Tür geschafft habe und davor noch kein Personal unterwegs ist, dann ist alles gut gegangen.

Über mir ist Gepolter zu hören, Schritte und Fluchen. Eine Tür wird geöffnet.

Ich überspringe die letzten zwei Stufen und drehe den Knauf der schmucklosen Tür.

Helles Tageslicht kommt mir entgegen. Ich muss blinzeln und kann doch nichts erkennen. Trotzdem trete ich rasch hinaus und schließe die Tür nach mir. Eine Hand lege ich über die Augen, so ist es besser.

Nur langsam gewöhne ich mich an die neuen Lichtverhältnisse. Auf den Stufen hinter der Tür sind bereits Schritte zu hören.

Ich sehe mich um.

Ganz allein stehe ich in dem langen Flur, der von zwei großen Fenstern erhellt wird. Der Boden ist mit weichem Teppich ausgeschlagen. Edle Tapeten zieren die Wände. Bilder und Gewehre hängen überall dazwischen. Ein Dutzend Türen gehen von hier aus ab. In der Ferne ist die erste Stufe der Treppe ins Erdgeschoss zu sehen.

Wohin jetzt am besten?

Die Bibliothek ist am nächsten, also eile ich dorthin.

In dem Moment öffnet sich die Tür zum Dachboden.

Ich gehe langsamer, tue so, als wenn ich eben aus meinem Zimmer gekommen und ganz zufällig hier unterwegs wäre. Wie beiläufig schaue ich zurück.

Eine der Küchenmägde tritt in den Flur. Sie gähnt ausgiebig und streckt sich. Als sich unsere Blicke treffen, nimmt sie Haltung an. Ihr Körper wird stocksteif, sie faltet die Hände und beugt den Oberkörper. „Guten Morgen, junger Herr!“, stammelt sie.

Ich nicke und flüchte in die Bibliothek. Die Tür werfe ich nach mir zu und lehne mich mit dem Rücken an das schwere Nussbaumholz. Meine rechte Hand lege ich mir an das hämmernde Herz. „Verdammt, das war echt knapp“, murmle ich.

Mein Blick wandert durch die endlosen Regalreihen, die bis unter die Decke mit Büchern gefüllt sind. Ob Aaron die alle gelesen hat? Der Hausherr hat eine übertriebene Sammelleidenschaft. Die Wände voller Waffen und Kunstwerke und hier überall diese alten Schinken. Ich passe so gar nicht in diese Welt, in diesen feinen Zwirn auf meiner Haut und diesem zu viel von allem. Warum nur hat der Pate einen solchen Narren an mir gefressen, dass er selbst seine Tochter mit mir verheiraten will?

Mein Blick wird von einem schwarzen Flügel eingefangen. Da ist sie wieder, diese verdammte Realität, vor der ich heute Nacht zu flüchten versucht habe.

Langsamen Schrittes gehe ich auf den Hocker zu, der zum Sitzen einlädt. Im Vorbeigehen streiche ich über den blank polierten Flügel, bis ich bei den Tasten des Musikinstrumentes ankomme. Schwer wie ein nasser Sack, lasse ich mich auf den Hocker fallen.

Ich lerne das Klavierspielen gerade mal seit ein paar Wochen, wie soll ich da ein ganzes Konzert spielen und dann auch noch vor ein paar Dutzend reicher Schnösel? Die Notenblätter schauen mich mahnend an. Ich habe viel zu wenig geübt, doch diese klassische Musik macht einfach keinen Spaß. Da bricht man sich die Finger. Ganz besonders dieser verdammte Mittelteil, den werde ich nie hinbekommen, dabei erwartet Aaron eine fehlerfreie Darbietung.

Ich lege meine Finger auf die Tasten und spiele die Stelle, es klingt so schief wie immer. „Verdammte alte Künstler“, murre ich und schlage das Notenbuch zu.

Toni hat mir geraten, meine eigene Musik zu spielen, doch das wird Aaron mit Sicherheit auf die Palme bringen. Ich sehe den alten Mann schon vor mir, wie er tobt und schreit und mir den Tod androht - wie er es schon so oft getan hat. Und? Ich lebe immer noch!

Meine Finger beginnen über die Tasten zu tanzen, den Körper wiege ich im Takt der Melodie. So sollte Musik klingen: Lebendig, laut und immer wieder anders, angefüllt mit den Emotionen dieses Momentes. Voller Hass, voller Wut und Freude und so unfassbar traurig.

Ich will diese Judy nicht heiraten! Ich will nicht in den Schoß dieser Familie! Wenn die Stadt da draußen nicht voller Mörder wäre, die nur auf einen Fehler von mir warten, ich hätte mit Toni längst das Weite gesucht. Scheiß auf Geld und Ansehen und wenn wir uns wieder aus Mülltonen ernähren müssten - alles ist besser als das hier!



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