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TMNT - Schicksal?

von

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Bis die Polizei kommt

Aus Bernadettes Sicht:
 

Noch eine Weile starre ich auf mein Smartphone und überfliege noch einmal die Zeilen, die mir meine Tante getextet hat. Dass sie wieder einmal beschäftigt ist, ist ohnehin nichts Neues, aber irgendwie bin ich sogar etwas erleichtert und das sogar aus zwei Gründen. Erstens ist mir zunächst nicht klar gewesen, wer mich da gerade per Handy kontaktiert hat. Es hätte auch sonst noch wer sein können und mit Tante Tina habe ich nicht einmal gerechnet. Ich dachte sogar, dass sie bereits zu Hause wäre und ohnehin noch darauf warten würde, dass ich endlich einmal aufkreuzen würde. Stattdessen gibt sie mir einfach Bescheid, dass nicht einmal sie heimkommen wird. Seit den Drohungen habe ich zunächst befürchtet, dass jetzt eine weitere Nachricht in dieser Richtung auf mich warten würde, aber in dieser Hinsicht war es zum Glück ein Fehlalarm. Das ist aber nicht das Einzige, was mich etwas erleichtert. Denn zweitens erspar ich es mir für heute, meiner Tante Rede und Antwort zu stehen. Wenn sie mich so gesehen hätte, hätte es nicht lange gedauert, bis ich mit unzähligen Fragen bombardiert wäre. Ich wüsste aber nicht, wie ich dann damit umgegangen wäre. Tränen habe ich für heute bereits genug vergossen und ich fühle mich auch jetzt nicht imstande, mich zu rechtfertigen, geschweige mich irgendwie anders verbal zu verteidigen.

In diesem Punkt bin ich einfach nur froh, dass ich nicht sofort wieder nach Hause muss und noch länger hierbleiben kann. Ich möchte einfach noch nicht gehen. Allein schon aus dem Grund, dass ich mich daheim wieder einsam fühle. Soweit es auch nur irgendwie möglich ist, will ich das hinauszögern, damit ich einfach bei Raphael bleiben kann. Ich weiß ja nicht einmal, wie spät es ist und die ganze Zeit über ist mir das sogar egal gewesen, aber im Moment hoffe ich nur, dass ich die kommenden Stunden ausnutzen kann. Was wohl meine Tante nun gerade macht? Mir ist zwar klar, dass sie noch auf der Arbeit sein muss und wieder einmal Überstunden macht, aber trotzdem hat das Ganze für mich doch einen bitteren Beigeschmack. Ich kann mir einfach nicht helfen. Auf der einen Seite bin ich so froh, dass ich bei meinem Freund und dessen Familie bin, aber andererseits steckt in mir der kleine Wunsch, meine Tante würde einmal zu mir stehen und sich um mich kümmern. Es ist töricht, schließlich habe ich mich nicht nur einmal über sie beschwert. Ehrlich gesagt, weiß ich überhaupt nicht, was ich davon halten soll. Auf der einen Seite kann mir diese Frau den letzten Nerv rauben, besonders wenn sie glaubt, mir ihre „Welt“ aufzwingen zu müssen und dennoch weiß ich, dass sie trotz allem gar kein so übler Mensch ist. Immerhin ist sie die Schwester meiner Mom und sie ist auch die Einzige in der Familie, die überhaupt in derselben Stadt ist wie ich. Daher ist sie daheim meine einzige Ansprechpartnerin und wäre es möglich, so würde ich nur einmal mit ihr reden wollen, ohne dabei wie bisher nur Niederlagen in punkto Kommunikation einstecken zu müssen.

Normalerweise hätte ich mich eher davor gedrückt, aber ich möchte ihr einfach zeigen, dass ich anders bin, als was sie in mir sieht. Sie soll meine Schmerzen sehen, die mir Lucinda und die anderen zugefügt haben. Ich bin wirklich das Opfer und ich hoffe, dass dieses Miststück endlich einmal zur Rechenschaft gezogen wird, aber noch zweifle ich daran. Die Einzigen, die wirklich für mich da sind und mir auch glauben, sind meine Freunde. Raphael, seine Brüder und auch Meister Splinter kümmern sich rührend um mich. Sie sind einfach für mich da, obwohl sie mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben. Sie sind ja die Beschützer der Stadt und haben wegen der Verbrechern genug um die Ohren. Trotzdem nehmen sie sich die Zeit und versuchen mir so weit es geht zu helfen. Selbst bei Leo, bei dem ich immer noch das Gefühl habe, dass er die Beziehung zwischen mir und seinem Bruder nicht wirklich gutheißt, habe ich in meinem Gefühlschaos mitbekommen, wie er kurz mit Raphael gesprochen hat. Worum es dabei ging, konnte ich nicht hören, aber im Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er mit meinem Liebsten über irgendetwas diskutierte. Ich habe wirklich nicht viel dabei etwas herausfiltern können, da ich derweil auch mit Mikey beschäftigt war. Zum ersten Mal habe ich den Witzbold auf eine ganz anderen Weise gesehen. Anders als sonst, war er mir gegenüber nicht so stürmisch und achtete sogar stets darauf, dass ich mich, soweit es irgendwie möglich, wohlfühle. Selbst jeder seiner Überlegungen schienen genau überlegt zu sein, als er mir beim Anziehen half.

Irgendwie hätte ich mich schon vorher bedanken sollen, aber ich fühle mich noch immer so sehr leer und kraftlos, als hätte ein Vampir meine ganze Energie ausgesaugt. Würde ich im Moment stehen, so wäre ich garantiert bereits umgekippt. Stattdessen liege ich nun in den Armen von Raphael, nachdem ich mein Smartphone wieder weggelegt habe. Nachdenklich starre ich einfach in die Leere. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Mit meinem Leben stehe ich momentan auf Kriegsfuß. Ich kann nicht einmal einen klaren Gedanken schaffen. Allein die Angst, die tief in mir sitzt, lässt mich nicht los und hilft weder eine Tasse Beruhigungstee, oder irgendwelche nett gemeinten Worte. Es ist alles einfach nur ein Scherbenmeer und am liebsten würde ich mich in der Dunkelheit verkriechen und nie mehr wieder rauskommen. Hätte ich die anderen nicht, so hätte ich das vermutlich bereits getan, so wie es schon auf dem Schulgelände war. Stattdessen schmiege ich mich an Raphael und versuche diesen beschissenen Tag irgendwie zu vergessen, aber so einfach ist das nicht. Die Angst lässt mich nicht in Ruhe und erinnert mich immer wieder daran, dass das noch lange nicht ausgestanden ist. Ich weiß es, verdammt noch mal! Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass ich mich fürchte. Schon seit langem kämpfe ich damit, aber leider hat sie von Tag zu Tag mehr die Oberhand bekommen. Dabei habe ich alles versucht, um dagegen anzukämpfen und ich habe sogar geglaubt, dass sie allmählich wieder verschwindet.

Grund dafür ist Raphael. Er war der Erste, bei dem ich frei über meine Probleme sprechen konnte. Nie habe ich einen Vorwurf von ihm ertragen müssen und er quälte mich auch nie mit irgendwelchen Belehrungen. Stattdessen war er, wie auch jetzt, einfach für mich da. Meistens saß er nur neben mir und hörte mir zu. Erst wenn ich es quasi „provozierte“ und mich von der Welt verschließen wollte, versuchte er alles Mögliche, damit es nicht geschah. Mit Humor, Ablenkungen, oder mit einfachen Aufforderungen, es endlich rauszulassen, gab er mir stets den Wink, dass ich trotz meiner Probleme nicht ganz allein bin. Irgendwie bekam ich dadurch sogar neuen Mut, meinen Willen trotz allem durchzusetzen und schöpfte für jeden darauf folgenden Tag neue Kraft. Selbst wenn dies nur für einige Stunden anhielt, so war es besser, bevor ich ihn an jenem Abend kennenlernen durfte. Auch jetzt sitzt Raphael neben mir und ist für mich da. Keine unnötigen Predigten, oder Sonstiges kommt aus seinem Mund. Er ist einfach da, hält mich in seinen Armen und gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein. Könnte dieses Gefühl der Geborgenheit nur ewig anhalten, aber ständig hält mir mein Verstand die bittere Realität vor Augen und dieser kann ich anscheinend nicht entkommen.

Zu viele Fragen sind einfach offen. Wie wird es nun weitergehen? Was wird aus den Videos und Fotos, die im Internet herumkursieren? Kann ich jemals überhaupt wieder auf die Straße gehen, ohne dabei wieder damit konfrontiert zu werden? Ich weiß, dass Donnie alles in seiner Macht Stehende tun wird, um das Schlimmste zu verhindern, aber so sehr die anderen mir auch Hoffnung machen, das Netz ist eine vollkommen andere Zone. Hier herrschen andere Regeln und was einmal gepostet wurde, wird für immer dortbleiben. Selbst wenn er alles löschen könnte, was ich mir allerdings nicht vorstellen kann, so wird der eine oder andere noch rechtzeitig etwas downloaden können und dann geht das Spiel wieder von vorne los. Denn dann folgen die nächsten Posts, die wie ein Lauffeuer ausarten. Daher müsste schon ein Wunder passieren, damit alles wirklich weg ist, aber ich glaube nicht daran. Das Einzige, was ich wirklich weiß, ist, dass ich diese Schule niemals mehr wieder betreten kann und es auch nicht möchte. Egal was auch demnächst passieren wird, ich werde dort für immer diejenige sein, die sich mit einem Handtuch um dem Leib zum Gespött gemacht hat. Allein das lässt sich nicht aus den Köpfen saugen. Daran wird auch das Löschen der Videos und der Bilder nichts ändern.

Plötzlich fühle ich verstärkt Raphaels Hand auf meine Wange und ich sehe zu ihm auf. Seine goldgelben Augen, die sonst so wie die Sonne strahlen, zeigen nun diese Sorge. „Denk nicht dran. Donnie wird schon einen Weg finden.“, sagt er schließlich mit einer ruhigen aber dennoch auffordernden Stimme. Ich jedoch schüttle den Kopf und erwidere bedrückt: „Als wenn das mit dem Internet so einfach wäre. Alles, was mal dort ist, kann nicht so einfach wieder verschwinden.“ Davon bin ich nun mal überzeugt. Doch schon packt mich Raphael bei den Schultern. Er ist dabei nicht grob, aber die plötzliche Reaktion hat mich kurz erschreckt. Ich habe einfach nicht damit gerechnet. Mein Liebster versucht mir nun zu verklickern, dass alles wieder gut wird: „Lass jetzt den Kopf nicht hängen. Warte einfach ab und lass ihn machen. Mein Bruder weiß schon, was er tut.“ Ich jedoch schüttle wieder den Kopf und streiche seine Hände von meinem Körper. Ich glaube, er weiß einfach nicht, was das wirklich für mich bedeutet, aber nicht nur das macht mir Sorgen und genau das versuche ich meinem Liebsten zu erklären: „Nein und selbst wenn es Donnie wirklich schaffen sollte, was passiert dann? Lucinda wird wieder ungeschoren davon kommen und ich bleibe die Dumme. … Ich … ich kann nie wieder dieses Schulgebäude betreten Raphael! Ich kann mich weder dort wehren, noch die Geschehnisse verdrängen. Ich bin dort vollkommen auf mich allein gestellt und diese Scheiße wird mir garantiert wieder passieren! Allein das von heute hat nun endgültig das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich schaffe das einfach nicht mehr Raphael! Ich kann einfach nicht mehr! … Ich habe einfach Angst.“

Ich fühle, wie mein gesamter Körper bebt und vor meinem geistigen Auge sehe ich die jüngsten Ereignisse wieder. Diese Anrempelei, diese Streiche, diese bösartigen Kommentare und diese Drohungen – das war nicht nur einfaches Lästern, das war Folter und das ist es bis heute noch. Ständig stand ich unter Spannung, versuchte keine Furcht oder Wut zu zeigen. Ich musste mich immer beherrschen und aufpassen, nicht ständig in Konflikt mit der Schule zu geraten, was dieses Miststück trotzdem immer wieder gut eingefädelt hatte. Diese permanente Angst macht mich einfach fertig und ich habe wirklich keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Eine weitere Träne kullert mir aus dem linken Auge, was Raphael aber wieder sofort wegwischt. Zärtlich hebt er mein Kinn an, damit ich ihn ansehen muss. Dabei schaut er mich auffordernd an und redet doch mit einer beruhigenden Stimme: „Ich verstehe dich und ich schwöre dir, wenn ich könnte, würde ich sie alle solange zusammenfalten, bis man sie nur noch als Origamifiguren verwenden kann. … Wichtiger ist aber, dass du wegen diesem Miststück und ihren Untertanen nicht die Flinte ins Korn wirfst. Dann erreicht sie genau das, was sie schon immer wollte. Willst du das wirklich Bernadette? Willst du sie gewinnen lassen, obwohl du so sehr dagegen gekämpft hast? … Ich glaube nicht, dafür kenne ich dich zu gut und du weißt das auch.“ Ich seufze, spüre aber gleich, wie er mich wieder behutsam an sich drückt. Trotz seiner liebevollen Art, kann ich mir nicht helfen, ich habe einfach so große Angst. Eigentlich hätte ich darauf gerne wieder etwas erwidert. Allein schon die Tatsache, dass ich weiterkämpfen soll, obwohl ich keine Kraft mehr dafür habe, liegt mir schwer auf der Seele. Das kann mein Freund einfach nicht von mir erwarten.

„Raphael, das …“, fange ich schon mit dem Satz an, als uns beide plötzlich Donnies Stimme aufschreckt, der vor Freude: „Heureka!“ schreit. Skeptisch und überrascht zugleich schauen mein Liebster und ich uns gegenseitig an, bis Raphael mich an der Hand nimmt und mich zu seinem Bruder zerrt. „Komm, sehen wir nach, was lost ist.“, fordert er mich auf, während ich wie am Schlepptau hinter ihm herlaufe. Wir sind aber nicht die Einzigen, die diesem Jubelschrei gefolgt sind. Ein jeder eilt herbei und fragt sofort, was denn los sei. Noch ist der Turtle mit der Lilamaske mit sich selbst beschäftigt und er scheint auch noch mit jemanden zu telefonieren: „Wir haben´s geschafft April! … Ja, danke, ich werde es ihr auf jeden Fall ausrichten. … Sag deiner Freundin noch ein herzliches Danke. Bis dann!“ Kaum hat er aufgelegt, dreht er sich schon freudestrahlen zu uns, während wir alle schon langsam ungeduldig werden. Ich verstehe allerdings nur Bahnhof, denn was hat April und ihre Freundin mit der ganzen Sache zu tun? Wer ist diese Unbekannte überhaupt und was genau haben sie erreicht? Unsicher und verwirrt schaue ich nun zum Genie, der sogleich auf mich zustürmt und mich fest umarmt. „Wir haben´s geschafft Bernadette!“, jubelt er weiter, doch ich verstehe es immer noch ganz. Ein beinahe flüsterndes „Was?“ kommt über meine Lippen. Auch wenn ich weiß, was der Brillenträger vermutlich damit meint, kann ich es nicht glauben. Wie soll das überhaupt möglich gewesen sein, wie hat er das nur bewerkstelligt?!

Kaum dass Donnie mich wieder losgelassen hat, tritt Leo nun an meine Seite und klärt mich schließlich auf: „Ich habe mich mit April in Verbindung gesetzt und ihr von deinem Mobbingproblem erzählt. Sie hat sich gleich darauf mit ihrer ehemaligen Studienkollegin Irma ausgetauscht und sie auch darum gebeten, Donnie bei dem Problem zu unterstützen.“ Kaum dass dessen Name erwähnt wird, fährt der Lilamaskierte schließlich aufgeregt mit der Erklärung fort: „Sämtliche Blogger und Seiten, die auch nur ansatzweise damit etwas zu tun hatten, sind gesperrt worden. Die Community ist ebenfalls informiert und setzt alles daran, dass die Verantwortlichen gemeldet und die Angelegenheit durch die Polizei geregelt wird. Das heißt, dass die Drahtzieher keine Möglichkeit haben, sich aus dieser Sache zu retten. Die werden höchstens ihr blaues Wunder erleben, wenn die Polizisten plötzlich vor der Haustür stehen.“ Unglaubwürdig höre ich zu. Ich kann es einfach nicht fassen, was die mir erzählen. Eigentlich habe ich es für unmöglich gehalten, dass überhaupt etwas passiert. Da wäre es wohl eher wahrscheinlicher gewesen, im Lotto zu gewinnen. Doch Donnie setzt noch einen oben drauf und erzählt uns, dass er noch etwas ausgeheckt hat: „Das Beste kommt ja noch! Ich habe zusätzlich einige Viren miteinprogrammiert, wodurch ich Lucindas Rechner ausfindig machen und nun für alle sichtbar machen konnte, dass sie die Drahtzieherin ist. Jede noch so kleine Einzelheit, die sie über dich geschrieben hat, ist ab jetzt für alle klar erkennbar diesmal kann sie nicht ungeschoren davonkommen.“

Je mehr ich davon höre, desto mehr glaube ich, dass das alles nur ein Traum ist. Ich bin einfach sprachlos. Wie kann das nur so schnell gehen? Das waren doch nur einige Stunden? Auch wenn ich mein Zeitgefühl verloren habe, ich kann es einfach kaum glauben. Es ist doch unmöglich diese Bilder und Videos einfach so aus dem Netz zu nehmen und trotzdem hat es Donnie mit ein paar helfenden Händen geschafft. Sie sind weg. Jede noch so kleine Datei ist futsch und damit ich es quasi glauben muss, zeigt mir das Genie direkt an seinem Computer die einzelnen Seiten. Dabei hatte ich noch selbst gesehen, dass dort was war. Doch nicht mal die Hate-Kommentare sind irgendwo zu entdecken. Egal was der Mutant auch anklickt, ich sehe nur rote Balken mit Warnhinweisen, dass diese Bereiche gesperrt sind. Ich kann mein Glück kaum fassen. Bitte lass es kein Traum sein, sonst halte ich es endgültig nicht mehr aus. Ein kleines Lächeln zeigt sich schließlich in meinem Gesicht und ich kann es nicht verhindern, dass mir wieder einige Tränen an den Wangen herunterkullern. Diesmal sind es aber Freudentränen und atme sogar erleichtert auf. Als würde eine schwere Last von meine Herzen fallen und sämtliche Ketten dabei sprengen. Genauso fühle ich mich und kann nicht anders, als meine Freunde abwechselnd zu umarmen und ihnen zu danken. Der Erste ist der Lilamaskierte, welcher gleich als Nächstes neben mir steht. Gefolgt von Mikey und Leo, bin ich schließlich bei Raphael, der nun liebevoll seine Arme um mich schlingt. „Habe ich es dir nicht gesagt?“, murmelt er grinsend, aber ich nicke nur stumm darauf, während ich mich einfach in diese Geborgenheit fallen lasse.

Ich habe es einfach nicht für möglich gehalten. Meine Freunde haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit überhaupt etwas passiert und es ist sogar mehr geschehen, als was ich jemals erhofft hätte. Wenn ich daran denke, wie ich noch vorhin so unter Druck stand und mit der Angst rang, ist nun ein Teil davon wie weggeblasen. Ich sehe nun endlich, dass sich doch etwas ändern kann, aber ohne die Hilfe meiner Freunde wäre das wohl kaum möglich gewesen und dafür bin ich ihnen allen unendlich dankbar. Jetzt kann ich allmählich wieder nach vorn schauen und Raphael schwört, dass er mich auf gar keinen Fall alleine lassen wird, egal was noch auf mich zukommen mag. Dass es noch nicht ganz überstanden ist, weiß ich, aber es tut einfach gut, endlich ein bisschen Glück fühlen zu dürfen und genau das will ich gemeinsam mit meinen Freunden genießen. Da ich meine Tante erst am kommenden Tag wiedersehen würde, habe ich diesmal keinen Stress noch rechtzeitig nach Hause zu kommen. Ich konnte somit noch einige Zeit in der Kanalisation bleiben, ehe mich Raphael schließlich wieder in den Armen trägt und gemeinsam mit mir über die Dächer springt. Als wir schließlich bei mir daheim ankommen, lässt mich mein Freund in der Gasse zuvor hinunter, damit ich die Haustür aufschließen kann.

Immerhin ist das Fenster geschlossen. Wäre heute das alles nicht passiert, so hätte ich das gleich nach der Schule gemacht und wie immer einen Spalt offengelassen. Doch diesmal ist es nicht so gekommen und ich kann von Glück reden, dass ich zumindest meinen Rucksack wiederhabe. Denn darin habe ich nicht nur die beiden Mobilgeräte verstaut, sondern neben meinen Schulsachen auch meine Hausschlüssel untergebracht. Zwar hätte ich mit Hilfe von meinem Liebsten selbst bei mir Zuhause „einbrechen“ können. Das wäre für ihn überhaupt kein Problem gewesen, aber so ist es mir lieber und wozu habe ich denn meine Schlüssel? Raphael wartet noch eine Weile versteckt, bis ich ihn schließlich durch das Fenster hereinbitten kann. Er hätte ja auch die Tür nehmen können, aber er meinte nur, dass es so besser wäre, von fremden Blicken ungesehen zu bleiben. Als er schließlich in mein Zimmer geklettert ist, sind wir nun endlich wieder für uns allein. Liebevoll nimmt er mich in den Arm, hebt mich dann hoch und gibt mir einen sanften Kuss, ehe er sich mit mir auf mein Bett setzt. Trotz dass der Tag so ziemlich für die Katz war und das ist noch milde ausgedrückt, kann ich mich etwas erleichtert an ihm schmiegen und seine Nähe genießen. Warum kann er nicht immer bei mir sein und warum frage ich mich das eigentlich ständig? Ich kenne doch die Antwort nur zu gut, was mich dann doch wieder etwas traurig stimmt.

Ich seufze, woraufhin Raphael mich fragt, ob alles in Ordnung ist. „Ich habe mich nur gefragt, wie es weitergeht.“, antworte ich darauf, auch wenn das eigentlich nicht wirklich stimmt. Er aber lässt stöhnend seinen Kopf in den Nacken fallen. Irgendwie scheint er von dem Thema genervt zu sein, aber was soll ich dagegen machen? Ich kann das doch nicht ignorieren. Noch ist nicht ausgestanden und das weiß er auch. „Hey, das wird schon. Du hast doch selbst gehört, dass Lucinda diesmal nicht so schnell davonkommen wird. Jedes Foto und jedes Video von dir ist gelöscht und das mit der Schule bekommst du auch noch hin. Wenn du Hilfe brauchst, dann weißt du ja, wo du sie findest.“, versucht er mich aufzumuntern. Das mit der High-School sehe ich allerdings nicht so. Wie stellt er sich das vor? So einfach ist das nicht, aber damit ich die Nerven meines Liebsten nicht noch mehr strapaziere, nicke ich nur. Vielleicht hat er Recht, aber ich glaube das erst, wenn ich es sehe. Ich bin einfach schon viel zu oft mit der bitteren Realität konfrontiert worden, als dass ich mich blauäugig darauf verlasse. Um aber das Thema zu wechseln, bitte ich Raphael noch etwas bei mir zu bleiben, bis er wieder nach Hause muss. „Bleib bitte. Zumindest bis ich eingeschlafen bin.“, sage ich ihn sehe zu ihm empor. Er wiederum lächelt und entgegnet mir: „Kein Problem.“

Ich möchte jetzt nicht allein sein. Auch wenn es spät ist und er mit Sicherheit wieder in die Kanalisation zurück muss, kursieren in mir zurzeit noch zu viele Gedanken. Ich bin mir sicher, dass ich mich noch tiefer darin verlieren werde, wenn er nicht bei mir ist und wenn er zumindest solange da ist, bis ich eingeschlafen bin, wäre es für mich beruhigend. Raphael legt mich schließlich auf die Matratze und ich kuschle mich sofort unter die Decke, während er sich neben mich niederlässt. Zärtlich legt er seinen Arm um meine Hüfte und sieht mich an. Seine Augen zeigen immer noch diese Sorge, auch wenn ich glaube, auch etwas Wut darin zu erkennen. Vermutlich würde er gerne die Verantwortlichen verprügeln. Diesen Wunsch hat er heute nicht nur einmal geäußert. Wenn das nicht noch mehr Probleme verursachen würde, hätte ich auch nicht wirklich was dagegen. Ich hätte ihn sogar angefeuert und dabei zugesehen. Das Leben bereitet mir aber zurzeit nur Probleme. Umso schöner ist es einfach für mich, dass ich nicht allein bin. Raphael ist für mich da und ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne ihn machen würde. Allmählich merke ich aber, wie die Müdigkeit immer mehr die Oberhand gewinnt. Dabei will ich noch nicht schlafen, auch wenn mein Körper etwas anderes sagt. Meine Lider werden immer schwerer, bis ich meine Augen nicht mehr offenhalten kann und schließlich doch nachgebe.

Mein Schlaf ist aber diesmal traumlos gewesen. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern und ich erwache erst, als die Sonnenstrahlen mir direkt ins Gesicht scheinen. Im ersten Augenblick habe ich das Gefühl, dass der gestrige Tag einfach nur ein schlimmer Albtraum gewesen sein muss und ich mich deswegen so schwer fühle. Doch als ich die Decke von mir wegziehe und das graue Sweatshirt am meinem Leib sehe, muss ich bedrückt feststellen, dass es doch so passiert war. Ich seufze und lasse meinen Kopf wieder in den Polster zurückfallen. Lieber wäre es mir gewesen, wenn ich das nur in einem Albtraum erlebt hätte. Doch wie immer meldet sich die bittere Realität. Seufzend quäle ich mich erstmal aus meinem Bett und mache mich mal frisch. Selbst aber nach einer angenehmen Dusche und in meinen eigenen Sachen fühle ich mich nicht wirklich wohl. Die Situation mit der Schule hängt mir noch immer nach. Als hätte ich diesen Dreck nicht wegwaschen können und allein der Gedanke daran erschaudert mich. Auch wenn mir meiner Freunde gestern gut zugeredet hatten, kann ich dieses Gebäude nicht mehr betreten. Es ist einfach zu viel passiert. Eigentlich sollte ich wieder dort sein. Es ist erst Freitag und ich hätte vermutlich bereits Unterricht, aber ich bin immer noch zuhause.

Wie spät es eigentlich schon ist? Mein Blick fällt nun auf die Uhr und ich sehe, dass es bereits elf ist. Ich habe daher nicht nur verschlafen, sondern durch das Frischmachen auch noch weitere Zeit verstreichen lassen. Wenn Tante Tina erfährt, dass ich quasi geschwänzt habe, werde ich Ärger bekommen, auch wenn ich dafür gute Gründe habe. Ich verschränke meine Arme. Was mache ich jetzt? Es hat keinen Sinn dorthin zugehen und ich will es auch nicht. Ich möchte niemals mehr einen von diesen Leuten sehen. Auch wenn ich mir sicher bin, dass Lucinda ihren Erfolg garantiert feiert. Doch laut Donnie kann sie sich diesmal nicht rausreden und wird wohl diesmal die Konsequenzen dafür tragen müssen. So richtig glaube ich aber daran nicht. Sie hat sich doch immer aus der Situation retten können. Vermutlich wird es auch dieses Mal sein und mit ihrem Geld kann sie sich ohnehin die besten Anwälte leisten. Wissen werde ich das auf jeden Fall erst in Laufe der Zeit. Auch wenn ich ehrlich gesagt alles vergessen möchte. Seufzend versuche ich die Situation für den Moment zur Seite zu schieben und verlasse mein Zimmer. Ich bin gerade auf dem Weg zur Küche, als es plötzlich an der Haustür klingelt. Wer kann das um diese Uhrzeit sein? Erwartet Tante Tina etwas oder vielleicht sogar jemanden? Das hätte sie mir aber per WhatsApp bereits mitgeteilt, oder könnte sie das vergessen haben? Als ich schließlich meine Schlüssel nehme und die Tür aufsperre, stehen zwei Polizisten vor der Türschwelle. Unsicher schaue ich die beiden Männer an. Was wollen die von hier? Einer der Beamten scheint meinen Blick verstanden zu haben und versucht mich zu beruhigen.

Er klärt mich auf, dass sie wegen der Sache mit dem Cybermobbing hier sind: „Eigentlich hat das Revier bereit schon einige Male hier angerufen. Da keiner rangegangen ist, sind wir nun hier. Wir brauchen eine Aussage von dir. Du bist doch diese Bernadette, oder?“ Bei seiner Frage nicke ich stumm, kann mir aber nicht erklären, dass ich sämtliche Anrufe verpeilt hätte. Ich habe aber wirklich nichts davon mitbekommen. Das heißt, dass mein Schlaf tief genug gewesen sein muss, sodass ich deswegen nicht erwacht bin. Auch wenn ich die beiden Männer einfach so stehen lasse, gehe ich gedankenversunken zum Telefon. Normalerweise ist dieses Standgerät nur für Notfälle gedacht, oder wenn man uns über das Telefonbuch erreichen möchte. Dabei wäre dieses Ding eher unnötig. Dennoch hat meine Tante darauf bestanden, es trotz des Zeitalters der Handys weiterhin zu nutzen und anscheinend wurde unsere Festnetznummer nach langem tatsächlich wieder gebraucht. Als ich den Anrufbeantworter aktiviere, teilt dieser mir mit, dass auf diese Nummer bereits siebenmal angerufen wurde. Ich drehe mich schließlich wieder zu den Beamten, die mich nun darum bitten, aufs Revier mitzukommen. Unsicher schaue ich sie an und als ich meine, dass ich das gerne zuerst mit meiner Tante besprechen möchte, antworten sie nur darauf, dass ich sie während der Fahrt anrufen kann. Mir bleibt wohl keine andere Wahl.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mad-Dental-Nurse
2016-04-10T10:25:11+00:00 10.04.2016 12:25
Na endlich ein Silberstreifen am Horizont. Endlich, so hoffe ich, wird diese B*** ihr Fett wegbekommen.
Das Bernadette das nicht so richtig glauben kan, kann ich schon etwas vertehen und jetzt wo sie auf das Polizeirevier muss...
Ich kann nur hoffen, dass sie endlich ihren Frieden findet
Antwort von:  Pamuya_
10.04.2016 18:18
Ein bisschen Glück muss ich ihr ja auch gönnen. Das Leben ist nun mal nicht nur schlecht, auch wenn es Bernadette in Moment eher schwer fällt daran zu glauben, was aber auch verständlich ist.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
10.04.2016 18:20
Klar nach den ganzen enttäuschungen...


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