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Hin und her gerissen

zwischen Liebe und Freundschaft
von
Koautoren:  Jevi  Meitantei

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15. Januar - Feed her to the wolves

 

 

Dinge blieben in der Organisation nur sehr selten lange geheim. Wenn man für zu viel Aufsehen sorgte, passierte es schnell, dass die verschiedensten Leute Pläne mit einem schmiedeten.

So wie die Blondine, die mit ihrer Schwester die neusten Erkenntnisse teilte.

„Es ist ja äußerst interessant, dass unsere hochgeschätzte Vermouth nichts davon weiß. Was Männer angeht, ist sie nur halb so brillant, wie sie immer tut. Scheint mir, dass sie von ihrer schwächlichen Schwester auch noch eine Menge lernen kann.“ Während Chenin sich schminkte, sagte sie das zu ihrer Adoptivschwester Trincadeira. Sie konnten keinen Tag verstreichen lassen, ohne zu tratschen.

„Dass Seyval sie immer noch einspannen kann…. Dieser ganze Familienquatsch ist am Ende nur mit Ärger verbunden“, sagte diese daraufhin, während ihre Augen gefährlich blitzten. „Aber ich kann verstehen, dass sie von all dem Schein ganz schön angewidert ist.“

„Was glaubst du, wie würde das Küken reagieren, wenn du ihre Unwissenheit gegen sie verwendest? Scheinbar verhält sich Jami wie ein Schaf, sonst würde sie ihm kaum abkaufen, er sei ein feiner Mann.“

„Du machst mich neugierig, Chenin, was meinst du damit denn?“ Trincadeira beobachtete die Schwarzhaarige, wie sie hämisch zu lachen begann.

Daraufhin sagte Chenin: „Seyval tut alles dafür, um Chardonnay loszuwerden. Als sie gehört hat, Jami sei einer seiner größten Feinde, ist sie mit dem ins Bett gestiegen, damit er für sie arbeitet.“

Trincadeira fasste sich ins Gesicht, allerdings war das der beste Weg, um einen Kerl für einen tätig werden zu lassen. Man ließ ihn etwas naschen. „Na hoffentlich hat sie sich bei ihm mehr angestrengt, als bei ihrem Ehemann.“ Den hatte sie jawohl nur zur Zeugung ihres Sohnes rangelassen, wenn man den Gerüchten glauben konnte.

Chenin fand das offenbar lustig. „Seyval sich anstrengen? Wovon träumst du denn, Schätzchen? Einmal erniedrigen ist genug, dann hat er zu spuren!“ Sie lachte dreckig und sah Trincadeira schließlich an. „Sie hat ihm ihre Geschichte erzählt und ansonsten den Typen die ganze Arbeit machen lassen; und dem gefällt’s noch.“

„Absolut typisch. Warum lebt Chardonnay eigentlich immer noch? War wohl nicht gerade seine beste Session, was?“

„Na, sie hätte es schon einige Male mit ihm treiben müssen und etwas kräftiger weinen. Einmal die Beine breitmachen und dann gleich sagen, was man will, kommt nicht so besonders gut an. Aber sie ist sehr unterhaltsam und vor allem: Inspirierend. Gerade dann, wenn dir dein Gatte mächtig auf den Geist geht. Du hilfst mir doch, Rachel, oder? Ich muss diesem Kerl suggerieren, dass mir etwas Schreckliches widerfahren ist.“

„Dafür musst du schon bluten, damit er dir das jetzt noch abkauft – nur wegen einer dämlichen Kuh, wie Seyval, ist er ja jetzt ein gebrandmarktes Kind.“

„Meinst du, er kann Kunstblut von richtigem Blut unterscheiden, oder was soll das heißen?“

„Jami ist jetzt leider kein Laie mehr auf seinem Gebiet, dem kannst du keine Show liefern. Anokata musste sich ja total dafür begeistern, ihn in die Forschungen einzubinden.“ Wenigstens war Anokata genauso begeistert für ihre Arbeit, die lediglich aus dem Schminken der verschiedensten Menschen bestand. So konnte er seinen Liebling besser unter Kontrolle halten, denn in den letzten Jahren war einiges aus dem Ruder gelaufen.

„Also, wenn Plavac und Jami so gut in ihrem Job sind, wieso sollst du dann Vermouth im Auge behalten?“

„Frag mich nicht. Ich schätze, er glaubt, dass Promis ihren Visagisten sonst was erzählen. Ich mache mir da keine großen Illusionen, aber man erfährt genug. Jedenfalls schadet es mir nicht, Freundschaft mit ihr zu schließen. Sie genießt ein gewisses Ansehen, oder etwa nicht, Chenin? Man stellt sich gut mit ihr, sonst packt sie die Fallen aus und prangert dich beim Boss an.“

„Der hört ihr auch brav zu, warum auch immer. Das muss uns nicht jucken. Mich stört sie auch gar nicht so sehr, wer mich stört, ist…“ Ihre Augen verzogen sich zu Schlitzen.

Da fiel ihr die eigene Schwester ins Wort.

„Retsina. Die flattert rein, irgendwer rettet sie und holt sich die Erlaubnis, sie abzuschirmen, egal wie und schon darf sie weiter das liebe Mädchen spielen, was kein Wässerchen trüben kann. Was ist in den Boss gefahren, dem zuzustimmen? Wird er alt?“ fragte Chenin genervt, aber auch ratlos.

„Kann sich nicht erlauben, noch so eine Tussi zu züchten, wie Seyval? Sie bringt Unruhe in die Reihen, vergiss das nicht. Die gepeinigte arme Frau, die immer um sich schlagen muss. Langsam nervt das. Und alle guten Typen bedauern sie die ganze Zeit. Die kommt noch unseren zu nahe.“

Trincadeira hatte einen ganz bestimmten Mann im Auge. Leider war er an die falschen Frauen geraten und jetzt alleine mit den zwei Kindern zurückgeblieben. Da konnte sie ihre Mutterqualitäten unter Beweis stellen. „Jamie Moore gehört mir, misch dich da ja nicht ein!“ drohte Trincadeira postwendend und ballte dabei sogar eine Hand zur Faust. Dabei hatte Chenin mit keinem Wort gesagt, dass sie ihn ihr wegschnappen wollte.

„Oh keine Sorge, ich stehe nicht auf blond“, grinste sie, das war auch der einzige Grund, ihrer Adoptivschwester nicht den Kerl auszuspannen. „Lass es dir aber wenigstens nicht wieder sofort anmerken, wenn du den Kerl wirklich willst. Männer stehen nicht drauf, wenn du ihnen hinterherrennst. Sie wollen erobern. Sogar Jami, wie er gerade unter Beweis stellt.“

„Und du hegst wirklich keinen Groll gegen den Kleinen?“

„Warum sollte ich? Der Organisation trotzen zu wollen, so ein dummer Junge. Eher zu bedauern, oder liege ich falsch?“

Sie sah den Blick im Spiegel und wusste diesen sehr wohl zu deuten. „Vielleicht hätte deine Patentante keinen Idioten heiraten sollen, dann wäre sie wohl noch am Leben. Mhm? So kann man das natürlich sehen. Ich hingegen finde…“

„Lass es!“ Chenin war aufgesprungen. Immer hackte sie auf diesem alten Thema rum, es war Schnee von gestern.

„Aber er wollte Vermouth und Seyval in Amerika davonlaufen! Nur deswegen haben sie deine Patentante hingerichtet!“

Ein riesengroßer Dämon hing in der Luft und sie wusste diesen zu nutzen, so wie sie alles zu nutzen wusste, sogar ihre Adoptivfamilie. Sie hatte dafür gesorgt, dass ihre richtige Familie für alles büßte, was ihr in den letzten Jahren widerfahren war. Dass sie dieses Leben führen musste, unter strengen Regeln. Das war alles ihre Schuld, weil sie sie verkauft hatten, da war sie gerade einmal zehn. Und ihr anderes Ich führte das schöne Leben, was sie sich stets gewünscht hatte. Ein Leben in Freiheit, mit einem netten Mann, mit dem sie Kinder haben konnte. In dieser Organisation sollte man das niemals wagen. Der Boss liebte kleine Bälger, die wussten noch nicht, wie gemein und ungerecht das Leben zu ihnen war. Sie waren gut zu formen. Das wollte sie keinem Kind antun. Und Seyval? Die hatte eine Schwester mit hohem Ansehen, deswegen hielt man ihre Kinder aus all dem raus. Nur, weil Vermouth es so wollte. Reichte es nicht allmählich? Dieses Frauenzimmer sollte endlich verschwinden…

 

Die Rotblonde freute sich schon unendlich auf dieses Shooting. Allerdings ein Stück weit weniger auf die kritische Fotografin und die Maskenbildnerin. Beide waren ihr ziemlich unsympathisch und sie spürte – trotz ihrer beider Lächeln, dass sie ihr alles andere als wohlgesonnen waren. Sie taten freundlich, aber das war sie schon gewohnt, damit konnte man sie nicht täuschen. Zudem hatte Vermouth sie im Voraus zu vielen Personen – meistens weiblicher Gestalt – aufgeklärt. Sie vertraute ihr und wurde dafür noch ausgelacht. Wer diesem Miststück traute, konnte nicht ganz bei Trost sein.

Wenigstens war sie nicht alleine, die anderen Models leisteten ihr Gesellschaft. Eine von ihnen schien ihr besonders nett, sie war ziemlich hübsch und hatte eine angenehme Art an sich. Ganz anders als die meisten Anderen, die nur eines beherrschten: Eingebildet in Spiegel sehen und sich arrogant durchs Haar fahren.

„Oh, du armes Ding. Ich hoffe, vor der Kamera zeigst du mehr Selbstbewusstsein, sonst wirst du es in diesem Business nicht weit bringen.“ Rachel griff sich grob eine Haarsträhne und zog sie lang. „Das ziept jetzt ein bisschen. Muss aber sein. Natürliche Schönheit ist schon lange nicht mehr in. Außerdem ist das langweilig.“ Die Blondine zwinkerte ihr zu und war nicht besonders vorsichtig mit ihrem feinen Haar, in das sie Volumen zaubern sollte. Löwenmähne hatte die schwarzhaarige Schönheit gesagt – sie würde regelrecht zaubern müssen, um aus ihrem Gesicht etwas Wildes herauszuholen, von den Haaren ganz zu schweigen.

Macy ist eine sehr strenge Fotografin. Wenn ich du wäre, würde ich ihr nicht widersprechen. Einfach machen, sonst stellt sie dich noch nackt vor die Tür.“

Es war eine Kunst, bei so viel Hohn noch ein Lächeln zu zeigen. „Oh, keine Sorge, es ist nicht mein erstes Shooting“, antwortete ihr die zierliche Frau, so dass die Visagistin sich schon alleine deswegen ärgerte, weil sie sie nicht ängstigen konnte.

„Wie kommt eine schüchterne süße Maus, wie du, denn dazu, zu modeln?“ schleimte die 30-jährige.

„Das steht doch außer Frage“, hörte sie vom Platz neben ihnen. Frechheit, dass sich jemand in ihre Konversation einmischte. „Sie ist ziemlich hübsch.“

„Man unterbricht keine Erwachsenen“, tadelte sie das 16 Jahre junge, brünette Ding. Dieses lächelte sie entschuldigend, aber trotzdem irgendwie souverän an.

„Ich habe lediglich die Frage für sie beantwortet. Weil sie es nie sagen würde, das wäre ja eingebildet.“

„Kümmer dich um deine Angelegenheiten!“ wurde die Brünette von der Blonden angefahren und ein böser Blick kam hinterher geschossen. Musste die sich einmischen, das verdarb ihr noch den ganzen Spaß…

‚Die ist ja bissig wie ein Tier!‘ Sie war richtig erschrocken und hielt sich die Hand an die Brust.

Wenig später ging die Tür auf und ein schwarz gekleideter Mann trat herein. Er trug eine Sonnenbrille und Lederjacke. Das machte sein cooles Outfit komplett.

„Du liebe Zeit, gerade so rechtzeitig!“ entkam ihm, dann wank er der Visagistin.

„Wer ist das denn jetzt?“ fragte die Rotblonde.

Die Brünette blickte erst zu der Blonden, dann zu ihrem Gegenüber, schließlich drehte sie den Kopf herum und erblickte ihn. In dem Moment, als eine der Damen den ersten Lidstrich machen wollte, sprang sie auf – wie von einer Tarantel gestochen – und rannte zu dem schwarzgekleideten Kerl.

„Was machst du denn hier?“ fragte sie ihn heiter, wenig später wurde der perplexe junge Mann stürmisch umarmt und umklammert.

‚Ach du Scheiße. Was mache ich hier? Dasselbe könnte ich dich fragen!‘

„Beruhig dich, Shio“, flüsterte er. „Und jetzt nicht meinen Kosenamen sagen.“ Verwirrt blickte sie ihn an. „Aber du bist mein-“

Man räusperte sich hinter ihnen, so dass sie erschrocken zu der schwarzhaarigen Fotografin sahen. „Was soll das, Enomoto? Erst zu spät kommen und dann noch die Mädchen aufmischen? Ich will eiserne Disziplin! Egal in welchem Alter.“ Sie warf der jungen Frau einen bösen Blick zu. „Sofort zurück an deinen Platz! Quatschen könnt ihr nach dem Shooting! Mein Zeitplan ist eng!“ Erbost drehte sie sich mit einem Zischen um und meckerte noch leise vor sich hin, während sie sich weiter um die Kulisse kümmerte.

„Warum darf ich denn nicht sagen, dass du mein Cousin bist?“ flüsterte sie dem Schwarzhaarigen ins Ohr und dieser seufzte. Nun musste er sie noch irgendwie einweihen.

„Weil ich’s undercover mache“, flüsterte er zurück. „Damit es nicht jeder weiß.“

„Ach so – du bist verrückt wie immer.“ Sie lächelte munter und tänzelte dann zu ihrem Stuhl.

„Entschuldigung, er ist ein guter Bekannter“, sagte sie zu der Visagistin und diese nickte. „Jetzt aber schön stillhalten.“ Zu der Brünetten war sie viel netter, als zu der Rotblonden. Das war etwas Persönliches.

Obwohl sich Shiori ruhig verhielt, bekam sie das Verhalten der Blonden durchaus mit. Sie fand es unmöglich und ziemlich gemein gegenüber der Rotblonden. Dass Menschen sich immer so streiten mussten. Nochmal mischte sie sich nicht ein, aber es reichte für einen negativen Eindruck gegenüber der Visagistin.

 

[Rachel Cooper (30 Jahre), Visagistin & Makeup-Artist]

 

Das war alles, was sie von ihr wusste. Und die strenge Fotografin war ihre Schwester.

 

[Macy Perez (26 Jahre), Fotografin & Model]

 

Man hatte ihr erzählt, dass sie schon viele Fotoshootings gemacht hatten. Richtige Profis also. Es war so aufregend, man hatte sie erst neulich gefragt, ob sie an einem Shooting für einen guten Zweck teilnehmen wollte. Sie sei so wahnsinnig hübsch und hätte eine natürliche Ausstrahlung. Jetzt war sie hier mit diesen fremden Menschen, da war Sêiichîs Auftauchen ihr gerade Recht. Wenigstens einen, den sie kannte. Natürlich war sie aufgeregt, es war zwar nicht ihr erstes Mal, aber sie hatte richtig Lust darauf.

Sie selbst modelte schon seit einiger Zeit, obwohl sie noch so jung war. In Japan fing man sehr früh damit an.

[Shiori Sawatari (16 Jahre), Model & Oberschülerin]

 

Dass sich ihre Wege kreuzten, war mehr oder minder Zufall. Sie musste unbedingt Yuichi erzählen, dass Sêiichî auch an der Kampagne des Tierschutzvereins teilnahm.

 

Nach dem Stillsitzen und sich schminken lassen, kam ein weiterer wichtiger Part. Das Umziehen. Die drei Models fuhren mit den Händen über den weichen Pelz. „Irgendwie will ich das nicht anziehen, das fühlt sich total falsch an…“

„Der Pelz, oder ihn zu tragen?“ fragte der Schwarzhaarige seine Cousine. „Der ist so was von echt.“

„Ja, genau. Dafür sind Tiere gestorben. Wer weiß unter welchen Umständen.“

„Genau darum geht es“, sagte die Blonde jetzt und griff sich einen der Pelze von der Stange. „Ihr sollt den auch nicht anbehalten, ihr seid schließlich Models, die gegen das Pelztragen sind“, verriet sie. „Ihr werdet den Pelz abwerfen.“

„Okay“, sagte der junge Mann, dabei war ihm noch nicht ganz bewusst, was das genau bedeuten sollte.

„Ich möchte, dass ihr in der Umkleide alles ablegt und nur den Pelz tragt.“

„Wie bitte?“ entrüstete sich die Rotblonde. „Wir sollen uns nackt ausziehen?“

„Richtig. Sie will richtig Action. Also tobt euch schön aus. Richtig mit Schmackes den Pelz runterwerfen. Aber keine Sorge, ihr bekommt Ersatz.“

„Und wie soll der aussehen? Ich ziehe mich doch nicht vor einer Kamera nackt aus“, sagte die 20-jährige, bekam wenig später aber einen tadelnden Blick.

„Dann kannst du direkt nach Hause gehen“, sagte die Blondine kühl. „Zimperliesen kann sie überhaupt nicht leiden.“

„Kann ich einen Bikini anziehen?“ entgegnete Shiori, ausziehen hieß ja nicht unbedingt, dass man gar nichts trug. Viele Models trugen zudem noch einen Hautfarbenen Anzug. Sie bezweifelte, dass auf den Fotos viel zu sehen sein sollte, es ging um etwas völlig anderes. Nämlich um die Auswirkungen in der Pelzherstellung. Dafür wurden rücksichtslos Tiere umgebracht. Das war schlimmer, als ein bisschen Haut.

Es war unglaublich, dass dieses junge Ding damit ankam und ihre ältere Kollegin sich so anstellen wollte. Da lächelte Rachel. „Das ist eine sehr gute Idee und durchaus machbar.“ Ihr Blick schwang auf die ältere Rotblonde. „Und du, ist das auch für dich in Ordnung?“

„Nein ist es nicht! Ich werde mich nicht ausziehen!“

So eine Zicke, sie lächelte noch ein bisschen breiter. „Gut, dann bist du raus.“

„Aber…“

„Solange du nicht völlig für die Sache brennst und dafür kleine Opfer in Kauf nimmst, bist du für diesen Job nicht geeignet. Es wird dich schon keiner fressen.“ Jetzt drehte sie den Kopf zur Seite, wo der Schwarzhaarige völlig perplex stand. „Oder hast du etwa Angst, er guckt dir etwas ab? Wir passen schon auf, dass er sich benimmt.“ Ihre Augen funkelten kurz, dann drehte sie sich zu ihm. „Zeig der Kleinen, was du zu bieten hast. Vielleicht überlegt sie es sich ja noch einmal.“

Ein stummes Nicken kam von ihm, dann zog er sich das Hemd über die Schultern aus.

Damit wurde es nicht besser. Wo es ihm nicht an Selbstbewusstsein mangelte, hatte dafür die Andere mehr als genug Probleme. Shiori hingegen strahlte ihn an. „Wow, du siehst ja richtig gut aus.“

„Vielleicht werdet ihr locker, wenn wir den Ersatzpelz hinzuholen“, kam von der Fotografin, die einen Blick hinter sich andeutete, wo zwei junge Frauen mit zwei Hunden kamen und diese von der Leine ließen. Beide waren neugierig und sprangen sofort wie wild um sie herum, dabei wedelten sie begeistert mit dem Schwanz. Shiori konnte sich nicht mehr zügeln, sie war hin und weg. „Awwww wie süß!“ Mit den Worten kniete sie sich zu den beiden sehr kleinen Shiba-Inus hinab und nahm einen hoch. Auch der Schwarzhaarige lächelte und streckte dem einen seine Hand hin. Er war vorsichtiger, aber nicht weniger begeistert. Der kleine, aufgeweckte Kerl sah an ihm hoch und leckte ihm schließlich ganz vorsichtig die Hand, da wagte auch er ihn hochzuheben und auf dem Arm zu halten.

„Es ist für einen guten Zweck, also spring über deinen Schatten“, sagte er zu der Rotblonden, die sich schon beim Anblick seines nackten Körpers schämen wollte. „Oder ist dein Freund nicht damit einverstanden, mhm?“ Er redete wie immer drauf los, wie ihm der Schnabel gewachsen war, er konnte ja nicht wissen, dass sie das nur mehr zickig werden lassen würde.

„Wieso muss der Grund ein Freund sein? Ich will es einfach nicht! Und wenn ich etwas nicht will, mache ich es auch nicht.“

„Sicher?“ Kenji drehte sich zu ihr und überreichte ihr einfach den Hund. „Auch nicht dafür, um Idioten davon abzuhalten, weiter Tiere zu töten, nur damit noch mehr Idioten Pelz tragen können?“

Der Kleine hechelte und sah sie mit seinen unschuldigen Hundeaugen an, da wurde sie tatsächlich ein bisschen weich. Traurig sah sie sich das Bündel an und strich ihm sachte über den Kopf. Er schmiegte das Köpfchen an sie und leckte dann einmal ihr Handgelenk.

Ihr war mehr als unwohl, aber sie nickte. Der Hund wurde runtergelassen und sie suchte sich eins der Kleidungsstücke, um sich umzuziehen. Dann verschwand sie in der Umkleide.

„Ich glaube, sie will es so gar nicht“, meinte Shiori. „Dabei ist sie sehr groß und hat eine schöne Figur. Kein Grund sich zu schämen. Im Schwimmbad zeigt man sich schließlich auch her, oder?“

Schlimmstenfalls war er hier das größte Problem. Er hatte auf Jami geschossen, das hatte sie nicht vergessen, bestimmt konnte sie ihn kein Stück leiden.

„Ich zieh mich dann auch mal um.“ Kurz darauf war auch Shiori in der Umkleide verschwunden.

Der junge Mann zeigte wachsende Begeisterung, noch einen Moment mit dem kleinen Kerlchen zu schmusen. Er musste sich schließlich nicht noch weiter umziehen. Er würde so bleiben.

Shiori kam viel eher wieder aus der Kabine und schien sich auch weniger zu genieren. Man musste ihr überhaupt nichts erklären. Sie zog sich den Pelz über und wollte gleich loslegen…

„Wo bleibt sie denn?“ fragte sie aufgeregt und ihr Cousin zuckte mit den Schultern, obwohl er sich denken konnte, dass sie sich nicht raus traute.

„Lass uns schon einmal anfangen“, warf Macy dem jungen, hübschen Typen zu, den sie nur zu gerne etwas länger mit ihrer Kamera einfangen wollte. Er zog sich den Pelz über und lief zu dem für das Shooting vorgesehene Set, um sich zu positionieren.

Wenig später begann bereits die Show. Er blieb nicht still stehen, sondern posierte auf verschiedene Art und Weisen, irgendwann währenddessen warf er den Pelz im hohen Bogen von sich. Eine Dame brachte ihm das Hündchen und er nahm es auf die Arme.

„So, Kleiner, jetzt bist du dran. Enttäusch mich nicht, ja?“ sagte er liebevoll und streckte ihm das Gesicht hin. Der Hund sah nicht ein still in seinem Arm liegen zu bleiben, sondern streckte sich hoch, um ihm wild übers Gesicht zu lecken. Kenji zuckte mit dem Kopf. „Nicht da lecken.“

„Da hat jemand dich aber lieb“, lachte die Fotografin – kein Wunder, dass sie auftaute. Er hatte verdammtes Talent. Ihn auf den Laufsteg zu schicken, wäre glatte Verschwendung gewesen, er wusste genau, wie er sich in Szene zu setzen hatte. Alles wirkte so natürlich und selbstbewusst. Auch Shiori war beeindruckt von seinem Auftreten. Es war eine Weile her, dass sie ihn gesehen hatte, damals war er noch schüchterner unterwegs, da hätte er sich nie im Leben einen Pelz vom Leib geschmissen.

Rachel schaute unterdessen nach ihrem anderen Model. Sie zog den Vorhang auf, sofort umschlang sie ihren Körper.

„Ach du liebe Zeit. Bist du sicher, dass Model der richtige Job für dich ist? Leute, die Probleme mit ihrem Körper haben, werden ihn auch nicht in Szene setzen können!“

„Na und? Es gibt auch andere Jobs. Ich muss mich nicht ausziehen!“

„Sie ist minderjährig, deswegen werden wir auch nicht drauf bestehen. Du nicht. Wenn du es nicht machen willst, okay. Dann geh doch wieder in dein wohlbehütetes Zuhause zu deinen reichen Eltern.“

Es machte sie irgendwie wütend, wie man sie degradierte auf reiches Mädchen, was wohlbehütet aufgewachsen war.

„Also?“

Es kostete sie so viel Mut, in ihrer spärlichen Bekleidung die Kabine zu verlassen. Auf dem Weg zur Kleiderstange konnte sie sich gar nicht schnell genug etwas zum Überziehen schnappen.

„Sehr schön“, lobte die Fotografin den jungen Mann und rief als nächstes Shiori zu sich. Diese kniete sich auf eine Matte und guckte völlig unschuldig in die Kamera.

Der unschuldige Blick passte nicht ganz dazu, wie sie sich vorne den Pelz aufriss und ihn weit vor sich streckte. So als wäre es etwas total Ekeliges. Dann warf sie sich zu Boden und blieb dort liegen.

„Bleib so!“ sagte die Fotografin und ließ ihren Partner bringen. Ein um sie herumspringendes Hündchen, was sehr auf Spielen aus war. Sie klopfte sich auf ihren flachen Bauch und der Kleine legte sich auf ihr nieder. Sofort begann die Fotografin beide abzulichten, während sie einander knuddelten. Sie herzte das Hündchen so unendlich und presste es sich schließlich sogar zwischen die Brüste. Das war der Moment, wo sie sich in verschiedenen Posen aufrichtete. Ein Bein angewinkelt, das andere lang, den Oberkörper bereits erhoben, behalf sie sich mit der Hand, mit der sie sich abstützte, mit der anderen hielt sie das kleine Fellknäul. Es war superleicht, also kein Problem, es mit einer Hand zu halten.

„Sehr schön.“ Die Fotografin drehte sich herum, da gefror der Rotblonden fast das Blut in den Adern. Sie wusste, von ihr wollte man mehr sehen, als von der 16-jährigen. Zögerlich und mit wenig begeistertem Gesicht ging sie auf das Set zu und begab sich in Pose.

„Jetzt will ich aber eine megamäßige Show sehen!“

Der Pelz wurde langsam abgelegt und zu Boden fallengelassen, dafür war sie umso schneller, die Arme vor den Körper zu nehmen und alles, was sexy gewesen wäre, zu verbergen.

„Oh je“, sagte Kenji dazu und merkte durchaus, dass sie nicht das Selbstbewusstsein hatte, um sich zu räkeln. Schade eigentlich, sie hatte attraktive Beine und war sehr schlank, das perfekte Model also. Nur leider traute sie sich gar nichts.

„Was soll das werden? Nicht so schüchtern! Stell dich etwa so hin“, machte die Fotografin, die schließlich ebenfalls Modelerfahrung hatte, ihr etwas vor. Das nervte sie ungemein.

Der Versuch ebenso souverän und körperbewusst dazustehen, war mehr schlecht als recht.

„Kenji, hilf ihr ein bisschen.“

„Ich glaube, das wäre keine so gut Idee, Miss.“

„Doch. Ihr zwei seid groß, ihr passt perfekt zusammen.“

Der Spruch ging der jungen Frau alles andere als gut rein. „Finde ich überhaupt nicht.“

„Und selbst wenn, es ist mir egal. Ich will Fotos von euch zusammen, also stell dich nicht an, wie die Primadonna, die bist du nicht!“ Jetzt warf sie dem jungen Mann einen scharfen Blick zu und dieser sputete sich. Schon alleine deswegen, damit es nicht die Falschen abbekamen. Es war offensichtlich, auf wen sie es abgesehen hatten.

Vanessa sah ihn an, als sei er der Staatsfeind Nummer eins, das machte es ihm nicht gerade einfach, sich ihr zu nähern. Er wagte ja kaum, eine Hand an sie zu legen. „Komm, stemme die Hand in die Hüfte und versuch die Beine nicht zu eng aneinander zu pressen.“ Es fehlte nur, dass er ihre Beine spreizte, dann hätte er vermutlich gleich ihr Knie sonst wo, oder eine Hand in seinem Gesicht.

„So geht das nicht!“ Macy schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Oh bitte, könnt ihr zwei ihr bitte zeigen, was ich sehen will?!“

„Wer ich?“ Shiori zeigte auf sich. „Und er?“

„Ja klar, vielleicht hast du weniger Berührungsängste.“

Sie hatte keinerlei Probleme, auch wenn er ein Fremder gewesen wäre, aber dass er keiner war, machte es noch einfacher, da lief sie schnellen Schrittes zu ihm hin. Auf dem Arm hatte sie das Hündchen, dieses hielt sie zwar fest, drückte es ihm aber auch ein bisschen entgegen. Ihre Körper berührten sich also nicht. Dabei sah sie ihn verzückt an. „Ist er nicht süß? Los komm, lass ihn uns gemeinsam kuscheln!“

„Leg den Arm um sie, Kenji!“

Er tat wie ihm geheißen wurde, obwohl er versuchte sich so professionell wie möglich zu geben. Es war ein Job, eine Arbeit. Er wollte diesen bestmöglich abschließen. Doch das Stück Playboy in ihm konnte er nicht abstellen, da rückte er Shiori mehr in seine Arme. Sie versuchten Vieles, scheuten sich nicht vor Experimenten, auch wenn es hieß, dass er seinen Traumkörper hinter ihrem versteckte und man nur noch seine Schultern und ganz wenig seines Körpers sah. Er umschlang sie und hielt sie fest.

„Oh ja. Faszinierend. Daran kannst du dir eine Scheibe abschneiden. Das ist Professionalität.“

Während Chenin das sagte, grinste Trincadeira mehr als hämisch. Sie wurde gnadenlos vorgeführt. Man hatte sie ja gewarnt. Wenn man bei denen nicht gut ankam, hatte man nichts Gutes zu erwarten.

„Ich frage mich, ob wir es überhaupt noch mit dir versuchen sollen“, sagte Chenin zynisch. „Das kannst du kaum toppen.“

Das wurmte sie unheimlich, was auch pure Absicht war. Da stampfte sie doch ein wenig unweiblich auf das Set zu und schob Shiori etwas unsanft von Kenji weg.

„Wenn du mich komisch anfasst, kannst du etwas erleben!“

„Chill mal...“, sagte er. „Wieso bist du so unentspannt? Es ist nur ein Shooting. Du tust ja so, als würden wir hier einen Porno drehen.“

„Ach, ihr Problem ist, dass du nicht ihr Freund bist. Daher weht der Wind. Dem würde sie sich sicher in die Arme werfen.“

Am liebsten wollte sie ihr zuwerfen, dass sie gefälligst die Klappe halten sollte. Kenji allerdings lächelte sie an. „Ach, so ist das? Und wenn du dir einfach vorstellst, dass ich dein Freund bin? Würde es dir dann leichter fallen?“

„Weiß nicht.“

„Worauf wartest du, Kenji? Ran an den Speck!“ rief die Fotografin zu beiden hinüber.

Ein Blinder würde merken, dass sie sie auf dem Kieker hatten und sich einen Spaß daraus machten, sie zu schikanieren.

„Ich verspreche dir, dass ich dich nicht unsittlich berühre, ok?“ flüsterte er. „Aber ich würde mich von den zwei Bitches nicht so rumschubsen lassen. Bring’s hinter dich und geh als Gewinner nach Hause.“

Kurz warf sie denen einen verärgerten Blick zu, dann drehte sie sich so von ihnen weg, dass sie nur ihn ansah. „Anscheinend bist du netter, als ich dachte.“ Es verwunderte sie, schließlich war es nicht lange her, dass er auf Kenichi geschossen hatte und wie ein ganz anderer Typ rüberkam. Sie war ihm dankbar, dass er ihr helfen wollte. „Nimm den Hund, ich schmieg mich dann an.“ Sie brauchten zwar ewig, doch sie hatten schließlich eine Position gefunden, die ihnen beiden einigermaßen angenehm war. Selbst wenn sie die 16-jährige als Konkurrentin sehen müsste, da sie nur Lob bekommen hatte, das änderte auch nichts an der Tatsache, dass sie Berührungsängste hatte und sie sich nicht überwinden konnte, allzu wildes Zeug zu tun, so wie es den Beiden sicher gefallen hätte.

Es ärgerte sie, dass man sie so damit treffen konnte, wie unfassbar schlecht sie darin war. Warum hatte sie sich überhaupt auf dieses Shooting eingelassen? Sie hätte es besser wissen müssen.

„Sie ist total verkrampft“, sagte Shiori bekümmert. Da entschied sie etwas total Verwegenes zu tun. „Es ist gar nicht so schlimm, wie du denkst!“ rief sie ihr mit einem Strahlen zu. „Er ist genauso niedlich wie das Hündchen! Stell dir einfach vor, er wäre eins! Und dann knuddle ihn so richtig!“

Das war ihrem Cousin peinlicher, als ihr, denn sie lächelte. Es war total nett von dem Mädchen. Total liebenswert, da nickte sie und schlang beide Arme um den jungen Mann. Es war ja für einen guten Zweck.

Mit einem Mal lief alles wie am Schnürchen. Offensichtlich kannte Shiori ihn besser, also vertraute sie darauf, dass es stimmte und er wie ein Hündchen war, was man liebhaben musste. Vielleicht übertrieb sie etwas mit dem Knuddeln, aber wenn das Ergebnis stimmte, konnte sie sich ja nicht beschweren. Nun blieben die ekligen Kommentare aus und man hörte nur viele Male den Auslöser, um so viele Bilder wie möglich zu schießen.

Trotzdem waren alle froh, als sie wieder aufhören konnten, aneinanderzukleben.

 

 

~Sie war voll unentspannt. Wir mussten sie so richtig ärgern. Vielleicht solltest du mal Eier in der Hose beweisen und sie so richtig durchnehmen. Sonst wird sie sich weiter zieren. Der Schleimer hat es aber geschafft sie zu beeindrucken, wie du siehst. Pass nur auf, sonst verlierst du sie an den Typen. Ist ein echter Leckerbissen, das merkt auch sie. ~

Gerade, als ihm die Nachricht gesendet wurde, war Kenichi damit betraut, jemanden für die Organisation zu überzeugen. Kein Dringlichkeitssignal hieß immer, dass man die Nachricht auch später lesen konnte, immerhin war seine Arbeit wichtiger, als irgendeine belanglose Nachricht. Er führte eine wohlhabende Onkologin durch ihre Forschungseinrichtung und erzählte ihr unglaublich viel über Krankheiten, die sie seit Jahren bekämpften. Dass Geld keine Rolle spielte, davon hatte ihr Oberster das Meiste in ganz Japan. Sie wirkte nicht so leicht zu beeindrucken, also musste er all sein Fachwissen kundgeben. Merlot stand lediglich mit im selben Raum und sah es sich an, wie er sich ins Zeug legte. Sie war beindruckt davon, immerhin war er gewissermaßen ihr Schüler – rein vom Medizinischen gesehen. Und diese hochmütige Frau hatte nichts Besseres zu tun, als auf ihn hinabzusehen, weil er ja erst 21 war. Sie machten gute Arbeit, sie alle, sonst würde man sie nämlich gar nicht erst beschäftigen. Als es ums Finanzielle ging, begann die Dame zu lachen und schüttelte den Kopf.

„Und Sie glauben, dass ich für Geld meine Seele herschenke? Ich habe genug gehört und gesehen. Selbst, wenn Wunder möglich sein sollten, sie haben immer einen Haken. Wie viele Menschen müssen sterben, bevor ein einziger gerettet werden kann? Die vergessen Sie leider.“

Yohko Iwamoto besah sie mit einem verärgerten Blick. Sie würden sie nicht direkt hier bedrohen, sondern sie anlächeln. Sie würde für sie arbeiten – dafür würden sie alles tun.

„Das ist wirklich sehr schade, es ist wirklich sehr vielversprechend. Es lohnt sich auf jeden Fall. Wenn Sie für uns arbeiten, können sie sich eine Menge mehr Luxus leisten, als jetzt schon. Sie sollen lediglich Ihr Wissen einbringen.“

„Junger Mann, meine Antwort heißt Nein und bleibt Nein. Das ist menschenverachtend. Und dagegen habe ich etwas. Suchen Sie sich jemand anderen, der bereit ist eine Menge Menschen zu opfern, denn so einfach, wie es Ihnen erscheint, ist es nicht. Wir reden von den verschiedensten Krebsarten. Tumore mutieren. So schnell ist Ihre Forschung auch wieder nicht.“ An Hokuspokus glaubte sie schon gar nicht.

„Schönen Tag noch.“ Dann ging sie und ließ die beiden Ärzte mit Enttäuschung zurück. Ihn traf das Ganze mehr, als die Chirurgin. Es war wirklich eine gute Sache, für die man aber auch kämpfen musste. Manchmal sogar mit unlauteren Mitteln.

„Wusstest du, dass sie eine bildhübsche Tochter hat? Du solltest dich mal mit ihr befassen, Kenichi. Du weißt ja. Sie ein bisschen beeindrucken, ein paar Mal ausgehen, sie vernaschen. Das Ganze Programm. Einschließlich der Videos.“

„Ja.“ Mehr sagte Kenichi nicht. Er drehte sich um und ließ auch Merlot einfach stehen.

So etwas zu tun gefiel ihm nicht. Aber der Zweck heiligte die Mittel, sagte man. Am Ende war diese Tochter noch total nett. Reiche Idioten mit ihrem Ruf und ihrem Ansehen zu erpressen, war allerdings eine seiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen – damals als er jung und dämlich gewesen war. Mittlerweile wusste er, dass reich nicht immer hieß, dass es skrupellose Menschen waren. Anokata war der mächtigste Mann Japans. Also ging diese Rechnung nicht auf. Dieser alte Mann hatte ihn davor bewahrt, dass man ihn noch irgendwann zu Tode prügelte. Und auch sein Schwarm war ein reiches Mädchen und total nett. Er bekam das Gefühl, dass nicht alles immer richtig war, was sie taten. Aber vor Merlot sollte man Gewissensbisse tunlichst vermeiden. Er wollte vor ihr seine Schwachstellen nicht ausbreiten. Sie war selbst absolut skrupellos. Nur, weil sie eine Schwäche für ihn hatte, bedeutete nicht, dass sie ihm nie schaden würde. Yuriko hatte auch eine Schwäche für ihn gehabt – und was hatte dieses Weib ihm angetan? War zum Trost und weil sie ihrem Vater eins auswischen wollte, mit ihm ins Bett gegangen und hatte es sich mit ihm gut gehen lassen. Trotzdem leugnete sie alles, dabei wusste sie, dass er in sie verliebt gewesen war. Schwer verliebt damals mit 15. Sein Vertrauen in Menschen war sehr gering bemessen. Menschen waren manchmal grausam. Zu anderen und zu sich selbst.

Als er durch die Schiebetür gegangen war und seine Sachen aus einem Spint geholt hatte, griff er in die Hosentasche und checkte die Nachricht.

Was sollte der Scheiß denn nun wieder? Hatten die nichts Sinnvolles zu tun? Und er riss sich immer den Arsch auf, um etwas Sinnvolles zu tun und die wertvolle Zeit, die er auf der Welt verbrachte, nicht zu vergeuden.

Trincadeira war ein elendiges Miststück, bei dem man nie wissen konnte, worauf sie gerade aus war, wenn sie einen zu ärgern begann.

„So richtig ärgern, huh?“ Und wie sah dieses Ärgern aus? Wenn er sie fragte, wie es gelaufen war, was würde sie da wohl sagen? Sicher nicht, dass es schlecht war. Sie wollte ja schließlich auch etwas Sinnvolles tun. Die Kampagne war ihr persönlich wichtig. Das durfte ihr keiner versauen. Und wenn er Cognac fragte? Schließlich war er wohl auch dort gewesen. Grimmig betrachtete er die Fotos. Sie sahen echt gut zusammen aus. Aber Seyval konnte auch verdammt gut neben Männern aussehen, die sie eigentlich hasste. Aus dem Grund wollte er das, was Trincadeira ihm da mitteilen wollte, nicht zu nah an sich heranlassen. So ein draufgängerischer Spinner hatte unter Garantie keine Chance bei ihr.

Eier in der Hose sollte er haben und es ihr besorgen. Trincadeira stand wohl auf gewalttätige Männer, oder wie hatte er das zu verstehen? Denn er, der wartete, dass sie es von sich aus wollte, hatte ja keine Eier. Die konnte ihn kreuzweise – trotzdem ärgerte es ihn ungemein, dass sie ihm solche Sprüche reindrückte. Hatte er der mal was Persönliches getan? Nicht, dass er wüsste. Er antwortete ihr nicht einmal. Sie war nicht wichtig, das dachte sie höchstens selbst.

 

~Wir müssen uns treffen und reden.~

 

Shiori hatte darauf bestanden, sich noch ein bisschen privat mit ihrem Cousin zu vergnügen, aber sie war fähig, zu teilen, deswegen bot sie der 20-jährigen an, dass sie mitgehen konnte. Sie wollten in ein Café und dort ein wenig plaudern – erst einmal.

„Das ist sehr lieb von dir, wirklich. Aber ich glaube, dein Freund möchte lieber ein bisschen was allein mit dir machen.“

Die Brünette sah ihren Cousin an, verwirrt und sprachlos. „Wieso? Sie ist total nett! Deswegen muss sie mit. Bitte.“

Der 17-jährige seufzte schwer und lächelte dann. „Na gut. Wenn du Freundschaft mit ihr schließen willst?“

‚Wir kennen uns kaum, warum sollte sie das wollen?‘

Ihr ganzes Leben war sie eine stille Außenseiterin gewesen, deswegen war sie vollkommen verwirrt und misstrauisch. Allerdings schien es durchaus Shioris Ernst zu sein. Sie wollte sie tatsächlich mitnehmen und besser kennenlernen.

Kenji linste aufs Handy und sah die Nachricht, die ihn erreicht hatte. „Jemand will sich mit mir treffen. Ich glaub, das verschieben wir.“

„So wichtig?“

„Ja, wegen der Arbeit. Macht’s gut. Viel Spaß im Café.“

Kürzer konnte sich dieser Typ nicht halten, oder? Reden? Worüber denn? Darüber, dass er ihn fast umgebracht hätte? Was sollte er dazu sagen? Der wollte es doch jetzt nicht richtigstellen. Er wollte keine faulen Ausreden hören. Gewalt an Frauen war falsch und zwar grundlegend. Das würden sein Vater und Yuichi auch so stur betrachten. Er vergaß niemals, was ihm beigebracht worden war.

Shiori lief ihm nach und umarmte ihn von hinten. „Aber nicht wieder irgendwohin verschwinden, ja?“

„Mhm?“ fragte er geistesabwesend und reagierte nicht sofort auf die Umarmung. Bei ihrer Attacke von hinten konnte sie einen Blick aufs Handy werfen.

„Wer ist Jami?“ fragte sie neugierig und der Schwarzhaarige zuckte erschrocken.

„Hey, nicht meine Nachrichten lesen!“ sagte Kenji mit einem leicht verärgerten Ausdruck im Gesicht, aber man sah trotzdem, dass er ihr nicht böse sein könnte. Mit einer weiteren neugierigen Person rechnete er nicht.

„So? Er hat dir geschrieben? Und was will er?“ Sie lächelte und Shiori wunderte sich schon, dass sie diese Person kannte.

„Ist das so ein Nickname?“

Kenji konnte nicht glauben, dass sie so naiv war, wollte es ihr aber auch nicht erklären. „Ja, so etwas in der Richtung.“

„Bestell ihn doch her. Vielleicht ist es ja nur halb so dringend, wie es klingt.“

Toller Vorschlag, damit seine Cousine direkt wusste, wer er war. Sêiichî bezweifelte, dass sie sein Gesicht vergessen hatte. Die Sache gefiel ihm nicht.

„Das ist keine gute Idee, Miss Fairchild“, sagte er und ließ dabei einen minimal brummigen Ton einfließen. Damit sie kapierte, warum nicht.

„Hast du Geheimnisse vor mir?“ fragte die Brünette ihn jetzt traurig. Ihre Miene wurde so traurig, dass er befürchtete, sie weinte gleich.

„Nein, denk doch nicht so was! Aber – ähm – er ist nicht so gesellig, weißt du?!“

Vanessa zog die Augenbrauen zusammen. Sie hatte ihn durchaus aufgeschlossen kennengelernt, da stimmte etwas nicht. Zudem bekam der junge Mann einen leichten Schweißausbruch, weil er sich versuchte herauszuwinden.

„Kann es sein, dass er ein Hühnchen mit dir zu rupfen hat und wir das nur nicht mitkriegen sollen?“ wollte die Frau dann mit verschränkten Armen wissen. Sein Gesicht versteinerte sich. Volltreffer. Da nahm sie ihr eigenes Handy und schrieb ihm so schnell eine Nachricht, dass der Schwarzhaarige es einfach nicht verhindern konnte.

~Cognac ist bei uns. Sind vor dem Studio~ Das komm her schenkte sie sich. Er würde wissen, dass sie meinte, er sollte sie hier direkt treffen, statt ihn alleine.

„Hast du ihm jetzt etwa geschrieben?“

„Ja, habe ich.“ Grimmig besah sie ihn, dann ging ihr Blick zu Shiori über, wo dieser vollkommen nett wurde. „Er ist ein netter Kerl. Du wirst ihn mögen.“

„Oh man“, seufzte Kenji und klatschte sich gegen die Stirn. „Aber du, Shio. Nicht meinen Spitznamen sagen. Egal, wer da gleich kommt.“

„Was ist bloß los mit dir? So kenne ich dich ja gar nicht“, tat Shiori schockiert von der Tatsache, dass sie ihn nicht Sêi-chan nennen sollte.

Er konnte hier ja schließlich schlecht sagen, dass Kenichi nicht wusste, dass sein richtiger Name nicht Kenji war.

„Wie nennst du ihn denn? Ken-chan? Das wäre total lustig. Dann haben wir gleich zwei davon.“

‚Sagst du all denen etwa nicht deinen richtigen Namen? Aber wieso?‘ Hatte er nicht gesagt, er sei undercover unterwegs? Tat er das wegen seiner Familie? Damit sie nicht mit dem Ruhm, den er vielleicht als Model erntete, gestresst wurden? Etwas anderes konnte sie sich gerade nicht vorstellen.

„Kommt, lasst uns in das Café gehen. Schreib ihm eben einfach, dass wir jetzt ins Arisu gehen und er uns da treffen kann.“ Der junge Mann wurde am Arm genommen und einfach mitgezogen, was er sich auch widerstandlos gefallen ließ.

Während ihre Begleiter bestellten, sendete Shiori unter dem Tisch auch heimlich jemandem eine Nachricht. Bestimmt würde sich Sêiichî sehr freuen, wenn sie ihn auch herbestellte, denn er vermisste ihn garantiert genauso sehr, wie sein kleiner Bruder… Danach würde sie alle zum Karaoke schleppen, jedenfalls nahm sie sich das vor. Einfach, um mal wieder Spaß zu haben. Das Leben war düster genug für alle gewesen.

 

Die besagte Person befand sich gerade im Fitness-Studio. Er hatte nicht gerade wenig Feinde. Und wer rastete, der rostete. Selbst, wenn man nicht schwach war, durfte man nie den Fehler machen, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Das bereute man früher oder später.

Als die Nachricht von seiner Cousine kam, hatte er gerade das Gewichtheben beendet und wollte einen Schluck trinken.

Immer, wenn sie ihm schrieb, musste er grinsen. Ihre gesamte Art brachte ihn oft zum Lachen. Gerade ging es ihm einigermaßen gut, da brauchte er diese Aufmunterung nicht wirklich, aber er war trotzdem froh, wenn sie an ihn dachte.

Doch, was sie diesmal schrieb, ließ ihn groß gucken.

~Du wirst es nicht glauben, Yu! Ich hab Sêiichî im Fotostudio getroffen!! Wir sind jetzt ins Café um die Ecke gegangen! Ins Arisu! Oh bitte, bitte, du musst unbedingt herkommen, wenn du Zeit hast!! Wir haben schon so lange nicht mehr zusammengesessen!!~

So viele Ausrufezeichen und ein Verneig-Emoticon, das ihre Bitte noch einmal verdeutlichen sollte. Durch die vielen Ausrufezeichen merkte er, dass sie aufgeregt war und sich ziemlich freute, Sêiichî getroffen zu haben, deswegen durfte er da natürlich nicht fehlen. So etwas in die Richtung dachte sie sicher. Der 19-jährige lehnte sich zurück, verschränkte die Finger hinter dem Kopf und starrte an einen undefinierbaren Punkt Richtung Decke. Wie er wohl reagieren würde, wenn er tatsächlich aufkreuzte?

Für ihn stand eigentlich fest, da er heute keine wichtigen Termine hatte, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Wenn sie nur wüsste, dass er ihm am liebsten an die Gurgel gehen wollte, weil er so fahrlässig war, um ihren Leuten zu nahe zu kommen. Wenn sie ihn mit Sêiichî treffen wollte, dann sollten sie wohl besser nicht streiten. Dann wurde sie nur traurig. Aber er konnte sich ja zusammennehmen. Solange sie da war…

 

Das Arisu war weder vom Universitätskrankenhaus, noch von der Forschungsabteilung oder dem Fitness-Club weit entfernt. So dauerte es nicht lange, bis sie in einem der Parkhäuser ihre Autos abstellten und mit dem Aufzug nach oben fuhren. Zum Glück kamen sie nicht zur gleichen Zeit an, einer von beiden wäre bestimmt am Ende noch geflüchtet. Erst beim Café rannten sie beinahe ineinander.

Ein Blinder hätte gesehen, dass sie nicht weniger begeistert sein konnten, sich zu sehen. „Hast du nicht zu tun?“ wollte der Jüngere von dem Älteren wissen und dieser sah ihn sofort verärgert an. „Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich habe ein Date.“

„Ach, was du nicht sagst?“ Warum genau waren sie eigentlich so eklig zueinander? Das wussten sie manchmal selbst nicht so genau. Der angehende Arzt hatte ja schließlich damit angefangen. Er schoss bloß zurück. Wann auch immer sie sich trafen. Er hielt sich für etwas Besseres, jedenfalls versuchte er allen immer weiszumachen, dass es so war. Ihm ging er damit nur auf die Nerven. Da war man froh, wenn man einander nicht sehen musste. Und dann lief er ihm noch ins Café hinterher. Kaum, dass sie am Tresen vorbeigingen, drehte sich der 19-jährige herum. „Verfolgst du mich, oder so?“

„Leidest wohl unter Verfolgungswahn, wie? Ich sagte doch schon, ich bin hier verabredet!“

Hoffentlich schön weit weg von ihnen. Leute, die ihre neugierige Nase immer in fremde Angelegenheiten steckten, konnte er nicht in seiner Nähe gebrauchen, aber er konnte ihn schließlich auch nicht aus dem Café jagen. Selbst dann nicht, wenn er sich am Tisch nebenan niederlassen würde, um seine widerlichen Flirtsprüche bei der Nächsten abzuziehen. Er war penetrant und vor allem eines: Eingebildet für Zehn. Ach, und natürlich besser als er selbst. Wenn es ihm nur darum ging, konnte man dem auch nicht mehr helfen. Dieses Bessersein hatte ihm schließlich schon mal nur Ärger eingebrockt.

Yuichi sah schon von weitem die wild winkende Shiori. Jedoch nicht nur sie, eine zweite Frau, die er von so weit entfernt nicht sofort erkennen konnte, wank ihnen ebenfalls sehr energisch. Zumindest sah es so aus. Dann bemerkte er die Person neben sich, die immer schneller wurde und dann schließlich sogar an ihm vorbei huschte, wie ein Blitz. Da guckte er schon nicht schlecht.

„Na endlich!“ sagte die rotblonde Frau zu diesem. Yuichi war einfach stehengeblieben.

„Los komm, setz dich hier neben mich!“ forderte sie und er musste auf eine Bank neben sie rutschen. Rechts davon saß Sêiichî, der mit einem Mal verstummt war. Bis eben hatte er sich noch angeregt mit ihnen unterhalten. Shiori stand auf, nahm sich Yuichi an den Schultern und schob ihn neben Kenichi und Sêiichî. „Guck mal, wer da ist, Ken-chan!“

Sie ließ sich nichts anmerken. Yuichis Augen lugten nur einmal kurz zu seinem Nebenmann. „Hi“, sagte er völlig überrumpelt in die Runde, nicht direkt an die Person neben ihm gewandt, aber man konnte auch nicht sagen, dass er ihn nicht meinte.

„Überraschung gelungen?!“ Shiori blinzelte mit den Augen. Konnte man wohl so sagen.

„Also ehrlich, was für ein Zufall.“ Nun musste dieser Typ noch total die Show abziehen. Er verdrehte die Augen. Ja, klar. Hier waren Frauen, da benahm man sich.

„Eine größere Runde konnte es nicht sein, oder Shio-chan?“ fragte Yuichi, seine Arme wurden verschränkt. „Ich dachte, wir seien im Kreise der Familie.“

„Sei nicht so ein Stoffel. Das ist ihr Freund!“

„Aha.“ Die machte ihn fertig. Wollte Sêiichî vielleicht auch mal was sagen? Sein Blick ging auf den Tisch und er wirkte nicht so begeistert. Manchmal war der Junge komisch, deswegen konnte er nicht gleich zweifelfrei feststellen, was sein blasses Gesicht zu bedeuten hatte.

Und dann kam diese Hand, die ihn antatschte. Er zuckte kurz und sah zu dem grinsenden Kerl. „Ich störe doch nicht etwa?“

Das hätte er wohl gern.

„Warum solltest du ihn denn stören? Kennt ihr euch?“ wollte Shiori wissen, legte den Finger ans Kinn und dachte nach. Denn irgendwo hatte sie ihn schon mal gesehen, aber wo nur?

„Wir kommen alle aus dem gleichen Kaff“, sagte Kenichi. „Haben quasi ganz in der Nähe voneinander gewohnt.“

Du hast in einem Kaff gewohnt, wir wohnten weiter draußen“, korrigierte Yuichi den 21-jährigen, der jetzt schwieg. Das Du war ganz schön barsch gekommen.

„Der guten alten Zeiten Willen lade ich euch alle ein!“

„Großartig“, murmelte Sêiichî, kaum hörbar. Also er merkte, wenn jemand genervt von ihm war, dieses Talent hatten offenbar nicht alle am Tisch.

Es war eine gute Gelegenheit und die wurde komplett ausgenutzt.

„Oh, das ist aber nett von deinem Freund“, sagte Shiori und faltete die Hände. Es war sogar ernst gemeint, ganz anders als es vermutlich bei ihm der Fall war.

Während Yuichi eher ruhiger wirkte, kam Sêiichî Kenichi vor, als sei er völlig aus dem Häuschen. Er verstand nicht wieso, aber er benahm sich merkwürdig fröhlich. Das hatte er, seit er ihn in der Organisation getroffen hatte, noch nie erlebt. Er war meistens schlecht drauf, oder neutral, aber nie so übertrieben gut.

„Was wollt ihr alle trinken?“

„Nichts.“

Sêiichî sah jetzt offensichtlicher zu Yuichi. Obwohl er es kaum gewagt hatte, ihn anzusehen, tat er das jetzt, als er so trocken antwortete, er wollte nichts trinken. Weil es ihn nervös machte, hatte er den Blickkontakt vermieden. Er hatte nicht einmal gefragt, wieso Shiori ihn anders nannte. Wusste er es also schon? Und sie könnten hier nicht darüber reden. Nicht solange Retsina und Jami am Tisch saßen.

„Der ist immer so ein Stoffel“, sagte Kenichi zu der Rotblonden und diese lachte hinter vorgehaltener Hand.

„Lieber Stoffel als Angeber.“

„Hey, aber ihr wollt euch jetzt nicht gleich prügeln, oder?“ fragte Shiori bestürzt über die Feindseligkeiten.

„Möchtest du etwas trinken, Shiori? Ich bestell dir was.“ Hauptsache, sie blieb keinem Kerl was schuldig, der hier völlig auf dicke Hose machte, nur weil es sich um Frauen handelte. Er war sonst nicht voller Vorurteile, davon hielt er Abstand, aber es war offensichtlich.

„Aber er hat uns gerade alle eingeladen…“

Dieses traurige Gesicht, das ertrug er kaum. Aber er wollte es auch nicht erklären. Es gefiel ihm nicht, dass seine teils doch recht naive Cousine von einem Typen eingeladen wurde, der schon jede Menge schlimme Dinge getan hatte, gerade mit naiven Frauen. Am Ende nutzte er das noch, um ihm eins reinzuwürgen. Shiori ließ zwar nichts auf ihn kommen, aber der Typ konnte eines ganz besonders gut: Überzeugend sein. Besser sie hielt sich von solchen Typen fern.

„Weißt du, Shio-chan, Yu-chan will dich aber selbst einladen. Kenichi ist ein völlig Fremder. Du solltest dich nicht von fremden Kerlen, die so viel älter sind, einladen lassen.“ Sêiichî fühlte sich dazu genötigt, Yuichi beizustehen. Man sah an Kenichis Gesicht, dass er davon mehr als verstört war.

Diesmal redete er nicht, er legte die Hand unter das Kinn und beobachtete die zwei jungen Männer. Da war etwas absolut Seltsames im Gange.

„Ach Yu-chan, ich pass auf mich auf“, sagte Shiori mit einem Lächeln. „Du musst mich nicht beschützen. Und außerdem hat er ja schon eine Freundin.“

„Ähm…“

„Also so ganz richtig ist das nicht. Wir sind bloß gute Freunde“, korrigierte Vanessa Shiori daraufhin, „aber sehr gute.“

‚Na, das kann ja heiter werden. Jetzt kriegt er bestimmt schlechte Laune.‘ Hochmut kam ja vor dem Fall. Dem Kerl schadete nicht, dass man ihm mal ein paar Dinge klarmachte.

„Ehrlich? Aber war das nicht der Mann, an den du gedacht hast, als du dich überwunden hast, auf den Fotos ganz eng mit Kenji zu posen? Als du dir vorstellen solltest, es sei dein Freund?“

„Das ist wirklich interessant“, grinste Kenichi ihr ins Gesicht und sie starb fast vor Scham, dass Shio so drauflos plauderte.

„Welche Fotos denn?“ fragte Yuichi belustigt. Ob sie jetzt mit Cognac posierte oder mit Jami, das tat sich nicht viel. Fast war er so weit, sie vor beiden zu warnen.

„Also ich hatte einen Bikini an und sie ein bisschen weniger…“

Darauf konnte keiner so recht reagieren, da die Kellnerin kam und die Bestellung aufnehmen wollte.  Es wurde geschwiegen, aber wenn Blicke töten könnten, wäre Sêiichî jetzt bestimmt mit einer Herzattacke vom Stuhl gefallen. Sein Blick war nicht gerade freundlich, konnte man sagen. Selbst schuld, wenn Sêiichî immer so etwas machte.

Yusuké Otaké war vielleicht harmlos, auch wenn er ihn verabscheute, bei Jami konnte man sich da nicht sicher sein. Er war jemand, der zwischen den Stühlen saß. Mal hatte er hier Freunde, dann dort. Der war sich nicht mal zu schade, sich mit Idioten wie Tokorozawa abzugeben, Hauptsache er hatte irgendeinen Freund. Das kam eben nicht gut an, schon gar nicht bei ihm, der sich seine Freunde ganz bewusst aussuchte. Bei solchen wusste man einfach nie woran man war, deswegen hielt man sich von ihnen fern. Nur, weil er jemanden kurzzeitig seinen Freund nannte, hieß das nicht, dass es so blieb. Unter normalen Umständen würden Sêiichî und Kenichi sich höchst wahrscheinlich verstehen, aber leider reagierte der Kerl allergisch auf andere, die in seinem Revier jagten. Er hatte seinen Blick genau gesehen. Gerade wollte er Cognac doch am liebsten mit der Faust ins Gesicht schlagen, weil er ihr so nahegekommen war.

„Die beiden Bitches haben auch nicht lockergelassen. Die sind sie richtig hart angegangen. Ich hab’s nicht ausgenutzt, ehrlich!“ sagte der 17-jährige. Na, ob man ihm das glaubte? Er hatte von Cognac gehört. Und was das war, hatte ihm alles andere als gefallen. Der probierte es bei jeder, sogar bei Damen, die tabu waren. Also, er nahm sich einiges raus und ausgerechnet bei Retsina hatte er nichts versucht? Das kaufte er ihm nicht ab. Der Kleine hatte doch jetzt bloß Schiss.

„Klingt, als hättet ihr jede Menge Spaß gehabt“, schlussfolgerte Yuichi ironisch, denn er wusste zumindest, dass eine gewisse Chenin Fotografin war. Vermutlich war sie es wirklich gewesen.

„Wie war dein Eindruck, Shio?“

Auf die Frage hin, sah sie traurig aus. „Ich bestell mir erst was zu trinken, dann erzähle ich in Ruhe, was da los war.“

„Das interessiert mich auch, Süße“, pflichtete Kenichi bei. „Für uns eine Flasche Wein.“

„Eine Ganze? Dann kannst du sie wahrscheinlich nach Hause kutschieren.“ Yuichi schüttelte den Kopf. Vor allem, dass sie lächelte und ihm echt vertraute. Wäre er eine Frau, wäre er da mehr als vorsichtig.

„Ach, ich dachte, du trinkst mit uns. Wo wir uns doch so gut verstehen. Meinst du echt, ich will sie abfüllen? Man bestellt aber nicht bloß ein oder zwei Gläser Wein, sondern eine Flasche.“

„Alter Klugscheißer. Kein Wunder, dass dich nie einer leiden konnte, außer dieser Vollidiot!“ Yuichi war immer ehrlich, obwohl viele Menschen damit nicht umgehen konnten.

„Sicher, dass der Vollidiot mich leiden konnte?“

Eine sehr verbitterte Meinung, wie er fand. Zum Glück war er sich selbst sicher, dass seine so genannten Freunde ihn auch wirklich leiden konnten. Ansonsten strich er sie einfach aus seinem Freundeskreis. Der war sowieso überschaubar.

„Er ist ja auch klug, wieso darf er das nicht zeigen?“ wollte Vanessa jetzt direkt von Yuichi wissen, dieser seufzte. War das ihr Ernst? Sie störte das kein bisschen, dass er alles besser wusste?

„Ab und zu mal, aber er tut das ja ständig. In der Schule haben sie von ihm gesagt, dass er bald noch den Lehrern erklärt, wie sie zu unterrichten haben. So schlimm war er.“

„Das ist wie mit Erwachsenen. Sie haben immer Recht. Ich fand das eben nicht gerecht.“ Als Kenichi das sagte, sah er nicht Yuichi an, sondern Vanessa. Ihn musste er hier schließlich nicht beeindrucken oder sich verteidigen, höchstens bei ihr. Sie war ihm wichtiger.

„Mit der Wahrnehmung haperts noch, glaube ich. In aller Regel haben Erwachsene schließlich Recht. Oder würdest du sagen, dein Vater hatte Unrecht?“

„Lasst uns das Thema wechseln.“

Der Wein kam und dieser wurde vom Kellner direkt geöffnet. Kenichi hatte keine Lust von seinem Vater zu reden. Am Ende wurde er nur sauer. Keiner sollte wissen, wie prägend sein Vater tatsächlich für ihn gewesen war. Und seine Mutter erst.

„Ist dein Vater ein wunder Punkt für dich?“ Es war so unglaublich, dass Shiori das fragte, aber Yuichi wunderte das überhaupt nicht. Sie war so empathisch, dass sie so etwas immer sofort merkte.

„Ich glaub, er will wirklich nicht darüber reden“, sagte Vanessa und legte ihre Hand auf seine. Shiori lächelte. Also sie glaubte ihr kein Wort, von wegen nur Freunde.

„Sag mal. Wieso bist du eigentlich hier?“

„Shiori hat mir geschrieben, dass ich herkommen soll, weil du auch da bist, Kenji.“

„Und da bist du hergekommen?“ Es war etwas Undefinierbares in Sêiichîs Stimme. Fast schon verräterisch. Außenstehende würden es wahrscheinlich nicht heraushören, aber diejenigen, die ihn gut kannten, würden es tun. So, wie er.

„Natürlich. Es ist ganz schön lange her, dass wir uns gesehen haben.“

Sein Gesicht erhellte sich. Also hatte Sêiichî immer noch die gleichen Probleme wie früher. Er dachte, überhaupt nicht wichtig zu sein. Yuichi wäre sowieso gekommen. Wenn Shiori ihn sehen wollte, tat er das meistens. Aber, dass Sêiichî auch da war, war nur ein Grund mehr, zu kommen. Konnte er das am Ende nicht fassen, dass er so wichtig war? Er war solch ein Chaot. Und der wollte jetzt bei ihnen mitspielen? Das war beängstigend. Ohne Selbstvertrauen konnte man sich in der Organisation nicht gut verkaufen. Und, wenn man das nicht konnte, war man nicht brauchbar. Er hoffte, dass Sêiichî sein geringes Selbstbewusstsein nicht jeden spüren lassen würde. Das konnte einem schneller zum Verhängnis werden, als man schauen konnte. Die schwächsten Schafe erkannten sie immer ziemlich schnell. Nicht umsonst bestand die Organisation aus jeder Menge talentierter Leute, die meistens überdurchschnittlich intelligent waren. Sie suchten regelrecht nach Wunderkindern. Ihm war völlig schleierhaft, wie Chardonnay sich so von seinem Hass leiten lassen konnte, einen unterbelichteten Depp in die Organisation bringen zu wollen. Hätte er Ahnung, von dem, was er tat, hätte er den Musterschüler genommen. Aber alles wonach der Kerl strebte, waren Verbündete, meistens sehr gewaltbereit. Dazu war Jami natürlich nicht gut. Er war kein Schläger. Als ob das alles war, was zählte. Deswegen tanzte der Bengel dem Alten ja auch auf der Nase herum. Manche sagten sogar, er hätte sich nach oben geschlafen. Er war sich da nicht so sicher, schließlich hatte Vermouth ihre Finger mit drin. Wie weit die ging, war mehr als bekannt. Wer wusste schon, ob sie ihn nicht einfach beim Boss vorgeschlagen hatte. Leute, die Vermouth an Land zog, landeten meistens ziemlich weit oben. Sie hatte ein Händchen für so etwas. Anders als Chardonnay war sie in dieser Hinsicht intelligent. Manchmal beängstigend intelligent. Kein Wunder, dass sie so unbeliebt war. Von den ganzen Leuten, denen sie schon mal was Persönliches getan hatte, ganz zu schweigen.

 

Shiori schlürfte einen Fruchtcocktail ohne Alkohol.

„Jetzt erzähl doch mal. Was lief da ab beim Shooting?“

Sie stoppte und sah zu Yuichi auf. „Ach, die Zwei haben auf ihr herumgehackt, weil sie sich weigern wollte, sich nackt fotografieren zu lassen. Ich glaube irgendwie, dass sie etwas gegen sie hatten. Oder so. Zu mir waren die nett.“

„Ah ja“, äußerte sich Kenichi dazu und nahm sein Glas Wein, um es sich an die Lippen zu setzen. Ein Hoch auf die Gedanken des Typen, der sich natürlich nichts anmerken ließ. Es war allseits bekannt, dass ihm etwas an Retsina lag. Bestimmt war er jetzt nicht so begeistert, das zu hören. Oder wieso musste er gleich einen Schluck nehmen?

‚Scheinbar muss man Trincadeira mal tatsächlich ein bisschen ärgern. Wie sagte sie so schön, sie mussten sie richtig ärgern. Die weiß auch nicht, wann genug ist, missgünstiges Weib!‘ Kenichi erinnerte sich ziemlich genau, was Vermouth zu ihm gesagt hatte. Retsina hatte in der Organisation keinen. Bacardi kümmerte sich nicht wirklich um sie, Seyval war selbst zu feige für Krawall, also blieb alles an Vermouth hängen. Aber die Gefahr lauerte überall. Auf der einen Seite waren da die Mistkerle, die Frauen verängstigen, dann waren da aber auch ihre Miststücke, die es ebenso gut verstanden, guten Frauen den Tag zu versauen. Er wollte am liebsten schimpfen, dass sie sich so von denen ärgern ließ, dass es in diesen Fotos geendet war. „Habt ihr eigentlich noch mehr Fotos von dem Shooting?“

„Ja, klar, die waren cool, deswegen habe ich mir Abzüge geben lassen“, meinte Shiori, was ihrem Gegenüber nicht besonders gefiel, wie man an seinem Gesichtsausdruck merkte.

„Kann ich sie sehen?“

Sofort spannte die Frau neben dem Schwarzhaarigen den gesamten Körper an. Yuichi sah es. Wieso machte sie so etwas, wenn es ihr schon einem guten Freund gegenüber unangenehm war? Nur, weil ein paar komische Tussis sie triezten?

Shiori öffnete ihre Tasche und legte die Bilder auf den Tisch. Auch Yuichi griff sich frech eins davon. „Alter Falter“, sagte er dazu, da vergrub Vanessa das Gesicht in den Händen.

„Deinem Verhalten nach zu urteilen wolltest du es wohl nicht wirklich, aber sie haben dich unter Druck gesetzt“, analysierte Kenichi, während er eins nach dem Anderen ansah. „Gut sind sie geworden, aber wenn du es nicht wolltest, sollte man vielleicht etwas dagegen unternehmen, dass sie verwendet werden. Man macht manchmal dummes Zeug, wenn man jung ist.“ Bei einem Bild reckte er den Hals und bekam große Augen. „Und du hast echt an deinen imaginären Freund gedacht?“ Es war nicht zum Lachen, aber er grinste. Strafe musste irgendwie ja auch sein. Deswegen hörte man schon ein bisschen Belustigung aus der Stimme des 21-jährigen. „Wie wenig hattest du eigentlich wirklich an? Kommt mir sehr nackt vor.“

Es war nicht besonders nett und am liebsten wollte Yuichi seinen Nebenmann dafür boxen, dafür, dass er sie nun noch ärgerte. Merkte der denn nicht, dass sie gleich anfangen würde zu weinen. Warum eigentlich nicht? Er verpasste ihm einen Hieb in die Seite und schenkte ihm einen bösen Blick, kurz darauf wurde der Kopf geschüttelt. Der würde schon ganz genau verstehen, was er meinte. Ohne ein Wort sagen zu müssen.

„Ich weiß“, sagte die Rotblonde mit einem Schniefen, allerdings traute sie sich gar nicht zu sagen, dass sie obenrum nichts angehabt hatte – schon gar nicht auf dem Foto, das er mit Sicherheit gerade angedeutet hatte.

„Naja lieber nackt als Pelz und so – trifft es auf den Punkt.“ Sêiichî sagte nur, wie es war.

„Wie gut, dass du dich nicht auch ausgezogen hast!“ sagte Yuichi, sonst würde am Ende noch Shiori hier sitzen und heulen.

„Ach, jetzt fang nicht an zu weinen.“ Kenichi hatte sich zu Vanessa herumgedreht, den Arm um sie gelegt und an seine Schulter gedrückt. „Ich hoffe, dass dein strahlendes Lächeln wenigstens echt ist und du dir was Schönes vorgestellt hast und nichts vorgetäuscht hast. Denn es wirkt tatsächlich sehr echt, nicht gespielt.“

Als er sie an seine Schulter drückte, fing sie wirklich an zu weinen.

„Ich bin so dumm. Mein Vater wird mich umbringen!“ Und sie schämte sich, wie konnte er noch so reden? „Kenji hat mich dran erinnert“, schniefte sie, „dass es ja für einen guten Zweck ist.“ Mehrmals holte sie hektisch Luft. „Also habe ich mich überwunden.“

„Ich kann‘s nicht glauben. Hast du ja sauber hinbekommen“, meinte Yuichi dazu und der 17-jährige sah nun auch schuldbewusst runter, weil er ihr noch dazu geraten hatte, sich zu überwinden.

„Ich glaube, sie hat die Sticheleien nicht weiter ertragen. Sie wollten sie einfach nach Hause zu ihren reichen Eltern schicken“, sagte Shiori traurig. „Bestimmt wollte sie bloß mutig sein und sich denen beweisen.“

„Na, die hatten sicher Spaß. Sind bloß neidisch. Im Gegensatz zu den Beiden ist sie ein Engelchen.“

Auch der 19-jährige drehte sich herum und holte ein Taschentuch aus der Jackentasche. Cognac hatte verdammtes Glück, wenn Jami ihm jetzt nicht eine Kriegserklärung aussprach. Denn seine Geste mit dem Taschentuch endete sofort wieder mit einem bösen Blick an ihn selbst gerichtet. Dachte der Typ echt, er wollte sie ihm jetzt wegschnappen, nur weil er so zuvorkommend war, ihr ein Taschentuch zu geben, was sie dann auch noch annahm. Sie wischte sich übers Gesicht. Er konnte ja nichts dafür, dass er keins bei sich hatte, oder einfach nicht auf die Idee gekommen war.

„Soll ich dafür sorgen, dass die Fotos gelöscht werden?“

Unter verheulten Augen sah sie auf. „Geht das so einfach?“

„Na, du musst nur sagen, dass du dazu gezwungen wurdest. Oder überrumpelt, das ist egal. Es ist dein Recht an Fotos, auf denen du zu sehen bist. Natürlich kann man die löschen lassen“, sagte Kenichi und lächelte sie dabei an. „Und du musst nichts machen, ich rede mit ihnen.“

‚Du redest mit denen? Will ich das wissen, wie das aussieht? Die haben sicher nichts zu lachen.‘ Manche Frau hatte das durchaus verdient und so eine wie Chenin sowieso. Er würde einen Teufel tun und Retsina sagen, wie Jamis Reden aussehen würde, aber er hatte eine Vorstellung davon. Bedrohen und Einschüchtern wahrscheinlich.

„Und was ist mit der Kampagne? Dabei geht es wirklich um etwas.“

Kenji wank ab. „Ach, ich denke, dass wir Zwei ausreichend sind. Und wie sagten sie so schön? Du bist raus, wenn du dich nicht ausziehst.“

„Boah!“ Kenichi musste sich echt arg am Riemen reißen, um nicht zu fluchen. So weit waren die gegangen? Er wusste, dass es ihr wirklich wichtig war und sie bestimmt alles ein bisschen unterschätzt hatte. Und die beiden Hexen fanden es natürlich total toll, sie zu etwas zu bringen, was sie eigentlich nicht wollte. Es wurde mal wieder Zeit, sie in ihre Schranken zu weisen. Er wusste nur zu gut, wie die drauf waren. Nette Mädchen wie Retsina gingen denen mehr als gegen den Strich, noch mehr, wenn sie besser ankamen, als sie selbst. Mit Konkurrenzkämpfen kannte er sich schließlich aus. „Ich will ja nichts sagen, aber die Zwei terrorisieren gerne andere. Sie sehen ein potenzielles Opfer in ihr.“

‚Jetzt kannst du den Helden spielen, ich weiß, wie sehr du’s magst. Weil sie sich nicht wehren kann.‘

„Du kennst sie besser?“ fragte Kenji. „Gibt es irgendeine Frau, die du nicht mehr kennst?“

„Was soll das denn bitteschön heißen?“

„Jetzt fang du nicht auch so an, Serena sagt oft genug, dass er ein Frauenheld ist!“ sagte Vanessa, weil sie das eben nicht mehr hören wollte und es auch nicht so ganz glaubte.

Yuichi strauchelte, holte mehrmals Luft, sagte aber dann doch nichts Fieses dazu. Gelogen war es nicht, aber vermutlich übertrieb diese Frau maßlos. Die war ihm noch unsympathischer als ihre Schwester.

Sêiichî war manchmal ein Baka, deswegen posaunte er seine Meinung natürlich sofort raus: „Also, dass Kenichi gut mit Frauen kann, kann ich nur bestätigen!“

Yuichi sah es schon kommen, er würde es sich über kurz oder lang total mit dem Typen verscherzen, wenn er so etwas schon vor einer Frau sagte, die er besonders mochte.

„Ach so? Dann stimmt es also?“ fragte die Rotblonde ihn und er fühlte sich leicht in die Ecke gedrängt. Obwohl sie es eher belustigt fragte.

„Na, besser als mit Männern auf jeden Fall!“ verteidigte er sich, gelogen war es auch nicht. Aber er kam trotzdem ein bisschen ins Schwitzen. Der 19-jährige musste zugeben, dass er das zum Grinsen fand, wie er jetzt nervös wurde, weil er vor ihr nämlich unter Garantie glänzen wollte. Dumm gelaufen, was? Der hatte ja einen richtigen Schweißausbruch. Sie wäre sicher völlig schockiert, wenn sie wüsste, was ihr Schwarm die letzten Jahre so getrieben hatte. Sie trug eine rosarote Brille, glaubte er.

„Soll ich dir eigentlich helfen, immerhin bin ich Zeuge gewesen, dass sie es absolut nicht wollte?“

Yuichi vergrub das Gesicht in den Händen. Sêiichî konnte schon von einem Fettnapf in den Nächsten springen. Jami brauchte keine Hilfe, um mit den Hühnern klarzukommen und außerdem wollte er ihn sowieso nicht dabeihaben. Es ging hier schließlich um jemanden, in den er vielleicht sogar verliebt war. Da mischte man sich nicht ein.

„Ich brauche keine Hilfe.“ Wenigstens wurde er nicht gleich wieder wütend. Seltsam, wenn er so etwas fragen würde, wäre er sicher gleich auf der Palme. Er hatte durchaus gemerkt, dass er Cognac nicht für voll nahm. Dass er selbst ihn mehr störte, als Cognac. Warum wohl? Vielleicht, weil Cognac sich als Scheißkerl gab? Ihn nahm er ein wenig ernster. Das bildete er sich mit Sicherheit nicht ein. Yuichi konnte es sich nicht verkneifen, doch noch einmal sich selbst zu bestätigen. „Oh, vielleicht sollte ich dir beistehen? Ich finde es schlimm, wenn man eine Frau zu etwas zwingt, selbst wenn’s von einer Frau kommt. Vor allem, wenn sie dann noch zu weinen anfängt.“

Shiori fragte sich, wieso ihr Cousin so etwas Fieses tat. „Du merkst doch, dass er sie allein beschützen will“, sagte sie, dabei plusterte sie die Wangen auf. „Da darfst du dich nicht einmischen, Yu!“ Kenichi sah ihn an, als hätte er ihn beklaut, da musste sie erstrecht beschwichtigen. „Lass dich nicht ärgern.“

„Der kann mich nicht ärgern!“

„Ach nein?“ amüsierte sich Yuichi. Laut seines Seitenblicks zu urteilen, hatte er ihm gerade total ins Revier gepisst.

„Aber du tust den zwei Frauen nichts an, oder?“

Kenjis Meinung über ihren Freund musste wirklich schlecht sein, dass er wirklich dachte, er würde irgendetwas Böses mit den zwei Frauen tun. Auf der anderen Seite hatte Yuichi die Geschichte auch schon erreicht, dass Sêiichî sich nicht im Griff gehabt hatte. Man musste in dieser Organisation lernen, Dinge zu ignorieren. Auch, wenn sie einen wild machten. Konnte er das?

Kenichi sagte nichts, vermutlich hatte er nicht vor, sanft mit denen zu verfahren, das verdienten sie eben nicht.

Aber es war nicht sehr schlau, seine Freundin darauf hinzuweisen, dass seine Methoden auch weniger nett sein könnten. So, wie er sie einschätzte, würde sie das nicht wollen. Deshalb hatte er ja gesagt, er redete mit ihnen.

„Man kann nicht immer nur nett sein, aber ich werde denen nichts zuleide tun.“ Noch nicht. Es sollte ihm wohl möglich sein, ihnen klarzumachen, was passieren würde, wenn sie die falsche Person ärgerten. Dann musste er ihnen nichts tun, außerdem gab es Andere. Die würden das ohne mit der Wimper zu zucken tun. Unter anderem andere Bitches. Wer sich so benahm, konnte sich schnell die Finger verbrennen. Er machte solchen Tussneldas gerne klar, was mit ihnen passieren würde, wenn sie etwas Dummes taten. Bei solchen wurde es mal Zeit, dass man ihnen den Tag versaute. Die taten zu viel und meistens mit armen Leuten, die nicht in der Lage waren, gegen sie zu bestehen. Vermouth würde wohl direkt hingehen und Retsina den Umgang mit der Waffe beibringen, deswegen war sein erster Weg garantiert nicht zu ihr. Sie wusste um die Gefahren und verließ sich bisher noch darauf, dass er sich drum kümmerte. Weil Retsina eine nette Frau war, die in die Gefahr lief, den Bösen zum Opfer zu fallen. Ja, sie war das potenzielle Opfer. Man musste etwas dagegen unternehmen, aber Frauen wie sie sollten keine Waffe benutzen, davor gruselte es ihn viel zu sehr. Und mit Kanonen auf Spatzen musste man ja auch nicht schießen. Sie mobbten andere, dann fühlten sie sich besser. Was würden die wohl sagen, wenn er sie mal bei ihren Schwachstellen packte? Das würden sie nicht lustig finden. Gerade Chenin hatte jede Menge Leichen im Keller. Man musste nur mal die richtigen Personen erfahren lassen, wie schlimm sie war. Oder Trincadeira, die ihre eigene Familie hasste, weil es anderen besser gegangen war. Menschen, denen es gut ging, zog sie mit Vorliebe in ihre schmutzige Höhle, um ihnen die gemeine Wahrheit über das Leben näher zu bringen.

 

Retsina jagte es Angst ein, dass irgendetwas davon stimmen könnte, was Cognac gesagt hatte. Sie umklammerte den Arm ihres Freundes. „Bitte versprich, dass du zu keiner Art von Gewalt greifst, das möchte ich nicht. Du bist doch kein gewalttätiger Mensch und ich nicht so schwach, dass ich das nicht aushalte.“

„Du hast angefangen zu weinen, von aushalten kann nicht die Rede sein.“

„Jetzt sag ihr doch nicht auch noch, dass sie schwach ist, wenn sie anfängt zu weinen. Ist es nicht schlimm genug, dass man Männern immerzu sagt, sie sollen es nicht tun?“

Yuichi hatte gut reden. Oder heulte der etwa? Frauen durften das, in der Organisation war es aber besser, wenn man nicht schwach wirkte, auch nicht als Frau. Alles, was sie angreifbar oder labil machte, konnte sie in eine Schlucht stürzen. „Lass mich in Ruhe, das ist meine Angelegenheit. Am besten lasse ich denen auch keine Zeit, irgendwelche hässlichen Pläne zu schmieden, wie sie sie noch weiter terrorisieren können.“

„Was soll das heißen?“ fragte die Rotblonde und hielt ihn noch fester am Arm.

„Dass ich denen jetzt sofort den Marsch blase. Das wird wohl erlaubt sein, oder?“ Sie hatte wirklich Angst, dass er zu weit ging und sie dann die böse Petze war, auf die sie erstrecht losgingen.

Yuichi legte eine Hand auf ihren Arm. „Lass ihn mal machen. Vertrau ihm einfach.“ Er schaffte, dass sie den Arm ihres Freundes losließ. Der krempelte sich die Ärmel hoch. Bestimmt war er ganz schön sauer. Na, wenigstens traf es dann nicht die Falschen.

Sêiichî und Shiori sahen ihm nach. Ersterer holte tief Luft. „Er hat Shiyako hart angefasst – der kann mir nicht erzählen, dass er das bei denen jetzt nicht tut.“

„Hart angefasst?“ fragte Vanessa. „War es vor kurzem nicht noch so etwas wie vergewaltigt?“ Sie sprach es aus, auch wenn das Thema kein Schönes war. „Hart angefasst ist etwas anderes, findest du nicht? Wieso erfindest du etwas hinzu, was nicht stimmt?“

„Ach, weißt du denn so genau, was er gemacht hat? Hat er dir erzählt, was es war?“ wollte Kenji wissen, während Shiori nur unschlüssig hin und her schaute. Ihr Blick ging Richtung Tür, dem jungen Mann hinterher.

„Ich kann mir nicht mal vorstellen, dass er jemanden hart anfasst.“

„Du? Davon hast du keine Vorstellungen. Aber manche Frauen brauchen es. Nicht, dass wir irgendwie Spaß daran hätten, aber es gibt solche, die es regelrecht heraufbeschwören.“ Yuichis Meinung. Er würde keine Frau verprügeln, aber es gab sicher welche, die in die Gefahr liefen sogar einen guten Mann so wütend zu machen, dass es passierte.

Sêiichî fragte sich, wie offen er vor Shiori reden könnte. Wahrscheinlich sollte er das besser lassen, dann war ihm Yuichi am Ende noch sauer. Er wollte ja irgendwie so was wie eine heile Welt für sie, oder? Etwas in der Richtung. Und der Laden war alles andere als das.

„Welche Art Frau meinst du genau? Solche, wie meine Cousine?“

Also hatte Retsina durchaus eine Meinung dazu. Das Gespräch versprach interessant zu werden. Man erzählte in der Organisation immer irgendwelche Dinge, aber was man nicht vergessen durfte: Menschen logen. Man sollte sich besser nur auf die eigenen Erfahrungen und Fakten berufen. Deswegen fand er es ganz schön dumm von Cognac auf Jami loszugehen, nur weil irgendeine komische Frau ihm etwas erzählte. Es könnte stimmen, musste es aber nicht.

„Deine Cousine ist Serena Lohan, nicht? Also sie gehört definitiv in die Kategorie, die es schaffen könnte, dass ein Mann so wütend wird, dass er sie schlägt.“ Jetzt sah Yuichi zu Sêiichî. „Du solltest nichts auf Geschwätz geben. Richte dich nach Fakten und Tatsachen. Hörensagen ist das Schlimmste, was es gibt. Nach diesem bilden sich viele Menschen eine Meinung, das sollten sie nicht. Es ist falsch. Wolltest du nicht zur Polizei? Da musst du dich auch nach Beweisen und Fakten richten. Du willst doch nicht so ein Mistkerl werden, wie Tokorozawa.“

„Ja, von dem hat man mir erzählt. Wenn eine Frau ins Präsidium kommt und ihre Vergewaltigung anzeigen will, erfindet er Gründe, weshalb sie selbst schuld ist und sich eigentlich nur schämen sollte – Kenichis Worte.“

Offenbar fand Jami Retsina nicht bloß gut, er redete. Das konnte ihm teuer zu stehen kommen, aber seine Schwäche gegenüber Frauen riss ihn oft dazu hin, dass er ihnen Wissen gab, mit dem sie ihm auch ans Bein pinkeln könnten. Sonst würde er wohl kaum über seinen größten Widersacher sprechen, oder?

„Du solltest Dinge, die er dir im Vertrauen sagt, nicht jedem mitteilen. Damit schadest du ihm am Ende.“ Es war grundsätzlich nicht Yuichis Aufgabe, Jamis Bekanntschaften darüber aufzuklären, wie sie sich zu verhalten hatte, aber er glaubte nicht, dass sie ihm etwas Böses wollte. Es wäre schade, wenn ausgerechnet jemand, der ihn eigentlich wirklich mochte, am Ende sein Untergang war.

„Der alte Tokorozawa – der erinnert mich daran, wie ich niemals werden möchte. Und sein Sohn ist ein Abklatsch von ihm – widerlich.“  Für Sêiichî stand außer Frage jemals auch nur im Entferntesten so wie der alte Tokorozawa zu werden. Er eiferte lieber einem guten Mann wie seinem Ersatzvater nach. Deswegen wollte er Polizist werden, ganz entgegengesetzt der Vorstellung seiner richtigen Eltern. Dann wäre er Arzt oder Biologe, irgendetwas in Richtung Forschung geworden.

Auch Sêiichî hatte eine große Klappe, die man ihm ab und zu stopfen musste. Gut, dass Jami weg war, denn der würde sich die Hände reiben, wo er doch Verbündete im Kampf gegen den Mistkerl suchte. Der nahm jeden und wenn man nicht aufpasste, schaufelte man sich damit sein Grab. „Du solltest auch lernen deine Meinung für dich zu behalten, Kleiner.“

Wie nicht anders zu erwarten, schmollte der Junge, dabei meinte er es nur gut mit ihm. „Meinungsfreiheit wird nirgendwo mehr getreten, als hier, weißt du doch. Wenn du deine Meinung den Falschen sagst, benutzt man es nur gegen dich, also halt doch einfach mal die Klappe.“

„Yuichi ist nett wie immer, das habe ich nicht verdient“, stöhnte Sêiichî und stand von seinem Platz auf. „Ich bin gleich wieder da.“

Dass er nicht dankbar war, war auch wieder typisch. „Muss er alles auf die Goldwaage legen?“ ärgerte sich Yuichi und trank frustriert einen Schluck seiner Cola.

„Du bist auch immer ganz schön hart mit ihm, findest du nicht? Er ist eben sensibel. Nimm doch ein bisschen Rücksicht, mhm?“ tadelte Shiori.

„Sensibel, Kenji? Er hat Kenichi mit einer Pistole eine Gehirnerschütterung beigebracht. Etwas unglaubwürdig, oder?“ entrüstete sich Vanessa.

„Tja, das ist, weil er Prinzipien hat. Wenn man die nicht beachtet, kann er hässlich werden. Aber er ist trotzdem sensibel“, verriet er der Rotblonden, unsicher, ob sie es auch verstand, wenn er es nicht weiter erklärte.

„Echt, das hat er getan? Mit deinem Freund? Nur, weil irgendjemand ihm etwas andichten wollte? So ein Baka-chan.“ Davon war sogar Shiori schockiert. Man erzählte ihr auch viel und sie glaubte trotzdem den Menschen, die sie mochte. Gerade über ihre Cousine Katori hatte man viel Schlechtes zu sagen, sie hörte dann einfach weg, denn sie wollte glauben, dass sie ein guter Mensch war.

„Das und mehr.“

„Mehr? Wie viel mehr denn?“ hinterfragte die 16-jährige.

„Lasst uns über etwas anderes reden“, blockte Yuichi das Gespräch. Er wollte verhindern, dass Retsina sagte, was Sêiichî tatsächlich getan hatte. Shio wäre total schockiert, zu erfahren, dass er einfach so auf jemanden geschossen hatte.

„Okay.“ Zum Glück war die 20-jährige kein Miststück. Andere würden jetzt vielleicht nicht so einfach hören, sondern weiterreden. Weil sie vermuten würden, dass es Gründe gab, weshalb er blockte. Sie wären neugierig und würden bohren, ohne Rücksicht. Vielleicht sogar in der Hoffnung irgendeine Schwachstelle auskundschaften zu können.

„So schlimm?“ fragte Shiori Yuichi, in der Hoffnung, dass er es ihr sagte.

„Bestimmt ist es ihm schon wieder unangenehm, dass er sich nicht im Griff hatte, deswegen reden wir nicht mehr darüber.“

„Ach so.“ Auch Shiori konnte man leicht überzeugen. Das fand er manchmal beängstigend, deswegen passte er gut auf sie auf. „Und wo ist er jetzt hingegangen?“

Ein Seufzen. „Weil ich ihm mal wieder auf den Schlips getreten bin, werde ich mal nach ihm sehen.“ Shiori nickte. Yuichi war manchmal nicht so sensibel, wie Sêiichî und ehe er sich versah, hatte er ihm etwas gesagt, was ihn verletzte. Doch sie wusste, dass er das niemals absichtlich tun würde. Sie sah ihm lächelnd nach und blickte zu der Rotblonden. „Sie sind eigentlich ein Herz und eine Seele. Kenji ist gerade deswegen, weil er ihn so liebhat, so empfindlich, was seine Meinung angeht und die sagt er einfach jedem. Allerdings selten im Bösen. Er ist ein anständiger Kerl.“

 

Dass man sich immer Sorgen um diesen Kerl machen musste. In jeder Hinsicht. Es hatte ihm noch gefehlt, dass Jami Cognac für seine Zwecke einspannen konnte, das brachte Sêiichî nur in Schwierigkeiten. Er selbst hielt sich ja auch von diesem Typen fern. Nicht, dass er ihn hasste, aber manchmal das, was er ohne Rücksicht auf andere durchboxen wollte. Viele würden Kenichi als lammfromm bezeichnen. Nur eine Handvoll wusste es vermutlich besser. Dazu musste man ihn aber schon etwas länger kennen – lange vor der Organisation. Oder man war Psychologe, dann konnte man vielleicht darüber urteilen. Unter ganz dummen Umständen – Missverständnisse gab es oft genug – könnte Jami sogar eine Gefahr für seinen eigenen Vater darstellen. Weil Tokorozawa dem schließlich oft genug auf die Nerven ging. Das könnte falsch bei Jami ankommen. Hoffentlich war er niemals so dumm, sie in einen Topf zu schmeißen, wie viele dachten. Er hasste die Polizei. Weil die ihn im Stich gelassen hatte, als er Hilfe gebraucht hätte. So jemandem konnte man nicht erzählen, dass man den Mistkerl aus Kyoto nicht ausstehen konnte. Er wollte Sêiichî genauso beschützen, wie Ryochi, Hitomi und seine Eltern. Er war Teil der Familie, auch wenn er sein Glück wohl immer noch nicht so ganz fassen konnte. Warum eigentlich? Weil Takahashi ein neidischer Vollidiot war? Einfach weghören konnte Sêiichî ja irgendwie nicht. Wenn er so weiter machte, würde es ihm in der Organisation noch viel mieser gehen, als Jami damals, oder ihm selbst.

„Da steckst du“, sagte Yuichi und sah ihn mit einem netten Gesichtsausdruck an. „Ich war ein bisschen schroff, aber du weißt genau, dass ich‘s nicht so meinte.“ Es stresste ihn jedes Mal, aber es war ihm trotzdem wichtig, dass Sêiichî die Lage begriff.

„Es ist anstrengend, nichts zu verraten“, meinte Sêiichî. „Shio denkt, dass ich das nur mache, weil ich berühmt werden will.“

„Ach, du willst keinen Ruhm? Wäre doch passend zu deinem Schwarm.“ Yuichi sah ihn mit Halbmondaugen an, er wollte ihn aufziehen, aber wie er sah, wurden die Augen seines Gegenübers nur groß und dann lächelte er. „War’n Witz. Außerdem würde Vermouth dich auslachen, wenn du Dinge tust, die zu ihr passen. Dann nimmt sie dich nicht mehr ernst. Na ja, wenn sie es bisher noch tut jedenfalls. Man weiß ja nie.“

„Geht’s dir gut, Yuichi?“ wollte Sêiichî jetzt wissen und ging langsam auf ihn zu. Als ob er nicht wusste, dass er sich dazu hinreißen lassen wollte, ihn zu umarmen. Wieso machte er es nicht? Weil er sich unmännlich finden könnte? Sie waren ja schließlich trotz allem eine Familie.

„Wenn du etwas vorsichtiger bist, geht’s mir weiterhin gut. Wenn du nicht aufpasst, was du tust, kann sich das schnell ändern.“

Schockiert sah der 17-jährige den um zwei Jahre älteren an, kurz darauf zog er eine Schnute. „Du bist so doof, Yu-chan. Ich bin doch kein Baby, was du beschützen musst. Mach dir wegen mir mal keinen Ärger.“

„Schmollen kannst du aber immer noch wie ein Kind, also komm mir doch nicht so. Und bist du sicher, dass du all dem gewachsen bist? Mir scheint, du weißt nicht so ganz, worauf du dich einlässt!“

„Doch, das weiß ich sehr wohl. Ich versuch den Bösen zu gefallen, um sie zu bekämpfen!“ Tapfer und mutig wollte er sein, so wie Yuichi. Das zu wissen, machte es nur noch schlimmer.

„So? Dann bereite dich darauf vor, dass du auch mal schwer verletzt aus dem Dreck gezogen wirst, wenn du dich mit den Falschen anlegst. Das habe ich alles schon hinter mir. Ich weiß, du bewunderst mich, weil du mich stark, furchtlos und all das findest. Und weißt du was mit furchtlosen und starken Menschen passiert, wenn sie nicht höllisch aufpassen? Sie landen im Koma. So viel zu Heldentum.“ Yuichi hielt nicht viel davon, damit zu prahlen, dass man unverwüstlich war, keiner war das. „Du bist in einem Alter, in dem fühlt man sich unsterblich. Mach nicht denselben Fehler, wie ich.“

In Sêiichîs Welt machte sein älterer Bruder keine Fehler. Er war doch toll. Nichts konnte ihm etwas anhaben. Wie gemein von Yuichi diese Seifenblase mit solch einem Knall zum Platzen zu bringen. Ja, er war ein Fiesling. Es tat ihm nicht weh, zuzugeben, dass es Momente gegeben hatte, in denen er verzweifelt war, in denen er Dinge bereut hatte und dass ihm nicht alles gelang, was er versuchte. Denn dann wäre die Organisation schon lange nicht mehr da. Er wollte keine schlechten Menschen unterstützen und trotzdem tat er das seit einigen Jahren. Weil Auffallen das Schlimmste war.

Und nun? Sêiichî sah ihn völlig entgeistert an, so wie er gedacht hatte. Es war wohl ein regelrechter Schock, dass auch er nur um Haaresbreite überlebt hatte. „Ich hatte Bekannte und derartig viel Glück auf meiner Seite, dass es schon beängstigend ist. Die Sache hätte auch anders ausgehen können. Du kannst von verdammtem Glück reden, dass ich den Bösen jetzt so gut gefalle, um intervenieren zu können. Beliebt bin ich deswegen sicher nicht. Wer weiß, wer als nächstes meinen Tod plant, mhm? Willst du echt Schuld daran haben? Kaum, oder? Also binde nicht jedem, der ein bisschen nett wirkt, deine Meinung derartig auf die Nase! Das ist nicht gesund!“ Er schüttelte den Kopf. „Einerseits bist du bescheuert genug, einen Kerl umbringen zu wollen, der sich in der Organisation sein Ansehen unter gewissen Bedingungen ergaunert hat. Andererseits kannst du einfach nicht die Klappe halten und erzählst demselben Kerl, den du versuchen wolltest zu killen, viel zu viel, was er gegen dich benutzen kann. Auf die Weise wirst du als Leiche enden, glaub mir.“

Sêiichî sah runter. Es war ihm sogar irgendwie peinlich, wie wenig er sich im Griff gehabt hatte und wie dumm er doch gewesen war. Instinktiv wusste er, dass er Osiris auf den Leim gegangen war. Wie ein Triebtäter kam Jami einfach nicht rüber. „Jamis Eltern mussten sterben, weil er sich als 12-jähriger geweigert hat Frauen zu vergewaltigen. Und da glaubst du einer komischen Frau wie Osiris, dass er ihr etwas getan hat? Bist du bescheuert?“ Yuichi war niemand, der es beherrschte, die Samthandschuhe auszupacken. Seiner Meinung war es auch nicht das, was Sêiichî brauchte.

„Anscheinend“, sagte der 17-jährige leise. Ja, es war bescheuert. Nichts war wichtiger, als die Familie.

„Ich bin noch nicht fertig“, verriet der 19-jährige, dabei setzte er einen zutiefst besorgten Blick auf. „Die gehen weit, sehr weit. Erst haben sie ihn eingesperrt und er wusste nicht mal, ob er dort verhungert oder verdurstet. Irgendwann bist du völlig verängstigt und drehst total am Rad. Für Freiheit würdest du da alles tun. Die haben ihn entführt, mit ins Ausland genommen und ihm dort erklärt, dass er jetzt entweder Leute umbringt, oder es anderen ganz schlecht ergehen wird. Ich war nicht dort, also kann ich dir nichts Genaueres sagen, aber nach dem Tod seiner Mutter war auch er bereit viel zu tun. Der hätte auf seinen geliebten Vater geschossen und tut das bei noch vielen anderen, die er im Grunde mag. Dass sie mir all das nicht angetan haben, lag nur daran, dass ich alles freiwillig gemacht habe und du willst auch gar nicht wissen, was das alles war. Ryochi würde sich vermutlich in den Kopf schießen, wenn er an meiner Stelle wäre. Und du?“ Die Frage war, ob Sêiichî so robust war, dass er es schaffte auf geliebte Menschen zu schießen. Er bezweifelte das so ziemlich, dass er so ein harter Kerl war. „Man, Sêiichî, du bist sensibel. Du rennst weg, wenn ich dich mal zu hart angehe. Die werden dich von allen Seiten hart angehen. Kannst ja deinen neuen Kumpel Jami mal fragen, wie er ankommt mit seiner Sympathie zu Miss Vineyard. Der kriegt regelmäßig so richtig auf die Fresse und das obwohl er in die Forschung soll und der Boss ihm deswegen sehr wohlgesonnen ist. Und du? Womit willst du besonders sein? Damit, dass du Vermouth hinterher hechelst? Stell dir das nicht so einfach vor. Du bist nur so ein kleiner, pubertierender Spinner, der sie gut findet. Wenn du glaubst, dass das reicht, bist du echt dumm.“

„Ich bin verdammt gut im Schießen!“ polterte seine Stimme los, es war das Beste, was ihm eingefallen war.

Leute umbringen wollte er? Freiwillig? Tickte der noch sauber? Wenn er das zu Jami sagte, wurde er direkt auf Tokorozawa gehetzt. Oder auf andere.

Yuichi ballte seine rechte Hand zu einer Faust und er biss sogar die Zähne zusammen, so wütend machte es ihn, wie leichtfertig Sêiichî von Mord sprach. Er selbst hatte hart damit zu kämpfen, dass er Menschen erschossen hatte und der redete davon, als wäre es etwas Großartiges. Er war ein guter Junge, er sollte sich das nicht antun. Und schon gar nicht so leichtfertig darüber reden, als sei es nichts. Es veränderte, auch wenn man nicht so sensibel war, wie Sêiichî. Er würde daran kaputtgehen, davon war er überzeugt. Hatte er nicht genug psychische Probleme? Da gingen die Pferde mit Yuichi durch und er zog ihm die Faust so dermaßen über, dass sie sein Kinn traf und den 17-jährigen völlig überraschend von den Socken holte. Er flog im hohen Bogen, so hart hatte er ihn getroffen. Wenig später stand Yuichi noch in dieser merkwürdigen Kämpferpose da, seine Augen sah man nicht. Er war fuchsteufelswild. „Hast du sie eigentlich noch alle? Meinst du, ich hab Bock Leute umzubringen? Du spinnst jawohl. Das ist kein Kinderspiel, raffst du es nicht?  Wenn du es einmal tust, wirst du es solange tun, bis du dich selbst nicht mehr kennst. Du würdest am Ende nur ein verdammtes Monster in dir sehen, egal wie schlecht die anderen auch sind.“  Der 19-jährige keuchte mehrmals, so sehr regte es ihn auf.

Der Schlag hatte gesessen und Sêiichî hielt sich den Kiefer, von dem er im ersten Moment nicht wusste, ob er noch heil war, so weh tat es. Und jetzt bloß nicht anfangen zu flennen. Damit bewies er nur, wie schwach er immer noch war. Trotzdem brannten ihm die Augen. Nicht wegen der Schmerzen, er war echt nicht wehleidig. Was Yuichi sagte. Er hatte so viel durchgemacht, nur wegen ihnen allen. Er wollte ihm keine Schwierigkeiten machen.

„Du unterschätzt mich“, sagte er leise – er war ein labiler Junge – wie konnte man den unterschätzen? Er klang ruhig, aber seine Stimme zitterte trotzdem. „Ich halte das aus. Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf jemanden geschossen habe und der sogar gestorben ist.“ Nur langsam rappelte sich Sêiichî auf und sah ihm mutig ins Gesicht. „Es tut mir leid, dass du so viel durchgemacht hast. Wenn ich damals stärker gewesen wäre, hätte ich dich unterstützen können. Glaub mir, ich bin nicht mehr so schwach. Ich kann allein auf mich aufpassen. Mir wird nichts passieren. Ehrenwort.“

Allein, dass er dumm genug war, zu glauben, dass ihm nichts passieren würde…

„Wenn du mich unterstützen willst, musst du einkalkulieren, dass du stirbst. Denn auch ich kann nicht sagen, ob es mich nicht doch mal erwischt. Es ist dumm zu glauben, dass niemals etwas schiefgehen wird. Egal wie vorsichtig du auch bist. Also hör auf diesen Scheiß von dir zu geben. Um zu überleben, musst du manchmal Dinge machen, die du verabscheust. Wenn irgendeiner rauskriegt, wer du bist, werde erstmal ich das abkriegen, schließlich soll ich euch von dem Laden fernhalten. Das ist die Bedingung.“

Also war das, was er getan hatte, genau das Gegenteil von dem, was Yuichi tun sollte. Sie fernhalten. Das traf den 17-jährigen viel mehr, als der Faustschlag. „Tut mir leid. Aber ich habe mir gedacht, dass es besser ist, wenn ich jemand bin, der keinen hat. Also komm nicht auf die blöde Idee, mich wieder beschützen zu wollen. Verstanden?“ Jetzt war er aufgestanden und hatte sich Blut von der Lippe gewischt. „Ich bin ab jetzt vorsichtig.“

Ob man das wohl so glauben konnte? Er würde gerne, aber er kannte diesen Baka leider viel zu lang. Er wusste nicht, ob er all das aushalten würde, bisher bezweifelte er das. „Halt dich von Jami fern, der ist ein Pechmagnet.“ Solange er so etwas nicht kapierte, würde er über kurz oder lang mächtig auf die Schnauze fallen.

„Das klingt ganz schön gemein, findest du nicht?“

„Sei nicht so weich. In dem brodelt viel zu viel, der zieht dich nur in was rein. Also halt die Füße still, verstanden?“ Nein, er hielt die Klappe, was Vermouth anging. Die regelte das schon selbst. Außerdem würde Sêiichî wohl dann erstrecht etwas versuchen. „Und halt mal deine Hormone im Zaum. Du kannst es woanders wild treiben, in der Organisation sind zu viele komische Tussis, die in einem wie dir nur ihren Idioten sehen würden, der tapfer für sie draufgehen darf.“ Nein, er meinte nicht diese Frau – es gab andere, die nach Helden suchten, damit sie ihr Leben für sie gaben. Seyval zum Beispiel. Der Frau war doch egal, was aus ihnen wurde, wenn sie für sie arbeiteten. „Wie du so schön sagst, du willst den Bösen gefallen. Ja, schön, aber nicht zu sehr. Denn dann kommst du aus dem Strampeln nicht wieder raus.“

„Ich hab dich so vermisst… Und Ryochi auch. Du darfst nicht sterben…“

Es war nicht so, dass er sich darum riss diese Welt zu verlassen, aber es blieb gefährlich, dagegen konnte keiner etwas machen. „Ich geb mir Mühe am Leben zu bleiben. Also gib du dir auch Mühe, nicht aufzufallen. Denn du wirst jetzt leider bleiben müssen. Den Laden verlässt man nicht lebend. Musste ich auch beschwerlich begreifen.“ Deswegen war Plavac damals auch so wütend gewesen, als er bei ihnen eingestiegen war. Weil es kein Entrinnen gab. Bisher jedenfalls – seit gut 30 Jahren, wie er ihm mitgeteilt hatte. Solange war sein Patenonkel schon in diesem Nest gefangen. Das sagte doch wohl alles. Wenn man stark war, dann waren die stärker. War man schnell, hielten sie einen in der Gruppe fest. War man intelligenter als der Rest, dann schlossen sie sich zusammen und machten gemeinsam Pläne. Fiel man auf, stand man unter Dauerbeschuss und wurde auch genauso übel auf Schritt und Tritt überwacht. Abhauen? Konnte man gern versuchen. Dann bekam man erfolgreich eine Kugel direkt ins Kreuz. Um Fairness waren die wirklich nicht bemüht.

„Du kannst Jami nicht leiden, oder? Jedenfalls warst du voll genervt von ihm. Er hat das nicht gemerkt, ich aber schon“, sagte Sêiichî und sein gegenüber beseufzte es bloß erst einmal. Er steckte sich die Hände in die Hosentaschen und überlegte, ob es eine gute Idee war, oder nicht, ihm zu sagen, was sein Problem war.

„Warum sollte ich? Sein bester Freund ist Tokorozawas Sohn. Das kleine Arschloch ging mir schon immer auf die Nerven. Und er hat sich mit ihm abgegeben, obwohl da einige Dinge geschehen sind, die er gewiss nicht gut findet. Typisch Jami, über jeden eine Meinung haben, aber feige ins Gesicht lächeln. Nur, wenn er sich etwas davon verspricht, reißt er seine Klappe auf. So ein widerlicher, kleiner Klugscheißer. Und dann noch Vermouth nacheifern. Wie man Leuten auf den Geist geht, weiß diese Frau, wie keine Zweite, kein Wunder, dass die Meisten sich von ihr fernhalten – aus weiser Voraussicht. Nur Jami sieht das nicht ein. Leute zu nerven, hat sie ihm wirklich gut beigebracht. Der geht mir so auf die Nerven mit seinem wichtigen Getue." Und garantiert ging es nicht nur ihm so. Wenn sie schlau waren, machten sie höchstens lieb Kind bei ihm, die anderen konnten ihn nicht leiden, weil er zu diversen Machtspielchen neigte. Jami ließ nichts unversucht, den Damen um sich herum klarzumachen, dass er der Retter in der Not, aber genauso gut ihr Untergang sein konnte, wenn er an falscher Stelle plauderte. Sein enger Kontakt zu Vermouth machte es nur schlimmer. „Also halt dich von ihm fern. Der sagt heute so, morgen so.“ Yuichis Eindruck war es jedenfalls. So, wie es diesem Typen passte. Der rannte zu der Hexe, nur weil die einen direkten Kontakt zum Boss hatte – und das rieb er anderen auch schamlos unter die Nase, dass sie zusammenarbeiteten. Ein Wort von ihm und der Boss erfuhr sofort davon.

„Lass mich raten, von Vermouth muss man sich auch fernhalten.“

„Sie ist verlogen, weitere Kommentare überflüssig.“ Man konnte ihr nicht vertrauen. Wenn der Boss es so wollte, tat sie alles. So wie seinen kleinen Bruder holen.

 

 

Seyval tippte gelangweilt auf der Theke, während sie dem langweiligen Plausch der beiden Männer folgte. Sie saßen weit weg von der Großstadt in einem Café – in der Hoffnung, es war abgelegen genug, damit keiner es spitzbekam.

„Dass euch das noch nicht aufgefallen ist?“ fragte der 35-jährige in die Runde. „Ich meine, guckt euch die Leute doch genau an, die Stress mit Jami haben. Das sind immer Leute, die mal gegen Vermouth gewettert haben. Der Typ könnte nicht mehr auf ihrer Seite stehen. Eigentlich müsste er unserer Sey dann jawohl die Füße küssen.“ Er drehte den Kopf und legte diesen auf der Hand ab, während er den Kopf dann etwas schieflegte, grinste er die Dunkelblonde an. „Was hast du dem Bengel getan, mhm? Ich meine, abgesehen von den Dingen, die du hintenrum so getan hast, natürlich.“

Die Angesprochene reckte den Hals, da er wagte, diese Ungeheuerlichkeit tatsächlich auszusprechen. Dann wagte er noch, ihre Schulter zu tätscheln, was sie mit einem verärgerten Blick erwiderte und schließlich angewidert seine Hand von sich schob. „Lass deine Hände bei dir, Sylvaner!“

Schlimm genug, dass sie hier zusammensaßen. Immerhin waren sie Freunde von Chardonnay. Aber auch die waren, wie jeder Mensch, manipulierbar. Sie hatte dem jüngeren Bruder schließlich sogar eine leichte Beute besorgt – das nannten sie Stein im Brett, also was gut bei ihnen. Im Großen und Ganzen hatten sie mit Chardonnays Missetaten ja auch nichts zu tun. Es juckte sie bloß nicht sonderlich, was er trieb, solange er seine Aufgaben sauber erledigte.

„Ich glaube, sie will nicht antworten“, schlussfolgerte eine rothaarige Frau. Ihre Haare waren wellig und die Augen eiskalt. Ebenso wie ihre Stimme mehr gleichgültig klang. So etwas langweilte sie nur. Jami war bloß ein Spielzeug – vielleicht fühlte sich Vermouth ja toll, wenn sie mit jungen Kerlen spielte. Die waren dumm genug, ihr zu folgen.

„Würd mich nicht wundern, wenn Jamilein deswegen Zoff mit Carpano gesucht hat. Außerdem ist offensichtlich, was er gegen ihn hat. Ihm ist die Familie erhalten geblieben, der Kleine ist neidisch.“ Sie fühlte sich brillant, dabei war es keine große Kunst so etwas zu ergründen.

‚Vielleicht hat Jami auch einfach seine eigene Meinung? Wie wär’s damit, ihr Einfallspinsel‘, dachte sich eine Person, die sich ein bisschen weiter weg befand und zweifellos die Personen beobachtete. Er war ein misstrauischer Mensch, deswegen tat er so etwas zuweilen. Ohne, dass sie es merkten, natürlich. Sicher doch. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als an jedem Dilemma immer dieser Frau die Schuld zuzuschieben. Weil der Boss von ihr geblendet war. Mit einem Jahrhundert an Lebenserfahrung fand er das sehr abwegig, dass dieser Mann getäuscht worden war. ‚Wenn eure Rechnung aufgehen würde, dann müsste Jami Seyval auch unterstützen, immerhin ist sie ja wichtig – bisher noch. Spionieren ist wundervoll. Man erfährt so viele wertvolle Dinge. Und man könnte so viele Menschen ins Chaos stürzen, wenn man sie nutzt. So verlockend. Seyval mit Rivaner, Sylvaner und Grenache in einer Bar. Ihr ist schon klar, dass Vermouth keinen von denen mag?‘ Klar wusste die Schlange davon. Sie hielt sich nur für so toll, dass man sie nicht erwischte. Vermouth könnte wohl mindestens zwanzig Gründe für ihre Abneigung nennen. Mittlerweile hatten sie schon viel zu viel getan, es würde ihn nicht wundern, wenn sie Jami sogar ein bisschen dafür benutzte, die am Ende loszuwerden. Er war neutral – zwar hielt er sie nicht für die schlimmste Person in der Organisation, aber wenn man ihr Feind war, war sie alles andere als nett. Gnadenlos traf es da besser. Und er war damit gestraft, ein Mitwisser zu sein. Die Zeit in Amerika war schuld daran. Obwohl Seyval überall herumerzählte, dass Vermouth ihre Schwester war, war den Meisten offenbar nicht bewusst, dass diese Verbindung nicht bloß symbolisch gemeint war. Auf der anderen Seite hatte Sharon Vineyard kaum Bindungen in der eigenen Familie – höchstens zu einem Teil Familie. Um genau zu sein, konnte sie keinen leiden, außer Jamie Moores Mutter und ihn selbst. Was sagte ihnen das? Er war nicht einmal das leibliche Kind der Familie. Zu den leiblichen Angehörigen hatte sie ein schlechtes Verhältnis. Auch die Beziehung zur Erstgeborenen hatte Schaden genommen, weil die Zweitgeborene Sharon hasste. Für Dinge, die sie sich gewiss nicht ausgesucht hatte. Seyval sollte auf der Hut sein, denn man konnte tief fallen, auch dann, wenn man eine Verwandte war. Mittlerweile hatte Sharon genügend Menschen, die ihr wichtiger waren, als diejenigen, die eben zur Familie gehörten. Die konnte man sich ja schließlich nicht aussuchen.

Wenigstens hatte Shizuka geschafft das Land zu verlassen. Es war nur zu hoffen, dass sie es geschickt angestellt hatte. Aber er vermutete, dass sie Hilfe gehabt hatte, von Leuten, die sich besser auskannten. Denen eine Flucht gelingen würde, die aber nichts vom Wegrennen hielten. Er selbst konnte das nicht, da er voll unter ihrem Bann war.

Zu seinem Pech alarmierte sein Handy ihn wenig später. Da bekam er nicht mehr alles mit, was seine Opfer redeten.

~Ärger im Verzug. Chardonnay sorgt für Verstärkung. Ich hoffe, der ist weniger schlau als Jami. Das hätte uns noch gefehlt… Ausgerechnet der soll ihn empfangen. Hoffentlich knallt er ihn direkt ab, wenn er merkt, dass der Neue im Knast nichts dazu gelernt hat.~

Sie alle mochten Chardonnay nicht, aber eine Handvoll tat zumindest so, als ob. Ihm schien es, als wollte Chardonnay für seine eigene private Armee sorgen. Eine Gruppe Leute, die in ihm entweder die Offenbarung sahen, oder die erpresst wurden, damit sie für ihn arbeiten, so wie er selbst. Ein abfälliger Laut und ein Zischen waren zu hören. Der elende alte Bastard war nichts als ein Schandfleck und der wollte sich noch mehr Verbündete suchen. Gegen wen eigentlich genau? Gegen eine Frau? Oh bitte.

‚Als ob Jami einen neuen von Chardonnay gleich abknallt. Nein, der versucht ihn zu erziehen und wird ihn schikanieren. Hoffen wir, dass derjenige nicht gleich rausfindet, dass der Typ eigentlich bloß eine große Klappe hat.‘ Jami konnte einem auf den Zeiger gehen, aber er konnte den Schönling einfach nicht ernstnehmen. Chardonnay hätte ihn abschlachten lassen, wenn der Boss nicht gewesen wäre. Das vergaßen wohl einige. Dass er noch lebte, war nicht allein sein Verdienst, sondern vor allem die vom Obersten und er würde schwören, Vermouth hatte dafür gesorgt. Sie konnte auch nicht offensichtlicher Leute rekrutieren, welche auf einer gewissen Seite standen. Leider maßte er sich nicht an, wie andere, zu wissen, welche Seite das genau war. Wenn man wusste, wer sie wirklich war, würde man wohl denken, sie sei gerecht. Er war da mehr als vorsichtig, egal wer sie war. Am Ende war auch sie bloß wie jeder Mensch auf den persönlichen Vorteil aus. Obwohl er das sehr traurig finden würde, wenn sie sich auf diese Weise verändert hätte.

Was Flavis ihm in seiner Message nicht mitgeteilt hatte, war, dass er den Neuen sehr gut kannte. Besser, als er wollte. Er selbst wusste jetzt nur, dass es jemand aus dem Knast war und auch nicht, wie goldrichtig er zu Chardonnay passte. Viel mehr als er selbst. Nichts destotrotz änderte das nichts. Der Alte mochte ihn, weil er sich so schön erpressen ließ.

 

Wenig später erreichte Absinth eine weitere Nachricht. Von einer Frau, mit der er mal einige Male ins Bett gesprungen war. Wieso glaubten die eigentlich immer, dass ein paar Mal Sex bedeutete, dass man gleich für sie arbeiten würde? Er verdrehte die Augen und überlegte, was er ihr dazu wohl sagen sollte. Er entschied sich, sie zappeln zu lassen, das wirkte am besten bei Frauen.

Jeder in diesem Laden hielt sich Leute warm, für harte Zeiten. Die Tussi tickte auch nicht ganz sauber. Glaubte sie wirklich, was sie zu schnattern hatte, interessierte ihn auch nur im Geringsten?

Eines konnten die Damen mehr als gut: Auf die Tränendrüse drücken, wenn sie Ärger hatten. Und er hatte geglaubt, dass Trincadeira eine Nervensäge war.

~Soll das heißen, du kannst dich nicht gegen Jami wehren? Am besten du bringst dich in Sicherheit, Schätzchen. Ans andere Ende der Welt oder so etwas in die Richtung.~

Das war gewiss nicht das, was sie hören wollte. Was bildete sie sich überhaupt ein? Jami drohte ihr und sie kam bei ihm angekrochen, weil er offenbar so aussah, als würde er ihm gern den Tag versauen. Dabei war es Jami, der bei ihm ankam, um Streit zu suchen. Weil er zu Chardonnays Truppe gehörte. Nichts, was man sich gerne aussuchte.

‚Ich habe Besseres zu tun. Aufzupassen, dass Chardonnay nicht übermächtig wird, zum Beispiel. Wo er ja rekrutiert. Das ist ein größeres Problem, als deine Alltäglichkeiten. Ärger eben nicht seine Leute, dann lässt er dich in Ruhe.‘

Auch bei ihm war schon lange angekommen, für wen sich der Gute interessierte. Sie war ein hübsches Ding, das kein Kerl von der Bettkante stoßen würde, aber es gab genug andere Frauen, mit denen man Spaß haben konnte. Er musste nicht auf Teufel komm raus seinen Feinden auf den Sack gehen. Hätte Kagura ihm geschrieben, wäre das etwas völlig anderes. Aber die hatte keine Scherereien mit Jami. So etwas brachten nur Chenin und Trincadeira fertig. Warum ging sie nicht zu ihrem Gatten und berichtete ihm davon? Er konnte sich schon denken, wieso. Weil sie ihn nicht wütend machen wollte.

 

Chenin knurrte, während Tränen der Wut über ihre rosigen Wangen flossen. Was bildete sich dieses kleine Arschloch ein? Wollte er sie verarschen? Auf niemanden war Verlass. Dabei war sie sich teuflisch sicher, dass Absinth etwas gegen den Jüngeren hatte. Konnte er nicht einfach Chardonnays Aufmerksamkeit auf den Mistkerl lenken, damit er mal wieder einen Dämpfer bekam? Stattdessen verspottete er sie. Mit Mérille konnte sie auch nicht besonders – sie könnte Kalina mobilisieren. Aber ob sie das auch würde? Die blöde Kuh wollte eher noch selbst an den Typen ran. Wenn es darum ginge, ihn um den Verstand zu vögeln, hätte man sie sicher begeistern können. Da würde der kleine Unschuldsengel aber ganz schön blöd gucken. Vor allem dann, wenn man beide dabei aufnahm, wie sie es trieben. Eigentlich war die Idee gar nicht so schlecht, oder? Sie konnte dem Typen eins auswischen und Mérille bekam ihren Leckerbissen.

 

Als der Schwarzhaarige die Treppe passierte, tat er das im Sauseschritt. Zum Glück sah er Yuichi und Sêiichî nicht, die sich schnell hinter einer Mauer verbargen, als der junge Mann zum Telefon griff und doch recht energisch telefonierte.

„Es ist etwas passiert. Seyval trifft sich mit einigen Leuten. Man muss fast befürchten, dass sie wieder einen ihrer Wahnsinnspläne ins Auge gefasst hat. Diesmal werde ich das ganz offiziell bei Anokata vortragen. Was sie mit der kleinen Bitch machen, ist dann nicht mehr mein Problem. Ich will nichts mit so etwas zu tun haben, überhaupt nichts!“ So in Rage war Jami höchstens im Umgang mit Mistkerlen, selten mit Frauen, aber offensichtlich hatte die Gute ihn ordentlich wütend machen können. „Was sie weiß? Dass ich kein herzloser Kerl bin, zum Beispiel. Das ist mehr als genug. Und sie weiß die anderen Dinge? Ja, genau die. Ich schwöre, dafür schmort sie in der Hölle. Mir ist egal, ob Anokata danach wieder alle Pforten dichtmacht. Seine wichtigsten Leute lassen sich von einer Irren wie ein Hund am Halsband herumzerren, wie es ihr beliebt. Nein, ich werde mich nicht beruhigen. Besser, wenn Vermouth keinen Wind davon bekommt. Wer weiß, was sie machen würde?“

 

Die Beobachter hatten bei einem bestimmten Punkt das Handy gezückt und einen Teil des Gesagten einfach heimlich aufgenommen. Dann wurde Sêiichî mitgezerrt, als das Gespräch beendet war. Auf dem Weg zu dem Gebäude, suchten sie sich die Feuerleiter. Um genau zu sein war es Yuichi, der hochkletterte und Sêiichî durfte Schmiere stehen, so wie es früher gewesen war. Als sie noch Kinder waren. Bestimmt freute er sich total.

Man sah durch die beschlagene Scheibe nicht das Gesicht der schwarzhaarigen Frau, aber sie sprach so laut, dass man sie selbst vor dem Fenster noch hörte…

„Ich bin so wütend…, dieses… verfluchte Schwein!“ In ihrer Stimme lag ein Hauch Groll, aber auch wurde ihr Fluchen mehrere Male von einem Schluchzen unterbrochen. „Wie soll ich mich da beruhigen? Er will meinem Mann mitteilen, dass ich ihn darum gebeten hatte, ihn zu töten. Mein Mann wird mich beseitigen lassen, wenn er davon erfährt!“

Solche Frauen hatten es alle Mal verdient. Es war nicht so, dass es Chenin so schrecklich unter der Fuchtel des Mannes ging. Sie liebte ihn ja nur nicht mehr, also war sie zu Jami gegangen, der gern half. Selbst schuld, wenn man seinen Helfern irgendwann so dumm kam. Sie war doch nicht einmal verliebt in Jami, oder? Sie sah nur nicht gern andere Frauen, die mehr beschützt wurden, deswegen terrorisierte sie Retsina und weil Trincadeira alles andere als der blonde Sonnenschein war, den sie gerne verkörpern wollte. Und zwar nur, weil sie es auf bestimmte Männer abgesehen hatte.

„Keine Ahnung, warum ich das mache… Zu was bringt der mich?“ seufzte Yuichi und suchte schließlich den Weg wieder nach unten.

„Sie hat keine schweren Verletzungen. Lass uns verschwinden“, teilte er Sêiichî nur kurz mit und zog ihn mit sich – zurück ins Café.

„Da seid ihr ja wieder“, meinte Shiori lächelnd, als schließlich Retsina der Wanduhr einen Blick zuwarf.

„Er ist ganz schön lange weg. Bestimmt wollen sie es nicht löschen.“

„Doch, ich denke er bekommt das hin, dass sie brav das tut, was sie soll.“ Wenn sie nicht wollte, dass ihr Mann von ihren heimtückischen Plänen erfuhr. Jami konnte wirklich ein ganz schöner Dreckskerl sein, wenn man ihm zu sehr auf den Nerven rumtrampelte. Es war jedenfalls nicht nett, einer Frau, der man versucht hatte zu helfen, zu drohen, sie an den Mistkerl von Mann zu verraten, aber er konnte nicht sagen, dass das unverdient war. Frauen, die ihre Männer den Hyänen zum Fraß vorwerfen wollten, indem sie sie beseitigen ließen, verdienten es jedenfalls irgendwie, für ihre heimtückische Art und Weise ordentlich abzukriegen. Man konnte nicht sicher sein, ob Jami es nicht wahrmachte. Denn er traute ihm einiges zu, obwohl für die Ermordung einer Frau zu sorgen, sicher nicht zu seinen Plänen gehörte, nicht wahr? Er konnte Frauen nicht ernsthaft Schmerz zufügen. Das hieß aber nicht, dass er sie nicht beseitigen lassen könnte. Was man selbst nicht schaffte, ließ man eben andere machen. Aber er traute ihm so viel Grausamkeit einfach nicht zu. Haltlose Drohungen, die offenbar zumindest bei Chenin Panik hervorriefen. Sie traute es ihm wohl durchaus zu, es wahrzumachen.

 

 

 

 

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Irischka25
2023-11-14T16:15:35+00:00 14.11.2023 17:15
Ich hoffe wirklich das die Geschichte weiter geht. Hat mir sehr gefallen bis jetzt.

Das englische Teil würde ich aber ins Deutsch machen. Ist nervig immer zu kopieren und übersetzen lassen.

Ist auch zu verwirrend in manchen kapiteln. Es kommen immer mehr Leute hinzu und andere verschwinden.


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