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Der Duft von Hyazinth

von

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Regen

Als Inu Yasha erwachte, brummte ihm gehörig der Schädel. Ein Sonnenstrahl fiel durchs Fenster und kitzelte ihn an der Nase. Mit einem genervten Brummen drehte er sich nochmal auf die andere Seite und kuschelte sich in die Decken ein, die so einen angenehmen, vertrauten Geruch beherbergten.

Es dauerte ein paar Minuten bis er merkte, dass er hier nicht zuhause in Musashi war. Inu Yasha blinzelte und sah sich im Zimmer um. Ein Raum, der ihm völlig fremd war, lediglich der Geruch hier war vertraut. Denn es war Sesshōmarus Geruch. Und schlagartig fiel ihm der gestrige Abend wieder ein.

„Oh Kuso!“, fluchte er leise und drückte sich ein Kissen ins Gesicht, wie um sich selbst damit zu ersticken, „Ich bin sowas von tot!“

Sein Blick fiel auf ein Tablett mit einem ausladenden Frühstück, welches wohl ein Diener unbemerkt hier rein geschafft haben musste und die Scham vom gestrigen Abend war vergessen als sein Magen wie zur Bestätigung knurrte. Na egal. Schämen konnte er sich immer noch, wenn er gegessen hatte.

Mit Heißhunger machte er sich über das Frühstück her, das aus Reis, Früchten und getrocknetem Fleisch unbekannter Herkunft bestand.

Etwas spät fiel ihm auf, dass er seine übliche Kleidung nicht trug, sondern einen Yukata. Richtig. Er hatte ja im Koi Teich gebadet. Er sah sich suchend im Raum um und, sah, dass man seine Kleidung zum Trocknen ausgebreitet hatte. Als er den Stoff befühlte, war der noch ein wenig klamm und roch irgendwie nach Teichwasser. Inu Yasha verzog das Gesicht als er sich wenig später hineinschälte.

Nie wieder Alkohol, dachte er grimmig als er den Raum verließ, nie wieder.

 

Da heute ein Sonntag war, gab es keine Trainingseinheiten und Inu Yasha dachte bei sich, dass er sich wohl langsam auf den Weg nach Musashi machen sollte. Er meinte sich dunkel erinnern zu können, Miroku und Sango versprochen zu haben, auf die Kinder aufzupassen. Der Hanyō verzog das Gesicht. Er hatte die Kleinen echt lieb, aber spätestens als sie seine Hundeohren entdeckt hatten, war es aus gewesen mit süß und niedlich.

So wunderte er sich doch ein wenig, dass vom Übungsplatz Kampfgeräusche an sein Gehör drangen.

Neugierig geworden schob er seine Heimkehr auf und schlenderte Richtung Übungsplatz.

Und staunte nicht schlecht als er Akira-O und Sesshōmaru auf selbigem bemerkte. Schwerter klirrten hart aufeinander, Sesshōmarus Miene wirkte hart und verbissen, während Akira eher einen ernsten, konzentrierten Eindruck machte.

Inu Yasha lehnte sich mit verschränkten Armen über den Zaun und sah den beiden eine Weile zu.

Täuschte er sich, oder wirkte Sesshōmaru leicht unkonzentriert?

Der Kampf war vorbei als sie sich gegenseitig die Klinge gegen die Kehle hielten.

Akira schütte den Kopf. „Das hat ganz schön lange gedauert. Du bist nicht bei der Sache.“

Sesshōmaru schnaubte nur auf diese Erkenntnis hin und sagte: „Nahkampf.“

Akiras rechte Augenbraue hob sich. „Ich halte das in deinem momentanen Zustand für keine gute Idee.“

Sesshōmaru knurrte gereizt. „Du hast mich gehört“, und sein ehemaliger Sensei zuckte nur mit den Schulten.

„Bitte.“

Sie legten die Waffen beiseite und gingen beide in Kampfposition und Inu Yasha, der Sesshōmaru selten ohne ein Schwert hatte kämpfen sehen, ließ den Blick kurz zu selbigem schweifen. Akira hatte gesagt, Sesshōmaru sei nicht so recht bei der Sache. Das war irgendwie sonderbar. So diszipliniert und konzentriert er sonst immer war. Aber er hatte Recht. Irgendetwas an Sesshōmaru war heute anders.

 

Sesshōmarus Kampfstil wirkte sonderbar aggressiv und brutal und Akira kam nach einer Weile tatsächlich ein wenig in die Bredouille - bis er schließlich urplötzlich das Blatt herumriss; Er packte Sesshōmaru blitzschnell an Ober- und Unterarm als dieser nach ihm schlug und nutzte seinen eigenen Schwung um ihn sehr unsanft zu Boden zu befördern – Sesshōmaru, leicht hustend von dem Staub, beeilte sich wieder auf die Beine zu kommen, doch ein harter Tritt seitens Akira zwischen die Schulterblätter hielt ihn mit einem Ächzen unten.

„Was hab ich dir eigentlich beigebracht!?“, gnatzte Akira ungnädig und riss Sesshōmaru an den Haaren, die zu einem Hochzopf gebunden waren, in die Höhe, nur um ihn mit einem kräftigen Stoß, der ihm die Luft aus den Lungen presste, erneut zu Boden zu stoßen. Blitzschnell war er über dem Daiyōkai und ließ die Hand herabsausen – Sesshōmaru wälzte sich gerade noch im letzten Moment zur Seite, sodass Akiras Schlag nur eine Menge Staub aufwirbelte und landete dann selbst einige Schläge, ehe Akira ihn erneut zurück drängte.

Diesmal schien es dem Kampfmeister zu bunt zu werden. Er schlug blitzschnell zu. Sesshōmaru riss es den Kopf zur Seite, da er ihn direkt im Gesicht getroffen hatte und ein weiterer brutaler Schlag direkt in die Nieren ließen ihn endgültig zu Boden gehen.

Inu Yasha hatte schmerzerfüllt das Gesicht verzogen. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Akira ihn und die anderen nie derart brutal auf die Bretter geschickt. Irgendetwas in ihm grollte.

Und erst als Akira eine von Sesshōmarus Strähnen ergriff, die sich aus dem Zopf gelöst hatten und spöttisch meinte: „Wärst du in Form, hätte sich nicht ein Härchen gelöst“, wusste er, was ihn störte. Akira hatte Sesshōmarus Haare angefasst.
 

„Ich hoffe, Ihr habt genau zugesehen, Inu Yasha-sama“, ließ ihn Akiras Stimme plötzlich zusammen zucken. „Denn genau so … macht man es nicht!“

Inu Yasha biss sich auf die Unterlippe um nicht schadenfroh zu grinsen. Da hatte er den Beweis – nichtmal der ansonsten so perfekte Sesshōmaru war gegen die Maßregelungen des ehemaligen Sensei gefeit. Der Daiyōkai wischte sich gerade mit verdrießlicher Miene etwas Dreck aus dem Gesicht und warf Inu Yasha dann einen vernichtenden Blick zu.

„Oh Bitte, jetzt sieh mich nicht so an. Es ist nicht so als hätte ich dich noch nie im Dreck liegen sehen.“

„Du hängst heut nicht an deinem Leben, oder?“, knurrte Sesshōmaru und verengte die Augen einen Spalt.

„Ähm...“, machte Inu Yasha glucksend, „ich will deine Drohung nicht untergraben, aber dir klebt ein Blatt an der Wange.“

Sesshōmarus Blick wandelte sich von erbost in etwas Undefinierbares, während er ganz langsam und so hoheitsvoll wie möglich eine Hand hob um das Stück Laub zu entfernen. Inu Yasha war längst klar, dass er an seinem losen Mundwerk arbeiten musste. Zumindest, wenn er eine längere Lebenserwartung haben wollte.

„Wenn wir schon dabei sind“, knurrte Sesshōmaru leise und warf das Blatt achtlos zu Boden, „könntest du mir verraten, woher du von den Hyazinthen weißt.“

„Hyazinthen?“ Inu Yasha runzelte die Stirn, bis ihm plötzlich ein Licht aufging und ungewollt schoss ihm Röte in die Wangen.

„Ähm … ähm...“

„Nun?“

Instinktiv machte Inu Yasha einen Schritt zurück. Plötzlich konnte er Sesshōmaru nicht mehr in die Augen sehen.

„Ich … also … Homoto hat gesagt, ich soll …“

Verdammt, was machte er hier eigentlich? Benahm sich wie ein gescholtener Junge.

Also Flucht nach vorne.

„Du bist selbst schuld!“, gnatzte er, „mir bleibt ja nichts anderes übrig als rumzuwühlen, wenn du mir nie irgendwas von dir oder unserer Familie erzählst!“

Das war heftiger herausgekommen als beabsichtigt und tatsächlich schien Sesshōmaru einen Moment aus dem Konzept. Er sah Inu Yasha mit einem leichten Kopfschütteln an, das Fassungslosigkeit ausdrücken sollte.

„Du hast doch nie gefragt!“

„Ich h-“

Und schon hatte es Inu Yasha den Wind aus den Segeln genommen. Einfach fragen? Er hatte sich immer darüber beschwert, dass Sesshōmaru ihm nie etwas sagte, aber war er selbst auf die Idee gekommen, ihn einfach zu fragen? Nein. Die klare Antwort war Nein.

„Keh“, machte er, „und wenn schon.“

Er stellte sich bereits auf einen verbalen Schlagabtausch mit Sesshōmaru ein, doch der blieb aus. Stattdessen schüttelte der Ältere nur den Kopf und wandte sich dann von Inu Yasha ab.

„Wer ist Saddin?“

Sesshōmaru erstarrte.

„Wag es nicht, diesen Namen noch einmal in den Mund zu nehmen“, kam es gefährlich leise und damit ließ er Inu Yasha stehen.

Der wollte ihm hinterher eilen, doch eine Hand auf seiner Schulter hielt ihn auf. Akira. Der Kampfmeister schüttelte den Kopf.

„Nicht, Inu Yasha-sama. Das ist kein gutes Thema.“

„Aber...“

„Saddin Al Sayid war Sesshōmarus große Liebe. Er starb vor sehr langer Zeit.“

 

~*~

 

Sesshōmaru hatte sich gerade an die Koto gesetzt als er schon von einem Diener unterbrochen wurde.

„Was gibt es denn?“, wollte er unterkühlt wissen und der Diener machte sich kleiner, denn alle wussten, dass es um die Laune des jungen Herrn diese Tage nicht zum Besten stand.

Herr, Ihr werdet auf dem Hof gebraucht, bitte...“, damit zog er sich auch schon zurück. Sesshōmaru runzelte die Stirn und stand mit einem resignierten Seufzen auf. Was auch immer nun schon wieder war, er hoffte, dass es ein berechtigter Grund war, ihn zu stören.

 

Wer ihn jedoch erwartete, war Saddin mit einigen Dienern. Er verzog den Mund zu einem breiten Lächeln als er ihn erblickte und neigte den Kopf auf höflich-spöttische Weise.

Ich bin erfreut, dass Ihr meiner Bitte nachgekommen seid.“

Hätte ich das gewusst, hätte ich mir mehr Zeit gelassen“, erwiderte Sesshōmaru hochnäsig, „Haltet Ihr mich für einen Diener, nach dem man nach Belieben schicken kann?“

Saddin lachte und Sesshōmaru rann ungewollt ein Schauer über den Körper.

„Mitnichten, Nachtschöner. Ich möchte Euch gerne ein Geschenk machen zum Zeichen meiner demütigsten Reue und tiefsten Entschuldigung dafür, dass ich Euch so aus der Fassung brachte.“

Ich war nicht außer Fassung“, brummte Sesshōmaru, „Ich war nur überrascht, das ist alles.“

Wie Ihr das auch sehen mögt...“ Saddin nickte zwei Dienern zu und die verschwanden kurz, nur um darauf mit... einem Geschöpf wieder zu kommen, das so selten war auf der Welt, dass sogar Sesshōmaru es nur aus Erzählungen kannte.

Der Mund ging dem jungen Fürstensohn auf als er den zweiköpfigen grünbraunen Drachen erblickte, welcher von den beiden Dienern an Zügeln geführt wurde. Er trug eine Art Maulkorb aus Metall und einen kunstvoll verzierten Sattel auf dem Rücken.

Langsam trat er an das Geschöpf heran und berührte es am Hals. Die Haut war schuppig und warm, aus den Nüstern des linken Kopfes stieb bei der Berührung etwas Qualm.

Ich habe irgendwie so das Gefühl, die Überraschung ist gelungen“, raunte Saddin mit dunkler Stimme und Sesshōmaru spürte plötzlich dessen Atem in seinem Nacken und ein angenehmer Geruch von weißen, würzigen Hölzern umgarnte seine Nase. Sein Mund wurde trocken und er erschauerte und wünschte sich einen Moment, die Lippen mochten sich auf seine Haut senken.

Doch dann war er schon wieder fort.

Sesshōmaru nahm dem Diener die Zügel aus der Hand und schwang sich auf den Rücken des Geschöpfes. Er spürte die kräftigen Muskeln, die Energie, die von ihm ausging, die Warnung, auch nur eine falsche Bewegung, ein falsches Wort, würden ihn schneller zur Erde befördern als ihm lieb war.

Er musste kaum die Flanken des Drachen berühren und er lief los. Der Gang war so weich, dass er ihn kaum spürte.

 

Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit“, sagte Sesshōmaru wenig später als er abstieg und den beiden Dienern die Zügel wieder übergab, die den Drachen wegführten.

Saddin hob die Hände. „Bitte. Ich war es Euch schuldig. Wollt Ihr mir im Gegenzug vielleicht einen kleinen Gefallen erweisen? Ihr könntet mir Euer Land zeigen, so wie Ihr es mit Euren Augen seht.“

Sesshōmaru nickte und fand die Vorstellung, allein mit Saddin zu sein plötzlich gar nicht mehr so fürchterlich.

 

~*~

 

Shippo hatte gerade sein Training beendet und bis zum Nachmittag, an welchem die nächste Einheit statt fand, noch viel Zeit. Da er mit den anderen Welpen immer noch nicht so ganz warm geworden war, vertrieb er sich selbst ein wenig die Zeit, indem er den riesigen Garten erkundete und ein paar Spiele für sich allein spielte. Eigentlich, so dachte er, war es doch schade, dass Masaru nicht herkommen konnte. Zu gerne hätte er dem Freund all das hier gezeigt.

Gerade befand sich der kleine Kitsune in einem Spiel, in dem er Inu Yasha imitierte, welcher insgeheim schon immer sein Held gewesen war (was er aber natürlich nie zugegeben hätte) und fuchtelte mit einem der Holzkatana in der Luft herum.

„Kaze no Kizu!“, rief er dabei übermütig lachend, woraufhin ihm das Schwert aus der Hand flutschte.

„Ups“, machte er kichernd und machte sich daran, das Holzschwert aus dem Gras aufzulesen.

„So, wie du damit herumfuchtelst, hättest du dir mit dem echten Tessaiga längst einen Arm und beide Beine abgesäbelt.“

Shippo machte vor Schreck einen Satz zur Seite, verlor das Gleichgewicht und purzelte mit dem Gesicht voran in einige wildwachsende Margarithen.

Als er sich aufrichtete, blickte er direkt in das Antlitz Sesshōmarus und errötete augenblicklich. Die Miene des Daiyōkai wirkte amüsiert und Shippo wünschte sich, dass sich ein Loch im Erdboden auftäte, das ihn sogleich verschluckte.

„Ich bitte um Verzeihung“, nuschelte er und sah zu Boden, „ich wusste nicht, dass Ihr hier seid.“

Sesshōmaru machte eine wegwerfende Handbewegung und musste sich auf die Unterlippe beißen um ernst zu bleiben.

„Heb das wieder auf, dann zeige ich dir, wie du das Kaze no Kizu richtig machst.“

Dabei deutete er auf das Holzschwert und Shippo beeilte sich mit klopfendem Herzen, der Aufforderung nachzukommen.

Sesshōmaru korrigierte Shippos Handhaltung, welcher bemüht war, jeder kleinen Anweisung zu folgen und alles richtig zu machen. Dass Sesshōmaru-sama einen guten Eindruck von ihm hatte, war ihm plötzlich unglaublich wichtig.

„Je weniger Bewegungen du brauchst“, erklärte Sesshōmaru dann, „desto weniger Yoki verbrauchst du. Gezielt und präzise und nicht je mehr desto besser. Verstehst du?“

Shippo nickte schüchtern. „Ich glaube schon...“

„Gut. Dann versuch es noch einmal. Schlag. Links. Oben. Unten. Links.“

Während Shippo den Anweisungen von Sesshōmaru Folge leistete, schob sich vor Konzentration die Zungenspitze zwischen seine Lippen.

„Sehr gut. Und jetzt nochmal. Wie weit ist Akira-O-Sensei mit euch?“

„Meistens jagt er uns nur durch den Wald oder lässt uns Reissäcke schleppen, damit wir Muskeln bekommen“, erzählte Shippo, während er die Übung weiter ausführte. „Schwertübungen machen wir noch nicht so viele.“

Sesshōmaru, der sich inzwischen recht unfürstlich im Gras nieder gelassen hatte, nickte langsam. Daran erinnerte er sich nur zu gut. Das waren auch nie seine liebsten Einheiten gewesen als Welpe.

„Aber er erzählt viel über Kriege und Strategien. Das find ich spannend, von meinen Eltern hab ich sowas nie erfahren und die anderen Kitsunen in meinem Alter interessieren sich glaub ich gar nicht für sowas.“

 

Sesshōmaru schwieg eine Weile, dann fragte er sanft: „Was ist mit deinen Eltern geschehen, Kit?“

Shippo ließ einen Augenblick das Holzschwert sinken und sagte dann leise: „Chichi-ue ist von den Donnerbrüdern, Hiten und Manten ermordet worden. Leider konnte ich ihn nicht rächen, weil ich zu schwach war. Das hat Inu Yasha dann für mich erledigt. Und Haha-ue … sie ist gestorben als sie mein kleines Geschwisterchen zur Welt bringen wollte. Das Kleine ist mit ihr ins Jenseits gegangen.“

Er zuckte die Schultern und straffte daraufhin die Gestalt.

„Aber naja, so ist es nunmal.“

Dann schien dem Kitsunen etwas einzufallen.

„Sesshōmaru-sama?“

„Ja, Kit?“

Shippo zögerte, wirkte als wäre ihm irgendwie bang und ein leicht trauriger Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht.

„Hört... es irgendwann auf, wehzutun?“

Sesshōmaru antwortete nicht sofort, er streckte nur eine Hand aus, zum Zeichen, dass Shippo näher kommen sollte. Der Kleine kam der stillen Aufforderung nach und fand sich im nächsten Moment mit schnell klopfendem Herzen in den Armen des Daiyōkai wieder. Ein wohliger Duft von Hyazinth und Zuhause umschmeichelte ihn und irgendwie dieser unterschwellige Geruch den er mit seiner verstorbenen Haha verband, während ein Vorhang aus schneeweißem Haar seine Sicht beschränkte.

„Ich wünschte, es wäre so“, sagte Sesshōmaru leise und Shippo hielt ganz still, denn es war nicht recht klar, wer nun wem Trost schenkte.

 

~*~

 

Ein tosendes Meer. Er öffnete den Mund, doch seine Kehle war wie zugeschnürt, kein Laut wollte hervor dringen. Das Wasser zerrte ihn in die Tiefe, die Kräfte erloschen.

Schwarze Wogen schwappten über ihm zusammen und in der Tiefe war es still, so herrlich still.

Er öffnete die Augen und sah einen Lichtkreis. Dort saß ein Welpe, ihm den Rücken zugewandt. Er schien mit etwas zu spielen.

Was... machst du denn hier?“, sprach er ihn mit sanfter Stimme an und kam langsam näher, ließ sich zu ihm herab sinken, doch er reagierte nicht.

Mit was spielst du denn da?“, versuchte er es erneut.

Daraufhin wandte sich der Welpe um und da sah Sesshōmaru, dass die Augenhöhlen blutig leer waren, umso verstörender das breite, kindliche Lächeln, das auf dem Gesicht lag und dann streckte er ihm hin, was er in den Händen hielt und Sesshōmaru taumelte mit einem Keuchen zurück, denn es war eine blutige Gebärmutter und als er jäh an sich herab sah, sah er den Schnitt quer über dem eigenen Bauch und wie das Blut die weiße Kleidung beschmutzte.

Warum hast du mich ermordet?“, klagte der Welpe mit der Stimme des Südfürsten und Sesshōmaru spürte den Schmerz als habe ihm jemand ein Messer in den Leib gerammt.

Ich war doch auch ein Teil von dir, Haha-ue!“

Ermordet. Ermordet. Ermordet.

 

 

Sesshōmaru schreckte mit einem Donnerkrachen aus dem Schlaf. Ein Blitz erhellte den dunklen Raum und Regen prasselte gegen die Fenster. Sein Puls raste, die Atemfrequenz erhöht.

Es dauerte etwas, bis er den Traum endgültig abgeschüttelt hatte, realisiert hatte, dass er hier in seinem Schloss in seinen Gemächern war und nicht in dem schwarzen tosenden Meer.

Unbewusst hatte er die Hände über dem Bauch verkrampft. Aber da war nichts. Kein Schnitt. Kein Blut. Kein toter Welpe. Die Kehle schnürte sich ihm zu. Er fuhr sich fahrig durch das wirre, leicht schwitzige Haar. Die Einsamkeit drückt plötzlich mehr denn je und beim nächsten Donnerkrachen war er aufgesprungen und nach draußen geeilt, ohne sich etwas überzuziehen.

Der Regen prasselte hart auf die Haut und durchnässte seine Kleidung in kürzester Zeit. Aber das war gut. Es ließ ihn etwas fühlen. Es lenkte ihn von dem Sturm in seinem Inneren ab.

War es feige gewesen? Bequemlichkeit? Angst? Die leeren Augenhöhlen flackerten vor seinem inneren Auge auf. Das ganze Blut. So viel Blut. Hätte er sich nicht besser beherrschen müssen in seiner Läufigkeit? Hatte er versagt, war er so schwach, dass er seinen niederen Instinkten so einfach erlag?

Die Klauen krallten sich in den nassen Yukatastoff. Er war auf einer Bank in der Nähe des Koi Teiches in dem Inu Yasha baden gegangen war, niedergesunken und starrte jetzt auf das Wasser, das von den Regentropfen so zerwühlt wurde.

Es wurde heller, der Donner zog sich zurück und der schwere Regen wurde zu einem Nieseln.

Zuerst bemerkte er nicht, dass jemand näher kam. Der Regen verwusch den Geruch. Und als er es merkte, da wandte er sich nicht um, sondern starrte weiter auf den Teich.

 

„Deine Diener sagen, du hockst hier schon die ganze Nacht und seist nicht ansprechbar“, sagte Inu Yasha und ließ sich in etwas Abstand neben Sesshōmaru auf die Bank sinken. Der schwieg.

„Also wenn du noch so wütend bist wegen meiner Schnüffelei, dann...“

„Sei still“, erwiderte Sesshōmaru abwesend. „Sei einfach... still...“

Inu Yasha hielt die Klappe, aber er legte skeptisch den Kopf schief und betrachtete seinen Halbbruder von der Seite. Dann folgte er dessen Blick auf den Teich, um zu sehen, ob es da etwas zu entdecken gab.

Man hatte ihm berichtet, dass der werte Fürst in den frühen Morgenstunden aus seinen Gemächern gestürzt war und diese Position hier im Garten bezogen hatte. Durch den dünnen Yukatastoff schimmerte blass die Haut durch und das nasse Haar klebte Sesshōmaru schwer an Schultern und Rücken und teilweise im Gesicht. Inu Yasha hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil er das Gefühl hatte, nachdem was er von Akira wusste, bei Sesshōmaru irgendetwas aufgewühlt zu haben.

Das allerdings aus ihm herauszubekommen, war dann wieder eine ganz andere Angelegenheit.

Inu Yasha verschränkte die Arme hinter dem Kopf und meinte dann: „Was sehen wir uns da an?“

Er glaubte schon, keine Antwort zu erhalten, doch nach einer Weile sagte der Ältere langsam: „War es ein Fehler?“

Inu Yasha verstand zuerst nicht, worauf er hinauswollte und in seinem Hirn ratterte es schon gehörig.

„Der Welpe...“

Und da fiel der Groschen.

Sesshōmaru hatte ihn nicht angesehen und seine Stimme klang so teilnahmslos als spräche er nur zu sich selbst.

„Uhm...“, machte der Jüngere unsicher. Er verstand eigentlich nicht viel davon. Er hatte es nur am Rande mitbekommen, was es mit dem Frauen im Dorf gemacht hatte, wenn eine von diesen ein Kind verloren hatte.

Aber Sesshōmaru? War der zu Gefühlen dieser Art überhaupt fähig? Innerlich schüttelte er den Kopf. Es arbeitete offensichtlich in Sesshōmaru und aus irgendeinem Grund war es nun an ihm, ihm ein wenig von dieser Last zu nehmen. Weil er das ja so gut konnte. Inu Yasha rollte die Augen über sich selbst und meinte dann nur: „Komm, tu dir das jetzt nicht an.“

Weiter nichts. Doch irgendwie schien es Wirkung zu zeigen, denn Sesshōmaru wandte den Kopf zu ihm hin, um ihn zu mustern. Dabei bemerkte er tiefe Schatten unter dessen Augen und wie mechanisch streckte Inu Yasha die Hand aus um eine nasse Haarstähne aus Sesshōmarus Gesicht zu streichen. Und verharrte als er merkte, was er da tat. Doch er nahm die Hand nicht weg. Und Sesshōmaru, und das war viel sonderbarer, entzog sich der Berührung nicht. Er sah ihn nur an. Undeutbar.

 

Bis ein Diener sie störte. „Herr“, keuchte er, „ein Glück, dass ich Euch gefunden habe. Ein Bote aus dem Süden ist hier, er-“

Sesshōmaru erhob sich mit einem Ruck. „Bringt ihn in die Vorhalle!“

Der Diener nickte und eilte davon. Inu Yasha, der irgendwie ein mieses Gefühl dabei hatte, erhob sich und eilte Sesshōmaru hinterher.

 

Der Bote übergab die versiegelte Schriftrolle. Sesshōmaru brach das Siegel und entfaltete sie. Inu Yasha sah, wie die blassgoldenen Augen über die Zeilen flogen und das Herz schlug ihm bis zum Halse. Sesshōmarus Fingerspitzen krallten sich in den Rand des Schriftstücks.

„Und? Was will er?“, wagte er es zu fragen.

„Er erklärt uns den Krieg. Als Grund nennt er offiziell die Ermordung seines Nachkommen und den Diebstahl der oberen Südlande.“

Krieg. Das Wort summte bedrohlich wie eine Hornisse durch Inu Yashas Kopf. Und Sesshōmaru … dachte daran, wie er es als Knabe kaum hatte abwarten können, in den Krieg zu ziehen und wie es ihn beinahe das Leben gekostet hatte...

 

~*~

 

Euer Land blüht“, bemerkte Saddin staunend als er den Hain mit den Kirschbäumen sah, die in voller Blüte standen. Der sachte Wind wehte einzelne Blütenblätter von den Bäumen und es sah aus als schneite es zartrosafarbenen Schnee.

Sie blühen nicht lange“, gab Sesshōmaru zurück. „Wenige Wochen. Habt Ihr keine Kirschbäume in Persien?“

Was bei uns wächst ist selten schön“, erzählte Saddin, „es ist robust und von kräftigem Wuchs, gemacht um zu überleben. Das meiste ist Steppe und Wüstenei. Oben in den Bergen findet Ihr kärgliches Grün, hin und wieder eine Blume. Mein Land ist wild und rau.“

Wüste. Davon hatte der Vater ihm berichtet. Sand. Felsen. Eine unendliche Weite.

Ihr passt zu Eurem Land“, bemerkte Sesshōmaru dann, woraufhin Saddin eine Augenbraue hob.

Tue ich das?“, erwiderte er mit samtener Stimme.

Unser erstes Zusammentreffen war rau und felsig und Ihr wart wie die Sonne in Eurer Wüste, die mich in die Knie zwang.“

Sesshōmaru schnalzte gereizt mit der Zunge bei der Erinnerung an diese unschöne Begegnung.

Ihr selbst seid robust und von kräftigem Wuchs. Dass in Euch auch etwas wächst zeigtet Ihr mir mit Eurem Geschenk. Und Eure Worte, Eure Stimme sind wie eine Blume, die versucht einen mit ihrem Anblick zu betören, aber... diese Blume mag auch giftig sein.“

Saddin lächelte. „Wohl sollte ich mich geschmeichelt fühlen, welche Worte Ihr für mich übrig habt, schöner Sesshōmaru. Doch bin ich vielmehr erstaunt darüber, wie gut Ihr mich bereits zu kennen scheint.“

 

Sie gingen weiter. Es dauerte nicht sehr lang bis sie eine Lichtung im Wald erreichten, auf der über und über blaue Hyazinthen blühten.

In meinem Land“, sagte Saddin, während er zwei weiße Schmetterlinge beobachtete, „gibt es ein Märchen von einem Prinzen, dessen Liebster in den Krieg zog und nie zurückkehrte. Darüber war er so traurig, dass seine Tränen zu einem nie versiegenden Strom wurden. Und man sagt, dass überall, wo seine Tränen die Erde berührten, blaue Blumen wuchsen. Und der Liebste sah irgendwann die Blumen und fand so seinen Weg heim.“

Sesshōmaru schwieg und sah in die Ferne.

Bei uns gibt es auch viele Märchen“, sagte er dann, nur um etwas zu sagen, „allerdings handeln die alle von Dämonen, die sich auf Menschen einlassen und umgekehrt. Flüsse, die Mädchen verschlingen, Spinnendämoninnen, die Ningenmänner anlocken.“

 

Ich bin sicher“, raunte Saddin plötzlich von hinten nahe an seinem Ohr, sodass Sesshōmaru eine Gänsehaut bekam, „Eure Tränen würden auch zu diesen blauen Blumen werden... sagt … habt Ihr denn eine Liebste oder einen Liebsten?“

Sesshōmarus Atem ging etwas flacher, er war nicht in der Lage, sich unter Kontrolle zu halten. Er schüttelte nur den Kopf, weil Saddins Stimme und sein Geruch ihm gerade die Sinne vernebelten, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte.

Ein plötzlicher Kuss in seine Halsbeuge ließ ihn zittrig aufatmen.

Darf ich Euch um einen Gefallen bitten?“

Was... für ein... Gefallen?“

Lasst mich Euch malen... in den Hyazinthen … sie sollen alles sein, was Ihr tragt.“

Sesshōmaru stieg Hitze in die Wangen.

Wie … wie könnt Ihr so etwas...“

Saddin sog den Geruch ein, der in Sesshōmarus zu einem lockeren Zopf geflochtenen Haaren haftete.

Bitte...“

Na... na gut, meinetwegen.“

Wenn Ihr erlaubt...“, sagte Saddin leise und begann mit geschickten Händen den leichten Harnisch zu lösen, den Sesshōmaru trug, dann den Haori und die anderen Schichten Kleidung darunter und Sesshōmaru, der noch nie von einem anderen Mann berührt worden war, schlug das Herz bis zum Halse.

Saddin griff ihm in die Haare und öffnete den geflochtenen Zopf, bis sein Haar in sanften Wellen

lose über seine Schultern fiel. Saddin betrachtete Sesshōmaru eine kurze Weile ehe er ihn bat eine bequeme Sitzposition in dem blauen Blütenmeer einzunehmen. Das Licht fiel genau im richtigen Winkel ein um der ganzen Szene eine wunderschöne Untermalung zu verleihen.

Schließlich holte der persische Dämon aus einer Tasche Papier und Kohlestifte, um erste Skizzen zu machen, dabei nicht ahnend, was er in dem jungen Yōkai, den er vor sich hatte, auslöste.

Sesshōmaru hatte nie Scham wegen seines eigenen Körpers gehabt. Er war auch alles andere als naiv und ihm war wohl klar, was die anderen Burschen manchmal heimlich im Stall oder den angrenzenden Wäldern trieben. Auch war der ein oder andere bereits so kühn gewesen, sich ihm anzunähern, doch er hatte sie alle immer abgewiesen. Keiner war würdig gewesen und er hatte immer geglaubt, dass es auch nie einen gäbe, der würdig sein konnte.

Und jetzt saß er hier, vor einem gestandenen Dämon, nackt, ließ sich zeichnen und konnte sich nicht erinnern, jemals einen erotischeren Moment in seinem Leben erlebt zu haben und gegen die leichte Erregung, die über ihn kam, war er machtlos und irgendwie war es ihm auch gleich. Sollte Saddin ruhig sehen, was er anrichtete.

Sesshōmaru betrachtete die dunklen Augen, wie sie flink zu ihm und dann wieder auf das Papier flogen, wie der Blick ihn erfasste und bannte, sein Inneres, wie sein Äußeres. Wurde dabei der Zeit verlustig.

 

Erst ein sanftes „Sesshōmaru“, ließ den jungen Yōkai aufblicken. „Genau das war es“, sagte der Perser leise, „Der Blick, der an einen Ort ging, der dem Maler verschlossen blieb. Wo seid Ihr gewesen?“

Wie war Saddin plötzlich nur hinter ihn gelangt? Wie die schlanken Finger in sein Haar? Sesshōmaru schloss die Augen als er hörte wie Saddin den Duft seines Haares aufsog und er schloss die Augen und seufzte.

ich war“, hörte er sich sagen, „an einem Ort, an dem Saddin mich malte. An dem Saddin seine Finger durch mein Haar gleiten ließ und seinen Geruch in sich aufnahm. An einem Ort, an dem Saddin mich mit seinem Blick verbrannte und mich nackt zwischen den Hyazinthen sah.“

Er spürte einen ehrerbietigen Kuss auf der linken Schulter. Erschauerte.

Ein Ort, an dem er mich küsste“, sagte er leise und dann drehte er sich um und suchte die Lippen des Anderen und der erste Kuss seines Lebens hätte nicht schöner sein können, nicht liebevoller. Kräftige Arme wanden sich um den jungen, starken Körper, als wollten sie ihn gleichzeitig enger ziehen und von sich stoßen.

Saddin war es, der den Kuss unterbrach. „Ich kann das nicht tun, Nachtschöner“, sagte er und barg einen Moment das Gesicht in Sesshōmarus Halsbeuge, während seine Hände über dem Steiß und im Kreuz ruhten.

Sesshōmarus Hand fuhr in das kräftige, gewellte Haar.

Warum nicht? Ich will es!“

Saddins Lippen wanderten von der Halsbeuge herab zum Schlüsselbein, herab zu einer der rosigen Brustwarzen, die vor Erregung längst steif und hart waren, küsste sie und murmelte gegen die weiße Haut: „Ihr seid zu jung, zu unschuldig...“

Sesshōmaru schnaubte. „Ich bin alt genug.“

Ich würde Euch wehtun.“

Ich kann Schmerzen ertragen.“

Das sollt ihr aber nicht“, entschied Saddin und legte Sesshōmaru einen Finger auf die Lippen, um ihn am Widerspruch zu hindern. Dann küsste er seinen Hals abermals, an jener Stelle, an welcher ein Gefährtenmal säße, verharrte dort, saugte sacht an der Haut, ehe er sie wieder ließ.

O Orpheus singt“, flüsterte Saddin nahe seines Ohres und Sesshōmaru stöhnte leise zittrig auf, als er eine Berührung dort spürte, wo nur er selbst bisher seine Hände gehabt hatte.

Oh hoher Baum im Ohr...“

Die weiße Brust hob- und senkte sich schneller, der Atem ging flach, die Lider geschmückt in Magenta sanken herab.

... Und alles schwieg...“

Ein sehnsuchtsvolles Aufstöhnen, Zähne, die sich in die Unterlippe gruben. Eine Hand, die zärtlich über seine Wange strich, während die andere ihm solche Lust bereitete.

... Doch selbst in der Verschweigung ...“

Es dauerte nicht lange, bis er sich seinem Höhepunkt näherte. Er war zu jung, zu unerfahren.

... ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.“

Ein lustvoller Aufschrei, der Körper sank wohlig-erschöpft zusammen. Und als Saddin ihn dann küsste, wusste Sesshōmaru, dass er nie wieder andere Lippen küssen wollte...



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