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Der Duft von Hyazinth

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Huhu, hier kommt das nächste Kapitel. Werft doch auch mal einen Blick auf die Illustrationsseite, dort findet ihr Bilder sowohl von mir als auch von den Teilnehmern meines Wettbewerbes zu dieser FF - jeder der Zeichner freut sich sicherlich riesig über ein paar liebe Worte unter seinem Bild <3
Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
14 Favoriten und kein einziger Kommi ._.? Bin enttäuscht... Komplett anzeigen

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Belagerung

„Inu Yasha, was ist denn los?“

Der Hanyō merkte auf und sah in das fragende Gesicht des kleinen Fuchswelpen, der ihn begleitete.

Er runzelte die Stirn. „Nichts, ich … riechst du das nicht?“

Shippo streckte das Näschen in den Wind und schnupperte angestrengt. „Nein, was meinst du?“

Inu Yasha schwieg. Eine Witterung lag in der Luft. Eine Witterung, die ihm nicht gefiel, eine Bedrohlichkeit von ungewisser Stärke. Er wusste nicht, was es war. Er wusste nur, dass er es nicht mochte und dass es Unruhe in ihm weckte.

„Shippo, geh zurück zum Dorf, ich muss mir das ansehen.“

„Was, aber ich will mit-“

„Du tust, was ich dir sage!“, schnauzte Inu Yasha gereizt, woraufhin der Fuchswelpe zusammenzuckte, nickte und dann schließlich auf flinken Pfoten davon huschte.

Inu Yasha wartete noch eine Weile lauschend, damit der Kleine nicht auf die Idee kam, umzukehren und ihm heimlich zu folgen und als er sicher war, dass das nicht der Fall war, wandte er sich in die Richtung aus der er den Geruch am stärksten wahrnahm und setzte sich in Bewegung, um seine Quelle zu ergründen.

Er folgte ihm eine Weile auf seine Art von Baum zu Baum und von Felsen zu Felsen zu springen, mit sicherem Tritt und es dauerte nicht lange, ehe ihn eine dunkle Vorahnung beschlich, wo die Witterung ihn hinführte. Zum Schloss des Westens, dorthin, wo sein Vater einst gelebt hatte, wo seine Wurzeln lagen. Dem Ort, dem er sich nie gewagt hatte zu nähern, wenn der Wind ungünstig stand, denn er wollte nicht, dass man ihn bemerkte. Dass er ihn bemerkte. Er hatte es sich meistens aus der Ferne angesehen und war wieder fortgezogen. Doch jetzt, jetzt lag da dieser Geruch in der Luft, der bald so überwältigend stark war, dass er sogar den Geruch der Westhunde, auch den seines Bruders, der dort lebte, überdeckte.
 

Gefahr!
 

Sein Instinkt warnte ihn. Es roch nach Hund, aber irgendwie … fremd. Noch ehe das Westschloss in Sicht kam, verlangsamte er seinen Schritt und schärfte seine Sinne. Instinktiv wusste er, dass er auf der Hut sein musste. Er tastete nach dem Wind. Der kam ihm entgegen und das war gut. So blieb er zumindest eine Weile unbemerkt.

Das erste, was er sah, war das Blitzen von Rüstungen und metallenen Waffen in der Sonne. Ein Heer. Ein fremdes Heer, das waren keine Westhunde. Der Geruch war ganz anders. Sie waren dunkler. Sie hatten Lager um das Schloss herum errichtet, schienen auf etwas zu warten.

„Was geht da vor…?“, murmelte Inu Yasha und ließ den Blick unruhig über die weite Fläche gleiten. Ein plötzliches Piksen ließ ihn zusammen zucken und reflexartig die flache Hand gegen die Wange klatschen.

„Myoga!“, empörte er sich im nächsten Moment, verspürte jedoch auch eine gewisse Erleichterung.

„Autsch. Dass Ihr immer so doll zuschlagen müsst, Inu Yasha-sama.“

„Sag mir lieber, was hier los ist“, verlangte der unruhig zu wissen.

„Das Schloss wird belagert.“

Augenrollen.

„Ja, DAS sehe ich auch.“

Der Flohdämon hüpfte, nachdem er sich einigermaßen erholt hatte von Inu Yashas Hand auf dessen Schulter und von dort zu einem der Hundeohren.

„Das ist das Heer der Südhunde. Niemand weiß, warum Daiyōkai Takaitayō plötzlich den hundertjährigen Frieden bricht und gegen den Westen zieht, aber es scheint ernst zu sein. “

„Sesshōmaru?“

„Hat alle bis auf seine fünf Generäle fortgeschickt und verschanzt sich seit fünf Tagen im Schloss. Und darauf kann ich mir selbst keinen Reim machen, denn das Westheer wäre spielend in der Lage es mit dem Süden aufzunehmen. Ich bin froh, dass Ihr hier seid, Inu Yasha-sama. Ich wollte gerade zu Euch aufbrechen.“

Inu Yasha schluckte trocken. Seine Kehle fühlte sich an, wie Sandpapier. Leise Wut keimte. Wut auf diesen Südfürsten, der es wagte, seinen Bruder zu belagern, schon geschlagene fünf Tage. Was fiel dem eigentlich ein? Wenn jemand seinem Bruder auf die Nerven gehen durfte, dann war ja wohl er das! Inu Yasha schnaubte und seine Hand zuckte zu Tessaiga, welches in seiner Scheide ruhte.

„Tut nichts Unüberlegtes, Inu Yasha-sama“, warnte Myoga.

„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun, huh? Warten, bis diese Bastarde ihn ausgehungert haben?“

„So schnell wird das nicht passieren“, versuchte Myoga ihn zu beruhigen, „Euer Bruder wird einen triftigen Grund haben, diesen Zustand hinzunehmen, bedauerlicherweise ist es mir bisher nicht gelungen, dahingehend etwas aus ihm herauszubekommen. Er zeigt sich überraschend zugeknöpft.“

Inu Yasha rollte die Augen: Es war ja nun wirklich kein Geheimnis, dass sein feiner Herr Bruder nicht gerade der Gesprächigste war. Allerdings war das Dumme nun, dass ihn ernsthaft interessierte, was da los war. Einfach nur reine Neugier, nicht etwa, weil er sich plötzlich Sorgen machte. Das war doch lächerlich, er und sich um Sesshōmaru sorgen.

„Dieser Daiyōkai des Südens“, knurrte er dann, „welcher von denen ist das?“

„Derjenige, der sich gemütlich bei Wein und Weib in sein Zelt zurück gezogen hat“, erwiderte der Flohdämon zynisch, wie man es sonst von ihm nicht kannte.

„Ich kann den Kerl jetzt schon nicht leiden. Warum hat Sesshōmaru alle fortgeschickt?“

„Ich habe da zwei Theorien. Die eine wäre recht simpel, dass er schlichtweg die Seinen schützen wollte, die zweite wäre, dass er etwas zu verbergen hat, was ihn mit dem Südfürsten verbindet, das so wenig Zeugen wie möglich gebrauchen kann, wenn es zur Eskalation kommt. Vielleicht auch beides.“

„Und warum hat er sich selbst nicht aus dem Staub gemacht? Und warum überhaupt dieses ganze passive Versteckspiel, er hat Bakusaiga!?“

„Ich bin diesbezüglich ehrlich gesagt genauso schlau wie Ihr…“, antwortete der Floh verdrossen. „Sicher weiß ich nur, dass Sesshōmaru-dono sich da in eine Lage hinein manövriert hat, aus der er alleine nicht wieder herauskommt. Und da er aufgrund seines Stolzes da drin sitzen würde bis zum Sankt Nimmerleinstag, wollte ich mich eben ohne sein Wissen gerade auf den Weg machen, um Euch um Hilfe zu bitten. Auch Ihr seid ein Erbe Tōga-Os.“

„Ein Erbe von wem?“, fragte Inu Yasha geistesabwesend.

„Das ist der Name Eures Vaters, Ihr wisst doch, dass Inu no Taishō nur ein Titel war. Der Titel, den Euer Bruder im Übrigen nun trägt.“

„Ähm, klar wusste ich das.“
 

„He, Ihr da, was habt Ihr hier zu suchen, wer seid Ihr?“

Inu Yasha wirbelte wie von der Tarantel gestochen herum, die Hand zum Griff Tessaigas zuckend als er die barsche Stimme hinter sich vernahm - und sah sich zwei fremden Soldaten gegenüber. Hundeyōkai, sonnendunkle, wettergegerbte Haut, pechschwarzes, wildes Haar, das zu Hochzöpfen gebunden war, bernsteinfarbene Augen und bis an die Zähne bewaffnet und gerüstet.

Instinktiv spürte Inu Yasha, dass mit diesen Männern nicht zu scherzen war und er musste sich dazu zwingen, nicht einen Schritt zurück zu weichen. Seine Hand lag auf Tessaigas Griff. Wie hatte er nur derart unaufmerksam sein können? Innerlich schalt er sich einen Narren.

„Dasselbe könnte ich Euch fragen“, knurrte er angespannt und versuchte einzuschätzen, wie mächtig die Waffen waren, die die Yōkai bei sich trugen. Hellebarden mit verlängerter Klinge, Distanzwaffen, soweit er erfühlen konnte keine überirdischen Kräfte. Mit denen wurde er spielend fertig.

„Der ehrenwerte Fürst Takaitayō hat befohlen, jeden gefangen zu nehmen und zu ihm zu bringen, der sich dem Westschloss nähert“, begann der eine von ihnen ruhig, wobei er und Inu Yasha sich direkt in die Augen sahen, was letzteren leicht reizte, „Kommt Ihr freiwillig mit oder müssen wir Gewalt anwenden?“

Inu Yasha lag schon ein blöder Spruch auf den Lippen in der Richtung von kommt nur, wenn ihr euch traut, aber er besann sich eines Besseren. Die letzten Jahre hatten ihn Bedachtsamkeit gelehrt, taktisches Denken, Situationen einzuschätzen und meistens auch richtig zu beurteilen. Und vor allem hatte er gelernt, dass man oft schneller zum Ziel kam, wenn man nicht gleich drauf los preschte. So ließ er sich in aller Seelenruhe, flankiert von den beiden Soldaten in das Heerlager hineinbringen, wo man ihn misstrauisch und neugierig beäugte.

„Sagt dem Fürsten, dass wir einen der Westhunde gefangen genommen haben!“, bellte der eine einen jungen Mann an, der sofort die Beine in die Hand nahm.
 

Vor einem sehr großen Zelt blieben sie schließlich stehen. Es dauerte ein paar Minuten, ehe sich etwas tat und ein Mann heraustrat, der Inu Yasha noch um einiges überragte; Mindestens drei Köpfe größer und doppelt so breit wie er und ganz offensichtlich nicht sonderlich begeistert darüber, dass man ihn gestört hatte.

Die beiden Soldaten verneigten sich.

„Herr, wir haben diesen Hanyō hier um das Schloss herumstreunen sehen, was soll mit ihm geschehen?“

Der Südfürst ließ den Blick eine ganze Weile auf Inu Yasha ruhen und der versuchte dem standzuhalten, was jedoch gar nicht so einfach war, da dieser Mann eine absolut autoritäre und bedrohliche Wirkung auf ihn hatte. Das gebräunte Gesicht hatte beinahe schöne Züge, wurde jedoch von einer wulstigen Narbe auf der linken Wange entstellt und die Augen, in einem dunklen Bernsteinton, kalt und berechnend.

„Na sieh mal einer an“, sagte der Daiyōkai dann nach einer Weile unangenehmen Schweigens, „da ist uns der zweite Erbe Tōga-Os in die Hände gefallen.“

Die beiden Soldaten machten große Augen. „Aber Herr, das … das ist ein Hanyō.“

„Ach, was du nicht sagst“, machte der Daiyōkai des Südens trocken und wandte sich dann zum ersten Mal direkt an Inu Yasha.

„Warum seid Ihr hergekommen?“

„Warum belagert Ihr das Schloss meines Bruders?“, antwortete Inu Yasha mit einer Gegenfrage und machte sich unbewusst etwas größer.

Takaitayō schnalzte unzufrieden mit der Zunge. „Euer Bruder hat etwas, das mir gehört.“

„Und was soll das sein?“

„Meinen Erben.“

 

~*~
 

Reichlich verwirrt hatte Inu Yasha diese Information angenommen. Noch verwirrter war er, als man ihm sogar erlaubte, zum Schloss zu gehen, ohne dass er sich den Weg hätte freikämpfen müssen.

Auf dem Weg über das weitläufige Gelände erhielt er von Myoga zumindest die Erklärung, dass sein verehrter Herr Vater gewisse Vorkehrungen getroffen hatte zum Schutze seiner Familie, dass nur die das Schloss betreten konnten, die in direkter Blutlinie von ihm abstammten und die, die eine Erlaubnis oder eine Einladung von einem solchen ausgesprochen bekamen.

Das Tor war unbewacht. Angespannt drückte Inu Yasha dagegen – es schwang lautlos auf und binnen dem Hauch eines Augenblickes fühlte sich der Hanyō von Gerüchen, Empfindungen und Erinnerungen überwältigt, die nicht seine waren. Die Luft hier, alles fühlte sich vertraut an, obgleich er niemals hier gewesen war. Hier lagen seine Wurzeln. Hier hatte sein Vater gelebt und die Ahnen, die er nie kennengelernt hatte und hier lebte Sesshōmaru. Inu Yasha versuchte aus den vielen Gerüchen den seines Bruders herauszufiltern. Er fand ihn. Und mit ihm fand er noch etwas anderes. Etwas, das höchst besorgniserregend war. Den Geruch von Blut. Frischem Blut.

 

~*~
 

„Wer seid Ihr und wie seid Ihr hier herein gekommen?“, wurde er harsch von einem Krieger aufgehalten, der vor den Räumen, von welchen der Blutgeruch an seine Nase drang Wache hielt.

„Ich bin Inu Yasha und wenn Ihr mich nicht sofort zu meinem Bruder lasst, dann setzt es was, meine Geduld ist heute schon oft genug auf die Probe gestellt worden!“, knurrte Inu Yasha und stellte sich auf einen Kampf mit dem Mann ein, welcher die Hand schon am Schwertgriff gehabt hatte, zu seiner Überraschung gab der die Verteidigungshaltung jedoch sofort auf.

„Mein Name ist Akira-O, ich bin einer der Generäle Eures Bruders und sein ältester Vertrauter. Dass Ihr gerade unter diesen Umständen zu uns stoßt ist unerwartet, aber gewiss nicht unwillkommen…“

Er hielt einen Moment inne und lauschte, doch es blieb still, während sich Inu Yashas Kehle plötzlich anfühlte, wie Sandpapier.

„Geht hinein, Sesshōmaru ist viel zu stolz um es zuzugeben, aber ich denke, er könnte Euren Beistand gebrauchen…“
 

Nach diesen kryptischen Worten gepaart mit dem Weglassen des Namenssuffixes hatte Inu Yasha den Yōkai, der sich mit Akira-O vorgestellt hatte verwundert angesehen, ehe er sich abrupt losgeeist hatte und nun die Gemächer seines Bruders betrat. Er folgte dem Geruch von Blut, welcher hier drin am stärksten war und er musste nicht lange suchen, ehe er den Ursprung gefunden hatte. Hatte er sich doch nicht getäuscht.

„Was…“, entfuhr es ihm als er den Futon erspähte, auf dem sein Bruder lag, schlafend oder nicht bei Bewusstsein, das konnte er auf den ersten Blick nicht sagen. Bei ihm war eine Frau. Eine sehr alte Frau, die ihn mit kühlem Blick musterte und sich dann wieder ihrem Patienten zuwandte.

Da er offensichtlich nicht unerwünscht war, trat er näher.

„Was ist passiert?“, verlangte er zu wissen und ließ sich im nächsten Moment auf die Knie nieder. Sesshōmaru wirkte so blass. Nein, blass war er immer schon gewesen, aber jetzt wirkte er beinahe durchscheinend, zerbrechlich, wie er den jungen, kraftvollen Körper niemals erwartet hatte, zu sehen.

„Wir haben eine Abtreibung vorgenommen“, antwortete die Heilerin nur ohne ihn anzusehen, während sie gerade ein paar Pülverchen zusammenmischte.

„Eine was?“ Dabei fiel sein Blick auf einen Haufen von blutigen Tüchern, „Ist das nicht, wenn … wenn Frauen…“

„Der Welpe war ungelegen, Sesshōmaru-dono war nicht in der Lage, ihn zu behalten. Nicht unter diesen Umständen.“

Inu Yasha sagte überhaupt nichts mehr. Jetzt wusste er auch, was Takaitayō damit gemeint hatte, Sesshōmaru habe seinen Erben. Na der würde sicher nicht begeistert sein, wenn er erfuhr, dass … Moment, soweit er informiert war, wurden doch nur Frauen … Inu Yasha schüttelte den Kopf. Seinem Bruder ging es offensichtlich schlecht und das war nicht der richtige Zeitpunkt um sich über eine Sache aufklären zu lassen, die hier offensichtlich als natürlich gegeben hingenommen wurde. Unsicher biss er sich auf die Unterlippe, dann konnte er den Impuls nicht mehr unterdrücken, sich zu Sesshōmaru zu beugen und vorsichtig zu schnüffeln, ob er überhaupt noch lebte.

„Er ist nicht tot“, sagte die Heilerin trocken und Inu Yasha zuckte ertappt zusammen, „aber er hat viel Blut verloren, mehr als erwartet. Es wird etwas länger dauern bis er sich regeneriert hat.“

Die dunklen Augen der Heilerin ruhten plötzlich auf ihm. Die Frau schien genau zu wissen, wer er war, dabei hatte er sich weder ankündigen lassen, geschweige denn sich vorgestellt.

„Es war nicht der Zufall, der Euch ausgerechnet jetzt hierhergebracht hat. Hier ist Euer Platz, hier war er schon immer…“

Inu Yasha schwieg eine ganze Weile. Er fühlte sich plötzlich merkwürdig. „Kann ich … kann ich irgendetwas tun…?“, fragte er gedämpft, überspielte dabei Hilflosigkeit, Unsicherheit.

„Ihr könntet bei ihm sein, wenn er aufwacht. Ich werde mich in der Zeit etwas zur Ruhe legen, weckt mich, sollte etwas sein.“

Inu Yasha nickte und die Alte verzog sich in eine andere Ecke der weitläufigen Gemächer, um zu ruhen. Und so saß er hier und wachte und versuchte all die Fragen, die er hatte, beiseite zu schieben. Nie hatte er Sesshōmaru so schwach gesehen. Nie so zerbrechlich, das passte nicht zu ihm. Und das verunsicherte ihn. Sesshōmaru und er hatten nie das beste Verhältnis gehabt, zuletzt waren sie auf einer neutralen Basis geblieben, Inu Yasha jedoch hatte es nie gewagt – auch aus Stolz – dieses neutrale Verhältnis zu einem positiven zu machen. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Sesshōmaru war stark und stolz und anmutig und schön und elegant und weltgewandt und er … er war nur Inu Yasha. Aber das war in Ordnung. Bisher war es immer in Ordnung gewesen. Bisher. Bisher hatte aber niemand es gewagt, seinen Bruder in eine so offensichtlich gefährliche Situation zu bringen und das ließ seinen Zorn wachsen.

Plötzlich ertappte er sich dabei, wie er Sesshōmaru zärtlich das Gesicht leckte, so wie Hunde es füreinander taten aus Zuneigung und wenn sie spürten, dass es jemandem nicht gut ging. Aber seine Instinkte sprachen zu ihm, sie sagten ihm, dass das richtig war und außerdem, Sesshōmaru war bewusstlos, oder er schlief, was auch immer er war, er würde es ohnehin nicht mitbekommen und Inu Yasha fühlte sich einen Ticken weniger nutzlos.

Er zuckte erst zurück als ein ganz leiser winselnder Laut aus Sesshōmarus Kehle kam – und hielt den Atem an. Doch die Lider geschmückt in ihrem Magenta, das nunmehr wirkte wie ein verfärbter Bluterguss, zuckten nur kurz und dann regte er sich nicht weiter.

Vielleicht war es auch besser so, wenn er vorerst noch schlief. Im Schlaf konnte man viel Kraft holen und wenn er schlief, dann konnte er sich auch nicht darüber aufregen, dass Inu Yasha plötzlich hier war.

„Sowas habe ich mir schon gedacht. Herrje, herrje…“

„Myoga, wusstest du, dass männliche Inuyōkai trächtig werden können?“

„Das weiß doch jeder, Inu Yasha-sama.“

„Ja, ich mittlerweile auch“, kam die süß-säuerliche Antwort.

„Nicht alle“, räumte der Flohdämon schließlich behutsam ein, „Hat Euch … niemals jemand gesagt, was der Sichelmond auf der Stirn bedeutet?“

Kopfschütteln.

„Er ist ein Zeichen für Fruchtbarkeit und ein Zeichen von großer Ehre. Welpen, die von männlichen Daiyōkai zur Welt gebracht werden, sagt man eine außergewöhnlich große Kraft nach.“

„Und deshalb belagert Takaitayō das Schloss“, schlussfolgerte Inu Yasha mit sturmumwölkter Miene.

„So wird es sein. Inu Yasha-sama, ich gehe mit Akira-O-sama sprechen, ich lasse Euch einen Moment allein.“

 

~*~
 

Als die bleierne Müdigkeit langsam wich, war das erste, das er wahrnahm ein vertrauter Geruch. Ähnlich seinem Vater, aber sein Vater war lange tot und vermutlich bildete er sich das nur ein aufgrund der seltsamen Kräutermixturen, die die alte Schamanin ihm zu trinken gegeben hatte. Aber dann drang in sein Bewusstsein, dass das nicht der Geruch seines Vaters war. Er war ihm ähnlich und vertraut, aber eben nicht er.

Sesshōmaru blinzelte und fühlte eine ungekannte Schwäche in seinem Körper. Eine Schwäche, die ihm nicht behagte. Dann sah er verschwommen roten Stoff. Er drehte den Kopf schwach, sodass er nach oben sehen konnte und noch ehe sich seine Sicht verschärfte drang eine nur allzu vertraute Stimme an sein Ohr: „Na, wieder unter den Lebenden?“

Es hatte neckisch klingen sollen, aber seine Stimme klang mehr besorgt und müde.

„Kannst du mir mal sagen, was du hier für einen Scheiß abziehst?“

„Was hast du hier verloren…?“ Die Stimme war tonlos, genauso durchsichtig, wie der Rest von Sesshōmarus Erscheinung. Der versuchte sich aufzurichten, doch ein Schmerz, der durch seinen Unterleib schoss wie glühendes Eisen ließ ihn zurück sinken, noch ehe Inu Yasha protestieren konnte.

„Möchtest du etwas Wasser?“

„Ich habe dir eine Frage gestellt.“

Inu Yasha hörte deutlich den missbilligenden Tonfall heraus und auch wenn es ihm in den Fingern juckte, er würde sich nicht in diesem Zustand mit Sesshōmaru streiten. So griff er zu der Wasserkaraffe und goss etwas davon in ein Schälchen.

„Ich hab mitgekriegt, dass sich hier ein fremder Gestank breit gemacht. Dann komm ich hierher und seh, dass dein feines Schloss belagert wird.“

„Dieser Sohn eines Knechtes ist immer noch da?“, knurrte Sesshōmaru plötzlich, was Inu Yasha innehalten ließ, denn er hatte den anderen noch nie auch nur den Hauch eines vulgären Wortes aussprechen hören. Kommentarlos hielt er Sesshōmaru das Schälchen mit dem Wasser hin und der stützte sich auf den Unterarm um einigermaßen trinken zu können.

„Er ist wohl der Auffassung, du hieltest seinen Erben hier gefangen. Aber der ist ja wohl nicht mehr, wie ich mitbekommen habe.“

„Nein, der ist nicht mehr“, erwiderte Sesshōmaru eiskalt, „und Takaitayō wird nicht erfreut darüber sein, wenn er es erfährt. Nun jedoch habe ich kein Hindernis mehr, gegen ihn in den Kampf zu ziehen-“

Sesshōmarus Blick flackerte automatisch zu Bakusaiga, welches nicht weit in einer kunstvollen Halterung ruhte.

„Kommt nicht in Frage“, hörte Inu Yasha sich sagen und war erstaunt darüber, wie autoritär seine Stimme klingen konnte, „du bist viel zu geschwächt. Ich werd das erledigen, wenn du nichts dagegen hast, Tessaiga wird kurzen Prozess mit dem Dreckskerl machen.“

„Das ist nicht… deine Sache, Inu Yasha“, erwiderte der Daiyōkai, doch der Jüngere empfand mit einem Mal tiefe Entschlossenheit.

„Es ist meine Sache“, erwiderte er ruhig, „wenn er dir wehtut, ist es meine Sache.“ Damit stand er auf und straffte die Gestalt.

„Es wird nicht lange dauern.“

„Untersteh dich-!“

Als er schon bei der Türe war, hielt er einen Moment inne und sah über die Schulter zurück und so schlicht die nächsten Worte waren, so erwachsen und stark klangen sie mit einem Mal aus seinem Mund und das war vielleicht auch der Grund, warum Sesshōmaru sich diese momentane Schwäche zugestand.

„Ich beschütze dich.“

 

~*~
 

Der Fürst des Südens war ein hochgewachsener, stämmiger Mann mit groben, charismatischen Gesichtszügen. Die Augen waren von einem dunkleren, wärmeren Bernstein als die der Westclans, die Haut von einem Olivton und das herbstbraune, gewellte Haar war zu einer traditionellen Frisur geformt. Das Clanzeichen war ein von der Stirn bis kurz über die Nasenwurzel gehendes sehr schmales auf dem Kopf stehendes ins Goldene gehendes, leicht gewelltes Dreieck. Und er war ungefähr doppelt so alt wie Sesshōmaru, was im Übrigen immer ein Grund gewesen war für Missbilligung, da Sesshōmaru in einem ungewöhnlich jungen Alter, noch nicht einmal volljährig, das durchaus große Erbe seines Vaters angetreten hatte. Der einer der mächtigsten Yōkai des ganzen Landes gewesen war. Und wer tat sich schon leicht, jemandem plötzlich auf Augenhöhe zu begegnen, den er als kleinen Welpen mal auf dem Schoß gehabt hatte? Es hatte durchaus Zeiten des Friedens und sogar der Freundschaft zwischen dem Westen und dem Süden gegeben, warum Daiyōkai Takaitayō den alten Zwist hatte ausgraben müssen, verstand keiner so genau.
 

Mit ihnen waren noch je ein Diener im Raum, ebenfalls Sesshōmarus Schreiber, ansonsten waren sie alleine und das war für eine solche Zusammenkunft schon eine ungewöhnlich private Atmosphäre.

„Nun, Sesshōmaru-dono, ich muss zugeben, dass Eure Einladung mich durchaus überrascht hat“, begann Takaitayō langsam und nippte an seinem Sake Schälchen. Dabei lagen die Bernsteinaugen prüfend auf der Gestalt des so viel jüngeren Daiyōkai. „Durfte ich doch davon ausgehen, dass es zwischen unseren Reichen zu keiner Einigung gelangt.“
 

Sesshōmaru erwiderte ruhig: „Eine Einigung sollte angestrebt werden in Anbetracht des Friedens, der nunmehr 1000 Jahre währt.“

Eine unmissverständliche Warnung schwang in den Worten, so ruhig sie auch geklungen hatten, mit.

„Dann gebt Ihr die oberen Südlande auf? Das erstaunt mich in Anbetracht der Vehemenz, die in Euren offiziellen Briefen durchdrang.“

„Ich wollte, ich könnte es, doch es ist mir unmöglich, die unteren Westlande aufzugeben“, erwiderte Sesshōmaru in einem diplomatischen Tonfall, die unteren Westlande wurden jedoch besonders nachdrücklich betont. „Ich habe sehr ausführliche Nachforschungen anstellen lassen und muss Euch mitteilen, dass die Urkunde, auf deren Verschwinden Ihr Euch beruft, nach wie vor existiert. Bedauerlicherweise war es dem alten Inu no Taishō, meinem Herrn Vater, dessen Freundschaft Ihr im Übrigen in früheren Jahren erstaunlich oft in Anspruch genommen habt, als Ihr Eure Kriege gegen die Schattenyokai führtet, nicht möglich, diese Urkunde an einem Ort zu hinterlegen, an welchem sie leicht auffindbar gewesen wäre. Wie Ihr wisst, kam sein Tod unerwartet, dementsprechende Vorkehrungen zu treffen war schlicht nicht möglich. Aber ich kann Euch versichern…“

Damit öffnete Sesshōmaru eine Mappe aus feinem Leder, in welches goldene Schriftzeichen und ein altes Datum gestanzt waren und löste das darin befindliche, leicht vergilbte Papier aus seiner Halterung, um es in einer eleganten Bewegung auf dem Tisch die Richtung seines Gegenüber zu schieben.

Der betrachtete das Papier einen Moment lang als sei es ein ekelerregendes Insekt, dann nahm er es in die Hand um es sich vors Gesicht zu halten.

„Das ist eine Fälschung“, knurrte er im nächsten Moment und Sesshōmaru verzog innerlich das Gesicht über diese Unbeherrschtheit. „Das kann unmöglich …“

„Es ist echt.“

Der Daiyōkai des Südens sah einen Moment so aus als würde er Sesshōmaru am liebsten ins Gesicht springen, dann jedoch glätteten sich seine Züge.

„Ich bitte um Vergebung, es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu beleidigen, indem ich Euch einer Lüge bezichtige…“

Dieser Stimmungsumschwung kam unerwartet für Sesshōmaru, doch er ließ sich davon nichts anmerken. Aber er war auf der Hut. Takaitayō war kein Mann, der einfach etwas aufgab, von dem er überzeugt war, es stand ihm zu.

Eine Weile saßen sie sich lediglich gegenüber mit Schweigen im Raum und einer gewissen Anspannung. Dann beugte sich Takaitayō vor, wobei das Leder seiner Rüstungsgewandung leise knirschte.

„Gestattet Ihr mir eine Frage?“

Sesshōmaru nickte.

„Ist es Eure erste Läufigkeit?“

„Was erlaubt Ihr Euch!?“, erwiderte Sesshōmaru leise, während sich die Klauen seiner linken Hand nervös in die Ballen bohrten.

„Jetzt tut nicht so verschämt“, erwiderte der Mann ungerührt, „man riecht es.“ Ein lüsternes Schmunzeln umspielte die Lippen des Südfürsten. „Und so wie Ihr Euch benehmt, ist es wirklich Eure erste.“

„Ihr seid sehr indiskret“, erwiderte Sesshōmaru verärgert, wobei diese Verärgerung weniger dem Südfürsten galt, sondern diesem überaus nervigen Zustand, in dem er sich seit wenigen Tagen befand. Dummerweise hatte das Treffen mit dem Fürsten des Südens schon sehr lange festgestanden, es kurzfristig abzusagen wäre einer öffentlichen Beleidigung gleichgekommen. Allerdings war ihm bis zu diesem Moment auch nicht bewusst gewesen, dass andere Hundeartige, vor allem Männchen, diesen Geruch sehr wohl wahrnehmen konnten. Innerlich schalt er sich einen Narren. Der Blick, den ihm der Fürst des Südens gerade zuwarf gefiel ihm nämlich überhaupt nicht.

Der jedoch wechselte plötzlich das Thema und Sesshōmaru entspannte sich ein wenig.

„Gestattet Ihr mir eine Bitte, ehe ich abreise?“, sagte der Südfürst charmant nachdem er sein Sakeschälchen geleert hatte.

„Ich habe Euch das letzte Mal ein Schwert führen sehen, da reichtet Ihr mir bis zu den Knien. Erweist Ihr mir die Ehre eines Freundschaftskampfes?“

 

~*~
 

Die Nachmittagssonne glühte heiß und rot als Inu Yasha hinaustrat. Der Südfürst schien irgendwie auf so etwas gewartet zu haben. Denn er erwartete ihn, gerüstet und bewaffnet. Inu Yasha blieb in einiger Entfernung stehen und starrte ihn an. Eine Weile starrten sie sich beide in die Augen, ein stummer Kampf um die Dominanz.

„Es gibt hier nichts mehr für Euch“, sagte Inu Yasha mit lauter, harter Stimme, „Ich gebe Euch die Möglichkeit, diese Belagerung aufzugeben und Eurer Wege zu ziehen. Andernfalls wird Tessaiga Euer Gegner sein. Euer letzter Gegner.“

 

~*~
 

Die Klingen krachten laut und hart aufeinander. Sesshōmaru hielt dem Druck des anderen Schwertes eine Weile stand, dann wich er zur Seite hin aus und führte einen erneuten Hieb aus, doch der Südfürst hatte den längst kommen sehen und parierte.

Sie kämpfen nicht mit stumpfen Übungsschwertern, sondern mit Katana, die so scharf waren, dass sie ein melodisches Schwingen in der Luft hinterließen.

Sesshōmaru zeigte sich anfangs zurückhaltender, denn er kannte den Kampfstil des Südfürsten nicht, und er beobachtete seine Bewegungen, seine Technik, alles und Takaitayō war, wie er merkte und zu seinem Ärger eingestehen musste, ein starker Gegner – sein Kampfstil war brutal und zielte auf Stärke, jedoch standen Geschwindigkeit und Geschicklichkeit dem in nichts nach und zu seinem eigenen Ärger bemerkte Sesshōmaru, dass er doch recht bald ein wenig ins Schwitzen kam, da sein Gegner ihm kaum eine Möglichkeit ließ, sich eine Taktik zurechtzulegen.

Es rächte sich ganz offensichtlich, dass er sich so lange auf Bakusaigas Stärke verlassen hatte, die Schwerter, die er bisher geführt hatte, waren alles andere, nur nicht gewöhnlich gewesen.

Takaitayō führte plötzlich eine unglaublich schnelle Abfolge von Hieben aus und es war nur ein Wimpernschlag. Ein Wimpernschlag, den er zu langsam war, der ihm zum Verhängnis wurde und er fand das Schwert aus seiner Hand gedreht, sich selbst im Staub, eine Klinge an der Kehle.

Als er aufsah bemerkte er, dass Takaitayō nicht einmal ins Schwitzen geraten war. Ein zufriedener Zug lag um die Lippen des Südfürsten. Dann nahm er das Schwert zur Seite und ließ es einfach in den Staub fallen – Diener würden das später wegräumen – ehe er Sesshōmaru die Hand in einer versöhnlichen Geste hinstreckte um ihm aufzuhelfen. Der ergriff sie verstimmt und der Schwung war wohl etwas mehr als nötig gewesen wäre. Denn plötzlich waren sie sich so nahe, dass ihm der herbe männlich-dominante Geruch dieses Mannes in so einer Intensität in die Nase stieg, dass jeder Gedanke, den er eben noch begonnen hatte, dem Drang, sich zu unterwerfen Platz machte. Takaitayō hatte ihn eng an sich gezogen – ungehörig eng, enger als dass es einem Außenstehenden noch mit dem bloßen höflichen Aufhelfen zu erklären wäre, und näherte sich mit den Lippen seinem Ohr.

„Euer Geruch“, grollte er leise, „er erregt mich…“

 

~*~
 

„Was meint Ihr damit?“, erwiderte der Fürst mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.

„Ich meine damit, dass es keinen Erben gibt, der Euer Hiersein rechtfertigt!“

Inu Yashas Hand lag leicht angespannt auf Tessaigas Griff. Die Aura des Schwertes gab ihm Ruhe. Er vertraute Tessaigas Stärke, ja. Aber er konnte die Stärke seines Gegners nicht einschätzen und er hoffte, der würde es nicht zur Eskalation kommen lassen. Inu Yasha war sich nämlich auch nicht wirklich sicher, was man mit ihm anstellte, wenn er einen der vier Großfürsten tötete und darauf würde es letztendlich hinauslaufen.

„Ihr lügt“, sagte Takaitayō ruhig.

 

~*~
 

Er nahm ihn sich und er ließ sich nehmen, er hatte keine Wahl, der Instinkt war stark, stärker als er und er fiel in lustvolle Starre und ließ zu, dass sich die Manneskraft in ihn hämmerte, wieder und wieder und wieder und wieder, bist er sich taub fühlte und überreizt und schwindelig, bis er die Klauen in die Erde krallte, denn noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt, nie so schwach und unterlegen.

 

~*~
 

„Er hat es verloren.“ Das war nicht einmal ganz gelogen und Inu Yasha hoffte, dass er ihm nicht auf die Schliche kam, „Die Belagerung war zu viel.“

Eine ganze Weile ruhte der durchdringende Blick des Südfürsten auf ihm. Dann jedoch, zu seiner grenzenlosen Überraschung, neigte der Fürst wie zur Zustimmung leicht das Haupt und erwiderte ruhig: „Dann gibt es vorerst nichts … was mich hier weiter hält…“

Daraufhin gab er seinen Truppen das Zeichen zum Rückzug. In dem Hanyō blieb jedoch das ungute Gefühl zurück, dass die Sache für Takaitayō längst nicht erledigt war.

 

~*~
 

„Ich begreife nicht, warum diese Belagerung, warum macht er sich die Mühe, nur um dann ohne Kampf wieder abzuziehen?“, sprudelte es aus Inu Yasha heraus, während er hin- und hertigerte, da er die Füße nie stillhalten konnte, wenn er aufgeregt war.

Sesshōmaru, welcher sich inzwischen in eine sitzende Position begeben hatte, folgte ihm eine Weile mit ungerührtem Blick und als er merkte, dass vorerst die Luft raus war, erwiderte er ruhig:

„Weil er nun keinen berechtigten Grund mehr hat, hier zu sein.“

„Häh?“

„Inu Yasha-sama, es ist so“, grätschte Myoga dazwischen, um präventiv einer hitzigen Diskussion der Brüder entgegen zu wirken, „Der Vater eines Welpen hat das Herrschaftsrecht über ihn. Und vor allem, und das ist der wichtigste Punkt, hat er einen Anspruch auf den Besitz der Mutter. Was in diesem Falle bedeuten würde, dass Takaitayō ungehindert die westlichen Lande für sich einnehmen und das Heer für sich befehligen könnte.“

„Ja und? Es ist doch nur Land!?“, erwiderte Inu Yasha ungeduldig.

„Dass du das nicht begreifst, war mir von vorneherein klar. Außerdem geht es dich ohnehin nichts an.“

Mit dem letzten Satz warf Sesshōmaru Myoga einen strafenden Blick zu. Inu Yasha wollte ihm eine hitzige Erwiderung entgegenbringen, schluckte die aber unwillkürlich herunter, als der Blick auf der immer noch recht mitgenommenen Gestalt seines Bruders zum Ruhen kam. Sesshōmaru hatte sich aufgesetzt, die gerade Haltung und der reservierte Blick vermochten es nicht, die Erschöpfung und die Strapazen der letzten Tage zu vertuschen, der Yukata mit dem Indigoblauen Farbverlauf an den Ärmelkanten unterstrichen seine ungesunde Blässe nur mehr und ohne Rüstung, ohne Pelz … ohne das alles … wirkte er beinahe schon zerbrechlich im jetzigen Zustand, obgleich er das eigentlich natürlich nicht war.

„Wenn der Fürst des Südens den Westen so offen ohne legitimen Grund angreifen würde, würde er den Zorn der anderen Reiche auf sich ziehen und solch einer Übermacht ist nichtmal er gewachsen. Nein, er wird anders vorgehen.“

„Und wie?“

„Hat er mich das gerade wirklich gefragt?“, wandte sich Sesshōmaru resignierend an Myoga, welcher verdrossen nickte.

„Wenn ihr jetzt mal aufhören würdet, mich als total verblödet hinzustellen“, schmollte Inu Yasha, „ich kann nunmal mit dem ganzen Fürstenscheiß nichts anfangen, ich bin im Gegensatz zu anderen Leuten nicht mit ner goldenen Gabel im Mund geboren worden.“

„Das heißt silberner Löffel.“

„Sesshōmaru, ich schwör es dir, wenn du nicht gerade aussehen würdest, wie zweimal tot und wieder ausgegraben, würde ich dir deinen Löffel dahin schieben, wo die Sonne nicht scheint und zwar quer!“

„Meine Herren, ich muss doch bitten“, schaltete sich Myoga hüstelnd ein, der genau das eintreffen sah, was er befürchtet hatte – egal, wie die Umstände waren, Sesshōmaru und Inu Yasha schafften es doch irgendwie immer einen Grund zu finden, Spitzen gegeneinander auszuteilen.

„Was ist das für ein Lärm hier!?“, ertönte plötzlich in unmittelbarer Nähe eine zeternde Stimme, die alle drei zum Zusammenzucken brachte.

Homoto mochte vielleicht gerade mal 1,45 m groß sein, aber sie war furchteinflößend wie ein Tengu, vor allem, wenn sie wie jetzt das zerfurchte Gesicht zu einer zornigen Fratze verzog.

„Euch, Sesshōmaru-sama habe ich Bettruhe verordnet bis Eure Kräfte sich regeneriert haben. Ihr, Myoga-san könntet Euch nützlich machen, indem ihr der Gefolgschaft ausrichtet, dass die unmittelbare Gefahr vorüber ist und Ihr-“ Dabei sah sie Inu Yasha an, dem das Herz plötzlich in Höhe des Adamsapfels klopfte, „Nun, Ihr seid eigentlich da gut aufgehoben, wo Ihr jetzt gerade seid.“

Tengu

„Aber lauft nicht zu weit weg, in der Nähe sollen Tengu gesehen worden sein“, rief Sango ihrem Sohn und dem kleinen Kitsune hinterher. Der Rotschopf winkte ihr fröhlich, „Keine Angst, ich pass schon auf!“

Sango sah ihnen mit einem mütterlichen Lächeln hinterher, aber auch eine Spur von Sorge umwölkte ihre Miene. Masaru, ihr siebenjähriger Sohn hatte in der letzten Zeit großen Gefallen daran gefunden, mit Shippo durch die Wälder zu streunen. Sie war froh, dass die beiden sich angefreundet hatten – in dem Dorf, in dem sie lebten, gab es kaum gleichaltrige Jungs und Masaru hatte ihr eine ganze Weile enorm am Rockzipfel gehangen, sodass sie die Befürchtung gehabt hatte, ihn unbeabsichtigt zu verzärteln. Und für Shippo war es sicher auch schön, mal einen Spielgefährten im selben Alter zu haben. Nunja, zumindest wenn man Shippos Yōkai-Alter auf das Alter eines Menschen umrechnete. Seitdem der Brunnen versiegelt war, kam natürlich auch Kagome nicht mehr und zu der hatte er die engste Bindung gehabt. Sie hatte den jungen Kitsune wirklich lieb, aber eine Mutter hatte sie ihm nie ersetzen können. Sie war auch zu sehr mit ihren eigenen Kindern beschäftigt, die Zwillinge hielten sie ganz schön auf Trab.

 

~*~
 

„Shippo-kun, was sind eigentlich Tengu?“, wollte Masaru irgendwann wissen, während sie so durch Wald und Wiesen streunten.

„Also, das solltest du doch wissen, wo deine Haha doch Dämonenjägern ist.“

Der Junge schmollte.

„Man kann ja nicht alles wissen.“

„Schon gut. Tengu sind Kreaturen, die im Nebel auftauchen. Halb Krähe, halb menschliche Züge. Es heißt, ihre Schnäbel sind so scharf, dass sie einen locker in der Mitte durchbeißen können.“

Masaru erschauerte. „Das klingt aber gruselig. Was, wenn wir so einem begegnen?“

„Ich erkenne sicher früh genug, wenn sich ein anderer Dämon nähert und wir können ihm aus dem Weg gehen. Aber wir müssen uns eigentlich keine Sorgen machen, da Tengu sich nur in den Abendstunden, wenn es schon dunkel wird, herausbegeben aus ihren Nestern und außerdem gibt’s ne Menge Nebel, wenn sie in der Nähe sind.“

„Wirklich?“

„Ja, glaub mir ruhig. Komm, lass uns einen Damm bauen oder so, das war letztes Mal so lustig.“

„Klar, dass du das lustig fandest, ich war ja derjenige, der ins Wasser geplumpst ist“, kicherte Masaru und machte sich daran, Shippo hinterher zu kommen. Er hinkte hinter dem Kitsune immer ein wenig her, weil der so flink war auf seinen Fuchsbeinchen, aber das machte ihm im Grunde nichts aus. Er mochte Shippo, bewunderte ihn sogar ein wenig, vor allem für die Tricks, die er beherrschte und mit denen er ihn immer zum Lachen brachte.

Bald hatten sie die Stelle erreicht, an der sie ihren Damm gebaut hatten. Von dem war allerdings nicht mehr allzu viel übrig.

„Es hat wohl zu viel geregnet die letzten Tage“, sagte Shippo zerknirscht.

„Dann bauen wir eben einen Neuen.“

„Ach, ich weiß nicht… lass uns lieber was spielen.“

„Und was schlägst du vor?“

„Hmm… wie wärs mit Samurai und Räuber?“

„Aber nur wenn du keine Tricks anwendest, sonst verlier ich ja immer.“

„Versprochen, keine Tricks“, erwiderte der Kitsune mit hinter dem Rücken überkreuzten Fingern und fügte dann schnell hinzu: „Ich bin als erstes der Räuber!“

„Naa gut“, erwiderte Masaru gedehnt und drehte sich schließlich zu einem Baum und fing an zu zählen. Shippo wartete einen Moment, um ganz sicher zu gehen, dass der andere Junge nicht schmuhlte und huschte dann mit so leisen Schritten wie möglich davon.

Masaru versuchte auf die Schritte zu lauschen, die der Kitsune machte, aber das war gar nicht so einfach, da der ja den Vorteil seiner Fuchsfüßchen hatte und der Zehenballen, die beinahe jeden Laut verschluckten. Aber Masaru kannte mittlerweile Shippos bevorzugte Verstecke und glaubte so, leichtes Spiel zu haben. Nachdem er bis 50 gezählt hatte, sah er schließlich auf und lief dann in die Richtung los, in der er seinen Freund vermutete. Da war eine hauchfeine Schneise im Gras, vielleicht hatte er ja Glück und die richtige Spur erwischt.
 

Masaru schob haufenweise Büsche und Zweige aus dem Weg und außerdem sah er sich die Pilze, die auf dem Boden wuchsen ganz genau an – er wusste genau, in was Shippo sich gerne verwandelte, um sich zu verstecken und meistens erkannte man ihn dann daran, dass die Pilze sich irgendwie wabbelnd bewegten oder farblich nicht so recht zu den anderen passen mochten.

Bis auf ein paar Fliegenpilze, die sich wirklich als Fliegenpilze herausstellten, fand er jedoch nichts.

„Hmm“, machte der Junge und blieb stehen um zu lauschen. Doch nichts, nur die Geräusche des Waldes, das sachte Rascheln der Blätter, der Wind in den Zweigen. Masaru drehte sich einmal um sich selbst und war plötzlich unentschlossen. Normalerweise liefen sie beim Verstecken nie so weit voneinander weg, dass sie sich komplett aus den Augen verloren, Shippo MUSSTE also hier irgendwo sein.

Dann fasste er die Hände trichterförmig vor den Mund und schrie: „MACH MAL PIHIEEP!!!“

Eine Weile kam gar nichts, doch dann hörte Masaru ein leises Geräusch.

„Aha!“, rief er triumphierend und hastete in die Richtung los aus der er das Geräusch gehört zu haben glaubte.

Im Vorbeilaufen bemerkte er gar nicht die seltsamen Steine auf dem Boden, die so gar nicht zu den anderen passen mochten – Shippo wartete, bis Masaru an ihm vorbei war, dann verwandelte er sich zurück und huschte dem Jungen lautlos hinterher – um im nächsten Moment laut „BUH!“, zu schreien.

Masaru schrie vor Schreck auf und stolperte dabei über seine eigenen Füße, wobei er zu allem Überfluss auch noch recht unglücklich in einer Matschpfütze landete.

Shippo brach in schallendes Gelächter aus, während der andere Junge sich aufrappelte und sich angeekelt das vollkommen schmutzige Gewand ansah.

„Na toll, meine Mutter wird mich wieder schelten, wenn ich so nachhause komme.“

„Nimms sportlich, so schlimm ist das nun auch wieder nicht…“

„Du hast ja auch keine Mutter, die dir eins auf den Deckel gibt“, platzte es dann aus Masaru heraus ohne nachzudenken, woraufhin Shippo ihn böse ansah.

„Was hast du da gerade gesagt?“

„Du hast doch angefangen!“

„Du bist nur ein schlechter Verlierer!“

„Ich zeig dir gleich, wer hier der Verlierer ist!“

Im nächsten Moment gingen die beiden Jungen aufeinander los und landeten während ihrer Rauferei beide in der Matschpfütze, was jedoch keiner von ihnen wirklich wahrnahm; Das passierte öfter mal, denn die beiden waren ziemliche Dickköpfe und keiner mochte nachgeben; Ihre Rauferei wurde jedoch bald schon zu einem Spiel, sodass sie begannen, sich lachend gegenseitig zu jagen, miteinander zu ringen und gegenseitig zu Boden zu bringen.
 

„Pause jetzt, ich kann nicht mehr!“, keuchte Masaru irgendwann und ließ sich auf seinen Hintern plumpsen. Shippo ließ sich in der Nähe zu ihm fallen.

Als sie irgendwann wieder etwas zu Atem gekommen waren, meinte Masaru zögerlich: „Tut mir leid, was ich vorhin gesagt hab, wegen deiner Haha-ue, das war dumm und gemein.“

Shippo machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Schon gut, ich bin dir nicht böse, du hast ja recht. Ich hab keine Haha-ue, die mir eins auf den Deckel gibt und da bin ich auch ganz froh drum, ich kann nämlich machen, was ich will.“

Er zwinkerte seinem Freund verschmitzt zu, aber der wirkte ein wenig nachdenklich nun, da er das Gefühl hatte, dass Shippo überspielte.

„Wie … wie war deine Haha-ue denn so?“, traute sich Masaru dann vorsichtig zu fragen. Shippo bekam ein nachdenkliches Gesicht. „Naja, eigentlich erinnere ich mich kaum an sie, ich war noch ganz klein als sie gestorben ist. Aber sie war schön und hat irgendwie immer gestrahlt. Aber wie genau sie aussah, weiß ich nicht mehr, klingt irgendwie verrückt. An meinen Chichi-ue kann ich mich dafür viel besser erinnern.“

Shippos Blick war dabei zum Himmel gegangen, der durch die Baumkronen blitzte.

„Wie … sind sie denn gestorben?“

Shippo nahm sich einen Zweig, der auf dem Waldboden lag und begann Kreise in die trockene Erde zu malen.

„Mein Chichi-ue wurde von den Donnerbrüdern Hiten und Manten umgebracht“, begann er leise, „Inu Yasha hat sie für mich fertig gemacht, weil ich das selbst nicht konnte – vermutlich hat er mir dabei auch das Leben gerettet, ich war damals viel zu schwach und zu unerfahren… und meine Haha-ue…“

Hier dachte Shippo etwas länger nach. Irgendwie fiel es ihm enorm schwer, sich daran zu erinnern, wie seine Mutter gestorben war. Jedesmal, wenn er versuchte, sich zu erinnern war es als wäre da eine Mauer, die er nicht durchbrechen konnte.

„Du, ich erinnere mich irgendwie nicht…“, kam es dann von dem jungen Kitsune und für einen kurzen Moment sah man Verwirrung, gepaart mit Traurigkeit über seine Miene flackern, „Naja, ich war wohl wirklich noch zu klein um mich richtig an alles zu erinnern“, fügte er dann schulterzuckend hinzu und lenkte schließlich vom Thema ab.

„Komm, lass uns lieber mal da hinten zu dem kleinen Wasserfall gehen, den kenn ich noch gar nicht…“

Masaru sagte dazu nichts mehr, sondern hopste kurz hinter Shippo die Steine des kleinen Abhangs hinunter, wo es zum Ufer ging. Der Wasserfall war sehr klein, nicht sonderlich bedrohlich, aber die Jungen machten sich einen kleinen Spaß daraus, durch das Wasser zu springen und die kleine Höhle zu erforschen, die hinter ihm lag. So vertrieben sie sich beide die Zeit und wie Knaben in diesem Alter nun einmal sind, vergaßen sie dabei auf die Sonne zu achten, die sich langsam nun doch gen Westen neigte.

Bis Masaru plötzlich erschrocken die Luft einzog. „Shippo, schau mal wie spät es schon ist, ich hab meiner Haha-ue versprochen, dass wir noch vor dem Sonnenuntergang daheim sind – sie wird mich umbringen!“

Shippo folgte dem Blick seines Freundes zum Himmel und biss sich auf die Unterlippe. Tatsächlich hatte er über ihr lustiges Spiel vollkommen vergessen, dass sie sich eigentlich um rechtzeitig zuhause zu sein längst auf den Weg hätten machen müssen.

„Dann sollten wir uns jetzt wirklich beeilen“, stimmte er seinem Freund zu und sie machten sich schließlich eilig an den Rückweg.

Wir können es noch schaffen, dachte Shippo, wenn wir…

„Du, ich glaub, ich kenne eine Abkürzung, Masaru, aber-“

„Dann nichts wie los, vielleicht gibt’s dann nicht ganz so viel Ärger!“

„Du musst aber aufpassen, weil da ganz viel Moor und Sumpf ist, du darfst da auf keinen Fall hinein fallen. Mach jeden Schritt genauso wie ich.“

„Ist gut.

Das Moor- und Sumpfgebiet war eigentlich strengstens verboten für die Kinder, aber Kinder hielten sich im Grunde nie an Verbote. Shippo hatte hier eine ganze Weile lang erkundet, welche Wege man nehmen konnte.

Masaru gab sich die größte Mühe, jeden Schritt genauso zu machen, wie sein Freund. Es roch hier ziemlich unangenehm, aber das war für solche Gebiete wohl normal. Auch die Sonne kam kaum noch durch den Nebel hindurch, der direkt über den Sümpfen war. Masaru schauerte.

„Beeilen wir uns, Shippo, ich finds hier gruselig.“

Sie hatten beinahe wieder sicheren Boden erreicht als das Rascheln von Gefieder Shippo die Ohren spitzen ließ. Ein Vogel? In den Sümpfen gab es nur wenig Vögel, aber hin und wieder verirrte sich mal einer her. Als er nichts weiter hörte, zuckte er mit den Schulten und bedeutete Masaru, weiter zu laufen; Sie kamen langsam aus dem Sumpfgebiet heraus, vor ihnen lag ein abgebranntes Waldstück, eine ganze weite Fläche nur tote Bäume und verkohlte Erde.
 

Er kam wie aus dem Nichts. Ein deutlich lauteres Gefiederrascheln und im nächsten Moment landete ein Yōkai vor ihnen – einer der Sorte, vor der man sie gewarnt hatte, von denen Shippo behauptet hatte, zu bemerken, wenn sie sich näherten – und dem Kitsune wurde schlagartig klar, dass gerade er die Zeichen vollkommen ignoriert hatte. Die Sonne ging unter und der Nebel, der von jetzt auf gleich gekommen war… er war so damit beschäftigt gewesen, schnell nachhause zu kommen, dass er das vollkommen verdrängt hatte.

Der Tengu sah genauso aus, wie von Shippo beschrieben, nur waren der scharfe Schnabel, der gefährlich klapperte, die kleinen schwarzen, stechenden Augen und die schuppige Haut, die in scharfen Klauen endenden Flügelarme weitaus furchteinflößender als man sich durch Shippos Erzählung hätte vorstellen können.

„Shippo…“, hauchte Masaru lautlos, während der Kitsune unbewusst einen Schritt vor seinen Freund machte, um ihn zu schützen, obwohl ihm selbst die Knie schlotterten. Er hatte Angst, aber er hatte auch gelernt was Mut war in der Zeit, in der er mit Inu Yasha und seinen anderen Freunden umhergereist war. Und vor allem hatte er gelernt, dass man Schwächere immer beschützen musste. Und er musste seinen Freund beschützen, der als Mensch nicht die aller geringste Chance gegen einen ausgewachsenen Tengu hatte.

„Verhalte dich ganz ruhig…“, murmelte der Kitsune aus dem Mundwinkel, während der Tengu den Kopf schief gelegt langsam auf sie zukam. Er hatte einen fabelhaften Geruchssinn und der sagte ihm, dass es hier zartes, junges Fleisch gab.

„Wenn ich ‚jetzt‘ sage… dann läufst du los, verstanden? Lauf so schnell du kannst Richtung Dorf.“

Masaru nickte wie versteinert. Der Tengu gab ein Trommelfell zerfetzendes Krächzen von sich und schnellte urplötzlich auf die beiden Jungen zu – im selben Moment zündete Shippo eine seiner Rauchbomben, während er „JETZT!“, schrie. Masaru rannte los, so schnell er konnte ohne sich umzusehen, während der Tengu zornig und irritiert durch den stark aromatischen Rauch mit dem Schnabel blindlings nach ihnen schnappte.

Shippo entging haarscharf dem spitzen Schnabel und dann lief er selbst los, schrie jedoch: „He, hier bin ich, fang mich doch, wenn du kannst!“, um den Tengu auf seine Fährte zu locken. Er durfte seinen Freund auf gar keinen Fall kriegen. Das würde Sango ihm nie verzeihen. Und er sich selbst erst Recht nicht. Er war nicht so wichtig, er hatte niemanden, der auf ihn wartete und deshalb musste er alles tun, um den Tengu von dem wehrlosen Menschenjungen fortzulocken. Er rannte zurück, dort wo der Wald wieder dichter wurde

Und es klappte, sein Plan ging auf. An dem Krachen im Unterholz merkte er, dass der Tengu die Verfolgung aufgenommen hatte und er sandte ein Stoßgebet zum Himmel dafür, dass es hier so dicht und unübersichtlich war. Shippo wusste, dass es keinen Zweck hatte, sich in einen Pilz oder einen Stein oder was auch immer zu verwandeln, da Tengu einen wahnsinnigen Geruchssinn hatten und da versuchte er etwas, das er zwar lange geübt, aber noch nie in einer Extremsituation angewandt hatte – er nahm seine Yōkaiform an.

Und es funktionierte – noch während er rannte, wandelte sich seine Form zu einem großen Rotfuchs mit drei Schwänzen und er nahm deutlich an Tempo zu. Gegen den Tengu kämpfen hätte er zwar nicht können, aber er kam wesentlich schneller fort als auf seinen stummeligen Fuchsbeinchen.

Bald schon fiel der Tengu, da der die Flügel kaum ausbreiten konnte in dem engen Wald, hinter ihm zurück, bis Shippo ihn gar nicht mehr hörte. Er lauschte und rannte noch soweit er konnte, aber er spürte, dass sein Yōki bald verbraucht war – er hatte die Form immer nur kurz geschafft, das jetzt war schon mehr als er sich je zugetraut hätte.

Noch während des Laufens begann der Rotfuchs wieder zu schrumpfen, bis Shippo wieder auf seinen Beinen lief, die ihn kaum noch tragen mochten. Er blieb an der Schneise zu einer Lichtung stehen und stützte sich keuchend an einem Baumstumpf ab. Seine Knie waren weich wie Pudding.

„Puh… das ging ja gerade nochmal gut…“, murmelte er und lauschte dann nervös, ob der Tengu noch in der Nähe war. Doch er konnte ihn nicht hören, vermutlich hatte er die Verfolgung aufgegeben. Hoffte er. Und er hoffte so sehr, dass Masaru es inzwischen ins Dorf geschafft hatte, wo er in Sicherheit war. Er sollte vermutlich lieber einen Umweg gehen oder sich in etwas sehr Kleines verwandeln, nur um auf Nummer Sicher zu gehen. Normalerweise ließen Tengu nicht so schnell von ihrer Beute ab, wenn sie sich mal eine rausgepickt hatten. Er hatte wohl einfach Glück gehabt.

Vorsichtig tapste er auf die Lichtung. Doch Shippo hatte einen Fehler gemacht. Er hatte nicht daran gedacht, dass der Tengu ein durch und durch intelligenter Räuber war. Der Yōkai hatte sich in die Luft erhoben, über die Baumspitzen und war dem Fuchs bis zu der Lichtung gefolgt.

Und jetzt schnappte er zu.
 

Shippo sah einen Schatten über sich und noch während er dachte „verdammte Scheiße“ wurde er von einer solchen Wucht von zwei Klauen gepackt, dass es ihm die Luft aus den Lungen presste; Durch seinen Schwung hatte der Tengu ihn richtig in den Boden hineingedrückt und nun erhob er sich flügelschlagend mit dem benommenen Kitsune in die Lüfte.

Shippo wusste, er musste zu sich kommen. Er musste seine letzten Kräfte mobilisieren, sonst war er unrettbar verloren und er wollte noch nicht sterben, nicht so jung.

Also biss er zu. Er biss so beherzt zu, wie er nie zuvor zugebissen hatte in die ledrige Klaue des Tengu, welcher erschrocken locker ließ, sodass Shippo sich aus seinem Todesgriff herauswinden konnte. Er stürzte im freien Fall auf die Erde zu, aber er war zu schwach, er fand keine Kraft mehr, sich zu verwandeln und so wappnete er sich innerlich gegen den mehr als schmerzhaften Aufprall. Ob er dann noch genug Kraft hätte, zu fliehen … das wusste er nicht.

Doch der Aufprall blieb aus. Alles, was Shippo spürte, ehe er ohnmächtig wurde war das Aufwallen einer gewaltigen Yōki und schließlich dunkle Wärme, die ihn umfing…

 

~*~
 

Sango schnalzte ärgerlich mit der Zunge, während sie den Tisch richtete.

„Sie hätten längst zurück sein sollen. Masaru weiß genau um welche Zeit wir zu Abend essen, das sieht ihm eigentlich gar nicht ähnlich…“

„Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst“, erwiderte Miroku daraufhin, „die werden vermutlich übers Spielen nur die Zeit vergessen haben. Außerdem ist Shippo ja bei ihm.“

„Mh.“ Inu Yasha war davon irgendwie nicht so recht überzeugt. Sicher, Shippo hatte in den letzten Jahren einiges an Stärke und Finesse hinzugewonnen, aber er war immer noch ein Kind. Er hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, aber er hütete sich, jetzt den Mund aufzumachen und meinte nur: „Wenns dich beruhigt, kann ich den beiden ja entgegenlaufen.“

Seine Freundin sah ihn dankbar an, „Das würde mich tatsächlich beruhigen…“
 

Allerdings musste er gar nicht weit gehen, denn schon aus der Ferne nahm er den Geruch des Menschenjungen wahr; Untermischt mit dem Geruch von Angstschweiß. Inu Yasha verengte die Augen und huschte ihm in flinken Sätzen entgegen; Und dann sah er den Jungen – der bemerkte ihn allerdings zu spät, sodass er erschrocken aufschrie und beinahe über seine Füße stolperte. Inu Yasha packte ihn am Schlafittchen. „Beruhig dich, ich bins – was ist passiert und wo ist Shippo?“

„I-ich, wir, da war…“, die Stimme des Jungen überschlug sich.

„Spucks schon aus!“

„W-wir wollten eine Abkürzung durch die Sümpfe nehmen, ich weiß, das ist verboten, aber Shippo wollte nicht, dass ich Ärger bekomme und dann und dann war da ein … ein…“

„Was war da?“ Inu Yasha bemühte sich wirklich darum, seine Ungeduld aus seiner Stimme zu verbannen, was ihm nicht gerade leicht fiel. Er war einfach nicht der Typ für Kinder.

„Ein Tengu. Shippo-kun hat ihn abgelenkt, damit ich weglaufen konnte und-“

„Der Idiot hat sich mit einem ausgewachsenen Tengu angelegt?“, fauchte der Hanyō, sodass der Junge in seinem Griff merklich zusammenzuckte, „Wo genau war das?“

„I-ich weiß nicht genau – in den Sümpfen, ich glaube, er hat ihn in die andere Richtung fortgelockt.“

„Hör zu – du läufst jetzt ganz schnell nachhause und ich werde Shippo holen.“

„I-ist gut.“

Kaum hatte er den Jungen auf dem Boden abgesetzt sprang er auch schon in die Richtung davon aus der er gekommen war und fluchte dabei im Geiste auf Shippo – der Bengel konnte wirklich was erleben, wenn er ihn gefunden hatte – und versuchte die nagende Sorge, die ihn plötzlich befallen hatte, zu verdrängen.

Es dauerte nicht allzu lange, bis Inu Yasha den Weg zurück verfolgt hatte, den Masaru gekommen war – er war um einiges schneller als der Menschenjunge mit seinen kurzen Kinderbeinchen. In den Sümpfen verlangsamte er sein Tempo etwas, bis er schließlich stehen blieb und angestrengt schnüffelte. Hier roch es stärker nach Masaru und auch Shippos Geruch konnte er schwach wahrnehmen – sowie den unverwechselbaren Geruch von Tengu, der sich mit den Eigengerüchen von Sumpf und Moor vermischte. Es dauerte nur einen kurzen Moment, ehe er die Fährte aufgenommen hatte und nach einigen geschickten Sprüngen war er auf der Seite angelangt, wo die Spur wieder in den Wald führte. Je länger Inu Yasha dieser Spur jedoch folgte, desto unwohler wurde das Gefühl in seinem Inneren.

Shippo konnte auf seinen Stummelbeinchen doch niemals so derart weit gekommen sein, es sei denn das Vieh hatte ihn geschnappt und ihn sich als kleinen Appetithappen vor dem Abendessen einverleibt… aber dann wäre der Geruch bei weitem schwächer… und dann stieg ihm der Geruch von Blut in die Nase – und das erste Mal in seinem Leben wurde ihm schlecht von diesem Geruch.

„Shippo???“, schrie er, während er der Spur folgte. Sie führte hinaus auf eine Lichtung. Dort wurde der Geruch immer stärker und schließlich konnte er einen Körper im Gras erkennen.

Es war der Tengu, ohne Zweifel tot. Als hätte irgendetwas unheimlich Großes ihn einfach zerquetscht, es war kaum noch etwas zu erkennen.

Inu Yasha stand da wie angewurzelt. Hier hatte er also nun den Tengu gefunden. Aber wo war Shippo? Er schnüffelte angestrengt in den Wind und versuchte, die Witterung auszumachen. Doch Shippos Geruch verlor sich hier.

 

~*~
 

Als Shippo wieder zu sich kam, war er erst noch viel zu benommen, um die Augen zu öffnen. Aber da wo er war, da fühlte er sich gerade irgendwie sicher. Es war warm und der Geruch hier, von wem auch immer er kam, beruhigte ihn irgendwie. Er mischte sich mit einem süßen Blumenduft.

„Mh... Haha-ue…“, murmelte der Kleine noch leicht weggetreten und kuschelte sich noch etwas in diese sonderbare Nestwärme. Nur langsam sickerte die Begegnung mit dem Tengu in seinen Geist. Momentmal. Shippo riss plötzlich die Augen auf und sein Blick glitt gehetzt umher – und dann bekam er den Schock seines Lebens als er in ein blassgoldenes Augenpaar blickte, deren Blick auf ihm ruhte.

„Sesshōmaru!“, quiekte der Kitsune und lief aus irgendeinem Grund rot an, „Ich meine, Sesshōmaru-sama!“

Die Tatsache, dass er wohl in den Armen des Daiyōkai geruht hatte, machte das alles nicht besser.

„Beruhige dich, Kitsune, es droht keine Gefahr.“

Irgendwie beruhigte ihn die Stimme Sesshōmarus wirklich und das Zittern hörte auf.

„Was ist denn passiert?“, wollte er dann schüchtern wissen und sah sich um. Es war schon dunkel aber er konnte im Mondlicht sehen, dass sie sich auf einer mit blauen Blumen übersäten Wiese nahe eines knorrigen Baumes befanden. Von denen kam wohl auch der stark süßliche, angenehme Duft.

„Offensichtlich hast du dich mit einem Tengu angelegt“, erwiderte Sesshōmaru, „das war nicht sonderlich klug. Ich habe dich davor bewahrt das Abendmahl für seine Jungen zu werden. Du hattest reichlich Glück.“

„D-Danke“, nuschelte der Kitsune und es schüttelte ihn bei dem Gedanken daran, dass er jetzt vielleicht wirklich nicht mehr hätte da sein können.

„Aber warum … warum habt Ihr mir geholfen?“

Immerhin gehörte er ja irgendwie zu Inu Yasha und dass Sesshōmaru und sein Bruder keine Freunde waren, war ja kein Geheimnis.

„Ich hatte keinerlei Grund, es nicht zu tun.“

Irgendwie war das nicht wirklich eine befriedigende Antwort. Als Shippo bemerkte, dass er immer noch auf Sesshōmarus Schoß hockte, wurde er verlegen und sah zu, dass er wieder auf den Boden kam.

„Wo sind wir hier eigentlich?“, wollte er dann wissen nachdem er sich noch einmal umgesehen hatte.

„Bei den Hyazinthen“, erwiderte Sesshōmaru kryptisch und Shippo bildete sich ein, ein Lächeln um dessen Lippen flackern gesehen zu haben.

„Ich … ich glaube, ich sollte zurück zum Dorf…“

„Wovor fürchtest du dich?“

„Ich fürchte mich gar nicht! … Naja, irgendwie doch. Inu Yasha wird unglaublich wütend sein. Die Kopfnuss kann ich jetzt schon spüren.“

 

~*~
 

Als Inu Yasha es endlich geschafft hatte, die Fährte des Kitsune wieder zu finden und ihr zu folgen, war die Dunkelheit bereits hereingebrochen. Wie gut, dass seine Augen ihn nicht im Stich ließen.

Er war anfangs sehr zornig gewesen, aber jetzt war alles, was er wollte, den Kleinen zu finden. Bevor Kagome gegangen war hatte er ihr versprochen, auf ihn aufzupassen, da er ja sonst niemanden hatte.

„Toller Aufpasser bin ich“, knurrte er vor sich hin und hielt plötzlich inne. Angestrengt und leicht aufgeregt witterte er. Er konnte Shippos Geruch deutlich wahrnehmen, aber viel stärker war hier ein anderer – der Geruch Sesshōmarus. Was zum Teufel hatte der denn hier verloren? Er verstand gar nichts mehr und versuchte einfach der Spur zu folgen, welche sich bald mit einem leicht süßlichen Blumenduft mischte.
 

Es dauerte nicht lange, bis er die Wiese erreichte. Als erstes sah er seinen Bruder und dann, mit leichtem Erstaunen – Shippo, welcher sich an dessen Seite eingerollt hatte und zu schlafen schien. Was für ein merkwürdiges Bild.

Als er näher kam, warf Sesshōmaru ihm einen Blick zu, allerdings war der nicht wie üblich abweisend. Vermutlich hatte er sich schon gedacht, dass Inu Yasha früher oder später hier auftauchte.

Wortlos ließ sich der Hanyō neben Sesshōmaru und dem schlafenden Fuchswelpen auf die Knie sinken und unendliche Erleichterung durchströmte ihn als er bemerkte, dass der Kleine unverletzt war.

Dann sah er Sesshōmaru an als erwarte er eine Erklärung, der jedoch schwieg. Also war es wohl mal wieder an ihm, den ersten Schritt zu tun.

„Warum ist er hier bei dir? Was ist passiert?“

Sesshōmaru schildete es ihm ohne dabei allzu viele Worte zu verlieren.

„Und du hast ihn gerettet, ja?“, meinte Inu Yasha dann skeptisch, immerhin hatte Sesshōmaru ja nichts davon einem kleinen schwachen Kitsune das Leben zu retten.

„Hältst du mich für ein Monster?“

Mit allem hatte Inu Yasha gerechnet, nur nicht mit solch einer Frage. Schuld keimte plötzlich in ihm auf. Nein, Sesshōmaru war kein Monster. Er hatte Rin bei sich aufgenommen und die konnte ihm nichts geben als grenzenlose Dankbarkeit. Trottel, dachte er und ließ den Blick auf Shippo ruhen, der sich in Sesshōmarus Nähe offensichtlich sehr sicher und geborgen zu fühlen schien.

Inu Yashas erster Impuls war es, sich Shippo zu schnappen und dann zum Dorf zurück zu kehren. Aber irgendetwas hielt ihn auf. Irgendetwas verhinderte, dass seine Beine sich bewegten.

Ehe er es registriert hatte, ließ er sich niedersinken in den Schneidersitz nahe Sesshōmaru, sodass nur Shippo zwischen ihnen war. Und sie schwiegen. Eine ganz lange Zeit. Plötzlich lag keine Feindschaft mehr in der Luft, keine Überlegenheit, keine Verachtung.

Inu Yasha zupfte ein, zwei Blumen aus der Erde und fummelte an den Blättern herum.

„Was machst du eigentlich hier draußen, ich dachte, du bist wieder auf dem Schloss zuhause?“

Der Hanyō rechnete schon damit, eine abweisende Antwort zu bekommen, Ablehnung, wie immer, wenn er mit seinem Bruder zu tun gehabt hatte. Aber nichts dergleichen.

Denn Sesshōmaru war lange schon nicht mehr fähig, in seiner Welt von Gefühllosigkeit und Verdrängung zu leben. Seit Rin im Dorf lebte und er mit sich alleine war, da hatte es begonnen, zu bröckeln. Eine späte Trauer über einen Verlust, der niemals die Schuld seines Halbbruders gewesen war, wollte ausbrechen und er fühlte sich zusehends machtloser dagegen.

„Ich suche Ruhe“, hörte Sesshōmaru sich sagen.

Inu Yashas Herz klopfte plötzlich etwas schneller. Passierte es gerade wirklich, dass sie im Begriff waren ein ganz normales Gespräch miteinander zu führen? Wie oft hatte er sich diesen Moment schon vorgestellt, sich ausgemalt, was sie sich sagen würden, doch nie gedacht, dass es jemals dazu kam.

„Und … findest du sie?“

Seine nervösen Finger hatten inzwischen die Blumen zerfriemelt und waren im Begriff neue aus der Erde zu zupfen.

„Hast du sie gefunden?“

Irgendwie erschrak Inu Yasha über diese Frage. Ruhe. Hatte er Ruhe gefunden, jemals? Ruhe in dem Dorf, in dem er lebte, weil nunmal seine Freunde da lebten?

„Dachte ich jedenfalls ne Zeit lang“, antwortete er dann ehrlich. Und nach einer Weile platzte ihm eine Frage heraus, die ihm schon seit Jahren keine Ruhe ließ, die er immer wieder verdrängt hatte, weil sein Stolz diese Unsicherheit nicht zuließ:

„Sag mal … hasst du mich eigentlich noch?“

Sesshōmaru sah ihn ein. Eine ganze Weile. Dann, nur ein einziges schlichtes Wort.

„Nein.“

Entführung

„Hier, Inu Yasha, halt mal bitte.“ Mit diesem Satz, der keine Antwort erwartete, wurde dem Hanyō ein schreiendes und leicht müffelndes Bündel Mensch in die Arme gedrückt, während die Mutter von besagtem müffelndem Bündel sich auf die Jagd nach ihrem kleinen Sohn begab, der, gerade im besten Trotzalter, so absolut keine Lust auf das wöchentliche Bad hatte.

Inu Yashas empfindliche Hundenase zuckte gequält als ihm der Gestank der vollen Windel in die Nase stieg, das empörte Geschrei, das die volle Windel untermauern sollte, trug auch nicht gerade dazu bei, des Hanyō Stimmung an diesem Tag zu heben. Heute war er ohnehin schon besonders schlecht gelaunt, denn der Tag, an dem Kagome zurück in ihre Welt gekehrt war, diesmal für immer, jährte sich zum fünften Mal und an diesem Tag wurde er immer irgendwie etwas trübsinnig.

Er vermisste die Streitereien und die Abenteuer und er langweilte sich die meiste Zeit zu Tode, jetzt wo er irgendwie keine rechte Aufgabe mehr hatte. Das Juwel war vereinigt und Naraku war nicht mehr.

Miroku war mittlerweile Familienvater mit Leib und Seele, also war mit diesem auch nicht mehr sonderlich viel anzufangen.

Resigniert betrachtete der Hanyō, wie seine Freundin eine ihrer Fangketten, die früher zur Dämonenjagd verwendet worden waren, nach dem flüchtigen Sohn schmiss, diesen damit zu Fall und schließlich in ihre Gewalt brachte und ihn dann zum Badezuber schleifte.

Das ist mein Leben, dachte er trübsinnig. Ich beobachte meine Freunde, wie sie alt werden und Kinder kriegen und am Ende steh ich allein da.

Das war einfach nichts für ihn. Allerdings mangelte es ihm gewaltig an Alternativen.

„So, das wäre geschafft, danke“, holte ihn Sangos Stimme aus seinen Gedanken. Er empfand grenzenlose Erleichterung als sie ihm das Kind wieder abnahm.

„Er ist einfach kaum zu bändigen“, fügte sie dann entschuldigend hinzu. „Das muss er von seinem Vater haben, wenn der nachher auch noch so ein Aufreißer wird, na Mahlzeit.“

„Ich geh mal an die Luft“, murmelte der Hanyō, weil er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte (und weil ihm mittlerweile ziemlich schlecht vom volle Windeln Gestank war).

 

Wenig später trat er hinaus und sog die frische Luft in seine Lungen als wäre er jahrelang in einem Erdloch eingesperrt gewesen. Heute war ein wundervoller Tag, da musste sich doch irgendetwas anstellen lassen. Vielleicht sollte er mal den Wolf suchen gehen und Streit mit ihm anzetteln, einfach so zum Spaß. Im nächsten Moment kam ihm dieser Gedanke dämlich vor.

 

Die Wahrheit war, seitdem er vor nicht allzu langer Zeit bei Sesshōmaru gewesen war und als sie sich dann erneut unter den merkwürdigen Umständen von Shippos Rettung getroffen hatten, fühlte er sich ruhelos. Als wäre irgendetwas in ihm geweckt worden, das er seit Jahren verdrängt hatte.

Er warf lauschend einen Blick in Richtung der Hütte und hörte gedämpft empörtes Geschrei. War das wirklich das, was er wollte? Bei seinen Freunden leben, aber nie wirklich einer von ihnen zu sein, so sehr sie ihn auch schätzten und liebten? Er hatte immer geglaubt, hier seinen Platz gefunden zu haben, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war … hatte er genauso lange gewusst, dass das nicht stimmte. Dass er wo anders hingehörte. Seine Wurzeln… zerrten an ihm. Der Drang, sie zu ergründen war übermächtig geworden in den letzten Tagen. Er ertappte sich immer wieder mal dabei, wie er, wenn er durch die Wildnis stromerte nach dem Geruch seines Bruders witterte. Jetzt, wo er das Schloss betreten hatte, auch wenn es nur kurz gewesen war… er wollte mehr. Mehr in seinem Leben, das das Leben seiner Freunde bei Weitem überdauern würde. Ihr Leben war nur ein Wimpernschlag, aber seines … wenn auch vielleicht nur halb so lang, wie das eines vollblütigen Yōkai, bedeutend länger als das eines Menschen. Und dann… ja, was wäre dann, wenn sie nicht mehr waren? Dann wäre er alleine. Denn wer wusste, ob Shippo, wenn er älter wurde, nicht lieber seiner eigenen Wege zog. Füchse waren da sehr eigensinnig. Und für ihn endete alles, wie es angefangen hatte. In Einsamkeit. Verdammt. Wann war diese Bitterkeit denn zurückgekommen?

Und was sollte er Sesshōmaru sagen, wenn er plötzlich bei ihm aufkreuzte? Er bezweifelte stark, dass der für derart sentimentale Gedanken viel Verständnis hatte.

Frustriert kickte er einen trockenen Ast aus dem Weg und hockte sich dann auf einen dicken Baumstamm, der hier hergeschleift worden war um ihn als Bank für die Dorfbewohner zu nutzen.

 

„Was beschäftigt dich, mein Freund?“

Miroku nahm neben ihm Platz. Inu Yasha hatte seine Anwesenheit gar nicht wahrgenommen.

„Versteckst du dich vor deinen brüllenden Kindern?“, erwiderte er bitter und fühlte sich im nächsten Moment schlecht deshalb.

Miroku stützte sich leicht hinten auf den Handflächen ab und sah einen Moment in den Himmel.

„Das auch. Aber Sango und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass einer Mal mit dir reden sollte. Wir sind nicht blind, weißt du?“, sagte er behutsam und warf Inu Yasha einen Blick aus dem Augenwinkel zu.

„Ich bin ruhelos“, brummte Inu Yasha dann irgendwann, „Seit…“

Er stockte, aber Miroku verstand auch so.

„Weißt du, ich habe mir auch Gedanken gemacht…“

„Achja?“

„Über Shippo.“

„Warum denn über Shippo?“

„Shippo ist ein Yōkai. Aber er wächst unter Menschen auf.“

Eigentlich brauchte er seinen Gedanken nicht weiter ausführen. „Er kommt langsam in ein Alter, in dem er die Gesellschaft anderer Yōkai braucht. Wir lieben ihn, aber fürchten, dass wir ihm auf Dauer nicht gerecht werden können…“

Der Hanyō fuhr sich gestresst durch die Stirnfransen. Genau dasselbe war ihm auch schon durch den Kopf gegangen. Genauer gesagt, seit dem Moment als er Shippo bei Sesshōmaru gefunden hatte. Er erinnerte sich daran, dass es in diesem Bild irgendetwas gegeben hatte, das ihn beruhigt hatte. Das richtig gewesen war.

„Eine Idee?“

„Bisher nicht…“

 

Das Gespräch mit seinem Freund ließ Inu Yasha in der Nacht keinen Schlaf finden. Irgendwann hatte er es aufgegeben, sich auf dem Futon herumzuwälzen und die kleine Hütte, die er hier bewohnte verlassen.

Außerhalb des Dorfes im Wald gab es einen großen Baum, der recht weit oben einen dicken Ast hatte, auf dem man bequem sitzen und zur Not auch schlafen konnte. Hier kam er immer her, wenn er Ruhe brauchte und nachdenken musste. Er kannte keine Yōkai. Nun, halt. Das war nicht ganz richtig. Er kannte schon ein paar. Im Geiste ging er seine Liste durch: Myoga. Der nette alte, Onkel, aber nicht gerade dafür geeignet, einen Fuchswelpen bei seinem Weg ins Erwachsenwerden zu leiten. Tōtōsai. Wohl auch eher nicht. Kōga. Da hackte er sich lieber beide Beine ab als Shippo zu diesen Wilden zu bringen. Und Sesshōmaru. Er fand kein Argument, das gegen Sesshōmaru sprach. Noch nicht einmal, dass er Kinder nicht mochte, denn Rin war der lebendige Beweis für das Gegenteil. Abwesend schüttelte er den Kopf. Aber Shippo quasi allein zu lassen, kam das überhaupt in Frage? Würde der Kleine das überhaupt wollen? Oder würde er sich ausgestoßen und verraten fühlen, so wie er selbst als Kind? Kagome hätte bestimmt gewusst, was am besten für Shippo war. Aber Kagome war nicht mehr hier und sie würde auch nie wieder hierher kommen.

Inu Yasha knurrte leise und brummte: „Verdammte Scheiße, da kriegt man ja Kopfschmerzen.“

 

~*~

 

„Rin, wie weit müssen wir denn noch? Dieser ganze verdammte Wald hier ist voller Kräuter!“

„Weil die die ich brauchte zu einer ganz bestimmten Zeit geschnitten werden müssen und zwar an einem ganz bestimmten Ort“, erklärte die junge Frau, ohne stehen zu bleiben oder inne zu halten. Kohaku seufzte und ergab sich seinem Schicksal. Rin war so vital und ehrgeizig, da ging sogar ihm manchmal die Puste aus und nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob er mit ihr überhaupt mithalten konnte… immerhin hatte er vor, sie irgendwann zu heiraten und da musste er schon etwas bieten können.

Von ihrem Glück wusste sie aber noch nichts. Genausowenig wie Sesshōmaru und vor dem hatte Kohaku wirklich Angst. Er seufzte und ergab sich in sein Schicksal. Immerhin konnte er Rin nicht alleine gehen lassen, das war viel zu gefährlich bei Dämmerung im Wald.

 

Während Rin sich wenig später endlich dazu bequemte, eine Stelle für würdig zu erachten, Kaedes Kräuter zu schneiden, blieb der junge Mann in Hab Acht Stellung. Sie waren doch recht tief im Wald und es wurde bald dunkel, das machte ihn etwas nervös. Viele Dämonen, die sich des Tags nicht zeigten, kamen erst in der Abenddämmerung heraus. Er dachte flüchtig an Shippos und Masarus Begegnung mit den Tengu und wie schlecht das laut Inu Yasha wohl beinahe ausgegangen wäre. Abwesend fummelte er an dem Griff seines Katana herum.

„Könntest du dich beeilen?“, rief er der jungen Frau zu. Seine Nackenhärchen kribbelten. Die Instinkte des Dämonenjägers versuchten, ihn zu warnen.

„Ja doch, ich habs ja gleich!“, erwiderte Rin ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Sie schnitt mit sanfter Hand ein paar Kräuter knapp über dem Boden ab und schlug die dann in ein grobes Tuch ein, welches sie wiederum in ihrem Beutelchen verstaute. Dann erhob sie sich aus der Hocke und wischte sich über die Stirn, ihr war nun doch recht warm geworden.

„Warum hast du es denn so eilig, Kohaku-kun“, erwiderte sie lachend, „wir sind doch nicht auf der Flucht.“

Kohaku konnte sich eines leicht dümmlichen Lächelns nicht erwehren, als sie ihn so anstrahlte und als sie wieder in seine Nähe kam, da war er so kühn, ihre Hand zu ergreifen. Sie war nicht zart wie die einer Adelsdame es wohl sein mochte, sie war kräftig und konnte zupacken. Rin sah ihn überrascht an und einen Moment sahen sie sich in die Augen.

„Rin-chan, ich-“, plötzlich hielt er inne und wirbelte herum und keine Sekunde zu spät. Aus dem Strauchwerk traten drei Männer hervor – Yōkai, Kohaku schnell feststellte und leider keine von der niederen Sorte, mit denen ein Mensch mit Leichtigkeit fertig werden konnte, wenn er nur ansatzweise die passenden Fähigkeiten hatte.

„Ich glaube, wir haben sie gefunden“, tönte einer und Kohaku suchte in seinem Gedächtnis fieberhaft nach der Kategorie dieser Männer. Olivfarbene Haut, Augen von einem stark ins Rötliche gehenden Bernstein, schwarzbraunes, langes Haar, spitze Ohren, wie die Sesshōmarus und Kōgas. Und die Zeichnungen im Gesicht.

Langsam zog er sein Katana, während er versuchte, Rin hinter sich abzuschirmen. „Ihr seid Südhunde“, presste er dann hervor, „was habt Ihr hier zu verloren, das ist Westreich?“

„Sieh an, der Mensch hat seine Hausaufgaben gemacht. Willst du uns damit kitzeln?“, erwiderte der Wortführer belustigt.

„Wir sind wegen ihr gekommen.“

Er wies mit einem Kopfnicken auf Rin und Kohaku verengte den Blick. „Nur über meine Leiche.“

„Das ließe sich unter normalen Umständen einrichten“, erwiderte der Yōkai mit einem amüsierten Blitzen in den Augen. „Dummerweise brauchen wir jemanden, der dem Daiyōkai des Westens eine Nachricht von unserem Fürsten übermittelt.“

Kohaku war kein Feigling. War es nie gewesen. Aber auch er spürte, dass er alleine gegen drei Yōkai von solcher Stärke nicht ankam. Nicht, wenn er Rin noch beschützen musste. Also wägte er seine Möglichkeiten ab. Wäre selig gewesen, jetzt eine von Shippos Rauchbomben bei sich zu haben. Aber bevor er zuließ, dass diese Männer Rin…

Offensichtlich schien Rin zu derselben Überzeugung zu gelangen. Dass sie beide keine Chance hatten gegen diese Yōkai. Sie trat hinter Kohakus Rücken hervor und vor den Sprecher hin, furchtlos.

„Was genau wollt Ihr von uns?“, verlangte sie zu wissen und Kohaku kam nicht umhin, ihren Mut zu bewundern. Wieder einmal.

„Ich bin sicher, es lässt sich eine Lösung finden, bei der niemand zu Schaden kommt.“

Eine ihrer Hände umklammerte dabei den Trageriemen ihres Kräuterbeutels.

Die drei Yōkai warfen sich einen Blick zu. Offensichtlich hatte keiner von ihnen gedacht, wie einfach sie es hier haben würden. Offensichtlich hatte niemand erwartet, die Ziehtochter des Daiyōkai des Westens unter dem Schutz nur eines lächerlichen Menschen vorzufinden.

„Ihr könntet uns freiwillig begleiten“, sagte der Wortführer irritierend sanft, „dann wird niemandem etwas passieren. „Wenn nicht, dann müssen wir, so sehr ich es bedauere, Gewalt anwenden. Und das könnte dazu führen, dass jemand vielleicht nicht mehr alle Gliedmaßen beisammen hat, wenn er vor den Fürsten des Westens hintritt, um ihm mitzuteilen, wo sein geliebtes Töchterchen sich befindet.“ Rin schluckte schwer. Sie kannte die Stärke Sesshōmarus. Und wenn diese Männer nur ansatzweise so stark waren, wie er… und Kohakus verkniffener Miene nach waren sie das, wäre jeder Widerstand ausgesprochen dumm. Sesshōmaru selbst hatte sie gelehrt, Situationen richtig einzuschätzen. Und sie wollte ihm keine Schande machen. Und auch nicht, dass Kohaku etwas geschah, der ihr sehr ans Herz gewachsen war in den letzten Jahren.

Sie schluckte. „Ich werde mit Euch kommen“, sagte sie dann und sah dem Anführer in die Augen, „aber ich will Euer Wort, dass ihm nichts geschieht dafür.“

„Ihr habt mein Wort“, erwiderte der Yōkai mit feierlichem Ernst.

„Rin, nein!“, rief Kohaku verzweifelt aus, doch der Ruf wurde erstickt von einem Fausthieb in den Magen, der ihn keuchend in die Knie gehen ließ. Rin biss sich auf die Unterlippe und zwang sich dazu, den Blick abzuwenden, die Hand des Yōkai, der ihr das Versprechen gegeben hatte, schwer auf der Schulter spürend. Sie verdrehte den Kopf, um zu sehen, was der Zurückbleibende mit Kohaku tat, doch die Sicht wurde ihr versperrt und was ihr blieb, war die Hoffnung und das Vertrauen in ihren Ziehvater.

 

~*~

 

„Isst Onkel Kohaku denn heute nicht mit uns?“, wollte Masaru wissen, während er mit großen Augen bereits auf die Köstlichkeiten stierte, die seine Mutter zubereitet hatte.

Sango warf Miroku einen ratlosen Blick zu. „Eigentlich schon, dachte ich“, meinte sie dann zögerlich. „Ich weiß nur, dass er Rin begleiten wollte bei einem Botengang für Kaede.“

Miroku grinste plötzlich aus einem unerfindlichen Grund und setzte dann schnell das Schälchen mit dem Jasmintee an die Lippen. Aber seiner Frau konnte er so leicht nichts vormachen.

„Was?“, hakte Sango misstrauisch nach.

„Na…“, erwiderte Miroku gedehnt, „was glaubst du denn, was zwei junge Leute in dem Alter im Wald machen. So ganz allein. Bestimmt nicht nur Kräuter sammeln.“

Sango schnappte nach Luft und warf einen Blick zu ihren Kindern, die waren jedoch damit beschäftigt, sich um das schönste Paar Stäbchen zu streiten, dann erwiderte sie gedämpft:

„Kohaku würde Rin niemals in Schwierigkeiten bringen!“

Miroku zuckte mit den Schultern. „Dein kleiner Bruder ist auch nur ein Mann, meine geliebte Lotusblume und er schaut Rin doch schon lange hinterher.“

Sango warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu, ließ dem jedoch keine Erwiderung mehr folgen. Nachdenklich kaute sie auf der Innenseite ihre Wangentaschen. Kohaku war ein Mann von Ehre. Selbst wenn er Rin mochte, so würde ihm – schon aus Angst vor Sesshōmaru - niemals im Traum einfallen, ihr zu nahe zu kommen. Was Rin betraf, nunja, das war schwer zu sagen. Fakt war aber, dass Kohaku niemals ohne triftigen Grund zu spät kam. Absprachen, Uhrzeiten, all das nahm er sehr ernst. Und nebenbei würde er sich niemals etwas zu Essen entgehen lassen, was seine Schwester gekocht hatte, denn Sango war im Lauf der Zeit zu einer begnadeten Köchin geworden. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass da etwas nicht stimmte. Und ihre Instinkte hatten sie noch nie getrügt. Sie hoffte, die beiden hatten wirklich nur die Zeit vergessen…

 

Dass tatsächlich etwas ganz und gar nicht stimmte, wusste sie spätestens dann als sie später mit Miroku und Inu Yasha in der lauen Abenddämmerung draußen saß und Kaede zu ihnen kam. Die alte Miko wirkte beunruhigt.

„Ist Rin bei euch? Ich bat sie, einige Kräuter für mich zu besorgen und sie nahm Kohaku mit zum Schutz. Das ist schon mittags gewesen, seither habe ich die beiden nicht mehr gesehen und die Dunkelheit bricht bereits herein. Ich muss gestehen, dass ich in Sorge bin…“

 

Das war vor einer halben Stunde gewesen. Inu Yasha hatte sich aufgrund der Sorge seiner Freundin zuliebe und in Anbetracht der Tatsache, dass Sesshōmaru sie alle einen Kopf kürzer machen würde, wenn Rin verschwunden blieb, auf den Weg gemacht, um die beiden zu suchen. Es war noch nicht dunkel, aber die Sonne neigte sich bedenklich. Von Kaede wusste er, wo Rin ungefähr hingewollt haben musste und irgendwann hatte er eine schwache Geruchsspur von beiden gefunden.

Der folgte er nun – und runzelte die Stirn als ihm plötzlich ein anderer Geruch in die Nase stieg. Ein Geruch, den er so ähnlich schonmal wahrgenommen hatte, ohne ihn jedoch jetzt zuordnen zu können. Nur sein Instinkt sagte ihm, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Inu Yasha blieb stehen und witterte in alle Richtungen, bis ein leichter Geruch von Ningenblut an seine Nase drang. Kohaku, war sein erster Gedanke und er hetzte in die selbe Richtung. Es dauerte nicht lange, ehe er unruhige Schritte auf dem Waldboden hörte und er verengte die Augen als er eine Gestalt wahrnahm, die offensichtlich Mühe hatte, gerade zu gehen und sich an einem Baum abstützte.

„Kohaku!“, rief er bestürzt, als er den jungen Mann entdeckte, der aus einer tiefen Schnittwunde am Oberarm und an der Schläfe blutete. Kohakus Augen sprachen Erleichterung als er Inu Yasha bemerkte, doch wie als hätte sein Körper nur auf ein Signal der Sicherheit gewartet, verdrehten sich die Augen und er brach zusammen. Inu Yasha konnte ihn gerade noch mit sicherem Griff packen, um zu verhindern, dass er auf dem Boden aufschlug.

„Kohaku! Wo ist Rin?“, sprach er ihn mit lauter Stimme an, woraufhin die Lider des jungen Mannes flatterten. Er röchelte, sagte irgendetwas, das Inu Yasha nicht verstehen konnte. Der Hanyō knurrte und plötzlich fiel ihm schlagartig ein, wo er diesen Geruch schon einmal wahrgenommen hatte. Es war gewesen als er beim Westschloss gewesen war. Die Belagerung der Südhunde. Verdammt!

Kohakus schmerzerfülltes Stöhnen brachte ihn aus seinen Gedanken und ohne lange zu fackeln warf er sich den jungen Mann über die Schulter und trat schleunigst den Heimweg an.

 

~*~

 

„Also jetzt nochmal von vorn“, stieß Inu Yasha erregt aus. „Die haben euch überfallen und dann?“

Kohaku war bleich und er biss die Zähne so fest aufeinander, dass seine Halsschlagader hervortrat während Kaede die tiefe Wunde am Oberarm sorgfältig nähte.

„Sie haben… Rin … wegen Sesshōmaru…“

„Ja, soviel hab ich schon verstanden, verdammt!“

„Könntest du ihn vielleicht mal nicht so anbrüllen, er ist verletzt!“, schaltete sich Sango gereizt ein und schob sich schützend zwischen ihren Bruder und den zeternden Hanyō.

„Rin wurde entführt, verzeih mir, wenn ich da keine Rücksicht nehmen kann, du bist ja nicht diejenige, der Sesshōmaru das Fell über die Ohren zieht!!!“

„Ruhig jetzt, alle beide“, schaltete sich Miroku mit ernster Stimme ein, „Wir haben keine Zeit für Streitereien. Bis Kohaku dazu in der Lage ist, uns den genauen Wortlaut der Entführer wiederzugeben, sollten wir uns gedulden.“

Inu Yasha schnaufte ungeduldig, hielt jedoch den Mund. Miroku hatte ja Recht. Wenn Inu Yasha sich nicht solche Vorwürfe machen würde, wäre das vielleicht alles erträglicher. Wäre er mit Rin gegangen, er hätte sicherlich weitaus mehr ausrichten können als sein menschlicher Freund. Dann wäre der auch nicht so verletzt worden.

 

~*~

 

Eigentlich hätte sein Körper längst geheilt sein sollen. Es war äußerst ungewöhnlich, dass das so lange dauerte. Als Vollyōkai waren die Kräfte, von denen er zehren konnte, enorm. Er fühlte sich angeschlagen, so ungern er das zugeben mochte, und dieser Umstand sorgte nicht für besonders gute Laune. Um es freundlich auszudrücken.

Homoto war soeben gekommen und während sein Handgelenk in ihrer knochigen Hand lag, damit sie den Puls ertasten konnte, verwünschte er zum wohl tausendsten Male den Südfürsten und seine eigene Schwäche, einfach dem Instinkt nachgegeben zu haben. Gerade so verbiss er sich ein verstimmtes Knurren in Gegenwart der Heilerin.

„Euer Blut fließt ungewöhnlich schwach“, riss sie ihn irgendwann aus seinen Gedanken, „habt Ihr den Trank mit dem Eisenkraut regelmäßig zu Euch genommen, den ich Euch verordnet habe?“

„Ja.“

„Euer Yōki fühlt sich kühl an wie Euer Blut.“

Sie strich ihm dabei über den Unterarm, den Bahnen des Yōki folgend, das durch Sesshōmarus Körper zirkulierte. Überall, wo er ihre Berührung spürte, kribbelte seine Haut.

„Hat sich der Geburtskanal inzwischen wieder vollständig geschlossen?“

Der Daiyōkai antwortete nicht.

„Sesshōmaru-dono.“ Sie hatte schon wieder diesen Tonfall angeschlagen, den Kinderfrauen gegenüber bockigen Kindern anschlugen. Er hasste es, wenn sie das tat – weil es meistens Erfolg hatte.

„Ja.“

Homoto sah ihn schließlich direkt an und als sie nichts sagte, fragte Sesshōmaru ungeduldig: „Was ist?“

„Nun“, begann sie langsam und wägte ihre Worte ab, während sie in einer sanften Geste den weiten Kimonoärmel wieder zurückschob, „es wäre wohl an der Zeit, Ihr setztet Euch vernünftig mit Eurem eigenen Körper auseinander. Ich weiß, dass Eure verehrte Frau Mutter nicht viel davon hielt, mit solchen natürlichen Dingen offen umzugehen.“

Ihr Tonfall war nicht abfällig, aber Sesshōmaru konnte sehr wohl heraushören, was sie von der Art Erziehung hielt, die die Inu no Kami für die richtige gehalten hatte.

„Aber Ihr habt nun einmal diese Fähigkeit. Und es wird wieder passieren.“

Ihr Wort war eine Spur schärfer geworden und aus irgendeinem Grund wagte der Daiyōkai in diesem Moment nicht einmal, die Lippen verächtlich zu kräuseln.

„Ihr werdet wieder in Hitze geraten und eine Menge Artgenossen werden ihren Samen pflanzen wollen. Ob es Euch gefällt oder nicht.“

Sie sah ihn durchdringend an. „Es wäre von immensem Vorteil, einen Beschützer zu haben.“

„Ich brauche niemanden, der mich beschützt“, erwiderte Sesshōmaru kühl, „was für ein lächerlicher Gedanke.“

Unwillkürlich dachte er dabei an Inu Yasha. Oder besser gesagt, dessen Worte am Tag, als die Belagerung beendet wurde.

Ich beschütze dich.“

Und wie angenehm diese Worte sich in jenem Moment der Schwäche angefühlt hatten. Sesshōmaru schüttelte den Kopf kaum merklich, während sich die Augen verstimmt verengten.

 

Plötzlich spürte er ein nur allzu bekanntes Yōki sich nähern. Als hätte er ihn hergelockt mit dem kurzen Gedanken, den er soeben gehabt hatte. Sesshōmaru richtete sich ruckartig auf, den fragenden Blick Homotos ignorierend, denn Inu Yashas Yoki wirkte unruhig und ihn beschlich ein ungutes Gefühl.

Im nächsten Moment sah er sich schon dem Hanyō entgegen eilen und sie standen sich gegenüber, da hatte selbiger gerade die Palastmauern überwunden. Inu Yasha wirkte ein wenig irritiert und Sesshōmaru bildete sich sogar ein, eine Spur von Angst riechen zu können.

„Was ist passiert?“, verlangte er mit scharfer Stimme, zu wissen. Einen Augenblick schien es, als bekäme Inu Yasha seinen Mund nicht auf, dann jedoch riss er sich zusammen und erwiderte ohne drumherum zu reden: „Der Südfürst hat Rin entführt.“

Eisige Stille senkte sich um sie beide herab und Inu Yasha setzte im Geiste schonmal sein Testament auf.

„Wie bitte?“, kam es schließlich gefährlich leise von dem Daiyōkai.

„Es ist nicht meine Schuld, Kohaku…“

„Was will er?“

Wobei er sich das schon denken konnte. Inu Yasha, der eher mit einer Standpauke gerechnet hatte, blinzelte irritiert, dann biss er sich auf die Unterlippe und sagte: „Dich. Du sollst zu ihm kommen, alleine, ohne Bakusaiga-“

Das war doch wirklich nun ein schlechter Scherz. „Dieser elende Verräter“, knurrte Sesshōmaru unterdrückt und musste sich beherrschen, nicht sofort loszustürmen, um Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, seine Ziehtochter zu befreien. Das war nicht seine Art. Und Rin war ein kluges Mädchen, dem so schnell nichts zustieß, er musste einen kühlen Kopf bewahren.

„Was hast du jetzt vor?“, wollte Inu Yasha wissen, der nicht ahnen konnte, was in Sesshōmarus Kopf gerade vor sich ging.

„Der Forderung des Südfürsten nachkommen“, kam die irritierend unterkühlte Antwort, doch sogar Inu Yasha sah, dass Sesshōmaru sich in seinem momentanen Zustand damit übernahm. Er schien immer noch geschwächt, zumindest soweit, dass er sicher nicht in der Lage war, es mit einem anderen Daiyōkai aufzunehmen – ohne Bakusaiga.

„Ich begleite dich“, sagte er dann verbissen, woraufhin eine von Sesshōmarus feingeschwungenen Augenbrauen in die Höhe wanderte.

„Da du mir die Forderung selbst vorgetragen hast, kennst du folglich auch deren Inhalt.“ Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Sesshōmarus Stimme wohl spöttisch geklungen.

Inu Yasha knurrte gestresst, „Weiß ich doch, aber du kannst doch nicht wirklich als Einmannarmee diesem Scheißkerl in die Arme laufen.“

„Etwas mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten, Bruder“, kam es nun doch leicht spöttisch, allerdings war Sesshōmaru sich tatsächlich selbst nicht sicher, inwieweit er in seinem immer noch geschwächten Zustand Takaitayō ohne Bakusaiga gewachsen war. Er kannte die Yōkaiform des Südfürsten, der seines Vaters beinahe ebenbürtig, keinesfalls zu unterschätzen.

Inu Yasha stockte einen Moment. Hatte Sesshōmaru ihn gerade mit Bruder angesprochen? Da hörte man doch Töne. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

„Was, wenn ich eine Möglichkeit wüsste, wie ein Begleiter unbemerkt bliebe?“

Sesshōmaru sah ihn musternd an, ihn still auffordernd, fortzufahren.

„Fuchszauber“, sagte Inu Yasha dann und Sesshōmaru verstand.

Im Reich des Südens

Rin hatte irgendwann das Zeitgefühl verloren. Einer der Yōkai trug sie und die Bäume rauschten in einer Übelkeit erregenden Geschwindigkeit an ihr vorbei. Es erinnerte sie an die ganz seltenen Momente, da Sesshōmaru-sama ihr gestattet hatte in seiner Yōkaiform auf seinem Rücken platz zu nehmen, oder wenn er sie getragen hatte, in dem Glauben, sie schliefe.

Sie bemerkte den Unterschied schon in der Luft. Es war ein wenig feuchter, das Klima wärmer. Und es gab viele Insekten – ehe sie am Südschloss eintrafen hatte sie gefühlt schon ein halbes Tausend Mücken erschlagen.
 

Der Yōkai, der sie getragen hatte, ließ sie herunter und Rin sah sich, ihrer prekären Lage zum Trotz neugierig um. Es war dem Westschloss gar nicht so unähnlich, stellte sie fest. Das Konstrukt des Schlosses war ähnlich, allerdings dominierten hier eher prächtige Farben, Ziegelrot, Sattgold, Türkis, während im Schloss des Westens Weiß, Silbern und hin- und wieder ganz zartes Gold vorherrschten.

„Bewegt Euch“, raunte der Yōkai der sie getragen hatte und drückte sanft gegen ihre Schulter, sodass sie sich aus ihrer Starre lösen musste.

Und dann gingen ihr die Augen über als sie einen Blick auf die Gärten werfen konnte – wildwachsende Blumen, eine etwas vernachlässigte Teichanlage und unzählige Libellen und Schmetterlinge – darüber hinaus vergaß sie beinahe, dass sie als Geisel hier war. Wie gerne wäre sie etwas durch diese wunderschöne Gartenanlage gestreunt.

Es fröstelte sie als sie wenig später das Schloss betraten. Man warf ihnen neugierige Blicke zu. Hatte Rin allerdings damit gerechnet, man würde sie in irgendein Verlies stecken, wo sie niemals wieder das Tageslicht zu Gesicht bekam, wurde sie eines Besseren belehrt. Man brachte sie in ein Zimmer von für Adelsverhältnisse mittlerer Größe, in welchem zwei ältliche wirkende, kleine Dienerinnen mit ledrig brauner Haut knieten und auf ihren fragenden Blick hin meinte der Yōkai: „Ihr dürft das Zimmer nicht verlassen. Die beiden sind angewiesen, sich um Euer Wohl während Eures Aufenthaltes zu kümmern. Der Daiyōkai des Südens wird später an diesem Tage persönlich zu Euch kommen – ein gut gemeinter Rat; Haltet Eure Zunge im Zaum, er ist nicht sonderlich begeistert von Aufmüpfigkeit.“

Die Stimme hatte ein wenig belustigt geklungen.

Dann schloss sich die Tür hinter Rin – ein Riegel war zwar nicht zu hören, jedoch war es unmissverständlich, dass sich vor der Tür zwei Yōkai zur Wache aufstellten; Ob es dieselben waren, wie die, die sie hergebracht hatten, wusste sie nicht, da es ein paar kurzer Wortwechsel auf dem Gang gab und sie durch die dicke Türe nicht ausmachen konnte, wie viele Stimmen es waren.

Rin seufzte und wandte sich von der Türe ab, um sich umzusehen. Sie hatte Sesshōmaru hin- und wieder im Westschloss besucht, aber selbst da hatte sie es abgelehnt, Dienerinnen für ihren Aufenthalt zu haben, da es ihr befremdlich war, die einfachsten Dinge nicht selbst erledigen zu können.

Die beiden Dienerinnen sahen sie mit unverhohlener Neugier an – jedoch nicht auf eine unhöfliche Weise, ehe eine von ihnen das Wort erhob.

„Wir haben ein Bad und Kleidung vorbereitet, kleine Dame. Sicherlich seid Ihr erschöpft von Eurer Reise und möchtet Euch etwas angemessener kleiden.“

Rin musste sich ein Grinsen verkneifen. Meine Reise, dachte sie. Und ich dachte schon, ich wäre entführt worden. Allerdings brachte sie es nicht übers Herz, diesen Gedanken auszusprechen, da die alte Dämonin sie so treuherzig und offen freundlich anschaute. Also nickte sie nur und ließ sich schließlich zum Badezuber führen. Heißes Wasser. Das hatte es auch nur auf dem Schloss gegeben oder zu besonderen Anlässen im Dorf.
 

„Wie… ist der Daiyōkai des Südens denn so?“, wollte sie dann arglos wissen, während man ihr das Haar wusch.

„Es steht uns nicht zu über Seine Hoheit zu sprechen“, sagte die eine Dienerin, während die andere, ältere mit einem Schnauben meinte: „Jähzornig ist der, das habt Ihr noch nicht erlebt. Gegenüber jungen Damen und dem ein oder anderen Jüngling munkelt man, kann er jedoch äußerst hinreißend sein, Ihr solltet Euch also in Acht nehmen. Wobei ich kaum glaube, dass er Euch was antut in Anbetracht dessen dass Ihr die Tochter des Daiyōkai des Westens seid…“

„Ziehtochter…“, korrigierte Rin mit dünner Stimme.

„Das macht keinen Unterschied. Eure Entführung ist eine inoffizielle Kriegserklärung, wie auch immer das hier nun ausgeht…“

„Aber wir sind nur zwei arglose Dienerinnen, Ihr solltet gar nicht darauf achten, was wir sagen.“

In Rins Kehle bildete sich ein Kloß vor Wut. Krieg. Sie kannte den Krieg. Bei den Menschen hatte es immer Krieg gegeben. Krieg und Krankheit hatten ihr die Eltern genommen. Krieg hatte ganze Dörfer ausgelöscht. Und jetzt war sie hier und fühlte sich schuldig, obwohl sie im Grunde wusste, dass sie zu einer Spielfigur geworden war.
 

Man hatte sie in einen mehrlagigen Kimono gekleidet und ihre Frisur war aufwändig als beginge sie demnächst ihre Hochzeit – zumindest kam ihr das so vor. Als wäre es eine Beleidigung, dem Fürsten des Südens in ihren einfachen Bauernmädchenkleidern gegenüber zu treten. Aber gut, es blieb ihr nichts anderes übrig, als mitzuspielen.

Und jetzt saß sie hier und wartete. Und wartete. Und wartete.
 

Die Sonne draußen neigte sich bereits wieder dem Abend zu und sie merkte, dass sie das Zeitgefühl verloren hatte. Sie waren weitaus länger als zwei Tage unterwegs gewesen, aber sie musste zwischendurch irgendwann geschlafen haben, weil sie sich nicht an jede Einzelheit der Reise erinnern konnte. Sie seufzte und ihr Gedanke galt Kohaku, den sie verletzt hatten zurück lassen müssen und auch Sesshōmaru, der wie sie ihn kannte, sicherlich halb wahnsinnig war vor Sorge, auch wenn er sich das nie anmerken ließ. Sie selbst hatte nur, da sie so lange an seiner Seite gewesen war, irgendwann gelernt, wie er zu lesen war.
 

Der Südfürst, wie sie wenig später feststellte, war ein furchteinflößender, grausam wirkender Mann und sie musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht einzuknicken. Vergiss nicht, dachte sie bei sich, du bist hier nicht als Bauernmädchen, sondern als Tochter eines Fürsten, du hast es nicht nötig, auf dem Boden zu kriechen.

Und schon gar nicht, nachdem man sie entführt hatte.

„Ich muss mich für die Unannehmlichkeiten Eurer Reise entschuldigen“, begann er zu sprechen und Rin könnte schwören, dass in seinen Augen ein gewisser Spott aufleuchtete, „Leider war es mir nicht anders möglich, die Wichtigkeit meines Anliegens Eurem Ziehvater gegenüber deutlich zu machen.“

Rin presste die Lippen aufeinander. Sie mochte den Kerl nicht. Diese Art, sich einfach rücksichtslos zu nehmen, was einem beliebte.

Takaitayo schnipste in die Finger und ein Diener brachte Tee. Rin starrte das Schälchen einen Moment an und beschloss ihn nicht anzurühren.

„Darüber steht mir kein Urteil zu“, sagte sie dann leise , obwohl sie ihm am liebsten ein paar wüste Beschimpfungen an den Kopf geknallt hätte. Doch von Sesshōmaru hatte sie gelernt, dass es manchmal klüger war, abzuwarten. Und sich eine Taktik zu überlegen. Eine Taktik mit der sie vielleicht hier heraus kam, ohne, dass Sesshōmaru sich wegen ihr in Feindesland begeben musste.

 

~*~
 

Sesshōmaru wirkte angespannt, das bemerkte sogar Inu Yasha, als sie stillschweigend nebeneinander die Lande durchquerten. Selbst Shippo auf seinem Rücken schwieg und nervte ihn nicht mit seinem ständigen Gequatsche. Inu Yasha riskierte einen unauffälligen Blick zu Sesshōmaru. Er konnte sich nicht helfen, aber er wirkte immer noch mitgenommen und er fragte sich, ob das wirklich nur an Rins Entführung lag, oder ob diese Abtreibung ihn mehr in Mitleidenschaft gezogen hatte, als er zugeben wollte. Kaede hatte ihm mal erzählt, dass manche Frauen, die ein Kind verloren, in Schwermut verfielen, aber Sesshōmaru? Dem merkte man doch nie irgendwelche Gefühlsregungen an.
 

„Hör auf damit“, ereilte ihn plötzlich seines Bruders Stimme und er wandte den Kopf zur Seite um mit einem verwirrten „Was?“ zu antworten.

„Über mich nachzudenken.“

Inu Yasha zuckte ertappt zusammen und ein Hauch von verlegener Röte flammte über seine Wangen. Er ließ sich nur zu einem abfälligen „Keh!“ hinreißen, „Wenn du halt nie irgendwas sagst, kann man ja nur spekulieren.“

Sesshōmaru ließ seinen Ausspruch unkommentiert und Inu Yasha gab es auf.
 

Tatsächlich hatte Inu Yasha mit seiner Vermutung gar nicht so Unrecht. Sesshōmaru war angespannt und das nicht wenig. Er ahnte schon, dass Takaitayo ihm übel zürnte wegen des Welpen. Und er wusste wie hinterhältig und rachsüchtig der Südfürst sein konnte. Wie grausam. Die Entführung seiner Ziehtochter sah ihm ähnlich und Sesshōmaru war verärgert über die eigene Unfähigkeit dahingehend vorausschauende Gedanken zu treffen.

Du bist eben nicht dein Vater!, zischte eine boshafte Stimme in seinem Kopf und er schüttelte denselbigen leicht, wie um eine lästige Fliege zu verscheuchen. Und er zweifelte daran, dass die Idee, die sein Halbbruder da gehabt hatte, wirklich funktionierte, aber aus Ermangelung an Alternativen, hatte er dem wohl oder übel zustimmen müssen.

Und ohne Bakusaiga... nun, er wäre dem Südfürsten sicherlich immer noch überlegen, allerdings würde es vermutlich nicht mehr ganz so einfach, wie er sich das gewünscht hatte. Er hasste es, sich die Hände schmutzig zu machen. Zu schwitzen.

Sesshōmaru verengte die Augen. Takaitayo wollte einen Krieg heraufbeschwören. Er ließ ihm ja gar keine Wahl als irgendwie zu reagieren.

 

~*~
 

„Herr, Sesshōmaru-dono ist hier.“

Ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen. Das war schnell gegangen. Etwas anderes hatte er auch nicht von Sesshōmaru erwartet.

„Ist er allein?“

„Ja, Herr.“

„Gut.“

Der Herr des Südens erhob sich und setzte sich behäbig in Bewegung.
 

Sesshōmaru wartete draußen bei einem Pavillon, bei welchem Takaitayo besondere Gäste zu begrüßen pflegte. Der junge Fürst des Westens verzog keine Miene als Takaitayo vor ihn hintrat.

„Ich freue mich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid.“

„Wenn Ihr eine Kriegserklärung Einladung nennen wollt“, erwiderte Sesshōmaru abschätzig, „Wo ist sie?“

„Es geht Ihr gut.“ Der Südfürst machte eine Bewegung als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen.

„Bringt sie her.“

„Nicht so hastig. Ich glaube nicht, dass Ihr aktuell in der Position seid, Forderungen zu stellen.“

Takaitayo bereitete es eine diebische Freude zu beobachten, wie Sesshōmaru um Fassung bemüht war, um ihm nicht irgendeine wüste Spitzfindigkeit entgegen zu schleudern. Doch die Miene des jungen Dämons blieb letztendlich unbewegt.

„Dann sagt mir, was Ihr wollt“, forderte Sesshōmaru, doch es klang mehr wie ein Befehl als ein Einlenken.

„Nun...“, begann der Südfürst gedehnt und ließ seine Worte vorschnellen, wie einen Pfeil von der Sehne, „zuerst vielleicht möchte ich wissen, warum Ihr meinen Welpen ermordet habt.“
 

Stille senkte sich zwischen ihnen herab und Takaitayo bemerkte mit äußerster Befriedigung , welch wunden Punkt er getroffen hatte.

Zum ersten Mal wirkte Sesshōmaru nicht mehr ganz so unnahbar. Wie auch. Nicht einmal Sesshōmaru war gefeit gegen das Gefühl, einen Teil von sich ausgelöscht zu haben. Ein Gefühl, dass er bis zum jetzigen Moment erfolgreich verdrängt hatte.
 

„Das wisst Ihr ganz genau“, presste Sesshōmaru hervor und Takaitayo hätte schwören können, der junge Fürst wirkte eine Spur blasser. Mochte es etwa sein, dass er sich von den Folgen noch nicht ganz erholt hatte?

„Ländereien gegen ein ungeborenes Leben? Was seid Ihr doch kalt.“

Aus den Worten triefte der blanke Hohn.

„Ihr wisst, dass es um mehr als das geht“, presste Sesshōmaru hervor und spürte plötzlich eine unerklärliche Schuld auf sich lasten.

Er hatte nicht bemerkt, wie Takaitayo näher an ihn heran getreten war. Eine Spur zu nahe. Er streckte die Hand aus und griff nach einer der schweren, seidigen, weißen Haarsträhnen, die er nach vorne zog. Er küsste sie und drückte dann die Nase hinein um den Duft zu inhalieren. Sesshōmaru ließ das mit versteinerter Miene über sich ergehen.

„Euer Geruch...“, sagte Takaitayo gefährlich leise, „ist so erregend... auch außerhalb Eurer Läufigkeit... Ihr werdet mir einen Nachkommen gebären... ich kann diesen Mord nicht akzeptieren.“

„Ihr nehmt Euch Einiges heraus“, erwiderte Sesshōmaru kühl.

„Nun, Ihr hängt doch sehr an der kleinen Rin. Es wäre doch jammerschade, wenn einer meiner Soldaten in einem unbeobachteten Moment...“

„Das wagt Ihr nicht...“ Aus Sesshōmarus Worten war kalte Wut herauszuhören.

Na holla, dachte Takaitayo, als er das Yoki anschwellen spürte, so geladen auf einmal? Das passt nicht zu Euch.

Aber es gefiel ihm, Sesshōmaru die Fassung verlieren zu sehen. Es erregte ihn, so etwas aus dem unterkühlten, jungen Fürsten herauskitzeln zu können. Er dachte daran, wie er sich unter ihm gewunden und geschrien hatte vor Lust und Erregung schoss in seine Lenden.

„Natürlich würde so eine Gräueltat gebührlich bestraft werden. Doch was einst geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen, denkt daran...“

„Ihr widert mich an!“

Blitzschnell stieß Sesshōmarus Giftklaue hervor, doch Takaitayo war ebensoschnell – mühelos und brutal legte sich die kräftige Pranke um Sesshōmarus Unterarm, wobei die Klauen sich in die blasse Haut bohrten und mit einem Ruck zog der Südfürst den wesentlich jüngeren Yōkai zu sich. Die andere Hand, die aus dem Nichts hervorschnellte wurde ebenso mühelos abgefangen.

„Ach, Sesshōmaru, das hatten wir doch alles schon“, höhnte der Südfürst, wobei er seinen Atem gegen Sesshōmarus Lippen blies. „Wieso erspart Ihr uns das nicht und tut einfach brav das was ich von Euch will, hm? Ts... wie kalt ihr jetzt seid... wo Ihr vor Kurzem doch nichts sehnlicher wolltet, als ordentlich zugeritten zu werden!“
 

Ein dröhnendes Lachen und Sesshōmaru hätte ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt, lediglich seine gute Erziehung hielt ihn davon noch ab. Und der Gedanke daran, dass Inu Yasha und Shippo gerade im Schloss waren und Rin finden mussten bevor man darauf aufmerksam wurde, dass Sesshōmaru gar nicht allein gekommen war, wie man es verlangt hatte... so lange Rin in Sicherheit war, war alles andere daneben unbedeutend. Und so lange er das Zeichen nicht spürte, ein ganz kurzes Aufflammen von Yoki, würde er Rins Unbescholtenheit nicht aufs Spiel setzen.

 

~*~
 

Inu Yasha musste gerade alle Beherrschung aufbringen um nicht überhastet durchs Schloss zu eilen. Shippo hatte eine Art Tarnzauber über sie beide gelegt, was so viel hieß wie, dass sie den Geruch der Südhunde angenommen hatten. Der zweite Zauber war ein Verhüllungszauber, der Inu Yasha äußerlich an die Südhunde anglich.

Es hatte ein wenig gedauert, aber er hatte Rins Geruch schließlich unter den vielen fremden Gerüchen ganz schwach herausfiltern können.

„Da vorne!“, wisperte Shippo und Inu Yasha sah auf. Ein Zimmer, streng bewacht, das musste es sein.

Er schnüffelte in die Luft – außer den Wachen und wenigen Dienern war gerade keiner hier in der Nähe. Das war gut. Als Inu Yasha hinspürte, bemerkte er, dass die Wachen nicht über überdurchschnittliche Kräfte verfügten. Es würde also kein größeres Aufstehen erregen, sie zu überwältigen.
 

Rin hörte in ihrem Zimmer lediglich ein Rumpeln und Geräusche, die sich wie Schläge anhörten, ehe die Türe hastig aufgestoßen wurde, was die alte Dienerin neben ihr gehörig erschreckte.

„Inu Yasha!“, rief sie verblüfft und freudig aus, wobei sie aufsprang und ihrem Onkel stürmisch um den Hals fiel.

„He, geht’s dir gut?“

Rin nickte bekräftigend. „Mir hat keiner weh getan. Nur einen gehörigen Schrecken hatte ich, als... ist Sesshōmaru-sama auch hier?“, fügte sie dann hinzu und wirkte reichlich besorgt dabei.

„Er ist bei Takaitayo und lässt ihn in dem Glauben, dass er alleine gekommen ist – komm, wir müssen zusehen, dass wir hier verschwinden!“, schob er rasch hinterher und drängte Rin zur Eile. Doch ihre Sorge war ihm nicht verborgen geblieben.

„Rin, du weißt wie stark er ist. Ihm wird schon nichts passieren...“

Rin nickte und schwieg, aber sogar Inu Yasha spürte, dass sie nicht so ganz überzeugt war. Darum konnte er sich jetzt aber nicht kümmern. Er musste die Kinder schleunigst hier rausbringen, ehe man sie doch noch entdeckte und erst als er mit einem großen Satz über die Wachen hinwegsprang, die am Hoftor positioniert waren, fiel die Anspannung von ihm ab.

Er ließ sein Yoki ansteigen, so wie sie es abgesprochen hatten. Sie hatten abgemacht, dass er mit den Kindern vorging und Sesshōmaru sie später einholte, doch irgendetwas ließ Inu Yasha plötzlich inne halten. Irgendein ungutes Gefühl. Hastig leckte er sich über die Lippen und wandte sich dann zu Shippo. „Bring Rin zu dem Versteck, das wir vorbereitet haben, ich werd mal nach dem Rechten sehen.“

Shippo lag ein Protest auf der Zunge aber als er Inu Yashas steinerne Miene sah, schluckte er den herunter und nahm Rin bei der Hand.

„Los, komm!“
 

Kaum waren Shippo und Rin zwischen den Bäumen verschwunden, spürte Inu Yasha einen jähen Anstieg zweier Yokis und er wirbelte herum, nur um im nächsten Moment zwei riesenhafte Hunde – einer weiß, einer schwarzbraun am Himmel über sich hinwegspringen zu sehen. Das Knurren, das beide dabei ausstießen, war ohrenbetäubend und wütend.

„Verdammt!“, fluchte Inu Yasha, „Und da heißt es, ich würde immer alles eskalieren lassen!!!“

Dann setzte er sich in Bewegung um den beiden zu folgen, was gar nicht so einfach war – und selbst wenn er dann wieder einen herablassenden Kommentar von Sesshōmaru kassierte, er hatte einfach kein gutes Gefühl, den Älteren alleine mit diesem dubiosen Südfürsten zu lassen. Der Südfürst, unter dem er gelegen hatte, sich windend, stöhnend, die sonst so kühlen blassen Wangen überzogen von Luströte und... Inu Yasha spürte sein Gesicht heiß werden und sah sich hastig um, wie als hätte jemand, der neben ihm stand, seine Gedanken erraten können. Besser, er dachte über solche Sachen nicht nach. Denn der Gedanke erfüllte ihn nicht nur mit Scham, er machte ihn aus irgendeinem Grund auch sehr wütend.
 

Ein schmerzerfülltes Aufjaulen riss ihn jäh aus seinen Gedanken und als er wenig später zwischen den Bäumen auf eine Lichtung hervorbrach, sah er gerade noch, wie die zwei ineinander verkeilten Hunde zur Erde stürzten und beim Aufprall eine Menge Staub aufwirbelten. Er roch Blut und sah kurz darauf die dunkelroten Flecken, die das weiße Fell bereits verklebten, die Fänge, die sich tief in das weiche Fleisch gebohrt hatten an der Stelle zwischen Hals und Schulterblatt – und Inu Yasha erkannte, dass Sesshōmaru sich nicht würde befreien können, ohne sich selbst die Halsschlagader aufzureißen – nicht bei diesem Eisengebiss.

„Scheiß auf deinen Stolz“, knurrte er wütend und gab sich dann zu erkennen.

„Hey!“, schrie er, während er sein Schwert „Takaitayo! Weg von ihm, oder Tessaigas Klinge wird nur zu gerne an dir lecken! Und glaub mir, ich kann gut genug damit zielen um ihn nicht zu verletzen!“

Die Köpfe beider Dämonenhunde ruckten in Inu Yashas Richtung und Sesshōmaru gab einen warnenden Knurrlaut von sich, doch Takaitayo war schneller – er ließ Sesshōmaru los und machte einen gewaltigen Satz auf Inu Yasha zu, welcher die Augen verengte.

„Glaub mir, ich hab schon ganz andere als dich platt gemacht!“, knurrte der Hanyō und ein überhebliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Kaze no Kizu!“, brüllte er gereizt als er den Hund auf sich zuspringen sah und ließ im nächsten Moment die Energie der Attacke frei, spürte das anregende Kribbeln, als sie seine Hand verließ und – Takaitayo wich ihr einfach aus – lediglich ein paar schwarze Fellspitzen rieselten zu Boden.

„Was – wie...!?“, entfuhr es dem Hanyō verblüfft und er konnte gerade noch so dem riesenhaften Hundemaul ausweichen, das wie eine Bärenfalle zusammenschnappte und an seiner statt einen aus dem Boden ragenden Felsen zerbersten ließ – aus dem Augenwinkel bemerkte Inu Yasha, wie der Geifer, der von den Lefzen troff die Reste des Felsens einfach auflöste und einen flüchtigen Moment sah er sich an Sesshōmarus Giftklaue erinnert, die ihm einst vorübergehend das Augenlicht genommen hatte.
 

Der Südfürst war schnell – sehr schnell und Inu Yasha hatte seine liebe Not damit, auszuweichen und genug Raum zwischen ihnen beiden zu schaffen, um eine erneute Attacke Tessaigas einzusetzen und plötzlich... plötzlich sah er dem weit geöffneten Maul entgegen und es war zu spät auf diese kurze Distanz Kaze no Kizu einzusetzen – Inu Yasha ließ Tessaiga ins Gras fallen, wo es sich in das alte schartige Schwert zurückverwandelte, das es nach außen hin war und stemmte beide Arme je einmal gegen die Eckzähne des Ober- und Unterkiefers. Eine gewaltige Kraft wirkte auf ihn ein und Inu Yasha ächzte angestrengt, während ihm die Muskeln zitterten und zum ersten Mal wünschte er sich die kraft eines Yōkai zu besitzen, denn lange, so ahnte er, würde er das hier nicht durchhalten.

Seine Muskeln brannten wie Feuer und der Schweiß rann ihm in Strömen und als er schon dachte, gleich im Magensaft eines Dämonenhundes zu baden, erschlaffte der Hundekörper plötzlich und wurde von ihm weggeschleudert, sodass Inu Yasha wieder den blauen Himmel über sich sah – und schrie im nächsten Moment erschrocken auf, als das nächste Hundemaul Kurs auf ihn nahm.
 

Erschöpft langte er nach Tessaiga, doch der erwartete Schmerz blieb aus. Sesshōmaru umfasste ihn lediglich mit dem Maul ohne ihn jedoch zu verletzen und im nächsten Moment fand er sich zwischen seidenem weißen Fell wieder, unter welchem er die Muskeln arbeiten spürte und noch ehe er realisiert hatte, was hier gerade passierte, verloren sie die Bodenhaftung und Inu Yasha spürte wie sie steil in die Luft hinauf stiegen.

Instinktiv krallte er sich in zwei Fellbüscheln fest und staunte darüber, wie klein die Bäume von hier oben aussahen. Nicht zum ersten Mal beneidete er seinen Bruder um seine dämonische Gestalt, diese Fähigkeit, so losgelöst über der Erde dahin zu gleiten... das fühlte sich nach Freiheit an. Einen Moment hätte er beinahe vergessen, warum sie eigentlich hier waren.

Sein Blick fiel auf Sesshōmarus Verletzungen. Tiefe Bisswunden. War das normal, dass sie noch nicht begonnen hatten, zu heilen?

Inu Yasha fuhr abwesend mit den Händen durch das weiße Fell. Wie unglaublich weich es war. Er konnte sich daran erinnern, als er ein Kind gewesen war und seinen älteren Bruder das erste Mal in dieser Gestalt gesehen hatte, da hatte er sich sehnsüchtig gewünscht, auch nur einmal durch das weiche Fell kraulen zu dürfen. Doch Sesshōmaru hatte ihm recht bald gezeigt, dass er es nicht wert war auch nur in seine Nähe zu kommen.

Inu Yasha schüttelte den Kopf. Das hatte hier nichts verloren. Sie mussten sich jetzt erstmal darauf konzentrieren unversehrt ins Westreich zurück zu gelangen.
 

Sesshōmaru steuerte nach einer Weile den Wasserfall an hinter dem die Höhle lag in der Shippo und Rin sich versteckten – Inu Yasha spürte kaum, wie der Yōkaihund auf der Erde aufsetzte. Er glitt augenblicklich von Sesshōmarus Rücken, woraufhin der sich schließlich langsam zurück verwandelte.

Inu Yashas Blick verdüsterte sich. Sesshōmarus Harnisch war zersprungen, die Schulterdornen gänzlich heruntergebrochen und die tiefe Wunde zwischen Hals und Schulterblatt, aus der noch immer ein wenig frisches Blut pulsierend nachrann, hatte den Haori blütenförmig rot gefärbt. Ebenso sah es mit einer Verletzung an der Hüfte aus und – was Inu Yasha aus irgendeinem unerfindlichen Grund am schlimmsten fand – das weiße Haar war stellenweise vom Blut völlig verklebt und wirr.

„Starr nicht so“, blaffte Sesshōmaru ihn an und Inu Yasha zuckte ertappt zusammen, nur um daraufhin schnaubend zu grollen: „Hast du dich mal angesehen? Du siehst aus wie ein blutrünstiger Berserker, der gerade gewütet hat!“

„Du hattest schon immer einen Hang zur Übertreibung“, erwiderte der Ältere und Inu Yasha fühlte sich irgendwie belächelt.

„Bitte“, sagte Inu Yasha, „dann sieh dein Spiegelbild im See an und du wirst mir zustimmen.“

Sesshōmaru starrte ihn einen Moment an und Inu Yasha hätte seinen Arsch darauf verwettet, dass er erstmal eine Standpauke bekam, was ihm denn überhaupt einfiele, dem großen unfehlbaren Sesshōmaru Befehle zu erteilen, doch die blieb aus. Stattdessen beugte sich der Yōkai tatsächlich über das Wasser, um sein Spiegelbild zu betrachten... und schwieg erstmal.

Inu Yasha rollte die Augen. „Siehst du! Willst du so etwa vor die Kinder hintreten? Die kriegen den Schreck ihres Lebens.“

Zugegeben, da hatte Inu Yasha nicht so ganz Unrecht.

„Wie dir vielleicht aufgefallen sein dürfte, führe ich gerade keine Garderobe mit Wechselkleidung bei mir.“

„Spar dir mal deinen Zynismus und zieh den Haori aus, ich hab ne Idee.“

Eine feingeschwungene Augenbraue wanderte in die Höhe, ein Kommentar dazu blieb jedoch aus und Sesshōmaru tat, was Inu Yasha gefordert hatte.

„Komm“, meinte der und machte mit einer Hand eine lockende Handbewegung zum Wasser.

„Das Blut muss aus den Haaren raus.“ Dabei zog Inu Yasha das Oberteil seines Suikan aus und ließ es neben Tessaiga ins Gras fallen – das untere Hemd folgte, damit es nicht nass wurde.

Sie gingen etwa hüfthoch in das kalte Wasser hinein und Inu Yasha griff nach der schweren Haarpracht um das teilweise schon geronnene Blut daraus zu entfernen. Das war eine mühselige Arbeit, er kannte das von sich selbst und wusste noch, wie dankbar er gewesen war, wenn Kagome oder ein anderer seiner Freunde das für ihn erledigt hatte.
 

Inu Yasha ging dabei sehr gründlich vor – vielleicht gründlicher als es nötig gewesen wäre, denn irgendwie ...gefiel ihm das Gefühl der schweren glatten Haare in seinen Händen. Sesshōmaru hatte so schönes Haar, während seine eigene Mähne eher etwas störrisch war. Aber das passte wohl zu seinem Charakter – hatte Kagome mal im Scherz gesagt. Er musste schmunzeln bei der Erinnerung, wurde aber sogleich wieder ernst. Es war irgendwie ein merkwürdiges Gefühl, Sesshōmaru so nahe zu sein, ohne dass der ihm an die Gurgel wollte. Inu Yasha schluckte, seine Hände zitterten plötzlich. Konzentrier dich, schalt er sich, du hast vorhin auf ihm drauf gesessen ohne dass dir so komisch geworden ist!

Bald hatte er den letzten Rest Blut aus der langen Haarpracht herausgeribbelt, doch anstatt die letzte dicke Strähne loszulassen... schloss er die Augen und vergrub heimlich die Nase darin. Er verdrehte unter den geschlossenen Lidern die Augen als ein überwältigender Duft ihn ereilte – und plötzlich spürte er mit Entsetzen, dass er hart war. In seinen Lenden zog es verlangend und wie von der Tarantel gestochen sprang Inu Yasha auf.

„Ich bin fertig!“, japste er mit sich überschlagender Stimme und sprang auf um zu der Kleidung zu eilen – er zog das weiße Hemd wieder drüber – ein wenig schlampig – und sagte dann zu Sesshōmaru: „Hier, zieh das drüber, das sollte es vorübergehend tun, bis wir im Westschloss sind!“

Dabei warf er ihm den roten Feuerrattenmantel zu, den Sesshōmaru kommentarlos auffing und schließlich mit geschickten Handgriffen überzog.
 

Während sie zu der Stelle gingen, an welcher sich Shippo und Rin verborgen hatten, klopfte Inu Yasha das Herz bis zum Halse. Hoffentlich hatte Sesshōmaru mit seiner feinen Nase nichts von seiner Erregung gemerkt, das wäre... irgendwie peinlich. Vor allem, weil er sich das selbst nicht erklären konnte. Das war doch früher nicht dagewesen... oder?

Nun, wenn Sesshōmaru es gemerkt hatte, dann war er zumindest diskret genug, ihn nicht darauf anzusprechen. Aber diese Ungewissheit...

„Sesshomaru-sama!“ Rins Stimme drang durch die kleine Höhle – sie war aufgesprungen und ihnen entgegen geeilt.

„Es freut mich, dass Ihr wohlauf seid!“

Sesshōmaru ließ sich dazu hinreißen, der jungen Frau über den dunkelbraunen Haarschopf zu streichen.

„Du hast ein ziemliches Chaos verursacht“, sagte er dann, klang dabei jedoch nicht halb so streng wie er sich das gewünscht hätte und Inu Yasha sah in eine andere Richtung um sein Grinsen zu verbergen.

Rin blickte Sesshōmaru schuldbewusst an. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass der Ort, wo ich die Kräuter suchte, gefährlich ist.“

„Nun, ich fürchte, dass mittlerweile sogar Musashi gefährlich ist“, erwiderte der Daiyōkai ernst und sprach dann einen Gedanken aus, den er schon oft hin- und hergewälzt und schließlich doch verworfen hatte.

„Wie … würde es dir gefallen, eine Weile im Schloss des Westens zu leben? Du könntest der Heilerin Homoto zur Hand gehen und von ihr lernen.“

Rins Augen fingen an, zu leuchten.

„Im Schloss? Ich? Ohh, das wäre... fantastisch! Kaede-Baba erzählte von dem uralten Wissen, das die Youkai Heiler mit sich herumtragen...“

„Aber Rin Onee-chan, hast du keine Angst so allein unter lauter Yōkai?“, piepste Shippo, der die Vorstellung, dass Rin nicht mehr im Dorf leben sollte, wo er sie problemlos sehen konnte, gar nicht so toll fand.

Rin machte eine wegwerfende Handbewegung. „Iwo! Sesshōmaru-sama, du und Jaken seid doch auch Yōkai und vor euch hab ich auch keine Angst! Nur... Sesshomaru-sama? Darf Kohaku-kun mich ab und zu besuchen?“

Inu Yasha biss sich auf die Unterlippe und studierte verstohlen seines Bruders Mimik bei dieser Bitte. Er konnte sich vorstellen, dass der verehrte Herr Daiyōkai nach den vorangegangenen Ereignissen nicht sonderlich gut auf Kohaku zu sprechen war.

„Das... ist eigentlich... nicht … vorge...“ Er unterbrach sich selbst mit einem Seufzen. „Wenn es denn unbedingt sein muss.“

Inu Yasha musste lachen und versuchte das in einem unbeholfenen Hüsteln zu kaschieren, woraufhin Sesshōmaru ihm einen strafenden Blick zuwarf. Was denn? War doch zu amüsant, zu beobachten, wie der ansonsten so unterkühlte Dämon sich dem Charme seiner menschlichen Ziehtochter so hilflos ausgeliefert sah.
 

Sie machten sich schließlich recht bald auf den Rückweg. Sesshōmaru wollte aus dem Südreich draußen sein, ehe man ihre Fährte doch noch aufnahm – Shippos Zauber hielt nämlich auch nicht unendlich, außerdem war der Fuchswelpe alsbald sehr erschöpft, das war spürbar im Flackern seines Yoki.

Apropos erschöpft, dachte Inu Yasha mit einem verstohlenen Blick zu Sesshōmaru, Kann es sein, dass es ihn mehr Kraft gekostet hat, als er sich eingestehen will? Verdammter stolzer Hund! Bei dem braucht man doch einen Gedankenleser. Pah! Erst geschwächt von der Abtreibung, jetzt der Kampf mit diesem Takaitayo. Und nein, ich mache mir keine Sorgen! Aber die Verletzungen waren tief und da war auch irgendein komischer Geruch, der …

Inu Yasha blinzelte. Wieso war ihm das vorher nicht aufgefallen? Es hatte nicht nur nach Blut gerochen, sondern auch nach … ja was? Der Geruch war fremd gewesen. Vielleicht hatte er sich das auch einfach nur eingebildet. Ja, so musste es sein. Ganz bestimmt. In diesem fremden Reich gab es fremde Gerüche und seine Nase hatte ihm wohl einen Streich gespielt.

Ein leises Knurren lenkte kurz die Aufmerksamkeit der anderen auf ihn.

„Ist alles in Ordnung, Inu Yasha?“, murmelte Shippo schläfrig, der sich auf seinem Rücken festklammerte.

„Jaja“, murmelte der Hanyou abwesend und versuchte sich wieder auf seinen Weg zu konzentrieren.

 

~*~
 

Zurück im Westschloss wurde Rin in großzügigen Gemächern untergebracht. Da Sesshōmaru sie nicht gänzlich im Schloss einsperren wollte, wies er den engsten Vertrauten unter seinen Generälen, Akira-O an, in so einem Fall für ihre Sicherheit zu sorgen, indem er sie persönlich begleitete.

Kurz darauf wies er an, seine Berater und Generäle zusammen zu rufen – Inu Yasha hätte nur zu gerne Mäuschen gespielt aber Sesshōmaru hätte ihm mit Sicherheit was gehustet, wenn er den Wunsch geäußert hätte, dabei zu sein. Er verzog bei der Vorstellung das Gesicht und äffte im Geiste die Stimme seines Halbbruders nach: 'Hn, was denkst du dir eigentlich' Ein verlauster Hanyō hat hier nichts zu suchen. Kümmere dich um deine Angelegenheiten – such im Müll nach Essen oder so'

Inu Yasha entfuhr ein Lachen, bei der Vorstellung, dass sein feiner Herr Bruder solch ein Vokabular in den Mund nahm, woraufhin Shippo, der sich seit sie hier angekommen waren an seine Beine drückte, ihn etwas skeptisch anschaute.

„Ist wirklich alles in Ordnung? Du benimmst dich merkwürdig....“

„Ach, halt doch deinen vorlauten Schnabel“, grollte Inu Yasha und musste sich beherrschen dem Kleinen nicht wie früher eine auf den Kopf zu verpassen. Dann seufzte er: „Eigentlich könnten wir uns langsam mal hier verkrümeln, hm? Es gibt hier nichts mehr zu tun...“

Und weil Shippo aus irgendeinem Grund irgendwie traurig wirkte, ließ Inu Yasha sich zu einem Lob hinreißen, das ihm unter normalen Umständen vermutlich im Halse stecken geblieben wäre.

„Das hast du heute übrigens wirklich gut gemacht.“

Shippo schaute ihn mit großen Kulleraugen an und eine feine Röte machte sich auf den Kinderwangen breit. „W-wirklich?“

Inu Yasha lächelte ihn gezwungen an. „Wirklich.“

Shippo schien sich wirklich über dieses kleine Lob zu freuen, Inu Yashas Lächeln jedoch verblasste bald. Sorge um Sesshōmaru drängte sich mit einer nervigen Hartnäckigkeit in seinen Geist. Und dann war da noch etwas anderes. Es war beinahe wie eine Offenbarung als Shippo und Sesshōmaru gleichzeitig durch seine Gedanken geisterten.

War das am Ende die Lösung?
 

„Sag mal...“, sagte er schließlich langsam und ging in die Hocke, damit er auf Augenhöhe zu dem Fuchswelpen war, „wie würde es dir gefallen, eine Weile mit Rin hier im Schloss zu bleiben? Vielleicht könntest du hier auch ein paar Grundlagen des Schwertkampfes lernen.“

Inu Yasha dachte an seine eigenen kläglichen Versuche, diese Aufgabe zu übernehmen, aber Shippo, er und vermutlich auch der Rest der Dorfgemeinschaft waren einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass er als Lehrer eine absolute Vollkatastrophe war. Wie konnte man auch etwas lehren, das man selbst nicht wirklich gelernt hatte?

Shippos Augen begannen augenblicklich zu leuchten. „Aber... meinst du, Sesshōmaru-dono würde das erlauben?“

Inu Yasha zuckte mit den Schultern und verwuschelte Shippo den roten Haarschopf. „Ich kann nichts versprechen, aber fragen kostet ja nichts, hm?“
 

Inu Yasha fühle sich längst nicht so souverän, wie er sich vor Shippo gegeben hatte. Aber jetzt hatte er seine Klappe nunmal aufgerissen. Außerdem war das vielleicht auch ein guter Vorwand um nochmal nach Sesshōmaru zu sehen.

Nachdem die Wachen ihm Platz gemacht hatten, wartete er nach seinem Klopfen keine Antwort ab, sondern riss einfach die Türe auf.

„Sesshōmaru?“

„Warum klopfst du an, wenn du ohnehin nicht vorhast, dich an die Etikette zu halten?“, ereilte ihn die zurechtweisende Stimme seines Bruders. Inu Yasha rollte mit den Augen und trat dann näher zu Sesshōmaru heran, welcher vor einem Spiegel stand und eine Stelle an der freigelegten Schulter betrachtete, die sich violett verfärbt hatte.

„Was ist das?“, wollte Inu Yasha misstrauisch wissen und augenblicklich nahm der diesen Geruch wieder wahr. Natürlich – eine Vergiftung.

„Das ist gar nichts“, erwiderte der Ältere und rückte seinen Haori zurecht.

„Was willst du?“

Inu Yasha hätte beinahe vergessen, was er hier gewollt hatte und ehe es hätte peinlich werden können, fiel es ihm gerade noch rechtzeitig ein.

„Es geht um Shippo“, sagte er ernst, „Ich... hab mich gefragt, ob es hier vielleicht Verwendung für ihn gibt. Wir haben schon länger darüber gesprochen, dass es nicht verkehrt wäre für ihn, wenn er eine Weile unter... naja, Yōkai lebt. Er könnte vielleicht ein wenig im Schwertkampf unterrichtet werden oder sowas... Ich fürchte, im Dorf fühlt er sich manchmal etwas verloren...“

„Hm, nun... wenn er mit den anderen Welpen mithalten kann, wüsste ich keine Einwände dagegen. Überlege jedoch gut, worum du mich bittest. Hier zu lernen, kann hart sein, vor allem für jemanden, der keine Erfahrung hat...“

„Shippo ist zäh, der beißt sich schon durch... außerdem... naja... ich glaub... aus irgendeinem unerfindlichen Grund... bewundert er dich … seit du ihn gerettet hast, fragt er mich ständig nach irgendwelchen Sachen, die mit dir zu tun haben... natürlich ganz beiläufig... Das Ding ist nur, ich kenn dich im Grunde so wenig, dass ich ihm auf die meisten Sachen keine Antwort geben kann...“, schloss Inu Yasha mit einem schiefen Grinsen und zuckte mit den Schultern.

Ein eigentümliches Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.

„Rin wird sich sicherlich freuen, jemand Vertrauten hier zu haben“, sagte Sesshōmaru nach einer Weile und hatte selbst das Gefühl, er sagte es nur um irgendetwas zu sagen. Inu Yashas Gesicht verschwamm plötzlich vor seinen Augen. Er versuchte, den Schwindel wegzublinzeln.

Inu Yasha hatte irgendetwas gesagt, doch er hatte ihn nicht gehört.

„Wie bitte?“

„Ich hab dich gefragt, ob alles in Ordnung ist!“, sagte der Hanyou eine Spur lauter und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Es geht mir gut.“ Das hatte beinahe trotzig geklungen.

Im nächsten Moment sackte Sesshōmaru in Inu Yashas Armen zusammen.

Der Geschmack von Milch und Mondlicht

Inu Yasha fühlte sich zurück erinnert an den Tag als er das erste Mal hierher gekommen war und Sesshōmaru kurz nach der Abtreibung hier vorgefunden hatte.

Etwas nervös und ungeduldig trappte er mit den Fingern über seine Oberschenkel, während die Heilerin eine Untersuchung vornahm.

Sesshōmaru war wieder zu Bewusstsein gekommen, wirkte sichtlich verstimmt über den Umstand in Gegenwart seines jüngeren Bruders eine derartige Schwäche gezeigt zu haben, doch darauf, so beschloss Inu Yasha, würde er keine Rücksicht nehmen.

„Das Gift der Südhunde ist heimtückisch“, erklärte Homoto dann, nachdem sie die violette Linie auf Sesshōmarus Haut nachverfolgt und den Puls gemessen hatte, „wenn es auch nur eine winzige körperliche Schwäche gibt, sucht es danach und gräbt sich hinein. Offensichtlich ist es eines der Gifte, die Euer Körper nicht neutralisieren kann.“

„Was bedeutet das jetzt?“, fragte Inu Yasha konsterniert.

„Das bedeutet“, antwortete Sesshōmaru selbst, als wäre das eine unglaublich dumme Frage gewesen, „dass es ein wenig länger braucht als unter normalen Umständen.“

„Ich könnte es mit einem Aderlass beschleunigen“ meinte die Heilerin dann, „Und ein Mittel gegen das Fieber zubereiten. Wollen wir hoffen, dass wir es rechtzeitig eindämmen können. Ihr hättet gleich zu mir kommen sollen und nicht erst Euren Beraterzirkus abhalten.“

Homotos Stimme klang vorwurfsvoll und zurechtweisend und Inu Yasha war sich ziemlich sicher, dass die Alte sich jetzt die Kopfwäsche ihres Lebens abholen durfte, doch... zu seiner Verblüffung geschah überhaupt nichts. Keine Gegenwehr, kein Wort der Beschwerde.

Na sieh mal einer an, dachte Inu Yasha, von der lässt du dir tatsächlich was sagen. Gut zu wissen.

Dabei beobachtete er mit Argusaugen, wie die Alte mit geübten Händen eine Art... Nadel?, die innen hohl zu sein schien und so etwas, wie ein Ventil auf einer Seite hatte präparierte und sie mit einer flinken Bewegung in Sesshōmarus Haut stach, nahe an der Armbeuge. Inu Yasha verzog dabei leicht das Gesicht und rieb sich unbewusst über die eigene Armbeuge.

Homoto stellte eine Schale darunter und öffnete dann die Kanüle. Inu Yasha war der Geruch von Blut natürlich nicht unbekannt, aber irgendwie wurde ihm gerade ein wenig anders. Als er dann noch das leise Geräusch hörte, wie das Blut in die Schale plätscherte, hätte er sich am liebsten übergeben.

Bemüht um Beherrschung sah er beiläufig in eine andere Richtung.

Um sich irgendwie abzulenken, stellte er sich kurz vor, wie es gewesen wäre, wenn er selbst hier aufgewachsen wäre. In einem Schloss, sich nicht täglich durchschlagen müssen in einer Welt die voller Verbrecher und Monster war. Und nicht diese ständige Einsamkeit, ehe Kikyo gekommen war. Und später Kagome und seine anderen Freunde. Der Hanyō schüttete den Kopf. Das war so lange her. Woher kam plötzlich nur dieser Groll?
 

„Sagt mal, wie viel müsst Ihr ihm denn abzapfen, reicht das nicht langsam?“, platzte es schließlich aus Inu Yasha heraus, nachdem er mehr zufällig einen erneuten Blick auf die Schüssel geworfen hatte, die beinahe voll war.

„Ihr müsst nicht beunruhigt sein, Inu Yasha-sama, ich weiß, was ich hier tue...“

„Das weiß sie immer“, fügte Sesshōmaru mit süß-säuerlicher Stimme hinzu, wobei er Inu Yasha einen vielsagenden Blick zuwarf, den der von seinem Bruder so gar nicht kannte und es brachte ihn unwillkürlich zum Grinsen.

Der Ältere der Brüder zuckte jäh zusammen als die Alte etwas grob an der Nadel zog, um sie zu entfernen, sie sparte sich jedoch einen Kommentar dazu. Dann überprüfte sie noch einmal die Vergiftung, die merklich unter der Haut verblasst war und legte schließlich die Fingerspitzen an Sesshōmarus Wange um die Temperatur zu messen.

„Das Fieber ist moderat. Hoffen wir, dass es nicht ansteigt. Ihr müsst jetzt ruhen..“
 

Inu Yashas Blick ruhte nachdenklich auf den entspannten Zügen Sesshōmarus. So im Schlaf wirkte er gar nicht so kühl und unnahbar. Irgendwie weicher, jünger als er tatsächlich war.

„Ihr könnt hier gerade nichts mehr tun“, sagte die Heilerin mit freundlicher Stimme.

„Scheucht Ihr mich grade hier raus?“

Die Alte lachte leise. „Seht es wie Ihr wollt. Ich an Eurer Stelle würde die Gelegenheit nutzen, mich ein Bisschen hier im Schloss umzusehen.“

Dabei zwinkerte sie ihm zu und aus irgendeinem Grund schlug Inu Yashas Herz ein paar Takte schneller.

„Der Westflügel dürfte dabei von besonderem Interesse für Euch sein...“
 

Inu Yasha fühlte sich als täte er etwas Verbotenes, als er so durch die Gänge stromerte. Man warf ihm Blicke zu, aber es waren nicht die Art von Blicken, mit denen er gerechnet hatte, mehr neugierig und ja... sogar freundlich? Das war ungewohnt und er fühlte sich irgendwie nervös. Der Westflügel. Warum wohl war der so besonders? Elende Neugier!

Ihm fiel bald auf, dass, je näher er dem Westflügel kam, ihm weniger Diener und anderes Schlosspersonal entgegenkam.

An einem Durchgang stand eine Wache, doch die schien ein kleines Nickerchen zu machen. Offensichtlich verirrten sich hier so wenige in diesen Teil des Schlosses, dass das verschmerzbar war. Inu Yasha zuckte mit den Schultern und spazierte einfach an dem leise schnarchenden Mann vorbei.
 

Er passierte helle, lichtdurchflutete Gänge und je weiter er vordrang, desto stiller wurde es. Beinahe angenehm still. Weitaus weniger Gerüche begegneten ihm hier. Sesshōmarus war hier sehr dominant, aber noch ein anderer, sehr schwacher.

„Hm...“, machte Inu Yasha konzentriert und folgte der Spur dorthin, wo sie am stärksten war. Er rechnete felsenfest damit, dass die große Türe verschlossen war, doch sie gab nach und ohne es zu wissen, stand Inu Yasha im nächsten Moment im Arbeitszimmer seines Vaters. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich gleich wohl hier und irgendwie geborgen. Die Fenster waren klar und weitläufig und Inu Yasha murmelte vor sich hin: „Ob er die Abendsonne mochte?“ Ein plötzlicher Stich in der Brust und er schüttelte hartnäckig den Kopf. Als ob er noch sentimental würde, pah!

Um sich von diesem Gefühl abzulenken, schlenderte Inu Yasha durch den weitläufigen Raum, blieb unschlüssig vor dem großen Schreibtisch mit seinen Schränkchen hintendran stehen. Die Schubladen zogen ihn magisch an. Sollte er...?

Inu Yasha zuckte mit den Schultern und zog dann aufs Geratewohl die erstbeste Schublade auf – und wurde bitterlich enttäuscht, denn außer ein paar Federkielen und eingetrockneten Tintenfässchen, sowie vergilbtem leeren Pergament war dort nichts vorzufinden.

„Warum hebt Sesshōmaru denn so einen Schrott auf?“, brummte er gelangweilt und zog nacheinander die nächsten drei Schubladen auf.

„Ah“, machte er und hob einen Stapel Bilder heraus, die auf Stoff gemalt waren. So etwas kannte er noch dunkel aus dem Haus in dem er mit seiner Mutter gelebt hatte.

Er hockte sich im Schneidersitz vor den Schreibtisch, auf welchem, wie er bei näherem Hinsehen erkennen konnte, ein riesiger Tintenfleck war, und legte den Bilderstapel darauf ab.

Das erste Bild zeigte einige Inuyōkai, die Inu Yasha nicht kannte, aber sogar sein ungeübtes Auge erkannte, dass da ein wahrer Malermeister am Werk gewesen sein musste. Die Personen auf dem Bild wirkten sehr echt.

Das zweite zeigte Izayoi. Ein liebevoll-trauriges Lächeln stahl sich auf Inu Yashas Lippen und er strich sanft mit dem Zeigefinger über das gemalte Antlitz. Wie jung und schön sie aussah, nicht gezeichnet und zerrissen von dem Schmerz über den Verlust ihres Liebsten und die Behandlung, die man ihrem geliebten Kind angedeihen ließ.

Wäre ich nicht gewesen, wären sie beide noch am Leben..., ging es ihm nicht zum ersten Mal durch den Kopf und im nächsten Moment: Ging es Sesshōmaru vielleicht damals gar nicht um Tessaiga?

Inu Yasha legte das Bild beiseite.

Das nächste zeigte den Inu no Taishō, die Inu no Kami und ein, wie es schien neugeborenes Baby, das in den Armen der Hundefürstin schlummerte. Der Inu no Taishō hatte liebevoll den Arm um die schöne Yōkai gelegt und ein glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen. Es wirkte einträchtig, friedlich.

Und du hast alles zerstört, rief die fiese Stimme schon wieder.

Das nächste Bild zeigte zwei Yōkaihunde, einen Großen und einen Welpen beim Spiel, Hintergrund war eine schöne Waldlandschaft mit einem glutroten Sonnenuntergang.

Mehr durch Zufall drehte er es um und dort stand mit kleiner krakelig wirkender Handschrift, die Inu Yasha irgendwie an seine eigene erinnerte: „Sess-chans erstes Abenteuer.“

Ein Glucksen wand sich aus Inu Yashas Kehle und er formte lautlos mit den Lippen: „Sess-chan.“

Auf dem nächsten war ein Kleinkind zu sehen – das weiße Haar fiel in weichen Locken um das runde Gesicht und die blassgoldenen Augen waren schielend zur Nase verdreht auf welcher sich ein großer blauer Schmetterling niedergelassen hatte.

Das Bild sah er sich etwas länger an und versuchte dabei, irgendeine Verbindung zu dem ernsten, unterkühlten Erwachsenen herzustellen, den er kannte, doch es gelang ihm nicht.

Inu Yasha schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Was ist bloß mit dir passiert, dass du so geworden bist...?“

Das folgende Bild zeigte einen Jungen im Alter von etwa 10 bis 12 Jahren, der hochkonzentriert eine Schwertübung ausführte. Die Kleidung war einfach und locker, die Hosen an den Waden gebunden, oben noch ohne Harnisch. Das Haar war hochgebunden, so wie es der Vater getragen hatten und obwohl die Züge noch kindlich anmuteten, ließen sie schon die feingeschnittenen Züge erahnen, die der Erwachsene später einmal ausbilden würde, ebenso der schlanke, hochgewachsene Körperbau.

Es folgte ein Bild, auf welchem vier Yōkai zu sehen waren: Der Inu no Taishō, eine schlanke Yōkai mit ungewöhnlich rotem Haar und stechendem Blick, ein stämmiger, bärbeißig wirkender älterer Yōkai in Felle und altmodische Rüstung gehüllt und... Takaitayo. Bei Letzterem verdüsterte sich Inu Yashas Blick. Er hasste diesen Kerl so unglaublich, dass es schon gar keinen Ausdruck mehr dafür gab.

Er drehte das Bild um und las: „Die vier Daiyōkai aller Lande.“

Auf dem nächsten waren Sesshōmaru und sein Vater, beide in voller Rüstung – es war eine andere als die, die Sesshōmaru heute trug, sie war mehr der des Vaters nachempfunden. Das Haar war zu einem Zopf geflochten, die hohen Wangenknochen, die sich schon deutlich mehr herausgebildet hatten unterstrichen den ernsten, beinahe teilnahmslosen Blick.

Mit einem kurzen Blick auf die Rückseite stellte Inu Yasha fest, dass Sesshōmaru nach der Datumsangabe ungefähr 15 gewesen sein musste. Dieser Sesshōmaru sah dem, den er kannte jedenfalls mehr als ähnlich.
 

Nachdenklich schob Inu Yasha die Bilder in einen Haufen zurück und hoffte, er hatte nichts durcheinander gebracht.

Er zog daraufhin noch ein paar Schubladen auf, in den meisten war nur Krimskrams, aber in der letzten fand er etwas, das auf sein Interesse stieß.

Mehrere fein säuberlich gefaltete Pergamente. Inu Yasha bekam plötzlich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Er faltete eines der Schriftstücke auseinander und sah oben das Datum. Es müsste um die Zeit gewesen sein als das Bild von Sesshōmaru entstanden war. Oder kurz davor.
 

'Oh, erhört mich, Ihr Nachtschöner, Ihr Prinz der Hyazinthen,

Denn

In mir ew'ges Feuer loht, röter als der Rose Rot,

Ihr allein seid meine Not – und mein Herz,

Mein Blut. Mein Tod.
 

Für Sesshōmaru

in hingebungsvoller Liebe,

Saddin Al-Sayid

Herr der östlichen Sterne'
 

Inu Yasha spürte, wie sein Gesicht gnadenlos erhitzte. Er starrte auf die Zeilen, die so viel Wehmut, so viel Liebe und auch Zerstörungskraft ausdrückten und konnte nicht fassen, dass sie an Sesshōmaru gerichtet waren. Und warum bewahrte er sie gerade hier auf? Als könne er sich nicht entscheiden, ob er sie behalten oder vernichten wollte?

Sesshōmaru, der kalte unnahbare Sesshōmaru hatte einen Liebsten gehabt? Inu Yasha musste heftig schlucken und seine Klauen bohrten sich unwillkürlich in die Ränder des Schriftstücks. Plötzlich fühlte er sich wie ein trampeliger Bauer. Natürlich hatte Sesshōmaru eine Vergangenheit. Er hatte vielleicht sogar einmal geliebt und...

Mit einem Mal wurde Inu Yasha etwas bewusst. Was wenn es gar nicht nur einer gewesen war? Sesshōmaru war – und das konnte er nicht leugnen – der schönste Yōkai, den er kannte, er war klug, er war stark und auf eine gewisse Weise wohl auch verführerisch... und wie mochte es sein, dass ihm das so durch die Gedanken brauste, wie ein Sturm?
 

Ob er wohl früh seine Unschuld an einen von diesen Verehrern verloren hatte?
 

Inu Yashas Gesicht wurde heißer, aber auch der Zorn in ihm. Grob packte er das Schriftstück wieder auf den Stapel zu den anderen und stopfte es in die Schublade zurück, welche er mit solch einer Wucht zustieß, dass sie wieder wenige Zentimeter aufsprang. Mit einem genervten Schnauben schob er sie ganz zu. Diese verdammte Hitze, das war ja nicht zum Aushalten.

Inu Yashas Blick geisterte durch den Raum und blieb dann an den Fenstern hängen.

Mit einem Ruck schob er eines auf und sprang dann vom Sims auf zum nächsten Baum und von diesem schließlich auf die Erde. Mit dem Blick suchte er das Ende des weitläufigen Gartens und steuerte darauf zu – die hohe Mauer wurde mühelos übersprungen.

Inu Yasha wusste nicht, wo er hinwollte, aber er wusste, dass er weg wollte. Irgendetwas da drin war ihm gerade zu viel geworden.
 

In mir ew'ges Feuer loht...
 

„Verdammt!“, fluchte er als das Schloss schon längst außer Sichtweite war. Er war im Wald und er war allein. Irgendwann blieb er stehen und ließ sich erschöpft und mit ausgestreckten Gliedern mit dem Rücken ins Gras fallen. Er schloss die Augen und versuchte sich auf den Gesang der Vögel, das Rauschen des Windes zu konzentrieren.

Doch es gelang nicht. Stattdessen flammte eine Szene vor seinem inneren Auge auf. Als sie aus dem Südreich gekommen waren und er Sesshōmarus endlos langes Haar von dem Schmutz gereinigt hatte. Sein Haar, es … es hatte so gut gerochen. Nach Wald und Wiesen, nach verheißungsvoller Lieblichkeit.
 

Die makellos weiße Haut. Wie sie wohl roch? Bestimmt nach Milch und Mondlicht.
 

Inu Yasha riss mit einem Keuchen die Augen auf und presste erschrocken die Hand in den Schritt. Härte pochte unnachgiebig gegen seine Hand.
 

Röter als der Rose Rot...
 

„Scheiße...“ Das war zittrig über seine Lippen gekommen und mit ebenso zittrigen Händen fummelte er ungeschickt seinen Suikan auf. Er zog den Stoff gerade so weit herunter, dass er sein steifes Glied hervorholen konnte.
 

Ihr allein...
 

Mit strammen lieblosen Zügen begann Inu Yasha, sich zu massieren, nahm eine zweite Hand hinzu um seine Eier zu kneten. Ein erleichtertes Wimmern entkam ihm dabei, es war viel zu lange her, seit er sich selbst berührt hatte.
 

Ob Sesshōmaru das auch tat? Wie sein Stöhnen wohl klang?
 

… meine Not
 

„Sei verdammt, Sesshōmaru!“, brachte Inu Yasha ächzend hervor und sein Satz endete in einem heiseren, keuchenden Stöhnen. In ihm tosten Lust, Ärger, Überforderung und Verwirrung gleichermaßen.
 

Mein Blut mein Tod...
 

Es dauerte nicht lange. Inu Yasha bog mit einem heiseren Aufschrei das Kreuz durch und kam in dicken Schüben auf seinem Bauch und teilweise auf seiner Kleidung. Schließlich brach er zusammen und blieb hechelnd und mit einem Arm über den Augen im Gras liegen.

„Scheiße“, japste er überfordert, „Was zur Hölle war das?“
 

Er musste herausfinden, was mit ihm los war. Unbedingt. Das konnte so nicht weiter gehen. Und das ging nur mit Sesshōmarus Hilfe. Also musste er irgendeinen Vorwand finden, um in seiner Nähe zu bleiben, ohne dass es auffällig wirkte. Und ihm kam da schon so eine Idee...

 

~*~
 

Sesshōmaru verabscheute nichts mehr als Untätigkeit. Ruhig zu liegen, weckte immer das Gefühl von Schwäche in ihm. Woher das kam, wusste er nicht so recht. Vermutlich lag es irgendwo im Umgang mit seiner Mutter begraben.

Die Inu no Kami war immer eine sehr geschäftige Frau gewesen, die nichts mehr hasste als Untätigkeit und Tagträumereien. Als er ein Knabe gewesen war, hatte sie stets dafür gesorgt, dass neben den Waffenübungen und Kampftechniken genug in seine Bildung und – was sein Vater für reichlich überflüssig gehalten hatte – ebenso in die schönen Künste, wie das Spielen von Shamisen und Koto, Gesang und Tanz. Sie hatte immer damit argumentiert, man könne ja nie wissen, wen der Knabe später einmal zu beeindrucken gedachte und ein vollkommener Fürst sei viel ansehnlicher als ein Trampel, der den ganzen Tag auf dem Schlachtfeld herumhing, nachts wie ein Bauer durch die Schänken zog und sich dann am nächsten Tag nicht erinnern konnte wieso er im Schlossbrunnen aufwachte. Dabei war der Inu no Taishō immer mit einem unauffälligen Seitenblick bedacht worden.

Sesshōmaru hatte schon länger den Verdacht, dass sie ihn nur so gedrillt hatte, um die Abwesenheit seines Vaters zu kompensieren, auch wenn er sich immer gemahnte, ihm stünde darüber kein Urteil zu. Er erinnerte sich nur an ein einziges Mal, da er einen Streit der beiden mit erlebt hatte und da war zu allem Übel er selbst der Verursacher des selbigen gewesen.
 

Das Fieber, das ihn gerade plagte, hatte ihm mehr Kräfte geraubt als ihm lieb war. Eine Weile hatte er durch Homotos Trunk tief geschlafen, doch jetzt fühlte er sich unruhig und wollte ihre Warnung, sich zu schonen am Liebsten in den Wind schlagen.

Er seufzte genervt und erhob sich schließlich, um sich einen leichten Überwurf anzuziehen.

Die Abendsonne glühte schon rot am Horizont.

Sesshōmaru trat ans Fenster und sah in den weitläufigen Garten. Er konnte Rin entdecken, die die Koi Fische in einem der Teiche fütterte und in der Nähe Akira und... Inu Yasha? Sesshōmarus linke Augenbraue hob sich um ein Müh. Was machte der noch hier? Und was hatte er mit Akira-O zu besprechen, seinem General , ehemaligen Lehrmeister und Vertrauten?

Neugier ist ein Frauenlaster, hörte er da die Stimme der Inu no Kami mahnend durch seine Gedanken geistern und er wischte sie mit einem leisen Knurren fort.

 

~*~
 

„Es tut mir leid.“

„Was tut Euch Leid, Rin?“

Seine Stimme klang freundlich und geduldig, doch er schien nicht wirklich zu wissen, wovon sie sprach. Die junge Frau lächelte den General schief an. „Ich kann mir vorstellen, dass ein Mann wie Ihr Wichtigeres zu tun hätte, als auf ein Menschenmädchen aufzupassen.“

Dabei schnitt sie summend mit einer flachen Sichel ein Kraut vom Boden.

Akiras Blick ruhte dabei eine Weile auf ihr, dann lächelte er und schüttelte den Kopf. „Ich erkenne es als eine Ehre an, kleine Hime.“

Rin musste kichern. „Ach, ich bin doch keine Prinzessin!“

„Für ihn seid Ihr es.“

„Ihr kennt ihn wohl schon sehr lange“, ermittelte sie ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Akiras Blick schweifte in die Ferne, dann nickte er langsam.

„Seit er gerade laufen konnte. Ich war sein Kampfmeister bis zu dem Zeitpunkt, da ich ihm nichts mehr beibringen konnte...“
 

Rin wandte den Blick zu ihrem Aufpasser. General Akira-O war ein recht imposanter Yōkai; Er überragte Sesshōmaru um gut mehr als einen Kopf und um das Doppelte in der Breite. Das lange, kräftige silberweißgesträhnte Haar war zu einem straffen Zopf zurück gebunden aus dem sich einzelne feine Härchen bereits gelöst hatten, ohne Pony, was die markanten Gesichtszüge hervorhob. Anders als Sesshōmaru hatte er sonnengegerbte, lederne Haut.

Die Augen waren von einem dunkelwarmen Bernstein und unter dem linken Auge prangte eine wulstige Narbe, über deren Herkunft Rin schon heimlich viele Mutmaßungen angestellt hatte. Natürlich hätte sie ihn einfach fragen können, aber sie fand es viel spannender, sich Geschichten auszudenken.

Sie mochte seine Art. Er war freundlich zu ihr und begegnete ihr auf Augenhöhe und vor allem war er sich nicht zu fein, ihr jede Frage, mochte sie ihm noch so einfältig erscheinen, mit einer Engelsgeduld zu beantworten.

Dabei war es nicht so als wäre auf Rin Acht zu geben alles, was er in seiner Position als General zu tun hatte. Die politischen Angelegenheiten, die Beraterfunktion, außerdem unterrichtete der die jungen Männer bei Hofe und hin- und wieder auch die jüngeren Welpen. Rin hatte schon ein paar Mal bei diesen Trainingseinheiten zugesehen und war erstaunt, wie hart und gnadenlos dieser freundliche Mann mit den Lachfältchen um die Augen sein konnte. Aber er war niemals ungerecht und das mochte sie wohl am meisten an ihm. Und wie er sprach. Seine Stimme war dunkel und warm und manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie sich wünschte, dass er sie mit seinen Armen umfing und ihr stundenlang einfach nur Geschichten erzählte.

Rin besaß nicht genug Schamgefühl, um für diesen Gedanken zu erröten, sie war immerhin schon 15 und andere Mädchen in ihrem Alter längst verheiratet. Außerdem war es ja nicht verboten, sich schöne Männer anzusehen. Und Akira, ja... der war ein Mann, der ihr gefiel.

Natürlich hütete sie sich, derlei Gedanken irgendwo laut auszusprechen. Sie war klug genug zu wissen, dass Sesshōmaru sicherlich im Fünfeck springen würde, wenn er davon erführe. Außerdem war es viel schöner einen solchen Gedanken wie einen Schatz zu hüten und ihn nur für sich zu haben.

Natürlich war es ein Traum. Rin wusste ja, dass Yōkai sich in der Regel eher selten auf Menschen einließen – Inu Yashas Vater war da wohl eine goldene Ausnahme gewesen.

Ihre Gedanken schweiften zu Kohaku und ein leicht schlechtes Gewissen befiel sie. Sie wusste, dass der junge Mann sie sehr lieb hatte und um ehrlich zu sein war sie erleichtert, dass es nun diese Distanz zwischen ihnen gab, denn so rückte der Zeitpunkt, da sie ihm das Herz brechen musste, vorübergehend in die Ferne.
 

„Sagt... darf ich Euch etwas fragen?“

„Das war bereits eine Frage.“

Rin kicherte. „Ihr wisst doch, wie ich das meine. Es ist wegen Sesshōmaru-sama. Wenn Ihr sagt, Ihr kennt ihn bereits seit Kindsbeinen an... wisst Ihr vielleicht, ob... ob er schon immer so war?“

Akira sah ihr einen Moment in die Augen.

„Wie war?“, fragte er dann ruhig und konnte sich beinahe schon denken, was die kleine Rin beschäftigte.

Sie zuckte mit den Schultern und biss sich auf die Unterlippe als überlegte sie die richtigen Worte zu wählen.

„So traurig und müde“, sagte sie dann leise.

Zu ihrer Überraschung ließ Akira sich neben ihr ins Gras sinken, ehe er, den Blick in den blauen Himmel gewandt, antwortete: „Nein, er war nicht immer so. Im Gegenteil. Er war ein sehr aufgewecktes ,fröhliches Kind, das alle im Schloss im den kleinen Finger wickeln konnte. Für jeden Blödsinn aufgelegt – die Kinderfrauen hatten oft ihre liebe Not.“

Ein warmes Lächeln legte sich auf die Lippen der jungen Frau bei dieser Vorstellung.

„Was ist passiert?“

Akiras Blick wurde ernster als er sich ihr zuwandte.

„Es steht mir eigentlich nicht zu, mit Euch darüber zu sprechen. Alles, was ich Euch sagen kann ist, dass wohl ein gebrochenes Herz eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Und der Tod des ehemaligen Inu no Taishō der Westlande. Wisst Ihr, Euer Ziehvater macht sich bis heute Vorwürfe, denn er und Toga gingen nicht in Liebe auseinander.“

„Ich verstehe...“, sagte Rin nachdenklich und versuchte sich dabei ein Bild ihrer eigenen Eltern ins Gedächtnis zu rufen – was schwer war. Denn alles, was vor Sesshōmaru war, war irgendwie kalt und verschwommen.

„Aber kleine Prinzessin...“

„Ja?“

„Ein Wort zu ihm und Ihr habt meinen frühzeitigen Tod zu verschulden“, sagte der General dann mit feierlichem Ernst und Rin musste lachen.

 

~*~
 

„Es scheint nicht so als würde sie Heimweh nach Musashi haben“, sagte Akira langsam und nahm einen leichten Schluck aus seinem Sakeschälchen.

Sesshōmaru nickte und tat es ihm gleich.

„Das hoffte ich. Sie ist sehr anpassungsfähig.“

Akira entging der leise verborgene Stolz nicht, der in Sesshōmarus Stimme mitschwang.

„Sie hat große Freude als Lehrmädchen der alten Homoto. Jedenfalls berichtete sie sehr viel. Dinge, von denen ich die Hälfte nicht verstand.“

Sesshōmarus Mundwinkel umspielten ein mattes Lächeln. Das klang ganz nach Rin. Ihre Begeisterungsfähigkeit und vor allem auch ihre Auffassungsgabe waren beispiellos.

„Sie bewegt sich unter uns Yōkai als hätte sie nie etwas anderes getan.“

Sesshōmaru setzte das Sakeschälchen an die Lippen, ohne jedoch daraus zu trinken. „Ich weiß nichtmal, ob sie sich überhaupt daran erinnert, dass es schlussendlich Yōkai waren, die ihr die Familie nahmen.“

Akiras Blick ruhte musternd auf seinem ehemaligen Schüler. „Und selbst wenn doch, Sesshōmaru, Vergebung ist eine Tugend, die am Ende nur uns selbst zugute kommt.“

Eine Antwort darauf blieb aus. Stattdessen, wie Akira es erwartet hatte, erfolgt ein Themawechsel:

„Was wollte Inu Yasha von dir?“

Die Frage hatte beiläufig geklungen, doch Akira konnte er nicht täuschen.

„Er bat mich, ihn zu unterrichten.“

„Was?“

Akira nickte bekräftigend. „So sehr dürfte es dich nicht verwundern, mein Fürst. Er sucht deine Nähe. Wenn du mich fragst, war das nur eine Frage der Zeit.“

Sesshōmaru gab ein verstimmtes, abfällig schnaubendes Geräusch von sich.

„Am besten ich eröffne gleich ein Gasthaus für Hanyō und Menschen im Westschloss, vermutlich könnte ich mir daran eine goldene Nase verdienen. Was hast du ihm geantwortet?“

Akira lachte unterdrückt und erwiderte dann ernst: „Ich habe ihm gesagt, wenn er in der Lage ist, Anweisungen zu befolgen, wie sinnlos sie ihm auch erscheinen mögen, dann sähe ich nichts, was dagegen spräche.... Sesshōmaru... auch erst ist Togas Sohn, du wusstest, dass es irgendwann so weit kommen würde.“

Sesshōmaru gab ein verstimmtes Geräusch von sich. Akira hatte ja Recht. Was nur überraschend für ihn kam, war, dass Inu Yasha selbst diesen Wunsch geäußert hatte. Das passte einfach nicht zu ihm. Als Hanyō, der den Großteil seines Lebens in Wald und Wiesen gelebt hatte, plötzlich die strengen Reglements eines Hofes befolgen? Die gingen IHM ja zuweilen auf die Nerven, jemand, der so stur und bockig war, wie Inu Yasha...
 

Sesshōmaru sah nachdenklich in die Ferne von der Veranda aus, auf der sie sich niedergelassen hatten. Auch wenn er nur ein Hanyō war, hatte er seine Daseinsberechtigung hier und sobald er die einforderte und auch wenn Inu Yasha das selbst wohl am wenigsten bewusst war, hatte Sesshōmaru dem nur wenig entgegen zu setzen. Aber vielleicht, so dachte er, ist es nicht einmal die schlechteste Idee. Es wurde Zeit, dass jemand diesen kleinen übermütigen Trampel in seine Schranken verwies. Er schielte hinüber zu Akira. Und wer wäre da geeigneter als sein eigener ehemaliger Lehrmeister?

 

~*~
 

„Er hat was?“, entfuhr es dem Inu no Taishō ungläubig. Sein bester Freund und langjähriger Kampfgefährte Akira-O nickte mit vor der Brust verschränkten Armen und ernster Miene.

„Alle seine Altersgenossen in nicht einmal 20 Sekunden. Und ihm stand danach nichtmal ein Härchen ab.“

„Du liebes Bisschen“, murmelte Toga und wandte den Blick einen Moment zur Decke.

„Was schlägst du also vor?“

„Gib mir deine Erlaubnis, ihn bei den Erwachsenen zu unterrichten. Sesshōmaru wird überheblich und herablassend, wenn er sich seiner Fähigkeiten zu sicher ist und das tut ihm nicht gut, das ist ein Zünder für Faulheit und Selbstüberschätzung. Er ist aktuell der Meinung, er könne mir dir gegen den Schattenyōkai ziehen – mit oder ohne deine Erlaubnis.“

„Hat er sich so geäußert?“, erwiderte der Inu no Taishō scharf. Akira schüttelte beschwichtigend den Kopf. „Nicht direkt. Mehr Andeutungen. Ich schätze, wenn er mehr gefordert würde, hätte er gar keine Energie mehr um sich über so etwas Gedanken zu machen.“

Dann kräuselten sich die Lippen des Generals. „Übrigens ist dein feiner Herr Sohnemann der Meinung, dass die Schwerter, die wir zu Übungszwecken anbieten, minderwertiger Schund seien, die man nichtmal als Altmetall dazu verwenden kann, um Pferden die Hufe ordentlich zu beschlagen.“

„Ich werd einen Teufel tun und erlauben, dass man einem Haufen Welpen scharfe Schwerter in die Hände gibt!“, schnaubte Toga empört und Akira hob die Hände.

„Bitte, das war nicht meine Idee. Dummerweise zeichnen sich hier seine Führungsqualitäten sehr gut ab: Er schafft es mit wenigen Worten so ziemlich alle von seiner Meinung zu überzeugen. Also von dir hat er das nicht“, fügte der General grinsend hinzu und boxte seinem Freund kameradschaftlich gegen die Schulter.

„Ganz sicher nicht. Das hat er von seiner Mutter, sie hat viel zu viel Einfluss auf ihn“, erwiderte Toga mit grabesfinsterer Miene.

„Hab ich also deine Erlaubnis?“

Toga machte eine resignierende Handbewegung. „Du hast für alles meine Erlaubnis, Hauptsache, der Bengel stößt endlich mal an seine Grenzen.“

„Ich nehme dich beim Wort.“
 

~*~
 

Mit gleichgültiger Miene betrat der junge Erbe des Inu no Taishō das Übungsfeld. Es war für ihn nicht überraschend gekommen, dass er nun bei den Älteren mit trainieren sollte. Wenn es nach ihm ging, hatte er sich ohnehin viel zu lange mit diesen Weichlingen herumgeplagt.

Man warf ihm verhaltene und neugierige Blicke zu. Blicke, die er gewohnt war. Missgunst und Neid waren seine Begleiter, seit er sein Talent für das Katana unter Beweis gestellt hatte.

Er war gerade einmal 12 Jahre alt, die anderen hier ab 16 aufwärts und auch körperlich könnten die Unterschiede nicht deutlicher sein. Wo Sesshōmaru noch die zarten Formen eines Knaben hatte, waren die andere von ausgeprägter Männlichkeit und hohem Wuchs.
 

„Wir möchten Euch willkommen heißen, Sesshōmaru-sama“, sprach ihn ein junger Yōkai an, der Herzlichkeit und Schalk ausstrahlte. „Sicherlich seid ihr froh darüber, zu einer neuen Herausforderung zu gelangen.“

„Ich danke Euch“, erwiderte der Knabe ruhig, „ob es jedoch eine Herausforderung sein wird, wird sich zeigen.“

„Ganz schön arrogant, der Kleine“, hörte man es verhalten flüstern und der, der Sesshōmaru eben angesprochen hatte meinte mahnend und augenrollend: „Rura, lass es gut sein, wir wissen alle, dass du schlechte Laune hast, weil dein Mädchen dir fortgelaufen ist.“

Lachen der anderen und ein warnendes Knurren seitens Rura. Sesshōmaru warf dem Yōkai einen unauffälligen Blick zu. Er war hochgewachsen, die Augen von einem kühlen Blau, dunkelbraunes Haar umrahmte das leicht gebräunte Gesicht.

Sesshōmaru wandte den Blick ab als der erste wieder sprach. „Hört gar nicht auf ihn, bitte. Mein Name ist Iruka, mein Vater ist der General Susano-O.“

Sesshōmaru nickte. Natürlich kannte er alle Generäle seines Vaters. Susano-O war ein sehr verschlossener Mann, sehr ernst und zurückhaltend. Er wusste nicht viel über ihn – bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte er nichtmal gewusst, dass er einen Sohn hatte.
 

„Still nun!“, donnerte Akiras Stimme über den Platz.

„Wie viele von euch bereits wissen, steht uns ein Krieg mit den Schattenyōkai bevor. Wer weiß etwas über den Kampfstil der Schattenyōkai?“

Die bernsteinfarbenen Augen glitten über seine Schüler, blieben bei ein- oder anderen hängen. Ryoji? Rura? Nein? Das hab ich mir-“

„Der Schattenyokai“, erklang Sesshōmarus Stimme, „bewegt sich in den Schatten und wird dadurch quasi unsichtbar. Man muss sich im Kampf gegen den Schattenyokai mehr denn je auf sein Gespür verlassen. Es ist sinnlos, einfach drauf los zu schlagen, es erfordert Geschick, Intuition und Kampferfahrung.“

Sesshōmaru hatte gleichgültig geklungen, als wären Antworten wie diese ein Dreh aus dem Handgelenk für ihn. In Wahrheit jedoch schlug ihm das Herz bis zum Halse, vor allem als er Akiras stechenden Blick auf sich spürte.

„Das ist eine Antwort wie aus dem Lehrbuch“, kommentierte Akira das, ehe Sesshōmaru sich jedoch über das Lob freuen konnte, schob er hinterher: „eines jedoch solltet Ihr Euch für die Zukunft beherzigen. Ihr antwortet hier nur, wenn Ihr gefragt werdet. Wenn ich das Wort nicht an Euch richte, habt Ihr zu schweigen.“

Sesshōmaru ging der Mund einen feinen Spalt auf, doch er schluckte seine Empörung herunter und nickte nur knapp zur Zustimmung. Er legte es nun wirklich nicht darauf an, es sich mit Akira-O zu verscherzen oder ihn oder seinen Vater dazu zu bringen, die Entscheidung zu bereuen.
 

Akira stellte sie in Zweiergruppen zusammen. Sesshōmaru hatte Iruka als Übungspartner, womit er nicht ganz unzufrieden war. Der andere Yōkai war freundlich und respektvoll und er schien sich im Vergleich zu manch anderem nicht daran zu stören, dass ein halber Welpe in ihre Gruppe gekommen war.

Ihre erste Übung bestand darin, mit verbundenen Augen einen Treffer zu landen. Dazu hatte Akira-O ihnen Holzschwerter gegeben und Sesshōmaru merkte bald, wie viel Konzentration das erforderte. Iruka landete nämlich einige Treffer mehr als er und er war sich ziemlich sicher, am Abend blaue Flecken davon zu tragen.
 

Als das Training abgeschlossen war, verabredeten sich die Burschen noch zu einem fröhlichen Abend in der Taverne. Sesshōmaru wollte seines Weges ziehen, da er für den heutigen Abend noch eine Übungsstunde auf der Koto anstehen hatte, doch Akira hielt ihn auf.

„Hört mir zu, Sesshōmaru-sama. Das hier wird kein Zuckerschlecken. Ihr werdet Euch behaupten müssen. Vergesst, was ihr vom Training bei den Welpen wisst. Übrigens werdet Ihr ab heute nach jeder Übungseinheit eine Stunde länger bleiben. Ich werde Euch nicht schonen, nur weil Ihr der Sohn des Inu no Taishō seid.“

„Ja, Sensei“, erwiderte Sesshōmaru und hatte zum jetzigen Zeitpunkt nicht den Hauch einer Ahnung, wie sehr er Akira noch verfluchen würde. Wie sehr er an seine eigenen Grenzen stoßen würde.

Einen Moment noch sah er den anderen Jungen hinterher und unterdrückte dann die Sehnsucht nach Zugehörigkeit.

Er würde trainieren, bis er nicht mehr auf den Beinen stehen konnte. Damit sein Vater stolz auf ihn sein konnte, wenn er an seiner Seite gegen den Schattenyōkai zog.
 

 

Trinkspiele

„Zu unkontrolliert! Zu langsam!“, bellte Akiras Stimme über den Platz und Inu Yasha knurrte gereizt. Ihm lief der Schweiß aus allen Poren, dabei waren sie gerade mal eine Viertelstunde hier. Dass es den anderen Schülern ähnlich ging tröstete zumindest ein wenig – immerhin konnte er als Hanyō mit denen mithalten. Nun, das war immerhin etwas. Als er das erste Mal gegen Akira angetreten war, hatte er nach fünf Sekunden im Staub gelegen und recht schnell schmerzhaft lernen müssen, dass er sich nicht immer auf Tessaigas Stärke verlassen konnte. Mit einem normalen Schwert in der Hand machte er wahrlich keine gute Figur.

Inu Yasha versuchte einen Hieb zu landen und die Klingen klirrten aufeinander – sein Übungspartner wehrte die Attacke schnaufend ab und Inu Yasha trat ihm im nächsten Moment die Beine weg, sodass der andere das Gleichgewicht verlor und sich im Staub wieder fand. Mit einem siegessicheren Grinsen hielt Inu Yasha seinem Gegner die Schwertspitze gegen die Kehle und pustete sich eine schwitzige Strähne aus der Stirn.

„Der Hanyō spielt mit miesen Tricks!“, beschwerte sich der Geschlagene, während er sich aufrappelte und warf dem Kampfmeister einen anklagenden Blick zu, der die ganze Szene ungerührt beobachtet hatte.

Dann sagte er so scharf, dass Inu Yasha zusammenzuckte: „Inu Yasha-sama, Ihr solltet nicht vergessen, dass Ihr hier auf einem Übungsplatz seid und Euch nicht im Wald mit ein paar Wegelagerern prügelt-“

Der Geschlagene warf Inu Yasha einen schadenfrohen Blick zu – die Schadenfreude wurde ihm jedoch im nächsten Moment aus dem Gesicht gewischt.

„-und Ihr, Kenji-san solltet nicht aus den Augen verlieren, dass in einer richtigen Schlacht Euer Feind auch keine Rücksicht auf Ehrenhaftigkeit nimmt. Ihr müsst auf alles gefasst sein. Denkt fünf Schritte voraus und berechnet alle Eventualitäten ein. Das gilt übrigens für euch alle!“, rief er laut und aus allen Kehlen erscholl ein geschlossenes: „Ja, Sensei!“

„So. Weiter jetzt! Partnerwechsel alle drei Minuten!“

 

Anfangs war es für den Hanyō ungewohnt, Akiras Anordnungen zu befolgen - er hatte nie Anordnungen befolgt – aber bald hatte er sich daran gewöhnt. Hin- und wieder schlich sich die Frage in seinen Kopf, ob Sesshōmaru als Knabe das auch alles über sich hatte ergehen lassen müssen. Denn es war ja nicht damit getan, dass sie auf dem Kampfplatz ihr Können darbieten mussten, Akira hetzte sie oft stundenlang durch den Wald, sodass sogar dem ein- oder anderen Yōkai die Puste ausging, ließ die Kraft- und Geschicklichkeitsübungen absolvieren und dergleichen.

Inu Yasha warf einen Blick an den Rand des Kampfplatzes, an welchen Sesshōmaru gerade getreten war, der sich nahezu gänzlich von der Vergiftung erholt zu haben schien. Zwei Wochen hatte es letztendlich gebraucht und die Nerven aller Beteiligten auf eine harte Probe gestellt, denn der werte Fürst hatte es ja nicht eingesehen, Schonung zu brauchen.

Pf, dachte Inu Yasha bei sich als er seinen Bruder so betrachtete. Als ob der sich die Hände je bei diesem eisenharten Training schmutzig gemacht hätte.

Er versuchte, Sesshōmarus Anwesenheit weitestgehend zu ignorieren, doch das war kaum möglich, wie er bald feststellte, denn dessen Blick fiel irgendwann auf ihn und blieb auf ihm ruhen. Weiter nichts. Er schritt nicht ein, gab keinen Kommentar ab. Beobachtete Inu Yasha nur.

Inu Yasha für seinen Teil fühlte sich zusehends nervöser und gereizter und begann, erste Fehler zu machen – Akiras gebelltes: „Reißt Euch gefälligst mal zusammen, ihr benehmt Euch wie ein Welpe, der das erste Mal ein Schwert in Händen hält!“, war dabei auch nicht sonderlich hilfreich. Ein genervtes Knurren erscholl aus der Kehle des Hanyō und Inu Yasha keifte: „Hey, Sesshōmaru! Wenn du mir was zu sagen hast, dann sag es!“

 

Empörtes Tuscheln erscholl – wie konnte der Hanyō es wagen den Fürsten so respektlos anzureden?

Inu Yasha für seinen Teil war das scheißegal. Er hatte Sesshōmaru immer Sesshōmaru genannt und dabei würde es auch bleiben.

Der so respektlos Angesprochene verzog keine Miene und Inu Yasha wollte schon einen drauf setzen als Sesshōmaru ruhig sprach: „Nun, ich fragte mich, ob du bereits so weit bist, mir dein Können unter Beweis zu stellen.“

„Hab ich dir das nicht oft genug in der Vergangenheit unter Beweis gestellt?“, erwiderte Inu Yasha großspurig und bemerkte leidend, dass er den Moment verpasst hatte, um sich aus der Affäre zu ziehen – alle Anwesenden verfolgten mit Spannung den Wortwechsel der Halbbrüder.

„Schafft die scharfen Katana herbei“, wies Sesshōmaru einen Schildknappen an, welcher sich schleunigst aufmachte. Auf dem Übungsplatz übten sie prinzipiell nur mit abgestumpften Waffen, scharfe Katana waren eher Ausnahmen.

Zu Inu Yashas Leidwesen schien sich enorm schnell herumzusprechen, dass die beiden Erben des letzten Inu no Taishō einen Kampf auszutragen gedachten und so füllten sich die Plätze um das staubige Feld relativ zügig.

Inu Yasha schluckte trocken. Jetzt gab es wohl kein Zurück mehr. Warum nur war er plötzlich so nervös?

„Ich werd mir Mühe geben, dir vor deinen Untertanen nicht ganz so heftig in den Arsch zu treten!“, hörte er sich sagen und zu seiner Überraschung... lächelte Sesshōmaru ihn daraufhin an, was Inu Yashas Herz dazu brachte, einen Tacken schneller zu schlagen.

„Das weiß ich zu schätzen.“ Die Stimme klang ruhig und samten.

 

Inu Yashas Hände umschlossen den Griff des Katana fester, seine Ohren zuckten nervös. Er durfte sich keine Blöße geben. Nicht hier. Nicht, nachdem er das Maul so weit aufgerissen hatte.

Ihm blieb wohl nur die Flucht nach vorn. Und genau die trat er an, sobald man das Zeichen zum Kampfstart gegeben hatte.

 

Seinen ersten Hieben wich Sesshōmaru ohne sich groß anstrengen zu müssen, aus. Inu Yashas Klinge traf noch nicht einmal auf die seine.

Macht der sich über mich lustig?, ging es ihm wütend durch den Kopf, wobei er mit einem gereizten Knurren auf den anderen einhieb. Wieso zur Hölle, dachte er, während ihm der Schweiß bereits die Schläfen herab rann, sieht er immer noch so königlich aus, während ich mich hier abschufte, wie ein Bauer!?

Inu Yasha ließ seine Klinge hervorschnellen, machte dann jedoch eine Halbdrehung, sodass er es tatsächlich beinahe geschafft hätte, einen fatalen Treffer zu landen – Sesshōmaru jedoch konterte mit Leichtigkeit – ebenfalls eine Drehung, Inu Yashas Katana glitt ihm aus der Hand und im nächsten Moment war Sesshōmaru hinter ihm und er lag ihm Staub – mit einer Klinge an der Kehle.

Das Ganze mochte nicht länger als 30 Sekunden gedauert haben und Inu Yasha blickte den anderen von unten heraus mit großen Augen an. Nicht einmal Sesshōmarus Atem war beschleunigt.

Beifall und höhnisches Gelächter erfolgte und Inu Yasha verengte die Augen. Zu seiner Überraschung verschwand die Klinge und Sesshōmaru streckte ihm im nächsten Moment versöhnlich die Hand hin. Inu Yasha war zu verblüfft über diese Geste als dass er sie aus Stolz abgeschlagen hätte und ließ sich auf die Beine ziehen.

„Hättest du dein loses Mundwerk vorhin nicht so aufgerissen, wäre ich beinahe versucht zu sagen, das war gar nicht so schlecht“, raunte er ihm dabei zu und drückte ihm sein eigenes Schwert gegen die Brust, welches Inu Yasha mehr aus Reflex annahm.

„D-danke...?“, murmelte er verdattert.

 

„Das war wirklich genial!“, rief Toru, einer seiner Kameraden fröhlich und drosch ihm freundschaftlich auf die Schulter. Inu Yasha wischte die Hand genervt weg und brummte: „Willst du mich verarschen? Ich hab Staub gefressen, wie du deutlich gesehen hast!“

„Mach dich locker, keiner steht länger als eine Minute gegen Sesshōmaru-sama auf dem Platz. Da mussten wir alle schon durch. Ich habs nicht schwer genommen, im Gegenteil. Meinen Ehrgeiz hats wirklich gepackt.“

Ein breites Grinsen schlich sich plötzlich auf Torus Gesicht. „Außerdem … munkelt man, man steigt in der Gunst des Fürsten, wenn man es schafft, ihn zu besiegen.“

Inu Yasha war stehen geblieben und erwiderte scharf: „Wie meinst du das?“

„Na... wie werd ich das wohl meinen? Früher oder später wird er sich ja wohl einen Gefährten wählen, der ihm einen Nachfolger machen darf und der sollte ja möglichst stark sein schätz ich.“

Unbewusst ballte sich Inu Yashas linke Hand zur Faust. Plötzliche Wut keimte auf. Wut, die er sich nicht erklären konnte. Das Bild des Südfürsten geisterte durch seinen Kopf und zu der Wut gesellte sich nun auch Hass.

„Du solltest nicht so von ihm sprechen“, presste Inu Yasha hervor und Toru hob entschuldigend die Hände. „War nicht respektlos gemeint. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.“

„Träum gefälligst von was anderem!“, keifte Inu Yasha und boxte Toru grob gegen die Schulter, welcher lachend erwiderte: „Autsch - Schon gut schon gut, ich gelobe Besserung! Übrigens – ein paar der Jungs und ich wollten später noch einen Trinken, was ist, willste mit?“

Inu Yasha zögerte einen Moment, hin- und hergerissen. Einerseits war sein letztes Erlebnis mit Alkohol nicht gerade das schönste gewesen, andererseits... verspürte er hier ständig den Drang, zu beweisen, dass er als Hanyō locker mit den Yōkai mithalten konnte – und das in jeder Hinsicht.

Also nickte er.

 

Einem gewissen Flohgeist war das allerdings nicht verborgen geblieben.

„Interessant...“, murmelte Myoga in seinen Bart, „wirklich interessant...“

 

~*~

 

„Auf Inu Yasha! Der heute in den Genuss kam, den Staub unseres Fürsten zu fressen!“, grölte Toru gut gelaunt und die anderen stimmten mit ein, wobei Krüge lautstark aneinander geschlagen wurden. Inu Yasha verdrehte nur die Augen und ergab sich recht bald seinem Schicksal. Der erste Krug war schon recht bald geleert und er musste zugeben, dass dieses Getränk namens Met, das angeblich Seefahrer übers Meer hergebracht hatten, gar nicht mal so schlecht schmeckte. Es brannte nicht so wie der Sake, an den er eher ungute Erinnerungen hatte und schmeckte süßlich, irgendwie nach Honig.

„Ts“, machte er darauf hin, „hätt ich Tessaiga gehabt, wär Sesshōmaru derjenige gewesen, der Staub gefressen hätte.“

„Muss schon scheiße sein, zu merken, dass man ohne das Schwert seines Vaters ein Versager ist, hrm?“, stichelte Kenji, der die Niederlage noch nicht verziehen hatte, ungnädig, woraufhin ihm von Toru ein mahnender Blick zugeworfen wurde.

„Kenji, lass gut sein, ja?“

„Der ist doch nur stinkig, weil ihm sein Mädchen mit einem Hauptmann davon gelaufen ist“, warf ein anderer prustend ein.

„Pass bloß auf, was du sagst!“, knurrte Kenji und knallte seinen Krug auf den Tisch

„Was denn, ist doch so!“

„Wenigstens hatte ich mal ein Mädchen und muss mir nicht jede Nacht selbst den Schwanz rubbeln weil mich keine will!“, fauchte Kenji erbost, woraufhin der andere aufsprang und rief: „Willst du Ärger, Mann? Denn kannst du gern haben!!!“

Inu Yasha spielte einen kurzen Moment mit dem Gedanken, einzugreifen, doch dann kam er zu dem Schluss, dass er nichts dagegen hätte, wenn Kenji mal eins auf die Fresse bekam und so lehnte er sich lediglich zurück und nahm ein paar Schlucke des köstlichen Honigweins.

Es brach ein kleines Gerangel los, welches ein paar der anderen jedoch wieder auseinander brachten.

„He, machen wir ein Trinkspiel!“, rief einer dazwischen, „wer am Ende nicht unterm Tisch liegt, hat gewonnen.“

Inu Yasha sah Kenji fragend an und der hob beide Augenbrauen und meinte belustigt: „Du weißt aber schon, was ein Trinkspiel ist, oder hast du hinterm Mond gelebt?“

„Vergleichbar“, brummte Inu Yasha peinlich berührt und sah den anderen finster an.

„Verzeihung, ich vergaß. Also wir spielen 'ich hab noch nie' Das ist eigentlich ganz simpel. Der Reihe nach macht jeder einer Aussage. Zum Beispiel... ich hab noch nie Sake getrunken. Und jeder, der doch schonmal Sake getrunken hat, muss dann einen Schluck trinken. Verstanden?“

Inu Yasha nickte. So anspruchsvoll klang das ja wirklich nicht.

„Ich habe noch nie in einem Schwertkampf verloren!“

Ausnahmslos alle tranken.

„Ich habe noch nie bei einem Mädchen gelegen!“

Nur wenige tranken und Inu Yasha, der nicht wirklich lügen konnte, ließ seinen Krug wo er war und ignorierte dabei Kenjis spöttischen Blick. Verhaltenes Lachen.

„Ich habe noch nie einen Tengu geschlachtet!“

„Ich hab noch nie im Stall jemanden flachgelegt!“

„Ich bin noch nie auf einer dreiäugigen Kuh geritten!“

Je länger das Spiel andauerte, desto lächerlicher wurden die Aussagen und Inu Yasha spürte bald, dass er mehr als angeheitert war. Aber... und das war verwunderlich, er amüsierte sich. Auf eine so simple Weise amüsierte er sich. Und das tat irgendwie verdammt gut, denn er konnte sich nicht erinnern, wann das zuletzt der Fall gewesen war.

Ihm schwirrte erneut die Vorstellung durch den Kopf, wie es gewesen wäre, wenn er hier aufgewachsen wäre. Wenn der Vater nicht so früh gestorben wäre und wenn er und Sesshōmaru wirklich wie Brüder gelebt hätten.

Die nächste Aussage jedoch riss ihn jäh aus seinen Gedanken.

„Ich hab mir noch nie auf Sesshōmaru-sama einen runtergeholt!“

Inu Yasha erstarrte und wusste nicht, worüber er mehr wütend sein sollte – über diese freche Aussage oder darüber, dass bis auf zwei Burschen alle tranken. Urplötzlich brodelte es in ihm und er kam wankend auf die Beine: „Was stimmt denn nicht mit euch!!!“, brüllte er und das Spiel verstummte jäh. Sicherlich hätte er eine etwas imposantere Figur gemacht, wenn er sich nicht so hätte bemühen müssen, gerade stehen zu bleiben.

„Sesshōmaru ist doch keine verdammte Wichsvorlage!!!“ und dabei schob er den Gedanken weit fort, dass er selbst nicht besser gewesen war. Neulich. Er schluckte schwer. Verdammt. War er am Ende genau wie diese … diese... Nein! Das war etwas anderes. Er war Inu Yasha, verdammt nochmal, er … hatte ein Vorrecht? Er merkte selbst in betrunkenem Zustand, wie dämlich diese Aussage in seinem Kopf klang, doch der Alkohol zog dichte Schwaden in seinem Hirn und er war sich gerade nicht mal sicher, ob seine Worte überhaupt noch halbwegs verständlich aus seinem Mund kamen.

„Würdest wohl selber gerne ran“, feixte Kenji und ehe er es sich versah, war Inu Yasha zu ihm gesprungen, hatte ihn am Kragen gepackt und gegen die nächste Wand geknallt: „Halt dein verdammtes Schandmaul, sonst wisch ich mit dir den Boden auf!!!“

 

Kenji knurrte und trat nach Inu Yasha, nur um sich dann auf diesen zu stürzen – Inu Yasha konnte sich gar nicht mehr wirklich daran erinnern, wie sie getrennt worden waren, das nächste, das er wusste, war, dass Toru ihn raus an die frische Luft brachte, wobei er ihn beim Gehen stützte, da er kaum noch fähig war, einen Schritt vor den anderen zu machen.

„Dieser v...verdammte...“, lallte der Hanyō, „dem hätt ich... aber so richtig...“

„Schon gut“, meinte Toru beschwichtigend, „Wir gehen jetzt mal ein paar Schritte, dann geht’s dir gleich besser...“

Da rollte eine jähe Welle der Übelkeit über ihn hinweg und Inu Yasha konnte sich gerade noch so an einer Mauer abstützen, ehe er sich leidenschaftlich übergab. Toru hielt ihm das Haar dabei etwas aus dem Gesicht, damit er sich nicht einsaute.

„Besser raus als rein“, kommentierte der Kamerad grinsend und strich ihm dabei mitfühlend über den Rücken.

Danach fühlte sich Inu Yasha minimal besser. Schwindelig und schwummrig war ihm immer noch, aber zumindest war ihm nicht mehr übel.

„Komm, die frische Luft tut dir gut“, meinte Toru dann und legte Inu Yashas Arm über seine Schultern, damit er sich abstützen konnte und schlang einen Arm um die Hüfte. Auf diese Weise bugsierte er den volltrunkenen Hanyō in Richtung der Stallungen und der war viel zu betrunken um sich darüber zu wundern.

Wenig später landete er im wohlduftenden Heu und lehnte sich an einen Heuballen an.

„Hab mich... ganz schön zum Baka gemacht, mh?“, murmelte er mit geschlossenen Augen und Toru lachte leise. „Nur ein Bisschen. Aber glaub mir, das ging uns allen schonmal so und Kenji ist einfach ein Arsch. Am besten, du hörst gar nicht auf das, was er so von sich gibt.“

Der Stallgeruch wirkte irgendwie beruhigend und Inu Yasha schloss die Augen und konzentrierte sich einfach nur aufs Atmen und auf die Geräusche der Tiere.

„Sag... Inu Yasha...“

„Mh?“

„So wie du vorhin reagiert hast... mag es sein, dass du selbst etwas für Sesshōmaru-sama übrig hast?“

Inu Yasha riss die Augen auf und japste: „Was, wie bitte? Das... ist doch völlig absurd!“

„So?“

„Ja!“

Ein Grinsen breitete sich auf Torus Lippen aus und er kam näher zu Inu Yasha heran als dass es noch freundschaftlich gewesen wäre.

„Dann lass mich mal was versuchen.“

Ein misstrauischer Blick seitens Inu Yasha.

„Komm schon, vertrau mir...“

Inu Yasha brummte unwillig, schloss jedoch die Augen wieder. Spürte, wie sich die fremde Hand an den Verschlüssen seiner Kleidung zu schaffen machte und hörte dann eine Stimme dicht an seinem Ohr: „Stell dir vor, ich bin Sesshōmaru-sama...“

Und während er das sagte, war eine Hand schon in seine Kleidung geglitten und Inu Yasha keuchte erschrocken auf, als der andere sein Glied umfasste, doch zu spät. In seiner Vorstellung war es längst Sesshōmaru, der das tat. Sesshōmaru, der die Stelle zwischen Hals und Schulter küsste. Sesshōmaru, der seinen verdammten Schwanz massierte, sodass er immer härter und härter wurde.

Inu Yashas Lippen waren einen Spalt geöffnet und sanfte Röte der Erregung lag auf seinen Wangen. Der Zeitpunkt, an dem er das hier hätte stoppen können, war schon längst überschritten.

„Sesshōmaru...“, hörte er sich selbst leise flehen, wurde unruhig, pulsierte in der fremden Hand und kam schließlich viel zu schnell mit einem unterdrückten heiseren Stöhnen zum Höhepunkt.

Toru wischte sich die Hand im Heu ab und grinste schief.

„Ich würde sagen, da hast du deinen Beweis.“

„Arschloch!“, knurrte Inu Yasha pikiert und boxte Toru gegen den Oberarm, sodass der hintenüber ins Heu plumpste. Toru lachte verhalten und meinte: „Junge, du solltest mir dankbar sein – immerhin weißt du jetzt, was Sache ist.“

Inu Yasha schwieg und richtete seine Kleidung. Es war ja nicht so als hätte ihn zum ersten Mal jemand angefasst. Er dachte an die heimlichen verbotenen Male während der Reise mit seinen Freunden, wo Miroku ihn dazu überredet hatte, sich gegenseitig den Druck ein Bisschen abzubauen. Harmlose Handarbeit, aber damals hatte er nie irgendwelche Fantasien gehabt und schon gar keine von seinem älteren Halbbruder.

 

Als er aus dem Stall wankte, bemerkte er allerdings noch ein Problem ganz anderer Natur. Normalerweise kam er nur tagsüber her und verbrachte die Nacht zuhause in Musashi, auch wenn das immer einen erheblichen Weg bedeutete. Aber so volltrunken den Heimweg zu finden, war sogar für ihn eine Herausforderung. Also beschloss er einfach sich auf seine Instinkte zu verlassen und dem Geruch zu folgen, der am vertrautesten war... und der führte ihn in einen Bereich des Schlossgartens, der dem Schlossherrn vorbehalten war.

 

„Hmm...“, brummte Inu Yasha wohlig, denn hier roch einfach alles nach Sesshōmaru – was er jedoch nicht bemerkte war der Koi Teich und er vertrat sich und klatschte der Länge nach ins Wasser.

Mit einem Fluchen versuchte der Hanyō sich wieder aufzurichten, aber es drehte sich schon wieder alles – so kroch er auf allen Vieren vorwärts, bis er das andere Ufer des Teiches erreicht hatte.

„So eine Scheiße“, brummte er lallend und hatte dabei gar nicht bemerkt, dass er hier nicht alleine war. Inu Yasha ließ sich rücklings und schwer atmend ins Gras fallen. Jetzt war er nicht nur besoffen, sondern auch noch klitschnass. Fabelhaft.

 

Plötzlich schob sich Sesshōmarus Gesicht in sein Blickfeld und soweit Inu Yasha das in seinem Zustand richtig deuten konnte, wirkte der alles andere als amüsiert darüber, einen betrunkenen Hanyō in seinem Garten vorzufinden.

„Darf ich erfahren, was du da bei meinen Zierfischen wolltest?“, ermittelte der Daiyōkai ruhig mit locker vor der Brust verschränkten Armen. Da er sich dabei leicht vorgebeugt hatte, baumelte eine der langen Haarsträhnen direkt in der Nähe von Inu Yashas Gesicht. Beinahe hypnotisiert lag sein Blick darauf.

Inu Yasha nuschelte etwas, das Sesshōmaru nicht verstand, sodass der sich etwas weiter zu ihm herab beugte.

„Drück dich deutlicher aus! Ich bin nicht gerade erfreut über eine Störung zu so später Stu-“

Er wurde jäh in seinem Satz unterbrochen, als Inu Yasha mit, für seinen Zustand, erstaunlicher Kraft nach einer der dicken Strähnen griff und Sesshōmaru mit einem Ruck nach unten zog, sodass dieser sich gezwungen sah die Hände auszustrecken um keine Bekanntschaft mit dem Erdboden zu schließen.

„Lass los“, befahl Sesshōmaru und versuchte seine Strähne aus dem eisernen Griff des Hanyō zu befreien.

„Nö“, machte dieser nur und grinste ihn dann an „Weißt du … eigentlich, dass … diese verdammten Bastarde.... dich alle … alle f... ficken wollen?“

Er schloss die Augen und sog genießend den Duft ein, der in dem Haar haftete.

„Ich hab quasi deine... deine Ehre verteidigt...“

Sesshōmaru verengte die Augen und sagte dann leise, jedoch weitaus weniger scharf, wie er beabsichtigt hatte: „Und deshalb riechst du nach Alkohol und Lustsaft? Ich kann mir schon denken, was ihr da getrieben habt!“

„Und du... riechst nach Hyazinthen... wie war das? Prinz der Hyazinthen?“

Sogar in seinem betrunkenen Zustand merkte er wie sich die Augen zuckend weiteten und Sesshōmarus Hand, die an Inu Yashas gelegen hatte, um seine Haarsträhne zu befreien, erschlaffte.

„Was?“, hauchte er kraftlos, „Was hast du da gesagt?“

Doch von Inu Yasha kam nur noch ein Schnarchen.

 

~*~

 

Sie waren übers Meer gekommen. Sesshōmaru hatte ihre Schiffe bereits am Horizont gesehen. Sein Vater hatte ihm von ihnen erzählt. Dämonen aus einem Land namens Persien, in dem immer die Sonne schien und die Nächte so klar waren wie nirgendwo sonst auf der Welt.

Als Sesshōmaru mit Saddin Al Sayid das erste Mal auf einander traf, war er 15 Jahre alt und gerade bei ganz grässlicher Laune. Sein Kampfmeister Akira-O hatte ihn mal wieder Staub fressen lassen und es wurmte ihn, dass er nach all diesen Jahren immer noch nicht gegen ihn ankam. Und gerade heute erwartete sein Vater die Gäste aus dem fernen Land, von dem er nur aus Geschichten wusste. Ihm tat jeder Muskel in seinem Körper weh und nicht zum ersten Mal an diesem Tag verwünschte er Akira zum Teufel.

 

Sesshōmaru!“, ereilte ihn die tadelnde Stimme seiner Mutter, „wo hast du nun wieder gesteckt? Und wie siehst du schon wieder aus, willst du so vor die Gäste deines Vaters hintreten?“

Sesshōmaru rollte unbemerkt mit den Augen und meinte dann: „Ich kann nichts dafür, wenn Akira-Sensei mich extra Einheiten machen lässt.“

Inukimi zog eine feingeschwungene Augenbraue hoch. „Nun, ich bin sicher, das wäre nicht nötig, wenn du deine Einheiten gewissenhafter absolvieren würdest. Und jetzt beeil dich, ich habe den Dienern bereits angewiesen, dir ein Bad zu bereiten.“

Sesshōmaru schluckte die Erwiderung auf die Gewissenhaftigkeit herunter und beugte sich seinem Schicksal.

Wenig später stand er, ziemlich schlecht gelaunt und finster aus der Wäsche schauend an der Seite seines Vaters und beobachtete, wie am Horizont Schiffe mit großen Segeln näher kamen.

 

Die Yōkai waren allesamt von sehr großem, sehnigem Wuchs und hatten olivfarbene Haut, die Augen sehr dunkel und viele von ihnen trugen Bärte. In das lange Haar war oft Schmuck geflochten und die Kleidung selbst war recht farbenfroh, eng geschnittene Mäntel über bunten Pumphosen und Schuhe, die vorne an der Spitze nach oben gebogen waren. Bewaffnet waren sie mit gebogenen Schwertern, Sarazener Säbeln aus Damaszenerstahl, wie er später erfahren sollte.
 

Der Inu no Taishō trat schließlich hervor um den Clanführer zu begrüßen – ein sehr alter Yōkai namens Shadi mit zerfurchtem Gesicht und schmalen Augen, die trotz der harten Gesichtszüge Güte und Freundlichkeit ausstrahlten.

Zu Sesshōmarus Überraschung umarmten sich beide Männer und küssten sich auf die Wangen zur Begrüßung – wohl ein persischer Brauch, Sesshōmaru war diese Art der Nähe, vor allem Fremden gegenüber fremd.

Inschallah, mein Freund“, sprach der alte Yōkai dann, wobei er das R rollte „wie lange mag es nun her sein seit wir uns das letzte Mal trafen?“

 

Zu lange“, erwiderte Tōga lächelnd und machte eine einladende Geste, „Ihr erinnert Euch an meine Gattin, die Inu no Kami?“

Es ist mir eine Ehre“, erwiderte der Yōkai und deutete eine höfliche Verneigung an, welche die Inu no Kami erwiderte.

Die Ehre ist meinerseits“, erwiderte sie mit warmer, freundlicher Stimme.

Und mein Sohn – Sesshōmaru.“

Shadis Augen blitzten und ehe sich Sesshōmaru versah fand er sich in den Armen des alten Mannes wieder, welcher ihm auch auf jede Wange einen Kuss gab.

„Es ist mir eine solche Freude Euch wieder zu sehen – wie groß Ihr geworden seid! Als ich Euch das letzte Mal sah, da habt Ihr als Welpe auf meinen Knien gesessen.“

D-daran erinnere ich mich nicht“, murmelte Sesshōmaru und war froh als Shadi ihn endlich wieder losließ. Sein Gesicht fühlte sich heiß an und plötzlich spürte er einen Blick auf sich – Sesshōmaru sah auf und fing den spöttischen Blick eines Mannes auf, der direkt hinter Shadi stand. In den Augen, schwarz wie die Nacht, saß der Schalk und um die Mundwinkel ein spöttisches Zucken. Aus irgendeinem Grund nahm die Hitze in Sesshōmarus Gesicht noch mehr zu und er sah demonstrativ in eine andere Richtung. Machte der Kerl sich etwa über ihn lustig?

 

Am selben Abend sollte es ein Festmahl geben zu Ehren der Gäste und Sesshōmaru staunte nicht schlecht, als er sah, was alles aufgefahren wurde. Normalerweise legte der Inu no Taishō keinen Wert darauf, Prunk und Protz zu zeigen – irgendwie hatte er seine Mutter im Verdacht, ihre Finger da im Spiel zu haben. Ihr war es immer ungemein wichtig, was Fremde über die Familie dachten.

 

Die Osmanen führen einmal wieder Krieg gegen die Hellener“, erzählte Shadi gerade und ließ sich etwas Sake nachschenken, „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich jemals so viel Menschenblut auf einen Haufen gesehen habe.“

„Wieder?“, erwiderte Toga, „Haben sie denn jemals damit aufgehört?“

Shadi lachte dröhnend und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, du weißt ja, wie die Menschen sind... doch berichte mir lieber von deinen Schattenyokai – konntest du sie inzwischen zurückdrängen?“

Die Miene des Inu no Taishō verfinsterte sich. „Das ist nicht gerade das beste Tischthema, mein Freund...“

Vermutlich hätten wir sie längst zurückdrängen können“, ließ eine Stimme die beiden Männer aufmerken, „allerdings müsste man dazu erst einmal in den Kampf ziehen.“

Tōgas Blick lag warnend auf seinem Sohn, ehe jedoch eine Zurechtweisung erfolgen konnte, erklang eine andere Stimme:

Meint Ihr anstelle 'wir' nicht 'das Heer des Inu no Taishō?' Mein Vater berichtete mir gar nichts davon, dass sie in Japan Knaben in den Krieg ziehen lassen.“

Sesshōmarus Kopf ruckte erbost herum – und wieder blickte er in die selben schwarzen Augen wie bereits am Vormittag. Der Sohn Shadis hatte eine spöttische Miene aufgesetzt und wiegte das Sakeschälchen geschickt in der Hand.

Wenn diese Knaben es mit Leichtigkeit mit jedem Soldaten im Heer ihres Vaters aufnehmen können, dann ja“, giftete Sesshōmaru zurück und wusste, dass er sich gerade nicht wie ein Fürstensohn benahm, aber dieser Mann hatte irgendetwas an sich, was ihn ungemein reizte – und er konnte nicht einmal bestimmen, was es war.

Saddin lachte und dieses … verdamme Blitzen in den Augen. Aus irgendeinem Grund war es Sesshōmaru plötzlich unglaublich wichtig, was dieser Mann, den er gar nicht kannte, von ihm dachte.

Er spürte verärgert wie Hitze in seine Wangen stieg und ehe er es sich versah, hörte er sich sagen:

Ich bin gerne bereit, Euch in einem Duell von meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Und wenn Ihr vor mir im Staub liegt, erwarte ich Eure Entschuldigung!“

Das sind große Worte für einen schmächtigen Knaben.“

Sesshōmarus Blick brannte sich in den Saddins. Wenn dieser Mann ihn noch einmal einen Knaben nannte, dann...

 

Ehe er jedoch eine weitere bittere Erwiderung entgegnen konnte, fuhr Tōga ihm scharf in die Parade: „Es reicht jetzt! Sesshōmaru, ich kann ein solches Verhalten gegenüber unseren Gästen nicht dulden, ich erwarte, dass du dich entschuldigst!“

Dem Jungen entgleisten die ansonsten so wohl sortierten Gesichtszüge. „Was, aber hast du nicht gehört, was er-“

Ich habe mich klar ausgedrückt!“

Mit einem wütenden Schnauben stand Sesshōmaru auf und marschierte mit erhobenem Haupt aus dem Saal.

 

Er musste irgendwie seine Wut los werden. Sein Blick fiel auf den sandigen Übungsplatz. Na, warum eigentlich nicht.

Als er wenig später auf die starre mannshohe Holzpuppe eindrosch, merkte er bald, dass er sich nicht so recht konzentrieren konnte und das machte ihn wütend. Wie mochte es bloß sein, dass ihn dieser Mann so derart aus dem Konzept brachte?

Ein leises Knurren erklang und im nächsten Moment war die Holzfigur entzwei.

Sesshōmaru richtete sich schwer atmend auf – nur um zusammen zu zucken, als er merkte, dass er nicht alleine war.

Es ist gerade nicht sonderlich klug, meine Gesellschaft zu suchen“, knurrte er in Saddins Richtung, dessen Blick wohl schon eine ganze Weile auf ihm gelegen haben musste. Anders als vorhin jedoch war er sehr ernst.

Offensichtlich habe ich Euch wirklich wütend gemacht“, kommentierte der persische Dämon ruhig – was Sesshōmaru irgendwie noch mehr aufregte als die spöttische Art von vorhin. Der schaffte es, dass er sich wirklich noch fühlte, wie ein Knabe.

Offensichtlich“, erwiderte er herablassend, „seid Ihr hier nicht erwünscht.“

Saddin jedoch ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen betrat er den Kampfplatz und zog dabei sein Schwert.

Ihr wünschtet, mich im Staub zu sehen“, sagte er und dabei flackerte eine gewisse Provokation in seinen Augen, „nun gebe ich Euch die Möglichkeit dazu, schöner Sesshōmaru.“

Die Worte brachten ihn für einen Moment aus dem Konzept, doch er fing sich bald wieder.

Saddin zog sein Schwert und Sesshōmaru legte das Übungsschwert zur Seite, um nach einem richtigen zu fassen.

 

Dann standen sie sich gegenüber, den Blick auf den jeweils anderen gerichtet, das einzige Licht gab der Mond am Nachthimmel.

Saddin war beinahe so alt wie der Inu no Taishō, doch wirkte er viel jünger. Sesshōmarus Blick fiel auf den Säbel. Er hatte solch ein Schwert noch nie im Kampf erlebt, deshalb war er auf der Hut. Es mochte klobig wirken, aber die Perser trugen es wohl nicht ohne Grund.

 

Im nächsten Moment klirrten die Waffen aneinander und Sesshōmaru spürte die enorme Kraft des anderen durch den Hieb vibrieren; Er machte eine elegante Drehung und wehrte einige Hiebe ab, die ihm beinahe das Schwert aus der Hand geschlagen hätten – innerhalb kürzester Zeit schwitzte er und er merkte zuerst gar nicht, wie Saddin ihn nach und nach zurück drängte, bis er schließlich die Mauern des angrenzenden Stalles mit Schrecken im Rücken spürte – er sah den Säbel auf sich zukommen und er durchtrennte mit solch einer Wucht sein Katana, dass es ihn zur Seite riss und er im Staub landete.

Erschrocken blickte er auf den Rest des Schwertes, der ihm aus der Hand geglitten war und ein sanftes Sirren zeugte davon, dass der Sarazenersäbel wieder in seiner Scheide verschwand.

Sesshōmaru sah auf und eine Weile starrten sie sich an. Dann wandte Saddin sich ab ohne ein Wort zu sagen und Sesshōmaru fühlte sich erniedrigt wie noch nie zuvor in seinem Leben.

Regen

Als Inu Yasha erwachte, brummte ihm gehörig der Schädel. Ein Sonnenstrahl fiel durchs Fenster und kitzelte ihn an der Nase. Mit einem genervten Brummen drehte er sich nochmal auf die andere Seite und kuschelte sich in die Decken ein, die so einen angenehmen, vertrauten Geruch beherbergten.

Es dauerte ein paar Minuten bis er merkte, dass er hier nicht zuhause in Musashi war. Inu Yasha blinzelte und sah sich im Zimmer um. Ein Raum, der ihm völlig fremd war, lediglich der Geruch hier war vertraut. Denn es war Sesshōmarus Geruch. Und schlagartig fiel ihm der gestrige Abend wieder ein.

„Oh Kuso!“, fluchte er leise und drückte sich ein Kissen ins Gesicht, wie um sich selbst damit zu ersticken, „Ich bin sowas von tot!“

Sein Blick fiel auf ein Tablett mit einem ausladenden Frühstück, welches wohl ein Diener unbemerkt hier rein geschafft haben musste und die Scham vom gestrigen Abend war vergessen als sein Magen wie zur Bestätigung knurrte. Na egal. Schämen konnte er sich immer noch, wenn er gegessen hatte.

Mit Heißhunger machte er sich über das Frühstück her, das aus Reis, Früchten und getrocknetem Fleisch unbekannter Herkunft bestand.

Etwas spät fiel ihm auf, dass er seine übliche Kleidung nicht trug, sondern einen Yukata. Richtig. Er hatte ja im Koi Teich gebadet. Er sah sich suchend im Raum um und, sah, dass man seine Kleidung zum Trocknen ausgebreitet hatte. Als er den Stoff befühlte, war der noch ein wenig klamm und roch irgendwie nach Teichwasser. Inu Yasha verzog das Gesicht als er sich wenig später hineinschälte.

Nie wieder Alkohol, dachte er grimmig als er den Raum verließ, nie wieder.

 

Da heute ein Sonntag war, gab es keine Trainingseinheiten und Inu Yasha dachte bei sich, dass er sich wohl langsam auf den Weg nach Musashi machen sollte. Er meinte sich dunkel erinnern zu können, Miroku und Sango versprochen zu haben, auf die Kinder aufzupassen. Der Hanyō verzog das Gesicht. Er hatte die Kleinen echt lieb, aber spätestens als sie seine Hundeohren entdeckt hatten, war es aus gewesen mit süß und niedlich.

So wunderte er sich doch ein wenig, dass vom Übungsplatz Kampfgeräusche an sein Gehör drangen.

Neugierig geworden schob er seine Heimkehr auf und schlenderte Richtung Übungsplatz.

Und staunte nicht schlecht als er Akira-O und Sesshōmaru auf selbigem bemerkte. Schwerter klirrten hart aufeinander, Sesshōmarus Miene wirkte hart und verbissen, während Akira eher einen ernsten, konzentrierten Eindruck machte.

Inu Yasha lehnte sich mit verschränkten Armen über den Zaun und sah den beiden eine Weile zu.

Täuschte er sich, oder wirkte Sesshōmaru leicht unkonzentriert?

Der Kampf war vorbei als sie sich gegenseitig die Klinge gegen die Kehle hielten.

Akira schütte den Kopf. „Das hat ganz schön lange gedauert. Du bist nicht bei der Sache.“

Sesshōmaru schnaubte nur auf diese Erkenntnis hin und sagte: „Nahkampf.“

Akiras rechte Augenbraue hob sich. „Ich halte das in deinem momentanen Zustand für keine gute Idee.“

Sesshōmaru knurrte gereizt. „Du hast mich gehört“, und sein ehemaliger Sensei zuckte nur mit den Schulten.

„Bitte.“

Sie legten die Waffen beiseite und gingen beide in Kampfposition und Inu Yasha, der Sesshōmaru selten ohne ein Schwert hatte kämpfen sehen, ließ den Blick kurz zu selbigem schweifen. Akira hatte gesagt, Sesshōmaru sei nicht so recht bei der Sache. Das war irgendwie sonderbar. So diszipliniert und konzentriert er sonst immer war. Aber er hatte Recht. Irgendetwas an Sesshōmaru war heute anders.

 

Sesshōmarus Kampfstil wirkte sonderbar aggressiv und brutal und Akira kam nach einer Weile tatsächlich ein wenig in die Bredouille - bis er schließlich urplötzlich das Blatt herumriss; Er packte Sesshōmaru blitzschnell an Ober- und Unterarm als dieser nach ihm schlug und nutzte seinen eigenen Schwung um ihn sehr unsanft zu Boden zu befördern – Sesshōmaru, leicht hustend von dem Staub, beeilte sich wieder auf die Beine zu kommen, doch ein harter Tritt seitens Akira zwischen die Schulterblätter hielt ihn mit einem Ächzen unten.

„Was hab ich dir eigentlich beigebracht!?“, gnatzte Akira ungnädig und riss Sesshōmaru an den Haaren, die zu einem Hochzopf gebunden waren, in die Höhe, nur um ihn mit einem kräftigen Stoß, der ihm die Luft aus den Lungen presste, erneut zu Boden zu stoßen. Blitzschnell war er über dem Daiyōkai und ließ die Hand herabsausen – Sesshōmaru wälzte sich gerade noch im letzten Moment zur Seite, sodass Akiras Schlag nur eine Menge Staub aufwirbelte und landete dann selbst einige Schläge, ehe Akira ihn erneut zurück drängte.

Diesmal schien es dem Kampfmeister zu bunt zu werden. Er schlug blitzschnell zu. Sesshōmaru riss es den Kopf zur Seite, da er ihn direkt im Gesicht getroffen hatte und ein weiterer brutaler Schlag direkt in die Nieren ließen ihn endgültig zu Boden gehen.

Inu Yasha hatte schmerzerfüllt das Gesicht verzogen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Akira ihn und die anderen nie derart brutal auf die Bretter geschickt. Irgendetwas in ihm grollte.

Und erst als Akira eine von Sesshōmarus Strähnen ergriff, die sich aus dem Zopf gelöst hatten und spöttisch meinte: „Wärst du in Form, hätte sich nicht ein Härchen gelöst“, wusste er, was ihn störte. Akira hatte Sesshōmarus Haare angefasst.
 

„Ich hoffe, Ihr habt genau zugesehen, Inu Yasha-sama“, ließ ihn Akiras Stimme plötzlich zusammen zucken. „Denn genau so … macht man es nicht!“

Inu Yasha biss sich auf die Unterlippe um nicht schadenfroh zu grinsen. Da hatte er den Beweis – nichtmal der ansonsten so perfekte Sesshōmaru war gegen die Maßregelungen des ehemaligen Sensei gefeit. Der Daiyōkai wischte sich gerade mit verdrießlicher Miene etwas Dreck aus dem Gesicht und warf Inu Yasha dann einen vernichtenden Blick zu.

„Oh Bitte, jetzt sieh mich nicht so an. Es ist nicht so als hätte ich dich noch nie im Dreck liegen sehen.“

„Du hängst heut nicht an deinem Leben, oder?“, knurrte Sesshōmaru und verengte die Augen einen Spalt.

„Ähm...“, machte Inu Yasha glucksend, „ich will deine Drohung nicht untergraben, aber dir klebt ein Blatt an der Wange.“

Sesshōmarus Blick wandelte sich von erbost in etwas Undefinierbares, während er ganz langsam und so hoheitsvoll wie möglich eine Hand hob um das Stück Laub zu entfernen. Inu Yasha war längst klar, dass er an seinem losen Mundwerk arbeiten musste. Zumindest, wenn er eine längere Lebenserwartung haben wollte.

„Wenn wir schon dabei sind“, knurrte Sesshōmaru leise und warf das Blatt achtlos zu Boden, „könntest du mir verraten, woher du von den Hyazinthen weißt.“

„Hyazinthen?“ Inu Yasha runzelte die Stirn, bis ihm plötzlich ein Licht aufging und ungewollt schoss ihm Röte in die Wangen.

„Ähm … ähm...“

„Nun?“

Instinktiv machte Inu Yasha einen Schritt zurück. Plötzlich konnte er Sesshōmaru nicht mehr in die Augen sehen.

„Ich … also … Homoto hat gesagt, ich soll …“

Verdammt, was machte er hier eigentlich? Benahm sich wie ein gescholtener Junge.

Also Flucht nach vorne.

„Du bist selbst schuld!“, gnatzte er, „mir bleibt ja nichts anderes übrig als rumzuwühlen, wenn du mir nie irgendwas von dir oder unserer Familie erzählst!“

Das war heftiger herausgekommen als beabsichtigt und tatsächlich schien Sesshōmaru einen Moment aus dem Konzept. Er sah Inu Yasha mit einem leichten Kopfschütteln an, das Fassungslosigkeit ausdrücken sollte.

„Du hast doch nie gefragt!“

„Ich h-“

Und schon hatte es Inu Yasha den Wind aus den Segeln genommen. Einfach fragen? Er hatte sich immer darüber beschwert, dass Sesshōmaru ihm nie etwas sagte, aber war er selbst auf die Idee gekommen, ihn einfach zu fragen? Nein. Die klare Antwort war Nein.

„Keh“, machte er, „und wenn schon.“

Er stellte sich bereits auf einen verbalen Schlagabtausch mit Sesshōmaru ein, doch der blieb aus. Stattdessen schüttelte der Ältere nur den Kopf und wandte sich dann von Inu Yasha ab.

„Wer ist Saddin?“

Sesshōmaru erstarrte.

„Wag es nicht, diesen Namen noch einmal in den Mund zu nehmen“, kam es gefährlich leise und damit ließ er Inu Yasha stehen.

Der wollte ihm hinterher eilen, doch eine Hand auf seiner Schulter hielt ihn auf. Akira. Der Kampfmeister schüttelte den Kopf.

„Nicht, Inu Yasha-sama. Das ist kein gutes Thema.“

„Aber...“

„Saddin Al Sayid war Sesshōmarus große Liebe. Er starb vor sehr langer Zeit.“

 

~*~

 

Sesshōmaru hatte sich gerade an die Koto gesetzt als er schon von einem Diener unterbrochen wurde.

„Was gibt es denn?“, wollte er unterkühlt wissen und der Diener machte sich kleiner, denn alle wussten, dass es um die Laune des jungen Herrn diese Tage nicht zum Besten stand.

Herr, Ihr werdet auf dem Hof gebraucht, bitte...“, damit zog er sich auch schon zurück. Sesshōmaru runzelte die Stirn und stand mit einem resignierten Seufzen auf. Was auch immer nun schon wieder war, er hoffte, dass es ein berechtigter Grund war, ihn zu stören.

 

Wer ihn jedoch erwartete, war Saddin mit einigen Dienern. Er verzog den Mund zu einem breiten Lächeln als er ihn erblickte und neigte den Kopf auf höflich-spöttische Weise.

Ich bin erfreut, dass Ihr meiner Bitte nachgekommen seid.“

Hätte ich das gewusst, hätte ich mir mehr Zeit gelassen“, erwiderte Sesshōmaru hochnäsig, „Haltet Ihr mich für einen Diener, nach dem man nach Belieben schicken kann?“

Saddin lachte und Sesshōmaru rann ungewollt ein Schauer über den Körper.

„Mitnichten, Nachtschöner. Ich möchte Euch gerne ein Geschenk machen zum Zeichen meiner demütigsten Reue und tiefsten Entschuldigung dafür, dass ich Euch so aus der Fassung brachte.“

Ich war nicht außer Fassung“, brummte Sesshōmaru, „Ich war nur überrascht, das ist alles.“

Wie Ihr das auch sehen mögt...“ Saddin nickte zwei Dienern zu und die verschwanden kurz, nur um darauf mit... einem Geschöpf wieder zu kommen, das so selten war auf der Welt, dass sogar Sesshōmaru es nur aus Erzählungen kannte.

Der Mund ging dem jungen Fürstensohn auf als er den zweiköpfigen grünbraunen Drachen erblickte, welcher von den beiden Dienern an Zügeln geführt wurde. Er trug eine Art Maulkorb aus Metall und einen kunstvoll verzierten Sattel auf dem Rücken.

Langsam trat er an das Geschöpf heran und berührte es am Hals. Die Haut war schuppig und warm, aus den Nüstern des linken Kopfes stieb bei der Berührung etwas Qualm.

Ich habe irgendwie so das Gefühl, die Überraschung ist gelungen“, raunte Saddin mit dunkler Stimme und Sesshōmaru spürte plötzlich dessen Atem in seinem Nacken und ein angenehmer Geruch von weißen, würzigen Hölzern umgarnte seine Nase. Sein Mund wurde trocken und er erschauerte und wünschte sich einen Moment, die Lippen mochten sich auf seine Haut senken.

Doch dann war er schon wieder fort.

Sesshōmaru nahm dem Diener die Zügel aus der Hand und schwang sich auf den Rücken des Geschöpfes. Er spürte die kräftigen Muskeln, die Energie, die von ihm ausging, die Warnung, auch nur eine falsche Bewegung, ein falsches Wort, würden ihn schneller zur Erde befördern als ihm lieb war.

Er musste kaum die Flanken des Drachen berühren und er lief los. Der Gang war so weich, dass er ihn kaum spürte.

 

Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit“, sagte Sesshōmaru wenig später als er abstieg und den beiden Dienern die Zügel wieder übergab, die den Drachen wegführten.

Saddin hob die Hände. „Bitte. Ich war es Euch schuldig. Wollt Ihr mir im Gegenzug vielleicht einen kleinen Gefallen erweisen? Ihr könntet mir Euer Land zeigen, so wie Ihr es mit Euren Augen seht.“

Sesshōmaru nickte und fand die Vorstellung, allein mit Saddin zu sein plötzlich gar nicht mehr so fürchterlich.

 

~*~

 

Shippo hatte gerade sein Training beendet und bis zum Nachmittag, an welchem die nächste Einheit statt fand, noch viel Zeit. Da er mit den anderen Welpen immer noch nicht so ganz warm geworden war, vertrieb er sich selbst ein wenig die Zeit, indem er den riesigen Garten erkundete und ein paar Spiele für sich allein spielte. Eigentlich, so dachte er, war es doch schade, dass Masaru nicht herkommen konnte. Zu gerne hätte er dem Freund all das hier gezeigt.

Gerade befand sich der kleine Kitsune in einem Spiel, in dem er Inu Yasha imitierte, welcher insgeheim schon immer sein Held gewesen war (was er aber natürlich nie zugegeben hätte) und fuchtelte mit einem der Holzkatana in der Luft herum.

„Kaze no Kizu!“, rief er dabei übermütig lachend, woraufhin ihm das Schwert aus der Hand flutschte.

„Ups“, machte er kichernd und machte sich daran, das Holzschwert aus dem Gras aufzulesen.

„So, wie du damit herumfuchtelst, hättest du dir mit dem echten Tessaiga längst einen Arm und beide Beine abgesäbelt.“

Shippo machte vor Schreck einen Satz zur Seite, verlor das Gleichgewicht und purzelte mit dem Gesicht voran in einige wildwachsende Margarithen.

Als er sich aufrichtete, blickte er direkt in das Antlitz Sesshōmarus und errötete augenblicklich. Die Miene des Daiyōkai wirkte amüsiert und Shippo wünschte sich, dass sich ein Loch im Erdboden auftäte, das ihn sogleich verschluckte.

„Ich bitte um Verzeihung“, nuschelte er und sah zu Boden, „ich wusste nicht, dass Ihr hier seid.“

Sesshōmaru machte eine wegwerfende Handbewegung und musste sich auf die Unterlippe beißen um ernst zu bleiben.

„Heb das wieder auf, dann zeige ich dir, wie du das Kaze no Kizu richtig machst.“

Dabei deutete er auf das Holzschwert und Shippo beeilte sich mit klopfendem Herzen, der Aufforderung nachzukommen.

Sesshōmaru korrigierte Shippos Handhaltung, welcher bemüht war, jeder kleinen Anweisung zu folgen und alles richtig zu machen. Dass Sesshōmaru-sama einen guten Eindruck von ihm hatte, war ihm plötzlich unglaublich wichtig.

„Je weniger Bewegungen du brauchst“, erklärte Sesshōmaru dann, „desto weniger Yoki verbrauchst du. Gezielt und präzise und nicht je mehr desto besser. Verstehst du?“

Shippo nickte schüchtern. „Ich glaube schon...“

„Gut. Dann versuch es noch einmal. Schlag. Links. Oben. Unten. Links.“

Während Shippo den Anweisungen von Sesshōmaru Folge leistete, schob sich vor Konzentration die Zungenspitze zwischen seine Lippen.

„Sehr gut. Und jetzt nochmal. Wie weit ist Akira-O-Sensei mit euch?“

„Meistens jagt er uns nur durch den Wald oder lässt uns Reissäcke schleppen, damit wir Muskeln bekommen“, erzählte Shippo, während er die Übung weiter ausführte. „Schwertübungen machen wir noch nicht so viele.“

Sesshōmaru, der sich inzwischen recht unfürstlich im Gras nieder gelassen hatte, nickte langsam. Daran erinnerte er sich nur zu gut. Das waren auch nie seine liebsten Einheiten gewesen als Welpe.

„Aber er erzählt viel über Kriege und Strategien. Das find ich spannend, von meinen Eltern hab ich sowas nie erfahren und die anderen Kitsunen in meinem Alter interessieren sich glaub ich gar nicht für sowas.“

 

Sesshōmaru schwieg eine Weile, dann fragte er sanft: „Was ist mit deinen Eltern geschehen, Kit?“

Shippo ließ einen Augenblick das Holzschwert sinken und sagte dann leise: „Chichi-ue ist von den Donnerbrüdern, Hiten und Manten ermordet worden. Leider konnte ich ihn nicht rächen, weil ich zu schwach war. Das hat Inu Yasha dann für mich erledigt. Und Haha-ue … sie ist gestorben als sie mein kleines Geschwisterchen zur Welt bringen wollte. Das Kleine ist mit ihr ins Jenseits gegangen.“

Er zuckte die Schultern und straffte daraufhin die Gestalt.

„Aber naja, so ist es nunmal.“

Dann schien dem Kitsunen etwas einzufallen.

„Sesshōmaru-sama?“

„Ja, Kit?“

Shippo zögerte, wirkte als wäre ihm irgendwie bang und ein leicht trauriger Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht.

„Hört... es irgendwann auf, wehzutun?“

Sesshōmaru antwortete nicht sofort, er streckte nur eine Hand aus, zum Zeichen, dass Shippo näher kommen sollte. Der Kleine kam der stillen Aufforderung nach und fand sich im nächsten Moment mit schnell klopfendem Herzen in den Armen des Daiyōkai wieder. Ein wohliger Duft von Hyazinth und Zuhause umschmeichelte ihn und irgendwie dieser unterschwellige Geruch den er mit seiner verstorbenen Haha verband, während ein Vorhang aus schneeweißem Haar seine Sicht beschränkte.

„Ich wünschte, es wäre so“, sagte Sesshōmaru leise und Shippo hielt ganz still, denn es war nicht recht klar, wer nun wem Trost schenkte.

 

~*~

 

Ein tosendes Meer. Er öffnete den Mund, doch seine Kehle war wie zugeschnürt, kein Laut wollte hervor dringen. Das Wasser zerrte ihn in die Tiefe, die Kräfte erloschen.

Schwarze Wogen schwappten über ihm zusammen und in der Tiefe war es still, so herrlich still.

Er öffnete die Augen und sah einen Lichtkreis. Dort saß ein Welpe, ihm den Rücken zugewandt. Er schien mit etwas zu spielen.

Was... machst du denn hier?“, sprach er ihn mit sanfter Stimme an und kam langsam näher, ließ sich zu ihm herab sinken, doch er reagierte nicht.

Mit was spielst du denn da?“, versuchte er es erneut.

Daraufhin wandte sich der Welpe um und da sah Sesshōmaru, dass die Augenhöhlen blutig leer waren, umso verstörender das breite, kindliche Lächeln, das auf dem Gesicht lag und dann streckte er ihm hin, was er in den Händen hielt und Sesshōmaru taumelte mit einem Keuchen zurück, denn es war eine blutige Gebärmutter und als er jäh an sich herab sah, sah er den Schnitt quer über dem eigenen Bauch und wie das Blut die weiße Kleidung beschmutzte.

Warum hast du mich ermordet?“, klagte der Welpe mit der Stimme des Südfürsten und Sesshōmaru spürte den Schmerz als habe ihm jemand ein Messer in den Leib gerammt.

Ich war doch auch ein Teil von dir, Haha-ue!“

Ermordet. Ermordet. Ermordet.

 

 

Sesshōmaru schreckte mit einem Donnerkrachen aus dem Schlaf. Ein Blitz erhellte den dunklen Raum und Regen prasselte gegen die Fenster. Sein Puls raste, die Atemfrequenz erhöht.

Es dauerte etwas, bis er den Traum endgültig abgeschüttelt hatte, realisiert hatte, dass er hier in seinem Schloss in seinen Gemächern war und nicht in dem schwarzen tosenden Meer.

Unbewusst hatte er die Hände über dem Bauch verkrampft. Aber da war nichts. Kein Schnitt. Kein Blut. Kein toter Welpe. Die Kehle schnürte sich ihm zu. Er fuhr sich fahrig durch das wirre, leicht schwitzige Haar. Die Einsamkeit drückt plötzlich mehr denn je und beim nächsten Donnerkrachen war er aufgesprungen und nach draußen geeilt, ohne sich etwas überzuziehen.

Der Regen prasselte hart auf die Haut und durchnässte seine Kleidung in kürzester Zeit. Aber das war gut. Es ließ ihn etwas fühlen. Es lenkte ihn von dem Sturm in seinem Inneren ab.

War es feige gewesen? Bequemlichkeit? Angst? Die leeren Augenhöhlen flackerten vor seinem inneren Auge auf. Das ganze Blut. So viel Blut. Hätte er sich nicht besser beherrschen müssen in seiner Läufigkeit? Hatte er versagt, war er so schwach, dass er seinen niederen Instinkten so einfach erlag?

Die Klauen krallten sich in den nassen Yukatastoff. Er war auf einer Bank in der Nähe des Koi Teiches in dem Inu Yasha baden gegangen war, niedergesunken und starrte jetzt auf das Wasser, das von den Regentropfen so zerwühlt wurde.

Es wurde heller, der Donner zog sich zurück und der schwere Regen wurde zu einem Nieseln.

Zuerst bemerkte er nicht, dass jemand näher kam. Der Regen verwusch den Geruch. Und als er es merkte, da wandte er sich nicht um, sondern starrte weiter auf den Teich.

 

„Deine Diener sagen, du hockst hier schon die ganze Nacht und seist nicht ansprechbar“, sagte Inu Yasha und ließ sich in etwas Abstand neben Sesshōmaru auf die Bank sinken. Der schwieg.

„Also wenn du noch so wütend bist wegen meiner Schnüffelei, dann...“

„Sei still“, erwiderte Sesshōmaru abwesend. „Sei einfach... still...“

Inu Yasha hielt die Klappe, aber er legte skeptisch den Kopf schief und betrachtete seinen Halbbruder von der Seite. Dann folgte er dessen Blick auf den Teich, um zu sehen, ob es da etwas zu entdecken gab.

Man hatte ihm berichtet, dass der werte Fürst in den frühen Morgenstunden aus seinen Gemächern gestürzt war und diese Position hier im Garten bezogen hatte. Durch den dünnen Yukatastoff schimmerte blass die Haut durch und das nasse Haar klebte Sesshōmaru schwer an Schultern und Rücken und teilweise im Gesicht. Inu Yasha hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil er das Gefühl hatte, nachdem was er von Akira wusste, bei Sesshōmaru irgendetwas aufgewühlt zu haben.

Das allerdings aus ihm herauszubekommen, war dann wieder eine ganz andere Angelegenheit.

Inu Yasha verschränkte die Arme hinter dem Kopf und meinte dann: „Was sehen wir uns da an?“

Er glaubte schon, keine Antwort zu erhalten, doch nach einer Weile sagte der Ältere langsam: „War es ein Fehler?“

Inu Yasha verstand zuerst nicht, worauf er hinauswollte und in seinem Hirn ratterte es schon gehörig.

„Der Welpe...“

Und da fiel der Groschen.

Sesshōmaru hatte ihn nicht angesehen und seine Stimme klang so teilnahmslos als spräche er nur zu sich selbst.

„Uhm...“, machte der Jüngere unsicher. Er verstand eigentlich nicht viel davon. Er hatte es nur am Rande mitbekommen, was es mit dem Frauen im Dorf gemacht hatte, wenn eine von diesen ein Kind verloren hatte.

Aber Sesshōmaru? War der zu Gefühlen dieser Art überhaupt fähig? Innerlich schüttelte er den Kopf. Es arbeitete offensichtlich in Sesshōmaru und aus irgendeinem Grund war es nun an ihm, ihm ein wenig von dieser Last zu nehmen. Weil er das ja so gut konnte. Inu Yasha rollte die Augen über sich selbst und meinte dann nur: „Komm, tu dir das jetzt nicht an.“

Weiter nichts. Doch irgendwie schien es Wirkung zu zeigen, denn Sesshōmaru wandte den Kopf zu ihm hin, um ihn zu mustern. Dabei bemerkte er tiefe Schatten unter dessen Augen und wie mechanisch streckte Inu Yasha die Hand aus um eine nasse Haarstähne aus Sesshōmarus Gesicht zu streichen. Und verharrte als er merkte, was er da tat. Doch er nahm die Hand nicht weg. Und Sesshōmaru, und das war viel sonderbarer, entzog sich der Berührung nicht. Er sah ihn nur an. Undeutbar.

 

Bis ein Diener sie störte. „Herr“, keuchte er, „ein Glück, dass ich Euch gefunden habe. Ein Bote aus dem Süden ist hier, er-“

Sesshōmaru erhob sich mit einem Ruck. „Bringt ihn in die Vorhalle!“

Der Diener nickte und eilte davon. Inu Yasha, der irgendwie ein mieses Gefühl dabei hatte, erhob sich und eilte Sesshōmaru hinterher.

 

Der Bote übergab die versiegelte Schriftrolle. Sesshōmaru brach das Siegel und entfaltete sie. Inu Yasha sah, wie die blassgoldenen Augen über die Zeilen flogen und das Herz schlug ihm bis zum Halse. Sesshōmarus Fingerspitzen krallten sich in den Rand des Schriftstücks.

„Und? Was will er?“, wagte er es zu fragen.

„Er erklärt uns den Krieg. Als Grund nennt er offiziell die Ermordung seines Nachkommen und den Diebstahl der oberen Südlande.“

Krieg. Das Wort summte bedrohlich wie eine Hornisse durch Inu Yashas Kopf. Und Sesshōmaru … dachte daran, wie er es als Knabe kaum hatte abwarten können, in den Krieg zu ziehen und wie es ihn beinahe das Leben gekostet hatte...

 

~*~

 

Euer Land blüht“, bemerkte Saddin staunend als er den Hain mit den Kirschbäumen sah, die in voller Blüte standen. Der sachte Wind wehte einzelne Blütenblätter von den Bäumen und es sah aus als schneite es zartrosafarbenen Schnee.

Sie blühen nicht lange“, gab Sesshōmaru zurück. „Wenige Wochen. Habt Ihr keine Kirschbäume in Persien?“

Was bei uns wächst ist selten schön“, erzählte Saddin, „es ist robust und von kräftigem Wuchs, gemacht um zu überleben. Das meiste ist Steppe und Wüstenei. Oben in den Bergen findet Ihr kärgliches Grün, hin und wieder eine Blume. Mein Land ist wild und rau.“

Wüste. Davon hatte der Vater ihm berichtet. Sand. Felsen. Eine unendliche Weite.

Ihr passt zu Eurem Land“, bemerkte Sesshōmaru dann, woraufhin Saddin eine Augenbraue hob.

Tue ich das?“, erwiderte er mit samtener Stimme.

Unser erstes Zusammentreffen war rau und felsig und Ihr wart wie die Sonne in Eurer Wüste, die mich in die Knie zwang.“

Sesshōmaru schnalzte gereizt mit der Zunge bei der Erinnerung an diese unschöne Begegnung.

Ihr selbst seid robust und von kräftigem Wuchs. Dass in Euch auch etwas wächst zeigtet Ihr mir mit Eurem Geschenk. Und Eure Worte, Eure Stimme sind wie eine Blume, die versucht einen mit ihrem Anblick zu betören, aber... diese Blume mag auch giftig sein.“

Saddin lächelte. „Wohl sollte ich mich geschmeichelt fühlen, welche Worte Ihr für mich übrig habt, schöner Sesshōmaru. Doch bin ich vielmehr erstaunt darüber, wie gut Ihr mich bereits zu kennen scheint.“

 

Sie gingen weiter. Es dauerte nicht sehr lang bis sie eine Lichtung im Wald erreichten, auf der über und über blaue Hyazinthen blühten.

In meinem Land“, sagte Saddin, während er zwei weiße Schmetterlinge beobachtete, „gibt es ein Märchen von einem Prinzen, dessen Liebster in den Krieg zog und nie zurückkehrte. Darüber war er so traurig, dass seine Tränen zu einem nie versiegenden Strom wurden. Und man sagt, dass überall, wo seine Tränen die Erde berührten, blaue Blumen wuchsen. Und der Liebste sah irgendwann die Blumen und fand so seinen Weg heim.“

Sesshōmaru schwieg und sah in die Ferne.

Bei uns gibt es auch viele Märchen“, sagte er dann, nur um etwas zu sagen, „allerdings handeln die alle von Dämonen, die sich auf Menschen einlassen und umgekehrt. Flüsse, die Mädchen verschlingen, Spinnendämoninnen, die Ningenmänner anlocken.“

 

Ich bin sicher“, raunte Saddin plötzlich von hinten nahe an seinem Ohr, sodass Sesshōmaru eine Gänsehaut bekam, „Eure Tränen würden auch zu diesen blauen Blumen werden... sagt … habt Ihr denn eine Liebste oder einen Liebsten?“

Sesshōmarus Atem ging etwas flacher, er war nicht in der Lage, sich unter Kontrolle zu halten. Er schüttelte nur den Kopf, weil Saddins Stimme und sein Geruch ihm gerade die Sinne vernebelten, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte.

Ein plötzlicher Kuss in seine Halsbeuge ließ ihn zittrig aufatmen.

Darf ich Euch um einen Gefallen bitten?“

Was... für ein... Gefallen?“

Lasst mich Euch malen... in den Hyazinthen … sie sollen alles sein, was Ihr tragt.“

Sesshōmaru stieg Hitze in die Wangen.

Wie … wie könnt Ihr so etwas...“

Saddin sog den Geruch ein, der in Sesshōmarus zu einem lockeren Zopf geflochtenen Haaren haftete.

Bitte...“

Na... na gut, meinetwegen.“

Wenn Ihr erlaubt...“, sagte Saddin leise und begann mit geschickten Händen den leichten Harnisch zu lösen, den Sesshōmaru trug, dann den Haori und die anderen Schichten Kleidung darunter und Sesshōmaru, der noch nie von einem anderen Mann berührt worden war, schlug das Herz bis zum Halse.

Saddin griff ihm in die Haare und öffnete den geflochtenen Zopf, bis sein Haar in sanften Wellen

lose über seine Schultern fiel. Saddin betrachtete Sesshōmaru eine kurze Weile ehe er ihn bat eine bequeme Sitzposition in dem blauen Blütenmeer einzunehmen. Das Licht fiel genau im richtigen Winkel ein um der ganzen Szene eine wunderschöne Untermalung zu verleihen.

Schließlich holte der persische Dämon aus einer Tasche Papier und Kohlestifte, um erste Skizzen zu machen, dabei nicht ahnend, was er in dem jungen Yōkai, den er vor sich hatte, auslöste.

Sesshōmaru hatte nie Scham wegen seines eigenen Körpers gehabt. Er war auch alles andere als naiv und ihm war wohl klar, was die anderen Burschen manchmal heimlich im Stall oder den angrenzenden Wäldern trieben. Auch war der ein oder andere bereits so kühn gewesen, sich ihm anzunähern, doch er hatte sie alle immer abgewiesen. Keiner war würdig gewesen und er hatte immer geglaubt, dass es auch nie einen gäbe, der würdig sein konnte.

Und jetzt saß er hier, vor einem gestandenen Dämon, nackt, ließ sich zeichnen und konnte sich nicht erinnern, jemals einen erotischeren Moment in seinem Leben erlebt zu haben und gegen die leichte Erregung, die über ihn kam, war er machtlos und irgendwie war es ihm auch gleich. Sollte Saddin ruhig sehen, was er anrichtete.

Sesshōmaru betrachtete die dunklen Augen, wie sie flink zu ihm und dann wieder auf das Papier flogen, wie der Blick ihn erfasste und bannte, sein Inneres, wie sein Äußeres. Wurde dabei der Zeit verlustig.

 

Erst ein sanftes „Sesshōmaru“, ließ den jungen Yōkai aufblicken. „Genau das war es“, sagte der Perser leise, „Der Blick, der an einen Ort ging, der dem Maler verschlossen blieb. Wo seid Ihr gewesen?“

Wie war Saddin plötzlich nur hinter ihn gelangt? Wie die schlanken Finger in sein Haar? Sesshōmaru schloss die Augen als er hörte wie Saddin den Duft seines Haares aufsog und er schloss die Augen und seufzte.

ich war“, hörte er sich sagen, „an einem Ort, an dem Saddin mich malte. An dem Saddin seine Finger durch mein Haar gleiten ließ und seinen Geruch in sich aufnahm. An einem Ort, an dem Saddin mich mit seinem Blick verbrannte und mich nackt zwischen den Hyazinthen sah.“

Er spürte einen ehrerbietigen Kuss auf der linken Schulter. Erschauerte.

Ein Ort, an dem er mich küsste“, sagte er leise und dann drehte er sich um und suchte die Lippen des Anderen und der erste Kuss seines Lebens hätte nicht schöner sein können, nicht liebevoller. Kräftige Arme wanden sich um den jungen, starken Körper, als wollten sie ihn gleichzeitig enger ziehen und von sich stoßen.

Saddin war es, der den Kuss unterbrach. „Ich kann das nicht tun, Nachtschöner“, sagte er und barg einen Moment das Gesicht in Sesshōmarus Halsbeuge, während seine Hände über dem Steiß und im Kreuz ruhten.

Sesshōmarus Hand fuhr in das kräftige, gewellte Haar.

Warum nicht? Ich will es!“

Saddins Lippen wanderten von der Halsbeuge herab zum Schlüsselbein, herab zu einer der rosigen Brustwarzen, die vor Erregung längst steif und hart waren, küsste sie und murmelte gegen die weiße Haut: „Ihr seid zu jung, zu unschuldig...“

Sesshōmaru schnaubte. „Ich bin alt genug.“

Ich würde Euch wehtun.“

Ich kann Schmerzen ertragen.“

Das sollt ihr aber nicht“, entschied Saddin und legte Sesshōmaru einen Finger auf die Lippen, um ihn am Widerspruch zu hindern. Dann küsste er seinen Hals abermals, an jener Stelle, an welcher ein Gefährtenmal säße, verharrte dort, saugte sacht an der Haut, ehe er sie wieder ließ.

O Orpheus singt“, flüsterte Saddin nahe seines Ohres und Sesshōmaru stöhnte leise zittrig auf, als er eine Berührung dort spürte, wo nur er selbst bisher seine Hände gehabt hatte.

Oh hoher Baum im Ohr...“

Die weiße Brust hob- und senkte sich schneller, der Atem ging flach, die Lider geschmückt in Magenta sanken herab.

... Und alles schwieg...“

Ein sehnsuchtsvolles Aufstöhnen, Zähne, die sich in die Unterlippe gruben. Eine Hand, die zärtlich über seine Wange strich, während die andere ihm solche Lust bereitete.

... Doch selbst in der Verschweigung ...“

Es dauerte nicht lange, bis er sich seinem Höhepunkt näherte. Er war zu jung, zu unerfahren.

... ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.“

Ein lustvoller Aufschrei, der Körper sank wohlig-erschöpft zusammen. Und als Saddin ihn dann küsste, wusste Sesshōmaru, dass er nie wieder andere Lippen küssen wollte...

Vor der Schlacht

Die Kunde der nahenden Schlacht hatte sich in Windeseile im Reich verbreitet und Sesshōmaru hoffte, den Daiyōkai des Südens schlagen zu können, ehe er die westlichen Grenzen zu weit oder überhaupt überschritt.

Man erlebte den jungen Fürsten diese Tage verbissen und schweigsam, eine Spur gereizt. Für Inu Yasha war klar, dass er an Sesshōmarus Seite blieb, auch wenn der noch nichts von seinem Glück wusste. Tessaiga konnte großen Schaden anrichten und besser der Schaden war auf der Seite der anderen als auf ihrer.

 

„Nein“, ereilte ihn die erwartete Antwort als er Sesshōmaru von seinen Plänen unterrichtete. Er rollte mit den Augen und verschränkte die Arme.

„Du weißt, dass du eigentlich gar keinen Grund für diese Ablehnung hast als dass du die Blamage fürchtest, einen Hanyō in deinem Heer zu haben.“

„So ein Blödsinn!“, erwiderte Sesshōmaru unwirsch, während ein Diener gerade dabei war, das lange weiße Haar zu einer schlachtentauglichen Frisur zu formen – sehr zum Leidwesen Inu Yashas, der das nur ganz schwer ertragen konnte, jemand anderen in Sesshōmarus Haaren herumfummeln zu sehen.

„Was hast du dann für ein Problem?“

„Es ist nicht deine Angelegenheit, das ist mein Problem.“

„Soweit ich mich erinnere haben wir denselben Vater, von daher ist es schon irgendwie auch mein Problem, oder?“, erwiderte Inu Yasha entschieden und funkelte den anderen an. Sesshōmaru presste die Kiefer aufeinander. Inu Yasha hatte Recht. Er hatte absolut keinen Grund dazu den Jüngeren in dieser Schlacht nicht an seine Seite zu berufen und dennoch. Irgendetwas in ihm sperrte sich. Irgendeine dunkle Vorahnung, aber die war so ungreifbar, dass er sie nicht hätte in Worte fassen können.

„Sesshōmaru, sei vernünftig.“

Der Ältere sah zu Inu Yasha, ihre Blicke hielten sich kurz, ehe die Lippen sich zu einem kurzen trockenen Lachen brachen.

Jetzt war es schon so weit. Inu Yasha. Ausgerechnet Inu Yasha erzählte IHM etwas von Vernunft.

Schweigen füllte den Raum. Sesshōmarus Blick glitt unauffällig an Inu Yasha hoch. Das Kampftraining hatte ihn auch körperlich erstarken lassen und er hatte wohl noch einen kleinen Wachstumsschub bekommen, sodass er von der Größe her beinahe an ihn heran reichte. Mit dem Schwert war er inzwischen viel geschickter als am Anfang und das in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit.

 

„So nicht“, sagte Sesshōmaru, während er dem Diener, der gerade fertig geworden war, ein Zeichen gab, sich zurück zu ziehen und Inu Yasha wollte sich schon beschweren, doch ein ruhiges „Komm mit“, ließ ihn den Mund wieder schließen und so beeilte er sich, den Schritten des Älteren hinterher zu kommen.

„Was...? Wo gehen wir hin?“

Er bekam keine Antwort, doch merkte er auch so bald, dass sie sich in Richtung des Westflügels bewegten und Inu Yasha verdrängte die peinliche Erinnerung was während beziehungsweise nach seinem letzten Besuch hier passiert war.

Sesshōmaru steuerte Türen an, die offensichtlich keine Klinke besaßen. Mit einer schnellen streichenden, kreisförmigen Handbewegung öffneten sich die Schlösser auf geheimnisvolle Weise und die Türen schwangen nach Innen auf.

Inu Yasha strömte ein so vertrauter Geruch entgegen, dass er für einen Moment die Augen schließen musste. Chichi-ue, dachte er unvermittelt.

Sesshōmaru machte sich an dem Gardinenband zu schaffen, um die schweren Vorhänge zur Seite zu ziehen, damit Licht in den Raum fiel. Dabei sagte er, ohne sich umzudrehen: „Binde dein Haar hoch.“

„Wie?“, erwiderte der Hanyō perplex, „Ich öhm... glaub nicht, dass ich ein Band dabei hab oder sowas...“

Daraufhin kam Sesshōmaru zu ihm, wobei er etwas aus seinem Haoriärmel zog, was sich als blaues, seidenes Band herausstellte. Inu Yashas Herz schlug auf eine kindische Weise schneller als der Ältere sich hinter ihn stellte und ihm sanft ins Haar griff, ein paar mal mit den Fingern hindurchfuhr um kleine Verknotungen zu lösen und es schließlich zu einem Zopf hochfasste, dabei nicht ahnend, was er mit dieser Nähe in Inu Yasha auslöste. Jedesmal, wenn die Klauen durch sein Haar fuhren überzog eine Gänsehaut seinen ganzen Körper und er sog die Augen schließend Sesshōmarus Geruch ein, eine Mischung aus Wald und Wiesen und … Hyazinth. Eine leichte angenehme Röte hatte sich auf seine Wangen gelegt und er bedauerte es fast als Sesshōmaru fertig war.

Er folgte dem Älteren mit dem Blick, welcher zu einer Stelle des Raumes ging, die er bisher gar nicht beachtet hatte – und seine Lippen öffneten sich einen Spalt.

 

„Sesshōmaru“, sagte er tonlos, „ist das...“

„Sie wird dir jetzt passen. Ihr habt denselben Körperbau. Leider ließen sich nicht alle Blutflecken entfernen, aber anders als die Menschen glauben wir Yōkai nicht, dass das Unglück bringt. Im Gegenteil“, teilte Sesshōmaru ihm mit während er sich geschäftig an der Rüstung zu schaffen machte.

Inu Yasha streckte die Hand aus und strich ehrfürchtig über den Brustharnisch, wobei er kein Wort herausbrachte. Erst als Sesshōmaru ihm das Schuhwerk in die Hände drückte, merkte er auf. Ein wenig zweifelnd sah er darauf herab, denn er war es nicht gewohnt, in Schuhen zu gehen, er brauchte das Gefühl und die Bodenhaftung, aber sogar er musste irgendwie einsehen, dass es in einer richtigen Schlacht sicherer war.

Wortlos legte Sesshōmaru ihm den Rest der Rüstung an. Sie war gar nicht so schwer, wie Inu Yasha erst angenommen hatte, bei den vielen Platten und Teilen.

„Sesshōmaru?“, sagte er irgendwann leise als er den entrückten, abwesenden Blick des anderen bemerkte, doch der reagierte gar nicht.

„Damit eins klar ist“, sagte der Ältere schließlich, „du wirst Befehle befolgen. Sowohl meine als auch die meiner Generäle. Kein aus der Reihe tanzen, keine unverschämten Sprüche, keine Alleingänge.“

Er sah Inu Yasha musternd von oben bis unten an und nickte dann.

„Sie wird dich schützen. Wer weiß, mit welchen Hinterhältigkeiten Takaitayo aufwartet.“

Er prüfte noch einen Verschluss am Schulterteil, doch ehe er die Hand wieder wegziehen konnte, fing Inu Yasha sein Handgelenk ein und sah ihm mit festem Blick in die Augen.

„Du kannst mir vertrauen.“

 

~*~

 

Es ist soweit. Der Schattenyōkai ist auf dem Vormarsch“, verkündete der Inu no Taishō mit sehr ernster Miene. „Wir müssen ihn zurückschlagen, ehe er das Tal erreicht...“

Die Generäle und Berater nickten: Sie alle wussten, dass ein solcher Krieg mit verheerenden Opfern einhergehen würde. Nur deshalb hatte der Herrscher so lange gezögert.

Du kannst dir meiner Unterstützung sicher sein, mein Freund“, sagte Shadi entschieden.

Dafür stehe ich ewig in deiner Schuld.“

Strategien wurden besprochen, Zuständigkeiten.

Sesshōmaru“, wandte er sich schließlich an den eigenen Sohn, „Ich wünsche, dass du mit einer Einheit Soldaten die Schlossmauern verteidigst, sollte es dazu kommen, dass sie uns überrennen.“

Dunkles Bernstein bohrte sich warnend in helles Gold. Der Blick wurde verbissen erwidert.

Du weißt, was ich kann“, sagte Sesshōmaru ruhig, „du weißt, dass an der Front dort mehr bewirken könnte.“

Der Inu no Taishō schüttelte entschieden den Kopf. „Nicht dieses Mal, Sesshōmaru.“ Dabei machte er sich auf einen Schlagabtausch gefasst – der jedoch ausblieb. Und als Sesshōmaru schließlich nickte und eine leichte Verneigung andeutete, da war es Tōga das erste Mal unmöglich, in seinem Sohn zu lesen. Und das war beunruhigend.

 

Ich weiß, was du vorhast!“, holte ihn Irukas Stimme ein, „Das ist Wahnsinn!“

Sesshōmaru blieb ruckartig stehen, sodass der Kamerad beinahe in ihn hinein gelaufen wäre und packte ihn abrupt am Kragen um ihn näher an sich zu ziehen.

Hör zu!“, zischte Sesshōmaru warnend und das helle Raubtiergold mit den zu Schlitzen verengten Iriden bohrte sich in helles Braun, „Du weißt genau wie ich, dass mein Vater meine Stärke verkennt und dass der Schattenyōkai niemals die Festung des Westens erreichen wird! Ich werde mir diese Möglichkeit nicht entgehen lassen – wir haben von Akira-Sensei alles gelernt, was wir wissen müssen und er hat mich diese verdammten extra Einheiten sicher nicht umsonst ableisten lassen! Und du wirst mir dabei nicht in die Quere kommen, verstanden?“

„Jawohl, mein Fürst!“

Und spar dir die Ironie – ich lege das Kommando in deine Hand!“

Jawohl, mein – was? Das kann nicht dein Ernst sein! Und wie willst du dich überhaupt in deines Vaters Heer verbergen ohne dass er es frühzeitig bemerkt?“

Hast du mich je scherzen hören?“, grollte der junge Fürst, „Und das lass meine Sorge sein... sag, kann ich mich auf dich verlassen?“

Ja wenns denn sein muss! Und wehe du machst uns nicht alle Ehre!“

 

Sie ritten auf Dämonenpferden mit vier Augen und acht Beinen, größer und schneller als die Pferde, die der Mensch sein Eigen nannte, hatten sie schon in manchen Schlachten gut gedient.

Der Inu no Taishō ritt an der Spitze – es galt keine Zeit zu verlieren, denn der Schatten Yōkai war schnell und lautlos. Sie waren in aller Frühe aufgebrochen, denn bei Nacht war er schädlicher und verheerender als des Tags.

Ich hab ein mieses Gefühl“, knurrte Akira an seiner Seite, „ein verdammt mieses.“

Damit bist du nicht allein“, raunte Toga, „Sieh dort!“, meinte er schließlich und zügelte das Pferd, wobei er in eine Richtung deutete, in welcher das Tal in Finsternis lag. Eine unnatürliche Finsternis, die in einer behäbigen Langsamkeit näher auf sie zu walzte.
 

Während der Inu no Taishō eine kurze Ansprache hielt starrte Sesshōmaru wie gebannt auf die sich nähernde Dunkelheit. Das war er also, der Schattenyōkai. Er warf einen unauffälligen Blick zu den Soldaten in deren Mitte er sich verbarg. Keiner sprach, allen stand Grimm im Gesicht.

Unbewusst tastete der junge Fürstensohn nach dem Schwert an seiner Seite. Es war geschmiedet aus dem Zahn seines Urgroßvaters. Er fühlte die Macht der Ahnen pulsieren und ein unterschwelliges Hochgefühl machte sich breit. Sein Blick wanderte zu dem Heer der Perser und blieb bei Saddin hängen. Ein angenehmes Gefühl durchströmte ihn, doch er riss sich los, denn dafür war gerade jetzt keine Zeit.

 

Die beiden Heere prallten in der Mitte des Tales aufeinander und sofort verschluckte der Schatten, der einer merkwürdigen zähen Wolke vorauseilte, alles Sonnenlicht. Kaum hatte die Schlacht begonnen, sah Sesshōmaru, wie der Soldat, der neben ihm ritt von seinem Pferd gefegt wurde – es gab einen gurgelnden Laut und eine unsichtbare Klinge hatte ihm die Kehle zerfetzt. So schnell. So lautlos. Sesshōmaru riss sich von dem Anblick los und schwang sein eigenes Schwert, fühlte, wo sich die finstere Aura seiner Gegner befand und tötete den herannahenden Schattenyokai als hätte er nie etwas anderes getan.

Er spürte, wie eine Energie vor ihm jäh erlosch. Es waren viele. Viele unruhige boshafte Energien. Schwer eine einzelne herauszukristallisieren.

 

Plötzlich löste sich ein Schatten von den anderen und kam in rasendem Tempo auf ihn zu – Sesshōmaru reagierte, aber zu langsam. Eine dunkle Klinge schlitzte seinem Pferd glatt den Bauch auf – es stieg mit einem schrillen Wiehern und Sesshōmaru schaffte es nicht mehr rechtzeitig abzuspringen, sodass er mit dem Tier stürzte und dessen schweres Gewicht ihn unter sich begrub. Adrenalin pulsierte durch seine Adern, während der Geruch der stinkenden Eingeweide seines Pferdes in die empfindliche Hundenase drang.

Mit einem Ächzen wälzte er sich unter dem Pferdekörper hervor und sah zu, dass er wieder auf die Beine kam. Irgendwo in der Ferne spürte er Tessaigas Energie aufwallen und kurz drang Licht durch die Schatten.

Mit einem Blick zum Himmel sah er durch einen Schleier die untergehende Sonne glühen und plötzlich wallte eine böse Vorahnung in ihm auf. Sesshōmaru ließ gehetzt den Blick über die Kämpfenden gleiten, während seine eigenen Bewegungen fast schon mechanisch wurden. Die Schatten wurden dichter und er spürte das unruhige, boshafte Yoki, das nach ihm schlug. Er ließ seine Energiepeitsche aufflammen um eine Reihe von den Kreaturen, die er nicht sah, zu zerteilen. Übler Gestank machte sich breit. Der Gestank von Leichen, die in der sengenden Sonne verwesten. Neben ihm wurde ein Soldat aus dem Nichts in der Mitte zerteilt und es regnete Blut und Eingeweide. Sesshōmaru musste sich von dem Anblick regelrecht losreißen.

 

Die Flut der Gegner schien endlos und sein Blick flackerte zu der schattigen Wolke, die immer näher kam und er benötigte zwei Sekunden um eine Entscheidung zu treffen. Er hetzte los und als er die Wolke erreicht hatte schwappten schwere Schwaden über ihn herein und die Kampfgeräusche drangen nur noch dumpf an sein Gehör.
 

Es war kalt hier und er hörte Stimmen flüstern. Irgendetwas packte ihn plötzlich am Bein, doch als er sich losreißen wollte, stolperte er ein paar Schritte, denn dort war nichts. Er musste plötzlich an Saddin denken und an das, was der ihm über sein Schwert erzählt hatte. Es fing das Sternenlicht. Genau das könnte er jetzt brauchen.

Abermals eine dunkle Energie, böser als alle anderen zusammen und die feinen Härchen in Sesshōmarus Nacken stellten sich auf. Er hielt sein Schwert vor sich, beinahe verkrampft.

Gib dich zu erkennen!“, forderte er, doch alles, was er hörte, war ein leises Lachen und ein Flüstern, dessen Worte er nicht verstand.

Etwas schoss auf ihn zu und er schwang sein Schwert und zerteilte etwas, das ein gequältes Geräusch und einen üblen Gestank hinterließ. Abermals erklang das Lachen.

/So … da schickt der Inu no Taishō seinen Welpen in die Schlacht... soweit ist es mit dem Westen gekommen./

Ein Wind, der kalt durch sein Haar fuhr und er versuchte, den Ursprung der Stimme auszumachen, doch sie schien von überall und nirgends zu kommen.

Wer bist du?“, forderte er zu wissen, doch seine Stimme klang nicht so fest, wie er sich das erhofft hatte. Die Kampfgeräusche waren plötzlich verstummt. Als hätte jemand den Ton ausgelöscht.

/Ich?/ Abermals ein Windstoß, der so abrupt war, dass der junge Fürstensohn zwei, drei Schritte nach hinten stolperte.

/Ich bin das Nichts. Das Vergessen, die Dunkelheit, die Trauer, die Krieger, die ich im Kampf holte... und einer von Euch selbsternannten Königen wird mir noch heute in die Schatten folgen. Vielleicht... Dein Vater!/

Licht wallte auf und Sesshōmaru sah seines Vaters Leiche, gepfählt und blutüberströmt und trotz des grellen Lichtes weiteten sich die Pupillen und die Hände krampften sich so um den Schwertgriff, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Die Augen des vermeintlich Toten verdrehten sich grotesk in seine Richtung und er musste an sich halten, nicht zurück zu weichen.

D-damit machst du mir keine Angst!“

/So....? Ich glaube du lügst, kleiner Fürst... aber ich kann dir noch mehr zeigen.../

Zu seiner Linken flammte eine neue Lichtsäule auf und etwas in ihm zog sich vor Schmerz zusammen als er Saddin sah, den Körper von Pfeilen durchbohrt und der Leib aufgeschlitzt, sodass ihm die Eingweide herausquollen, die Augenhöhlen waren leer und in ihnen tummelten sich weiße Maden.

Hör auf damit!“, befahl Sesshōmaru und schloss die Augen um sich zu sammeln. Diese Bilder, dachte er, sind nicht real. Das hier ist nicht echt.

Aber wie mochte es nur sein, dass dieser Schattenyōkai so tief in ihn eindrang, dass er um seine Ängste wusste? Das hatte niemand je berichtet.

Und dann kam ihm ein hässlicher Gedanke. Vielleicht, weil niemand diese Begegnung je überlebt hatte.

/Dein Vater hatte wohl seine Gründe, dir die Schlacht zu verbieten, Welpe!/, höhnte der Schattenyokai. /Sieh nur, was du angerichtet hast.../

Sesshōmaru spürte eine eisige Präsenz dicht an seinem Körper, als läge er nackt im Schnee.

Etwas strich ihm durchs Haar und Sesshōmaru wusste, er hätte jetzt nur sein Schwert heben und einen gezielten Hieb ausführen müssen, aber seine Arme waren schwer wie Blei.

/Irgendjemand... wird heute sterben... Tōga oder Saddin? Saddin oder Tōga? Wen nehm ich nur... oder... wie wäre es mit-/

Irgendetwas schien die Stimme inne halten zu lassen.

/Na, was haben wir denn da... du bist ja ein Megumareta... zu schade für den Tod... aber du hattest deine erste Läufigkeit noch nicht.... wie wäre es, wenn ich dir... meinen Nachkommen einpflanze....?/

Abermals ein höhnisches Lachen - irgendetwas riss Sesshōmaru aus seiner Starre und mit einem verbissenen Keuchen riss er sein Schwert hoch und zerteilte einen Körper vor sich, den er nicht sehen konnte.

Abermals erfüllte ein erbärmlicher Gestank die Luft, die Irrbilder verschwanden und ein Lichtkegel breitete sich inmitten der Dunkelheit aus, was ihm kurzzeitig die Sicht raubte.

Er blinzelte angestrengt und als er die Sicht wieder erlangte fand er sich auf einem Berg aus Leichen wieder. Bis zum Horizont nur Leichen. Wäre er in seiner Hundegestalt gewesen hätte sich ihm das Rückenfell aufgestellt. Eine wellenartige Bewegung kam in die Leichen und sie bogen sich zu einem Berg in die Höhe und nahmen dann eine Form an, während am Himmel Gewitterschwaden zusammen zogen.

Sie formten sich allmählich zu etwas, das an einen Yōkai erinnern sollte und eine verzerrte Stimme drang dort hervor, wo sich den Mund befinden sollte.

Sesshōmaru! Sesshōmaru!“

Die Stimme hallte und schmerzte in den empfindlichen Ohren und Sesshōmaru brauchte alle Selbstbeherrschung, um nicht die Hände auf die Ohren zu pressen.

Du bist weit vorgedrungen für dein Alter! Warum wohl wollte Tōga nicht, dass du hier bist? Er wusste dass du das tun würdest, er wusste es!“

Das Lachen war wie das Donnern, das von einem nahenden Gewitter kündet.

Und plötzlich erkannte Sesshōmaru etwas in der Hand des Yōkai und seine Augen weiteten sich vor Schrecken. Es war Shadi, Saddins Vater und obschon er leichenblass war, sagte Sesshōmaru irgendetwas, dass er noch am Leben war.

Gib ihn frei!!!“, forderte er laut ohne das Grauen zu beachten, das ihn befallen hatte. Was?, dachte er bei sich, bist du ein Welpe oder ein Mann?!

/Oh, das würde ich zu gerne, doch ich fürchte, er wird nicht mehr lange genug am Leben sein, bis du hier raus bist!/

Sesshōmarus Blick hetzte über den Horizont.

Wo sind wir hier?“, forderte er zu wissen, „ist das das Jenseits? Sprich!“

/Mitnichten, kleiner Prinz. Das, was du hier siehst, das …/ Die Figur machte eine ausbreitende Geste mit dem Arm, /Das ist die Zwischenwelt. Hier bleiben die gefangen, die nicht leben und nicht sterben dürfen … Shadi wird bald einer von ihnen sein.../

/Nein!/

/Was willst du tun!/

/Ich … ich.../

Ein Panikgefühl bemächtigte sich seiner. Sollte sein Vater am Ende Recht behalten? Hatte er sich überschätzt?

/ich warte.../ Die Stimme war ein widerlicher Singsang, Sesshōmaru presste die Augenlider zusammen und versuchte zur Ruhe zu kommen.

Er würde ihn nicht bezwingen können, wenn er einfach nur mit einem Schwert auf ihn einstach.

/Was verlangst du?/, schrie er dem Monster entgegen. Das tat so als würde es überlegen.

/Ich mach dir ein großartiges Angebot! Ich werde mich für eine Weile zurückziehen und du darfst den alten Mann mitnehmen und im Gegenzug … bekomme ich dein Megumareta-Erstgeborenes./

Sesshōmaru stockte, doch dann straffte er die Gestalt. Schließlich sagte er: „So sei es.“

Denn er hatte nicht vor, jemals zu gebären.

 

Ein lebloser Leib löste sich aus dem Leichenhaufen, fiel und prallte dumpf auf. Sesshōmaru eilte zu ihm hin und beugte sich zu ihm herab. Er atmete. Gerade noch so.

/Ah, ich vergaß/ erklang die Stimme verschmitzt aus dem in sich zusammen fallenden Leichenhaufen.

/Unser Abkommen... gilt natürlich nur... wenn du überlebst.../

Was?“

Kaum hatte er zu Ende gesprochen spürte er wie etwas mit massiver Wucht seinen Brustpanzer von hinten durchschlug und sich in seinen Körper bohrte. Es war nicht nur der Pfeil, das wusste Sesshōmaru, als er kraftlos neben Shadis Körper in die Knie sank, welcher sich schwach regte. Es war das Gift des Schatten Yōkai. Nur eine Prüfung, nichts weiter. Das bisschen Gift, dachte er mit einem schwachen Lächeln, was kann mir das bisschen Gift schon anhaben.

 

Die Schattenwolke zog sich zurück und mit ihr all die böse Energie ihrer gepeinigten Seelen. Inzwischen war es Nacht geworden. Ein Sternenmeer funkelte unschuldig auf sie herab, das Schlachtfeld war still, bis auf vereinzelte qualvolle Schreie Sterbender.

Als Sesshōmaru herab sah, bemerkte er, dass Shadi die Augen offen hatte.

Könnt Ihr aufstehen?“ fragte er müde und half dem älteren Yōkai dabei, sich aufzurichten, welcher erschöpft nickte.

Sesshōmaru ignorierte den lähmenden Schmerz, der von dem vergifteten Pfeil ausging und ließ Shadi sich auf ihm abstützen, während er versuchte, zu ermitteln, wo die anderen waren. Aber der Blutgeruch machte es schier unmöglich, einen einzelnen Geruch heraus zu filtern.

 

Dort!“, hörte er plötzlich eine Stimme rufen und kurz darauf spürte er, wie man ihm die Last abnahm.

Und kurz darauf eine bekannte Stimme mit einem ungläubigen: „Sesshōmaru?“

Ach, er hatte ja Helm und Visier verloren dort in den Schatten. Er machte sich auf die Standpauke seines Vaters gefasst, doch die blieb aus. Stattdessen spürte er nur, wie er grob an den Oberarmen gepackt wurde.

„Verdammt, was hast du getan???“

Die Stimme klang entsetzt. Warum klang sie so entsetzt?

Ich habe ihn gerettet, Chichi-ue“, nuschelte er, „du hattest Unrecht. Ich konnte … konnte … ihn... er ist nur...“

Seine Stimme erstarb. Und es wurde schwarz.

 

~*~

 

Als Sesshōmaru zu sich kam, war es herrlich hell. Er befand sich in seinen Gemächern, doch er war nicht allein.

Der Inu no Taishō saß mit ernster Miene und ungewöhnlich bleichem Gesicht bei ihm. Als der Daiyōkai bemerkte, dass er sich regte, sagte er mit müder Stimme: „Du hast dich meinen Befehlen widersetzt.“

Ja, das habe ich.“

Und du hast den Schattenyōkai zurückgeschlagen. Alleine.“

Offensichtlich.“

Was hat er von dir gefordert?“

Die Frage kam unerwartet und Sesshōmaru antwortete nicht sofort.

Sesshōmaru!“

Mein Megumareta Erstgeborenes“, gab er dann widerwillig zu, woraufhin der Inu no Taishō fluchend aufsprang.

Das darf doch nicht wahr sein!!! Ja, bist du denn des Wahnsinns??? Ich hatte meine Gründe, dich in DIESER Schlacht NICHT mitziehen zu lassen!“

Sesshōmaru ließ seinen Vater wüten und wartete darauf, bis der eine Pause machte um dazwischen zu grätschen.

Soweit ich das mitbekommen habe“, sagte er mit leichtem Trotz, „Verdanken wir mir, dass Shadi noch am Leben ist. Da ich ohnehin nie vor hatte, zu gebären, hat keiner etwas verloren.“

Tōga schnaubte. „Ja, das sagst du jetzt mit deinen jungen Lenzen! Ich hoffe nur für dich, du überlegst es dir nicht doch anders … deine Mutter wird mich umbringen“, fügte murmelnd hinzu, während er sich durch das Haar fuhr … Ich muss mich in Zukunft auf dich verlassen können.“

Der Tonfall war ein wenig milder und Sesshōmaru nickte und erwiderte erschöpft: „Es … wird nicht wieder vorkommen...“

 

Als er das nächste Mal erwachte, war Saddin bei ihm. Der persische Dämon saß neben seinem ausladenden Futon und der Blick war in Richtung des großen Fensters gerichtet, durch welches der Nachthimmel und die Sterne zu sehen waren. Sesshōmarus Blick fuhr die markanten Linien seines Gesichtes nach und er sehnte sich nach einer Berührung.

Da bemerkte Saddin, dass er erwacht war und sagte ruhig: „Euer Vater hat uns erzählt, was Ihr getan habt...“

Ein leichter Schmerz zeichnete sich in seiner Miene ab. Dann nahm er seine Hand und küsste die Fingerspitzen, „Ich kann diese Schuld niemals wieder gut machen...“

Was macht Euch da so sicher?“, erwiderte Sesshōmaru gedämpft und sah ihm in die Augen. Saddin antwortete nicht sofort.

Wisst Ihr, dass Ihr beinahe Euer Leben verloren hättet?“

Sesshōmaru schüttelte den Kopf. Nein, das hatte er nicht gewusst. Er erinnerte sich generell nur an sehr wenig nachdem er den Pakt mit dem Schatten Yōkai eingegangen war.

Ihr hättet wohl mein Herz mit ins Jenseits genommen. Dummer Junge. Das war unglaublich leichtsinnig.“

Der Schattenyōkai hat mir Euren Tod gezeigt“, sagte Sesshōmaru mit einem zittrigen Aufatmen, das von der plötzlichen Nähe rührte und er spürte, wie Saddins Griff um seine Hand einen Wimpernschlag fester wurde.

Der Schattenyōkai ist ein grausames Monster. Verscheucht die Bilder aus Eurem Kopf. Sie sind nicht echt und werden es nie werden. Ich lebe... und liebe.“

Damit küsste er Sesshōmaru auf die zu einem Spalt geöffneten Lippen, während er mit den Händen sanft in das wirre lange Haar fuhr. Sehnsuchtsvoll presste sich der Jüngere gegen ihn während er die Hand um dessen Hals schlang und der Kuss wurde inniger im sternendurchleuchteten Dunkel des Zimmers, doch abermals war es Saddin, der ihn brach.

Sesshōmaru sank mit dem Gesicht in seine Halsbeuge und atmete den exotischen Duft ein, der dort haftete.

Saddin...“, murmelte er, „nicht der Schattenyōkai ist es, der grausam ist, sondern Ihr.“

Saddin lächelte gequält. „Ihr wisst, dass ich nichts lieber täte, doch verbietet mir meine Ehre, meinem Verlangen nachzugeben. In meinem Land... tut man das mit einem, wie ihr sie nennt, Megumareta, erst nach der Bundschließung.“

Dann nehmt mich eben zum Gefährten“, murmelte Sesshōmaru und strich Saddin durch das dichte, lockige Haar.

Der fasste ihn abrupt bei den Schulten, um ihm in die Augen zu sehen.

Wisst Ihr eigentlich was Ihr da sagt?“ Seine Stimme klang scharf, der Blick war durchdringend.

Ich bin kein Knabe mehr“, widersprach Sesshōmaru.

Ihr würdet Nihon verlassen, womöglich für immer. Ihr würdet auf Euer Erbe verzichten. Das raue Land würde Euch austrocknen und Eure weiße Haut verbrennen. Euer Status wäre ein vollkommen anderer!“

Und wenn ich Euch sage, dass mir das alles gleich ist?“

Saddin ließ ihn abrupt los. „Dann würde ich erwidern, Ihr seid eben doch noch ein naiver Knabe, der nichts vom Leben versteht!“

Seine Stimme hatte schneidend und ruppig geklungen, die Worte hatten getroffen und Sesshōmaru sagte nichts mehr als Saddin aufstand und mit energischen Schritten das Zimmer verließ.

 

~*~

 

Sesshōmaru-sama?“

Angesprochener sah von einem Schriftstück auf, auf das er versucht hatte, sich zu konzentrieren. Seit ihrem kleinen Streit ging Saddin ihm aus dem Weg und Sesshōmaru übte sich in Ablenkung, da er noch genug Stolz übrig hatte, um ihm nicht wie ein liebeskranker Trottel hinterher zu laufen. Auch wenn ihm das ungemein schwer fiel, denn seine Gefühle waren inzwischen nicht mehr zu leugnen. Er sehnte sich nach Saddin, nach seinem Geruch, seinen Berührungen, seinen Worten und den Blick, mit dem er ihn immer ansah.

Was gibt es?“, antwortete er dem Diener gelangweilt.

Es... es geht um Shadi-sama. Er... er liegt im Sterben und bat darum, Euch zu sehen.“

Was?“

Sesshōmaru sah so ruckartig auf, dass der Diener vor Schreck rückwärts stolperte.

 

Als Sesshōmaru wenig würdevoll durch die Gänge eilte schoss ihm als erstes der Gedanke durch den Kopf, ob der Schatten Yōkai ihn betrogen hatte. Und wenn es so war, würden jedenfalls Köpfe rollen.

Als er den Raum betrat schlug ihm ein Duft von würzigen weißen Hölzern entgegen. Er war irgendwie angenehm. Die Diener verließen unter Verbeugungen das Zimmer und Sesshōmaru fühlte sich plötzlich unwohl. Vorsichtig ließ er sich am Sterbebett des persischen Dämon nieder.

Ihr wünschtet, mich zu sehen.“

Ein freundliches Lächeln teilte die zerfurchten, erschöpften Züge.

Ihr solltet... wissen, dass … der Schattenyōkai Wort gehalten hat... ich... meine Zeit wäre ohnehin gekommen... schon als wir von Persien aufbrachen, sagte ich meinem Land Lebewohl...“

Ihr solltet nicht so sprechen“, sagte Sesshōmaru leise mit einen Kloß im Hals.

Er spürte eine raue Hand väterlich über seine Wange streichen, als zwei Tränen sich lösten.

Euch habe ich zu verdanken, dass meine Seele in Frieden hinüber gehen kann. Ohne Euer Opfer... wäre ich auf ewig gefangen in der Zwischenwelt...“

Shadi tat ein paar schwere Atemzüge.

Ich weiß nicht, wie... ich Euer Opfer wieder gut machen kann...“

Sesshōmaru schüttelte den Kopf. „Es gibt nichts gutzumachen...“

Shadi schüttelte entschieden den Kopf und griff dann mit einer Hand an seinen Hals um eine filigrane Kette abzunehmen, die er Sesshōmaru mit zitternder Hand reichte.

Bitte... nehmt dies als Geschenk, es... enthält das reine Licht eines neugeborenen Sterns... tragt ihn bei Euch... Ihr werdet merken, wenn... der Zeitpunkt gekommen ist, ihn zu verwenden.“

Er ließ die Kette in Sesshōmarus Hände fallen, welcher sofort eine angenehme Wärme spürte, die von dem kühlen, ruhigen Licht ausging, das sich in einem tropfenförmigen Kristall befand. Ehrfürchtig betrachtete er das kostbare Kleinod eine Weile.

 

Das … das kann ich nicht annehmen, Shadi-dono... Shadi?“, fügte er hinzu, als keine Antwort mehr kam. Als er den alten Dämon anblickte, waren dessen Züge entspannt. Er war friedlich entschlafen. Sesshōmaru blieb eine Weile bei ihm sitzen, ehe er sich erhob und die Gestalt straffte. Er trug einem Diener auf die Nachricht weiter zu tragen, dass Shadi soeben verstorben war und machte sich dann zielstrebig auf die Suche nach Saddin.

 

Doch auf dem Schlossgelände und in den Gärten konnte er ihn nicht wahrnehmen. Nur eine schwache Geruchsspur zeugte davon, dass er fortgegangen sein musste.

Sesshōmaru folgte ihr eine Weile, sie führte in den Wald hinein und schließlich zu einer Lichtung, die er nur zu gut kannte. Es war die Lichtung an der Saddin ihn gemalt hatte. Und dort fand er ihn auch, Schwertübungen ausführend, doch Sesshōmaru erkannte schon von Weitem dass Saddin weniger konzentriert und beherrscht war wie damals als sie ihren ersten Kampf ausgetragen hatten.

Sesshōmaru blieb am Rand der Lichtung stehen und sah ihm einfach nur eine Weile zu.

Saddin hielt irgendwann inne und knurrte ohne sich umzudrehen: „Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sonderlich klug, meine Gesellschaft zu suchen.“

Nun“, erwiderte Sesshōmaru ungerührt, „Das ist mein Land und ich kann sein wo ich will.“

Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für solche Spielereien, Sesshōmaru.“

Er wandte sich um und deutete mit dem Schwert in seine Richtung.

Ruhig zog Sesshōmaru sein eigenes Schwert und erwiderte kalt: „Ich auch nicht, Saddin.“

 

Als ihre Klingen aufeinanderprallten klang es wie das wütende Fauchen von Raubtieren und Sesshōmaru spürte eine urtiefe, verzweifelt wütende Kraft, die von Saddin ausging, die so unkontrolliert war, dass sie seine eigenen Arme zum Zittern brachte. Er drehte seine Klinge aus und machte einen flinken Ausfallschritt um einen neuen Hieb zu landen, doch wieder wurde der knirschend von Saddins Schwert abgefangen.

Als nächstes kam er von oben und wäre Sesshōmaru nicht blitzschnell ausgewichen hätte er ihm wohl den Schädel gespalten - er nutzte Saddins Schwung und ließ sein Katana so hart herabsausen, dass es dem anderen und wesentlich erfahreneren Kämpfer den Säbel aus der Hand riss, welcher einige Meter weiter mit einem dumpfen Geräusch im Gras landete.

Saddin starrte ungläubig dem Säbel nach, dann sah er zu Sesshōmaru, welcher das Schwert von sich gestreckt ihn auf Abstand hielt.

Das ist Eurer nicht würdig“, sagte der junge Fürst abschätzig. Saddin sagte nichts, sondern kam langsam einen Schritt auf Sesshōmaru zu. Der wich unwillkürlich zurück, dabei brachen sie den Blickkontakt nicht. Nervosität befiel den Jüngeren und plötzlich packte Saddin mit der bloßen Hand die Klinge seines Schwertes und riss es ihm aus der Hand, um es zur Seite zu werfen und im nächsten Moment fühlte Sesshōmaru sich in einen groben Kuss gezogen. Er schnaufte überrascht und seine suchenden Finger fanden Halt in Saddins Oberbekleidung. Saddin wanderte von seinen Lippen weiter, zog eine flüchtige Spur über die Kieferpartie, vergrub die Nase sehnsüchtig in seiner Halsbeuge und dirigierte ihn zu Boden.

 

Sesshōmaru spürte das kühle Gras und wie Saddin an seinen Kleidern riss und ein zittriges Aufatmen folgte als dessen Lippen seine freigelegte steife Knospe umschloss. Das dichte, lockige Haar kitzelte seine nackte Haut und er fuhr ihm mit einer Hand in den dunklen Schopf, während die Hände sich weiter an seiner Kleidung zu schaffen machten.

Saddins Zunge zog eine Spur nach unten und die spitzen Zähne vergruben sich um den Bauchnabel, was Sesshōmaru mit einem Aufkeuchen empfindlich zusammen zucken ließ. Er spürte erste Erregung und die Lippen tiefer wandern so tief bis sie die erregte Stelle erreichten.

Saddin küsste seine Erregung, leckte von der Spitze zur Wurzel, küsste die weichen Hoden und wanderte wieder nach oben, während sich ein Finger einen weg in den engen und gänzlich unberührten Eingang bahnte. Spürte dort die Feuchtigkeit, die nur der Körper eines Megumareta erzeugen konnte und ließ bald einen zweiten folgen. Suchten und fanden schließlich eine feine Erhebung, die Sesshōmaru einen überrascht-erregten Schrei entlockte, und begannen dagegen zu massieren.

Sesshōmarus Hände fuhren suchend durch das Gras, verkrallten sich dann im eigenen Haar und fanden schließlich einen Halt in Saddins Haarschopf. Er spürte bereits recht schnell seinen Höhepunkt nahen, doch ehe er sich ergießen konnte ließ Saddins Mund ihn wieder frei. Er kam über ihn und in den dunklen Augen brannte ein verzweifeltes, wütendes und gleichsam leidenschaftliches Feuer. Ihre Lippen trafen sich wieder zu einem verschlingenden Kuss, den Sesshōmaru kurz brach als er spürte, wie sich der harte, große Phallus gegen seinen Eingang drückte und schließlich den Muskelring durchbrach.

Er wand sich, denn es schmerzte und die Geräusche, die er von sich gab zeugten von einer Mischung aus Schmerz und Lust. Sein Atem ging flach, doch Saddin raunte nur „Schh...“ und strich ihm mit zittrigen Händen über Stirn und Wangen, während er Worte in der persischen Sprache murmelte und obgleich Sesshōmaru nicht wusste, was er sagte, wusste er, dass niemals jemand schöner zu ihm gesprochen hatte.

Er spürte eine Träne in seiner Halsbeuge dort wo Saddin das Gesicht vergraben hatte und fuhr ihm voll Zuneigung sanft mit den Klauen über den Rücken, wobei er die Beine weiter für ihn öffnete, damit er sich alles nehmen konnte, was er wollte.

Sesshōmaru schloss die Augen und stöhnte leise und er nahm alles so intensiv war, wie nie zuvor in seinem Leben. Die Frühlingsvögel, die zwitscherten, der Wind raschelnd in den Blättern der Bäume. Saddins Geruch, seine wellenartigen, schwimmenden Bewegungen, die etwas tief in ihm zum Singen brachten, aber auch den Schmerz und die Verzweiflung über den Verlust des Vaters und die Dankbarkeit, dass er, Sesshōmaru, nun hier war.

Saddins Bewegungen wurden unregelmäßiger, fester, das Stöhnen, das tief in seiner Kehle grollte, längst nicht mehr unterdrückt. Und obgleich er Sesshōmaru nicht berührte, spürte dieser, wie sein Höhepunkt näher rollte.

Als er kam, krampfte sich sein Körper zusammen und sein Samen verteilte sich warm zwischen ihren erhitzten Leibern.

Die plötzliche Enge ließ Saddin heiser aufstöhnen und er stieß noch einige Male kraftvoll in den jungen Leib, ehe er sich tief in ihm ergoss.

Sesshōmaru spürte seine Stimme in seiner Halsbeuge, an jener Stelle wo ein Gefährtenmal gewesen wäre, hätte Saddin ihn beansprucht.

Saddin sank erschöpft auf Sesshōmaru zusammen, noch immer in ihm, und der strich ihm tröstend durchs Haar.

 

 

In mir ewges Feuer loht,

Röter als der Rose Rot,

Ihr allein seid meine Not – und mein Herz,

Mein Blut,

Mein Tod.

 

Saddins Ende

„Lasst mich mitkommen!“, protestierte Rin hartnäckig und sah Akira, der nach Sesshōmaru, an den sie momentan nicht herankam, die nächste Instanz war, scharf an, „Die ehrenwerte Homoto sagt selbst, ich wäre eine ihrer besten Schülerinnen und Ihr könnt jeden Heiler gebrauchen!“

„Kleines Fräulein, das ist wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt, um so eine Diskussion-“

„Hört auf mich kleines Fräulein zu nennen und so zu tun als wüsste ich nicht, wie hässlich der Krieg sein kann. Er hat mir meine Eltern und meine Sprache genommen. Ich lasse nicht zu, dass er mir Sesshōmaru-sama und Inu Yasha wegnimmt... und Euch“, fügte sie dann leiser hinzu, wandte jedoch den Blick nicht ab.

Akira ballte die rechte Hand zur Faust und schüttelte sie dann unauffällig wieder aus. Warum fiel es ihm so leicht, Sesshōmaru und Inu Yasha und eine ganze Bande halbstarker Krieger in ihre Schranken zu weisen und bei dieser kleinen Menschenfrau brauchte er alle Kraft, sich durchzusetzen?

„Akira-sama, bitte“, fügte sie noch einmal nachdrücklich hinzu und legte eine Hand auf seinen gerüsteten Unterarm.

„Ich verspreche auch hoch und heilig, dass ich mich nicht in Gefahr begeben und bei den anderen Heilern im Lager bleiben werde.“

Ein erneuter Widerspruch lag Akira auf den Lippen, doch dann dachte er plötzlich zurück an jene Schlacht vor so vielen Jahren, in der Sesshōmaru sich ohne dass es jemand wusste eingeschlichen hatte und wie das geendet hatte. Und er hatte nicht wirklich das Gefühl, dass Rin sich mit einem Verbot einfach so abfinden würde. Ergeben schloss er einen Augenblick die Augen.

„Bringt mich nicht dazu, diese Entscheidung zu bereuen. Ich muss allerdings Sesshōmaru-sama in Kenntnis setzen, das ist Euch klar, oder?“

„Sicher“, erwiderte Rin mit einem unschuldigen Funkeln in den Augen. „Aber die Zeit dazu werdet Ihr sicher erst finden, sobald wir im Lager angelangt sind.“

Ein leicht belustigtes Schnauben entkam dem General.

„Ihr seid eine Füchsin, wisst Ihr das?“

Und Ihr zufriedenes, verschmitztes Grinsen rührte etwas in ihm.

 

~*~

 

Inu Yashas Hand zuckte automatisch zu seinem Hals als er dort ein Pieksen spürte. Darauf folgte ein leises Wimmern und er rollte die Augen.

„Myoga!“, sagte er genervt, „Wenn du dich nicht immer so anschleichen würdest, wäre dein Leben weitaus weniger schmerzerfüllt.“

„Jaja“, brummte der Flohgeist und hüpfte von Inu Yashas Schulter auf seinen Kopf und nahm dort nahe einem der weichen Hundeohren einen Platz ein, „Ihr folgt also Eurem Bruder in den Krieg. Wer hätte das gedacht.“

„Myoga, was willst du?“, murmelte Inu Yasha, der unter Anspannung stand und nicht gerade aufgeschlossen war für eine Diskussion mit dem Flohgeist.

„Nur nach Euch sehen. Sesshōmaru-sama hat mich schon verscheucht. Übrigens, Inu Yasha-sama … in dieser Rüstung... seht Ihr aus wie Eurem ehrenwerten Vater aus dem Gesicht geschnitten... ach...“

„Du bist nicht der erste der mir das sagt“, brummte der Hanyō, der immer noch versuchte, auf dem seltsamen Reittier seinen Halt zu finden.

„Das wundert mich gar nicht.“

„Bist du jetzt hier um über meine Familie zu plaudern?“

„Nein, nein. Ich dachte nur, es ist wichtig, dass Ihr noch eine Sache wisst. Ihr müsst Euch unter allen Umständen von den Giftpfeilen der Südhunde fernhalten. Ihr wisst, was dieses Gift mit Sesshōmaru-sama gemacht hat. Ihr als Hanyō seit viel gefährdeter, eine solche Vergiftung nicht zu überstehen.“

„Keh! Keine Sorge, ich lass mich doch von diesen Bastarden nicht in die Knie zwingen. Ich hab keine Angst!“

„Euer Wort in der Götter Ohr“, sagte Myoga resigniert seufzend und ließ den Blick zum Horizont wandern. Dort weit hinten lagen die Südlande und jene Stelle an der Westen und Süden aufeinander trafen, würde vermutlich der Austragungsort werden.

Ohne es zu bemerken folgte Inu Yasha diesem Blick. Dann fiel ihm etwas ein. Etwas, das ihm schon so lange auf der Zunge brannte, er aber nicht wussste, von wem außer Akira er das sonst hätte erfragen sollen.

„Sag, Myoga...“

„Ja, Inu Yasha-sama?“

„Was ist mit diesem Saddin passiert?“

Schweigen.

„Ihr wisst davon?“

Inu Yasha nickte.

„Also?“

„Warum interessiert Euch das?“

„Nur so“, brummte Inu Yasha und hob die Hand, um den Flohgeist zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen, damit der ihm nicht entwischte. Myoga zappelte ein Bisschen und resignierte dann.

„Sesshomaru-sama wird mich umbringen, wenn er das herauskriegt“, jammerte er kläglich.

„Mir doch egal“, erwiderte Inu Yasha mit einem kalten Grinsen und hielt ihn sich direkt vor die Augen.

„Also?“

Myoga seufzte. Dann begann er zu erzählen. Wie Saddin nach Japan gekommen und wie er und Sesshōmaru sich näher gekommen waren. Von der Schlacht gegen den Schattenyōkai.

Und dann... gelangte er zum Ende...

 

~*~

 

Saddin hat mich gebeten, Sesshōmaru mit nach Persien nehmen zu dürfen.“

Die Augen der Inu no Kami weiteten sich einen flüchtigen Moment in Unglauben, dann wurde ihr Blick warnend.

Was hast du ihm geantwortet?“

Dass ich Bedenkzeit brauche.“

Sie verschränkte langsam die Arme vor der Brust.

Nein.“

Das ist nicht deine Entscheidung, Kimi“, erwiderte Tōga eine Spur schroff.

Unser Sohn scheint recht angetan von dieser Idee .“

Sie schüttelte leicht den Kopf. „Den Floh hast doch du ihm sicher wieder ins Ohr gesetzt. Er würde niemals auf das hier alles verzichten, nur wegen einer Gefühlsduselei. Er ist der Erbe des Westens – der einzige Erbe!“

Inukimi, ich bitte dich – wir beide wissen doch ganz genau, dass es hier weniger um Sesshōmaru geht als um dich.“

Inukimi schnaubte und ihr Blick bohrte sich den ihres Gemahls.

Saddin! Wie gut kennst du diesen Mann eigentlich? Was macht dich so sicher, dass er Sesshōmaru nicht nur mit sich nehmen will, weil er ein Megumareta ist – einer der stärksten.“

Ich glaube, Sesshōmaru hat sehr viel für ihn übrig.“

Das ist doch bloß eine alberne Jünglings-Liebelei!“

Tōga schüttelte entschieden den Kopf. „Das glaube ich nicht.“

Kurzes Schweigen.

Das werde ich nicht zulassen, Tōga. Ich werde nicht zulassen, dass du meinen einzigen Sohn auf Nimmerwiedersehen in die Fremde zu diesen Säbel schwingenden Wilden schickst.“

„Nun“, grollte der Inu no Taishō verstimmt, „Dann vergisst du, dass mein Wort über dem deinen steht.“

„Erinnerst du dich an das Versprechen, das du mir einst gabst? Als ich als blutjunges Mädchen damals zu dir kam von meinen Eltern fortgerissen, fremd meiner Heimat? Als ich weinte und du mir dein Wort gabst, alles zu tun, um mich glücklich zu machen? Wie stehst du heute zu deinem Wort?“

Tōga knurrte und knirschte dabei mit den Zähnen. Wie könnte er dieses Versprechen vergessen? Aber hier ging es um mehr als ein Versprechen.

Er fuhr sich fahrig durch den Haaransatz und stimmte dann zu: „Sesshōmaru ist der Erbe des Westens, das ist natürlich richtig. Aber es muss... er ist noch jung. WIR sind noch jung, Kimi, was wenn es gar nicht seine Bestimmung sein mag, meine Nachfolge anzutreten, was wenn es eines unserer zukünftigen Kinder Schicksal ist?“

Inukimis Blick wurde kühl. „Das sind mir zu viele Wenns. Er ist der Erstgeborene, es ist seine Bestimmung.“ Und nach einer Weile des Schweigens fügte sie hinzu: „Und wenn du diese Entscheidung über meinen Kopf hinweg treffen solltest, dann wird ein kaltes Bett deine geringste Sorge sein...“

Eisiges Schweigen.

Was hältst davon:“, lenkte Toga schließlich ein, „wir lassen ihn mit Saddin gehen für 20 Jahre. Er soll dort leben und dieses Land kennenlernen und am Ende dieser 20 Jahre wird er sich erst entscheiden dürfen, ob er Saddins Gefährte und bei ihm bleiben wird, oder nicht. Und nebenbei... wird er mit Sicherheit einige wertvolle Erfahrungen gesammelt haben. Und ich bitte Myoga, ihn zu begleiten.“

Inukimi lag ein Widerspruch auf den Lippen, dann stockte sie. Nun, ihr Gatte zeigte sich zumindest kompromissbereit. Mehr konnte sie nicht bewirken, wenn er bei dieser Laune war. Und 20 Jahre waren keine lange Zeit.

 

~*~

 

Die Schiffe wurden bereits seit Tagesanbruch beladen und Sesshōmaru staunte, denn er hatte gar nicht in Erinnerung wie viele es eigentlich waren.

Zwei Soldaten brachten sie mit Ruderbooten hinüber zum Hauptschiff der Flotte.

Falls du seekrank wirst, habe ich meinen Heiler schon einmal vorsorglich angewiesen, eine Ingwertinktur zuzubereiten“, raunte Saddin Sesshōmaru zu, welcher ein wenig hochnäsig erwiderte: „Ich werde bestimmt nicht seekrank. Das Bisschen Schaukeln wird mein Körper schon aushalten.

Wenn du das meinst“, erwiderte Saddin arglos.

Erst jedoch als sie einen Moment alleine waren, zog er den jungen Inuyōkai in einen Kuss. Sesshōmaru war schon früher aufgefallen, dass Saddin auf solche intimen Gesten in der Öffentlichkeit keinen Wert legte.

Bist du sicher, dass du das wirklich willst?“, raunte Saddin mit dunkler Stimme, „noch haben wir nicht abgelegt.“

Ich habe doch nicht so viel Zeit investiert, dich umzustimmen um es mir jetzt anders zu überlegen.“

Saddin verdrehte theatralisch die Augen. „Ich erinnere mich.“

Wie lange soll die Überfahrt dauern?“, wollte Sesshōmaru dann wissen und sah sich die Räumlichkeiten an nachdem er sich aus Saddins Armen gelöst hatte.

Alles in allem zwei Monate. Unsere Schiffe sind die schnellsten ihrer Zeit.“

 

Etwa zwei Wochen hatten sie spiegelglatte See. Doch dann schlug das Wetter um und die See wurde rauer. Das Schiff begann heftig zu schaukeln und behielt seinen Rhythmus bei, sehr zur diebischen Freude Saddins, denn Sesshōmaru hatte beim ersten Wellengang sein Heil darin gesucht, sich würgend über die Reeling zu beugen.

Ich dachte, du wirst nicht seekrank, schöner Sesshōmaru“, sagte Saddin arglos, während er ihm sanft über den Rücken strich. Sesshōmaru hielt sich sein feuchtes und mittlerweile nach Salzwasser riechendes Haar aus dem Gesicht und erwiderte kalkweiß: „Ich bin auch nicht seekrank. Wollte nur die Fische füttern.“

Saddin lachte auf und Sesshōmaru wollte schon etwas erwidern, als ein erneuter Würgereiz ihn zum Schweigen brachte. Nachdem sein Magen nur mehr krampfte, aber nichts mehr von sich geben wollte, nahm Saddin ihn am Oberarm und führte ihn hinein in die Kabine, wo er ihn mit sanfter Gewalt auf dem Bett dort niederdrückte. Der Heiler war schon anwesend und Sesshōmaru wurde etwas gereicht, das den intensiven frischen Duft von Ingwer verströmte

Damit werdet Ihr Euch besser fühlen“, sagte der Heiler und reichte ihm das Trinkgefäß. Sesshōmaru schnüffelte kurz daran und stürzte es schließlich ohne eine Miene zu verziehen herunter. Der Ingwer brannte, aber er merkte sofort, wie die Medizin seinem Magen gut tat.

Saddin nahm dem Heiler eine Schale mit einem Stück Tuch aus der Hand und nahm neben Sesshōmaru platz. Wrang es leicht auf und tupfte dem jungen Inuyōkai den kalten Schweiß von Stirn und Schläfen.

Warum tust du das?“, murmelte Sesshōmaru mit geschlossenen Augen, „Das ist Bedienstetenarbeit.“

Saddin antwortete nicht sofort. Dann sagte er sanft: „Weil ich es selbst tun möchte. Du wirst eines Tages mein Gefährte sein und unwürdige Hände sollen dich nicht berühren, wenn es sich nicht vermeiden lässt.“

Sesshōmaru hielt es erst für einen Scherz und erwiderte mit einem schwachen Lächeln: „Und die Diener, die für mein Haar und meine Garderobe zuständig sind? Sie müssen mich berühren. Oder möchtest du das alles selbst machen, Herr der östlichen Sterne?“

„Wenn es sein muss“, erwiderte Saddin vollkommen ernst und Sesshōmaru schwieg. Er wurde schläfrig. Und als er in den Schlaf glitt kam die Stimme zu Besuch, die er niemals wieder würde vergessen können.

 

/ Sesshōmaru... Sesshōmaru... betrügst du mich etwa? Oh... falsche Entscheidung..../

 

Ein Donnerschlag ließ Sesshōmaru aus dem Schlaf schrecken und im nächsten Moment wurde er aus dem Bett geschleudert und schlug auf dem Boden auf. Dabei stieß er sich schmerzhaft den Kopf und etwas benommen richtete er sich auf. Sah sich orientierungslos um und fragte sich wo das Chaos im Zimmer herkam. Blickte dann zur Decke... und sah das Bett, das eigentlich am Boden festgeschraubt war...

Es dauerte ganze zwei Sekunden, ehe Sesshōmaru realisiert hatte, dass das Schiff auf dem Kopf stand. Er stürzte zur Tür und wollte sie öffnen, doch sie klemmte – mit ein wenig mehr Kraftaufwand brach sie auf – das Schiff musste in Schieflage sein, denn als er ein paar Schritte lief, umspülte eisiges Wasser seine Füße. Entsetzt starrte er erst zu Boden und sah dann in beide Richtungen. Der Weg zum Deck lag offensichtlich bereits unter Wasser.
 

„Sesshōmaru!“

Saddin!“

Los komm, wir müssen hier raus!“

Was – was ist denn passiert, wo sind die anderen, deine Leute, sie-“

Ich muss erst dich hier herausbringen!“

Was? Wir-“

Keine Widerrede! Wie lang kannst du die Luft anhalten?“

I-ich weiß nicht! Saddin, was ist hier los!“

Sesshōmarus Stimme klang ungewollt ängstlich, untypisch für den stolzen Inuyōkai.

Saddin packte ihn mit den Händen grob an beiden Wangen und zwang ihn ihm in die Augen zu sehen.

Du musst mir vertrauen. Und du musst dir selber vertrauen. Dein Schattenyōkai war offensichtlich nicht damit einverstanden, dich gehen zu lassen. Komm jetzt. Wir müssen schnell hier heraus.“
 

Und was er ihm nicht sagte war, dass der Schattenyōkai nur Saddins Tod wollte, denn letztendlich war er es, der Sesshōmaru mit sich nahm und damit außer seine Reichweite. Der Schattenyōkai konnte nämlich kein anderes Land betreten als Japan und die Meere. Und wenn Saddin nicht war, hatte Sesshōmaru keinen Grund mehr, Japan zu verlassen.

 

Du musst dort hindurch tauchen. Hier-“ Damit drückte er ihm sein Sternenschwert in die Arme und sah ihm tief in die Augen.

Ich bin gleich hinter dir. Es wird dich beschützen und dir den Weg leuchten.“

Dann küsste er ihn flüchtig und Sesshōmaru hatte ein merkwürdiges Gefühl, als spüre er einen letzten Kuss.

„Los jetzt!“

Sesshōmaru nickte abgehackt, holte dann Luft und tauchte unter.

 

Mit dem Wasser kam die Stille und als er die Augen öffnete brannte es fürchterlich in seinen Augen. Er durchschwamm die Gänge des Schiffes die nun alle unter Wasser lagen und fürchtete schon einen Augenblick, die Orientierung zu verlieren. Doch da waren sie, die Treppen, die an Deck führten.

Seine Augen brannten, die empfindlichen Ohren schmerzten von dem Wasserdruck. Das Sternenschwert lichtete das dunkle trübe Wasser und schließlich passierte er die Öffnung und wusste einen Augenblick nicht, wo oben und unten war.

Waren sie schon so tief unter Wasser? Wie mochte das sein? Er sah die Umrisse des Schiffes tiefer sinken, aber wo war Saddin?

Seine Lungen brannten und schrien nach Luft. Er musste hinauf an die Wasseroberfläche, doch irgendetwas zog ihn schwer in die Tiefe. Das Wissen, dass Saddin ihm nicht folgen würde.

 

Seine Beine bewegten sich automatisch und eine undefinierbare Zeit später durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche. Und die Stille wich abrupt dem Tosen von Sturm und Gewitter.

Sesshōmaru war schwindelig und er schnappte nach Luft, das nasse, schwere Haar hing ihm wirr ins Gesicht und die vollgesogenen Kleider zogen ihn nach unten.

Sein Atem ging schnell und flach.

Saddin?“, rief er angespannt.

Saddin? Saddin?“

Seine Schreie gingen unter im Tosen des Sturms und im Gelächter des Schatten Yōkai.

Ihm wurde kalt. Er schwamm ein Stück, wurde beinahe von einer Welle herab gerissen.

Saddin??? Saddin?? Saddin???“

Er schrie so lange und so laut, bis seine Stimme heiser war und brach und ihn die Erkenntnis ereilte, dass Saddin nicht mehr kam. Dass niemand mehr kam. Die ganze Flotte war fort, in die Tiefe gerissen.

Angst. Blanke Angst überlief den jungen Inuyōkai und obwohl Tränen seine Wangen herabliefen und von Regen und tosendem Meer weggespült wurden, wusste er, dass er Land erreichen musste. Er konnte seine Hundegestalt nicht annehmen, denn die verbrauchte viel zu viel Yoki, dafür, dass er nicht wusste, wie lange er sie aufrecht erhalten musste. Und wenn er sich verschätzte, ertrank er alle mal.

Also schwamm er. Und er weigerte sich dabei, das Schwert loszulassen, denn das Schwert war alles, was er von Saddin zurück behielt. Alles, was blieb. Sein Herz zerriss mit jedem Schwimmzug ein Stück mehr.

 

Das Gewitter wurde leiser irgendwann. Die Wellen niedriger. Stille senkte sich herab. Er war so erschöpft. Er hatte die Orientierung verloren. Die Sicht verschwamm.

Der Himmel war klar und die Sterne standen zu Abermillionen. Wunderschön. Ob Saddins Himmel auch so aussah? Sesshōmaru ließ sich auf dem Rücken treiben, das Schwert an die Brust gepresst. Wenn die Tiefe ihn holte, dann sollte es so sein. Was spielte es noch für eine Rolle?

Ich habe dich mit meiner Liebe getötet...“, sagte er leise, verwaschen.

So mögen sie auch mich in die Tiefe ziehen... doch tun sie es nicht, so … werde ich niemals wieder... niemals mehr... mein Herz... vergeben, denn es ist... dort unten bei dir...“

 

Und als ihm schon die Sinne schwanden, da spürte er schwach eine vertraute Energie. Das Wasser schwappte bereits über sein Gesicht und hüllte ihn in Stille als die Energie näher kam und sich schließlich ein riesiges Maul um ihn schloss.

Und dann wusste er nichts mehr.

 

~*~

 

Das erste Mal kam Sesshōmaru zu sich als leise Stimmen sprachen. Er nahm den Geruch seines Vaters wahr, der ihn trug. Seine Kleider waren nass, er fror. Er wollte etwas sagen, doch als ihm einfiel, dass Saddin tot war, verließen ihn alle Kräfte wieder.

 

Und er vergaß zu sprechen. Er blieb stumm als sein Vater zu ihm kam. Blieb stumm als seine Mutter zu ihm kam. Seine Kampfgefährten.

Er trank Sake, um sich zu betäuben und behandelte die Diener grausam und abwertend, bis ihm bald jeder aus dem Weg ging.

Und dann kam Akira. Sesshōmaru ignorierte die Anwesenheit seines Kampfmeisters wie jeden anderen vor ihm.

Akira sagte auch kein Wort. Er packte Sesshōmaru und hob ihn ungefragt auf die Arme. Der junge Inuyōkai wehrte sich halbherzig, ließ es dann jedoch gut sein. Sollte der doch machen was er wollte.

 

Sesshōmaru kam erst wieder zu Sinnen als Akira ihn draußen in den Brunnen mit dem eiskalten Wasser warf.

Hustend tauchte er wieder auf.

Hat man Euch das Hirn verbrannt?“, fluchte er dabei sehr manierlos, „Was fällt Euch überhaupt ein, Ihr herzloser Bastard einer Kuhmagd!!!“

Akira sah emotionslos auf ihn herunter und wartete ruhig ab, bis Sesshōmaru keine Luft mehr hatte und ihn nur noch wütend und irgendwie erschöpft anstarrte.

Seid Ihr jetzt fertig, Jammerlappen?“

„Bitte?“

Akira schnaubte abfällig. „Seht Euch doch an. Betrinkt Euch tagtäglich mit Sake und habt seit Wochen kein Bad mehr von Innen gesehen. Ihr stinkt. Nach Selbstmitleid und Schwermut. Das ist unwürdig. Also los. Verdammt nochmal, steht auf und kämpft, anstatt Euch dem so hinzugeben. Dadurch macht Ihr gar nichts rückgängig. Also steht auf.“

Ich kann nicht“, sagte Sesshōmaru leise und ließ das Haupt sinken.

Steht auf!“

Ich sagte ich kann nicht!!!“

Ihr könnt!“

Hört Ihr mir nicht zu??“, fluchte Sesshōmaru und kam leicht betrunken wackelig auf die Beine – wäre beinahe ausgeglitten und fand dann doch seinen Halt.

„Hört Ihr mir nicht zu??? Ich kann nicht, ich KANN nicht!!! Er ist tot – lasst mich los!“

Gut, jetzt kommt aus dem Wasser heraus“, forderte Akira ruhig und zog Sesshōmaru am Handgelenk mit sich – der versuchte sich verbissen loszumachen.

„Wieso hört Ihr mir nicht zu!?!?“ Sesshōmarus Stimme brach und mit einem Ruck versuchte er sich loszumachen.

Er ist TOT und er wird niemals wieder kehren, was hat das alles noch für einen Sinn???“

Akira zog grob und ruckartig an Sesshōmarus Handgelenk und schloss ihn im nächsten Moment in die Arme: Sesshōmaru wehrte sich und fluchte und dann krallte er sich fest und sackte zusammen und weinte, weinte wie ein Kind. Danach weinte er nie wieder.

 

~*~

 

Als Myoga geendet hatte, schwieg Inu Yasha bedrückt und nachdenklich. Da hatte er gedacht, er und Sesshōmaru hatten bis auf den Vater nichts gemeinsam. Doch das war nicht richtig. Beiden war ihre erste Liebe grausam entrissen worden. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihm breit. Verständnis? Vergebung?

Als schließlich der Inu no Taishō umgekommen war, ein erneuter Schicksalsschlag. Denn es musste nur wenige Jahre gewesen sein, nachdem Saddin in den Tiefen des Meeres verschwunden war.

Hätte er das alles nur früher gewusst. Er verstand jetzt so viel.

„Was geht in Euch vor?“, fragte Myoga sanft nahe seines linken Ohres.

„Hm“, machte Inu Yasha unverbindlich.

„Inu Yasha-sama?“

„Erkläre mir eines, Myoga... warum ...“ Er brach wieder ab.

„Ja?“, hakte der Flohgeist nach.

„Woher kommt dieser unerklärliche Drang, ihn beschützen zu wollen?“, sagte er dann gedämpft. „Ich meine... nicht nur nach deiner Geschichte, auch … auch davor schon... ich meine... Sesshōmaru braucht keinen Schutz.“

„Seid Ihr Euch da sicher?“

Inu Yasha schwieg.

„Na seht Ihr... Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Inu Yasha-sama … Ihr solltet mehr lernen, auf Eure Instinkte zu hören. Der Urhund in Euch gibt Euch keinen falschen Rat, Ihr müsst ihm nur vertrauen.“

 

Inu Yasha schwieg. Sein Urhund. Wenn es nur das war. Inu Yasha knurrte leise und sah dann zum Himmel. Es war schwül. Würde ihn nicht nicht wundern, wenn es bald zu regnen anfing. Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, spürte er auch schon den ersten Tropfen auf der Nasenspitze. Er reckte sich automatisch um nach vorne an die Spitze des Heeres sehen zu können, wo Sesshōmaru mit Ah-Uhn ritt. Es war schwierig ihn auszumachen zwischen den anderen hellen Haarschöpfen und den Rüstungen und Waffen, doch dann sah er ihn. Myogas Geschichte ging ihm durch den Kopf und Inu Yasha konnte es kaum glauben, dass Sesshōmaru... ausgerechnet der Sesshōmaru, der ihm seit er zurück denken konnte niemals auch nur den Hauch einer Emotion gezeigt hatte, geweint hatte. Geliebt hatte, unbeherrscht und ungehorsam gewesen war. Lebendig gewesen war. Er war lebendig gewesen und der Yōkai, der in den Schatten hauste, hatte ihm diese Lebendigkeit genommen, dieses Leben.

Inu Yashas Hände krallten sich fester um die Zügel. Naraku hatte ihm sein erstes Leben genommen. Aber dank Kagome und den anderen hatte er es wieder erlangt. Und er war ihnen so dankbar. Sesshōmaru hatte Saddin verloren. Kurz darauf den Vater. Und jetzt wo Inu Yasha dieses Heer sah, wurde ihm das erste Mal bewusst, was eigentlich für eine Verantwortung auf seinem Bruder liegen musste, was für eine Last. Er biss sich auf die Unterlippe. Von diesen ganzen Yōkaiangelegenheiten verstand er recht wenig. Was er aber wusste, war dass er Sesshōmaru das Leben zurück bringen wollte. Wer sollte das tun, wenn nicht er?

 

~*~

 

Seine fliegenden Spione hatten ihm berichtet, wie weit Takaitayo schon vorgedrungen war. Offensichtlich wollte der Südfürst keine Zeit verlieren.

Gerade befand Sesshōmaru sich mit seinen Generälen in einer Lagebesprechung, während draußen das Heerlager aufgebaut wurde. Es regnete nun seit zwei Tagen ununterbrochen, was bedeuten würde, dass das Schlachtfeld auf dem die Heere höchstwahrscheinlich aufeinanderprallen würden der reinste Sumpf sein würde – was den Südyōkai, die sumpfigen Boden und heiß-feuchte Luft gewohnt waren, natürlich einen kleinen Vorteil verschaffte.

„Hier ist zu viel Sumpf“, sagte Susano-O ernst und deutete eine kreisförmige Bewegung seines Fingers auf einem Teil der auf einem Tisch ausgebreiteten Karte, „Ich glaube kaum, dass er riskieren wird, einen Teil seiner Leute dort drin zu verlieren.“

„Wir sollten kein Risiko eingehen“, schaltete sich Akira ein, „Ich trau dem Kerl alles zu.“

Sesshōmaru nickte mit ernster Miene. „Es ist wahrscheinlich, dass er seine Bauernopfer dorthin schickt um uns in einen Hinterhalt zu locken. Es reicht, wenn wir einen kleinen Trupp Soldaten dort lassen und die Hauptmacht des Heeres frontal angreifen lassen. Susano-O-san, Ihr werdet mit Euren Leuten das Zentrum übernehmen, Akira, Ihr führt mit den Euren den ersten Schlag aus. Iruka, Ihr werdet den Sumpf übernehmen. Und seid wachsam, ich rechne damit, dass Takaitayo hinterhältig genug ist, seine Giftpfeile regnen zu lassen.“

Er schwieg einen Moment und sagte dann unterkühlt: „Takaitayo gehört mir. Jedem, der ihn vor mir anfasst, schlage ich eigenhändig den Kopf ab.“

Die Männer sahen sich kurz an und nickten dann grimmig.

 

~*~

 

Rin hatte alle Hände voll zu tun. Sie half Homoto und den anderen Heilern und Heilerinnen dabei, das Lazarett Zelt aufzubauen. Anfangs hatte sie sich gewundert, warum Yōkai, die doch über solch gute Selbstheilungskräfte verfügten, das überhaupt brauchten, aber von Homoto wusste sie, dass es Verletzungen gab die zu stark waren für die Selbstheilungskräfte, Wunden die zu sehr bluteten und zu langsam zusammen wuchsen, oder Vergiftungen. Dass das Gift der Südhunde das heimtückischste war von all den vier Fürstentümern wusste sie mittlerweile auch. Homoto hatte ihr schon unglaublich viel beigebracht, aber je mehr sie lernte, desto mehr fühlte es sich für sie an, als würde sie im Grunde gar nichts wissen.

Bisher jedenfalls schien Homoto recht zufrieden mit ihr zu sein, auch wenn sie sehr streng war, und das erfüllte Rin mit Stolz.

 

„Rin-san!“, rief eine Heilerschülerin ihr zu, die nur wenig älter als sie selbst war, „Kannst du mir helfen? Diese Truhe mit den Tinkturen ist schwerer als ich sie in Erinnerung hatte.“

Die junge Yōkai ächzte und Rin kam sofort zu ihr gelaufen.

„Natürlich, Minako-san“, sagte sie eifrig und griff an der anderen Seite nach der Truhe um sie gemeinsam mit Minako anzuheben. Die beiden jungen Frauen hatten so etwas wie ein vorsichtiges, freundschaftliches Verhältnis. Minako war die erste gewesen, die sich getraut hatte auf Rin zuzugehen, wo die anderen sich noch zurückhaltender gezeigt hatten, aufgrund ihres familiären Verhältnisses zu ihrem Fürsten.

„Uff“, ächzte Rin, „Nutzen wir seit neustem Backsteine um unsere Krieger zu heilen?“

Minako verzog angestrengt das Gesicht. „Das würde mich bei Homoto-sama nicht wundern. Vielleicht benutzt sie sie als Betäubung.“

Die jungen Frauen kicherten, doch plötzlich rumpelte es in der Kiste und ein Niesen drang hervor – Rin und Minako erschraken beide und ließen zur selben Zeit die Kiste fallen. Sie schauten sich entsetzt an, doch dann fiel ihnen etwas Sonderbares auf – es hatte nichts geklirrt, dabei war diese Kiste doch voll von empfindlichen Geräten und Materialien.

Sie tauschten einen Blick aus, dann öffnete Rin die Kiste, stieß den Deckel herunter und-

„Shippo!“, rief sie überrascht aus als sie einen buschigen, rötlichen Fuchsschwanz entdeckte.

Wenig später guckte ihr schon ein reumütiges Gesichtchen entgegen.

„Oh, Rin-Onee-chan“, piepste er, „Ich ... ich ähm ...“

Rin verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir sind doch hier nicht auf einer Abenteuerreise. Was versteckst du dich denn einfach hier drin?“

Der Jungdämon errötete und friemelte die Fingerspitzen gegeneinander.

„N-naja... ich hab doch so viel gelernt in meinem Unterricht und ich wollte... dabei sein... bei Inu Yasha und Sesshōmaru-sama und bei dir... ich mag nicht immer der einzige sein, der zurück bleibt!“

Gegen Ende hatte er etwas trotzig geklungen. Rin gab ihre strenge Haltung auf und seufzte.

„Ach Shippo. Es lässt dich doch niemand zurück, aber so ein Krieg, weißt du, das ist einfach noch nichts für Kinder.“

„Du bist doch auch hier“, schmollte er.

„Hier habe ich aber auch eine Funktion. Und bin weit weg vom Schlachtfeld. Du würdest den beiden da draußen doch nur im Weg rumstehen. Sei froh, dass du da noch nicht raus musst, so ein Krieg ist was Furchtbares und gewiss kein Abenteuer.“

Da Shippo reichlich geknickt wirkte, meinte Rin versöhnlich: „Komm, was hältst du davon, wenn du uns hier ein bisschen mit den Vorbereitungen hilfst, hm? Ist eh zu spät, dich jetzt noch zurück zu schicken.“

Shippos Augen begannen zu leuchten. „Wirklich? Aber... aber erzähl das nicht Inu Yasha... sonst krieg ich wieder so bös eins auf die Nuss.“

Rin und Minako sahen sich kurz an und mussten sich dann beide ein Lachen verbeißen.

„Großes Dämonenehrenwort“, sagte Rin dann mit feierlichem Ernst.

Das Herz des Feindes

Der Regen hatte das Land in einen Sumpf verwandelt. Sesshōmaru beobachtete einen Wassertropfen, der an einer gelösten kleineren Strähne herab rann und schließlich herunter tropfte.

Er rechnete damit, dass Takaitayo selbst natürlich nicht in der ersten Reihe bei seinen Männern stand. Das wäre auch zu einfach. Sesshōmaru widerstrebte es eigentlich seine Soldaten wie Bauernopfer in den Kampf zu schicken, doch er hatte keine andere Wahl, wenn er an Takaitayo herankommen wollte. Der Südfürst war einfach eine zu große Gefahr für den Frieden geworden.

Dein Vater hätte diesen Krieg vermeiden können, zischte eine boshafte Stimme in seinem Kopf, Aber du bist halt nicht wie er und du wirst niemals wie er sein

Sesshōmaru wischte diese Stimme fort wie ein lästiges Insekt, doch ihr Nachhall blieb. Das war nicht der richtige Zeitpunkt für Selbstzweifel. Und da hallte ihm die strenge Stimme seiner Mutter durch den Kopf: Zweifle niemals. Wenn du einmal damit anfängst, hörst du nie wieder auf.

Er wusste, dass seine Männer loyal waren, dass sie nie einen Kampf gescheut hätten und in ihren grimmigen Mienen konnte er ihre Entschlossenheit lesen.

Vielleicht schaffte er es, Takaitayo zu vernichten, ehe Schlimmeres geschah, denn er hatte ein ganz abscheuliches Gefühl.

 

Er sah bald am Horizont durch den Nebel das fremde Heer und der Hauch einer Erinnerung an seine letzte Schlacht geisterte ihm durch den Kopf. Dann gab er das Zeichen zum Angriff.

 

~*~

 

Die Heere prallten in etwa in der Mitte der Ebene aufeinander und es dauerte nur Sekunden bis die ersten Soldaten wie gefällte Bäume zur Erde stürzten. Inu Yasha stieg der Gestank von Blut in die Nase und nicht zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, wie falsch das hier war und wie wenig sich Yōkai und Menschen doch unterschieden.

Er mähte mit Tessaiga einige Feinde nieder, merkte jedoch bald, wie schwer es war, das Schwert mit seiner vollen Kraft einzusetzen in diesem Getümmel, wo dazu noch dieser kreuzverdammte Regen einem die Sicht erschwerte.

Es wurde bald immer schwerer, Freund und Feind auseinander zu halten, was nicht nur an Regen und Schlamm lag, sondern auch, dass sich alle Gerüche hier bis zur Unkenntlichkeit vermischten. Trotz des Wetters lief ihm bald der Schweiß in Strömen und trotzdem war er dankbar für seines Vaters Rüstung, denn es geschah nicht nur einmal, dass feindliche Schwerter einfach an ihr abglitten.

Sein Blick suchte immer wieder den Südfürsten, doch er konnte ihn nirgendwo entdecken. Sesshōmaru hatte gesagt, Takaitayo gehörte ihm, doch er hatte selbst noch eine Rechnung mit ihm offen. Allerdings schien es als sei der Südfürst wie vom Erdboden verschluckt.

 

Mit einem gereizten Knurren schlug er gleich mehrere Feinde gleichzeitig zurück als plötzlich ein Schrei ertönte: „Pfeilregen!!!“ und Inu Yashas Blick ruckte zum Himmel, wo augenblicklich eine Wolke an silbrig glänzenden Pfeilen niederging.

Instinktiv griff er nach dem herumliegenden Schild eines feindlichen Soldaten und ging in die Hocke um sich darunter klein zu machen und fragte sich, wie wenig Takaitayo das Leben seiner eigenen Soldaten wert sein mochte, dass er deren Tod so großzügig riskierte. Die Pfeile schlugen laut in den Schild und er sah aus dem Augenwinkel wie Krieger durchbohrt von Pfeilen zu Boden stürzten, die Luft wurde vom Blutgestank geschwängert.

Zorn durchfuhr Inu Yasha und er warf den Schild weg, um in die Richtung loszusprinten, aus der die Pfeile gekommen waren. Er hatte beinahe freie Bahn, da die anderen sich alle in Sicherheit gebracht hatten – das war die Gelegenheit.

100 Feinde, ging es ihm durch den Kopf, Tessaiga lass mich nicht im Stich!

Es war noch ein gutes Stück bis hin zu dem feindlichen Trupp und er bemerkte, dass sie schon die nächsten Pfeile anzusetzen.

Inu Yasha konzentrierte sich und spürte die Energien, die durch sein Schwert pulsten, ehe er es schwang und mit einem lauten „Kaze no Kizu!!!“ eine Energiewelle in Richtung der Gegner schickte.

Es riss sie von den Füßen und zerschmetterte, zerteilte sie, Blut spritzte und abgetrennte Körperteile fielen zu Boden, zuckten hier- und da und dann war es für einen Moment still. Eine gruselige Stille und Inu Yasha spürte das Gefühl von Triumph, eine bittere Genugtuung und war im nächsten Moment erschrocken über sich selbst, denn jedes Leben war etwas Kostbares und er hatte nie getötet, wenn es nicht hatte sein müssen. Aber es hatte gut getan. Verdammt, hatte das gut getan!

„Kommt ruhig“, knurrte er mit einem schaurigen Grinsen als er weitere Soldaten auf sich zustürzen sah, bereit ihn in seine Einzelteile zu zerlegen.

 

Akiras eisenhartes Training zeigte jetzt seine Wirkung. Inu Yasha spürte selbst, wie viel sicherer er sich fühlte, wie viel gezielter er Tessaiga einsetzen konnte und das obwohl er nur mit einfachen Katana geübt hatte.

Das Schwert, das hundert Feinde tötet, tat seinen Dienst und schon bald flohen die feindlichen Soldaten vor seiner Macht,den sie erkannten die Macht des legendären Tōga-O.

Doch wo war Takaitayo? Inu Yasha konnte ihn nirgendwo entdecken und ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er witterte im Wind, doch alles, was an seine Nase drang, war der Geruch von Blut und Tod.

Inu Yasha wischte sich mit dem Handrücken etwas Blut von der Wange und sah sich hastig um. Der Kampf war in vollem Gange und mit dem zunehmenden Regen war es schwerer, Freund und Feind zu unterscheiden.

„Verdammt“, knurrte er und konnte gerade noch so einem feindlichen Schwerthieb ausweichen – er zerteilte den Angreifer mit Tessaiga einmal in der Mitte, sodass seine Eingeweide stinkend und dampfend zu Boden fielen.

 

Sein Instinkt schlug Alarm und er konnte gerade noch so einer riesigen stachelbewehrten Stahlkugel ausweichen – Inu Yasha sprang zurück und erblickte einen Hünen in der Größe etwa von dem Shichinintai Kyokotsu. Er hatte nur ein gesundes Auge und ledrige, vernarbte Haut mit Stellen, die nach üblen Verbrennungen aussahen.

„Hey du Fleischlops, wo bist du denn rausgekrochen?“, höhnte Inu Yasha und wollte zum Gegenangriff ansetzen, doch der Hühne war schneller als gedacht und im nächsten Moment wurde er von dem Morgenstern hart in die Brust getroffen – hätte er nicht seines Vaters Rüstung getragen, wäre sein Brustkorb nun Brei gewesen. So drückten sich nur die Metallkanten leicht schmerzhaft in seine Haut. Inu Yasha riss es von den Füßen und er durchbrach eine Gruppe maroder Bäume nur um in brackigem Wasser zu landen.

 

„Scheiße!“, fluchte er als er sich aufrappelte und Tessaiga nicht mehr in seiner Hand vorfand. Hastig tastete er in der trüben Brühe nach dem Schwert und er fand es gerade noch so ehe der Hühne ihm nachsetzte und mit einem unmenschlichen Brüllen durch die Bäume sprang. Inu Yasha wälzte sich zur Seite um erneut dem Morgenstern zu entgehen, doch der Hühne war schnell. So schnell, dass Inu Yasha kaum Zeit fand, die Kaze no Kizu einzusetzen, vor allem nicht auf diese kurze Distanz, da würde ihm alles um die Ohren fliegen. Aber was blieb ihm für eine Wahl? Der Hühne hob die Keule erneut um sie in seine Richtung zu schmettern. Inu Yasha ließ die starke Attacke des Schwertes los und - sie verfehlte ihr Ziel!

„Unmöglich!“, keuchte der Hanyō und diesen fatalen Moment nutzte sein Gegner um ihn erneut von den Füßen zu holen. Inu Yasha landete mit einem schmatzenden Geräusch im Sumpf und als er aufblickte stand der feindliche Yōkai direkt über ihm, mit einem schaurigen Grinsen seinen Morgenstern erhoben. Er ließ ihn niedersausen und Inu Yasha konnte gerade noch so ausweichen – er nutzte den Schwung und die Schwerkraft um dem Hühnen so fest gegen den Unterarm zu treten, dass dieser trotz der vielen Muskeln, die ihn umspannten mit einem morschen Knacken brach, wobei ihm der Morgenstern aus den Händen glitt. Der Yōkai heulte wütend auf und schlug mit dem anderen Arm hart nach Inu Yasha – der verlor auf dem rutschigen Boden den Halt und knallte gegen einem aus dem Boden ragenden Felsen.

Mit einem Keuchen wurde ihm die Luft aus den Lungen gepresst und er konnte gerade noch so aufsehen um zu sehen, wie der Hühne sich über ihn beugte – und ihn an der Kehle packte. Instinktiv krallten sich Inu Yashas Hände in das Handgelenk, aber es war, als versuchte er Stahl aufzubiegen.

Er krallte die langen Klauen in die Haut und er roch und spürte, wie dessen Blut zu fließen begann und er zitterte vor Anstrengung. Ihm begannen schon schwarze Punkte vor der Sicht zu tanzen... und plötzlich explodierte ein blaues Licht vor seinen Augen und er presste selbige zusammen, weil es unglaublich grell war.

 

„Inu Yasha jetzt!“, schrie jemand und instinktiv fuhr er die Klauen aus und preschte mit seinem ganzen Körpergewicht nach vorne. Erst als er spürte, wie seine Klaue auf der anderen Seite des warmen Leibes wieder austrat, wusste er, dass er es geschafft hatte.

Der Körper des Hünen fiel zerfetzt und blutend zu Boden... doch Moment!

Inu Yasha Blickte sich blinzelnd um...

 

„Shippo!“, entfuhr es ihm wütend und überrascht zugleich. „Was hast du hier verloren, das ist kein Platz für Kinder!“

„Aua!“, jammerte der Kitsune nachdem Inu Yashas Kopfnuss ihn ereilt hatte. „Dir das Leben retten wie es aussieht, du undankbarer Arsch!“

„Keh, ich hatte alles unter Kontrolle.“

„Ja, das hat man ja gesehen“, schmollte der Kleine, sich den Kopf reibend. Inu Yasha wischte sich abwesend das Blut von den Wangen.

„Wie kommst du überhaupt hierher? Du solltest dich irgendwo verstecken, bis das alles vorüber ist.“

„Im Lager stand ich nur im Weg rum. Außerdem hab ich... mir Sorgen gemacht, blöde Töle!“

Inu Yasha juckte es in den Fingern dem kleinen Fuchs noch eine Kopfnuss zu verpassen, doch für solche Kindereien hatten sie keine Zeit. Und Shippo hatte recht. Er hatte ihm wirklich gerade den Arsch gerettet.

Inu Yasha sah sich hektisch um. „Hör zu, ich hab jetzt keine Zeit, mich um dich zu kümmern. Meinst du, du findest den Weg zurück zum Lager allein ohne entdeckt zu werden?“

Shippo nickte beklommen. Eigentlich wäre er lieber bei Inu Yasha geblieben, aber gerade wagte er es nicht, sich mit ihm anzulegen.

„Gut und – Shippo?“ Der Kleine wandte sich nochmal um und Inu Yasha zwinkerte ihm zu.

„Danke.“

Ein schwaches Lächeln breitete sich auf den Lippen des Kitsune aus. Auch wenn er nicht vor hatte, jetzt zum Lager zurück zu gehen, erfüllte ihn dieses kleine Wort des Dankes mit Stolz.

 

~*~

 

Sesshōmaru räumte beinahe beiläufig die gegnerischen Soldaten aus dem Weg, die versuchten ihn aufzuhalten. Er hatte keine Zeit, sich mit dem Fußvolk aufzuhalten, er wollte einzig und allein Takaitayo und seine Männer taten ihr möglichstes ihm den Rücken frei zu halten.
 

Er ahnte, dass Takaitayo auf ihn wartete. Dass er sich nicht bloß hinter seinen Soldaten versteckte, wie es den Anschein machte. Doch es war ihm unmöglich in dem ganzen Geruch von Blut, Kampf und Schweiß den anderen Daiyōkai auszumachen. Vor allem in dem verdammten Regen. Plötzlich krachte ein Blitz und schlug auf einer Anhöhe in der Nähe in einen hohlen Baum. Das morsche Holz glühte, fing aber dank des Regens kein Feuer. Doch der Blitz hatte die Gestalt kurz beleuchtet, die nahe des Baumes stand. Sesshōmarus Augen verengten sich und er straffte unbewusst die Gestalt.

Takaitayo kam langsam, mit knirschender Rüstung den Hügel hinab auf ihn zu.

 

„Seht nur, was Ihr angerichtet habt... Das hier alles hätte vermieden werden können, wärt Ihr nicht zu stur und zu stolz gewesen, Euch unterzuordnen.“

„Ich bin nicht hier, um mir Eure Plattitüden und Verleumdungen anzuhören“, erwiderte Sesshōmaru kalt, „Ihr beginnt einen Krieg, weil Ihr Euren Willen nicht bekommt, wie ein verwöhnter Welpe der den Zucker von seiner Kinderfrau verboten bekommt.“

„Und was ist mit Euch?“, erwiderte der Südfürst samten und in seinen Augen flackerte etwas so Hasserfülltes und Böses, dass Sesshōmaru sich zusammenreißen musste, seinen eigenen Blick nicht abzuwenden.

„Tötet einen unschuldigen Welpen und enthaltet mir mein Land vor, bloß weil Ihr es könnt? Habt Ihr Euch nie vorgestellt, wie stark er hätte sein können und wie schön?“

Sesshōmarus Hand fasste unbewusst den Schwertgriff nach.

Der Südfürst hob die Zweililie die er führte und die scharfen Klingen summten leise in der Luft.

 

Es knirschte laut als die Zweililie auf Bakusaigas blanke Klinge traf und Sesshōmaru spürte das Vibrieren der Kraft auf seinen Körper übergehen. Den nächsten Schlag, der mit der anderen Seite folgte, wehrte er ebenfalls ab. Dann drehte er sich aus der der unmittelbaren Reichweite der Waffe und führte nun seinerseits mehrere Hiebe aus, die der Südfürst alle parierte, bis er ausweichen musste, weil Bakusaiga beinahe den Mittelstahl seiner Waffe getroffen hätte.

Ein kaltes Lächeln breitete sich auf Takaitayos Gesicht aus.

„Wusstet Ihr eigentlich...“, begann er im Plauderton, während sie verbissen miteinander kämpften, „Dass mein eigener Sohn nun in Eurem Alter wäre, hätte er nicht in Eures Vaters Krieg sein Leben verloren?“

 

Es war nur das Zehntel einer Sekunde, dass Sesshōmaru stutzte, nur das Zehntel einer Sekunde, dass sein Gegner nicht seine volle Aufmerksamkeit hatte und der kunstvoll geschwungene Stahl der Zweililie bohrte sich in seinen Bauch, hob ihn von den Füßen und schleuderte ihn durch die Luft, bis er durch eine morsche Baumgruppe brach und nach Luft japsend im Morast liegend blieb.

Verbissen keuchend presste er eine Hand auf die Verletzung und beglückwünschte sich im Geiste dafür, die schwerere Rüstung angelegt zu haben, sonst würden ihm vermutlich jetzt die Eingeweide aus dem Bauch quellen. Er hörte, wie Takaitayo ihm nachkam und konnte sich gerade noch so zur Seite rollen, ehe die Klinge sich mit einem Schmatzen dort in den Boden bohrte, wo eben noch sein Kopf gewesen war.

Er kam wieder auf die Füße. Nur um daraufhin der nächsten Attacke ausweichen zu müssen.

„Er starb, während Ihr so wohlbehütet in Eurem Schloss gesessen habt!“, giftete Takaitayo zornig, „Ihr seid mir einen Nachkommen schuldig!“

„Einen Scheißdreck bin ich Euch!“, knurrte der junge Fürst recht unfürstlich und sprang um dem wütenden Hieb der Zweililie auszuweichen – und da bemerkte er eine Lücke. Eine winzige Unaufmerksamkeit und während die Schwerkraft ihn wieder zu Boden zerrte, riss er Bakusaiga herunter und zerteilte die Griffstange der Zweililie sauber in zwei Teile. Bakusaigas Attacke fraß sich grünlich an dem gebrochenen Stahl nach oben und der Südfürst starrte eine Weile darauf, ehe er geistesgegenwärtig beide Teile von sich warf, ehe sie seine Hände erreichten.

Der Regen wurde schwerer. Wasser, Blut und Schweiß klebte an ihrer beider Körpern und fraß sich in die Kleidung, machte sie schwer.

Und obwohl der Südfürst nun entwaffnet war und Sesshōmaru einen entscheidenden Vorteil hatte, wirkte Takaitayo nun nicht einmal ansatzweise beunruhigt, als Sesshōmaru die Klinge auf ihn richtete.

„Ich gebe Euch jetzt die Möglichkeit, zu kapitulieren und augenblicklich Eure Truppen zurück zu rufen“, sagte Sesshōmaru drohend leise, „andernfalls wird das Reich des Südens in spätestens zwei Minuten keinen Herrscher mehr haben.“

Der Südfürst knurrte nur und dann breitete sich ein unheimliches Grinsen auf seinem Gesicht aus.

Er spuckte aus. „Ihr werdet mir langsam lästig, schöner Sesshōmaru.“

Langsam kam er dabei näher, wobei sein Blick sich in den Sesshōmarus bohrte und Sesshōmarus Hand krampfte sich unbewusst um Bakusaigas Griff, denn diese Art und Weise, wie Takaitayo ihn schöner Sesshōmaru genannt hatte, die kannte er nur von einem Einzigen...

Unbewusst griff er das Schwert nach.

„Nur zu. Erschlagt mich ruhig. Aber seid Euch auch sicher, dass Ihr die Konsequenzen tragen könnt.“

„Ich warne Euch ein letztes Mal. Zieht Eure Truppen zurück.“

„Sehe ich da Zweifel in Euren jungen Augen?“ Takaitayo kam einen Schritt auf ihn zu und er brauchte plötzlich alle Willenskraft, um nicht zurück zu weichen. Was war nur los? Er musste es tun. Er hatte keine Wahl. Er...

 

Plötzlich lagen Taikaitayos Klauen um seine Kehle und er spürte, wie das Südgift in seinen Körper drang. Sesshōmaru keuchte und wollte sein Schwert hochreißen, doch zu seinem Entsetzen befand es sich nicht mehr in seiner Hand. Er begegnete dem irren Blick es Südfürsten, der mit seiner ganzen Kraft Sesshōmarus Kehle zusammendrückte und der schlug reflexartig die eigenen Klauen in die Unterarme seines Gegners, doch die waren unnachgiebig und hart wie Stahl. Er spürte wie ihm Blut aus den Augen lief und sein Blick suchte fieberhaft nach Bakusaiga, welches in unmittelbarer Nähe im Schlamm lag.

Wie hatte ihm nur so ein fataler Fehler unterlaufen können? Wie hatte er sich auch nur einen Wimpernschlag so aus dem Konzept bringen lassen können?

„Wie wäre es-“, zischte der Südfürst, „wenn ICH Euch eine letzte Möglichkeit gebe, mir einen Nachkommen zu schenken anstatt dass ich Euch töte... Ihr seid so jung... Ihr wisst doch gar nichts....!“

Und da glaubte Sesshōmaru einen Moment Schmerz in den Augen seines Gegners zu sehen. Den Schmerz darüber, einen Teil von sich für immer verloren zu haben. Sesshōmaru kannte diesen Schmerz, denn er hatte ihn zweimal durchlebt. Seine Klauen glitten erschlafft von den Unterarmen des Südfürsten, er spürte Schwindel und einen Wimpernschlag lang die Sehnsucht, jetzt loszulassen und sich zu Saddin und seinem Vater zu gesellen.

 

Donner grollte berstend laut und ein heller Blitz erleuchtete die fast nachtdunkle Landschaft.

Und da kehrte die Kraft in den jungen Daiyōkai zurück.

Ein weiterer Blitz.

Die Hände um seine Kehle erschlafften.

Warmes Blut.

Das Herz pulsierte gegen seine Hand ehe er es seinem Gegner mit einem Ruck aus dem Leib riss.

 

Sesshōmaru stieß Takaitayos schweren Körper von sich, erhob sich wankend und sah mit einem mitleidlosen Blick auf ihn herab. Er hatte sich geirrt. Takaitayo und er hatten nichts gemeinsam. Nicht das geringste.

Er sah auf das Herz in seiner Hand. Erinnerte sich an die alte Tradition seiner Art. Er hatte nie viel von diesen Traditionen gehalten, sie waren primitiv und barbarisch, doch als er das Herz fraß, Stücke aus ihm reißend, wie seine wilden Vorfahren, da erfüllte es ihn mit tiefer Genugtuung.

 

Und dabei bemerkte er nicht, wie ein Langbogen sich mit einem leisen Knistern spannte.

Bemerkte nicht, wie der vergiftete Pfeil von der Sehne schnellte.

 

~*~

 

Inu Yasha richtete sich keuchend auf und blickte sich hektisch um. Der Kampf war noch in vollem Gange und doch meinte er, eine Tendenz bemerken zu können, dass der Süden langsam zurück gedrängt wurde.

Er strich sich eine schlammige, blutverklebte und triefend nasse Strähne aus dem Gesicht als ihn etwas durchzuckte. Eine Vorahnung, die sich in Form einer eisigen Klauenhand um sein Herz krallte.

 

„Sesshōmaru“, entfuhr es ihm und er sprintete los, suchte gestresst nach dem vertrauten Geruch seines Bruders und verfluchte zum ersten Mal seine schwache Hanyōnase. Verdammt, wo – plötzlich konnte er ihn riechen, schwach zwar, doch er hatte eine Richtung, der er folgen konnte. Sein Puls raste, alles um ihn herum war ausgeblendet. Die Spur führte zu einem Hügel und dann sah er schemenhaft seinen Bruder, der sich über einen Leichnam gebeugt hatte, das Gesicht und die Kleidung blutverschmiert – war er verletzt?

 

Und dann sah er den Schützen. Zu weit weg. Sah den Pfeil. Irgendetwas stimmte mit Sesshōmaru nicht, er hätte den Pfeil doch längst bemerkt! Der Pfeil glitt von der Sehne. Mit Ziel auf Sesshōmarus Herz.

Und er schlug mit einem dumpfen Geräusch ein.

 

~*~

 

Rin hielt plötzlich inne und sah auf. Ihr Blick wanderte zum Eingang des Lazarettzeltes. Draußen regnete es noch immer, jedoch war der Starkregen in ein sanfteres Nieseln übergegangen. Abwesend strich sie sich eine schwitzige Strähne aus der Stirn. Warf dann einen Blick in den Raum des Zeltes, doch alle Verwundeten, die bisher hergebracht worden waren, waren soweit versorgt.

„Rin-san?“ Homoto tätschelte ihre Hüfte, „du bist erschöpft. Ruhe dich aus, solange es noch möglich ist, du wirst deine Kräfte später noch brauchen.“

Rin lächelte schwach und nickte dann. „Wie Ihr wünscht.“

Sie wusch sich die Hände in einer Schüssel mit trübem Wasser und trat dann zum Zelteingang. Irgendwo da draußen waren Sesshōmaru und Inu Yasha. Und Akira.

Plötzlich fiel ihr etwas auf.

„Shippo?“, murmelte sie und sah sich suchend um, „He, hast du Shippo gesehen?“, fragte sie ein Mädchen, das vorbeilief. Es schüttelte den Kopf. „Tut mir leid.“

Wortlos und mit einem unangenehmen Gefühl im Magen, begann Rin sich auf die Suche nach dem kleinen Kitsune zu machen. Doch keiner hatte ihn gesehen. Sie schalt sich selbst eine Närrin, nicht besser aufgepasst zu haben. Sie wusste doch, wie kleine Jungs waren. Rin biss sich unschlüssig auf die Unterlippe. Wenn Shippo etwas zustieß, dann... kurz dachte sie daran, dass Sesshōmaru Ah-Uhn hiergelassen hatte zu ihrem Schutz. Wenn sie nun hinausritt auf seinem Rücken könnte sie schnell das Gelände absuchen ohne sich in direkte Gefahr zu begeben?

Ehe sie den Gedanken zu Ende gesponnen hatte, bewegten sich ihre Füße schon von alleine.

 

Der Drache schnaubte vertrauensvoll, als die junge Frau ihm über die Seite des Halses strich. Dann machte sie ihn los und sah sich noch einmal um. Sie war eigentlich nicht ungehorsam. Rin atmete tief durch, dann kletterte sie auf den Rücken des Drachen.

„Na dann los“, flüsterte sie und drückte leicht ihre Waden in seine Flanken, woraufhin sich der Drache in Bewegung setzte und sich kurz darauf in die Lüfte erhob. Wenn sie Glück hatte, konnte sie zurück sein ehe jemand ihr Verschwinden bemerkte.

Der Nieselregen war kalt und unangenehm und es war schwer, dort unten etwas zu erkennen, allerdings, so hoffte sie, würde Shippos rotes Haar sich genug von der Umgebung abheben.

„Ah-Uhn“, flüsterte sie leise, „bitte mein Lieber, versuch den kleinen Kitsune zu wittern!“

Der Drache blähte die Nüstern und reckte die Köpfe in unterschiedliche Richtungen. Und dann nach einer Weile schien er tatsächlich etwas zu wittern und schlug eine bestimmte Richtung ein.

 

~*~

 

Als Sesshōmaru sich umwandte, sah er Inu Yashas geweitete Augen. Sah ihn schwanken und wie ihn schließlich die Kräfte verließen. Er fiel ihm entgegen und Sesshōmaru griff nach ihm ehe er auf den Boden schlagen konnte und da sah er den Pfeil aus Inu Yashas Rücken ragen, das Zeugnis seiner eigenen Unachtsamkeit. Er hatte sich direkt zwischen zwei beschädigte Rüstungsplatten gebohrt.

„Narr!“, fluchte er, „was hast du getan!?“

Inu Yasha hob den Blick und grinste ihm schwach entgegen. „Selber Narr. Der … der wäre … tödlich gewesen...“

Sesshōmarus Blick ruckte herum und da sah er den Schützen im Schatten stehen und einen neuen Pfeil anlegen. Er tötete ihn mit seiner Energiepeitsche. Das Gift war schnell, er musste handeln.

„Oh Oh Oh, das sieht böse aus“, hörte er plötzlich eine Stimme nahe seinem Ohr.

„Myoga, wenn Ihr gerade keinen nützlichen Ratschlag habt, fallt mir nicht auf die Nerven!“

„Ich habe Inu Yasha-sama gewarnt. Im Lazarett werden sie ihm nicht helfen können.“

„Was soll ich dann Eurer Meinung nach tun?“, kam es gereizt von Sesshōmaru und er verfluchte nicht zum ersten Mal die Anfälligkeit und die Zerbrechlichkeit des Menschenblutes. Er dachte daran, wie ihm Rin beinahe genommen worden war und irgendetwas zog sich zusammen. Und er wischte es sogleich wieder fort, denn das hatte hier und jetzt keinen Platz.

„Ihr musst den Pfeil sofort rausziehen.“

„Wisst Ihr, was für einen Schaden ich damit anrichten könnte?!“

„In dem Fall richtet Ihr mehr Schaden an, wenn Ihr ihn drin lasst.“

Und auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, hörte er auf die Warnung des Flohgeistes, umgriff schließlich mit einer Hand den Pfeilschaft und zog ihn mit einem Ruck heraus und Inu Yashas qualvolles Aufjaulen traf ihn mehr als er es je für möglich gehalten hätte. Blut sickerte aus der Wunde und Sesshōmaru roch wie viel Gift bereits darin war. Es war eine Frage der Zeit, bis es sich im ganzen Körper verteilt und das Herz erreicht hatte. Das durfte nicht geschehen. Dieser verdammte Hanyō hatte nicht zu sterben, wenn er es ihm nicht erlaubte! Aber wenn nichtmal die alte Homoto...

Plötzlich hörte er eine längst vergessene Stimme in seinem Kopf.

 

Das Licht eines neugeborenen Sternes. Nutzt es weise.

 

Er musste Inu Yasha zurück zum Schloss bringen. Das war die letzte Möglichkeit, Inu Yasha vor einem qualvollen Tod und einem vielleicht traumatischen Erlebnis in der Nachwelt zu bewahren, ehe er ihn mit Tensaiga wieder beleben konnte.

 

„Sesshomaru-sama!“ Als Sesshōmaru verwirrt den Kopf hob – denn wie konnte die Stimme seiner Ziehtochter hier durch den Schlachtenlärm dringen – sah er gerade noch so, wie Ah-Uhn mit Rin auf seinem Rücken auf dem Boden aufsetzte. Die junge Frau rutschte von dem Rücken des Drachen und eilte zu ihnen. „Was ist passiert, kann ich-“

„Rin“, unterbrach Sesshōmaru sie schärfer als beabsichtigt, „so gespannt ich auch auf die Erklärung wäre, was du hier zu suchen hast, so wenig Zeit habe ich, sie mir anzuhören. Ich brauche den Drachen... allerdings...“

War auf dem Rücken des Drachen kein Platz für drei und er konnte Rin unmöglich hier zurücklassen.

 

In einiger Entfernung bemerkte er Akira, der bei einigen verwundeten Soldaten stand und gab ihm ein Zeichen, herzukommen. Der General und Kampfmeister brauchte nicht lange, um die Situation zu erfassen und nickte abgehackt.

„Ich werde sie mit meinem Leben beschützen.“

Beide Männer tauschten einen Blick, dann half Akira Sesshōmaru den halb bewusstlosen Hanyō auf den Rücken des Drachen zu hieven.

Ah-Uhn gab ein Schnauben von sich als Sesshōmaru härter als nötig die Hacken in seinen Bauch presste und im nächsten Moment verloren sie die Bodenhaftung und der Wind zog an ihnen vorbei als er sich in die Lüfte erhob.

Das Licht eines neugeborenen Sternes

Inu Yasha merkte, wie es ruhig wurde. War die Schlacht etwa schon vorbei? Kühler Wind wehte ihm ins Gesicht. Das war irgendwie angenehm. Es fühlte sich an als habe jemand flüssiges Blei durch seine Adern gegossen. Heiß und quälend. Inu Yasha stöhnte unterdrückt auf.

„Ruhig.“

Wo kam diese Stimme her? Sie war so schön. So tröstend. Und dieser Geruch, der seine Nase so liebevoll umgarnte. Nach Wald und Wiesen und einem Hauch von Hyazinth. Abwesend und kraftlos griff seine Hand nach einer von Sesshōmarus Haarsträhnen, die sich aus der Frisur gelöst hatten. Es gab ihm Halt. Es gab ihm Sicherheit. Sesshōmaru gab ihm Sicherheit. Er war so entsetzlich müde.

„Du darfst nicht schlafen.“

„Aber... so müde... nur ein Bisschen...“

„Nein!“

„Ich... kann nicht...“

„Erzähl mir etwas, erzähl mir... von... von deiner Mutter...“

„Meine Mutter … war … die... die schönste Frau, die … ich jemals … sie hat... sie hat immer nach... nach... Apfel...blüten gerochen...“

Inu Yashas Blick wurde trüb und seine Stimme erstarb.

„Weiter“, drängte Sesshōmaru leise.

„Wenn... ich krank war oder... oder einen Alptraum... hatte... hat sie immer... für mich... gesungen. Ihre Stimme war... sie war wie eine Nachtigall...“

Ein schwaches Grinsen breitete sich auf Inu Yashas Gesicht aus. Kalter Schweiß klebte ihm an den Schläfen.

„Myoga sagte, du hättest ne schöne Stimme. Hast diesen... ganzen Quatsch gelernt, während... ich da draußen … ums... ums Überleben kämpfen... musste... ich hab dich so … so sehr... gehasst dafür... dass du … dass du mich... allein … ge... lassen hast...“

Inzwischen hatte der Regen aufgehört. Doch der Weg war noch weit. Viel zu weit.

„Weiter“, drängte er leise, als er hörte wie Inu Yashas Stimme erstarb. Doch nur ein Röcheln war noch zu vernehmen.

 

Als sie das Schloss endlich erreichten, war die Abendsonne, die sich für einen kurzen Augenblick herausgetraut hatte schon vom Himmel verschwunden. Er schickte einen Diener los, um nötige Vorbereitungen zu treffen, ließ Inu Yasha in das eigene Bett sinken.

„Ihr bleibt bei Ihm“, befahl er einem Diener schroff, „ich bin sofort wieder da.“ Und damit stürzte er in den Westflügel in das Arbeitszimmer seines Vaters, wo er seine ganzen Dinge aufbewahrte, die ihn an Saddin und die Zeit mit ihm erinnerten. Er hatte sie einst dorthin geschafft, weil es zu schmerzhaft war, sie in der Nähe zu haben.

Zielstrebig ging er an die unterste Schublade, um sie aufzuziehen. Er räumte ihren Inhalt aus, bis die Sicht auf ein schönes hölzernes Kästchen freigelegt wurde. Das nahm er an sich und ging zurück zu Inu Yasha, welcher inzwischen das Bewusstsein verloren hatte. Dessen Gesicht wirkte beunruhigend fahl und kalter Schweiß bedeckte seinen Körper. Der Diener hatte in der Zwischenzeit geistesgegenwärtig die Rüstung entfernt.

Sesshōmaru öffnete die kleine Schatulle und spürte wie wärmendes Licht in sein Gesicht fiel. Umsichtig nahm er die Kette, die er so lange nicht angesehen hatte und legte sie dem Hanyō um den Hals. Inu Yasha gab ein wohliges Geräusch von sich, als er Sesshōmarus Berührungen spürte beim Umbinden, doch zu Bewusstsein kam er nicht.

Das Licht des Sternes glänzte hell in dem dunklen Raum und Sesshōmaru spürte, wie tröstend es war. Einen Augenblick schloss er die Augen und spürte seine eigene Erschöpfung. Fühlte sich tausend Jahre älter als er eigentlich war.

 

~*~

 

Als Inu Yasha die Augen öffnete blendete ihn ein strahlend weißes Licht. Er blinzelte bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Er sah blauen Himmel über sich, roch Wiesenblumen und Gras und Tau. Vogelgezwitscher. Mit einem wohligen Brummen wollte er sich umdrehen als er ein Geräusch hörte, das irgendwie fremd war. Er richtete sich auf und spürte plötzlich wie die weichen Lippen eines Kamels seine Wage streiften. Mit einem überraschten Schnaufen kam er auf die Beine und sah dieses Tier an, das er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Und er sah auch, dass das Stück Wiese auf dem er war, recht klein war. Bald fing harter sandiger Boden an.

Wo bin ich hier?, fragte er sich irritiert. Und dann fiel ihm auch ein, dass er doch eigentlich vor kurzem noch ganz wo anders gewesen war.

Ein Wind kam auf und ließ seine Haare sacht flattern. Die Luft war heiß, als … und plötzlich fiel der Groschen. Als käme sie von der Wüste. Er musste in diesem Land sein, von dem Myoga erzählt hatte, das Land der persischen Dämonen. Das Land, das beinahe Sesshōmarus zweite Heimat geworden wäre.

Was geht hier vor?, murmelte er und ging ein paar Schritte, wobei er mit einer Hand seine Augen abschirmte, weil sie die grelle Wüstensonne nicht gewohnt waren.

 

Willkommen, zweiter Sohn Tōgas“, erklang eine Stimme hinter ihm und er wirbelte herum. Vor ihm stand ein älterer Mann mit einem klugen, zerfurchten, dunklen Gesicht und langem grauen Haar. Ein wissender Blick aus unglaublich dunklen Augen begegnete ihm.

B-Bin ich tot?“, war das erste, das er hervorbrachte. Der Mann lächelte und schüttelte den Kopf. Dann sagte er: „Ich bin Shadi.“ Ein Hauch von Ehrfurcht durchfuhr Inu Yasha. Shadi. Natürlich. Der Mann, für dessen Seelenrettung Sesshōmaru sein zukünftiges Erstgeborenes geopfert hatte.

Und Inu Yasha, der niemals in seinem Leben wert gelegt hatte auf Etikette, hatte das unbändige Bedürfnis, sich vor diesem Mann zu verneigen. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse dabei und er fühlte sich wie ein kleiner Junge.

Es … es ist mir eine Ehre“, stammelte er.

Ihr seid nicht tot, aber es steht ernst um Euch. Sehr ernst.“

Was kann ich tun?“

Shadi antwortete nicht sofort. Stattdessen machte er eine Armbewegung und der Himmel wurde rasch dunkel und ein Sternenmeer tauchte auf.

Mit ehrfürchtigem Blick starrte Inu Yasha nach oben. Nie zuvor hatte er so hell, groß und klar die Sterne gesehen.

Ihr Licht kann Euch retten. Und ihn.“

Wie meint Ihr das?“, murmelte Inu Yasha, doch er erhielt keine Antwort mehr und als er sich umdrehte, war Shadi fort.

 

~*~

 

„Bitte, Akira-sama, wir müssen ihn finden!“

„Ich habe die Anweisung auf Euch zu achten, ich kann es nicht verantworten, Euch-“

„Er ist ein Kind!!!“

„Und ein Kitsune, er wird sich schon zu verbergen wissen!“

Rin verschränkte die Arme vor der Brust und presste den Mund zu einer schmalen Linie zusammen. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie mit dem Fuß aufgestampft hätte.

Akira stöhnte leicht genervt auf. „Bitte zwingt mich nicht, Euch zum Lager zurück zu tragen.“

Rin verzog das Gesicht zu einem leicht schaurigen Grinsen. „So verlockend ich dieses Angebot auch finde, Akira-sama, ich werde nicht ohne Shippo hier fort gehen, ob Euch das passt oder nicht.“

Einen kurzen Moment starrten sich der Yōkai und das Mädchen in die Augen und Akira knickte schließlich ein.

„Kreuzdonner nochmal! Wenn wir ihn in zehn Minuten nicht gefunden haben, gehen wir zum Lager zurück und keine Widerrede!“

Ein Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht der jungen Frau ab und sie sagte leise: „Na geht doch.“

 

„Shippo!“, begann Rin zu rufen und meinte dann an Akira gewandt: „Könnt Ihr ihn nicht wittern oder so? Ihr habt doch so eine gute Nase.“

„Ich rieche vor allem Blut und vom Regen aufgedunsene Leichen“, erwiderte Akira trocken und scannte mit dem Blick die Umgebung. Als er sich versichert hatte, dass keine Gefahr in der Nähe war, fand sein Blick wieder zu Rin und er kam nicht umhin, die junge Frau zu bewundern. Sie stakste hier durch Blut und Matsch und das ohne eine Miene zu verziehen. So manch adliges Fräulein wäre wohl schon in Ohnmacht gefallen. Er kam nicht umhin, ein schmales Lächeln zu zeigen – dann schüttelte er den Kopf um es wieder fort zu wischen und versuchte seine Sinne auf den kleinen Kitsune zu beschränken. Er dachte kurz an die Übungseinheiten mit Shippo. Er war noch ein wenig verspielt und vor allem im Umgang mit dem Schwert recht unsicher, aber er erkannte bereits jetzt ein ungewöhnliches Geschick, Gelerntes schnell umzusetzen. Das Problem war, dass er sich selbst viel zu wenig zutraute. Und es wunderte ihn schon gar nicht mehr, dass Sesshōmaru sich seiner angenommen hatte.

„Shippo?“, rief Rin erneut und plötzlich hörte man in einem naheliegenden Gestrüpp ein verdächtiges Rascheln.

Akira schob sich vor Rin und verengte die Augen leicht, dann jedoch gab er seine angespannte Haltung auf, machte ein paar schnelle Schritte zu dem Gestrüpp hin und griff mit der Hand hinein – nur um im nächsten Moment einen vor Schreck quiekenden Kitsune herauszuziehen.

„Halt die Klappe, du Blag, du bist in Sicherheit!“, knurrte er dabei ärgerlich und Rin kam zu ihm und nahm Shippo in die Arme.

„Du sollst doch nicht abhauen“, schimpfte sie leise, wobei sie den zitternden Körper an sich drückte.

„Es tut mir leid, Rin-Onee-san“, kam es kleinlaut von Shippo, „Ich … ich wollte doch nur...“

„Schon gut, es ist ja alles nochmal gut gegangen. Aber versprich mir, dass du sowas nicht nochmal machst, ja?“

„Ja, versprochen.“

„Sieh zu, dass du dein Versprechen hältst“, knurrte Akira, „Im Gegensatz zu ihr, bin ich weniger nachgiebig, wenn einer nicht zu seinem Wort steht.“

Shippo nickte verschüchtert und sie machten sich auf den Weg zum Lager zurück.

 

„He, was ist denn das da oben?“, meinte Shippo plötzlich und Akira folgte de Blick des Jungen. Seine Augen verengten sich.

„Aasfresser. Niedere Yōkai, die sich nach einer Schlacht über die Überreste der Krieger hermachen.“

Rin beobachtete schauernd wie gar nicht so weit von ihnen zwei sich über die Leiche eines gefallenen Südmannes hermachten

„Seht sie nicht an“, sagte Akira mahnend, „sonst bemerken sie euch.“

„Die sind gruseliger als Tengu“, murmelte Shippo und versteckte das Gesicht an Rins Brust. Auch Rin musste sich zwingen, den Blick von den Yōkai abzuwenden, die aussahen, wie zerfetzte überdimensionale Krähen mit glühenden Augen. Doch sie tat es nicht schnell genug. Köpfe hoben sich in ihre Richtung und wie aus dem Nichts kam plötzlich einer der Aasfresser auf sie zugeschossen. Rins Augen weiteten sich, doch sie blieb wie gelähmt dort stehen, wo sie war und hätte Akira nicht schnell reagiert wäre sie wohl einem spitzen vor Geifer triefenden bezahnten Schnabel zum Opfer gefallen. Kaum war der Aasfresser in zwei saubere Teile geteilt auf die blutige Erde gefallen hörte man das Flügelrauschen von weiteren, die sich ihnen näherten.

„Fabelhaft“, knurrte Akira genervt, „das hat man davon, wenn man auf Kinder aufpasst! Macht dass ihr fortkommt!“, brüllte er dann und erledigte mit einem gezielten geschickten Schwertstreich gleich drei von ihnen. Es dauerte einen kurzen Moment, dann sah Rin sie alle in ihrem eigenen Blut liegen. Und sie erschrak einen Moment darüber, dass sie das Blut und der Tod offensichtlich längst nicht mehr berührten. Irgendwann war es still und Akira knurrte leise: „Los, weiter, damit wir irgendwann noch beim Lager ankommen.“

„Akira“, sagte sie irgendwann erschrocken und vergaß dabei sogar das Namenssuffix.

„Nicht jetzt.“

„Aber... aber Euer Auge...!“, presste sie hervor und starrte auf das blutige Gemisch, das mal ein Auge gewesen war.

 

Später als sie zurück im Lager waren, bat Rin Akira, sich die Verletzung ansehen zu dürfen. Widerwillig folgte er der jungen Frau in einen abgetrennten Bereich des Lazarett Zeltes.

Rin griff aus der kleinen Kiste mit Heilungsutensilien nach einer Ampulle, die eine blassbräunliche Flüssigkeit enthielt.

„Wisst Ihr, ob diese Aasfresser ein Gift haben?“, ermittelte sie, während sie die Flasche entkorkte.

„Nein, sind ungiftig. Nur widerwärtige Ratten der Lüfte.“

„Wie Ratten? Also könnten sie Krankheiten tragen?“

Akira sah sie etwas zerstreut an. „Ich habe keine Ahnung, kleines Fräulein. Wie kommt Ihr darauf?“

„Bitte lehnt einmal den Kopf zurück - Ich habe einmal die Schrift eines Arztes gelesen, in der er den Verdacht äußert, dass die Rattenflöhe für die Pest der Menschen verantwortlich sind.“

Dabei ließ sie die Flüssigkeit über das zerstörte Auge laufen und Akira verzog keine Miene, obgleich es höllisch schmerzte, lediglich seine Kiefer pressten sich aufeinander.

Sie strich daraufhin mit einem sauberen Leinentuch über die Verletzung.

„Rin“, sagte er dabei und ergriff plötzlich ihre Hand, die einen Hauch zu lange dort verharrt hatte. „Das wird auch von selbst wieder heilen...“

„Wir sollten kein Risiko eingehen“, widersprach sie und sah ihm ins Gesicht. Er erwiderte ihren Blick. Er hielt sich eine Weile.

Dann rief jemand nach Rin und dieser eigentümliche Moment verflog.

„Hier“, sagte sie und reichte ihm ein kleines Leinentuch, das einen angenehmen Duft verströmte.

„Haltet das auf die Wunde, dann ist der Heilungsschmerz nicht so schlimm.“

Damit stand sie auf und eilte zu der Dämonin, die sie gerufen hatte. Akira sah ihr einen Moment schweigend und nachdenklich hinterher.

 

~*~

 

Als Inu Yasha wieder zu sich kam, schien die Sonne sanft in das Zimmer hinein. Er richtete sich auf und kratzte sich abwesend über die Brust, während er sich verschlafen umsah.

Sein Zimmer war das irgendwie nicht. Es roch hier nach … Sesshōmaru? Der war aber nirgendwo zu erblicken.

„Es ist erfreulich zu sehen, dass Ihr erwacht seid, Inu Yasha-sama“, ließ ihn eine Stimme plötzlich zusammenzucken. Er fuhr herum und sah Sesshōmarus ältlichen Diener mit den freundlichen Augen, die nun auf ihm ruhten.

Inu Yasha brummte etwas, verlegen darüber, dass dieses Männlein ihn so erschreckt hatte und meinte dann: „Was ist hier los und-“

Plötzlich zuckte jene Szenerie durch seinen Kopf, wie der Feind einen vergifteten Pfeil auf Sesshomarus Herz geschossen hatte.

„Wo ist Sesshōmaru – geht es ihm gut?“

„Der edle Herr ist wohlauf. Vielmehr wart Ihr unser Sorgenkind, nachdem Ihr Euch selbstlos vor Sesshōmaru-sama geworfen habt um ihn vor dem Pfeil zu bewahren.“

So langsam kehrte Inu Yashas Erinnerung zurück.

„Ihr müsst hungrig sein“, sagte der Alte leise, „Ich habe veranlasst, dass man Euch etwas zubereitet, wenn Ihr mich einen Moment entschuldigt, ich sage den verantwortlichen Dienern Bescheid

„J-ja sicher“, erwiderte Inu Yasha verdattert und blinzelte dem Diener kurz hinterher, nachdem dieser schon hinter dem Vorhang verschwunden war.

Plötzlich spürte er eine Wärme, die von seiner Brust ausging und er sah an sich herunter. Eine Kette war um seinen Hals gebunden, tropfenförmig und ein angenehmes Licht strahlte von ihr aus. Er berührte sie und die Wärme kribbelte angenehm gegen seine Fingerspitzen. Bilder gingen ihm durch den Kopf, Bilder von Sonne, Wüste, Wind und Weite und einem Mann, der mit schöner Stimme zu ihm gesprochen hatte.

War das wirklich passiert? Er wusste es nicht. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, diese Kette war dafür verantwortlich, dass er noch lebte. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Das wie vielte Mal war es, dass er dem Tod von der Schippe gesprungen war? Er hatte aufgehört zu zählen.

 

Wenig später wurde von einigen Dienern ein üppiges Mahl aufgetragen, woraufhin Inu Yasha das Wasser im Mund zusammenlief.

„Mein lieber Schwan – um mich muss es ja wirklich schlimm gestanden haben“, gluckste er bei dem Anblick der edlen Speisen, über die er sich kurz darauf hermachte.

Der Diener lächelte verborgen, dann wurde sein Blick wieder ernst

„Sobald Ihr das Mahl beendet habt, bittet Euch Sesshōmaru-sama das Schloss des Westens zu verlassen.“

Inu Yasha verschluckte sich an seinem Bissen.

„Was bitte, er schmeißt mich raus?“

„Nun, das ist etwas schroff ausgedrückt...“ Der Diener stockte und fügte dann mit leicht gequältem Gesichtsausdruck hinzu: „Nun... im Grunde... ja.“

Inu Yashas Stirn schlug Runzeln. „Was sitzt dem edlen Herrn denn jetzt schon wieder quer?“

„Bitte habt Verständnis, dass ich nicht befugt bin, diese Frage zu beantworten.“

„So steckt Sesshōmaru?“

„Der edle Herr befindet sich derzeit außer Haus.“

Inu Yasha zog eine Grimasse. „Lass mich raten, du bist nicht befugt mir zu sagen, wo er ist.“

„Bedaure.“

„Ich könnte es auch aus dir herausprügeln.“

„Das wäre in der Tat wohl sehr schmerzhaft, führte jedoch zu keinem Zweck, denn selbst wenn ich es wollte, könnte ich Euch gar nicht sagen, wo sich der edle Herr befindet, da er es mir nicht mitgeteilt hat.“

„Wie überaus praktisch“, erwiderte Inu Yasha trocken und schluckte den letzten Bissen seines Mahls herunter. Er war hin- und hergerissen. Einerseits hatte er gut Lust, Sesshōmaru in den Arsch zu treten und ihn zu fragen, was für ein Furz ihm nun schon wieder quersteckte, andererseits spürte er eine grenzenlose Erschöpfung von den letzten Monaten und nicht zuletzt von der Schlacht und das Bedürfnis sich für eine Weile in das ruhige Musashi zurück zu ziehen, bei seinen Freunden zur Ruhe zu kommen. Dem gegenüber stand jedoch das irritierende Bedürfnis, Sesshōmaru nahe zu sein. Inu Yasha stöhnte genervt auf. Also rannte er Sesshōmaru eben schon wieder hinter her.

 

~*~

 

Salzige, feuchte Luft wehte vom Meer her und zerwühlte sein Haar. Sesshōmarus Blick war steif auf den Horizont gerichtet, auf den graublauen, wolkenverhangenen Himmel. Er spürte Schwere. Eine Schwere der Art, wie er sie zum letzten Mal nach Saddins Tod gespürt hatte.

„Habibi“, murmelte er, „was hab ich da nur angerichtet?“

Seine Stimme wurde vom Wind verschluckt. Er spürte Kälte, ein Frösteln überlief ihn. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er die Verantwortung des Daiyōkai wie eine schwere Bürde auf seinen Schultern.

 

„Hier steckst du also!“

Sesshōmaru schloss einen Moment resigniert die Augen als die Stimme seines Halbbruders an sein Ohr drang.

„War ganz schön schwer, dich zu finden“, fuhr der Hanyō im Plauderton fort.

„Das mag daran liegen, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt wenig Wert darauf legte, gefunden zu werden“, erwiderte Sesshōmaru unterkühlt und erhob sich schließlich und als er sich zu Inu Yasha umdrehte, wurde der von einem eiskalten Blick getroffen und er musste dem Drang widerstehen, zurück zu weichen.

„Was hast du hier verloren? Deine Verletzung ist-“

„Keh! Scheiß drauf! Mir geht’s gut. Dieses Licht hat mich geheilt. Irgendwie. Sag mir mal lieber, warum du mich jetzt davon jagst!?“, fügte Inu Yasha, der aus irgendeinem Grund plötzlich den Faden verloren hatte, hinzu.

„Ich muss mich für keine Entscheidung rechtfertigen. Ich will, dass du verschwindest. Ich kann keinen verletzlichen Hanyō in meinem Heer gebrauchen.“

Inu Yasha machte ein abfälliges Geräusch. „Achja“, sagte er dann sarkastisch, „wieso nur klingt das nach einer lächerlichen Ausrede, huh?“

Dabei kam Inu Yasha ihm langsam näher. Sesshōmarus Haltung versteifte sich.

„Ist es nicht vielmehr so, dass du vielleicht Angst um mich hattest?“, meinte Inu Yasha dann leicht süffisant.

„Mach dich nicht lächerlich.“

„Ich wusste es doch!“

„Das werd ich mir nicht länger anhören. Du kennst meine Entscheidung. Ich wünsche, dass du- was soll das?“, fügte Sesshōmaru hinzu, als Inu Yasha plötzlich begonnen hatte, in der Luft zu schnuppern. Die goldenen Augen wurden dabei leicht glasig. Der Wind hatte gedreht und an Inu Yashas Nase drängte sich plötzlich ein überwältigender Geruch. Ein Geruch, den er nicht kannte. Er war lieblich, verlockend, verführerisch.

Inu Yasha leckte sich über die Lippen und verdrehte unbewusst die Augen vor Wonne. Der Ärger war fort.

„Du … du … wie du riechst...“, stammelte der Hanyō überwältigt und in seinem Schoß regte sich sachte die Lust. Und das unbändige Verlangen, Sesshōmaru zu berühren. Zu erfahren, wie seine Haut schmeckte. An jeder Stelle seines Körpers.

Sesshōmaru war wieder in Hitze.

In Hitze

In Inu Yasha wurden tief verborgene Instinkte geweckt. Er umkreiste Sesshōmaru als wäre er eine Art Beute, wobei der ihn nicht aus den Augen ließ.

Innerlich schalt Sesshōmaru sich einen Narren. Auch wenn er erst das zweite Mal in der Zeit war, hätte er es kommen sehen müssen. Er hätte es spüren müssen. Die Worte seiner Heilerin schossen ihm in den Kopf. Sich mit dem eigenen Körper auseinander setzen. In den letzten Monaten hatte er jedoch erfolgreich Ausrede um Ausrede gefunden um genau das nicht tun zu müssen.

In Inu Yashas Kehle rumpelte ein Knurren. Tief und verlangend. Und es sagte Sesshōmaru genau, was er wollte. Nämlich ihn.

 

Inu Yasha kam näher, gefangen von seinem Duft und Sesshōmaru sagte ruhig: „Inu Yasha, das sind deine niedersten Instinkte, die dich locken. Kehre um und geh soweit fort von mir wie möglich, dann wird-“

 

Er stockte jäh, denn der Jüngere hatte einen Satz nach vorne gemacht, um die Fänge in der weichen Haut der Schulterbeuge zu vergraben und einen fatalen Moment erstarrte Sesshōmaru darunter und erbebte unter diesem Biss, der eine Explosion an Empfindung durch seinen Körper jagte. Inu Yashas Geruch war längst nicht mehr der eines heranwachsenden, gelegentlich über die Stränge schlagenden Jungen, er roch wild und herb, er roch nach Mann und Krieger. Sesshōmaru schloss einen Moment die Augen um sich zu sammeln, spürte dabei das vibrierende Brummen an seinem Hals auf sich übergehen und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen um sich im nächsten Moment loszureißen. Ungewollt rissen Inu Yashas scharfe Fänge eine tiefe Wunde in die helle Haut und als der Blutgeruch an die Nase des Hanyō stieg, als seine Augen begannen, rot zu unterlaufen, da wusste Sesshōmaru, dass es längst zu spät war und er tat etwas, für das er sich vermutlich unter normalen Umständen freiwillig einen Arm abgehackt hätte.

Er floh.

 

Inu Yashas Jagdinstinkt erwachte sofort. Kaum sah er Sesshōmaru an sich vorbeiziehen, wirbelte er herum, um blitzschnell die Verfolgung aufzunehmen. Die Bestie in ihm schrie. Schrie nach diesem lieblich-lockenden Geruch, der ihn so erregte, ihm so die Sinne vernebelte. Er wollte ihn haben.

Sesshōmaru ließ halbblind seine Energiepeitsche in seine Richtung schlagen und Inu Yasha verlor einen kurzen Moment das Gleichgewicht und schlug in vollem Tempo auf den harten steinigen Boden. Ein Schmerz, den er nicht spürte, denn seine Instinkte waren voll und ganz auf Sesshōmaru ausgerichtet – und zwar nur auf ihn. Postwendend kam der Hanyō wieder auf die Füße und suchte gehetzt nach dem Geruch. Er lokalisierte ihn und setzte ihm nach.

Und plötzlich brach er ab. Inu Yasha bremste. Die Spur führte bis zu einem Felsvorsprung – es ging dort einige Meter hinunter und in nächster Nähe stürzte ein kleiner Wasserfall in die Tiefe. Hier verlor sich die Spur.

Irritiert und ungeduldig witterte Inu Yasha die Luft und sprang im nächsten Moment den Abhang herab, bis er neben einem kleinen See zum Stehen kam. Mit den nackten Füßen ins Wasser platschend intensivierte er seine Suche, doch er konnte keinen Geruch mehr aufnehmen. Inu Yasha knurrte frustriert und nervös auf – seine Lenden schrien nach Sesshōmaru, das zu leugnen, dazu war es längst zu spät.

 

Die Bestie gab ihm nach und nach ein wenig Führung zurück. Und vielleicht hätte er sich ganz zurück erhalten, wenn nicht jäh der Gedanke in seinen Kopf geschossen wäre, was wäre, wenn ein anderer hundeartiger Sesshōmaru fand. Bei dem Gedanken heulte die Bestie in ihm wütend auf und seine Stimme donnerte durch den Wald: „Sesshōmaru! Komm endlich raus! Wir wissen doch beide, dass es nur eine Frage der Zeit ist!“

Ein lüsternes Lachen grollte dabei in seiner Kehle und Sesshōmaru, der ihn dabei durch den Wasserfall beobachtete, wusste, dass Inu Yasha längst von seinen Instinkten überrollt worden war. Aber wenn er nun gegen ihn kämpfte würde er ihn verletzen. Und das konnte er nicht. Nicht mehr, nicht nachdem Inu Yasha bei dem Versuch ausgerechnet IHM das Leben zu retten, beinahe ums Leben gekommen war. Nur deshalb hatte er ihn nicht mehr in seiner Nähe haben wollen. Verdammt, warum sah dieser verdammte Hanyō das denn nicht?

Wenn er nun gegen ihn kämpfte, würde er ihn oder im schlimmsten Fall sie sich gegenseitig schwer verletzen.

 

„Sesshōmaru, ich werde langsam ungeduldig!“, schrie Inu Yasha abermals und jäh in diesem Moment schoss der Ältere hinter dem Wasserfall hervor und brachte Inu Yasha mit einem gezielten Tritt in die Nieren dazu durch das Wasser zu schliddern, wobei ihm einen Moment die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Er kam jedoch gar nicht dazu zu reagieren, denn Sesshōmaru hatte ihm nachgesetzt und machte sich nun auf seinem Rücken schwer. Dabei griff ihm eine Hand grob von hinten in die Haare und im nächsten Moment wurde er unter Wasser gedrückt. Instinktiv versuchte er sich zu wehren, was aber aus der jetzigen Position heraus sehr schwierig war.

Als er irgendwann hochgerissen wurde, schnappte er japsend nach Luft und Sesshōmarus Stimme an seinem Ohr, knurrend: „Reicht das um dich ein wenig abzukühlen?“

Inu Yasha knurrte ebenfalls und versuchte, den Älteren abzuschütteln.

„Sesshōmaru!“

Und Inu Yasha sackte bereits in sich zusammen als... der Hauch von Sesshōmarus Geruch durch die Nässe an seine Nase drang.

Inu Yasha verdrehte inhalierend die Augen, ehe die Kraft der Bestie erneut aufwallte und er mit einem Aufschrei und einer unerwarteten, blitzschnellen Bewegung Sesshōmaru von sich warf. In Windeseile setzte er ihm nach und warf sich mit dem ganzen Gewicht gegen Sesshōmaru, welcher der Geschwindigkeit der Attacke nicht mehr ausweichen konnte. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst als sie zu Boden schlugen und japsend versuchte er sich aus der Gewalt seines Bruders zu befreien – er wand sich in Inu Yashas Griff, doch kaum hatte er sich auf den Bauch gedreht machte sich Inu Yasha auf seinem Rücken schwer und ein kräftiger Biss in seinem Nacken lockte ein schmerzerfülltes Aufjaulen aus seiner Kehle hervor.

 

Und dann erschlaffte plötzlich jede Gegenwehr. Der Biss in seinem Nacken lähmte ihn – und mehr als das. Ein Verlangen war plötzlich da. Das Verlangen, sich zu unterwerfen, sich hinzugeben und ein Laut drang aus seiner Kehle, den er von sich nicht kannte, es war ein lockender Laut, geboren aus der Lust als Inu Yasha sich, nur das Becken bewegend an ihm rieb.

Das gutturale Knurren, das aus der Kehle des Hanyō drang, die fordernde verlangende Härte. Es erregte Sesshōmaru auf eine vergessen geglaubte Weise. Nur Inu Yasha … er roch momentan mehr denn je nach Yōkai, nicht nach Hanyō.

Wie von selbst tasteten Inu Yashas Hände nach vorne, rissen an der edlen Kleidung, um sie zu öffnen und Sesshōmarus Sicht verschwamm, er atmete stoßweise, während sein Gesäß sich wie von selbst gegen Inu Yashas Lenden presste, dem das ein erregtes dunkles Knurren entlockte. Ihm war heiß... so verdammt heiß … der dominante, herbe Geruch, der von Inu Yasha ausging und seine Nase reizte.

Ein Knurren, das in ein erregtes Winseln überging, wand sich seine Kehle empor und Inu Yasha antwortete darauf mit einem dunkleren, lauteren, dabei ungeduldiger an der Kleidung zerrend. Irgendwann wurde es ihm zu bunt und er riss die letzte Schicht mit einem groben Ruck entzwei. Dabei ließ er von Sesshōmarus Nacken ab, zufrieden die gerötete, dunkle Stelle betrachtend und suchte sich eine Stelle neben der Wirbelsäule um sich fest zu saugen, während er mit einer Hand an seiner eigenen Kleidung zerrte um sie so weit öffnen zu können, damit sein harter, zuckender Schwanz endlich freikam.

Inu Yasha stöhnte leise auf, als er den Geschmack von Sesshōmarus Haut wahrnahm, stöhnte noch einmal lauter als er sich gegen die helle, warme Haut rieb. Er zerrte Sesshōmarus Beinkleider herab und rieb seinen Schwanz durch die verlockende Spalte, wobei er sich ganz eng gegen den Älteren presste. Vergrub das Gesicht in dessen Nacken, in seinen Haaren, stöhnte unterdrückt dabei, ließ sich ganz benebeln von diesem Geruch. Und Sesshōmaru... Sesshōmaru wusste irgendwo tief in sich drin, dort, wo der Instinkt noch nicht Überhand genommen hatte, dass er nicht so schwach sein, sich nicht unterwerfen durfte. Nicht schon wieder. Er durfte nicht, aber... alles war so vernebelt. So intensiv.

 

Und etwas in ihm schrie nach Loslassen. Nach Vergessen.

 

Inu Yashas brummendes Grollen vibrierend an seiner Haut. Der keuchende Atem in seinem Nacken. Die muskelumspannten Arme, die ihn umfingen. Der harte, pulsierend zuckende Phallus, der sich so schamlos durch seine Spalte rieb. Selbstbeherrschung? Vergessen.

Ein Knurren drang aus Sesshōmarus Kehle, sein Körper spannte sich an, nur um darauf wieder zu erschlaffen. Inu Yasha ließ dem Yōkai in sich mehr und mehr die Führung und es war großartig, befreiend, belebend. Eine Kraft, die er nicht kannte, strömte durch seinen Körper und das Hochgefühl, dass Sesshōmaru unter ihm lag, erregt, geschlagen, folgte. Seine Haare. In seinen Haaren war dieser Geruch am intensivsten und der Gedanke, dass ein anderer ihn so sah, so roch, erfüllte ihn mit glühender Wut.

Sein eigenes Lustsekret machte ihn glitschig und er erbebte mit einem unterdrückten Keuchen als er seine Eichel probeweise gegen Sesshōmarus Eingang drückte. Die Muskeln gaben schnell nach und Inu Yasha glitt in die betörende Enge. Sesshōmarus Muskeln kontraktierten, doch das Kontraktieren wurde bald schwächer. Inu Yasha presste sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Älteren und ein erneuter Biss in den Nacken ließ jeden Widerstand fahren.

Eine Weile drang nur keuchender Atem und gelegentlich ein lustdurchtränktes Knurren durch den Wald. Inu Yasha spürte, wie angespannt Sesshōmarus Körper war, er spürte, wenn er nur eine falsche Bewegung machte, würde das schmerzhaft für sie beide enden, doch er wollte ihn viel zu sehr um sich jetzt zurück zu ziehen. Er wusste nicht, ob er überhaupt einmal jemanden so sehr gewollt hatte, wie Sesshōmaru in diesem Moment.

Langsam begann Inu Yasha seine Hüften zu bewegen und dieses überwältigende Gefühl entlockte ihm ein wohliges Knurren. Er fühlte so intensiv. Die Nähe, den Geruch, den Geschmack der Haut, das alles, oh … diese vielen verschwendeten Jahre, die zwischen ihnen lagen.

Inu Yashas Rhythmus wurde bald schneller und es war erhebend, zu spüren, wie Sesshōmaru sich ihm entgegenpresste, sich ihm unterwarf und es machte alle Demütigungen, alle Beleidigungen, alle Verletzungen mit einem Schlag vergessen.

 

Inu Yasha stöhnte, spürte er doch seinen Höhepunkt viel zu schnell herannahen, doch er war machtlos gegen seinen eigenen uralten Trieb und mehr aus einem Instinkt heraus packte er nach Sesshōmarus Erregung, entlockte ihm damit ein Geräusch, das seine Ohren berauscht zucken ließ und zwang ihn seinem Höhepunkt entgegen.

Apropos Höhepunkt. Inu Yasha konnte nicht mehr. Den Mund verzogen, sodass die spitzen Eckzähne sichtbar waren, presste er sich mit einem beinahe verzweifelten Stöhnen gegen Sesshōmaru, spürte wie sein Samen in die betörende Enge schoss. Durch seinen festen Griff brachte er auch den Älteren zum Kommen und dessen unterdrückter leiser Aufschrei jagte einen wonnevollen Schauer über seinen Körper. Keuchend presste er das Gesicht in Sesshōmarus Nacken und versuchte sich wieder zu sammeln – doch durch dessen Körper ging jäh ein bedrohliches Grollen und im nächsten Moment spürte Inu Yasha sich grob weggestoßen, begleitet von einem drohenden Knurren. Sesshōmarus leicht rötliche Augen waren auf ihn gerichtet und obwohl Inu Yasha nicht wusste, warum, so wich er zurück und blieb wo er war.

Sesshōmaru roch nach Lust und Gefährlichkeit und Inu Yashas Sinne waren mehr denn je auf ihn geschärft. Er beobachtete, wie der Ältere die leicht zerrissene und durcheinandergeratene Kleidung ganz ablegte und langsam an ihm vorbei zum See schritt und Inu Yasha war ganz hingerissen von dem Anblick seines eigenen Spermas, das langsam an Sesshōmarus Bein herabfloss.

Der Inuyōkai ließ sich langsam in das Wasser gleiten und schwamm ein Stück. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen kam Inu Yasha ihm hinterher. Seine Erregung war nur zur Hälfte wieder abgeklungen und etwas ungeschickt schälte er sich aus der verschwitzten, schmutzigen Kleidung.

Das kühle Wasser tat gut und brachte ihm ein wenig Ruhe, auch wenn die Sehnsucht ganz tief in ihm drin noch lange nicht schwieg.

 

Die Hitze in Sesshōmaru tobte. Sie verdrängte alles Rationale, alles Erhabene. Das kühle Wasser des Sees schenkte ihm Atem, aber nicht für lange. An dem leisen Plätschern nahm er wahr, dass Inu Yasha ihm nachkam.

„Verschwinde“, knurrte er und klatschte sich mit den Händen etwas kaltes Wasser ins Gesicht.

„Nein“, sagte Inu Yasha nahe seinem Ohr und Sesshōmaru fuhr herum. Inu Yasha fing die zu einer Klaue geformte Hand mühelos ab, sein Blick war hart und unnachgiebig.

„Warum willst du mich von dir fort haben?“, zischte er und etwas Gefährliches lag dabei in seiner Stimme. Ein Vorwurf der schon so viele hundert Jahre in ihm grollte.

„Lass mich sofort los, ich warne dich!“, knurrte der Ältere, doch Inu Yashas Klauen bohrten sich nur tiefer in die Haut des Handgelenks.

„Ich will eine Antwort, Sesshōmaru.“

Sesshōmarus zweite Hand schnellte hervor und Inu Yasha jaulte auf als die Klauen eine Spur durch sein Gesicht zogen, doch er ließ ihn nicht los. Er fing die zweite Hand ein. „Jetzt hör schon auf mit dem Theater!“, bellte Inu Yasha gereizt, „sag mir dein verdammtes Problem!!!“

Dabei bemerkte er wie angespannt Sesshōmarus Körper war und er stellte sich schon einmal auf einen Kampf ein, doch der Kampf blieb aus.

Und dann erstarb der Widerstand in Sesshōmaru.

„Mein verdammtes Problem, ja? Mein verdammtes Problem, Inu Yasha, ist, dass du wegen meiner verdammten Unachtsamkeit beinahe gestorben wärst!“

 

Alles hatte Inu Yasha erwartet. Alles, aber nicht das. Vor lauter Verblüffung lockerte sich sein Griff und Sesshōmarus Hand glitt heraus. Und auf einmal offenbarte der Blick des Daiyōkai viel mehr als Inu Yasha es je für möglich gehalten hatte. Da war Zorn. Da war Angst. Da war Hilflosigkeit und Verletzlichkeit.

„Mein verdammtes Problem ist“, setzte Sesshōmaru noch einmal nach und seine Stimme klang kraftlos wie Inu Yasha ihn nie erlebt hatte, „dass Tensaigas Möglichkeiten nicht unbegrenzt sind.“

Und plötzlich verstand Inu Yasha. Er verstand es nur zu gut. Sesshōmaru wollte ihn nicht fort haben, weil er ihn hasste. Er wollte ihn aus seiner Nähe vertreiben, weil er Angst hatte, ihn zu verlieren.

Er wollte ihn nur beschützen.

 

„Oh, Sesshōmaru...“, murmelte er und klang leicht gequält dabei. Langsam kam er näher auf den anderen zu. „Wie einsam du gewesen sein musst...“

„Was redest du da für einen...“

Er kam nicht dazu, seinen Satz zu vollenden, denn Inu Yasha umfing ihn und da fühlte sich Sesshōmaru das erste Mal, als sei Inu Yasha der Ältere, der Vernünftigere von ihnen beiden und der vertraute Geruch ließ ihn fallen.

Inu Yasha verzog nur kurz das Gesicht als er einen schmerzhaften Biss in seiner Schulterbeuge spürte.

„Schon in Ordnung“, murmelte er und eine Hand grub sich in die seidenweiße feuchte Haarmähne, „ich lass nicht los.“

Blut begann zu fließen und Inu Yasha spürte eine Lebendigkeit in sich, eine Lust und vor allem eine Klarheit. Er liebte Sesshōmaru.

Diese Erkenntnis zauberte ein sachtes Lächeln auf seine Lippen. Wie blind er nur gewesen war. Wie stur und stolz, das einzugestehen.

 

Ihre Lippen suchten und fanden sich zu einem schnaufenden, erregenden Kuss. Spitze Zähne bissen zarte Haut auf, der Geschmack ihrer beider Blut vermischte sich zu einer betörenden neuen Note, vernebelte den Verstand, die Wahrnehmung minimierte sich auf den jeweils anderen.

Inu Yasha presste seine wieder erwachte Erregung gegen Sesshōmarus Lenden, was diesem einen hilflosen Laut entlockte. Sesshōmarus Klauen gruben sich in Inu Yashas Schulterblätter, zur Warnung und gleichsam vor Lust und der Schmerz war erregend, so erregend wie nichts, was Inu Yasha zuvor gekannt hatte.

Von selbst fanden die Finger einer Hand ihren Weg zu Sesshōmarus Eingang, drangen ein und er erschauerte aufgrund der heißen Enge, die ihn willkommen hieß. Er drängte Sesshōmaru zurück zum Ufer, drängte ihn mit dem Rücken in den weichen, feuchten Sand.

Und Sesshōmaru... ließ es geschehen. Die Augen auf Halbmast sah er zu Inu Yasha hoch, welcher sehnsüchtig die Distanz zwischen ihren Mündern überwand. Seine Eichel dränge bittend gegen die weiche Öffnung – sie gab beinahe zu leicht nach und mit einem überforderten Stöhnen drang Inu Yasha in den Älteren. Fühlte sich augenblicklich durchströmt von Kraft und Euphorie, von Macht und dem Wissen, dass Sesshōmaru ihm gehörte, zumindest in diesem Moment.

Inu Yashas Hüften begannen sich rhythmisch zu bewegen und er musste hart an sich halten um nicht jetzt gleich schon zu kommen. Er beobachtete, wie Sesshōmaru die Augen verdrehte und die Lippen lautlos zu einem Spalt öffnete. Er küsste sie und vergrub die Hände in dem weißen langen Haar, das sich um sie ausgebreitet hatte als lägen sie in Schnee. Es war so seidig weich und glatt und ein Impuls in Inu Yasha wollte, dass er der Einzige war, der es berühren durfte. Er brach den Kuss und vergrub leise stöhnend die Nase darin, ohne jedoch seinen Rhythmus zu unterbrechen. Sesshōmaru schien unter ihm ruhiger zu werden, leidenschaftlicher und ergebener. Der Stolz und die Unnahbarkeit waren zumindest für den Moment fortgewischt. Sie waren eine Einheit. Die Einheit, die sie schon vor langer Zeit hätten sein sollen. Er spürte Sesshōmarus Klaue in seinem Haarschopf und spürte überrascht, das ihm vor lauter Empfindung, die über ihn hereinflutete, Tränen die Wangen herabgekrochen kamen. Das hier, das war so recht, so richtig.

 

Inu Yashas Hände zerwühlten Sesshōmarus Haar, fanden den Weg zu seinen Handgelenken und pressten sie bestimmend auf den Boden. Seine Hüften stießen härter zu und plötzlich wand sich ein Laut aus Sesshōmarus Kehle, der Inu Yasha beinahe einen Höhepunkt beschert hätte. Sein Mund verzerrte sich zu einem leicht spöttischen Grinsen. „Da hast dus gern, mh?“

Sesshōmarus Blick wurde für einen Moment zornig und der Hanyō ahnte, hätte er die Handgelenke frei gehabt, hätte er ihm wohl die Klauen beherzt durchs Gesicht gezogen.

Inu Yasha presste seine Härte innen gegen jene Stelle, die Sesshōmaru diesen herrlichen Laut entlockt hatte und weitere Laute folgten. Verzückt betrachtete Inu Yasha wie mehr und mehr Selbstbeherrschung dahinschmolz, betrachtete die Röte auf den blassen Wangen und war fasziniert von der Lebendigkeit in Sesshōmaru. Eine Lebendigkeit, die er niemals an ihm gesehen hatte. Eine Lebendigkeit, die nur Saddin einst hatte sehen dürfen und plötzlich durchfuhr ein Blitz von glühender Eifersucht sein Herz.

Inu Yasha knurrte und intensivierte seinen Rhythmus, stöhnte tief und dunkel, während ihm der Schweiß die Schläfen herab rann. Spürte die Klauen, die sich in seinen Rücken gruben und ein Hochgefühl trug ihn hinfort. Eine Explosion, gekürt von einem dunklen, heiseren Aufschrei folgte und er ergoss sich in dicken, heißen Schüben tief in Sesshōmaru. Er sank in die schwitzige Halsbeuge und schloss für einen Moment ergeben die Augen. Die erste Geilheit war fort, doch die urtiefe Lust in ihm längst nicht gestillt.

 

Er spürte wieder, wie das Grollen in Sesshōmaru hochkam, doch diesmal war er gewarnt. Er umfasste die Handgelenke fester und starrte ihm in die Augen.

„Nein!“ Seine Stimme klang ungewohnt autoritär und er spürte wie der Körper des anderen sich anspannte und dann seinem Befehl erlag und Inu Yasha leckte sich aufgeregt über die Lippen, weil es so neu war, dieses verschobene Machtgefälle.

Langsam ließ er die Handgelenke los und küsste die weiche Haut in Sesshōmarus Halsbeuge, wanderte mit den Lippen weiter herab zu den steifen Knospen, saugte eine in den Mund, knabberte, leckte, bis der Atem des Älteren wieder schneller ging. Lange hielt er sich dort jedoch nicht auf und wanderte weiter herab, vergrub die Zähne aus einem Impuls heraus um Sesshōmarus Bauchnabel, was diesen empfindlich zusammenzucken ließ. Er schmeckte Blut, aufregend, saugte an der Wunde und ließ dann ab um weiter herab zu wandern. Er leckte mit der Zungenspitze neugierig über Sesshōmarus Eichel und seine Geschmacksnerven explodierten förmlich als er die Lustflüssigkeit schmeckte. Er spürte wie der Atem des Anderen schneller ging, merkte wie ihn das erregte. Und obgleich er das noch niemals getan hatte, wusste er instinktiv, was er tun musste. Inu Yasha stülpte die Lippen um die Eichel, saugte vorsichtig daran, während die Fingerspitzen einer Hand den harten Schaft massierten. Er schloss die Augen dabei, stöhnte leise, brummend und empfand ein Gefühl von Zufriedenheit, Sesshōmaru so unter Kontrolle zu haben. Er kratzte mit den Klauen über die zarte Haut der Lenden, nahm jedes Geräusch, jede Bewegung erregt in sich auf, nahm wahr, wie der schlanke Körper sich wand. Es dauerte nicht lange ehe der Höhepunkt über Sesshōmaru hereinbrach. Sein Körper spannte sich mit einem unterdrückten Keuchen an, während er sich in der heißen, feuchten Mundhöhle ergoss.

Inu Yasha schluckte instinktiv herunter, was Sesshōmarus Körper ihm gegeben hatte, dann krabbelte er nach oben um ihn zu betrachten. Sesshōmarus Augen waren geschlossen, sein Atem ging schwer, die Lippen waren zu einem Spalt geöffnet. Er hatte nie schöner ausgesehen.

 

Sesshōmaru spürte das Gewicht auf sich. Den vertrauten Geruch. Er blickte zum Himmel und fragte sich, wann es Abend geworden war. Erste Sterne zeigten sich. Er dachte an Saddin. War es Verrat? Wie lange war es jetzt her, dass er zum letzten Mal seine Stimme gehört, seinen Geruch wahrgenommen hatte? Das Bild begann zu verblassen. Der Körper, der hier auf ihm lag, war so lebendig und lag nicht in einem kalten, nassen Grab.

Inu Yasha war lebendig. Und letztendlich hatte er sich doch bezwingen lassen. Von diesem sturen, manierlosen Hanyō. Beinahe wäre ihm ein amüsiertes Schnauben entkommen. Wie ironisch es doch war. Wie paradox. Ausgerechnet Inu Yasha. Ausgerechnet er war es, nach dem sein ausgehungerter Körper jetzt schrie. Sein ausgehungerter, in Hitze geratener Körper.

 

~*~

 

Er hatte inne gehalten und witterte. Beinahe hätte er den lieblichen Geruch, der ihn voran trieb verloren, aber da war er wieder. Intensiver als je zuvor. Doch zu ihm hatte sich nun ein anderer gemischt. Ein Geruch, der ihm nicht gefiel. Es roch nach Hanyō. Hätte er sich eigentlich denken können. Die Wölfe an seiner Seite jaulten nervös, doch er beachtete sie nicht.

Ein leises Knurren drang aus Kōgas Kehle. Der Geruch eines läufigen Megumareta lag unzweifelhaft in der Luft. Sesshōmarus Geruch. Ein erregtes Zucken ging durch den Körper des Okami. Wie lange hatte er auf diese Zeit gewartet. Der Hanyō sollte kein größeres Problem darstellen.

Mit einem flinken Satz setzte Kōga sich wieder in Bewegung. Sie waren nicht mehr weit entfernt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer Rechtschreibfehler findet, darf Sie mir gerne per ENS mitteilen, nur bitte nicht im Kommi, weil das die Kommentare immer so unnötig in die Länge zieht. Allgemeine Kritik zu Satzstellungen und Inhalt "dürft" ihr natürlich gerne in die Kommenztare schreiben, dazu sind sie ja auch da :) Apropos. Ich weiß, dass sich heutzutage viele nicht mehr trauen Kommis zu schreiben, weil manche Autoren recht empfindlich auf Kritik zu ihren Werken reagieren. Ich möchte an dieser Stelle versichern, dass ich in keinem Fall unadäquat auf Kritik reagieren werde: Das Autorendasein ist mir zu wichtig um mir meine eigene WEiterentwicklung durch so etwas zu torpedieren. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich würde mich soo sehr über einen Kommi freuen ;___; Kommt schon... lasst mich nicht so hängen ToT Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der einfachheithalber habe ich die Alter der Yokai an menschliches Alter angepasst. Denkt euch dann bitte einfach nur einige Jahrhunderte dazu. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kommi ;___;? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es wäre echt schön, wenn mal der ein oder andere Kommi kommen würde ._. Das ist echt demotivierend, nie ein Feedback zu bekommen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hinterlasst mir doch mal einen Kommentar, damit ich weiß, ob sich das überhaupt lohnt, hier noch weiter hochzuladen ._. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von:  lenagumihohime
2022-02-22T13:45:39+00:00 22.02.2022 14:45

Also, ich habe schon unzählige InuSess fanfictions gelesen und ich bin so so froh diesen Diamant gefunden zu haben. Deine Charakterdarstellung von beiden Brüdern wirkt einfach so authentisch. Auch hast du es geschafft Sesshomarus Charakter mit seiner Vergangenheit und seiner ersten Liebe solch eine Tiefgründigkeit zu verleihen, ich bin einfach gefesselt. Auch hast du es geschafft das Thema Uke/Seme so aufzufassen dass Sesshomaru seine unbändige Stärke nicht verloren hat oder ihn zu einem dieser willenlosen von Lust getriebenen Charaktere zu machen. Ich finde daran scheitern so viele InuSess fanfiktions. Ich bin erst seit gestern hier auf dieser Plattform, deshalb weiß ich noch nicht so recht wie das hier alles funktioniert, aber ich hoffe wirklich dass ich mögliche Updates von dir rechtzeitig mit bekomme. Es würde mich so freuen bald mehr von dir zu lesen, ob es nun diese Geschichte oder eine andere mit diesem Pairing sein mag. Mach weiter so, und hab einen schönen Tag!
Von:  Screamer
2020-12-10T10:13:50+00:00 10.12.2020 11:13
Dein Schreibstil ist einfach klasse!
Ich hoffe es geht bald weiter. :)
Von: abgemeldet
2020-09-21T15:43:39+00:00 21.09.2020 17:43
Was für ein Wahnsinnskapitel. Richtig gut geschrieben. Ich bin schon total gespannt wie es bei den beiden weitergeht.

Wehe du hörst auf... Schreib schön weiter 🥺😌 liebe Grüße Chrissy
Von:  Neevi
2020-09-13T18:50:29+00:00 13.09.2020 20:50
Hi, ich wollte dir auch einen kurzen Kommentar da lassen. Finde deine Story echt interessant und spannend auch dein schreibstil ist wirklich klasse. Freu mich schon auf nächste Kapitel:)
Von:  nicoleherbster
2020-06-26T18:48:34+00:00 26.06.2020 20:48
Juhuuuuuuuuuuuuuuu es geht weiter. Hab mich sehr darüber gefreut als ich gesehen habe das ein neues Kapitel on ist. Schreib schnell weiter ja bin nämlich schon gespannt wie es weitergeht und vorallem mit den beiden.
Von:  night-blue-dragon
2020-03-22T17:20:41+00:00 22.03.2020 18:20
Hi, eine schöne Geschichte, die etwas zäh anfing, aber jetzt Spaß macht zu lesen.
Übringens eine ech fiese Stelle um aufzuhören.
Ich freue mich auf das nächste Kapitel^^

Glg night-blue-dragon
Von:  aditya
2020-03-21T22:24:29+00:00 21.03.2020 23:24
Ich schreib so gut wie nie Komentare,aber heute schreib ich mal einen . Kurz und knapp ,ich mag deine Geschichte und ich mag das Paaring. :)
Von:  miladytira
2020-01-12T16:03:53+00:00 12.01.2020 17:03
Hey Hey :)

Hab deine Story soeben gefunden... und eigentlich finde ich das Pairing SessxInu ein wenig merkwürdig (zwei Brüder - verüble es mir ned xD) aber und zwar ein ganz grosses ABER ich war schon immer
jemand die sich gerne auf Neues eingelassen hat und momentan echt angefressen ist von dieser Geschichte.

Ich bin froh dass du Sess nicht all zu weich darstellst, denn viele bringen ihn zu schwach rüber wobei man ganz genau aus dem Manga weiss, dass er dies nicht ist. Er soll seine kühle Art behalten. Es macht ihn aus.

Ich bin mal offen und lese deine FF gerne weiter! Lass dich nicht beirren wegen den nicht vorhandenen Kommis. Ich schreibe auch selten einen, weiss aber dass es runterziehen kann. Bleib dran und immer mehr stossen auf deine Geschichte 😊
Antwort von: abgemeldet
24.02.2020 12:25
Vielen lieben Dank für dein Feedback. Ich freue mich sehr darüber, dass dir meine Darstellung von Sesshomaru zusagt.


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