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Fäden des Schicksals

von

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Ein Hauch von Schicksal

Zeuxis hatte drei Tage lang gewartet. Er stand am Fuße des Berges seines Vaters. Noch nie hatte er so ein schönes Gebilde gesehen wie diesen Monolithen, diesen Pfeiler der Ordnung, der hoch über Griechenland ragte. Im Schatten des Berges war das Land gediehen und gewachsen und hatte doch so sehr unter der willkürlichen, grausamen Herrschaft seines Vaters zu leiden gehabt.
 

Das Auge des Helios leuchtete hinter ihm. Es war ein heißer Sommertag, an dem er seinen Plan in die Tat umsetzen wollte. Er hatte alles noch einmal durchdacht und war zum Entschluss gekommen, nichts mehr ändern zu können.
 

„Ich hoffe, das Richtige zu tun“, murmelte der junge Gott zu sich selbst, bevor er nach oben schaute. Der Pegasus neben ihm zupfte seelenruhig an einem Stück Moos, welches er genüsslich verschlang. Zeuxis mochte das Pferd, hatte es bereits liebgewonnen. Hoffentlich durfte er ihn nach all diesem Wahnsinn behalten.
 

Ein Wiehern ließ ihn aufhorchen. Die Sonnenkugel befand sich an ihrem Zenit. Mit freiem Auge konnte man den Wagen erkennen, den Helios lenkte. Der Titan trieb seine drei Pferde unerbittlich an und zog dabei die Sonnenkugel hinter sich her. Darauf hatte Zeuxis gewartet.
 

Ruhig griff er nach einem Blitz, zog ihn aus seinem Köcher und passte den richtigen Moment ab. Als Helios mit seinem Wagen knapp an ihm vorbeizog, warf er den Blitzkeil und traf zielsicher den Titan auf seiner Route. Laut krachend explodierte das Gespann des Sonnengottes. Dessen Blut benetzte die lebenspendende Kugel, die nun regungslos am Firmament verharrte und ganz Griechenland in ein blasses Rot tauchte. Man hätte fast meinen können, es würde bereits dämmern und eigentlich handelte es sich bei diesem Anblick um ein schönes Spektakel. Für Zeuxis´ Mitwisser war dies aber das Zeichen gewesen. Rasch schwang sich der junge Gott auf Pegasus und machte sich daran den Gipfel des Olymps zu erreichen.
 

Was mit Helios war interessierte ihn nicht, genauso wenig wie sich Ares und Hera schlugen. Auch die aufkeimenden Wolken, das Unwetter, sowie Blitz und Donner, die am Himmel tobten, brachten ihn nicht mehr aus der Ruhe. Er wusste wohin er musste und was zu tun war. Den Gott der Götter mit konventionellen Methoden zu vernichten, das war unmöglich, doch es gab jemanden, der sogar über Zeus stand, jemanden, den sogar der König der Götter fürchtete.
 

Je näher sie dem Gipfel kamen, desto schwieriger war es für Pegasus, dem aufkommenden Wind, den Stürmen und dem Gewitter zu trotzen, dass ihren Weg behinderte. Tapfer mühte sich das göttliche Pferd ab, doch es dauerte, bis sie zum Olymp selbst gelangen. In dieser Zeit wurde Zeuxis klar, was er nun eigentlich tun würde.
 

Er begriff was seine Taten auslösen würden. Die ganze kosmische Ordnung, das Weltgefüge, alles würde vergehen, auf den Kopf gestellt werden. Hera, die Göttermutter, würde alleine herrschen. Würde sie milder und gnädiger zu den Sterblichen sein? Was würde mit Hades und Poseidon, den Brüdern des Zeus passieren? Die anderen Götter des Olymps, Artemis, Apollon, Hermes, alles verhasste Wesen in den Augen der Hera.
 

Vor Zeuxis schälte sich die Spitze des Olymps in all ihrer Pracht aus den Wolken. Der Götterpalast, erbaut von Hephaistos, ragte hoch auf den Klippen des Berges und wachte stumm über die Oberwelt. Sein Vater war noch nicht aufgetaucht, auch nicht einer der anderen Götter – sein Plan schien also aufzugehen.
 

Mit einem Ruck an den Zügeln zwang Zeuxis den Pegasus herum, direkt auf einen Wasserfall zu. Das Pferd scheute zwar, doch mit genügend Zureden und ein wenig sanfter Gewalt konnte er den Hengst direkt auf das rauschende Wasser zu lenken. Nun galt es: Alles oder nichts. Wiehernd schoss das weiße Ross auf den Wasserfall zu, nur um ihn einen Moment später zu durchtauchen. Sie landeten in von Fackeln erhellten Gang. Hastig sprang Zeuxis von Pegasus und eilte den Weg entlang.
 

Seine Schritte hallten in dem Gemäuer wider und er war sich bewusst, dass er versuchte, woran so viele vor ihm gescheitert waren. Der kalte Stein unter seinen Füßen flog geradezu dahin, als er endlich die kreisrunde Kammer erreichte, wo jene Wesen beheimatet waren, die er suchte.
 

Inmitten des von Fackeln erhellten Altars lag, was er begehrte. Das Herzstück seines Plans: Der Schicksalsteppich. Hier woben die Moiren die Geschichte, sponnen Faden über Faden, bemaßen dessen Länge nur um ihn dann zu trenne und dem Wandteppich hinzuzufügen. Hier begannen der Anfang und das Ende, Alpha und Omega.
 

Von den drei Schwester, Atropos, Klotho und Lachesis war jedoch weit und breit keine Spur. Er hatte gehofft die Moiren zu treffen, und sie zu bitten, Zeus Lebensfaden zu durchschneiden. Wenn notwendig, hätte er es auch selbst getan. Doch anstelle des personifizierten Schicksals fand er jemand anderen vor. Obwohl er sie noch nie gesehen hatte, so konnte dieses Gesicht nur einer Person gehören.
 

„Schwester“, hauchte Zeuxis und blickte in sein Spiegelbild. Die junge Göttin stand da, in voller Rüstung, mit Lanze und Schild bewaffnet. Der Göttervater hatte also doch Bescheid gewusst. Trotz aller Mühen; ihm war der Plan nicht entgangen. Wie? Warum? Wer hatte ihn verraten?
 

„Bruder, weiche ab von diesem Wahnsinn!“, rief Athene und reckte ihm den Speer entgegen. Von ihrem Schild grinste der Kopf der Medusa herab und sie wirkte entschlossen, sich, falls notwendig, auch gegen ihren eigenen Bruder zu stellen. Sein Vater war ein schlauer Mann, das musste Zeuxis ihm lassen.
 

„Athene, Schwester, tritt beiseite!“ Ohne, dass er es wollte, war seine Stimme zu einem Flehen geworden. Jedes andere Hindernis hätte er beiseite räumen können, den kretischen Stier, die Hydra, die Sphinx, sogar die Harpyien oder Sirenen, nur nicht seine Zwillingsschwester. Sie hatten sich den Mutterleib, wie auch den Vaterleib, geteilt. Wie konnte er da Hand an sie legen?
 

„Nein.“ Ihre Stimme war fest, und an ihrem Blick erkannte Zeuxis, dass weder Flehen noch Betteln helfen würde. Mit nur einem einzigen Zug hatte ihn sein Vater Schachmatt gesetzt. Die Geschichte würde sich nicht wiederholen, dafür hatte der Göttervater gesorgt.
 

„Du bist weit gekommen, mein Sohn.“
 

Zeuxis drehte sich um, und bekam seinen Vater das erste Mal zu Gesicht. Er war ein alter Mann, mit langem grauem Bart, der gegen Ende hin zu einem Zopf geflochten worden war. Die weiße Toga, die er trug, bedeckte nur spärlich den muskulösen Körper. Das lange Haar fiel ihm ins Gesicht und wurde von breiten Schultern aufgefangen. Nichts, was er in seinem kurzen Leben kennengelernt hatte, nicht einmal die allumfassende Präsenz der Gaia, konnten an Zeus´ Aura herangelangen. Der Götterkönig hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte seinen Sohn aus leeren Augen heraus. Ihnen fehlte jegliche Wärme, genauso wie den Pupillen – sie waren weiß und eiskalt.
 

„Fast wäre es deiner Urgroßmutter und deiner Mutter gelungen Rache zu nehmen. Dein Plan war gut, aber nicht gut genug um mich, den König der Götter, zu täuschen. Du wirst genügend Zeit haben um im Tartarus über deine Vergehen gegenüber mir und dem Kosmos nachzudenken.“ Zeus hatte den gleichen, harschen Unterton wie Athene. Zeuxis hatte verloren.
 

„Deine Mitwisser werden dir Gesellschaft leisten. Wie mir auffällt, ist Verbannung eine zu milde Strafe, genauso wie die Unterwelt. Ich habe mir für jeden von Ihnen etwas ausgedacht, einschließlich deiner Schwester.“
 

Zeuxis´ Augen weiteten sich. Persephone? Seine Persephone? Die Frau, die er mehr liebte als seine Mutter? Er würde sie strafen? Zeus würde die Mutter seines göttlichen Erben auch in den Tartarus werfen, dort, wo die schlimmsten Qualen auf ewig wahr wurden?
 

„Nicht Persephone, Vater, ich bitte dich…“ Die Stimme des jungen Gottes war zu einem Wimmern geworden. Tränen brannten in seinen Augen während er auf die Knie fiel. Es hatte keinen Sinn, die Blitze einzusetzen; Zeus hatte sicher auch dafür Vorkehrungen getroffen. Er war wahrlich das mächtigste Wesen im Universum.
 

„Du? Du bittest mich? Gaia hat das falsche Kind gewählt. Hörst du mich, Gaia? Dein Werkzeug hat versagt!“
 

Aus den Augenwinkeln heraus konnte Zeuxis beobachten, wie sich etwas in Athenes Blick veränderte. Während Zeus ihm die schlimmsten Dinge androhte, konnte er Mitleid und Wärme in den Augen seiner Schwester erkennen. Hätte die Prophezeiung anders gelautet, wäre sie jetzt an Zeuxis´ Stelle. Er war trotz allem nur ein kleiner Junge, missbraucht von Mutter und Urgroßmutter, die sich am Göttervater rächen wollten.
 

„Du bist deinem Vater an List und Stärke überlegen“, murmelte Athene leise und wandte den Blick ab. Unbewusst trat sie einen Schritt beiseite. Sie konnte diesen Wahnsinn nicht länger mitanhören, aber auch nicht gegen ihren Vater kämpfen, genauso wenig wie gegen ihren Bruder. Jegliche Worte des Zeus, seine eindringlichen Hinweise, dass der Junge eine Gefahr sei, und zerstört werden musste, sie wirkten so lachhaft, wenn sie ihren Zwillingsbruder betrachtete. Wie sollte dieser Junge ihm denn gefährlich werden?
 

Zeuxis Blick wanderte zum Schicksalsteppich. Hier lagen Anfang und Ende. Die Schicksalsschwestern sponnen die Geschichte und auch die Lebensfäden. Das ganze Universum war vor ihm in Stoff gefasst. Um ihn herum wurde es dunkel.
 

Er dachte an den lachenden Hephaistos, der mit den Zyklopen sein Handwerk perfektionierte, an Apollon, wie er Asklepios in die Arme schloss und an Persephone. Er wäre so gerne mit ihr unter dem Baum der Hesperiden gestanden, hätte ihr einen goldenen Apfel gepflückt und sie gefragt, ob sie ihn denn zum Manne nehmen wolle. Stattdessen würde sie alle nun der Tartarus erwarten, der finsterste Ort im Universum.
 

„Es ist Zeit, mein Sohn. Dein Leben endet nun, doch deine Qualen beginnen erst.“ Zeus´ Stimme war kalt und erbarmungslos, und hinter sich, da konnte der junge Gott das vertraute Knistern der Blitze hören, die er mit sich führte. Er hatte eine Entscheidung getroffen, und zum ersten Mal in seinem Leben tat er dies aus freien Stücken.
 

„Du hast Recht, Vater. Es ist Zeit, dass mein Leben endet, doch auch das Deinige.“ Mit einem Ruck zog Zeuxis einen der Blitze aus dem Köcher und warf ihn. Der Göttervater zuckte zurück, genauso wie Athene, doch beide waren nicht sein Ziel gewesen.
 

„Nein!“, rief Zeus und streckte den Arm aus. Zeuxis´ Blitzkeil traf auf den Schicksalsteppich. Anfang und Ende, der Himmel, die Erde, alles verging in dem Moment, als Blitz und Donner auf das Schicksal trafen. Es herrschte allumfassende Schwärze. Weder Mensch noch Gott existierten. Es herrschte nur mehr das Chaos, so wie es zu Beginn war, bevor Gaia sich aus dem Nichts schälte und den Uranos gebar.
 

Der Göttervater hatte einen entscheidenden Fehler in seinem Leben gemacht: Er hatte versucht, die Prophezeiung auf die gleiche Weise zu verhindern, wie es einst sein eigener Vater tat. Wofür Kronos von seinen Kindern gehasst worden war, wurde auch der Gott der Götter von seinen eigenen Kindern gehasst. Hätte er nur ein wenig anders gehandelt, so wäre der Welt dieses Schicksal erspart geblieben. Es gab aber ein Wesen im Kosmos, das glücklich war: Zeuxis, denn er hatte dem Universum eine zweite Chance gegeben. Sie alle befanden sich im Nichts, im Chaos, welches eines Tages vielleicht wieder die Erde, Gaia gebären würde. Die Geschichte, sie konnte sich erneut wiederholen, oder ganz anders ablaufen. Nun aber herrschte Stille und der Kreislauf würde vielleicht irgendwann von Neuem beginnen.



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