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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Die Einladung~

Es ist so dunkel hier. Warum nur macht das Dienstpersonal nachts immer alle Lampen aus? Sie wissen doch, dass sie zu klein ist, um sie zu erreichen und das Gas aufzudrehen. Unsicher sieht sich das kleine Mädchen um. Judy kennt die Zimmer, weiß wohin die unzähligen Türen führen, doch im Dunkeln sieht alles so gespenstig aus. Nur am anderen Ende des Flurs, dort wo die Tür zum Salon offen steht, dringt flackerndes Licht heraus. Das kleine Mädchen presst ihren Teddy ganz fest an ihre Brust. Ihre nackten Füße frieren auf dem Parkettfußboden. Tränen stehen in ihren Augen. „Mama? Papa?“, fragt sie vorsichtig in die Dunkelheit hinein und geht langsam weiter.

Der Boden macht knackende Geräusche. Ein lauter Knall zerreißt die Luft.

Sie bleibt stehen, ihr kleiner Körper beginnt zu zittern. Judy kennt dieses Geräusch, es ist dasselbe, wie das, welches sie aus dem Schlaf gerissen hat. So klingt nur der Revolver ihres Vaters.

„Narumi, ich bin hier! Es wird alles wieder gut! Bleib bei mir!“ Das ist die Stimme ihres Vaters und der Name ihrer Mutter.

Ihre kleinen Finger krallt Judy in das Fell des Teddybären. Sie zwingt sich weiter zu gehen. Endlich hat sie die letzte Tür im Flur erreicht, vor ihr öffnet sich der Salon.

Im Kamin lodert ein wärmendes Feuer. Um einen gläsernen Tisch sind zwei Sessel und ein Sofa platziert.

„Papa?“ Die Augen des kleinen Mädchens bleiben an einem Mann hängen. Er liegt gleich neben der geöffneten Tür am Boden. Seine Augen sind ins weiße verdreht, in seiner Stirn klafft ein tiefes Loch. Aus ihm fließt Blut, es besudelt den weißen Teppich. Judy kennt sein Gesicht nicht. Der schauerliche Anblick lässt sie einen Schritt zurückweichen. Enger presst sie das Stofftier an sich und beißt dem Teddy ins Plüschohr.

In der Mitte des Raumes kniet ihr Vater, er hält seine Gattin im Arm. Narumis Brustkorb hebt und senkt sich schnell, die Hand der Mutter, die in der des Vaters ruht, zittert. Aus ihrem Mundwinkel sickert Blut. Ein großer roter Fleck breitet sich über ihrer Brust im weißen Nachtgewand aus.

Der Vater nimmt das Gesicht seiner Frau in die Hand, seine Finger sind blutverschmiert. In seinen Augen sammeln sich Tränen. „Narumi, verlass mich nicht!“

„Oh mein Gott, junge Lady!“, spricht eine vertraute Stimme erschrocken aus. Judy spürt einen Blick auf sich, doch sie kann sich nicht bewegen, kann nicht wegsehen.

Die Augen des Vaters richten sich auf sie. Tief fallen seine Brauen in die Gesichtsmitte.

„Jester, schaff sie hier raus!“, brüllt er.

Der Schatten des Butlers legt sich über das kleine Mädchen.
 

…~*~...
 

Judy schreckt aus tiefem Schlaf. Als sie sich umsieht, sitzt sie bereits aufrecht im Bett. Tränen rollen ihr über die Wangen. Sie greift nach ihnen und betrachtet sie auf ihren Fingerkuppen. Es ist lange her, dass sie dieser Kindheitstraum gequält hat. Beinah hat sie den Tod der Mutter erfolgreich verdrängt.

Seufzend schlägt sie die Bettdecke zurück. Sie muss aufstehen und sich beschäftigen, um diesen Alptraum abschütteln zu können. Langsamen Schrittes schlurft sie zum Spiegel. Dunkle Ringe rahmen ihre Augen, die Haare stehen zerzaust vom Kopf ab. Na das wird dauern dem Vogelnest Herr zu werden, besonders bei der Länge. Judy sieht an sich hinab. Das Haargewirr reicht ihr fast bis zu den Hüften. Sie seufzt ergeben und fährt sich durchs Gesicht, dann greift sie nach der Bürste.

„Judy? Bist du schon wach?“, ist die Stimme ihrer Schwester zu hören. Sie kommt vom Flur und drängt sich durch die geschlossene Tür auf. Judy legt den Kopf schief und betrachtet die Uhr an der Wand. Es ist gerade mal neun Uhr morgens. Für gewöhnlich wagt sich Susen am Wochenende nicht vor 12 Uhr in den ersten Stock, den Judy bewohnt. So gibt sie ein unheilvoll klingendes „Ja!“, von sich.

„Oh, wirklich?“ In Susens Stimme schwingt Überraschung. „Das ist gut, wir bekommen nämlich gleich Besuch. Komm doch bitte runter, wenn du soweit bist!“

„Ja, ist gut!“, entgegnet Judy und betrachtet den Haarknoten, der sich in der Bürste verfangen hat. Das kann dauern, bis sie sich frisiert hat. Wer sollte sie überhaupt besuchen kommen? Wenn es wieder der zerlumpte Straßentyp ist, mit dem ihre Schwester angebandelt hat, ist das doch kein Grund sie zu wecken. Andererseits hat Susen sie wegen dem noch nie gerufen. Judy geht im Kopf eine Liste in Frage kommender Personen durch, doch keiner von denen weiß, dass sie hier wohnt. Sehr seltsam!

Sie kämt die Haare gerade so weit, dass sie ihr nicht mehr vom Kopf abstehen, dann bindet sie sie in einen Zopf. Das schneeweiße Samtnachthemd lässt sie von ihrem Körper gleiten und zieht sich rasch das Kleid vom Vortag an. Auf die Hausschuhe verzichtet sie, auch das Nachthemd lässt sie liegen. Mit schnellen Schritten verlässt sie ihr Zimmer, dann folgt sie dem schmalen Flur bis zu einer Wendeltreppe. Die Stufen hüpft sie leichtfüßig hinab. Schon auf der Hälfte kann sie das großzügige Wohnzimmer einsehen. Um einen Glastisch herum verteilen sich zwei schneeweiße Sessel und ein Sofa. Der weiche Teppich davor ist mit braunen Flecken gesprenkelt. Susen hat das Blut ihres letzten Patienten nicht aus den Fasern bekommen, den sollten sie endlich austauschen lassen.

„Verdammt Judy, bist du gerade erst aufgestanden? Du siehst ja aus wie durch den Fleischwolf gedreht“, wird sie von einer hellen Frauenstimme angesprochen.

Judy bleibt auf der untersten Stufe stehen und sieht zur Haustür. Auf der Schwelle steht eine junge Frau und lacht. Ihr Gesicht ist geschminkt und ihre langen schwarzen Haare seidig glatt gekämmt. Sie liegen ihr über der linken Schulter und fallen weit über ihren großen Busen. Das rote Kleid reicht ihr kaum über die Schenkel. Es zeigt so viel Ausschnitt, dass deutlich zu sehen ist, dass sie keinen BH trägt.

Judy stemmt die Arme in die Seiten. Ärgerlich schaut sie die Frau an, als sie ihr entgegnet: „Kann ja nicht jeder schon um neun Uhr wie eine Nutte aussehen, Schwesterherz. Und wegen dir habe ich mich jetzt so beeilt?“ Ihre Aufmerksamkeit richtet Judy auf Susen. In einem ärgerlichen Tonfall fragt sie: „Und wegen der hast du mich geweckt?“

Die hochgewachsene Frau, die ihre blonden Haare in einem Pferdeschwanz trägt, zuckt mit den Schultern. Sie schließt die Haustür.

„Jetzt schau doch nicht so böse, Kleine! Immerhin ist heute doch dein Geburtstag. Da werde ich ja wohl mal vorbeikommen dürfen, um dir auf die Nerven zu gehen“, meint Robin und kommt näher.

Judy verschränkt die Arme vor der Brust. Was muss Robin sie auch immer damit aufziehen, dass sie die jüngste der drei Longhardschwestern ist.

„Wenn du deswegen kommst, wo ist dann mein Geschenk?“, will Judy spitzfindig wissen.

Robin hat nichts bei sich, als eine kleine Handtasche, in der höchstens eine Puderdose Platz findet. Die Schwester bleibt vor ihr stehen. „Seit wann machen wir uns denn Geschenke?“, fragt sie.

Judy setzt einen misstrauischen Blick auf. „Warum bist du wirklich hier?“, verlangt sie zu wissen.

Robin breitet die Arme aus und legt sie um Judy.

Starr lässt diese die Berührung über sich ergehen und wartet noch immer auf eine Antwort.

„Na, um dir zu gratulieren natürlich! Alles Gute meine Kleine“, sagt Robin.

„Lass das scheinheilige Getue!“, entgegnet Judy, ohne ihre angespannte Haltung aufzulösen.

Robin gibt sie frei und tritt einen Schritt zurück, um Judy wieder ansehen zu können, dann setzt sie ein schelmisches Grinsen auf. Den Zeigefinger legt sie sich an die Unterlippe. Mit einem Augenzwinkern sagt sie: „Na gut, hast mich erwischt. Ich soll dir etwas bringen.“ Robin öffnet den Druckknopf ihrer Handtasche und kramt darin herum.

Susen kommt zu ihnen. So gespannt wie Judy betrachtet auch sie den Umschlag, den Robin hervorholt.

Doch ein Geschenk? Judy bleibt misstrauisch. Sie nimmt den Brief entgegen und betrachtet ihn von allen Seiten. Er ist schmucklos weiß, kein Absender, nichts was auf den Inhalt schließen lässt. So öffnet sie ihn:
 

Einladung

Ball zum 18. Geburtstag meiner geliebten Tochter. Sie erwartet ein exklusives Klavierkonzert und ausgesuchte Speisen im Anwesen…
 

Judys Augen weiten sich. ‚Geliebte Tochter‘? Hat sie das gerade richtig gelesen? Ist sie damit gemeint? Moment, ihr Vater lädt zu einem Ball ein, zu einem Ball ihr zu Ehren? Er will es wohl einfach nicht verstehen? Sie ist doch nicht von zu Hause abgehauen, um jetzt fröhlich mit ihm zu feiern. Warum kann er nicht endlich hinnehmen, dass sie nichts mehr mit ihm und Seinesgleichen zu tun haben will? Ständig schickt er irgendwas, oder hetzt ihr seine Leute auf den Hals. Dieser verdammte Mistkerl! Judy zerknüllt die Karte in ihrer Hand. „Nein! Ganz bestimmt nicht! Ich will mit euch nichts zu tun haben! Richte ihm das aus! Auch seine Bodyguards kann er abziehen. Ich weiß ganz genau, dass sie mir folgen. Ich habe seinen Schutz nicht nötig und auch diese Party will ich nicht. Genau so wenig wie sein Geld und diese feinen Schnösel aus gutem Hause, die er mir als zukünftige Ehemänner vorstellt. Ich habe das alles hinter mir gelassen. Versteht das doch endlich!“ Den Briefumschlag und die Karte lässt sie zu Boden fallen, direkt vor die Füße der Schwester, dann dreht sie sich um und stampf die ersten Stufen der Wendeltreppe hinauf.

„Bist du dir sicher?“, fragt Robin, ihre Stimme klingt siegessicher. Geheimnisvoll fügt sie an: „Er wird nämlich auch dort sein!“

Judy bleibt stehen. Sie weiß sofort, wen ihre Schwester meint, immerhin hat Judy die letzten Wochen nichts unversucht gelassen, um mehr über den Kerl in Erfahrung zu bringen und Robin ist die Einzige, die ihn persönlich kennt. „Enrico wird also dort sein?“, flüstert sie. Ihr Blick wandert unter den Glastisch, zu den dunklen Flecken im Teppich. Es ist sein Blut gewesen, das diese Flecken zurückgelassen hat. Susen hat seine schweren Verletzungen behandelt und ihm damit das Leben gerettet. Als Ärztin hat sie schon viele zwielichtige Typen gerettet, aber keiner war je so gutaussehend gewesen. Die eisblauen Augen und sein warmherziges Lächeln haben Judy bezaubert. Immer wieder hat sie die beiden Schwestern gefragt, wer der Kerl ist, wo er herkommt und was er so macht. Tagelang hat sie ihnen in den Ohren gelegen, aber sie haben kein Wort über ihn verloren. Lediglich seinen Namen konnte sie aufschnappen und dass er irgendwas mit ihrem Vater zu schaffen haben muss. Warum Susen und Robin so ein Geheimnis um diesen Kerl gemacht haben, versteht sie nicht, aber das hat ihr Interesse nur weiter angefacht. Langsam dreht sich Judy nach Robin um.

Die Schwester grinst über beide Ohren. „Du wolltest ihn doch unbedingt wieder sehen, oder? Nun, Vater hat seine Beziehungen spielen lassen. Er wird ein Klavierkonzert auf deinem Ball geben.“

Der Kerl spielt Klavier? Also ist er keiner von Vaters Ganovenfreunden, die in seinem Auftrag Verbrechen begehen? Ein flüchtiges Lächeln huscht Judy über die Lippen.

Robin lächelt zufrieden. „Wir putzen dich ordentlich heraus, ziehen dir einen feinen Fummel an und machen was aus deinen schönen Haaren. Wäre doch gelacht, wenn wir den Jungen nicht für dich begeistern könnten. Wenn du wirklich willst, hast du doch zehn an einer Hand.“ Robin betrachtet sie von oben bis unten. Ein schelmischer Blick schleicht sich in ihr Gesicht: „Naja, zumindest bis zum nächsten Morgen. Mal ehrlich, wie schaffst du es nach dem Schlafen älter aus zu sehen, als Susen und ich zusammen?“

Judy ballt ihre Hände zu Fäusten. Sie will gerade etwas erwidern, als sich Susen zwischen sie und Robin schiebt.

„Ich dachte wir hätten darüber gesprochen, Robin? Der Kerl ist keine gute Partie“, meint sie ärgerlich.

Robin verschränkt die Arme vor der Brust. Sie trippelt mit dem rechten Fuß auf dem Boden. „Sagt die, die mit seinem Bruder zusammen ist!“

Judy sieht von einer zur anderen. Der schmuddelige Kerl, der ständig hier herumhängt, soll der Bruder von Enrico sein? Die sehen sich gar nicht ähnlich, mal von den blonden Haaren abgesehen.

„Das ist doch wohl was ganz anderes. Er arbeitet nicht für Vater!“, beschwert Susen sich.

„Ja, aber auch nur, weil er quasi schon bei dir wohnt. Vater ist übrigens gänzlich gegen diese Verbindung!“, berichtet Robin.

„Ja? Gut so!“, entgegnet Susen und verschränkt die Arme vor der Brust.

Judy kommt die Treppe herunter. Sie mischt sich mit lauter Stimme in das Gespräch ein. „Wie kommst du eigentlich darauf, dass ich nur für einen Kerl Vater besuchen werde?“, will sie aufgebracht wissen.

Robin lächelt sie an. „Ach komm schon, du hast längst angebissen. Ich sehe es doch in deinen Augen.“ Mit dem ausgestreckten Zeigefinger fuchtelt Robin ihr vor der Nase herum.

Judy bläht ihre Backen auf, die angestaute Luft lässt sie in wütenden Worten heraus: „Nein, ich will nicht mit Vater sprechen oder ihn überhaupt sehen müssen.“

„Wer sagt denn, dass du das musst? Es ist ein Maskenball. Wenn wir es geschickt angehen, weiß er nicht mal, dass du da bist. Ich stell dich einfach als eine Freundin vor.“

Ein Maskenball also? Bis zu dieser Information hat Judy die Einladung gar nicht gelesen. Kann sie in der passenden Verkleidung den Vater wirklich überlisten? Wie es ihrem alten Herrn wohl geht? Judy hat ihn nicht mehr gesehen, seit sie mit 16 von daheim weggelaufen ist. Ob Jester wohl noch lebt? Der alte Oberbutler, der immer Kekse für sie hatte und oft wegsah, wenn sie sich nachts aus dem Haus schlich. Vielleicht ist es ja ganz lustig alle wieder zu sehen, ohne selbst erkannt zu werden. Und dann wäre da ja noch das Konzert Enricos. Judy neigt nachdenklich den Kopf.

Susen wendet sich ihr zu. „Dein Ernst? Denkst du etwa wirklich darüber nach dorthin zu gehen? Du wolltest nie mehr nach Hause zurück, schon vergessen?“

„Nein, das habe ich nicht vergessen. Ich will auch nichts mehr von dem wissen, was in Vaters Haus passiert. Ich habe genug gesehen.“ Judy legt die Stirn in Falten. Ihr Blick bekommt etwas Düsteres, als sie an ihren Traum denken muss. Doch in diese Erinnerungen mischt sich immer wieder das lächelnde Gesicht ihres Vaters, wenn sie als Kind auf seinem Schoß saß und die Arme nach ihm ausstreckte. Ihr kommen Spaziergänge in den Sinn, an seiner Hand und Schachspiele im Salon am warmen Kamin, bei dem er sie gewinnen ließ. Judy seufzt. „Nun, manchmal fehlt mir der alte Mann schon…“, sagt sie leise.

„Echt jetzt?“, fragt Susen überrascht.

„Also kommst du?“, will Robin erwartungsvoll wissen.

Judy denkt noch einen Moment darüber nach. Den Vater wieder zu sehen, zumindest aus der Ferne und zu wissen, dass es ihm gut geht, das ist schon verlockend. „Ja, ich komme vorbei, aber wenn er mich erkennt, bin ich sofort weg“, stimmt Judy zu.

„Einverstanden!“, entgegnet Robin und schlägt die Hände freudig ineinander.



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