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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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19. Türchen: Glockenspiel

Tina schlenderte mit ihren Freunden, oder besser ausgedrückt, den Leuten, mit denen sie in ihrer neuen Schule herumhing, über den überschaubaren Weihnachtsmarkt im Dorf, gleich neben der Kirche.

Doch an keiner Bude machte einer von ihnen Halt, denn Lucas, Bruno, Vanessa und Angelina hatten nur im Sinn, so schnell wie möglich zum Glühweinstand zu kommen, wo sich bereits eine kleine Menge versammelt hatte. Tina trottete schweigend hinterher und fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen. Denn die vier waren schon seit Jahren eine verschworene Clique, und Angelina war mit Lucas zusammen, der schon siebzehn war.
 

„Die Tanita!“, prustete Vanessa, und Tina schaute zu der Bude, wo Waffeln verkauft wurden. Und tatsächlich bediente dort ihre Mitschülerin, mit der niemand etwas zu tun haben wollte, die Kunden.

Unter anderen Umständen hätte sich Tina gefreut, mit dem zurückgezogenen Mädchen einmal ins Gespräch zu kommen; im Unterricht bot sich kaum die Gelegenheit und in der Pause erst recht nicht.

„Was macht´n die hier?“ Bruno rümpfte die Nase und ging auf den Stand zu. Die anderen folgten ihm.

„Na, reicht das Geld wohl nicht, was deine Mutter beim Putzen verdient?“, grölte Lucas, und Bruno lachte.

Tina schämte sich so sehr, dass sie sich nicht traute, Tanita auch nur anzusehen.

„Hm, ich würde eigentlich schon ganz gerne eine Waffel essen“, sagte Angelina ganz leise.

„Lieber ´ne Tasse Glühwein“, sagte Lucas und rotzte auf den Boden. „Du musst sowieso abnehmen!“ Er schlang den Arm um die Taille seiner Freundin und ging auf die Bude gegenüber zu.
 

Bruno gesellte sich neben Tina. „Du hast ja gar keine Handschuhe an… Willst du meine haben?“ Dazu sein Blick, den sie unheimlich fand; unwiderstehlich würden dagegen andere Mädchen sagen.

„Mir ist nicht kalt“, erwiderte Tina darauf und wandte sich von ihm ab.

„Holt ihr mal eine Tasse für jeden?“, fragte Lucas und schickte Vanessa und Angelina zu der Warteschlange rüber, während er einen Tisch beschlagnahmte.
 

Tina stellte sich mit den Jungs an den Tisch und hörte nur mit einem Ohr ihren Gesprächen zu. Was machte sie bloß hier?

Anfang des Schuljahres hatte sie sich noch so willkommen gefühlt, und konnte ihr Glück nicht fassen, denn sie war vorher noch nie in einer so beliebten Clique gewesen. Mittlerweile hatte sie das Gefühl, sie akzeptierten sie nur, weil ihre Eltern Geld hatten.
 

Tanita tat ihr so leid, diese Beleidigung hatte sie einfach nicht verdient! Von ihrem Platz aus konnte sie ihr dabei zusehen, wie sie mit anmutigen Bewegungen die Kelle schwang, um Teig in das Waffeleisen zu gießen. Ihre schwarzen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr fast bis zum Steiß reichte. Dann drehte sie sich zu ihrer Kundin, einem kleinen Mädchen um, wobei ihre Wangen von der Hitze gerötet waren. Oder von dem Zwischenfall eben vor Zorn.
 

In diesem Moment kamen die Mädchen mit fünf Tassen zurück.

„Na endlich, hat ja echt eine Ewigkeit gedauert“, rief Lucas und nahm Vanessa die Tasse ab.

„Deine Tasse, Tina. Kinderpunsch, weil du magst ja keinen Alkohol.“ Vanessa stellte die Tasse vor ihr ab und gebrauchte so viel Gewalt als wolle sie einen Nagel einschlagen. Roter Punsch verschüttete dabei auf den Tisch. Sie hatte immer geahnt, dass Vanessa eifersüchtig auf sie war.

Und wie um das zu bekräftigen sagte Bruno: „Ich geb ihn dir aus, Tinchen. Um meine Schulden bei dir zum Teil zu begleichen, okay?“
 

Doch Tina wollte nichts mehr hören und nichts mehr sehen. Außer Tanita Sie rannte weg von der Clique und hin zu dem verzaubernden Duft der Waffelbude.
 

Tanita schaute sie mit ihren großen Rehaugen an.

„Eine Waffel mit Puderzucker. Und...entschuldige bitte das mit den Schwachköpfen vorhin“, fügte sie hinzu.

„Ach...“, sprach Tanita, „ich kenn sie doch gar nicht anders.“
 

Tina sah ihr dabei zu, wie sie den Waffelteig auf das Eisen verteilte und ihr kamen plötzlich Zweifel an ihrer Entscheidung, einfach abzuhauen, denn das würde Konsequenzen haben. In ihrem Nacken spürte sie die Blicke der anderen wie Giftpfeile.

Doch sie konzentrierte sich ganz auf die Wärme, die vom Waffeleisen ausging und den Zimtgeruch.
 

Es dauerte schier unendlich lang, bis die Waffel fertig war, das hatte Tina gar nicht bedacht. Sie lächelte und suchte krampfhaft ein Gesprächsthema, doch ihr fiel keines ein. Spontan war sie noch nie gewesen.

„Wie gut, dass bald Weihnachtsferien sind“, versuchte sie es.

Tanita nickte bedächtig. „Ja, nur noch zwei Tage Schule in diesem Jahr.“ Sie drehte sich um, holte die Waffel heraus und berieselte sie mit Puderzucker.

„Hier, bitte“, sagte sie und überreichte sie Tina mit einer Serviette. Ihre Fingerkuppen berührten sich kurz und vor Schreck hätte Tina sie beinahe fallen gelassen.

„Danke.“
 

Sie ging alleine vor sich hin, betrachtete die Buden und riss dabei ein herzförmiges Teil nach der anderen von der Waffel ab; der süße Teig schmeckte noch besser als er roch, und vertrieb die Gedanken daran, was ihre sogenannten ‚Freunde‘ wohl jetzt von ihr halten mochten. Doch weil der Glühweinstand hinter dem gigantischen Weihnachtsbaum gelegen war, konnten sie sie nicht mehr sehen.
 

„Hey“, riss eine Stimme sie aus ihren trüben Gedanken, und Tina drehte sich um. Tanita stand vor ihr, die Schürze mit einer Jacke getauscht.

„Ich habe jetzt Feierabend.“

„Ach?“

Tanita strich mit seinem Daumen über ihren Mundwinkel.

„Du hattest da Puderzucker“, erklärte sie und war so rot um die Wangen wie sie selbst es sein musste.

„Oh, Tanita! Ich habe total vergessen, deine Waffel zu bezahlen…“

„Geht aufs Haus.“ Tanita lachte und richtete ihren Blick auf den Kirchturm. Dabei fasste sie Tina am Arm. „Psst. Hör gleich mal gut zu…“
 

Im nächsten Moment legte das Glockenspiel der Kirche los; ein heller, melodischer Klang, auf den immer weitere folgten und dem Platz eine märchenhafte Präsenz verlieh, wie aus einem anderen Jahrhundert. Das Glockenspiel, für das dieses kleine Dorf sehr berühmt war. Fasziniert schaute sie zuerst ihr Gegenüber an, dann hinauf zum Kirchturm.
 

Genau dorthin blicken sie auch heute, auf dem Weihnachtsmarkt des Dorfes, während das Glockenspiel ertönt.

„Hier hat sich in fünf Jahren nicht viel geändert“, meint Tanita nachdenklich.

„Doch“, bemerkt Tina und beugt sich zum Ohr ihrer Liebsten, „die Waffeln schmecken nicht halb so gut wie früher.“
 

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