Zum Inhalt der Seite

Sweet Amoris with OC

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Lysander war sich nun sicher.

Er würde Lucio nicht so einfach aufgeben; Er würde um ihn kämpfen. Und wenn es das letzte war, was er tat. Den letzten Satz strich Lysander aus seinem Notizbuch. Ein wenig weiter leben würde er schon noch gerne.

Mit finsterem Blick saß er montags in der großen Pause auf einer Bank auf dem Schulhof und beobachtete die Leute. Diese hatten heute schon den ganzen Tag lang reinen großen Bogen um ihn gemacht. Der Weißhaarige strahlte derzeit eine Aura aus, die auf viele ziemlich abstoßend wirkte. Er war stinksauer, entschlossen, kampfbereit und litt an Liebeskummer.

Dank Castiel war sein Kampfgeist nun vollends erwacht. Er wollte es nicht hinnehmen, dass jemand anderes ihm einfach seinen Freund wegnahm, auch wenn es Lucios bester Freund war. Nicht länger wollte er verständnisvoll sein und zusehen, wie Lucio einen anderen anlächelte. Dazu liebte er ihn viel zu sehr.

Ihm war allerdings auch bewusst, dass es nicht so einfach werden würde. Ein Gespräch hatte Lucio heute Morgen abgeblockt unter dem Vorwand, er käme zu spät zum Unterricht. Dass dieser eh schon lange angefangen hatte. Hatte ihn nicht interessiert. Ebenso wenig wie Lys.

Das ganze Wochenende war Lysander am grübeln, telephonieren und E-Mail schreiben gewesen. Geschlafen hatte er deswegen nicht viel, was die Augenringe in seinem Gesicht erklärte.

Zuerst hatte er sich mit Castiel und sogar Nathaniel beratschlagt, was er am Besten tun konnte. Die beiden hatten ihm erst einmal vor Augen geführt, dass er sich bei Lucio entschuldigen müsste und die Schuld nicht nur bei dem Kleinen lag. Lysander hatte sich danach verdammt schuldig gefühlt, da er die Situation so noch nie gesehen hatte.

Nach diesen Gesprächen hatte er allerdings viel klarer gesehen und er war ziemlich aggressiv an den Plan von Cas und Nath herangegangen. Vielleicht würde es ein wenig zu größenwahnsinnig oder was auch immer sein, aber dem Weißhaarigen war das egal.

Hartnäckige Gespräche hatte er an diesem Wochenende geführt und verhandelt, als hinge das Schicksal der gesamten Welt davon ab. Gewissermaßen stimmte das ja auch, nur, dass es eben Lysanders Welt war.

Dank Castiel und einem einfühlsamen Manager und verstehenden Bandmitgliedern war aber noch alles gut gegangen. Mehr als gut. Gegen 5 Uhr morgens am Sonntag hatte Lysander das erste Mal nach langer Zeit wieder gelächelt.

Schritt eines dieses Plans wäre damit schon mal erfolgreich beendet. Die Einteilung dieses Plans erinnerte ihn zwar wieder an Lucio, aber er unterdrückte die Traurigkeit mit blanker Wut auf Devon.

Dieser würde nicht mehr lange zu lachen haben.

Lysander musste beinahe ein unmenschliches Knurren unterdrücken, als dieser an ihm vorbeilief. Beide tauschten einen hasserfüllten Blick aus, von dem sich Devon als erster löste und süffisant auf Luna und Lucio zuging. Den Arm legte Devon um Letzteren, der sich nicht einmal dagegen wehrte.

Das entfachte Lysanders inneres Feuer nur noch mehr. Er würde Lucio schon zeigen, wie viel er ihm bedeutete und wenn er es in der Öffentlichkeit vor hunderten von Menschen tun musste.

Mit einem lautem Ausatmen löste er seine verkrampfte Hand um die beiden Konzerttickets in dieser, bevor er aufstand und auf Castiel zuging.

Das nächste sollte doch lieber er erledigen. Wenn es darum ging, mit Mädchen zu reden, war der Rothaarige definitiv die bessere Wahl.
 

Ich seufzte leise vor mich her, als ich neben Luna und Devon auf dem Schulhof stand.

Eigentlich war ich immer noch sauer auf den zweiten, aber er hatte sich am Wochenende so lieb bei mir entschuldigt, dass ich gar nicht anders konnte. Außerdem hatte ich meinen besten Freund irgendwo ja doch vermisst, egal, was er getan hatte.

Die Entschuldigung nahm ich ihm auch ab und er hatte mir ausführlich erklärt, warum er sich so benommen hatte. Im Nachhinein konnte ich ihn ja schon irgendwie verstehen.

Ich war zwar wirklich nicht begeistert gewesen, als er am Wochenende einfach vor meiner Tür gestanden hatte, aber zumindest hatte ich ihm diese nicht direkt wieder ins Gesicht geschlagen. Sogar zugehört hatte ich ihm, bis wir bei einer Tasse Tee in meinem Wohnzimmer saßen. Ich auf dem Sessel, er auf der Couch.

Vorsichtig und einfühlsam hatte er begonnen zu erklären, dass er schon ein paar Jahre lang in mich verliebt war und nicht wusste, was er tun sollte, als er mich endlich wieder sah. Bei ihm hatte es einfach ein wenig ausgesetzt, als er erfahren hatte, dass ich einen festen Freund hatte.

Noch ein paar mal meinte er, dass er es ehrlich mit mir meinte und mich glücklich machen würde. Dass er mich geküsst hatte, tat ihm zwar leid, aber er bereute es nicht. Das war etwas, was er schon lange tun wollte. Im Nachhinein hätte er aber trotzdem anders reagieren sollen.

Ruhig hatten wir lange Zeit miteinander geredet und uns anschließend wieder vertragen. Ich hatte ihm auch klipp und klar gesagt, dass ich nicht mehr als Freundschaft von ihm wollte, was er auch eingesehen hatte. Mit einem Seitenhieb hatte er aber zu verstehen gegeben, dass er mich dennoch so leicht nicht aufgeben würde.

Bevor er gegangen war, hatten wir sogar noch ein wenig herumgescherzt und uns zum Abschied umarmt.

Am Montag hatte ich also wirklich die Hoffnung, es könne wieder so wie früher werden.

Die Hälfte der Pause heute verlief auch relativ normal und ich lächelte wieder ein wenig mehr, als noch vor ein paar Tagen. Der Schmerz saß zwar tief und ich war noch immer keinesfalls über Lysander hinweg, aber ich musste geradeaus blicken.

Luna und Devon brachten mich zusätzlich auch immer mehr auf lustigere Gedanken, weswegen ich ihnen schon dankbar war. Zur Begrüßung hatte ich es zwar zugelassen, dass Devon einen Arm um mich gelegt hatte, aber nach einem strengen Blick meinerseits, war er auch etwas auf Abstand gegangen. Stattdessen waren nun Lunas Haare sein neuestes Opfer, was mich sogar zum Kichern brachte.

Freunde zu haben war doch wirkliches eines der schönsten Dinge auf der Welt.

Dass Liebe eigentlich fast noch schöner war, verdrängte ich lieber mal schnell.
 

Luna hätte am liebsten losgemeckert und gezetert und denjenigen beleidigt, der gerade auf sie einredete. Bei einem Lehrer käme das allerdings nicht so gut.

Nach dem Unterricht vom Lehrbeauftragten aufgehalten zu werden mochte sie wirklich nicht. Und was konnte sie dazu, dass sie einmal einen Test verhauen hatte? So abwegig war ihre Idee, dass Goethe eigentlich auf Männer stand und nur über Frauen schrieb, um von seiner Sexualität abzulenken, gar nicht. Ihr Deutschlehrer vertrat diese Meinung offenbar nicht.

Schlecht gelaunt verließ Luna das Klassenzimmer und das Schulgebäude und wunderte sich, dass auf dem Hof Castiel auf sie zukam.

»Hey.«, begrüßte der Rothaarige sie knapp und gelangweilt, bevor er vor ihr stehen blieb.

»Hey.«, grüßte nun auch Luna, »Was gibt’s? Willst du mir im Nachhinein doch dafür bedanken, dass ich dir und Nath endgültig auf die Sprünge geholfen hab?«

Luna grinste bei dem letzten Satz und war auf eine Antwort gespannt. Castiel verzog allerdings nur kurz das Gesicht, grinste dann auch kurz, bevor er allerdings eher ernst fortfuhr.

»Ich hab hier zwei Karten für ein Konzert.«, begann der Rothaarige, während er eben genannte Karten Luna auch schon in die Hand drückte. Diese sah ihn jetzt noch verwunderter an.

»Du kommst nächstes Wochenende mit Lucio da hin, klar?«, redete Castiel weiter, ohne auch nur irgendeine Begründung abzuliefern. Sein typischer, gelangweilter Tonfall war allerdings nicht zu hören. Es war ihm verdammt ernst.

»Und warum sollen wir da hinkommen?«, fragte nun Luna, nachdem sie einen Blick auf die beiden leicht zerknitterten Karten warf.

»Weil meine Band die Vorband ist.«, erklärte Castiel knapp, bevor er sich zum Gehen wandte.

In Lunas Kopf ratterte es, bis sie sich etwas zusammenreimte, was sogar stimmen könnte. In Castiels Band spielte Lysander mit. Wobei spielen nicht ganz stimmte, da der Weißhaarige der Sänger war.

Luna grinste nun, was Castiel als Anlass dazu nahm, zu gehen, da sie verstanden hatte.

»Bye, bis morgen.«, verabschiedete er sich nun knapp.

»Tschüss. Das ist wirklich nett von dir… von euch. Ich zumindest finde die Idee gut. Und irgendwie ist das voll süüüüß!«, rief Luna dem Rothaarigen hinterher. Dieser beeilte sich ein wenig um außer Sichtweite von Luna zu gelangen. Er ärgerte sich allerdings darüber, dass sie ihm nachgerufen hatte.

Es musste ja nicht jeder erfahren, dass er etwas Nettes getan hatte.

Luna steckte derweil die Karten vorsichtig in die Tasche, bevor sie sich endgültig auf den Heimweg machte. Castiels Reaktion war ihr Antwort genug, dass sie in die richtige Richtung dachte.

Jetzt musste sie nur noch Lucio dazu bringen, mit ihr auf das Konzert zu gehen. Dank ihrem Überzeugungstalent dürfte das allerdings nicht sehr schwierig werden.
 

Ich wusste nicht, wie Luna es geschafft hatte, dass ich letztendlich hier war. Vor zwei Tagen hatte sie mit Konzertkarten vor meiner Nase herumgewedelt und mich regelrecht angebettelt, mit ihr hinzugehen. Obwohl der Ausdruck, dass sie mich beinahe gezwungen hatte, besser passen würde.

Zuerst hatte sie mich ja ganz normal gefragt und als ich ablehnen wollte, weil mir die Band nichts sagte, kam sie damit an, dass ich als ihr bester Freund doch dazu verpflichtet wäre mit ihr hinzugehen und dass beste Freunde doch dafür da wären. Außerdem hatte sie dann noch gesagt, dass sie gerne mal wieder etwas mit mir allein unternehmen würde, obwohl Devon da war. Aber an den wollte ich heute wirklich nicht denken. Am Ende hatte die Blauhaarige mich so mit Argumenten überschüttet, dass ich gar nicht mehr Nein sagen konnte. Im Endeffekt dachte ich sogar, dass sie Recht hätte. Die Karten kosteten mich keinen Cent, da Luna sie, woher auch immer, geschenkt bekommen hatte. Zudem musste ich einfach mal wieder raus und etwas unternehmen, vor allem abends, damit ich nicht in Selbstmitleid daheim rumsitzen würde. Ich wollte nach vorne blicken, damit abschließen, dass ich Lysander nicht zurückbekommen würde. Und genau da war das Problem.

Die Vorband der Gruppe, die heute das Konzert geben würde, war nämlich die Band rund um Castiel und Lysander. Das hatte ich allerdings erst heute erfahren und da war es schon zu spät. Bis jetzt hatte ich gar keine Ahnung gehabt, wie Lysanders Band überhaupt hieß und hätte es auch bis zu Beginn des Konzertes nicht gewusst, wenn Luna sich nicht verplappert hätte. Jetzt konnte ich mir auch irgendwie denken, von wem Luna die Karten hatte.

»Komm, ich will nachher nicht ganz hinten stehen.«, riss mich meine beste Freundin aus den Gedanken und packte mich am Arm. Erbarmungslos zog sie mich nach vorne, bis wir am vorderen Drittel der Halle angelangt waren, erst dann blieb sie stehen.

Die Konzerthalle war nicht sehr groß, aber es passten eine Menge Menschen hinein. Die meisten davon hielten sich allerdings noch außerhalb auf und würden erst hier reinstürmen, wenn die hauptband spielte. Eigentlich war es schade, dass die Vorbands nie die volle Aufmerksamkeit vom Publikum erhielten.

Ich richtete meinen Blick nach vorne und sah, dass auf der Bühne das letzte bisschen aufgebaut wurde, sodass es bald losging. Ein paar Mal hatte ich Castiel dort oben erblickt und ein paar Gesichter, die ich nicht kannte. Anscheinend mussten er und seine Band selbst aufbauen. Lysander hatte ich bisher, und zum Glück, noch kein einziges Mal gesehen. Kurz blickte ich zu Luna, aber sie beobachtete, wie die oben stehenden Instrumente gerade umarrangiert wurden.

Ich dachte daran, warum ausgerechnet Castiel und seine Band heute Abend spielten. Auf einem Plakat im Foyer hatte ich gelesen, dass die Hauptgruppe an diesem Abend sich sehr für die Förderung kleinerer und unbekannter Bands einsetzte, vor allem von Jugendlichen. Es stand auf dem Plakat, dass alle eine Chance verdient hätten auf einer großen Bühne zu stehen und ihr Können unter Beweis zu stellen. Dadurch, dass die Hauptgruppe, was ich anhand der vielen Menschenmassen erkannte, anscheinend doch ziemlich bekannt war, wurde auch für ein nicht gerade kleines Publikum gesorgt, auch wenn manche nicht zuschauen würden. Ich fand, dass das eigentliche eine schöne Idee war, jungen Menschen so eine Chance zu geben.

Wieder wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, diesmal von Castiel, der vorne an der Bühne stand und ein paar Mal an einer E-Gitarre zupfte. Als er zufrieden damit war, verließ er mein Blickfeld wieder. Anscheinend ging es wirklich bald los.

Ich zuckte zusammen, als an mir eine kleine Gruppe junger Mädchen vorbei rannte, die sich alle bis ganz nach vorne durchschlängelten, bis an die Absperrung. Bis hierher hörte ich sie kichern und rufen. Anscheinend riefen sie auch ein paar Namen, da ich einmal ‚Caaaaastiel‘ verstand.

Luna stupste mich mit dem Ellbogen in die Seite. »Die haben ja sogar schon ‘nen eigenen Fanclub.«, meinte sie kichernd zu mir und ich nickte.

»Scheint so.«, antwortete ich und beobachtete die aufgeregt vorne stehenden Mädchen. Vielleicht waren Castiel und seine Band ja doch ein wenig bekannter, zumindest regional, als ich gedacht hätte.
 

Ich musste nicht einmal nach vorne sehen, um zu wissen, dass die Band sich nun auf der Bühne befand. Das Gekreische in der vorderen Reihe wurde bestimmt zehnmal lauter und wurde anschließend von den elektronischen Klängen einer E-Gitarre übertönt. Erst leise und rhythmisch, dann immer lauter bis es zu einem regelrechten Trommelinferno wurde, mischte sich nun das Schlagzeug ein. Während der ersten Minute, in welcher nur laute Instrumente zu hören waren, füllte sich die Halle ein wenig und wir wurden ein wenig nach vorne und zur Seite geschoben.

Während Luna schon im Takt mitklatschte, besah ich mir die Mitglieder der spielenden Band. Lysander stand noch nicht auf der Bühne. Den Gedanken daran, dass ich das schade fand, verdrängte ich sofort. Heute war ich hier, um Spaß zu haben, mich der Musik hinzugeben und meine Gedanken einfach mal abzuschalten. Allerdings fiel mir das verdammt schwer, als Lysander mit langsamen, schweren Schritten und einem Mikrophon in der Hand die Bühne betrat. Augenblicklich konnte ich meinen Blick nicht mehr von ihm wenden.

Das Schlagzeug wurde ein wenig leiser, aber noch immer schnell, als Lysander seine wunderbaren Lippen bewegte und anfing zu singen. Schon bei den ersten Worten bekam ich eine Gänsehaut. Seine Stimme passte einfach phantastisch zu den harten, schnellen Melodien.

Das Publikum kreischte und klatschte, als das erste Lied noch nicht einmal zur Hälfte vorbei war. Ich war total mitgenommen und ich musste ein paar Mal blinzeln, als die letzten Takte ausklangen und Lysander ohne Musik ein paar Worte der Begrüßung zum Publikum richtete. Er sprach im wir und bedankte sich dafür, dass sie heute Abend hier spielen dürften und dass sie sich verdammt darüber freuten. Nach Lysander übernahm Castiel das Mikrophon. Anscheinend waren die beiden die Bandleader, denn der Bassist und der Drummer schwiegen, grinsten aber vor sich hin. Man sah ihnen allen an, dass sie Spaß hatten, auf der Bühne zu sein. Nachdem auch Castiel ein paar Worte, davon zum größten Teil auf Englisch (sein Englischlehrer würde Augen machen, wenn er Cas so sprechen hören würde), da die Vorband anscheinend Engländer oder Amerikaner oder eben Ausländer waren, ging der zweite Song los.

Sofort wurde ich wieder von der Musik mitgerissen und nun klatschte auch ich mit. Mit den Augen hing ich allerdings die ganze Zeit an Lysander, beobachtete, wie er von der einen Seite der Bühne zur anderen ging oder sich nach ganz vorne stellte. Er genoß das Ganze, das sah man ihm an. Die ganze Zeit über lächelte er, schloß hin und wieder die Augen oder grinste seine Mitglieder an. Das war eine Seite, die ich an ihm noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Von Sekunde zu Sekunde bannte mich sein Anblick immer mehr. Seine verdammt tiefe Stimme umfing mich, sein Aussehen ließ mich sabbern, sodass ich mir ernsthaft mit dem Handrücken über den Mundwinkel wischen musste.

Der Weißhaarige trug ähnliche Kleidung, wie er immer trug, aber irgendwie auch nicht. Er trug eine Art Anzug, der mit Ketten, Nieten und Netzapplikationen verziert war, ein krawattenähnliches Etwas hing um seinen Hals und an den Händen trug er Netzhandschuhe. Er sah schick und gleichzeitig rockig aus und brachte das auch so rüber. Zusätzlich trug er weiße Kontaktlinsen, was mir anfangs gar nicht aufgefallen war.

Die anderen Bandmitglieder waren ähnlich gekleidet, darauf hatte ich allerdings nicht so große Acht. Lediglich Castiel sah aus, als rebellierte er gegen alles und jeden und als Oberteil trug er lediglich ein Netzhemd.

Nach ungefähr fünf Songs war die Halle aufgeheizt und absolut jeder fieberte in irgendeiner Form mit. Entweder man klatschte lediglich oder tanzte schon beinahe, wie in den vorderen Reihen. Der lauteste und härteste der Songs lud einige sogar zum Headbangen ein.

Nachdem man allerdings meinen konnte, es käme noch ein furioses Finale zuletzt, wurde es ruhiger. Das Schlagzeug wurde von ruhig gezupften Saiten in den Hintergrund gedrängt und gab nur noch leise, aber beständig den Takt an. Rund eine Minute lang erklang nur diese ruhige, melancholische Musik. Lysander hatte sich dabei breitbeinig hinter den Mikrophonständer, welchen er mit beiden Händen umklammerte, gestellt und den Kopf darauf gelehnt.

Als er seinen Kopf hoch, war sein Blick in die Ferne gerichtet, als bereite er sich auf etwas Großes vor. Seine Lippen bewegten sich nun wieder und er flüsterte, nur verständlich, wenn man ganz leise war, dass der nächste Song der persönlichste wäre, den er je geschrieben hätte und er diesen einer ganz bestimmten Person in seinem Leben widmete. Einen Namen nannte er allerdings nicht.

Noch einmal Schweigen, dann sang er. Tief. Melancholisch. Von ganzem Herzen.

Ich bekam noch mehr Gänsehaut und Tränen schoßen in meine Augen. Augenblicklich hatte ich mich gefragt, für wen dieser Song war und das ließ mir keine Ruhe. Mein Herz schlug bis zum Zerbersten in meiner Brust und ich krallte mich an Lunas Arm, um nicht umzufallen.

Noch nie hatte mich ein Song so sehr berührt wie dieser.

Ich spürte am Rande, wie Luna meinen Arm streichelte und mir ein zerknittertes Taschentuch gab. Noch bevor die erste Strophe geendet hatte, heulte ich wie ein Wasserfall.

Ich ertrug es nicht, dass Lysander über irgendjemanden sang, der ihm so wichtig war, dass er jeden durch seine Stimme hören ließ, wie sehr es ihn selbst bewegte.

Er sang von purer Liebe, Verzweiflung, Eifersucht, Schuld. Das war die erste, lang geratene Strophe, bevor der Refrain kam. Bis jetzt hatte der ganze Saal den Atem gehalten, sodass einige zusammen zuckten, als das Schlagzeug auf einmal ein Staccato losließ, das direkt aus der Hölle stammen konnte. Der Bass wurde aggressiver, die elektronischen Klänge verzerrter, die Stimme lauter.

Lysander sang, wie die ganze Zeit schon, auf Englisch, aber dennoch konnte ich jedes Wort verstehen. Seine Stimme erzählte von Hass, aber auch Selbsthass und von Leid.

Der Refrain dauerte nicht lange, aber diesen aggressiven, bösartigen Sound hätte man länger auch nicht ausgehalten, ohne wahnsinnig oder psychisch gestört zu werden.

Von 180 auf 0 wurde es wieder ruhiger, als die zweite Strophe begann. Der Song erzählte eine Geschichte, die irgendwie verworren und jeweils unabhängig voneinander war, aber dennoch zusammen gehörte. Von Verzeihung wurde gesungen, aber auch von Wiedergutmachung und von Gefühlen, die man niemals abstellen könnte.

Ich heulte mittlerweile Rotz und Wasser und musste so laut schluchzen, dass ich das Ende des Songs gar nicht mehr mitbekam. Luna hatte mich in den Arm genommen, was mich aber nicht beruhigte. Viel zu aufgewühlt war ich, als dass ich jetzt ruhig bleiben konnte.

»Hey, guck mal nach vorne.«, sprach Lunas leise Stimme zu mir, aber ich schüttelte den Kopf. Ihre Worte hörten sich in der gerade herrschenden stille furchtbar laut an. Das Lied war offensichtlich zu Ende und das Publikum musste sich erst wieder fangen, bevor es nun zu ohrenbetäubendem Applaus ansetzte. Mittlerweile war die Halle beinahe bis zum Platzen gefüllt.

»Schau nach vorne!«, meinte Luna noch einmal zu mir, diesmal strenger. Sie druckte mich von sich weg und zwang mich dazu, dass ich nach vorne schaute.

Lysander stand mit gesenktem Blick auf der Bühne, Castiel am Mikrophon, bereit, etwas zu sagen.

»Hey, Lucio, falls du es immer noch nicht gecheckt hast: Nimm seine Entschuldigung an und schwing deinen verdammten Hintern auf die Bühne!«

Geschockt sah ich nach vorne. War da eben mein Name gefallen? MEIN Name. Ne, Castiel hatte bestimmt jemand anderen gemeint. Jemand, der Lysander so viel bedeutete, dass… Weiter kam ich in meinen Gedanken nicht, da Luna mich plötzlich an den Schultern packte und unbarmherzig nach vorne schob. Bereitwillig gingen die Leute links und rechts zur Seite, um Platz zu machen.

Aber verdammt nochmal warum?

Ich taumelte, während ich noch immer bis nach vorne bis an die Absperrung gedrückt wurde.

»Stell dicht nicht so an. Das ist verdammt süß von Lysander. Du bist so ein Idiot, wenn du das nicht machst. Mann, Lucio, du liebst ihn, und er dich doch auch. Verdammt, vor so vielen Leuten. Weißt du, wie schwer ihm das gefallen sein muss?« Ohne Pause zu machen redete Luna auf mich ein, bis auch mein verkümmertes Gehirn es aufgenommen und verstanden hatte.

Lysander hatte mit dem Song MICH gemeint?! Wirklich MICH?! Und er liebte mich? Noch immer? Und er wollte mich zurück? Und… Oh Gott. Wo ist der Boden hin?

Perplex starrte ich einen Security-Mann an, der mich einfach eiskalt hochhob und hinter die Absperrung brachte. Als ich wieder Boden unter den Füßen hatte, wäre ich beinahe umgekippt. Stehen. Das konnte ich gerade nicht. Ich hatte das ganze gerade doch noch gar nicht verdaut, geschweige denn verstanden. Mit großen Augen stand ich auf der ersten Stufe einer kleinen Treppe, die hoch zur Bühne führte. Dort oben stand mit einem nervösen Lächeln Lysander. Er hielt mir eine Hand hin, doch ich konnte mich nicht rühren. Meine Knie fühlten sich an wie Wackelpudding. Und ich hasste Wackelpudding. Besonders den roten.

»Lucio, du Volltrottel!! Du gehst jetzt da hoch! Wenn du dich nicht hier und jetzt mit ihm verträgst, schlag ich dich bewusstlos! Und danach noch einmal!« Das war eindeutig Lunas Stimme, die mich aus meiner leichten Apathie riss. Ganz vorsichtig hob ich ein Bein an und stellte den Fuß auf die nächste Stufe. Anschließend hievte ich den Rest meines Körpers dazu. Der Ansporn, nicht von Luna bewusstlos geschlagen zu werden, was ich ihr durchaus zutraute, trieb mich dazu, die restlichen Stufen bis nach oben hin zu erklimmen.

Mittlerweile rannen wieder tausende Tränen über mein Gesicht, obwohl ich meine Augen extra mit wasserfestem Eyeliner umrandet hatte. Als ich die letzte Treppenstufe erreicht hatte, stolperte ich beinahe, da alles in mir danach drängte, mich in Lysanders offene Arme zu werfen. Gezwungenermaßen tat ich das auch, da er mich im Endeffekt wirklich auffangen musste. Mit Bühnenboden musste ich also keine Bekanntschaft machen. Schade eigentlich, da ich noch nie auf einer stand.

Sofort umarmte ich Lysander und drückte mich an ihn, als ich ihn bei mir spürte. Mein verheultes Gesicht vergrub ich an seiner Schulter und er umarmte mich so fest, dass er mir beinahe die Rippen brach. Aber er durfte das. Er durfte alles. Auch seine süßen Lippen so nahe an meinem Ohr haben, dass es mich beinahe wahnsinnig machte.

Sein Atem streifte meinen Nacken und alles in mir sehnte sich nach diesem Mann. Wie hatte ich die ganze Zeit nur ohne ihn aushalten können? Ihn nicht täglich sehen können? Eigentlich ja gar nicht.

»Ich liebe dich.«

Als ich diese Worte hörte, versteifte ich mich, bevor ich schon wieder schluchzte.

»Ich liebe dich auch.«, presste ich aus meinen Lippen hervor, obwohl so viele Worte aus mir heraus platzen könnten. Ich wollte ihm vorwerfen, wie er mich nur verlassen konnte und mich danach entschuldigen, ihn anschreien und danach noch tausendmal sagen, wie sehr ich ihn liebte und vermisst hatte. Mein Schweigen tat allerdings sein Übrigstes.

Wie automatisch fanden sich unseren Lippen und wir küssten uns vor ungefähr hunderten von Leuten.
 

Der Kuss war lang, feurig und gleichzeitig so zärtlich. Er drückte das aus, worüber zu sprechen gerade unmöglich war. Dennoch würde ich später Redebedarf haben, und zwar gewaltigen.

Für den Moment war ich aber einfach nur glücklich und wünschte mir, dass genau jetzt die Zeit für immer stehen bleiben würde. Selbst Newton würde diese Aussage allerdings für Schwachsinn halten, sodass uns die Realität schnell und erbarmungslos einholte. Meinen hochroten Kopf vergrub ich an Lysanders Schulter, welcher mich immer noch schmerzhaft umarmte und dabei über den Rücken streichelte. Erst jetzt wurde mir wieder bewusst, wo wir hier überhaupt waren.

Das Publikum war am Grölen, Kreischen, Klatschen, Schniefen. Hörte man von den vorderen Reihen nur einige »Oh, ist das süß.« und »Ich bin echt neidisch.« oder sogar »Hach.«, wurde aus den hinteren Reihen, von deutlich männlichen Wesen ein paar unschöne Beleidigungen geworfen. Das Wort >Schwuchteln< war dabei noch das Harmloseste. Bei einem »Runter on der Bühne!« musste ich allerdings lächeln und dachte mir nur >Jetzt garantiert nicht.<. Auch Castiel schienen diese Zurufe zu missfallen, aber er ging nur schweigend und mit einem weit ausgestreckten Mittelfinger darauf ein.

vorsichtig blickte ich nun wieder in Lysanders Gesicht, vergrub dieses aber schnell wieder am Stoff seines Oberteils. »Sorry, ich seh‘ grad echt…. Scheiße aus.«, murmelte ich dabei. Mein tränennasses, verheultes Gesicht musste er jetzt wirklich nicht sehen, wobei ich gerade doch so glücklich war.

»Du bist so süß wie immer.«, hauchte Lysander mir aber nur ins Ohr, was mich glatt noch stärker erröten ließ. Meine Hände hatte ich derweil an Lysanders Rücken in dessen Oberteil gekrallt. Wir waren so eng umschlungen, dass, wenn der eine fallen würde, der andere ebenfalls sofort aus dem Gleichgewicht geriete. Zum Glück passierte das nicht, auch wenn ich ein Stück weiter zum Bühnenrand geschoben wurde.

Gerade hatten sich unsere Lippen zu einem weiteren Kuss gefunden, störte uns Castiel.

»Jetzt aber Schluss mit dem Rumgeturtel. Wir sind hier, um abzurocken!«, rief der Rothaarige ins Mikrophon und feuerte die Menge damit wieder an. Lysander blickte mich daraufhin entschuldigend an, küsste mich aber dennoch noch einmal kurz.

»Zugabe muss sein, verzeih mir. Wartest du im Backstage-Bereich kurz auf mich?«, fragte er, was ich natürlich nicht verneinte. Im Moment würde ich zu allem Ja und Amen sagen, solange es nur Lysander war, der es fragte oder aussprach. Sogar zu Vollkorn-Keksen mit Meerrettich.

Noch ein letztes Mal küssten wir uns, während die Instrumente wieder begannen zu spielen.

Glücklich und selig lächelnd tappste ich die kleine Treppe zur Bühne wieder nach unten, wo mich auch gleich einer der Security-Menschen in Empfang nahm. Lysander schien ihm zugenickt zu haben, denn der Mann mit dem blauen Hemd und der kugelsicheren Weste führte mich am Arm in einen abgesperrten, abgetrennten Bereich.

Von dort aus ging es in einen kleinen Gang, von welchem einige Türen abgingen. Ich wurde gefragt, ob ich gleich hier warten oder mich irgendwo hinsetzen wolle. Ich entschied mich für’s Stehen.

Mit einem knappen Gruß ließ mich der Security-Mann wieder alleine. Ist ja nicht so, dass ich hier randalieren könnte oder so.

Mit dem Rücken lehnte ich mich an eine graue Betonwand und wischte mir kurz mit den Fingerspitzen an den Augenrändern entlang. Als ich sie zurückzog, waren sie ganz schwarz. In einen Spiegel sollte ich jetzt wohl lieber nicht schauen.

Während ich so dastand, lauschte ich der gedämpften Musik und Lysanders wundervoller Stimme, die leise an mein Ohr klang. Er sang wirklich phantastisch und mit voller Leidenschaft.

Ich war so auf das konzentriert, was ich hörte, dass ich gar nicht bemerkte, wie ein paar Männer in den Gang getreten waren. Ihrem Auftreten und dem Styling nach war das anscheinend die Hauptband an diesem Abend. Scheu lächelte ich sie kurz an, blieb aber an Ort und Stelle stehen. Hier würde ich nicht mehr weggehen, bis Lysander wieder kam.

Einer aus der Band hatte allerdings nicht vor, mich ebenfalls zu ignorieren. Vielleicht auch einfach, weil ich direkt neben dem Eingang stand, der zur Bühne hochführte. Mit einem freundlichen Lächeln kam einer der Typen auf mich zu, die anderen hinter ihm.

»Yo, Boy.«, begrüßte er mich und blieb vor mir stehen, während die anderen sich der Tür zuwandten und rausgehen wollten, aber noch zögerten. »Take good care of him. He’s such a nice guy.« Mit diesen Worten und einem überaus freundlichen Lächeln wandte sich der Mann wieder ab. Ich brachte nicht einmal ein leises »Yes.« über meine Lippen, bevor die Tür zugemacht wurde und ich abermals alleine war.

Dieser Kerl hatte definitiv von Lysander gesprochen, das hatte sogar ich verstanden. Obwohl es Englisch war; Und das mit ziemlich starkem Akzent. Mein Englisch-Lehrer wäre bestimmt stolz auf mich.

Während ich weiter wartete, lächelte auch ich und pflichtete den eben genannten Worten vollkommen bei. Nie wieder würde ich Lysander gehen lassen oder dafür sorgen, dass ich ihn unglücklich machte. Die Schuld lag nicht allein bei ihm, aber an mir auch nicht. Das war mir mittlerweile klar geworden. Auch würde ich dafür sorgen, dass so etwas niemals mehr zwischen uns vorfallen würde. Dafür liebte ich ihn einfach zu sehr.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück