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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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18. Türchen: Einladung

Benno parkte den Kombi an seinem Stellplatz und stieg in aller Gemütsruhe aus. Seinen Feierabend plante er mit einer Tiefkühlpizza, einer DVD und dazu Bier und ein, zwei Dosen Chips zu verbringen.
 

Er staunte nicht schlecht, als er in seinen Briefkasten schaute. Er hatte Rechnungen erwartet oder Werbung, aber alles was er vorfand, war eine Postkarte aus Österreich… Sie zeigte ein verschneites Tal in den Bergen. Seine Hände zitterten, als er sie las.
 

Benno,
 

ich weiß, es ist drei Jahre her… aber erinnerst du dich noch an diese Hütte bei Tirol? Das Ferienhaus meiner Eltern?

Ich würde dich wahnsinnig gerne wiedersehen und lade dich ein! Übers Wochenende? Du wolltest doch spontaner werden. Ich freu mich auf dich.
 

Tobi

xxx
 

PS: Ski fahren werden wir diesmal nicht, keine Sorge ;)


 

Tobias. Liebevoll strich Benno über die handgeschriebenen Zeilen. Wer von ihnen hatte eigentlich Schluss gemacht? Benno konnte sich nicht mehr erinnern, nicht mal an einen Streit. Sang- und klanglos war er aus seinem Leben verschwunden, hatte nichts mehr von sich hören lassen.

Und jetzt hatte er ihn Hals über Kopf nach Österreich eingeladen?
 

Benno kratzte sich an seinem krausen Vollbart, während er nachdachte. Tobias hatte die Sonne in sein Leben gebracht. Er war ein wahrer Adrenalinsüchtiger, der alle möglichen Outdoor-Sportarten, vor allem Extremsportarten ausprobierte und hatte es sogar geschafft, ihn, Benno, für Sport zu begeistern. Zumindest eine Zeit lang.
 

Benno schloss die Haustür auf, legte seine Pizza in den Ofen und nach dem Essen duschte er. Vor einer Entscheidung sollte man immer heiß duschen, das machte den Kopf frei.

Dann kramte er eine Reisetasche hervor, um für zwei Tage zu packen. Nicht mal Tobias´ aktuelle Handynummer hatte er – da war kein Anschluss unter dieser Nummer. War das nicht verrückt? Am Montag musste er einen wichtigen Kunden gewinnen und dafür vorbereitet sein...
 

Aber Tobias hatte ihn nun mal eingeladen, nicht irgendwer, sondern Tobias! Unwillkürlich verglich er die wenigen Dates, die er hatte, mit ihm. Und keiner konnte auch nur ansatzweise mit ihm mithalten. Denn die Zeit mit ihm war so intensiv wie mit keinem anderen gewesen. Er musste ihn einfach wiedersehen, er konnte gar nicht anders.
 

Sie hatten mal einen Tandem-Bungeejump gemacht, an den ihn eine Urkunde erinnerte. Ein Foto von ihnen beiden nach dem Sprung war darauf zu sehen.

Er, der Schrank von einem Mann, krallte sich leichenblass an Tobias, dieser halben Portion, weil ihm kotzübel war – für solche Nahtoderfahrungen war er einfach nicht geschaffen, er hatte lieber festen Boden unter den Füßen. Tobias dagegen strahlte in die Kamera und schmiegte sich an „sein Bärchen“.
 

„Ja“, sagte er zu sich selbst, während er das Foto betrachtete. „Ich nehme deine Einladung an. Weil du mein Sonnenstrahl bist!“
 

In seinem Navi war die Adresse noch gespeichert. Sie waren mit seinem Auto hingefahren, vor drei Jahren. Und hatten sich mit CDs und Hörbüchern die Zeit im Stau vertrieben.
 

Heute war wieder Stau, aber nicht so schlimm, es ging langsam voran, wegen des Schneefalls, der heftiger wurde, je weiter er nach Süden kam. Nach zweieinhalb Stunden kaufte er an einer Tankstelle einen Weihnachtsstern im Übertopf. Und einen flauschigen Teddybären mit großen braunen Knopfaugen, den er auf den Beifahrersitz setzte. Nach vier Stunden war er endlich da.
 

Alles war so, wie er es in Erinnerung hatte, die Gegend so idyllisch wie eh und je. Das alte Fachwerkhaus stand noch, war beleuchtet und Rauch stieg vom Kamin auf. Erinnerungen von vor drei Jahren kamen ihm hoch... wie er sich dort zu Hause gefühlt hatte.
 

Als er klingelte und niemand öffnete, kamen ihm Zweifel an seiner Entscheidung. Das Haus schien bewohnt, aber was, wenn Tobias es untervermietet hatte? So weit war er gefahren, und hatte nicht mal seine Telefonnummer. Wie sollte er ihn bloß finden?
 

Schließlich öffnete sich doch die Tür und – es war Tobias. Immer noch dünn wie eh und je. Sein weizenblondes Haar trug er noch genauso wie früher, vorne länger als hinten, und denselben Kleidungsstil. Doch…

Benno haute ja sonst nichts um, doch jetzt musste er schlucken: Tobias saß im Rollstuhl!
 

Das geliebte Lächeln zeigte sich in dessen Gesicht. „Benno. Dass du kommst, hätte ich nie im Leben gedacht! Wie geht es dir denn?“

Wie eine Statue stand Benno da und wusste nicht, was er sagen sollte, oder eher, was er sagen durfte.

„Du hast mir sogar was mitgebracht? Wie niedlich! Los, komm rein, es ist saukalt hier draußen.“

Tobias wendete den sportlich aussehenden Rollstuhl, und Benno folgte ihm ins Haus. Warm war es, und ein Feuer knisterte im Kamin.
 

Wenig später saßen sie davor mit einer Tasse Kaffee, Tobias erzählte und Benno hörte zu. Seit einem Unfall bei einer Mountainbike-Tour vor zwei Jahren war er querschnittsgelähmt, spürte ab Bauchnabel abwärts nichts mehr. Im Ferienhaus suchte er Abstand vom Stress zuhause, vom Behördenkram und Leuten, die ihn enttäuscht hatten. Es kam ihm zugute, dass das Haus ebenerdig, geräumig und barrierefrei war, weil seine Eltern es später als Altersruhesitz nutzen wollten.
 

Benno bemerkte, wie still Tobias dasaß, nicht mehr wie früher immer mit einem Fuß zappelte, was ihn immer genervt hatte. Stattdessen spielte er an den Ohren des Teddybären herum.

„Es tut mir leid, Benno! Es war hinterhältig, es in der Postkarte mit keinem Wort zu erwähnen…eigentlich war es eine Verzweiflungstat gewesen, dir zu schreiben, so nach dem Motto, ich habe ja nichts mehr zu verlieren! Anzurufen habe ich mich auch nicht getraut. Ich habe aber jeden Tag an dich gedacht… aber ich erwarte natürlich nicht, dass du dableibst, nachdem ich dich so verarscht habe.“

„Verarscht, wieso?“

„Na, jetzt bist du Stunden gefahren, nur um mich zu sehen, und ich... schau mich doch an!“
 

Benno legte die Hand auf seine, bevor Tobias das Bärenohr ganz abriss. „Ich hatte auch Sehnsucht nach dir, Tobi, habe aber angenommen, dass es einen anderen Grund dafür gibt, dass du dich nicht mehr meldest, und du deine Nummer geändert hast. Und jetzt bin ich bei dir, es ist alles perfekt! Lass uns das Wochenende einfach zusammen genießen!“

„Benno, ich werde nie wieder laufen können.“

„Ich liebe dich, Tobias! Daran haben die Jahre nichts geändert!“, sagte Benno nah an seinem Gesicht. „Und du wolltest ja sowieso über die Schwelle getragen werden, hast du mir irgendwann mal verraten.“

Jetzt musste Tobias lachen. „Ach Bärchen. Ich wünschte, ich hätte mich viel früher bei dir gemeldet!“

Sie verschmolzen zu einem langen Kuss, einen richtigen Kuss vom richtigen Mann.



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