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Tian Guan Ci Fu

Heaven Official's Blessing
von

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Kapitel 4

Drei Narren; Nächtliche Diskussionen im Tempel der großartigen Männlichkeit.
 

Seit dem gerieten die Dinge außer Kontrolle. In den hundert Jahren, seit dem ersten Vorfall, waren in diesem Berggebiet insgesamt siebzehn Bräute verschollen gegangen. Manchmal lagen Jahre des Friedens zwischen den Vorfällen, ein andermal verschwanden zwei Bräute innerhalb der kurzen Spanne eines Monats. Eine entsetzliche Legende begann sich schnell zu verbreiten. Ein geisterhafter Bräutigam lebte auf Berg Yujun und sobald eine Frau ihm ins Auge fiel, so würde er zur Straße hinab schreiten, die Braut entführen und die Heiratsprozession verschlingen.

Für gewöhnlich wurden solche Angelegenheiten nicht an dem Himmel weiter getragen. Während siebzehn Bräute verschwanden, waren dort tausende weitere, denen es prächtig ging. Dennoch waren diese Frauen nie gefunden worden, genauso wenig wie man sie hatte beschützen können, auch wenn man es versuchte und fand nur traurige zusätze beim gegenwärtigen Zustand. Die einzige Veränderung, die merklich wurde, war der Rückgang an Hochzeiten aus der Gegend und die prachtvollen Feiern, die man nun eher klein und bescheiden hielt, da die Einwohner es nicht wagten, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch wie es der Zufall wollte, war der Vater der siebzehnten Braut ein amtlicher Lord, der in seine Tochter vernarrt war. Als er von der Legende hörte, wählte er akribisch vierzig mutige und fähige, im kampf geschulte Wächter aus, die diese Heiratsprozession seiner Tochter eskortieren sollte. Aber auch seine Tochter verschwand spurlos.

Mit der Tat hatte der geisterhafte Bräutigam ein Wespennest in Aufregung versetzt. Denn diese alte Lordschaft wollte diesen Vorfall nicht ungesühnt lassen und setzte alles in Bewegung, um der Situation auf den Grund zu gehen und ließ sogar eine ganze Reihe an Gottesdienst für seine Tochter abhalten. Er folgte sogar den Anweisungen eines Priesters, öffnete seine Lager und spendete die Lebensmittel an die Armen und versorgte sie mit weiteren Gütern. Es gab einen riesigen Aufruhr, so dass selbst die himmlischen Beamten davon mitbekommen mussten. Denn sonst war es nahezu unmöglich, dass die Stimme eines unbedeutenden Menschen bis an das Ohr eines Gottes im Himmel reichte.
 

“Das wäre das Wesentliche.” erklärte Xie Lian.

Da die Beiden ihm Gegenüber nicht sonderlich kooperationsbereit wirkten, war er sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt zugehört hatten. Hätten sie nicht zugehört, so müsste er ihnen die ganze Geschichte erneut erzählen. Nan Feng blickte auf und runzelte die Stirn.

“Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den verschwundenen Bräuten?”

“Es gab jene, die waren Arm, andere waren Reich, die, die als Schön beschrieben wurden und andere als hässlich. Manche waren treue Frauen, andere glichen Konkubinen. Kurz gesagt, es gab kein Muster.” antwortete Xie Lian. “Wir können daran nicht festlegen, worin die Priorität beim geisterhafter Bräutigam liegt.”

Nan Feng brummte und nahm seine Teetasse auf, um einen Schluck zu trinken, während er in Gedanken versunken war. Fu Yao auf der anderen Seite, hatte die Tasse bisher nicht ein einziges mal Angerührt, seit dem Xie Liansie in seine Richtung geschoben hatte und verbrachte die Zeit lieber damit, seine Finger mit einem weißen Taschentuch zu reinigen.

Seine Stimme blieb ausdruckslos, als er zu Sprechen begann. “Euer Hoheit, woher wollt ihr mit Sicherheit sagen, dass es sich um einen geisterhaften Bräutigam handelt? Man kann sich nicht sicher sein, wenn niemand ihn bisher zu Gesicht bekommen hat. Also wie können wir festlegen, ob unser Ziel ein Mann oder eine Frau ist oder aber Jung oder Alt? Zieht ihr nicht etwas schnell eure Schlüsse?”

Xie Lian grinste. “Diese Schriftrolle ist eine Zusammenfassung der zivilen Beamten aus dem Palast Ling Wen’s. Geisterhafter Bräutigam ist einfach der gängigste Weg, ihn zu betiteln. Aber was du sagst, macht durchaus viel Sinn.”

Sie unterhielten sich noch ein wenig Länger, ehe sich Xie Lian bewusst wurde, dass diese beiden Beamten sehr helle und kluge Köpfchen hatten. Während sie nicht unbedingt den freundlichsten Eindruck erweckten, so ließen sie sich in ihrer Diskussion nie vom Thema ablenken oder verwirren. Xie Lian fühlte sich erleichtert. Als er aus dem Fenster blickte, bemerkte er, dass es langsam spät wurde und gemeinsam verließen die Drei fürs erste den Laden. Xie Lian hatte sich seinen Bambushut aufgesetzt und war ein Stück vorgelaufen, ehe er plötzlich mit wachsender Verwunderung merkte, dass die Beiden hinter ihm, seinen Schritten nicht folgten. Es stellte sich heraus, dass die Zwei ihn mit mindestens ebensolcher Verblüffung musterten.

“Wo geht ihr hin?” fragte Nan Feng.

“Einen Platz suchen, wo wir für die Nacht unser Lager aufschlagen können.” antwortete Xie Lian, ehe er blinzelte. “Fu Yao, wieso rollst du schon wieder mit den Augen?”

Nan Feng fragte trotz des Einwands ungestört weiter, noch immer verwirrt. “Aber wieso schlagt ihr den Weg in die Wildnis ein?”

Xie Lian hatte schon oft im Freien übernachtet, ob es nun eine Straße, ein Wald oder ein anderer Ort war, machte für ihn keinen Unterschied, denn er konnte seine Matte an jedem Ort ausrollen und so die Nacht dort verbringen. Also war auch jetzt für ihn die erste Option gewesen, eine Höhle zu finden und ein Lagerfeuer anzuzünden, wie er es sonst immer tat. Doch es hatte erst Nan Feng’s Einwand gebraucht, damit er realisierte, dass seine beiden Begleiter Beamte einer Kriegsgottheit waren und es demnach auch Tempel von Nan Yang oder Xuan Zhen in der Gegend geben müsste, die sie für die Nacht aufsuchen konnten. Also wieso sollten sie draußen im Freien schlafen?
 

Eine kurze Zeit später fanden die drei einen heruntergekommenen Tudi¹ Schrein, an einer unglaublich unauffälligen Ecke einer Straße, der mit einem schmalen, runden Stein dem Gott über Grund und Boden gewidmet war. Mit den letzten Resten niedergebrannten Räuchermitteln und den zersprungenen Plättchen wirkte der Schrein äußerst trostlos, fast verwahrlost.

Einige Male rief Xie Lian nach diesem Gott, doch war er schon so lang nicht mehr verehrt worden, dass es einen moment dauerte, ehe er die Augen aufriss und die drei Leute betrachtete, die vor ihm standen, nachdem er den Ruf vernommen hatte. Die zwei Rechts und Links waren in einem Schimmer spirituellem Lichts gebadet und strahlten wie Neureiche, deren Gesichter kaum sichtbar unter all diesem Glanz waren und die Gottheit sprang erschrocken auf.

Seine Stimme zitterte beim Sprechen. “Haben die drei Himmlischen Beamten einen Befehl für diesen bescheidenen Gott?”

Xie Lian neigte seinen Kopf etwas. “Keinen Befehl. Ich wollte euch nur fragen, ob es in der Gegend einen Zentralen Tempel gibt, der entweder General Nan Yang oder General Xuan Zhen verehrt?”

Der Herr über Grund und Boden wagte es nicht unhöflich zu wirken, auch wenn er einen Moment brauchte, eine Antwort zu geben. “Hm, hm, hmm…” Plötzlich deutete er mit seiner Fingerspitze in eine Richtung, fast so, als mache er eine Weissagung. “Es gibt einen örtlichen Tempel, ungefähr fünf Meilen von hier und der Gott der dort verehrt wird, ist… ist… ist General Nan Yang.”

Wie zu einem Gebet legte Xie Lian die Hände zusammen. “Vielen Dank.”

Doch da der Gott über Grund und Boden von den Beiden Männern hinter ihm geblendet war, sah er diese Geste nicht und verschwand schnell wieder. Xie Lian fischte unterdessen einige Münzen hervor und legte sie vor den Altarschrein. Als er sah, dass dort noch heruntergefallene, ausgebrannte Weihrauchstäbchen auf dem Boden lagen, hob er sie auf. Während dieser ganzen Prozedur rollte Fu Yao so sehr mit den Augen, dass sich Xie Lian beinah gezwungen fühlte zu fragen, ob seine Augen nicht langsam davon erschöpft waren.
 

Nachdem sie die fünf Meilen gelaufen waren, entdeckten sie wirklich den örtlichen, feuerroten Tempel am Straßenrand. Während dieser Tempel zu der eher kleinen Sorte gehörte, hatte er alles, was es brauchte und die Menschen kamen und gingen mit einer außergewöhnlichen guten Laune.

Die Drei verbargen ihre Gestalt und betraten den Tempel. Schnell entdeckten sie das aus Lehm errichtete Abbild der göttlichen Statue des Kriegsgottes Nan Yang, gekleidet in prächtiger Rüstung und einem Bogen in der Hand, der hier verehrt wurde.

Als Xie Lian die Statue sah, seufzte er innerlich.

In kleinen Tempeln auf dem Land konnte man oft erwarten, dass die Götterstatuen raue Skizzen oder grob gemeißelte Werke waren, doch insgesamt wirkte diese Statue bedeutend anders, als Xie Lians eigener Eindruck von Feng Xin war.

Aber verfälschte Abbilder waren etwas, an das sich mittlerweile alle göttlichen Beamten gewöhnt hatten. Ungeachtet dessen, dass selbst ihre eigenen Mütter sie nicht wiedererkennen konnten, gab es auch jene Beamten, die sich selbst in ihren Statuen nicht erkannten, wenn sie davor standen. Man musste aber auch anmerken, dass es nicht viele Künstler gab, die die echte Form eines Gottes zu Gesicht bekommen hatten. Also waren diese Statuen entweder verstörend schön oder scheußlich verzerrt. Meistens konnte man nur an der Pose, dem heiligen Werkzeug, Kleidung und der Krone ausmachen, mit welcher Gottheit man es zu tun hatte.

Je wohlhabender eine Gegend war, umso mehr trafen die Statuen den Geschmack der Unsterblichen. Desto ärmlicher der Ort, umso schlimmer war der Geschmack in die Kunstfertigkeit und so tragischer das Aussehen der Figur. Um ein Gegenwärtigen vergleich zu erbringen. Es gab nur General Xuan Zhen, dessen göttliche Statuen in einem Besseren Licht dastehen. Wieso? Weil alle anderen sich nicht darum scherten, wenn ihre Figuren miserabel aussahen. Aber wenn Mu Qing eine seiner Abbilder so entstellt vorfand, würde er sie entweder in aller Heimlichkeit zerstören, so dass die Menschen ihm eine neue modellieren mussten, oder aber er erschien ihnen im Traum und machte sein Missfallen deutlich. Diese Vorfälle zogen sich solang hin, bis die hingebungsvollen Gläubiger begriffen, dass sie erst einen fähigen Künstler auffinden mussten, der eine schöne Figur anfertigen konnte!

Alle Tempel von Xuan Zhen waren exakt genauso wie ihr General: Anspruchs- und Geschmackvoll. Nachdem Fu Yao den Tempel von Nan Yang betreten hatte, beschäftigte er sich zwei Stunden damit, die Statue von Kopf bis Fuß zu kritisieren. Es fielen Dinge wie, dass das Design deformiert wirke, die Farben schäbig, die Handwerksarbeit plump und der Geschmack bizarr. Xie Lian beobachtete, wie die blaue Ader auf Nan Feng’s Stirn langsam hervor trat und dachte sich, dass es sinnvoll war, ein neues Gesprächsthema zu finden, um von diesem hier abzulenken.

Doch zufälligerweise betrat genau in diesem Augenblick ein weiteres Mädchen zum Beten den Raum und kniete sich sehr hochachtungsvoll nieder.

Xie Lian nahm das zum Anlass, sich an seine Begleiter zu wenden. “Wo wir gerade darüber sprechen, Lord Nan Yang’s Hauptverbreitungsgebiet ist doch der Südosten, nicht wahr? Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ihr auch so eine große Anzahl an Gläubige im Norden besitzt.”

Wenn Menschen einen Tempel oder Palast errichten, dann waren es meistens Orte, die sie mit den himmlischen Palästen des Göttlichen Reiches verbanden und versuchten somit ihren gewidmeten Göttern nahe zu sein und diese zu Reflektieren. Die Tempel, an denen die Gläubigen zum beten zusammen kommen, sind eine wichtige Ressource um an Spirituelle Kraft für einen himmlischen Beamten zu gelangen. Und genau aus solchen unterschiedlichen Gründen - wie die Geografie, Geschichte und Gewohnheiten - beteten die Menschen verschiedener Regionen auch verschiedene Gottheiten an. In ihrem eigenen Einzugsgebiet war die spirituelle Kraft eines Gottes beinah unendlich zu seiner Verfügung vorhanden, und hatten so außergewöhnliche Vorteile, wenn sie sich in der Nähe ihres Haupttempels aufhielten. Es war nur einem Unsterblichen, wie dem großen Kriegskaiser möglich, ohne einen Haupttempel auszukommen, da er Gläubige auf der gesamten Welt und somit auch überall Tempel, besaß. Es war etwas gutes, wenn ein General auch Tempel weit außerhalb seines eigentlichen Gebiets dank seiner Berühmtheit besaß. Nan Feng sollte stolz sein, doch wenn man seinen Gesichtsausdruck auswertete, war das nicht wirklich der Fall.

Auf der anderen Seite begann Fu Yao leicht zu grinsen. “Ja, ja, er ist unglaublich beliebt.”

Xie Lian wandte sich ihm zu. “Aber ich wollte doch nur eine Frage stellen, von der ich nicht wusste, ob…”

“Wenn ihr sagen wollt, dass ihr nicht wisst, ob diese Frage angebracht ist, dann lasst sie lieber gleich bleiben.” erwiderte Nan Feng.

Nein, ich wollte eigentlich sagen: ich weiß nicht, ob jemand die Antwort darauf kennt.” dachte Xie Lian.

Doch irgendwie beschlich ihn das Gefühl, dass es nicht gut war, wenn er etwas sagte und entschied sich letztendlich erneut das Thema zu wechseln.

Unerwarteterweise war es Fu Yao, der ihm mit gelangweilter Stimme zuvor kam. “Ich weiß was ihr sagen wollt. Ihr möchtet wissen, wieso so viele weibliche Gläubige ihn anbeten?”

Das war wirklich die Frage, die er im Kopf gehabt hatte.

Es hatte schon immer weniger Frauen gegeben, die sich zu den Kriegsgötter bekannten. Er selbst hatte damals, vor 800 Jahren, eine ausnahme gebildet. Wie auch immer, der Grund für diese Ausnahme war leicht erklärt und brauchte nur zwei Worte: Gutes Aussehen.
 

Es wusste zu gut, dass es nicht daran lag, dass man ihn gut von anderen unterscheiden konnte oder er ein besonders hohes Maß an spiritueller Energie besaß. Es lag einfach nur daran, dass seine Abbilder schön anzusehen waren und seine Tempel mindestens genauso sorgfältig und hübsch gestaltet wurden. Wenn man es genau nahm, waren alle Palasttempel von der Königlichen Familie erbaut worden und sie hatten nur die besten Künstler kommen lassen, die das Land zu bieten hatte, um die Statuen und Abbilder nach seinem Aussehen zu gestalten. Zudem kam es, dass dank seines Satzes “Der Körper im Abgrund, das Herz im Paradies” er oftmals mit Blumen an seinen göttlichen Statuen dargestellt wurde, was ihm einen weiteren Titel einbrachte: Der blumengekrönte Kriegsgott. Daher glaubten die weiblichen Anbeterinnen, dass auch er gut auszusehen hatte und mochten es, seinen Tempel zu betreten, um Blumen niederzulegen und ihn mit eben solchen zu schmücken, während sie entspannt beten konnten.
 

Die meisten anderen Kriegsgottheiten bevorzugten es, ihre Gesichter mit einem ernsten, brutalen oder kalten Blick gemeißelt zu bekommen, so dass ihre einschüchternde Aura besser wahrgenommen werden konnte. Wenn die Frauen sich diesem bewusst wurden, beteten sie doch lieber zu Bodhisattva. Während Nan Yangs Statue weder diesen einschüchternden Eindruck erweckte, noch besonders schön anzusehen war, fielen Xie Lian dennoch deutlich mehr weibliche Gläubige auf, als die für üblich gesehenen Männlichen. Da Nan Yang nicht wirklich so aussah, als wollte er diese Frage beantworten, wuchs Xie Lian Neugier noch ein wenig mehr. Gerade dann beendete das Mädchen ihr Gebet, stand langsam auf und griff nach dem Räucherwerk, nur um sich plötzlich umzudrehen.

Nach der Drehung stieß Xie Lian die anderen Beiden an. DIe Zwei waren bereits genervt und nach seinem stoß, sahen sie was er wollte - woosh - ihnen klappte die Kinnlade herunter.

“Zu hässlich.” schimpfte Fu Yao.

Xie Lian verschluckte sich einen moment, ehe er tadelnd zu Fu Yao sprach. “Fu Yao, du kannst so nicht über Mädchen sprechen!”

Aber wenn er ehrlich war, was Fu Yao sagte, entsprach der Wahrheit. Das Gesicht des Mädchens war unglaublich flach und nichtssagend, fast so, als hätte ihr jemand einen Pfannkuchen in das Antlitz geklatscht. Ihre fünf Merkmale waren so mittelmäßig und einfach, dass man beinah von einem Fehler ausgehen musste, wenn jemand sie anhand ihrer herausragendsten optischen Eigenschaft beschreiben sollte: der krummen Nase und die schräg gestellten Augen.

Wie auch immer, Xie Lian beachtete weder, ob sie hübsch oder hässlich war. Der Grund wieso sie überhaupt seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte war, dass er einen langen Riss in ihrem Rock entdeckte, als sie sich herumgedreht hatte.

Fu Yao war im ersten moment Erschrocken, nur um sich schnell wieder zu fassen. Auch die vorstehenden Venen an Nan Feng’s Stirn verschwanden augenblicklich.

Als Xie Lian bewusst wurde, wie schnell sich ihre Gesichtsfarben veränderten, begann er sie augenblicklich zu beruhigen. “Keine Panik, keine Panik!”

Das Mädchen nahm die Räucherstäbchen auf, kniete erneut nieder, und betete: “Möge General Nan Yang seinen Segen geben, und das Gebet seiner Anhängerin Xiao Ying erhören, so dass der geisterhafte Bräutigam bald geschnappt wird, damit nicht noch weitere Unschuldige von ihm verletzt werden…”
 

Sie war ehrlich und fromm, während sie betete und bemerkte nicht, dass etwas besonderes hinter ihr vor sich ging. Genauso wenig wie sie sich der drei Männer bewusst war, die gleich neben dem Bein der Statue saßen.

Xie Lian machte sich unterdessen Sorgen. “Was können wir tun? Wir können sie doch nicht einfach so hinaus gehen lassen? Jeder wird sie so auf ihrem Heimweg sehen.”

Wenn man sich den Riss im Rock näher ansah, erkannte man schnell, dass jemand mit einem scharfen Gegenstand diesen absichtlich hinein gerissen hatte. Er vermutete, dass sie ihn selbst nicht einmal bemerkt hatte und wenn sie nun durch die Menge an Schaulustigen lief, würden diese sie auslachen und das Mädchen würde ein schmachvolle Erfahrung einstecken.

Fu Yao war vollkommen uninteressiert. “Frag mich nicht. Der General, den sie Anbetet ist nicht mein General Xuan Zhen. ‘Einer soll nicht unangemessen gekleidet sein’. Davon sehe ich hier nichts.”

Währenddessen verließ das Blut langsam aber sicher Nan Fengs Gesicht. Noch wusste er, wie man abwinkte, aber ein Wort bekam er nicht heraus. Ein vollkommen gesunder, ungezügelter junger Mann, der dazu gezwungen war, zwanghaft zu schweigen und das in absoluter Hilflosigkeit. Und so lang es an Xie Lian, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, in dem er den Äußeren Teil seiner Robe ablegte und ihn hinab warf. Der Überwurf flatterte einen moment lang sanft in der Luft, ehe eine sanfte Briese ihn über den Körper des Mädchens schweben ließ und so den Riss an ihrem Rock verdeckte. Alle drei stießen erleichtert den Atem aus.

Doch das Mädchen erschrak leicht unter dem sanften Wind, der wie aus dem nichts aufgetaucht war. Sie sah sich um, nahm die Robe von ihren Schultern und musterte sie verwirrt, ehe sie das Kleidungsstück auf den Altar legte. Sie hatte absolut keine Ahnung, dass ihr da ein Missverständnis unterlief, und nachdem sie die Räucherstäbchen fest gesteckt hatte, machte sie sich daran, zu gehen. Wenn sie das Mädchen einfach so gehen ließen, würde sie in kürzester Zeit nicht mehr den Mut haben, sich jemanden zu stellen und in die Gesichter zu sehen. Die Beiden zu Xie Lians Seite waren entweder eingefroren oder festgefroren, vollkommen nutzlos, selbst wenn man sie hätte brauchen können und er seufzte. Nan Feng und Fu Yao wurden sich der Leeren Stelle zwischen ihnen erst einen Augenblick später bewusst, als Xie Lian sich bereits materialisiert hatte und hinab sprang.

Die Beleuchtung der Lampen im Tempel waren gedimmt und seine Bewegung wirbelte etwas Luft auf, was das Kerzenlicht zum flackern brachte. Im ersten moment erkannte das Mädchen Xiao Ying nur etwas verschwommenes vor ihren Augen, ehe sie einen Mann mit nacktem Oberkörper, der nach ihr greifen wollte, aus der Dunkelheit auftauchen sah. Sie erschrak sich zu Tode.

Wie erwartet, schrie sie auf. Gerade als Xie Lian etwas sagen wollte, holte das Mädchen reflexartig aus, während sie “Belästigung!” schrie.

PA! Xie Lian bekam einen Schlag ins Gesicht.

Das Geräusch der Ohrfeige hallte scharf und klar durch den Tempel und die beiden noch immer verborgenen Männer hinter dem Altar fühlten beinah selbst das kribbeln auf ihren Wangen zur selben Zeit.

Xie Lian war nicht böse, dass man ihn geschlagen hatte und war stattdessen eher damit Beschäftigt, seine Robe in ihre Arme zu drücken, während er ihr leise etwas zuraunte. Das Mädchen blickte alarmiert drein, ehe sie hinter sich fühlte und die Röte ihr in die Wangen stieg. Tränen traten ihr in die Augen und keiner konnte ausmachen ob aus Scham oder Wut. Sie umklammerte die Robe, die Xie Lian ihr gab und rannte mit verborgenem Gesicht hinaus, während Xie Lian halb nackt zurück blieb. Nachdem sie verschwand, war der Tempel leer. Eine kalte Brise wehte durch die Halle und er begann leicht zu frieren.

Während er sich seine Wange mit dem roten Handabdruck rieb, drehte er sich zu den anderen Beiden um. “Sehr schön, damit ist alles geregelt.”

Nan Feng deutete auf ihn. “Sind… eure Wunden aufgerissen?”

Xie Lian sah an sich hinab und sein Mund beschrieb eine Kreisrunde Oh-Form.

Nach dem ausziehen hatte er seine glatte, jadeweiße Haut entblößt. Ausgenommen waren die schweren Verbände, die in dicken Bahnen um seine Brust gewickelt waren. Fest verknotet und selbst seine Handgelenke und sein Hals waren verbunden. Unzählige kleinerer Schnitte krochen unter den Rändern der Weißen Bandagen hervor, ein wirklich gewöhnungsbedürftiger und unerwarteter Anblick.

Er vermutete, dass sein verrenkter Nacken mittlerweile wieder geheilt sein müsste, also begann er den Verband um den Hals langsam zu lösen.

Fu Yao warf ihm einen verstohlenen Blick zu, ehe er seine Frage aussprach. “Wer war das?”

“Was?” fragte Xie Lian.

“Wer hat gegen euch gekämpft?” forderte Fu Yao weiter zu wissen.

“Gekämpft?” Xie Lian war verwirrt. “Niemand?”

“Aber all diese Wunden an eurem Körper…” begann nun auch Nan Feng zögerlich.

Xie Lian betrachtete die beiden mit leerem Blick. “Ich bin gefallen.”

“...”

Dies waren tatsächlich die Verletzungen, die sich Xie Lian zugezogen hatte, als er vor drei Tagen aus dem Himmel stürzte. Wären sie von einem Kampf mit einer Person gewesen, so vermutete er, dass er niemals so stark verletzt worden wäre.

Fu Yao grummelte etwas undeutliches vor sich hin. Wie auch immer man es nahm, es war keine Preisung seiner Errungenschaften, also zog Xie Lian es nicht einmal in Erwägung, nachzufragen, sondern konzentrierte sich darauf, die restlichen schweren Bahnen seiner Bandagen von seinem Hals zu lösen. Im nächsten Augenblick verhärteten sich die Blicke von Nan Feng und Fu Yao, als sie seinen Hals betrachteten.

Ein schwarzes Band zog sich rund herum, um seinen schneeweißen Hals.
 

¹ Herr über Grund und Boden ist oft ein örtlicher Schutzgott von Gemeinden.



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