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Color of Twilight

Time of Death and Rebirth
von

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Die letzte Hoffnung

Der weißhaarige Mann hustete, als er unbeabsichtigt den aufgewirbelten Sand einatmete. Allerdings ließ er sich selbst keine Zeit, stehenzubleiben, sondern lief weiter.

Im Moment blieb ihm keine Zeit, darauf Rücksicht zu nehmen. Sein sonst so kühler Kopf war aufgrund der aktuellen Lage ausnahmsweise so durcheinander, dass er sogar vergessen hatte, sich sein Tuch umzubinden. Aber warum musste der Wind auch ausgerechnet an diesem Tag so stark wüten? Es war als ob damit etwas angekündigt werden würde.

Hoffentlich war es kein schlechtes Omen.

Lächelnd schüttelte er den Gedanken ab. Er glaubte nicht an Omen oder Vorhersagen, zumindest nicht solange der Gott, der in dieser Welt lebte, ihm nicht das Gegenteil sagte.

Vor einem bestimmten Haus blieb der Mann wieder stehen. Hastig klopfte er gegen die Tür.

Seine goldenen Augen gingen aufmerksam umher. Doch wie üblich waren bei solch einem Wind alle in ihren Häusern, um sich selbst zu schützen.

Vor einigen hundert Jahren noch hatte die Gegend nicht aus Sand und Dürre bestanden, aber kaum war die Vernichtung der Welt angekündigt worden, war der Welt langsam sämtliches Mana entzogen worden.

Inzwischen war diese einst reiche Welt nun dem Untergang nahe, doch aufgeben lag sämtlichen Bewohnern fern, auch wenn das Schicksal es anders vorgesehen hatte.

Die sich öffnende Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Sofort richtete sich der Blick des Mannes auf die Frau, die im Türrahmen stand. Doch er musste nichts sagen, schon sein Gesichtsausdruck sagte ihr das, was sie wissen musste. „Ich bin schon unterwegs, Hidaka.“

Dabei machte sie eine herrische Bewegung ins Innere des Hauses, worauf sich dort jemand in Bewegung zu setzen schien. „Ist alles in Ordnung mit ihr?“

„Als ich ging, ging es ihr noch bestens“, antwortete er. „Sie macht vielleicht nicht den Eindruck, aber sie ist sehr zäh.“

„Das glaube ich gern“, meinte sie schmunzelnd.

Jemand drückte ihr eine Tasche in die Hand. Ohne weitere Worte ging sie hinaus und ließ die Tür hinter sich zufallen. Hidaka folgte ihr sofort.

Als er sein eigenes Heim betrat, spürte er sofort die Spannung in der Luft. „Ist alles in Ordnung?“

Der schwarzhaarige Mann fuhr herum. Schmunzelnd rückte er seine Brille zurecht. „Bruder, Bruder, sei doch nicht so nervös. Deiner Frau geht es bestens.“

Kaum hatte er das gesagt, konnte man aus dem oberen Stockwerk die Schreie einer Frau und kurz danach eine leise, beruhigende Stimme hören.

Die Frau, die Hidaka geholt hatte, huschte die Treppe hinauf.

„Die Frau Doktor ist so freundlich wie immer.“

Hidaka sah den anderen Mann kühl an. „Sie hat ihren Kopf eben woanders, Gekkyu. Sie ist gedanklich bereits bei der Arbeit.“

„Meinst du, das wird gut ausgehen?“, fragte Gekkyu, ohne auf den stillen Vorwurf einzugehen.

Hidaka überlegte nicht, sondern nickte einfach nur. „Aber natürlich. Ich bin sogar überzeugt. Gott wird uns dieses Geschenk kaum machen, nur um es uns wieder wegzunehmen.“

Gekkyu neigte den Kopf. „Da wäre ich mir bei diesem Gott nicht einmal so sicher. Warum sollte er uns erst großartig ankündigen, dass unsere Welt untergeht? Welchen Sinn macht das?“

Hidaka rollte mit den Augen. Schon so oft hatten sie dieses Thema durchgekaut und jedes Mal war es irgendwann in einen Streit gemündet. Doch gerade heute hatte er keinen Sinn für so etwas.

Gekkyu bemerkte das ebenfalls und winkte ab. „Schon gut, ich weiß. Dein Kopf ist auch gerade woanders.“

Schweigend warteten die beiden darauf, dass die Zeit verging und endlich etwas anderes als die Schreie, die Befehle und die beruhigende Stimme zu hören waren.
 

Es schienen Stunden vergangen zu sein, als plötzlich Kindergeschrei hörbar wurde. Sofort fuhren beide Männer von ihren Sitzplätzen hoch. Hidaka rannte sofort die Treppen hinauf, sein Blick ging suchend umher.

Als er das Gesuchte endlich entdeckte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Endlich...“

Die Ärztin übergab Hidaka das in eine Decke eingewickelte Kind, das immer noch aus vollen Lungen zu schreien versuchte, dabei jedoch immer wieder die Stimme verlor.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte sie trocken. „Es ist ein kerngesunder Junge.“

Verzückt wie noch nie zuvor in seinem Leben betrachtete Hidaka das zerknautschte Gesicht, das letzte Zeugnis einer anstrengenden Geburt. Noch niemals war er so stolz und glücklich gleichzeitig gewesen, er musste sich beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen.

Um sich von seinem Gefühlsausbruch abzulenken, begab er sich ans Bett seiner Frau hinüber. Ihr silberweißes Haar war noch immer zerzaust, ihre blauen Augen blickten ihm müde, aber erleichtert und glücklich entgegen.

Vorsichtig setzte er sich hin, so dass sie ebenfalls einen Blick auf den Jungen werfen konnte.

„Das ist unser Sohn, Yoruna“, sagte er sanft, aber mit stolzgeschwellter Brust.

Sie lächelte leicht. „Ja... bestimmt wird er so tapfer wie du.“

„Und so schön und geschickt wie du“, erwiderte er.

Die schwarzhaarige Frau, die er bislang ignoriert hatte, räusperte sich plötzlich. „Verzeih, Hidaka, aber Yoruna will sich bestimmt noch ausruhen und ich muss vorher die ganze Wäsche wechseln und sie waschen.“

Hidaka nickte seiner Schwägerin zu. „Natürlich. Aber vorher sollten wir ihm noch einen Namen geben.“

Yoruna lächelte. „Ich habe mir schon etwas überlegt. Wir könnten ihn Zetsu nennen. Oder was denkst du?“

Er nickte noch einmal, diesmal zufrieden, dann sah er wieder seinen Sohn an, der sich inzwischen beruhigt hatte und eingeschlafen war. „Dein Name wird Zetsu Akatsuki sein – du bist das letzte Kind dieser Welt und damit unsere letzte Hoffnung.“

Eine Welt voll Sand

Die Zeit verging und aus dem kleinen Baby, das die letzte Hoffnung einer verlorenen Welt war, wurde ein neugieriger Junge mit silberweißem Haar und stahlblauen Augen.

Auch wenn er nicht verstand, weswegen, wurde er von allen Leuten, die er kannte, wie ein Schatz behandelt und von vielen wie ein Gott verehrt. Er genoss es sichtlich und sah jedem neuen Tag mit mehr Optimismus entgegen.

Sein Glaube an die Zukunft gab den Menschen um ihn herum diesen vergessen geglaubten Glauben ebenfalls zurück.

Zwar schien sich die Wüste immer mehr auszubreiten und mit jedem Tag mehr von der einstmals blühenden Landschaft zu zerstören, doch kümmerte das kaum noch jemanden.

Die gesamte Welt aller Menschen drehte sich nur noch Zetsu, das letzte Kind ihrer geliebten Heimat.

Doch je älter Zetsu wurde desto öfter stellte er sich selbst die Frage, was für die Entstehung dieser Wüste verantwortlich war. Immer häufiger verbrachte er seine Zeit damit, vor seinem Haus zu sitzen und auf das endlos erscheinende Sandmeer zu starren, ungeachtet der Sonne, die ihn zu blenden drohte.

Zehn Jahre nach seiner Geburt war er wieder einmal damit beschäftigt. Grübelnd sah er an den Horizont, wo er einen Turm in den Himmel ragen sehen konnte – zumindest glaubte er das. Die Sonne machte es schwer, etwas in der Entfernung zu erkennen.

Allerdings hatte seine Tante Hinome ihm auch bereits erklärt, dass es am anderen Ende der Welt einen Turm gab, der den Himmel berührte und einen Gott beherbergte.

Doch warum sollte ein Gott in einer sterbenden Welt voller Sterblichen leben?

Warum befand er sich nicht einfach dort, wo sich Götter sonst aufhielten? Wo auch immer das war...

Als er Schritte hörte, wandte er den Kopf. Yoruna stand da und sah ihn lächelnd an. Zetsu liebte seine Mutter, sie war ein warmherziger und liebevoller Mensch und auch wenn alle anderen ihn schon wie einen Schatz behandelten, so hatte er doch das Gefühl, dass er für seine Mutter noch wertvoller war als ein Schatz.

Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und legte einen Arm um seine Schulter. Lächelnd schmiegte er sich an sie.

„Was tust du, mein kleiner Liebling?“, fragte sie sanft.

Er deutete zum Turm hinüber. „Ich habe über Gott nachgedacht. Warum lebt er hier?“

Yoruna lächelte warm. „Du stellst interessante Fragen für dein Alter, genau wie dein Vater.“

Ihr Blick schweifte ebenfalls zum Horizont, ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. „Ich weiß auch nicht, warum dieser Gott hier wohnt. Ich war auch nicht dabei, als dieser Welt der Untergang angekündigt wurde, immerhin ist es schon einige hundert Jahre her. Weißt du...“

Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr: „Früher war dies eine fruchtbare Welt. Es gab keine Wüste, dafür unendlich erscheinende Weiden, Wälder und unzählige Tiere.“

Für einen Moment versank sie in ihre eigenen Gedanken. Es schien als versuchte sie sich das Bild vor Augen zu führen, auch wenn sie es nie selbst gesehen hatte.

Zetsu betrachtete seine Mutter interessiert. Er wusste nicht, wie er sich das vorstellen sollte, all die Dinge, die sie aufgezählt hatte, waren ihm völlig unbekannt.

Schließlich fuhr sie mit ihrer Erzählung fort: „Wie du dir vorstellen kannst war es eine Welt, reich an Mana. Aber dann kam eines Tages ein Gott. Er verkündete den Untergang dieser Welt und fortan nahm das Mana immer mehr ab.“

„Mana... was ist das?“

Sie sah wieder ihn an und lachte leise. „Alles besteht aus Mana, diese Welt lebt davon. Selbst du bist aus Mana.“

Spielerisch kniff sie ihm in die Wange, was er mit einem empörten Ausdruck quittierte. Doch plötzlich fiel ihm etwas auf: „Bin ich deswegen das letzte Kind dieser Welt?“

Auch wenn er so viel Aufmerksamkeit von den Erwachsenen bekam, fühlte er sich manchmal doch einsam, so ganz ohne gleichaltrige Freunde.

Yoruna nickte. „Das ist richtig. Es ist fast schon ein Wunder, dass du geboren wurdest. Umso glücklicher sind wir alle darüber, denn du hast uns gezeigt, dass Hoffnung nicht immer vergeblich ist.“

Lächelnd schmiegte er sich noch dichter an sie, wurde dann aber wieder ernst: „Was geschieht, wenn das Mana vollkommen alle ist?“

„Dann wird diese Welt sterben.“

„Aber warum?“

Ein bitterer Zug huschte über Yorunas Gesicht. „Das ist der Lauf aller Dinge. Auch Menschen sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Das ist Schicksal.“

Er seufzte. „Schicksal ist blöd.“

Sie lachte amüsiert. „Kindermund tut Wahrheit kund, hm? Leider kann man gegen das Schicksal nicht ankämpfen, so sehr man das auch möchte.“

Mit gerunzelter Stirn sah er wieder zum Turm hinüber. Er wusste nun, weswegen es in dieser Welt so viel Sand und außer ihm keine Kinder gab. Aber seine Frage, warum ein Gott in einem Turm lebte, war immer noch nicht geklärt.

„Wofür gibt es diesen Turm denn?“, fragte er weiter.

Yoruna kam nicht zum Antworten. Jemand setzte sich auf Zetsus andere Seite und lachte leise. „Du bist auf alle Fälle mein Sohn.“

Hidaka lächelte beide an, seine goldenen Augen glitzerten leicht. Er lächelte selten, aber wenn, dann war es ein durchaus ehrliches Lächeln und hauptsächlich galt es seiner Frau oder seinem Sohn.

„Hast du daran etwa gezweifelt?“, fragte Yoruna schmunzelnd.

„Bei einer so wundervollen Frau muss man doch zweifeln. Es ist doch immerhin kaum zu glauben, dass du nur mir gehörst.“

Leise kichernd wandte sie ihren Blick ab, um ihr verlegenes Gesicht nicht zeigen zu müssen.

Mit leuchtenden Augen blickte Zetsu seinen Vater an. Hidaka war immer so vernünftig und gelassen und manchmal so unbeschwert, genau wie er wollte der Junge auch sein, wenn er älter war, für ihn gab es kein besseres Vorbild.

„Also wofür ist denn nun der Turm?“, fragte Zetsu erneut.

Hidaka fuhr ihm durch das Haar. „Bislang wissen wir das selbst noch nicht. Aber deine Eltern werden das herausfinden.“

Verwirrt blickte er zwischen beiden hin und her. Yoruna nickte zustimmend. „Dein Vater und ich werden mit einigen Freunden den Turm erkunden. Wir sind genauso neugierig wie du.“

„Ist das nicht gefährlich?“, fragte Zetsu ehrfürchtig.

„Vielleicht“, meinte Hidaka. „Aber wir sind nicht umsonst abenteuerlustig.“

„Kann ich mitgehen?“

Die Erwachsenen lachten leise, was ihm Antwort genug war. Er seufzte traurig. „Aber seid vorsichtig. Vielleicht wird der Gott wütend, wenn ihr sein Heim besucht.“

„Nur keine Sorge“, versuchte Hidaka ihn zu beruhigen. „Wir werden auf jeden Fall zu dir zurückkommen.“

„Wann geht ihr denn?“, fragte der Junge weiter.

Die beiden Erwachsenen standen auf und klopften sich den Staub von den Sachen. Fragend stand Zetsu ebenfalls auf. Als Gekkyu und Hinome ebenfalls dazukamen, runzelte Zetsu seine Stirn. „Dann geht ihr jetzt schon?“

Yoruna nickte. Sie umarmte ihren Sohn noch einmal innig. „Keine Sorge, wir sind bald wieder da. Solange werden dein Onkel und deine Tante auf dich aufpassen. Sei brav und stell keinen Unsinn an.“

Hinome lachte leise. „Wir werden schon miteinander auskommen. Stimmts, Zetsu?“

Der Junge nickte zustimmend. „Ganz bestimmt.“

„Also macht euch keine Sorgen“, meinte Gekkyu. „Seht lieber zu, dass ihr keinen Schwachsinn anstellt.“

Nicht lange nach dem Abschied waren Zetsus Eltern und die Freunde, die mit ihnen losgezogen waren, nicht mehr zu sehen, egal wie angestrengt er an den Horizont starrte.

Mit einem sanften Lächeln zog Hinome ihn schließlich ins Haus hinein. „Du solltest nicht zu sehr auf die Wüste starren. Irgendwann wirst du sonst noch blind.“

Hinome war die Schwägerin von Hidaka. Sie war ein wenig älter als Yoruna, aber dennoch lebhaft und innerlich jung geblieben. Zetsu liebte sie sehr, weil er bereits viele unbeschwerte Stunden mit ihr verbracht hatte und sie ihm immer wieder Süßigkeiten zusteckte, selbst wenn seine Eltern ihm welche verboten hatte.

Sie selbst betrachtete ihn als ihren Sohn, den sie nie bekommen hatte und verbrachte außerordentlich gern Zeit mit ihm.

Gekkyu, der Mann von Hinome, war jünger als sein Bruder Hidaka. Zetsu mochte die Ruhe, die sein Onkel jederzeit ausstrahlte, besonders wenn dieser im Schatten eines Baumes saß und dort rauchte. Oft setzte Zetsu sich dann neben ihn und schlief dort gemeinsam mit ihm ein. Das war der einzige Schlaf, bei dem er keine seltsame Albträume hatte.

An diesem Tag allerdings rauchte der Mann lieber im Haus. Zetsu setzte sich neben ihn auf das Sofa. Er atmete den süßlichen Geruch des Tabaks ein, der im all den Jahren so vertraut geworden war. „Onkel Gekkyu, warum bist du eigentlich nicht mitgegangen?“

Amüsiert schob der Mann seine Brille zurecht. „Ach, du kennst mich. Ich mache mir nur ungern die Hände schmutzig. Lieber verbringe ich ein wenig Zeit mit dir.“

Zetsu lächelte. „Wirklich? Ich verbringe auch gern Zeit mit dir.“

Schmunzelnd fuhr Gekkyu ihm durch das Haar. „Das will ich doch hoffen. Bei wem sonst kannst du so gut schlafen?“

Der Junge lachte. Hinome reichte ihm eine Tafel Schokolade. „Bevor du uns noch einschläfst, solltest du etwas Süßes essen. Du willst doch wach sein, wenn deine Eltern wiederkommen, oder?“

Nickend nahm er ihr die Schokolade ab und begann diese zu essen. Manchmal fragte er sich, woher er Hinome die Süßigkeiten bekam, sie waren immerhin äußerst selten. Aber es störte ihn trotzdem nicht, diese zu essen, wenn er sie schon geschenkt bekam.

„Wie lange wird es dauern, bis sie wieder da sind?“, fragte er kauend.

Noch nie war er so lange von seinen Eltern getrennt gewesen, er vermisste sie bereits.

Gekkyu hob die Schultern. „Wer weiß? Der Turm ist ziemlich weit entfernt und niemand weiß, wie es im Inneren aussieht. Wenn sie Glück haben, kommen sie gar nicht erst rein.“

„Warum sagst du das?“, fragte Hinome. „Willst du nicht wissen, was drin ist?“

„Ganz und gar nicht. Ich bin kein neugieriger Mensch. Außerdem sehe ich nicht, was es bringen soll. Unsere Welt wird untergehen, egal was sie in diesem Turm entdecken.“

Hinome zischte etwas, was Zetsu nicht verstehen konnte. Gekkyu zog sofort den Kopf zwischen die Schultern. „Schon gut, ich habe nichts gesagt.“

Seit Jahren fand der Junge es erstaunlich, dass Gekkyu sich so von seiner Frau herumkommandieren ließ. Er selbst würde das mit Sicherheit niemals mit sich machen lassen, egal welche Frau daherkommen würde. Wenn der Verfall sich in dem Ausmaß allerdings fortsetzte, würde er auch nie eine Frau haben, also musste er sich keine Gedanken darum machen. Außerdem fühlte er sich mit gerade einmal zehn Jahren auch noch viel zu jung für so etwas.

Gekkyu schmunzelte. „Gut, Zetsu, was wollen wir dann machen? Du hast wie üblich die freie Auswahl.“

Der Junge strahlte. „Dann spielen wir Karten, ja?“

Hinome lachte und legte bereits ein komplettes Deck auf den Tisch. „Dann mal los, Männer.“
 

Die Stunden vergingen und das ausgezogene Erkundungsteam kam nicht zurück.

Spät in der Nacht brachte Hinome Zetsu schließlich gegen dessen Willen ins Bett. Er wehrte sich erfolglos dagegen, als sie ihn zudeckte.

„Komm schon“, sagte sie leise. „Du musst doch auch mal schlafen. Bestimmt kommen sie morgen wieder, wenn du ausgeschlafen bist.“

„Ja, bestimmt...“

Er zog sich die Decke bis an die Nase und senkte den Blick. Hinome sah ihn fragend an. „Bedrückt dich denn etwas, dass du nicht schlafen willst?“

Sie bemerkte sein Zögern, so dass sie ihm beruhigend über das Haar strich. Das schien tatsächlich zu wirken, denn plötzlich seufzte er leise. „Ich habe Angst vor diesem Albtraum.“

„Was für ein Albtraum?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn.

Mit stockender Stimme erzählte er ihr von einem furchterregenden Ort, der mit Wurzeln durchzogen war und blaues Licht vorherrschte. Doch was ihn mehr verstörte war die schneidend kalte Stimme des Mannes durch dessen Augen er alles sah. Er verstand die genauen Worte nicht, aber sein Gegenüber anscheinend schon, denn nur wenig später kam es bereits zu einem Kampf, der immer damit endete, dass er sich selbst das Schwert in den Magen rammte.

„Das ist ja furchtbar“, sagte Hinome.

Er nickte, ohne das zu erwähnen, was ihm noch mehr Angst einjagte: Die kalten blauen Augen und die bösartige Aura des Mannes, der ihm im Traum gegenüberstand.

„Warum träume ich so etwas?“, fragte er leise.

Seine Tante hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber mach dir keine Gedanken, das hat bestimmt nichts zu bedeuten.“

Noch einmal strich sie ihm über das Haar, dann gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn. „Versuch trotzdem ein wenig zu schlafen. Wenn du ihn diese Nacht wieder hast, werde ich schauen, was ich tun kann, damit du den Traum vergisst, ja?“

Er nickte und schloss die Augen.

Trotz seiner Furcht dauerte es nicht lange, bis er tatsächlich eingeschlafen war. Als sie seine gleichmäßigen Atemzüge bemerkte, stand sie auf und ging wieder ins Wohnzimmer zurück.

Gekkyu hatte sich inzwischen eine neue Pfeife gestopft und zog bereits daran. „Schläft er?“

Hinome nickte. Nach einem kurzen Moment des Zögerns erzählte sie ihrem Mann von dem Traum, den Zetsu ihr gerade geschildert hatte.

Während dieser Erzählung wurde sein Blick ernst und nachdenklich. „Ein sehr seltsamer Traum.“

„Ich glaube, das war mehr als nur ein Traum. Ich bin davon überzeugt, dass Zetsu mehr ist als er zu sein scheint.“

Das sagte sie bereits seit Jahren, auch wenn sie bislang nur dafür belächelt worden war. Aber dieser Traum zeigte ihr, dass sie im Recht war. Kein normales Kind träumte solche Dinge.

Gekkyu neigte den Kopf. „Es wäre möglich. Aber möglicherweise werden wir das nie erfahren.“

„Eigentlich schade.“

Hinome trat ans Fenster und sah hinaus. Selbst in der Dunkelheit konnte man in der Ferne noch die Umrisse des Turms erkennen, von dem Erkundungstrupp war allerdings immer noch nichts zu sehen.

Gekkyu seufzte plötzlich. „Wir sollten langsam auch ins Bett gehen. Ich glaube nicht, dass sie heute noch zurückkommen.“

Seine Frau nickte ihm lächelnd zu, ihrem Gesicht war deutlich die Müdigkeit anzusehen. „Gute Idee.“

Er löschte seine Pfeife und legte diese an ihren Platz zurück, bevor er den Raum verließ, um in sein Schlafzimmer zu gehen. Hinome löschte derweil das Licht und zog die Vorhänge richtig zu, bevor sie ihrem Mann folgte, ohne zu wissen, dass Zetsu sich gerade wieder in seinem Bett vor Albträumen wand.

Wahrheit

Erst spät am Abend kam die Erkundungstruppe am Fuß des Turms an und stieg von den Kamelen, die letzten verbliebenen Reittiere ihrer Welt, ab.

Schon aus der Ferne wirkte der Turm imposant, doch wenn man direkt davorstand und den Kopf in den Nacken legen musste, um hinaufzusehen, schien es, dass der Turm direkt in den Himmel hineinragte.

Wenn es einen Weg gab, den Untergang der Welt zu verhindern, dann musste er hier versteckt sein.

Yoruna löste das Tuch, das sie um ihren Kopf gebunden hatte. „Puh, endlich da. Ich dachte schon, wir kommen nie an.“

Hidaka lächelte ihr zu. „Vielleicht wirst du einfach alt.“

Sie schnitt ihm eine Grimasse, dann ging sie an ihm vorbei auf den Eingang des Turms zu. Die schwarze Öffnung wirkte wie das Tor zur Hölle, etwas im Inneren leuchtete grünlich und schien sie geradezu zu verspotten.

Hidaka und die anderen drei Männer stellten sich zu ihr. Jeder von ihnen starrte hinein, ängstlich, den nächsten Schritt zu tun und einzutreten.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bevor Hidaka plötzlich lachte. „Wir sollten endlich reingehen, sonst stehen wir morgen noch hier.“

Sein Lachen lockerte die Stimmung auf, so dass die Gruppe endlich hineingehen konnte. Tiefschwarze Finsternis empfing sie, abgesehen von dem seltsamen Leuchten, das sie schon von draußen gesehen hatten. Doch das grüne Licht tauchte das nähere Umfeld nur in eine unheimliche Farbe, während der Rest umso dunkler erschien.

„Seid vorsichtig“, warnte Hidaka eindringlich. „Nicht, dass ihr euch verletzt.“

Er konnte spüren, wie die anderen nickten.

Während er sich nach einer weiteren möglichen Lichtquelle umsah, trat Yoruna an das grüne Licht heran. Noch niemals in ihrem Leben hatte sie so etwas gesehen. Sie konnte den Ursprung des Leuchtens nicht ausfindig machen, aber vielleicht....

Ohne weiter nachzudenken, drückte sie gegen das Leuchten. Plötzlich flammte ein helles Licht auf. Erschrocken kniff Yoruna die Augen zusammen, sie hörte die überraschten Schreie ihrer Begleiter.

Nur zögernd öffnete sie ihre Augen wieder, als nichts weiter geschah. Verwirrt ließ sie ihren Blick über das seltsam geformte Metall mit den vielen Knöpfen und den undurchsichtigen Glasscheiben schweifen. „W-was ist das denn?“

„So etwas habe ich noch nie gesehen“, stimmte Hidaka ihr zu. „Das muss von Götterhand erschaffen worden sein.“

Ehrfürchtig fuhr er mit seinen Fingern über das Metall, das ihm absolut nicht bekannt vorkam.

„Aber es scheint kein Gott da zu sein“, bemerkte einer ihrer Begleiter. „Und es führt auch kein Weg nach oben. Warum ist dieser Turm nur so groß?“

Die anderen zuckten mit den Schultern, Yoruna war bereits wieder mit den Scheiben beschäftigt. Neugierig klopfte sie dagegen und erwartete eine, wie auch immer geartete, Reaktion.

Doch nichts geschah.

„Man kann sie auch nicht öffnen“, murmelte sie. „Was zeigen die Scheiben?“

„Nur Dunkelheit“, flüsterte Hidaka, der neben ihr stand. „Ich frage mich, warum.“

Wieder ließ er seinen Blick über das Metall schweifen. Nachdem das erste Erstaunen überwunden war, konnte er sich nun auf anderes konzentrieren.

Und tatsächlich fiel ihm etwas Bekanntes ins Auge. Er deutete auf ein hervorstehendes Objekt. „Seht, da steht etwas. Es sieht entfernt aus wie unsere Schrift.“

Die anderen besahen sich das neugierig. Unter dem Objekt stand eindeutig Ein.

Ein was?“, fragte Hidaka verwirrt.

Yoruna schüttelte mit dem Kopf. „Ich glaube, es bedeutet etwas anderes.“

Von Neugier geleitet, drückte sie auf das Objekt, das unter ihrem Finger tatsächlich nachgab.

Erschrocken sprang sie zurück und versteckte sich hinter ihrem Mann.

Doch es schien lediglich Leben in die Glasscheiben zu kommen. Seltsame Zahlen- und Buchstabenfolgen erschienen auf allen Scheiben gleichzeitig.

Irritiert starrten alle Anwesenden darauf, doch keiner von ihnen wurde wirklich schlau aus dem, was sie da zu sehen bekamen.

Ein lautes Geräusch hinter ihnen ließ alle gleichzeitig herumfahren.

In der Mitte des runden Raumes war ein Gebilde erschienen, das vollständig aus grünem Licht zu bestehen schien.

Es war ein Baum, der auf einer Plattform stand, von der Wasser herabfloss. Die Krone war so dicht, dass er keiner von ihnen durch die Äste sehen konnte.

„W-was ist das?“, fragte Hidaka.

Yorunas Gesicht hellte sich auf. „Vielleicht gibt es noch Hoffnung und das ist ein Hinweis darauf, wie wir unser Mana zurückbekommen.“

Einer der Männer rollte mit den Augen. „Mana, klar.“

Sie warf ihm einen bösen Blick zu, bevor sie interessiert wieder auf den Baum sah. Plötzlich entstanden Pfeile, die auf bestimmte Äste des Baumes zeigten, am anderen Ende der Pfeile waren seltsame Kombinationen aus Buchstaben und Zahlen zu sehen.

„Was ist das?“, fragte Yoruna.

„Das sind Koordinaten“, antwortete Hidaka. „Mein Urgroßvater war ein Kartograph und hat oft mit solchen gearbeitet. Aber wieso braucht ein Baum Koordinaten?“

Ein seltsames Gefühl breitete sich in seinem Inneren aus, eine Vorahnung, die ihm sagte, dass er nicht wissen wollte, was diese Koordinaten zu bedeuten hatten. Doch er würde nicht zurückweichen, jetzt, wo er endlich hier war. Viel zu lange war es genau diese Vorahnung gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass sie den Turm nicht schon früher erkundeten.

Nun wollte er sich diesem Gefühl stellen und herausfinden, worauf es beruhte, er konnte also nicht einfach weglaufen.

Zu den Koordinaten gesellten sich Bilder, die ihnen nicht nur Wälder oder große Städte, sondern auch furchteinflößende lärmende Monster zeigen, in denen sich Menschen mit seltsamer Kleidung befanden.

Zuletzt sahen sie ihre eigene Welt, doch dieses Bild löste sich bereits auf. Ob es ein Zeichen dafür war, dass ihre Welt im Sterben lag?

Das Gebilde kehrte wieder in seinen Ursprungszustand zurück, doch diesmal waren Buchstaben zu sehen, die den Namen verkündeten: Zeitbaum.

„Was ist ein Zeitbaum?“, fragte Yoruna.

Die anderen konnten nur mit den Schultern zucken.

Plötzlich erschienen noch mehr Buchstaben statt dem Gebilde. Yoruna räusperte sich und begann zu lesen: „Der Zeitbaum Et Ca Rephas und sämtliche Welten darin stehen unter Verwaltung der Götter Etle, Edega und Salbar, die im Idealen Stamm heimisch sind. Das Mana im Inneren des Baumes ist begrenzt, für jede neue Welt muss eine alte sterben. Ob, wann und welche Welt stirbt, ist den... verwaltenden Göttern überlassen...“

Die Schrift verschwand wieder.

Die Anwesenden sahen sich verwirrt an. Jeder von ihnen versuchte, sich seine eigenen Schlüsse aus dem Ganzen zu ziehen. Doch schon bald wich die Verwirrung bei zwei von ihnen einer Erkenntnis.

„Was bedeutet das?“, fragte einer der anderen.

Yoruna schluckte schwer. „D-das bedeutet... unsere Welt ist nur eine von vielen.“

Inzwischen erschienen wieder die Koordinaten und die Bilder, so dass sie darauf zeigte. „Wir leben unwissentlich in diesem Baum, der viele Welten beherbergt und diese mit dem lebensnotwendigen Mana versorgt.“

Selbst der Zweifler von vorhin schien plötzlich daran zu glauben. Verunsichert sah er zwischen Yoruna und dem sich stetig wandelnden Lichtgebilde hin und her.

„Und was bedeutet das für uns?“, fragte Hidaka.

Er selbst hatte seine Antwort bereits gefunden, doch er wollte sie lieber von Yoruna hören. Mit der letzten Faser seines Seins klammerte er sich an die geringe Hoffnung, dass er vielleicht doch den falschen Schluss gezogen hatte und Yoruna einen ganz anderen.

Sie schluckte. „Das bedeutet, dass unsere Welt sterben muss, weil eine neue erschaffen wurde, die von unserem Mana nährt. Aber... es bedeutet auch, dass es kein Schicksal ist, dass unsere Welt zugrunde geht. Nein, es bedeutet, dass ein Gott bestimmt hat, dass wir sterben müssen.“

Erschrocken sahen die anderen sie an, lediglich Hidaka senkte den Blick. Also war sein Schluss doch nicht falsch gewesen, obwohl er sich wünschte, es wäre so.

„Aber das kann nicht sein“, meinte einer der anderen. „Das würde bedeuten, dass Gott gelogen hat.“

„Uh-uh-uh, so würde ich das nicht sagen.“

Die plötzliche, unbekannte Stimme ließ alle zusammenzucken. Das Lichtgebilde verschwand, dafür erschien eine Frau in der Mitte des Raumes. Alles an ihr war vollkommen weiß, angefangen von den Haaren, die über ihre Schultern fielen, über ihre makellose Haut bis zu ihrem langen Kleid, sie war umgeben von einem hellen Glanz, der keinerlei Ursprung zu haben schien.

Sie verkörperte die absolute Reinheit, die Vollkommenheit, diese Person MUSSTE ein Gott – oder zumindest ein Engel – sein.

„Wer bist du?“, fragte Hidaka.

Schützend stellte er sich vor Yoruna.

Die fremde Frau lächelte. „Ich bin Gott. Aber vielleicht sollte ich mich vorstellen: Mein Name ist Isbel, dies ist meine Heimat. Findet ihr es nicht auch unangemessen, einfach so hereinzuplatzen und alles anzutatschen?“

„Sag uns lieber, was du damit meintest“, erwiderte Hidaka, ohne auf ihre Frage einzugehen.

„Oh ja, genau~ Also, ich habe nie behauptet, dass es etwas mit Schicksal zu tun hat, dass eure Welt untergeht. Das habt ihr euch ganz allein ausgedacht. Ich wurde bislang ja nicht gefragt, weswegen es gerade eure Welt erwischt.“

„Dann frage ich das jetzt“, sagte Yoruna. „Warum gerade diese Welt? Was haben wir getan, um dieses Schicksal zu verdienen?“

Isbel hob ihre Schultern. „Ihr habt gar nichts getan. Es war nur eine Laune der Götter.“

Geschockt über diese Worte sahen die anderen sie an.

„Das kann nicht sein...“, murmelte Yoruna. „Unser Untergang ist nur eine Laune?“

Isbel hob eine Hand. „Genau genommen ist schon eure Existenz nur eine Laune. Damit gleicht sich alles aus, nicht wahr? Das ist doch nett, oder?“

Einer der Männer zog blitzschnell ein Messer und warf es auf Isbel. Die Klinge blieb in ihrer Schulter stecken, die anderen hielten die Luft an.

Welch Frevel!, ging es Hidaka durch den Kopf.

Immer noch lächelnd wandte Isbel sich dem Mann zu. „Ein Gotteslästerer, hm?“

Eine knappe Handbewegung – und plötzlich lag der Mann fein säuberlich in zwei Hälften geteilt auf dem Boden. Doch noch bevor die anderen realisieren konnten, was geschehen war, löste er sich in goldene Funken auf.

„Ich kann so etwas gar nicht leiden“, begleitete Isbel diesen Vorgang.

Das Messer in ihrer Schulter schmolz.

Wieder lächelnd wandte sie sich an die Verbliebenen, die allesamt versuchten, ihr Zittern zu unterdrücken. „Keine Sorge, ich werde euch nicht töten. Sehr lange werdet ihr ohnehin nicht mehr zu leben haben.“

„Gibt es denn keinen Weg, diesen Vorgang aufzuhalten?“, fragte Yoruna.

Isbel schüttelte den Kopf. „Absolut gar keinen. Euch bleibt nichts anderes übrig als euch brav zu fügen, meine Lieben.“

Lächelnd verschwand sie wieder, bevor die anderen noch weitere Fragen stellen konnten.

Für einen Moment herrschte Stille im Turm. Das eben Gehörte musste erst einmal verarbeitet und wirklich realisiert werden.

Yoruna drängte sich dichter an Hidaka. „Was sollen wir nun tun?“

Er wollte ihr eine beruhigende Antwort geben, doch jedes Wort blieb ihm im Hals stecken. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

Der Untergang seiner Welt war schon immer eine Tragödie gewesen und sie hatten diesen Turm nur aufgesucht, um einen Weg zu finden, diesem Schicksal zu entgehen, doch zu erfahren, dass der Tod einer gesamten Welt, einer Zivilisation, nur der Laune eines Gottes entsprang, ließ alles einbrechen, woran er zuvor geglaubt hatte.

Noch bevor er reagieren konnte, rannten ihre beiden Begleiter hinaus. Yoruna rief ihnen hinterher, dass sie warten sollten, doch keiner von ihnen blieb stehen.

Sie haben Angst, durchfuhr es Hidaka. Natürlich bleiben sie nicht hier. Aber... sie werden auch den anderen davon erzählen.

Er war überzeugt davon, dass sie es nicht für sich behalten würden. Er war sich nicht einmal sicher, ob er das gekonnt hätte. Es war zwar eine grausame Wahrheit, aber es war besser, diese zu wissen als sich weiterhin einzureden, dass es nur Schicksal war.

„Wir sollten auch zurück“, meinte Hidaka. „Wir wissen nicht, wie die anderen reagieren werden. Ich mache mir Sorgen um Zetsu.“

Yoruna nickte zustimmend. „Ich auch. Lass uns gehen.“

Gemeinsam verließen sie den unheilvollen Turm, von ihren verbliebenen Begleitern waren nur noch Umrisse am Horizont zu erkennen.

Die verbliebenen drei Kamele standen unbeteiligt noch vor dem Turm und sahen Yoruna und Hidaka so neutral wie immer an.

Hastig half er seiner Frau hinauf, bevor er die Zügel des dritten Kamels nahm und sich dann auf sein eigenes begab.

Die Sonne ging bereits wieder auf, als sie losritten.

Hidaka schickte ein Stoßgebet an den Himmel, dass die Menschen genug Verstand besaßen, um nicht so zu reagieren wie er es befürchtete – doch die düstere Vorahnung in seinem Inneren erstickte jede Hoffnung im Keim.

Aufstand

Zetsu erwachte nach einem unruhigen Schlaf, als laute Stimmen durch sein Fenster drangen. So viel Unruhe war er in dieser Stadt nicht gewohnt, weswegen er neugierig aufstand, um nachzusehen, was los war.

Die Menschen liefen auf der Straße umher und schrien wild durcheinander, Zetsu konnte kein Wort der aufgebrachten Stimmen verstehen. Was ist nur los?

Er ging hinunter, um seine Tante und seinen Onkel danach zu fragen. Beide saßen ungewohnt ernst an einem Tisch, Gekkyu rauchte nicht einmal.

„Guten Morgen“, grüßte Zetsu, obwohl er inzwischen überzeugt war, dass es kein guter Morgen war. „Was ist da draußen denn los?“

Hinome sah ihn an, sie bemühte sich, zu lächeln, doch sie schaffte es nicht. „Ein Teil des Erkundungstrupps ist zurückgekehrt.“

Zetsu warf einen Blick umher, doch auch nun entdeckte er seine Eltern nicht. Fragend sah er wieder seine Tante an. „Und was ist so schlimm daran?“

Er fragte nicht, wo seine Eltern waren, mit Sicherheit würde er das noch früh genug erfahren.

„Nun...“

Hinome zögerte. Konnte sie ihm wirklich die Wahrheit sagen?

Gekkyu nahm es ihr ab: „Der Erkundungstrupp ist auf Gott getroffen und sie haben erfahren, dass unser Untergang kein Schicksal, sondern der Laune eines Gottes zu verdanken ist.“

Man sah seinem Gesicht die Abscheu und den Widerwillen an.

Zetsu sah ihn fragend an. „Ich dachte immer, Götter wären gut. Warum sollten wollen, dass die Welt untergeht? Wer betet sie dann an?“

„Anscheinend ist unsere Welt nicht die einzige, die es gibt“, antwortete Gekkyu. „Es gibt noch viele andere Welten.“

Sein Gesicht zeigte, wie schwer es ihm fiel, das alles zu glauben. Doch die Männer bestanden darauf, dass es die Wahrheit war und dass Gott es ihnen bestätigt hatte.

Zetsus Augen leuchteten. „Es gibt noch andere Welten? Dann ziehen wir doch einfach dorthin!“

Überrascht sahen die beiden Erwachsenen ihn an. „Was?“

„Na ja, die Welt hier geht doch unter. Aber wenn es noch andere Welten gibt, können wir doch einfach dorthin gehen und dort wohnen.“

Die beiden lachten angesichts dieser kindlichen Naivität. Zetsu seufzte. „Was ist so falsch daran?“

Gekkyu tätschelte ihm den Kopf. „Wir wissen doch gar nicht, ob es überhaupt möglich ist, Welten zu wechseln. Und selbst wenn... diese Welt ist unsere Heimat, egal wie verdörrt sie ist. Wir können sie nicht einfach zurücklassen.“

Zetsu legte den Kopf schräg, worauf er auch von Hinome getätschelt wurde. „Du bist noch ein wenig zu jung, um das zu verstehen. Aber irgendwann...“

Er grummelte leise. „Ich finde das idiotisch. Warum sollte ich mich an eine sterbende Welt klammern, wenn ich doch leben will? Selbst wenn es meine Heimat ist.“

Die Erwachsenen seufzten nur. Anscheinend waren sie müde, darüber zu diskutieren.

„Wann kommen Mama und Papa wieder?“, versuchte Zetsu es stattdessen.

Hinome wollte gerade darauf antworten, als die Tür aufging und Yoruna und Hidaka hereinkamen. Beide wirkten erschöpft, übernächtigt und deprimiert. Doch als sie Zetsu sahen, der fröhlich auf sie zusprang, lächelten beide wieder.

„Mama, Papa!“

Die beiden umarmten ihren Sohn erleichtert.

„Wie war eure Begegnung mit Gott?“

Sofort verfinsterten sich die Gesichter wieder. „Man weiß es hier also bereits?“

Gekkyu nickte. „Die ganze Stadt weiß es schon. Alle sind ganz aus dem Häuschen, es liegt etwas in der Luft... und es ist nichts Gutes.“

Hidaka fuhr seinem Sohn durch das Haar. Zetsu hob den Blick. „Papa! Warum können wir nicht einfach auf eine andere Welt ziehen?“

Vielleicht funktionierte es bei den beiden ja. Doch auch seine Eltern schüttelten ihre Köpfe. „Das können wir nicht tun, Zetsu.“

Eingeschnappt senkte er den Kopf wieder. „Dann nicht.“

Er war sich sicher, dass es einen Weg gab, andere Welten zu sehen, man musste diesen nur finden. Doch seine Eltern, seine Tante und sein Onkel versuchten es ja nicht einmal.

Wenn alle Erwachsenen so waren, dann würde er nie erwachsen werden wollen.
 

Die Tage vergingen und Gekkyus Prophezeiung schien sich zu bewahrheiten.

Während Zetsu sich meist in seinem Zimmer befand und davon träumte, andere Welten zu besuchen, wurden die Zustände draußen immer schlimmer.

Jeden Tag wurden die Stimmen lauter, immer wieder kam es zu Schlägereien, sogar zu Einbrüchen und Plündereien war es bereits gekommen. Jeder versuchte, vor seinem Tod noch ein Stück Reichtum für sich selbst einzuheimsen, ungeachtet der Tatsache, dass es bald nichts mehr bringen würde.

Zetsu erkannte die Menschen, die ihn geliebt und wie einen Schatz behandelt hatten, nicht wieder.

Was machte die Verzweiflung nur aus ihnen?

Der Junge beobachtete das Spektakel von seinem Fenster aus und schüttelte immer wieder seinen Kopf. Er konnte nicht verstehen, warum die Menschen sich so verhielten, statt vernünftig und logisch nach einer Alternative zu suchen.

Aber seine Eltern, die er bewundert hatte, waren genauso. Seit ihrer Rückkehr saßen sie nur apathisch im Wohnzimmer, gemeinsam mit Hinome und Gekkyu und warteten auf das Ende.

Zetsu knurrte leise, wenn er daran dachte. Wie konnten sich Menschen im Angesicht des Todes nur so aufführen?

Seufzend stand er schließlich auf, um ebenfalls hinunterzugehen. Er wollte jedenfalls nicht einfach auf sein Ende warten, egal wann es kommen würde.

„Was machen wir heute?“

Es war inzwischen zu einer obligatorischen Frage geworden – und zu einer rhetorischen, denn es antwortete ihm inzwischen auch niemand mehr darauf.

Auch an diesem Tag herrschte Schweigen, kaum, dass er die Frage gestellt hatte. Es war fast so als wären die Vier bereits tot und Zetsu wusste es nur noch nicht.

Gelangweilt setzte er sich zu ihnen, stemmte den Ellenbogen auf den Tisch und stützte sein Kinn auf der Hand ab. „Ist es wirklich okay, einfach so rumzusitzen, während draußen alles drunter und drüber geht?“

Yoruna sah ihren Sohn lächelnd an. „Es ist besser, wenn wir uns da heraushalten. Bestimmt beruhigen die anderen sich bald wieder.“

Zetsu zweifelte daran, sagte aber nichts dazu. Bestimmt würde man ihm aufgrund seines Alters ohnehin nicht ernst nehmen. Es war wirklich nicht einfach, ein Kind zu sein.

Plötzlich hämmerte jemand gegen die Tür. Yoruna und Hidaka sahen sofort auf.

„Wer kann das sein?“, murmelte Hinome.

Gekkyu stand auf und öffnete die Tür. Sofort wurde er beiseite gestoßen. Die anderen Stadtbewohner strömten herein.

Hinome sprang auf und griff nach Zetsu, den sie sofort mit sich zur Treppe zog.

„Nein!“, rief er. „Lass mich! Ich will das sehen!“

Er versuchte sich zu wehren, was dazu führte, dass sie am Fuß der Treppe wieder stehenblieb.

Yoruna und Hidaka waren inzwischen ebenfalls aufgestanden.

„Was ist hier los!?“, fragte er mit herrischer Stimme.

Die anderen zeigten auf ihn. „Euch beiden verdanken wir dieses grauenvolle Wissen! Dafür müsst ihr zahlen!“

„Wolltet ihr lieber weiterhin denken, dass es Schicksal war?!“, fragte Hidaka wütend. „Wolltet ihr weiterhin einen Gott anbeten, der euch aus einer Laune heraus in den Tod schickt!?“

„Es nicht zu wissen war um einiges besser!“, fauchte eine Frau.

Yoruna schüttelte heftig mit dem Kopf. „Das ist doch nicht wahr! Wissen ist viel besser! Wenn man etwas weiß, kann man dagegen kämpfen! Unwissenheit dagegen ist der Verlust von Kontrolle!“

„Und was hilft uns dieses Wissen?“, fragte ein Mann. „Wir werden sterben, ohne dass wir etwas dagegen tun können!“

„Genau dasselbe wäre gewesen, wenn wir es nicht erfahren hätten“, sagte Hidaka. „So sterben wir wenigstens in vollem Bewusstsein dessen, was uns die Götter angetan haben und dass unsere Welt nicht die einzige ist.“

„Und was soll uns das bringen?“, fragte ein weiterer Mann.

Zetsu starrte auf die wütende Menge, er konnte die ersten Messer aufblitzen sehen. Yoruna bemerkte das ebenfalls und drängte sich dichter an ihren Mann.

Hidaka wusste nicht, was er darauf antworten sollte, also schwieg er und presste die Lippen aufeinander.

Die anderen starrten wie gebannt auf den schweigenden Mann, von dem sie sich offensichtlich mehr als das versprochen hatten. So wie Zetsu sie kannte, war von Hidaka erwartet worden, dass er die Lösung für ihr Problem bereits parat hielt, doch die Erkenntnis, dass all die Hoffnung umsonst war, fachte die Verzweiflung noch um einiges mehr an.

Die folgenden Ereignisse geschahen so schnell, dass Zetsu nicht begriff, in welcher Reihenfolge sie geschahen.

Plötzlich gab es von hinten einen lauten Schrei, der dafür sorgte, dass das Leben in die vorderen Reihen zurückkehrte. Erneut blitzte Metall und im nächsten Moment stürzten erst Hidaka und dann Yoruna blutend zu Boden. Die klebrige, rote Flüssigkeit breitete unter den beiden rasch zu einer Pfütze aus.

„Mama! Papa!“

Mit einem heftigen Ruck riss Zetsu sich von Hinome los, die schockiert und bleich auf die Gefallenen starrte. Ungläubig kniete der Junge sich neben seine Eltern, die anderen Leute wichen ehrfürchtig zurück. Sein Vater reagierte bereits nicht mehr, aber seine Mutter hob angestrengt den Kopf. „Z-Zetsu...“

„Mama! Mama, nicht sterben!“

Unkontrolliert liefen Tränen über sein Gesicht, ein scharfer Schmerz zuckte durch seinen rechten Arm. „Mama...“

In einem Versuch, ihn zu trösten, strich Yoruna ihrem Sohn mit einer Hand über seine Wange, wobei sie eine rote Spur hinterließ. „Sei nicht... traurig. Es ist okay... Es ist Schicksal...“

Immer wieder schüttelte er schluchzend seinen Kopf. „Nein... nein...“

Sie lächelte noch einmal, ihre Hand und ihr Kopf sanken wieder auf den Boden. „Bleib immer... so brav und neugierig, mein kleiner... Liebling...“

Ihr Oberkörper hob und senkte sich noch einige Male, dann lag sie still, der Glanz verließ ihre Augen.

Ungläubig starrte Zetsu auf den Körper und wartete darauf, dass er sich wieder zu bewegen begann.

Noch vor wenigen Tagen war er der Schatz für diese Menschen gewesen und nun hatten sie seine Eltern, das für ihn Wertvollste in seinem Leben umgebracht.

Das konnte nicht sein!

Er hob den Blick und starrte den Mann an, von dessen Klinge Blut tropfte. Er erwiderte den Blick, Verzweiflung lag in seinen Augen, aber keinerlei Reue.

Ein bislang unbekanntes Gefühl erfüllte mit einemmal Zetsus Inneres. Es war heiß und gleichzeitig eiskalt und angsteinflößend, es schien sich durch seinen ganzen Körper zu fressen und ließ seine Ohren klingeln. Daher war er sich nicht sicher, ob er wirklich eine Stimme hörte, doch er konnte die Worte, die sie sagte, klar und deutlich verstehen: „Du brauchst Macht.

Wie von fremder Hand geführt, hob Zetsu seinen Arm und stieß damit in die Richtung des Mörders seiner Eltern. Eine Klinge erschien in seiner Hand und durchbohrte den Körper, so dass Blut spritzte und Zetsus Haar verfärbte. Doch der Blick des Jungen verriet weder Furcht noch Abscheu, es schien als wären sämtliche Emotionen von ihm abgefallen.

Mit vor Angst geweiteten Augen starrten die anderen den durchbohrten Mann an, bis dieser sich in Mana auflöste und eins mit der leuchtenden Klinge zu werden schien.

Die Menschen wichen weiter zurück und richteten ihre Blicke nun auf Zetsu, der immer noch unverändert regungslos dasaß.

Keinerlei Gedanken oder Emotionen durchfluteten ihn, er saß einfach nur da und starrte auf die Spitze des Schwertes, als ob er gerade selbst innerlich gestorben wäre.

Die Stille im Raum, so kurz nach dem Lärm, wirkte surreal, die Zeit schien stillzustehen.

Unvermittelt lief Hinome auf Zetsu zu. Er beachtete sie nicht.

Vorsichtig kniete sie sich neben ihn und nahm ihn behutsam in den Arm. „Ganz ruhig, Zetsu. Alles ist gut...“

Zuerst schien er nicht zu reagieren, doch plötzlich ließ er das Schwert fallen und klammerte sich an seine Tante als ob jemand drohen würde, sie wegzunehmen. Er schluchzte laut auf und vergrub den Kopf in ihre Kleidung, während sein ganzer Körper immer wieder geschüttelt wurde.

Beruhigend strich sie ihm über den Rücken und sprach weiter auf ihn ein.

Doch er beruhigte sich nicht, stattdessen wurde sein Schluchzen immer hysterischer.

Die anderen starrten ihn fassungslos an. Immer noch war in keinem einzigen Gesicht Reue zu erkennen, stattdessen war da nur noch Irritation über das eben Geschehene.

Gekkyu dagegen sah nachdenklich auf die am Boden liegende Klinge. Vielleicht gab es keine Hoffnung mehr, aber...

Er beendete den Gedanken nicht.

Der kleine Körper des Jungen kam inzwischen zur Ruhe, er schien in Hinomes Armen eingeschlafen zu sein.

Wortlos trat Gekkyu zu ihr und hob den Jungen hoch, um diesen in sein Bett zu bringen.

Hinome blickte ihm für einen Moment hinterher, bevor sie auf das Schwert hinunterblickte.

Also hatte ich recht... Zetsu ist anders... Er ist etwas ganz Besonderes. Aber vielleicht nicht so wie ich es erwartet habe...

Rache ist süß – oder nicht?

„Was sagst du dazu, Gekkyu? Du bist schon die ganze Zeit so schweigsam.“

Die Blicke der Anwesenden richteten sich auf den Mann, der wieder einmal an seiner Pfeife zog.

Nach den ersten drei Todesfällen hatten die anderen Menschen sich wieder beruhigt und beschlossen, sich zusammenzusetzen und zu bereden, was es zu tun gab.

Sie alle hatten eingesehen, dass das kopflose hin und her rennen zu nichts führte.

Doch auch die Diskussionen gingen lediglich hin und her und das ganz ohne Ergebnis. Die einen wollten mit den Plündereien weitermachen und den Tod der drei Bewohner vergessen, die anderen wollten kollektiven Selbstmord begehen und wieder andere waren dafür, einfach so wie früher weiterzumachen.

Gekkyu dagegen schwieg und zog an seiner kalten Pfeife. Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er sogar vergessen hatte, den Tabak anzuzünden.

Als er von den anderen angesprochen wurde, blickte er auf. „Ich finde alle Vorschläge schlecht.“

„Hast du denn einen Gegenvorschlag?“, fragte Hinome leise.

Verschwörerisch beugte er sich vor, ein unbekanntes Glitzern lag in seinen Augen. Bestimmend klopfte er auf die Zetsus Schwert, das auf dem Tisch lag. „Ich bin für einen ganz anderen Weg. Wir sollten Rache üben. Rache an den Göttern, die uns sterben lassen wollen.“

„Aber wie?“, fragten die anderen ratlos.

Gekkyu klopfte noch einmal auf die Klinge. „Ihr habt alle gesehen, was vorher mit Zetsu geschehen ist. Weiß denn wirklich keiner von euch, was das hier für ein Schwert ist?“

Die anderen schüttelten mit den Köpfen, er seufzte. „Das hier ist ein Eien Shinken, ein Götterschwert.“

Sofort hielten alle die Luft an. Jeder von ihnen kannte die Sage der Götterschwerter und dass nur diese in der Lage wären, Götter zu töten – allerdings nur solange sie von einem anderen Gott oder zumindest einer Reinkarnation eines solchen geführt wurden. Wenn Zetsu ein solches Schwert besaß, dann...

„Bedeutet das, dass Zetsu einmal ein Gott war?“, murmelte Hinome.

Gekkyu nickte zustimmend. „Es ist wie du immer sagtest, er ist etwas ganz Besonderes. Auch seine Albträume weisen darauf hin.“

Wieder schluckten die anderen. Der Junge, den sie fast wie einen Gott verehrt hatten, war also tatsächlich einmal ein solcher gewesen.

Aber dann drängte sich allen ein anderer Gedanke in den Sinn. Gekkyu hatte recht, mit Sicherheit würde Zetsu sie alle rächen können, sobald er mehr Mana bekommen hätte.

Aber der einzige Weg, in dieser Welt an Mana zu kommen war...

„Das würde aber bedeuten, dass er uns alle töten müsste“, meinte einer der Männer. „Kann Zetsu das wirklich tun?“

Gekkyu zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber viel bleibt ihm wohl nicht übrig. Wenn er uns töten kann, dann kann er auch diese Welt verlassen und nicht hier sterben.“

Hinome senkte den Kopf. „Ist das nicht zuviel verlangt? Er ist doch noch so klein...“

„Es ist die einzige Möglichkeit.“

Er sah die anderen an, die bereits fest entschlossen wirkten. Jeder von ihnen war bereit, sein Leben zu geben, für die Aussicht, dass die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden würden – und das auch noch von der letzten Hoffnung dieser Welt.

Hinome seufzte. „Aber es gefällt mir trotzdem nicht...“

Die anderen wandten sich nun ihr zu und versuchten sie umzustimmen. Zetsu liebte seine Tante genau wie sie ihn. Solange sie mit der Idee nicht einverstanden war, würde Zetsu sie mit Sicherheit auch nicht durchführen.

Innerlich seufzte Hinome noch einmal. Zetsu...
 

Er war schon längst wach, obwohl er sich wünschte, es nicht zu sein. Mit geschlossenen Augen lauschte er den Versuchen, Hinome davon zu überzeugen, der Sache zuzustimmen.

Mit aller Macht kämpfte er seine Tränen zurück. Es würde nichts bringen, zu weinen. Niemand würde kommen, um ihn zu trösten. Seine Eltern waren tot, Gekkyu wollte von ihm getötet werden und Hinome saß in der Zange.

Es schien als würde ihm keine andere Wahl bleiben, als dem Plan selbst zuzustimmen. Doch könnte er wirklich all diese Leute, eingeschlossen seines Onkels und seiner Tante töten?

Die Handlung zuvor war nicht aus seinem eigenen Willen geschehen, konnte er sie wirklich wiederholen?

Noch während er darüber nachdachte, spürte er plötzlich etwas Warmes neben sich. Verwirrt öffnete Zetsu seine Augen, die sich sofort überrascht weiteten.

Neben ihm saß ein etwa puppengroßes Mädchen mit fliederfarbenem Haar und dunkler Kleidung und sah ihn besorgt an. Sie schien durchsichtig zu sein und auch als er versuchte, sie anzufassen, ging seine Hand durch sie hindurch.

Noch nie zuvor hatte er etwas wie sie gesehen.

„Wer bist du?“, fragte er leise.

Sie antwortete nicht, aber er hatte das Gefühl, dass sie ihn genau verstand.

Leise seufzend richtete er sich auf, worauf sie in die Luft schwebte. Zwei schwarze Stoffstreifen gingen von ihrem Rock ab und endeten in goldenen Kreisen.

Sie lächelte leicht, als er endlich aufrecht saß.

Was immer sie war, sie schien sich tatsächlich Gedanken um ihn zu machen. Zetsu war ihr dankbar dafür, besonders im Moment, auch wenn sie nicht sprach.

Er stand von seinem Bett auf und lief mit nackten Füßen zur Treppe hinüber, das seltsame Wesen folgte ihm. Die Erwachsenen redeten immer noch auf Hinome ein und versuchten, sie von der Richtigkeit ihres Plans zu überzeugen.

Langsam, sich unendlich Zeit nehmend für jede Stufe, ging Zetsu die Treppe hinunter, bis er ins Wohnzimmer blicken konnte, wo alle versammelt waren. Auf dem Boden waren immer noch dunkle Flecken zu sehen.

Ein Kloß entstand in Zetsus Hals, als er wieder an seine leblosen Eltern auf dem Boden dachte. Ein Schauer fuhr über seinen Rücken, als er sich wieder das Gefühl ins Gedächtnis rief, das danach durch seinen Körper geströmt war.

Erneut fragte er sich, ob er es schaffen könnte, all diese Menschen umzubringen, als einziger zurückzubleiben...

Aber Gekkyu hatte recht: Es blieb ihm nicht viel anderes übrig. Rache war das Letzte, was den Einwohnern dieser Welt geblieben war und wenn Zetsu ihnen das geben könnte, würde er das tun. Einfach nur um ihnen allen zu zeigen, wie sehr er sie liebte, selbst nachdem sie seine Eltern so behandelt hatten.

All die Jahre hatten sie alles für ihn getan, nun würde er alles für sie tun, sogar über seinen eigenen Schatten springen und sie alle töten.

Mit diesem Entschluss betrat er das Zimmer. Sofort verstummte das Gespräch, alle Augen richteten sich auf ihn. Hinome stand sofort auf. „Zetsu, ist alles in Ordnung? Wie geht es dir?“

Er nickte. „Mir geht es gut, danke, Tante Hinome.“

Gekkyu räusperte sich. „Zetsu, wir müssen mit dir reden.“

Diesmal schüttelte der Junge mit dem Kopf. „Nein, müsst ihr nicht. Ich habe alles gehört.“

Bestürzt legte Hinome eine Hand auf ihr Herz. Die anderen tauschten betretene Blicke miteinander aus. Lediglich in Gekkyus Augen lag wieder dieses Glitzern. „Und wie ist deine Antwort?“

Ohne etwas zu sagen trat Zetsu an den Tisch. Er nahm das Schwert an sich, es fühlte sich unrealistisch leicht an, als ob es ein Teil von ihm wäre, eine Verlängerung seines Arms.

Es war richtig, dass er diese Waffe in der Hand hielt.

Zetsu hob den Kopf, sein sicherer, fester Blick richtete sich auf Gekkyu. „Ich mache es.“
 

Die anderen ließen nicht viel Zeit verstreichen. Bereits am nächsten Morgen stand die gesamte verbliebene Bevölkerung auf dem Stadtplatz zusammen. Der Wind trieb den Sand vor sich her, Zetsu folgte ihm mit seinem Blick.

Das Schwert in seiner Hand schien zu ahnen, was geschehen würde. Auch wenn es ihm selbst lächerlich erschien, aber er war sich sicher, dass das Gefühl von Vorfreude von der Waffe ausging.

Hinome stand zwischen den anderen, ihr Blick war betrübt auf den Boden gerichtet. Noch immer war sie nicht sonderlich damit einverstanden, aber wenn Zetsu selbst darauf bestand...

Sie hatte letzte Nacht mit ihm darüber geredet und sich die Gründe für seine Entscheidung angehört. Sie konnte es immer noch nicht gutheißen, aber zumindest nachvollziehen. Er war vielleicht erst zehn, aber er dachte bereits um einiges erwachsener als sie. Der Stolz trieb ihr die Tränen in die Augen, allerdings erlaubte sie sich selbst nicht zu weinen.

Sie musste für Zetsu stark sein, genau wie er es für sie alle war.

Der Junge stand ihnen mit seinem Schwert gegenüber. Er fühlte sich wie ein Ausgestoßener, einsam und allein.

Lediglich das puppengroße Wesen, das nun auf seiner Schulter saß, spendete ihm ein wenig Trost, auch wenn es immer noch nicht mit ihm sprach und anscheinend nur er es sehen konnte.

Ratlos sahen die anderen Bewohner sich an. Unsicherheit breitete sich zwischen ihnen aus, für Zetsu war der Grund unverständlich – bis einer von ihnen es wagte, eine Frage zu stellen: „Wer soll den Anfang machen?“

Nach kurzem Überlegen und verhaltenen Murmeln trat Gekkyu vor. „Das der Vorschlag von mir kam, sollte ich anfangen.“

Hinome trat neben ihn und legte ihre Hände auf seinen Arm. Sanft, aber bestimmt, schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein, bitte nicht. L-lass mich anfangen. Ich will nicht zusehen, wie du stirbst.“

„Aber Hinome...“

Der bittende Blick brachte ihn dazu nachzugeben. „In Ordnung. Denk nur daran, dass du keine Angst haben musst.“

Sie nickte noch einmal und ging zu Zetsu hinüber. Vor ihrem Neffen ging sie lächelnd in die Knie. „Alles in Ordnung, mein Liebling. Du musst einfach nichts anderes tun, als das Schwert zu führen.“

„Tante Hinome... ist das... wirklich das Richtige?“

Liebevoll strich sie ihm durch das Haar. „Ja, das ist es.“

Zum ersten Mal, seit sie von dem Entschluss gehört hatte, klang ihre Stimme dabei fest und sicher. Sie musste ihre Stimme fest klingen lassen, damit Zetsu nicht zweifeln musste.

Er nickte langsam und hob das Schwert. Lächelnd schloss Hinome ihre Augen. „Ich bin... stolz auf dich, mein kleiner Zetsu.“

Mühelos glitt die Klinge durch ihren Oberkörper, der sofort leblos tiefer sank. Zetsu streckte die Hand aus und wollte seiner Tante an die Schulter greifen, doch sie löste sich bereits in Manafunken auf, die Klinge leuchtete wieder.

Vor seinem inneren Auge sah er verschiedene Momente seines Lebens mit Hinome. Wie sie ihm abends Geschichten erzählte, wie sie ihm Schokolade zusteckte, wie sie ihn tröstete, wenn er hingefallen war und sich verletzt hatte. Nun würde sie das nie wieder tun.

Doch er schluckte die Tränen hinunter. Er konnte nicht weinen, nicht jetzt. Es war seine Entscheidung gewesen, diesen Weg zu gehen, also sollte er ihn auch bis zum Ende beschreiten.

Wieder übernahm dieses seltsame kalte Gefühl in seinem Körper die Oberhand. Seine Hand führte das Shinken automatisch, wie von einem Puppenspieler geführt.

Nach und nach und ohne auf eine besondere Reihenfolge zu achten, fuhr die Klinge durch jeden einzelnen Körper, saugte gierig das nach dem Tod freigesetzte Mana auf. Mit jedem weiteren Opfer, das inzwischen gesichtslos für ihn war, spürte er, wie die Macht der Waffe wuchs und dabei nach immer mehr verlangte.

Für einen Beobachter hätten seine Bewegungen wie ein Tanz angemutet, der selbst dann nicht endete, als längst niemand mehr da war, der dem Shinken zum Opfer fallen könnte. Zetsu tanzte weiter, zu einer unhörbaren Melodie, die nur etwas tief in seinem Inneren kannte, umgeben von zahllosen goldenen Funken, die ihm die Sicht nahmen.

Doch er kümmerte sich nicht darum, vor seinen Augen sah er ohnehin nur noch dieses blaue Leuchten und die Wurzeln aus seinen Träumen. Und alles, was er spürte war ein scharfer Schmerz in seinem rechten Arm, der von einem hellen Leuchten begleitet wurde.

Er tanzte solange, bis sämtliche Manafunken verschwunden waren und er schließlich bewusstlos zu Boden fiel.
 

Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er so viele Sterne am Himmel gesehen. Noch letzte Woche, die ihm inzwischen so lange her erschien, hatte er versucht die Sterne zu zählen und war daran verzweifelt. Bei diesem Himmel jedoch hätte er erst gar nicht versucht, sie zu zählen, es mussten Myriaden sein und jeder funkelte als heller als der vorige als ob sie sich einen Wettstreit liefern würden.

Vier blaue Schmetterlinge, deren Flügel im Sternenlicht zu glühen schienen, flogen immer wieder über ihn hinweg. Manchmal ließen sie sich für einen Moment auf ihm nieder, bevor sie wieder mit den Flügeln schlugen, um ihren Flug fortzusetzen. Jedesmal, wenn sie auf seinem Körper für eine Pause verweilten, wurde sein Inneres von einem angenehmen Gefühl erfüllt. Es fühlte sich vertraut und wie ein Stück Heimat an.

Zetsu versuchte, sich zu bewegen, doch sein Körper reagierte nicht. Er schaffte es nicht einmal, seinen Blick vom Himmel abzuwenden.

Wo bin ich?

Seine Worte hallten von unsichtbaren Wänden wider. Er war noch nie an diesem Ort gewesen und doch kam er ihm plötzlich so vertraut vor. Ein warmes Gefühl hüllte ihn ein, als er eine leise Stimme an seinem Ohr vernehmen konnte: „Rutsu... ruji...“

Dieser Name... er kannte ihn, er war sich ganz sicher, dass es sein eigener Name war – oder besser: Er war es einmal gewesen. Aber wann?

Niemand beantwortete ihm seine Fragen, doch er fühlte, dass es Zeit wurde, wieder zu gehen. Seine Rache an Gott stand auch noch aus.

Mit unendlicher Anstrengung schloss er seine Augen wieder, in der Hoffnung, dass er wieder in seiner Welt aufwachen würde, auch wenn er dort nun völlig allein war.

Nanashi

Blinzelnd öffnete Zetsu seine Augen. Mit versteinertem Gesicht starrte er an den blauen Himmel, wo wie üblich keinerlei Wolken zu sehen waren.

Die Verlockung, einfach liegenzubleiben und auf den Tod zu warten, war groß. Doch dann kamen ihm wieder die von ihm Getöteten in den Sinn. Er durfte ihr Sterben nicht umsonst sein lassen.

Seine Hand hielt immer noch das Shinken umklammert, er konnte nicht einen einzigen Finger davon lösen.

Seufzend richtete er sich auf.

„Meister, Ihr seid wach!“

Erschrocken sah er zur Seite. Das Wesen saß neben ihm, ihr erleichterter Blick zeigte ihm, dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte. Inzwischen war sie nicht mehr durchsichtig und gerade eben hatte er sogar ihre Stimmen vernommen.

„Wer bist du?“, wiederholte er die Frage, die er schon bei ihrer ersten Begegnung gestellt hatte.

Sie schwebte in die Luft und legte eine Hand auf ihr Herz. „Mein Name ist Nanashi, ich bin das Shugo Shinjuu des Eien Shinken 'Gyouten'.“

Sein verwirrter Blick ließ sie leise kichern, bevor sie ihm erklärte, dass ein Shinjuu dem Schutz des Shinkenträgers diente und stets an eine bestimmte Waffe und damit eine bestimmte Person gebunden war.

„Ich bin also dafür zuständig, auf dich aufzupassen“, schloss sie schließlich selbstgefällig. „Ich hoffe, das stört dich nicht.“

Der letzte Satz hörte sich an als ob sie ihn nur aus Höflichkeitsgründen angehängt hätte, allerdings waren Zetsus Gedanken noch zu durcheinander, um das zu verstehen. Er wusste nicht, ob es ihn störte, also schüttelte er den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“

Im Grunde war er froh und dankbar, immerhin war er so nicht mehr ganz allein.

Sie lächelte glücklich. „Das ist schön.“

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht machte sie den Eindruck eines glücklichen kleinen Kindes und nicht den eines schützenden Götterbiests, wie der Titel Shugo Shinjuu eigentlich verriet.

Für einen kurzen Moment schwiegen beide, bevor Nanashi sich wieder räusperte. „Was wollt Ihr jetzt tun, Meister?“

Sein Blick ging in die Entfernung, wo er den Turm sehen konnte, auf den er sofort deutete. „Wir müssen dorthin. Ich muss diesen Gott töten.“

Zuviel Zeit wollte er nicht verstreichen lassen, bis er seinen Auftrag ausführte. Immerhin konnte er nicht wissen, wann seine Welt endgültig zerfiel oder die Energie seines Shinken wieder nachließ.

Er erwartete, dass sie widersprechen würde, doch sie nickte nur. „Wie Ihr wollt, Meister.“

Zetsu stand wieder auf. Mit der freien Hand klopfte er sich den Sand von den Schultern. Das Shinken in seiner Hand schwieg, vielleicht aufgrund der fehlenden Opfer.

Der Junge suchte nach einem Kamel, doch schon bald merkte er, dass keines mehr lebte. Sie alle schienen während der Aufstände umgebracht worden zu sein, zumindest bezeugte dies das getrocknete Blut unter den leblosen Körpern.

Also blieb ihm nichts anderes übrig als zu laufen.

Die letzten Jahre hatte jeder Zetsu davon abgehalten, die Wüste zu betreten, indem ihm erzählt worden war, dass die Sonne ihn unbarmherzig austrocknen lassen würde. Allerdings stellte er nun fest, dass die Geschichten wohl alle übertrieben waren. Aber vielleicht lag es auch an der seltsamen Kälte in seinem Inneren, die einfach nicht wegging, egal wie stark die Sonne auf ihn niederbrannte.

Irgendwann wurde es Nacht, aber Zetsu wurde nicht müde, dafür leuchtete die Klinge wieder sacht, als ob sie ihm den Weg weisen wollte.

Nanashi schwieg den ganzen Weg über, erst als sie vor dem Turm stehenblieben, seufzte sie leise. „Endlich, ich dachte, wir kommen nie an.“

„Du musstest ja nicht laufen“, erwiderte Zetsu.

„Fliegen ist auch anstrengend“, bemerkte sie. „Sollen... wir wirklich reingehen, Meister?“

Genau wie seine Eltern zuvor, starrte Zetsu auf den Eingang als würde er warten, dass er hineingezogen werden würde.

Dunkelheit herrschte im Inneren des Turms, abgesehen von einem grünen Leuchten, das ihn einzuladen schien, hereinzukommen.

Ohne auf Nanashis Frage zu antworten, folgte Zetsu der Einladung und betrat den Turm. Das Shinjuu folgte ihm. Ohne zu zögern drückte sie auf den leuchtenden Knopf, so dass das Licht ansprang.

Verdutzt betrachtete Zetsu das Metall. „Was ist das alles hier?“

„Das nennt man Computer“, antwortete Nanashi. „Damit können unzählige Daten verarbeitet werden. Echt praktisch.“

Sein Blick blieb verwirrt, noch eine Frage folgte: „Was sind Daten?“

„Mhm, das ist ein wenig kompliziert zu erklären.“

Da sie wieder schwieg, stellte er die nächste Frage: „Weißt du, was das für ein Turm ist?“

Er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott hier lebte, also musste das Gebilde für irgend etwas anderes gut sein.

„Das hier ist ein Turm der Unterstützung, mit diesem kann man zwischen den Welten im Zeitbaum umherreisen und außerdem...“ - sie schluckte - „kann man mit diesem Turm auch Welten vernichten, wenn man so will.“

Er begriff sofort, was sie ihm damit sagen wollte und stellte die richtige Schlussfolgerung: „Also ging die Zerstörung meiner Welt von diesem Turm aus.“

Nanashi nickte. „Ganz genau. Von hier wurde das Mana deiner Welt an eine andere geschickt.“

Zetsu wusste, dass sich seine Wut nun auf diesen Turm richten sollte, doch als er in sich hineinhorchte, war da... nichts.

Er spürte keinen Wut, keinen Hass, gar nichts, nur Verwunderung und Neugierde. Wenn es möglich war, von hier aus in andere Welten zu reisen, dann würde er diese Möglichkeit auch nutzen, sobald er sich dem Gott auseinandergesetzt hatte.

„Aber wo ist nun Gott?“, fragte Zetsu.

Da er nun endlich hier war, wollte er diese Gestalt auch endlich sehen, genau wie seine Eltern zuvor. Nur wollte er diese dann bei der Gelegenheit auch gleich töten, um sich zu rächen.

Allein der Gedanke wirkte absolut surreal, nachdem ihm beigebracht worden war, Gott zu respektieren und zu verehren aber deswegen war er doch letztendlich hier.

Plötzlich wirkte Nanashis Gesicht als ob sie etwas Unangenehmes gerochen hätte. „Da kommt etwas.“

Kaum war ihr Mund wieder geschlossen, tauchte in der Mitte des Raumes die weiße Frau, die auch seinen Eltern erschienen war, auf. Zetsus Körper ging sofort in Abwehrhaltung, ohne dass sein Gehirn einen entsprechenden Befehl gab. Wieder war es als ob das Shinken die Kontrolle übernehmen würde.

Die Frau lächelte. „Wen haben wir denn da?“

„Wer bist du?“, erwiderte er mit einer Gegenfrage.

Sie deutete eine Verbeugung an, die auf Zetsu einen durchaus spöttischen Eindruck machte. „Mein Name ist Isbel, ich bin die Göttin dieser Welt.“

„Bist du nicht!“, kam aus seinem Mund, bevor er es verhindern konnte.

Isbel lächelte. „Was für ein schlauer Junge. Erinnerst du dich etwa an mich?“

Er wollte fragen, was sie damit meinte, doch sein Körper verweigerte jeden Gehorsam. So stand er ihr nur mit erhobenem Shinken gegenüber, darauf wartend, dass sie ihre Deckung fallenließ.

„Anscheinend erinnert sich der Gott in dir, aber er sagt es dir nicht“, folgerte Isbel aus diesem Verhalten. „Wie herzlos, Rutsuruji.“

Derselbe Name wie in meinem Traum!, fuhr es durch seinen Kopf. Dann hatte Onkel Gekkyu recht?

Er erinnerte sich daran, dass sein Onkel am Tag zuvor noch darüber gesprochen hatte, dass Zetsu die Reinkarnation eines Gottes wäre. Doch es klang für den Jungen noch viel zu unbegreiflich als dass er es wirklich glauben könnte.

Urplötzlich erlosch Isbels Lächeln, ihre Gesichtszüge wurden hart und unbarmherzig, ihre Augen glitzerten kalt. In einer anmutigen Bewegung hob sie ihren rechten Arm quer über ihren Körper. „Dann lass mich dir deine Unwissenheit – und dein Leben – nehmen.“

Zetsu schloss die Augen und erwartete den Schmerz. Doch alles, was zu hören war, war nur ein gellenden Schrei.

Widerwillig, zögernd, öffnete er seine Augen wieder und blickte die Göttin überrascht an. Ohne sein Zutun oder dass es ihm auch nur aufgefallen war, hatte sein Körper Isbel angegriffen. Die silbern leuchtende Klinge steckte in ihrem Oberkörper, genau dort wo bei einem Menschen das Herz sitzen würde. Von diesem Punkt breiteten sich spinnennetzartig Risse auf ihrem Körper aus als ob ihr Körper aus Porzellan oder Glas bestehen würde.

Zetsu betrachtete diesen Vorgang mit Verwunderung und Unglauben, sein ganzer Leib zitterte. W-was ist das nur?

Ihr Arm war immer noch erhoben, mit verzerrtem Gesichtsausdruck blickte sie ihn an. Es schien sie unendlich viel Mühe zu kosten, ihren Mund zu öffnen. „Gar nicht schlecht, Rutsuruji.“

Ihre Stimme klang plötzlich verzerrt, als ob verschiedene Personen gleichzeitig durch ihren Körper zu sprechen versuchten.

„Aber das Ziel des Jungen ist damit nicht erreicht. Wir werden nicht so einfach sterben.“

Mit einem überraschend leisen Geräusch zersprang der Körper in zahllose kleine Teile, die sich gleich in Manafunken auflösten. Zurück blieb eine seltsame Wolke, die allerdings nach einem weiteren Moment ebenfalls verschwand.

Zetsu ließ das Schwert wieder sinken. Sein Gefühl sagte ihm, dass es die Wahrheit war. Wer oder was immer sie gewesen war, sie lebte immer noch und war lediglich verschwunden.

Aber warum hatte sie in der Mehrzahl gesprochen? Wer war da noch gewesen?

Während er seinen Gedanken nachhing, widmete Nanashi sich wieder dem Computer, auf dem sie einige Knöpfe betätigte.

Ein befremdliches Geräusch ließ Zetsu zusammenzucken. Neugierig wandte er sich dem Shinjuu zu. „Was tust du da?“

„Ihr wollt doch Rache, oder?“, fragte sie, ohne aufzublicken.

Das war keine Frage, über die er nachdenken musste, so dass er sofort nickte. Der Rachedurst war immer noch nicht gestillt, auch wenn es nicht sein eigener war. Er konnte das Verlangen der anderen durch sein Shinken spüren – und sie verlangten immer noch Rache.

„Dachte ich mir doch“, murmelte Nanashi.

Schließlich räusperte sie sich. „Ihr könnt die Verantwortlichen für den Untergang Eurer Welt im Idealen Stamm finden. Dorthin sollten wir reisen, wenn Ihr Eure Rache haben wollt. Aber...“

Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu, bevor sie mit der Zunge schnalzte und sich wieder dem Computer zuwandte. „Davor solltet Ihr ein wenig stärker werden. Immerhin habt Ihr es mit richtigen Göttern zu tun.“

„Oh ja, jetzt, wo du es erwähnst: Bin ich wirklich... einmal ein Gott gewesen?“

Gespannt wartete er auf ihre Antwort, obwohl er sich nicht sicher war, ob er diese glauben könnte.

Sie nickte. „Oh ja, das stimmt. Ihr wart einst Rutsuruji, der Meister von 'Gyouten'.“

Ihm drängte sich der Verdacht auf, dass sie noch etwas hinzufügen wollte, doch sie schwieg. Er wollte nicht nachhaken, deswegen wechselte er das Thema: „Wie kommt es, dass du mit diesem Ding umgehen kannst?“

Für ihn war dieses Gerät nur eine Ansammlung von Metallplatten, Knöpfen und Glasscheiben, weswegen er es umso erstaunlicher fand, dass sie tatsächlich den Umgang damit beherrschte.

„Ich bin ein Engels-Shinjuu, na ja, eigentlich ein gefallener Engel, darum kann ich vieles.“

Auf seine Frage, was ihre Gattung damit zu tun hatte, schwieg sie. Er interpretierte es so, dass sie selbst nicht wusste, warum beides zusammenhing und fragte daher nicht weiter. Schweigend wartete er darauf, dass sie fertig wurde.

Während sie beschäftigt war, betrachtete er sie neugierig. Ihr ernster Gesichtsausdruck verriet, wie konzentriert sie über etwas nachdachte, was sich seinem Verständnis entzog.

Seine Gedanken begannen in seinem Kopf zu kreisen. In den letzten zwei Tagen hatte er nicht nur seine Eltern, sondern auch alle anderen verloren, die ihm je begegnet waren. Dafür war dieses Shinjuu, Nanashi, in sein Leben getreten und würde ihm nun helfen, seine Heimatwelt zu verlassen.

Wenn das kalte Gefühl in seinem Inneren, das schon fast schmerzhaft war, nicht gewesen wäre, wäre er der festen Überzeugung gewesen, nur zu träumen. Doch so konnte er sich sicher sein, dass dies alles echt war.

Mit einem triumphierenden Summen fuhr sie schließlich wieder zu ihm herum. „Ihr solltet Euch nun von Eurer Welt verabschieden. Ich glaube nicht, dass wir wieder herkommen werden.“

Zetsu schwieg darauf. Es gab nichts, wovon er sich verabschieden müsste. Alle, die er kannte, wenn nicht gar die gesamte Bevölkerung dieser Welt, waren tot. Entweder durch seine Hand oder durch andere Gründe, die ihm unbekannt waren. Ansonsten bestand diese Welt nur noch aus Sand, Sand und noch mehr Sand, abgelöst von Felsen, Steinen, Gebäuden, die bald verkommen würden und vertrocknetem Holz.

Das einzig Gute waren die Erinnerungen an eine Kindheit, die erst seit kurzem vorbei war und doch so unendlich weit weg erschien. Und diese Erinnerungen würde er auf ewig in seinem Inneren mit sich tragen, er würde sie nicht zurücklassen.

Nein, hier gab es nichts, von dem er sich verabschieden müsste. Dies gab er Nanashi zu verstehen, worauf sie wieder nickte. Offenbar hatte sie so etwas von ihm erwartet. Noch einmal drückte sie auf einen Knopf, worauf ein hellgrünes Licht in der Mitte des Raumes erschien.

Nanashi setzte sich auf Zetsus Schulter und nickte ihm aufmunternd zu. „Dann lasst uns gehen. Wenn es sein muss, werde ich den ganzen Zeitbaum mit Euch erkunden.“

Noch wusste er nicht, was das zu bedeuten hätte, doch er ahnte, dass es viel Arbeit versprach. Erneut war er froh und dankbar über Nanashis Unterstützung. „Vielen Dank.“

Sie lächelte ihm zu.

Ein letztes Mal sog er tief die Luft dieser Welt ein, dann trat er in das grüne Licht, das ihn mit einem kribbelnden, unbekannten Gefühl erfüllte.

Schon wenige Sekunden später, war der Turm so verlassen wie zuvor und das Licht erlosch wieder.

Damit war die verwitterte Welt endgültig menschenleer.

„Wie ein Theaterstück in einem großen Maßstab“ - Teil 1

Der junge Zetsu wusste es noch nicht, aber in knapp sieben Jahren würde er seinen besten Freund fragen, wie er über die Welt, in der er sich nun befand, denken würde. Und sein Freund würde nachdenklich antworten: „... Unnatürlich... und seltsam. Wie ein Theaterstück in einem großen Maßstab.“

Doch dieser Gedanke sollte Zetsu selbst erst am zweiten Tag seines Aufenthalts kommen.

Die ersten Eindrücke, die er bekam, verwirrten ihn viel zu sehr, um klar denken zu können. Gebäude, die aus Glas zu bestehen schienen, reckten sich bis in den dunklen Himmel und waren bedrohlich dicht aneinander gebaut, so dass Zetsu das Gefühl bekam, noch kleiner und unbedeutender zu sein als er es schon war.

Seltsame Buchstaben aus grellen Lichtern waren auf und an den Gebäuden angebracht, der Junge musste den Kopf in den Nacken legen, um sie erstaunt betrachten zu können.

Die Straße, auf der er lief, war aus einem ihm unbekannten Material. Es war kein Stein, aber es fühlte sich dennoch hart und kalt an. Auf der Mitte befand sich ein weißer Streifen, dessen Bedeutung ihm nicht klar war.

Kahle, metallene Gebilde erstreckten sich in regelmäßigen Abständen über die Straße, daran waren wieder Lichter befestigt, die unregelmäßig von grün über orange auf rot und wieder zurück wechselten.

Minutenlang stand Zetsu nur da und beobachtete diese Lichter mit vor Staunen offenem Mund.

Diese Welt war so vollkommen anders als seine eigene, nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hätte er sich so etwas ausmalen können.

Obwohl der dunkle Himmel darauf hinwies, dass es Nacht war, herrschte eine angenehme Temperatur, ganz anders als die bittere Kälte bei Zetsu zu Hause. Dafür waren allerdings auch keine Sterne am Himmel zu sehen. Diese Tatsache stimmte ihn ein wenig traurig, doch die ganzen Lichter, die den Rand der Straße säumten, machten das wieder wett.

Er konnte gar nicht anders als sich staunend umzusehen und jeden Eindruck in sich aufzusaugen, bis ihm fast schwindelig wurde.

Nanashi dagegen warf einen besorgten Blick umher. Als er sich endlich von dem Anblick losreißen konnte, wandte er sich dem Shinjuu zu. „Stimmt etwas nicht?“

Sie erwiderte seinen Blick mit gerunzelter Stirn. „Es sind mehrere Dinge. Einmal habe ich das Gefühl, dass etwas mit dieser Welt nicht in Ordnung ist. Der Managehalt hier ist außergewöhnlich unregelmäßig, so als ob keines mehr von außen dazukommt.“

Zetsu versuchte, sich auf diesen Managehalt zu konzentrieren, aber es funktionierte nicht, was bei Nanashi zu einem entspannten Kichern führte. „Ihr müsst noch viel lernen. Aber keine Sorge, das wird noch.“

Sofort wurde sie aber wieder ernst. „Und dann ist da noch das Gefühl, dass... irgend etwas sehr Wichtiges und Machtvolles hier ist.“

Das war wiederum etwas, was Zetsu spüren konnte. Nach dem ersten Staunen über das Unbekannte, konnte er sich mehr auf alles andere konzentrieren. Ein starkes, hasserfülltes Etwas schien nach seinem Körper, genauer, seinem rechten Arm greifen zu wollen. Unwillkürlich griff Zetsu sich an den Ellenbogen und sah sich um. Nichts war zu sehen.

„Wie ich es mir dachte“, bemerkte Nanashi. „Es will Euren Orichalcum-Namen.“

Sein fragender Blick sorgte dafür, dass sie sofort zu erklären begann: „Euer Orichalcum-Name trägt alle Informationen über Eure letzte Inkarnationen in sich. Solange Ihr diesen habt, werdet Ihr immer wiedergeboren werden und auch ein Shinken-Träger sein. Wenn er allerdings zerstört wird, wird mit Euch dasselbe geschehen wie mit Isbel: Eure Seele wird unfähig sein, in einem neuen Körper wiedergeboren zu werden.“

Darum war ihr Körper also einfach so zersprungen. Es war nur eine künstlich geschaffene Hülle für die Menschen gewesen.

„Was kann denn alles diesen Namen zerstören?“, fragte er mit zitternder Stimme.

In seinem Kopf malte er sich bereits allerlei furchtbare Techniken aus, die von seinen Feinden – wenn er denn mal solche haben sollte – ausgeführt werden könnten und die nur dazu dienten, diesen Namen zu zerstören.

Doch Nanashis Antwort ließ ihn erleichtert aufatmen: „Es gibt nur eine einzige Technik, die das kann. Sie gehörte dem Gott der Zerstörung, doch nach seinem Tod wurde sie ihm abgenommen und irgendwo versteckt.“

Möglicherweise war diese Welt wohl das Versteck. Anders konnte er sich dieses Gefühl nicht erklären.

„Keine Sorge“, beruhigte Nanashi ihn, als sie sein bleiches Gesicht bemerkte. „Es scheint keinen böswilligen Wirt zu haben, Ihr habt nichts zu befürchten.“

Ich hoffe es.

Er wollte nicht mehr über dieses für ihn furchterregende Thema sprechen, also lenkte er ab: „Gibt es noch etwas, was dir seltsam vorkommt?“

Sofort zog Nanashi wieder ihre Stirn kraus und nickte. „Ah, genau. Nun, für eine solche Welt ist es hier viel zu ruhig. Normalerweise sind viele Menschen unterwegs – aber hier ist absolut niemand.“

Zetsu warf einen Blick umher. Selbst auf ihn wirkte diese Stille gespenstisch, etwas tief in seinem Inneren riet ihm, vorsichtig zu sein. Ein Rat, den er nur zu gern befolgte.

Mit langsamen Schritten folgte er der Straße, die endlos weiterzuführen schien. Das Geräusch, das er dabei verursachte, hallte von den Gebäuden wider und ließ ihn noch einsamer zurück. Ihn beschlich die Frage, ob überhaupt noch jemand auf dieser Welt lebte. Vielleicht war es wie in seiner Heimat und es gab keine Überlebenden.

Mit jedem Schritt, den er ging, wurden seine Füße schwerer. Nach den Ereignissen des Tages wünschte er sich nur noch ein Bett und die Gelegenheit, endlich zu schlafen.

Alarmiert hielt Nanashi plötzlich inne. „Meister! Bleibt stehen!“

Zetsu folgte ihrem Befehl sofort, bedachte sie dafür aber mit einem fragenden Blick. Die Straße vor ihm war völlig intakt und es war niemand hier. Warum hielt sie ihn nur auf?

Doch die Antwort auf seine Frage, tauchte schon einen Moment später auf.

Zuerst war nur ein tiefes Grollen zu hören, dann war ein grauenerregend großer und noch dazu geflügelter Schatten zu sehen.

Zetsu schluckte und griff wieder nach seinem Shinken, das er inzwischen an seinem Gürtel befestigt hatte. Doch noch bevor das Wesen selbst sichtbar war, wusste er bereits, dass er keine Chance dagegen haben würde. Die starke Energie, die davon ausging, ließ seinen Körper zittern.

Als das Wesen landete, zitterte die Straße. Zetsu kämpfte für einen Moment mit dem Gleichgewicht. Kaum hatte er das wiedergewonnen, musterte er das fremde Wesen. Es wirkte wie aus einem Buch entsprungen. Die schuppige, weiße Haut spannte sich über den muskelbepackten Körper; die Klauen an Füßen und Händen schienen sämtliches Gewebe ohne Aufwand zerreißen zu können; rasiermesserscharfe Zähne lenkten den Blick auf den unförmigen Kopf; aus dem Rücken des Ungetüms ragte ein Paar riesiger Schwingen, direkt darunter war noch ein Paar verkümmerter fächerartiger Flügel.

Zetsu staunte selbst darüber, dass sich sämtliche Details des riesigen Wesen in seinen Kopf fraßen, während er es wie erstarrt nur ansehen konnte. Nicht einmal den Blick konnte er abwenden, als ob die funkelnden goldenen Augen ihn hypnotisieren würden, damit er eine leichtere Beute wäre.

Das Wesen stand auf den Hinterbeinen, aber das Gewicht der Muskeln und des Kopfes schien den Oberkörper zu Boden zu drücken, weswegen es vornübergebeugt dastand.

Doch das tat der imposanten Erscheinung keinen Abbruch.

Zetsu wollte wegrennen, aber seine Beine reagierten kein bisschen, weswegen er selbst nach einer Minute immer noch wie festgefroren auf seinem Platz verharrte.

Der Atem des Wesens – das Zetsu einfach nur als Drache bezeichnen konnte – ging schwerfällig und rasselnd, als ob etwas in seiner Lunge festsitzen würde.

Worauf wartete der Drachen noch?

Mit Sicherheit hätte er Zetsu in der bisherigen Zeit schon mehr als einmal zerfetzen oder zermalmen können, doch stattdessen lieferten sie sich nur ein Blickduell, das der Drachen eindeutig gewann.

Selbst als der Drachen den Arm nach Zetsu ausstreckte, um ihn zu ergreifen, konnte der Junge nichts anderes tun als dem stumm zuzusehen.

Plötzlich gab das Ungetüm einen lauten Schrei von sich; ein Pfeil steckte in seinem Arm.

Zetsu erwachte endlich aus seiner Starre und warf einen Blick umher. Nicht weit entfernt von ihm standen zwei Bogenschützen. Der Braunhaarige hielt den Bogen immer noch so wie kurz nach dem Abschuss, also kam der Pfeil von ihm. Der Schwarzhaarige wiederum griff gerade erst nach dem ersten Pfeil, wie es aussah.

Bevor Zetsu es sich versah, wurde er plötzlich hochgehoben. Im ersten Moment glaubte er, dass es der Drache wäre, weswegen er erschrocken mit den Beinen zu strampeln begann. Eine empörte Stimme verriet ihm jedoch, dass er einen Menschen getroffen hatte, so dass er sofort wieder innehielt.

Fragend blickte er in das Gesicht des im unbekannten Mannes, der ihn inzwischen von dem Drachen wegbrachte, während dieser in einen Kampf mit den Bogenschützen verstrickt war.

In einer Seitengasse hielt der Unbekannte wieder an und ließ Zetsu wieder herunter. „Alles in Ordnung, Kleiner? Er hat dir nichts getan, oder?“

„Nein, alles in Ordnung.“

Der Mann atmete erleichtert auf. Er deutete tiefer in die Gasse hinein. „Geh dort lang, bis du zu einer Tür kommst. Geh dort rein und sag der Frau hinterm Tresen, dass du auf Subaru und Shou wartest. Sie wird dann schon Bescheid wissen.“

Bevor Zetsu antworten konnte, verschwand der Mann bereits wieder in die Richtung des Kampfplatzes. Nanashi setzte sich auf Zetsus Schulter. „Wir sollten gehen, oder?“

Er nickte und fuhr herum, ging langsam den Weg entlang als befürchtete er, dass ein unbedachter Schritt ein weiteres Monster auf den Plan rufen würde.

„Was war das für ein Wesen, Nanashi?“

Sie runzelte ihre Stirn. „Ich weiß es selbst nicht. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Es sah aus wie ein vermenschlichter Drachen, aber...“

Anstatt fortzufahren, zuckte sie nur mit den Schultern.

Zetsu verfiel ebenfalls wieder in Gedanken. Wenn nicht einmal Nanashi wusste, was das gewesen war, konnte das nicht normal sein. Aber so wie es aussah, war auf dieser Welt kaum etwas normal.

Sein Weg führte ihn an leeren Mülltonnen vorbei, die von seinem Shinjuu argwöhnisch beäugt wurden. Als er sie fragte, was daran so seltsam wäre, seufzte sie. „Normalerweise gibt es in solchen Welten wie dieser immer sehr viel Müll und auch viele Katzen. Aber hier nicht. Irgendetwas stimmt mit dieser Welt ganz und gar nicht.“

„Vielleicht sind die Leute hier nur sehr sauber?“, warf er ein, ohne wirklich selbst daran zu glauben.

Nanashi schüttelte bereits ihren Kopf. „Das glaube ich nicht. Es muss eine andere Erklärung dafür geben.“

Schließlich fand er die Tür, von der sein Retter geredet hatte. Sie war aus Holz, was in seinen Augen nicht wirklich in diese Welt passte. Alles hier schien aus Metall oder Glas zu sein, warum also gerade diese Tür nicht?

Statt sich weiter darum zu kümmern, öffnete er auf Nanashis Drängen die Tür. Er trat in einen kargen Raum, der von trostlosem gelben Licht erhellt wurde. Kästen mit Flaschen standen an den Wänden, um einen metallenen Tresen waren mehrere Hocker aufgestellt, auf denen deprimiert aussehende Männer saßen.

Die mit Trauer und Verzweiflung angefüllte Atmosphäre war geradezu greifbar und erinnerte Zetsu in unangenehmer Weise an sein Zuhause.

Lediglich die Frau hinter dem Tresen lächelte, besonders als sie Zetsu erblickte. „Na, Kleiner? Was führt dich denn hierher?“

Er konnte nicht anders als sie im ersten Moment nur anzustarren und sich zu fragen, ob die roten Haare echt waren. Noch nie zuvor hatte er eine solche Haarfarbe gesehen, ganz zu schweigen von diesen roten Augen, in denen ein sanfter Ausdruck lag. Es schien ihm als wollten allein ihre Augen ihn einladen, sich zu setzen und zum Essen zu bleiben.

Nanashi piekste ihn in den Nacken, so dass er aus seinen Gedanken aufschreckte. „Oh, ähm, ich warte auf Subaru und Shou.“

Er war sich zwar nicht sicher, aber er vermutete, dass dies die Namen der beiden Bogenschützen waren.

Die Frau nickte verstehend. „Dann setz dich doch erst mal. Du siehst ziemlich erschöpft aus.“

Was auch kein Wunder war. Immerhin hatte er nicht mehr geschlafen, seit er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war.

Mit einiger Anstrengung schaffte er es, auf den Hocker zu klettern. In seiner Welt hatte er solche noch nie gesehen, weshalb ihm jegliche Übung dafür fehlte. Als er endlich saß, stellte die Frau ein Glas mit einer seltsamen weißen Flüssigkeit vor ihn.

„Hier, ein Glas Milch für dich, Kleiner“, begleitete sie diese Aktion schmunzelnd. „Für alles andere in diesem Laden bist du leider noch zu jung.“

Misstrauisch sah er auf diese Milch, die er zum ersten Mal in seinem Leben erblickte. In seiner Welt hatte es so etwas nicht gegeben.

„Das ist nur Milch“, murmelte Nanashi. „Sie wird Euch nicht beißen, Ihr könnt sie trinken.“

„Sicher?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Ganz sicher.“

Von Nanashi bestärkt, griff er nach dem Glas und nippte vorsichtig daran. Die Frau lächelte amüsiert, die anderen Anwesenden kümmerten sich kein bisschen um ihn.

Er holte noch einmal tief Luft und nahm einen richtigen Schluck. Der Geschmack war ihm völlig unbekannt, aber er gefiel ihm sofort. An Milch könnte er sich tatsächlich gewöhnen.

Gierig trank er den Rest des Inhalts.

Die Frau lachte vergnügt. „Dir scheint es ja zu schmecken.“

Zetsu nickte zustimmend. Doch bevor er zum Antworten kam, hörte er, wie die Tür aufging.

Als er sich umdrehte, erkannte er die beiden Bogenschützen von vorhin. Beide waren unverletzt und lächelten ihn an, was er sofort mit einem eigenen Lächeln erwiderte. „Danke für eure Hilfe.“

Der Braunhaarige tätschelte ihm den Kopf. „Das haben wir gern gemacht. Nicht, Shou?“

Er wandte sich an den Schwarzhaarigen, der zustimmend nickte. „Aber natürlich.“

Zetsus Blick ging zwischen den beiden hin und her. Während Subarus Gesicht einen warmen, weichen Zug hatte, war das von Shou hart und kantig, in seinen dunklen Augen glitzerte etwas.

„Ich habe dich noch nie zuvor hier gesehen“, sagte Subaru. „Woher kommst du?“

Arglos erklärte der Junge, dass er aus einer anderen Welt kam. Shous Gesicht verfinsterte sich fast unmerklich, während bei Subaru das Lächeln blieb. „Ich verstehe. Das klingt schön. Wir heißen alle Besucher aus anderen Welten gekommen.“

Shou nickte, der finstere Zug war wieder verschwunden. „Du kannst solange unser Gast sein wie du möchtest.“

Zetsu atmete erleichtert aus. Doch dann fiel ihm eine andere Frage ein: „Was war das für ein Drachen? Warum hat er mich angegriffen?“

„Das ist ein Wächter“, antwortete Subaru. „Den Leuten aus den Slums ist es nicht gestattet, das Viertel der Privilegierten zu betreten. Die Wächter sorgen dafür, dass keiner ohne Berechtigung dorthin geht.“

„Und ihr bekämpft sie?“, fragte Zetsu weiter.

Subaru nickte zustimmend, dabei wirkte er ein wenig verlegen. „Ich gehöre zwar zu den Privilegierten, aber ich will lieber den Leuten aus den Slums helfen. Es kann nicht sein, dass diese Wächter unschuldige Menschen töten.“

In seinen Augen flackerte ein Feuer, das Zetsu nur zu gut von seinem Vater kannte. Der edle Wunsch, Unschuldige und Schwache zu beschützen, schien solch eine Reaktion wohl hervorzurufen.

Erneut holte die Müdigkeit den Jungen ein. Er gähnte herzhaft.

Subaru lächelte. „Du scheinst müde, tut mir Leid, dass wir dich solange aufgehalten haben. Wende dich doch an Yaga, falls du noch etwas brauchst.“

Er deutete auf die Frau hinter dem Tresen, bevor er sich gemeinsam mit Shou wieder verabschiedete und den Raum verließ.

Zetsu wandte sich der Frau zu, sie lächelte immer noch. „Du brauchst ein Bett, nicht wahr?“

Nur ein Nicken folgte als Antwort. Sie lachte leise und bedeutete ihm, ihr zu folgen, was er auch sofort tat.

Yaga führte ihn eine Treppe hinauf in einen kleinen düsteren Raum. Mehrere unbenutzte Betten standen einladend da und warteten nur darauf, dass sich jemand in sie hineinlegte.

„Du kannst so lange hier bleiben, wie du willst“, sagte sie großzügig. „Tu dir nur keinen Zwang an.“

Kaum hatte er sich dafür bedankt, ging sie wieder und ließ ihn allein mit Nanashi zurück.

Während das Shinjuu den Raum genauer betrachtete, legte er sich in eines der Betten. Die Müdigkeit überwältigte ihn, kaum dass er richtig zugedeckt war und ließ ihn in einen tiefen, traumlosen Schlaf fallen.

„Wie ein Theaterstück in einem großen Maßstab“ - Teil 2

Zetsu spürte sofort, dass etwas nicht stimmte, als er am nächsten Morgen erwachte.

Zumindest glaubte er, dass es Morgen war. Draußen herrschte immer noch Dunkelheit, lediglich die Lichter der Stadt schienen in das Zimmer hinein.

Aber die Atmosphäre war greifbar anders, nein, nicht anders – genauso. Dabei hatte er in seinem kurzen Leben gelernt, dass kein Tag dem anderen gefühlsmäßig glich, auch wenn es oft so aussah.

Nanashi lag neben ihm und schlief noch immer, so dass er sie näher betrachten konnte. Sie wirkte kein bisschen wie ein Götterbiest, sondern wirklich mehr wie eine Puppe. Eine aus Porzellan, die man sich in ein Regal oder einen Schrank setzte.

Für einen kurzen Augenblick glaubte er sogar, sie wäre eine solche – doch ihr sich hebender und senkender Brustkorb sagte ihm, dass sie durchaus sehr lebendig war.

Ohne sie wäre er so einsam... er wusste nicht, was er tun sollte, wenn er ganz allein wäre. Wahrscheinlich wäre er dann immer noch in seiner Welt und würde auf den Tod warten.

Plötzlich richtete Nanashi sich gähnend auf. „Hab ich gut geschlafen~“

Als sie bemerkte, dass Zetsu schon wach war, zuckte sie zusammen und erhob sich wieder in die Luft. Sie verneigte sich rasch. „Guten Morgen, Meister.“

Er erwiderte den Morgengruß, bevor er aufstand. Neugierig trat er an eines der Fenster und sah hinaus. In dem ärmlich aussehenden Viertel liefen einige Menschen herum, ohne wirklich etwas zu tun. Offensichtlich besaßen sie viel zu viel Zeit, sie unterhielten sich nicht einmal miteinander.

Nanashi setzte sich wieder auf seine Schulter. „Etwas stimmt hier nicht.“

„Den Gedanken hatte ich auch schon. Aber was genau kann das sein?“

Darauf hob sie die Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber vielleicht können wir es irgendwie herausfinden. Wenn es zu gefährlich wird, sollten wir allerdings wieder gehen.“

„Kannst du das so einfach?“

„Sicher. Ich muss mich nur mit dem Spirit Corridor verbinden.“

Erneut musste sie über seinen fragenden Blick kichern. „Das ist ein Korridor, der mit allen Welten verbunden ist. Es ist nur ein wenig anstrengend, darüber zu reisen. Mit dem Turm der Unterstützung ist es leichter.“

Er nickte verstehend, auch wenn es ihm seltsam kompliziert erschien. Immerhin verstand er nicht wirklich, wie dieser Zeitbaum funktionierte. Am besten war es, sich einfach auf Nanashi zu verlassen.

Zetsu und Nanashi gingen die Treppe hinunter. Die Bar war noch leer, niemand stand hinter dem Tresen. Statt des grellen gelben Lichts, brannte nur in einer Ecke eine rote Lampe, deren Leuchten dem Raum eine unheimliche Atmosphäre verschaffte.

Hastig verließ Zetsu das Gebäude. Die Gasse war genauso verlassen wie zuvor, weit und breit war niemand zu sehen.

„Wohin sollen wir gehen?“, fragte der Junge.

Nanashi überlegte nur einen kurzen Moment. „Die eine Straße können wir nicht nehmen. Dieser Wächter ist um einiges stärker als Ihr. Vielleicht sollten wir uns woanders umsehen und uns mit jemandem unterhalten.“

Sein knurrender Magen sorgte dafür, dass sie schmunzelnd noch etwas hinzufügte: „Und wir sollten für Euch etwas zu essen suchen. Normalerweise muss man in solchen Welten mit Geld bezahlen... aber wir haben keines. Also müssen wir das anders machen.“

Die letzten beiden Sätze murmelte sie halblaut vor sich hin.

Zetsu wusste nicht, was man sich unter Geld vorstellte. In seiner Welt hatte man sich wie selbstverständlich gegenseitig geholfen ohne dafür irgendwelche Gegenleistungen zu erwarten.

Nanashi gab ihm schließlich zu verstehen, dass er weiterlaufen sollte. Er folgte der Anweisung und begab sich zu der Stelle, die er vorher von seinem Fenster aus gesehen hatte.

Er suchte nach bekannten Gesichtern unter den Anwesenden, aber weder Yaga noch Shou oder Subaru waren dabei.

Während Zetsu durch die Reihen lief, achtete er sorgsam darauf, niemanden anzurempeln. Das Gefühl, dass er gerade durch eine Kulisse stolperte, sorgte dafür, dass er sich immer wieder suchend nach jemandem umsah, der ihn im nächsten Moment wegscheuchen würde.

Wie er auf diesen Vergleich kam, wusste er selbst nicht, aber er erschien ihm passend.

Ein angenehmer Duft zog zu ihm herüber und lenkte seine Aufmerksamkeit auf eine kleine Bude, aus der warmes helles Licht auf die Straße schien. Eine Markise aus Stoff sorgte dafür, dass Licht und Wärme zum größten Teil in der Bude blieb, der Geruch aber dennoch nach draußen ziehen konnte.

Wie hypnotisiert ging Zetsu auf die Bude zu. Als er unter der Markise hindurchging, wurde er sofort von einem angenehm warmen Gefühl eingehüllt. Vor einem hölzernen Tresen standen mehrere Barhocker, hinter dem Tresen stand wieder Yaga.

Lächelnd ging Zetsu näher. „Hallo~“

Sie wandte sich ihm zu und erwiderte das Lächeln. „Hallo, junger Mann. Bist du neu hier?“

Sein Lächeln erlosch und machte einem verständnislosen Ausdruck Platz. „Neu? Nein, wir haben uns doch gestern Abend schon gesehen.“

Es war noch nie vorgekommen, dass er vergessen worden war. Doch Yaga schüttelte nach einigem Nachdenken den Kopf. „Nein, ich erinnere mich nicht.“

Sie lächelte wieder. „Wie auch immer. Du siehst hungrig aus. Ich lade dich auf eine Portion Ramen ein, setz dich.“

Im Moment hätte Zetsu sogar puren Sand gegessen, wenn nichts anderes da gewesen wäre. Er setzte sich auf einen der Hocker – was an diesem Tag schon um einiges leichter ging – und sah von seiner neuen Position staunend auf die Töpfe und Schüsseln. Den leckere Duft konnte er nun um einiges besser in sich aufsaugen, er machte Hunger auf mehr.

Mit einem freundlichen Lächeln stellte Yaga ihm eine randvoll gefüllte Schüssel hin, daneben legte sie ein Paar Holzstäbchen, das er ratlos musterte.

Kichernd nahm sie ein neues Paar. „Schau, so geht man damit um.“

Sie trennte das Paar voneinander und demonstrierte ihm dann, wie man die Stäbchen richtig hielt, dass und wie man damit essen konnte. Zetsu sah ihr staunend dabei zu. Doch er begriff schnell und begann, sie erfolgreich mit seinem eigenen Essen nachzuahmen.

Scheinbar zufrieden widmete sie sich wieder ihren anderen Aufgaben, während er das Essen gierig in sich hineinschlang. Es war das erste Mal, dass er Nudeln – so nannte Nanashi es – aß, nie hätte er gedacht, dass er so etwas Leckeres in seinem Leben verpasst hatte. Er hoffte, dass sie noch öfter in Welten kommen würden, wo es dieses Ramen oder zumindest etwas Vergleichbares gab.

Nach der Mahlzeit bedankte er sich noch einmal und verließ die Ramenbude nach einem letzten Gruß, um sich weiter in der Stadt umzusehen.
 

Mehrere Stunden später kehrte Zetsu wieder in die Bar zurück.

Wie erwartet hatte er absolut nichts herausfinden können. Weder warum der Managehalt in dieser Welt so seltsam war, noch wo sich die anderen Menschen befanden.

Er war in einem der riesigen Gebäude gewesen, doch dort wurde er nur von Leere und Einsamkeit empfangen. Nicht einmal Nanashi schien zu verstehen, was in dieser Welt vorging.

In der Bar bot sich ihm dasselbe Bild wie am Abend zuvor. Exakt dieselben Leute saßen missmutig herum, ohne ihn auch nur zu beachten.

„Na, Kleiner?“, fragte Yaga. „Was führt dich denn hierher?“

Zetsu sah sie verdutzt an. Das waren genau dieselben Worte, die sie am Tag zuvor zu ihm gesagt hatte. Ob das ein Zufall war?

„Ich habe mich nur ein wenig umgesehen“, antwortete er. „Jetzt warte ich wieder auf Subaru und Shou.“

Vielleicht könnte er von den beiden noch mehr erfahren, wenn schon der Rest der Stadt in Schweigen versunken zu sein schien.

„Dann setz dich doch erst mal. Du siehst ziemlich erschöpft aus.“

Wieder einmal setzte Zetsu sich auf den Barhocker. Wie am Abend zuvor stellte Yaga ein Glas mit Milch vor ihn, begleitet von einem Schmunzeln und exakt demselben Wortlaut: „Hier, ein Glas Milch für dich, Kleiner. Für alles andere in diesem Laden bist du leider noch zu jung.“

Diesmal trank er die Milch ohne zu zögern oder erst von Nanashi gedrängt werden zu müssen.

Schweigend wartete er darauf, dass die beiden Bogenschützen eintrafen, damit er mit diesen reden konnte. Vielleicht würden sie ihm sagen, was hier los war... oder auch nicht.

Wenn er sich Yagas Reaktionen auf ihn so ansah, würden sie ihn wahrscheinlich nicht einmal erkennen.

Während Zetsu noch an seinem Glas nippte, öffnete sich die Tür, die beiden Bogenschützen traten ein. Schon bald legten sich die Blicke der beiden auf den Jungen. In ihren Augen konnte er sehen, dass sie sich wirklich nicht an ihn erinnerten. Da er das allerdings erwartet hatte, spürte er keine Enttäuschung, sondern nur erneut das Unverständnis über diese Welt.

„Ich habe dich noch nie zuvor hier gesehen“, sagte Subaru. „Woher kommst du?“

Zetsu erklärte knapp und monoton, dass er aus einer anderen Welt kam, worauf Shous Gesicht sich wieder verfinsterte, während Subaru ihn erneut willkommen hieß.

Shou nickte, der finstere Zug war wieder verschwunden. „Du kannst solange unser Gast sein wie du möchtest.“

„Genau dieselben Worte und Gesten wie gestern“, wisperte Nanashi in seinen Gedanken. „Hier ist etwas oberfaul.“

In der Hinsicht konnte er ihr nur zustimmen. Hier stimmte etwas vorne und hinten nicht, das spürte er selbst mit seiner mangelnden Lebenserfahrung.

„Heute Nacht werden wir herausfinden, was es ist“, beschloss das Shinjuu.
 

So standen die beiden mehrere Stunden später wieder auf der Straße, auf der Zetsu von dem Drachen angegriffen worden war. Nanashi war der festen Überzeugung, dass das Geheimnis dieser Welt mit dem Zentrum der Stadt zu tun hatte – und dorthin kam man nur über diese Straße.

Mit seinem Shinken, das er fest in der Hand hielt, folgte Zetsu dem Weg, dabei sah er sich immer aufmerksam nach allen Seiten um. Nichts und niemand war zu sehen. Vielleicht würde diesmal kein Wächter kommen.

Er wollte schon seine Achtsamkeit ein wenig fallenlassen, als er plötzlich wieder dieses Gefühl verspürte. Er musste nicht erst den Kopf heben, um seinen Verdacht zu bestätigen. Das tiefe Grollen und die Flügelschläge verrieten ihm bereits, dass er entdeckt worden war.

Bei dem Anblick des fliegenden Drachen konnte Zetsu für einen Moment nicht anders als sich zu fragen, wie die Flügel diesen Koloss in die Höhe heben und dort halten konnten.

Sofort verwarf er den Gedanken wieder. Dafür war nun keine Zeit.

Erneut standen sie sich beide gegenüber und starrten sich gegenseitig an. Doch diesmal zitterte Zetsus Körper nicht. Er konnte immer noch die Macht spüren, die von dem Wächter ausging, aber diesmal ängstigte sie ihn nicht, sie kam nicht so unerwartet wie zuvor. Stattdessen erwiderte er den Blick des Drachen mit einem eigenen, gefestigten Blick, der aussagte, dass er kein Stück weichen würde.

Diese Sicherheit rührte allerdings hauptsächlich von seinem festen Glauben, dass Subaru und Shou ihn wieder retten kommen würden. Wenn nicht, dann...

Er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken, doch das musste er auch nicht.

Im nächsten Moment steckte schon ein Pfeil im Körper des Drachen. Das Wesen schrie gepeinigt auf.

Zetsu nutzte den Moment und rannte an dem Wesen vorbei, die Straße weiter. Er ignorierte die Rufe in seinem Rücken, konzentrierte sich einfach nur darauf, zu rennen. Schon nach wenigen Schritten spürte er seine Beine nicht mehr, es war als ob er schweben würde und er war sich sicher, dass es etwas mit seinem Shinken zu tun hatte.

Doch der Effekt hielt nicht lange hin. Jemand griff an seinen Arm, abrupt kam Zetsu wieder zum Stillstand.

„Ich habe dir gesagt, dass du stehenbleiben sollst!“, fauchte Shou, der vor ihm auftauchte. „Du kannst dort nicht hin!“

Zetsu sah erst ihn an, dann ging sein Blick zu Subaru, der seinen Arm festhielt.

„Sie haben ebenfalls Shinken!“, kam es von Nanashi. „Darum konnten sie gegen die Wächter kämpfen. Warum ist mir das nicht gleich aufgefallen?“

Er ignorierte ihre Gedanken und sah weiterhin Subaru an. Der Blick des Bogenschützen war völlig leer, als ob er gedanklich gar nicht anwesend wäre.

Zetsu versuchte zu ergründen, was los war, doch plötzlich zog Subaru ihn mit sich. Es war Shou, der das schließlich kommentierte: „Wir bringen dich jetzt wieder zurück, nicht, dass dir noch etwas passiert.“

Sie versuchten also, ihn vom Zentrum fernzuhalten?

Nein, das konnte er nicht mit sich machen lassen!

Mit einem heftigen Ruck riss er sich von Subaru los. Dabei holte er mit seinem Shinken aus und erwischte den Bogenschützen damit. Erschrocken starrte Zetsu ihn an.

Aus der Wunde des Älteren strömte kein Blut und auch kein Mana – stattdessen legte der Riss in der Haut den Blick auf blankes Metall frei. Was immer er war, er war kein Mensch!

Zetsu wollte weglaufen, doch der Schreck war in seine Glieder gefahren, die ihm wieder den Dienst versagten.

Beide kamen wieder näher.

Wenn er nun nicht weglaufen würde, würden sie ihm möglicherweise etwas antun und er wollte nicht wissen, was sie tun würden.

Sie streckten ihre Hände aus, um ihn zu ergreifen.

Ängstlich kniff Zetsu die Augen zu – und hörte plötzlich ein lautes, durchdringendes Geräusch. Vorsichtig öffnete er seine Augen wieder. Shou und Subaru standen vollständig still.

Was ist das?

„Klingt nach einer Sirene. Aber weswegen heult eine mitten in der Nacht?“

Bevor Zetsu nachhaken konnte, was eine Sirene war, fuhren sowohl Subaru als auch Shou plötzlich herum und gingen davon. Die Bewegungen der beiden wirkten unnatürlich, allem Anschein nach waren sie wohl wirklich keine Menschen.

„Was geht hier vor?“, fragte Zetsu leise.

Er befürchtete, dass sie wieder zurückkommen würden, wenn er zu laut spräche.

Nanashi verließ seine Schulter und blieb vor ihm in der Luft schweben. „Ich weiß es jetzt. Die Shinjuu der beiden haben es mir erzählt.“

Damit begann sie, ihm eine Geschichte zu erzählen, die ihm unbegreiflich war. Genau wie seine Welt, war diese vor dem Untergang gestanden. Doch bevor sie hatte zerstört werden können, hatte Shou einen Pakt mit dem Centre geschlossen: Er würde alles tun, was verlangt werden würde, solange dieses Centre die Welt – und vor allem Subaru – retten würde.

Also wurde diese Welt von dem Manazufluss des Zeitbaums abgekappt, so dass Mana weder zufließen, noch verschwinden konnte, was den ungleichmäßigen Managehalt erklärte.

Anschließend hatte das Centre seine Macht genutzt, um die letzten 24 Stunden der Welt vor der Zerstörung wiederherzustellen und diese in einem ewig währenden Kreislauf immer wieder abzuspielen. Zu diesem Zweck waren auch alle Menschen durch Androiden – künstliche Menschen – ersetzt worden.

Nanashi vollführte eine ausschweifende Handbewegung. „Diese ganze Welt ist zu einer riesigen Theaterbühne geworden, auf der immer und immer wieder dasselbe Stück aufgeführt wird.“

„Ein Theaterstück in einem großen Maßstab“, murmelte Zetsu.

Sein Shinjuu nickte bestätigend, Trauer lag in ihrem Blick.

Nie wieder würde in dieser Welt etwas sterben oder geboren werden, die Menschen darin waren verdammt, auf ewig immer dasselbe zu tun, ohne sich dessen bewusst zu sein. Für Zetsu war diese Welt schlimmer als eine vollkommen tote, er verspürte nur noch einen Wunsch: „Können wir hier weg? Bitte... ich will hier nicht bleiben.“

Nanashi nickte. „Selbstverständlich, Meister.“

Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Nur wenige Sekunden später erschien plötzlich ein Portal vor ihr. Die schillernden Farben in seinem Inneren luden geradezu zum Eintreten ein.

„Das ist also ein Spirit Corridor?“

Sie nickte noch einmal. „Lasst uns gehen, Meister. Die nächste Welt wird Euch besser gefallen.“

Neugierig ging er näher. Bevor er hindurchtrat, drehte er sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die Welt, die ihren eigenen Tod verleugnete. Nein, das hier würde er mit Sicherheit nicht vermissen.

Er sah wieder nach vorne und trat durch das Portal, das sich hinter ihm schloss und wieder verschwand als wäre es nie dagewesen. Und tatsächlich sollte es für die Bewohner der Welt so sein als wäre der junge Zetsu Akatsuki niemals bei ihnen gewesen.

Der Bote des Unglücks

Er hatte nicht einmal geahnt, wie sanft Sonnenlicht durch ein Blätterdach scheinen konnte, wie friedlich es war, auch wenn es nie wirklich still war. Vögel sangen in den Baumkronen, Insekten zierpten im Unterholz und verschiedene andere Tiere, die er zum allerersten Mal sah, verursachten ein leises Rascheln, wenn sie sich durch den Wald bewegten.

In jeder Faser seines Körpers spürte Zetsu die Anwesenheit von höheren Lebewesen.

Diese Welt war vollkommen anders als seine oder die vorige. In dieser Welt konnte er spüren, wie das pulsierende Leben ihn umgab.

Er wünschte, seine Mutter hätte die saftigen grünen Blätter und die mächtigen Stämme sehen, das weiche Moos fühlen können. Bestimmt wäre sie genauso begeistert gewesen wie er im Moment.

Verzückt wanderte er durch den Wald, blieb immer wieder stehen und berührte fasziniert ein Blatt oder einen Ast, um Textur und Faser in sich aufzunehmen.

Wenn Nanashi ihm nicht davon abgeraten hätte, hätte er am liebsten alles auch einmal gekostet. Sein Shinjuu war allerdings deutlich gegen diese Handlung.

So blieb ihm nichts anderes übrig als in Bewunderung zu schwelgen, während er durch den Wald schritt und die sanften Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht genoss.

Obwohl er die Energie des Lebens spüren konnte, entdeckte er nirgends Menschen. Ob es für das Leben möglicherweise unerlässlich war, dass keine Menschen existierten?

Wenn er an die Welt zuvor zurückdachte, fiel ihm auf, dass all diese Dinge einmal von menschlicher Hand hatten erbaut werden müssen. War die Natur dafür getötet worden oder war sie bereits davor zurückgegangen?

Er wusste es nicht und Nanashi schwieg auf diese Fragen. Entweder wusste sie es auch nicht oder sie wollte ihm nicht darauf antworten. Auch als er weiter nachbohrte, erwiderte sie nur, dass er sich selbst Gedanken darüber machen sollte. Das half ihm nicht sonderlich weiter, sondern ließ ihn nur sich weiter im Kreis drehen.

So speicherte er die Fragen erst einmal in seinem Hinterkopf ab, um sich weiter auf seine Umgebung zu konzentrieren.

Mit einemmal bedeutete Nanashi ihm stehenzubleiben. Er folgte ihrem Befehl und auch ihrem Blick, der konzentriert auf das Dickicht vor ihr gerichtet war. Schon bald bemerkte er, dass es möglich war, durch Lücken im Geäst hindurch auf eine Lichtung zu sehen.

Mehrere Personen standen dort. Es waren alles Frauen, deren Kleidung darauf schließen ließ, dass sie zu irgendeiner Einheit gehörten. Ihre Haut war bleich, sie wirkten krank und ihre Bewegungen erinnerten ihn an Subaru und Shou.

Ob das Bewohner dieser Welt waren?

Nein, das konnte nicht sein. Sie waren umgeben von Tod, sie passten nicht in diese Welt, sie mussten ebenfalls fremde Wesen sein.

Zetsus Blick ging weiter. Erschrocken sog er die Luft ein. Auf der Lichtung lagen leblose Körper verstreut, bei diesem Anblick zog sich Zetsus Innerstes zusammen. Waren diese Frauen dafür verantwortlich? Wenn ja, warum? Was war geschehen?

Inmitten der auf dem Boden liegenden regte sich plötzlich etwas. Sowohl die Frauen als auch Zetsu sahen gebannt auf die kleine Gestalt, die versuchte, sich aufzurichten.

Wortlos gingen die Frauen in Kampfbereitschaft.

Zetsu wollte dazwischengehen, doch erneut hielt Nanashi ihn auf. „Wartet, Meister! Seht!“

Wie aus dem Nichts sprang plötzlich ein Mädchen auf die Lichtung. Ihre Aura war vollkommen anders als die der Frauen, aber immer noch nicht menschlich.

Das Mädchen zögerte nicht lange und griff die Frauen an. Ihre Tritte wurden von einem blauen Schweif begleitet, Nanashi erklärte, dass es wohl ein Shinken sei.

Also gibt es viele verschiedene Arten davon?, fragte er in Gedanken.

Nanashi nickte, antwortete aber ebenfalls nur telepathisch: „Ein Shinken kann jede erdenkliche Form annehmen, es muss nicht immer auf den ersten Blick eine Waffe sein.“

Er speicherte die Information im Hinterkopf und beobachtete den Kampf weiter.

Das Mädchen war äußerst geschickt. Jeder einzelne Tritt saß perfekt, die getroffenen Frauen lösten sich bei Kontakt augenblicklich in Mana auf. Dabei wirbelte das lange schwarze Haar des Mädchens umher als würde es gleich von seiner Haarpracht verschlungen werden. Es wirkte wie eine einstudierte Choreografie, die nur dafür dienen sollte, Zuschauer zu beeindrucken.

Zetsu konnte nicht anders als das Können, gepaart mit Eleganz, zu bestaunen. Dagegen fühlte er sich noch minderwertiger und kleiner als ohnehin schon.

Kaum waren alle der Frauen verschwunden, hielt das Mädchen wieder inne. Wortlos fuhr sie herum, sie kniete sich neben die Gestalt, die als einzige von den Menschen noch zu leben schien.

Vorsichtig hob sie das Kind auf ihre Arme und lief mit diesem davon.

„Du musst ihr folgen“, flüsterte Nanashi eindringlich. „Sie kann uns zu anderen Menschen führen.“

Mit einem Nicken verließ er sein Versteck. Er folgte dem Mädchen so schnell wie es ihm möglich war, stellte jedoch fest, dass es gar nicht so einfach war. Sie kannte sich offensichtlich um einiges besser aus als er, so dass sie über Hindernisse hinwegspringen konnte, die er erst sah, wenn er bereits darüber stolperte oder dagegenstieß. Immer wieder peitschten ihm Zweige schmerzhaft ins Gesicht. In Gedanken überlegte er, dass Natur doch nicht so freundlich, wie von seiner Mutter immer angepriesen, war – zumindest nicht zu ihm.

Der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer – bis er das Mädchen schließlich aus den Augen verlor. Seufzend blieb er stehen, um sich umzusehen, doch auch sein suchender Blick zeigte ihm nicht, wohin sie verschwunden war. Als ob sie vom Erdboden verschluckt worden wäre.

Nanashi zog ihre Stirn kraus. „Sie war ganz schön schnell... obwohl sie jemanden tragen musste.“

Sie war also nicht nur eine gute Kämpferin, sondern verfügte auch über einiges an Energie. Wie lange sie wohl dafür trainiert hatte?

Zetsu wünschte sich, zumindest ähnlich gut zu sein wie sie. Vielleicht würde er das tatsächlich schaffen, wenn er ausgiebig trainieren würde. Aber trainierte man überhaupt mit einem Shinken?

Bislang hatte sein Shinken alles für ihn getan, sogar für ihn gekämpft.

Er spielte mit dem Gedanken, Nanashi zu fragen, ließ es dann aber sein. Stattdessen erinnerte er sich an ihre Worte, kurz vor dem Verlassen seiner Welt: „Davor solltet Ihr ein wenig stärker werden.“

Also gab es die Möglichkeit im Umgang mit dieser Waffe besser zu werden. Zetsu musste nur noch lernen, wie genau das funktionierte.

Allerdings fiel ihm eine andere Frage für sein Shinjuu ein: „Nanashi, wegen diesen Frauen von eben...“

Aufmerksam sah sie ihn an, darauf wartend, dass er weitersprach.

„Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht wirklich in diese Welt gehören. Wer waren sie?“

„Eine sehr gute Frage“, bemerkte sie anerkennend. „Das waren sogenannte Lakaien. Sie werden aus purem Mana geschaffen und dienen nur dem Zweck, ein Shinken zu führen und Befehle zu befolgen.“

Solche Wesen konnten also geschaffen werden... aber von wem?

„Sind sie für den Tod dieser ganzen Leute verantwortlich?“, fragte Zetsu leise.

Nanashi nickte. „Es sieht ganz danach aus.“

Betroffen senkte er den Blick. Wer schuf diese Wesen und ließ sie dann morden? Es war ihm unbegreiflich, aber er hatte aus erster Hand gesehen, was aus Menschen werden konnte. Möglicherweise waren auch die Herren dieser Lakaien nur verzweifelte Menschen, die versuchten, sich selbst oder andere zu retten, auch wenn sie dafür derart ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen.

Als Nanashi ihn anstieß, schreckte er aus seinen Gedanken. „Meister, Ihr solltet weiter wachsam bleiben. Man weiß nie, was einen in so einer Welt erwartet. Außerdem sollten wir endlich andere Menschen finden, immerhin müsst Ihr auch mal wieder etwas essen.“

Wie um diese Worte zu bestätigen, knurrte sein Magen lautstark. Statt etwas zu sagen, ging er einfach weiter.

Da es egal war, in welche Richtung er ging, da er längst die Orientierung verloren hatte, folgte er einfach dem Weg, von dem er glaube, dass das Mädchen ihn auch gegangen war. Obwohl er nicht wusste, wohin dieser Weg ihn führen würde. Immerhin war keineswegs klar, ob das Mädchen wirklich in eine menschliche Siedlung oder vielleicht irgendwo anders hin unterwegs war.

Allerdings war ihm das auch ziemlich egal. Ihm stand der Sinn weniger nach anderen Menschen oder etwas zu essen, eigentlich wollte er nur dieses Mädchen wiedersehen und vielleicht sogar mit ihr reden. Schaden würde es bestimmt nicht, besonders nicht, wenn sie ihm verraten könnte, wie sie im Umgang mit ihrem Shinken so gut werden konnte.

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, in der er im Wald umherirrte. Auch wenn er keine Siedlung fand, so entdeckte er zumindest tatsächlich Zeichen für menschliches Leben: Auf einer Lichtung stieß er auf hastig zurückgelassene Äxte und mehrere Baumstümpfe. Ein metallenes Blatt steckte sogar noch in einem Stamm. Die Szenerie wirkte als ob jemand noch dort arbeiten würde und nur in die Mittagspause gegangen war – nur waren die Arbeiter noch nicht zurückgekommen.

Warum waren die Äxte zurückgelassen worden?

Was hatte den Arbeitern dermaßen viel Furcht eingeflößt?

Zetsu ging näher. Sein Versuch, eine der Äxte aufzuheben, endete damit, dass er es keuchend wieder sein ließ. Das Gerät war viel zu schwer für ihn.

Nanashi kicherte leise. „Nur keine Sorge. Solange Ihr Euer Shinken halten könnt, geht das schon.“

„Warum ist das eigentlich so leicht?“, fragte er. „Es ist doch ein ziemlich großes Schwert.“

„Das Shinken gibt Euch die Energie, die Ihr dafür braucht. Für alle anderen ist es so schwer wie jede normale Waffe, aber für Euch ist es leicht wie eine Feder.“

Er nickte verstehend, auch wenn er es nicht wirklich verstand, aber das würde möglicherweise noch mit der Zeit kommen – zumindest hoffte er das.

Zetsu durchquerte die Lichtung, aber bevor er wieder ins Unterholz treten konnte, spürte er plötzlich wie sich ihm etwas Machtvolles näherte. Abrupt hielt er wieder inne.

Mit einemmal landete das Mädchen von vorhin direkt vor ihm. Sie ging leicht in die Knie und streckte ihm die Handflächen entgegen, um zu zeigen, dass sie kampfbereit war.

In einem ersten Impuls wollte Zetsu sie freundlich begrüßen, doch ihr Blick und das Glitzern in ihren braunen Augen sagten ihm, dass es wohl keine gute Idee war.

„Was willst du!?“, fragte Nanashi.

„Ich werde den Boten des Unglücks aufhalten!“, entgegnete das Mädchen entschlossen.

Zetsu hörte das erste Mal davon. Wer sollte dieser Bote sein?

Nanashi fragte sich das ebenfalls, weswegen sie die Frage laut stellte. Das Mädchen reagierte sichtbar genervt. „Ich rede von Rutsuruji!“

Wild gestikulierend deutete sie auf Zetsu. Kein bisschen ihrer vorhin gezeigten Eleganz war dabei noch zu sehen.

Fragend legte der Silberhaarige den Kopf schräg. „Ich soll ein Bote des Unglücks sein?“

„Tu doch nicht so!“, fuhr sie ihn wütend an. „Ruputna weiß genau, dass Rutsuruji nur das erste Anzeichen des Untergangs ist! Nicht lange danach wird auch Jiruol, der Bringer des Untergangs hier auftauchen!“

Zetsu und Nanashi warfen sich einen Blick zu. Er war sich sicher, dass sie mehr wusste als er, aber sie schwieg nach wie vor. Ob auch die Erinnerung, was diese Namen bedeuteten, irgendwann wieder zurückkehren würde?

Die Blicke der beiden richteten sich wieder auf das Mädchen.

„Ruputna?“, hakte das Shinjuu nach. „Ist das dein Name?“

Ertappt zuckte sie zusammen, begab sich aber sofort wieder in Angriffsposition. „Ich werde das jetzt beenden! Bote des Unglücks, nimm dich in Acht!“

Sie ließ ihm keinerlei Zeit, sich selbst zu erklären, stattdessen griff sie ihn direkt an. Geistesgegenwärtig zog er sein Shinken, aber wie sollte er den Angriff abwehren?

Allerdings musste er sich darum keine Gedanken machen. Kaum hielt er das Schwert in der Hand, prallte Ruputna an einem hellen Schild ab.

„Ganz recht, ein Shinken kann mittels Mana auch schützen“, bestätigte Nanashi.

Doch das Mädchen ließ sich davon nicht beeindrucken. Stattdessen weckte das in ihr Ehrgeiz.

Immer wieder griff sie ihn an, mit immer schnelleren Trittfolgen. Automatisch zog er sein Shinken hoch als ob er die Attacken abwehren würde.

Je öfter sie erfolglos angriff desto mehr Kraft legte sie in die einzelnen Tritte. Ihr Shinken leuchtete dabei hell und ließ Zetsus Schutzschild im Gegensatz dazu wie einen billigen Glitzerzauber wirken.

Er konnte spüren wie seine Kraft immer mehr nachließ, sein Schild immer schwächer wurde – bis es schließlich mit einem lauten Klirren zersprang.

„Meister! Ihr solltet wegrennen!“, rief Nanashi. „Sie ist zu stark für Euch!“

Zetsu wollte es in die Tat umsetzen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Diesmal war es allerdings nicht dasselbe Gefühl wie sonst, wenn er vor Angst gelähmt war. Seine Glieder fühlten sich nicht bleischwer an, sondern eher steif und taub als ob sie eingeschlafen wären.

Noch einmal gab er den Befehl zur Flucht, doch wieder reagierte sein Körper nicht. Stattdessen fing dieser an, sich von selbst zu bewegen.

Ruputna griff erneut an, doch ein gezielter Schwerthieb von ihm, löste ihr Schutzschild auf. Die Wucht desselben schleuderte sie nach hinten. Mit einem schmerzerfüllten Keuchen prallte sie gegen einen Baum.

Obwohl Zetsu nicht wollte, setzte sein Körper ihr automatisch nach. Er hob das Shinken, um zuzustechen. Doch Ruputna handelte schneller. Mit einem Tritt in den Magen beförderte sie ihn diesmal zurück.

Zetsu keuchte überrascht. Schmerz verspürte er keinen, sein Körper war völlig von diesem tauben Gefühl eingenommen. Sofort richtete er sich wieder auf und setzte zu einem neuen Angriff an.

Zwei Drehungen seiner Feindin genügten, um ihm blaue Energiewellen entgegenzusenden, die ihn noch einmal zurückwarfen.

Als er auf dem Boden aufschlug blieb ihm für einen Moment komplett die Luft weg. Panisch öffnete er seinen Mund, um Sauerstoff einzusaugen und wieder zu Atem zu kommen.

Doch Ruputna ließ ihm nicht sonderlich viel Zeit dafür. Sie stürmte bereits wieder auf ihn zu, ihr schuhförmiges Shinken sprühten dabei Funken.

Hilflos sah Zetsu ihr entgegen. Sein Schwert, das wieder zu glühen begann, lenkte seinen Blick auf sich, so dass er sich von Ruputna abwandte. Im nächsten Moment hörte er einen lauten Schrei von ihr.

Erschrocken sah er wieder zu ihr – und hielt gebannt den Atem an.

Eine schwarze, knorrige Hand war aus dem Boden gebrochen und hielt das Mädchen nun fest umklammert in der Luft. Ruputna wehrte sich mit aller Macht, doch das schien die Hand nicht im Geringsten zu beeindrucken. Stattdessen begann sie damit, das Mädchen umherzuschleudern.

Machtlos konnte Zetsu dem Ganzen nur zusehen. Allein bei dem Gedanken, an Ruputnas Stelle zu sein, wurde ihm regelrecht übel.

Schließlich schien die Hand genug zu haben. Ein letztes Mal holte sie aus und warf das Mädchen gegen einen Baum, wo es regungslos liegenblieb. Die Hand verschwand wieder.

Während Nanashi zu Ruputna hinüberschwebte, richtete Zetsu sich wieder auf. Das Gefühl war in seinen Körper zurückgekehrt und damit auch der Schmerz, der sich bereits dumpf ankündigte und damit begann, sich auszubreiten.

Nanashi kam wieder zu ihm zurück. „Sie ist nur ohnmächtig. Aber ich denke, es wäre besser, wir würden von hier verschwinden. Sie wird wohl kaum lockerlassen, bis sie Euch getötet hat.“

„Wird sie uns nicht folgen, oder so?“, fragte Zetsu.

Sie hielt einen Moment inne und blickte noch einmal zu dem Mädchen. „Nun, wenn wir Glück haben, hat sie sich den Kopf angeschlagen und Euch wieder vergessen, wenn sie aufwacht.“

Zetsu atmete kaum merklich aus. Noch einmal wollte er nicht gegen dieses Mädchen antreten - zumindest nicht so unerfahren wie er jetzt war. Aber da war noch etwas, was ihn beschäftigte...

„Ich verstehe das nicht“, bemerkte er. „Wer sind Rutsuruji und Jiruol?“

Das Shinjuu seufzte schwer. „Ihr wart einmal Rutsuruji. Jiruol dagegen... nun, es wäre besser, Ihr würdet es selbst herausfinden. Also lasst uns gehen.“

Demonstrativ öffnete sie einen Spirit Corridor, damit er keine weiteren Fragen stellte.

Wenn sein Shinjuu ihm diese Antworten verwehrte, konnte das nichts Gutes bedeuten. Tief in seinem Inneren wünschte er sich, dass er die Antworten niemals erfahren würde.

Sie setzte sich wieder auf seine Schulter. „Gehen wir, Meister.“

Nickend begab er sich durch das Portal, das sich hinter ihm wieder makellos schloss und verschwand.

Der weiße Fuchs und sein Meister

Nachdenklich saß Zetsu auf der Kaimauer und knabberte gedankenverloren an einem Brötchen, das er geschenkt bekommen hatte. Dabei starrte er auf das Meer und auf das verloren wirkende Segelschiff am Horizont, das immer kleiner wurde.

Diese Welt erinnerte ihn von der Mentalität der Menschen und deren Kleidung sehr an seine Welt – nur gab es hier sehr viele Leute, eine große Städte und eben auch das Meer. Der Ozean war das erste gewesen, was er in dieser Welt erblickt hatte und an dem er sich immer noch nicht satt sehen konnte. So war die erste Erkundung der Stadt und ihrer Leute sehr kurz ausgefallen, stattdessen war er wieder an den Hafen zurückgekehrt, um weiter zu staunen.

Seine Gedanken kreisten allerdings immer noch um das Mädchen aus der Welt zuvor. Er fragte sich, ob es ihr gut ging oder ob sie stark verletzt worden war. Sein Shinken hatte von alleine gehandelt und ihm keinerlei Fragen darüber gestellt, ob er das überhaupt wollte.

Dabei war sein eigentliches Ziel doch die Götter, die für den Untergang seiner Welt verantwortlich waren und nicht irgendwelche anderen Shinken-Träger. Auch wenn er sich immer noch wunderte, warum sie den Namen des Gottes, der er mal gewesen war, gekannt hatte und weswegen sie ihn den Boten des Unglücks genannt hatte.

Und wer war nur Jiruol?

Wenn er Nanashi auf das Thema ansprach, blockte sie immerzu ab. Er wusste, dass sie um einiges mehr wusste als er und doch sagte sie ihm nichts. Fürchtete sie, dass die Wahrheit so schlimm für ihn war oder gab es einen anderen Grund, weswegen sie darauf bestand, dass er es selbst herausfinden musste?

Eine Möwe näherte sich ihm, während er noch an seinem Brötchen kaute. Interessiert blickte er den weißen Vogel an, dieser musterte ihn wiederum ebenfalls als ob er das erste Mal einen seiner Art sehen würde. Schließlich reichte Zetsu der Möwe das letzte Stück, das sie gierig schnappte und dann in sichere Entfernung watschelte, um die Beute gefahrlos verschlingen zu können.

Der Junge lächelte.

Nanashi, die wie üblich auf seiner Schulter saß, seufzte leise. „Meister, wir sollten uns langsam überlegen, wie es nun weitergeht. Oder habt Ihr Eure Rache schon vergessen?“

Wie sollte er so etwas Wichtiges vergessen? Nur deswegen hatte er seine Welt überhaupt verlassen.

„Nein, natürlich nicht. Was schlägst du vor?“

Nachdenklich runzelte sie ihre Stirn. Nach einigen Minuten des Schweigens stand Zetsu auf. „Sehen wir uns einfach noch eine Weile in der Stadt um. Vielleicht kommt uns dann eine Idee.!

Erleichtert über diesen Vorschlag nickte sie.

Der Hafen war eine äußerst belebte Gegend. Matrosen liefen geschäftig umher, brachten Kisten von hier nach dort und wieder zurück, riefen sich gegenseitig Befehle zu oder lachten über gelungene Scherze. Es war alles viel lauter als Zetsu es gewohnt war und genau deswegen liebte er es.

Er trat auf die Hauptstraße, die vom Hafen zum Stadtausgang führte, doch der Lärm brach nicht ab, sondern schien im Gegenteil nur noch lauter zu werden. Marktstände säumten die Straße, Händler priesen lautstark ihre Ware an, feilschten mit ihren Kunden, kleinere Gruppen von Menschen standen in unregelmäßigen Abständen beisammen und tratschten über die neuesten Ereignisse, die vorgefallen waren.

Es war alles so lebendig, dass Zetsu sich wünschte, ein Teil davon sein zu können. Doch es ging einfach nicht weiter. Über kurz oder lang müsste er diese Welt wieder verlassen und weiterziehen und er wusste nicht, ob er jemals wieder hierher zurückkehren oder gar überleben würde.

Mehrere Gruppen, an denen er vorbeikam, unterhielten sich über einen „süßen Fuchs“, der öfter zwischen den Ständen zu sehen war.

Nanashi lauschte interessiert, während Zetsu einfach an ihnen vorbeilief ohne die Leute zu beachten.

Am Ende der Hauptstraße angekommen, bog er nach rechts ab. Ihm stand nicht der Sinn danach, die Stadt zu verlassen, also ging er in eine der Seitenstraßen, um sich dort umzusehen. Dabei strich er über die Wände der Häuser. Genau wie in seiner Welt waren sie völlig aus Stein, möglicherweise hatte seine Heimat auch einmal so ausgesehen und war so belebt gewesen. Der Gedanke tröstete ihn ein wenig, stimmte ihn auf der anderen Seite aber auch traurig.

Auch diese Welt würde irgendwann vor dem Ende stehen und nur noch aus Sand bestehen, so wie seine Heimat. Würde es dann auch jemanden geben, der ausziehen würde, um den Untergang zu rächen? Oder würden diese Bewohner es widerstandslos über sich ergehen lassen?

Noch während er darüber nachdachte, lenkte etwas seine Aufmerksamkeit auf sich. Etwas Weißes verschwand in einer Seitengasse. Nicht lange danach folgten ihm mehrere Personen hinein.

Zetsu erkannte in diesen Personen die Lakaien. Aber was taten sie hier?

Neugierig ging er näher, um einen Blick in die Gasse zu werfen.

Gegenüber den Lakaien stand ein Tier, das Nanashi als Fuchs bezeichnete. Das Fell war schneeweiß, es besaß vier buschige Schweife, die bedrohlich in die Luft gestreckt waren, die blauen Augen glühten regelrecht.

Gebannt starrte Zetsu das Tier an. Noch nie hatte er so etwas Reines und Wunderschönes gesehen, zumindest konnte er sich nicht daran erinnern.

Die Lakaien näherten sich dem Fuchs, der ein warnendes Knurren ausstieß. Die Frauen ließen sich nicht davon beeindrucken und kamen näher. Das Tier schloss darauf die Augen, eine sanfte Melodie erklang, visuell begleitet von Musiknoten, die Zetsu staunend betrachtete. Die bunten Noten tanzten um den Fuchs herum, hüllten ihn komplett in einen glitzernden Schleier von goldenem Mana ein.

Gerade als die Lakaien sich wieder auf ihn stürzen wollten, riss der Fuchs seine Augen auf. Funken sprühten von seinem Schweif, im nächsten Moment wurden die Lakaien von einer unsichtbaren Macht zurückgeschleudert, noch in der Luft lösten sie sich in Mana auf.

Von dem Geschehen beeindruckt, starrte Zetsu solange auf die Funken, bis diese sich vollständig aufgelöst hatten. Es war auf jeden Fall kein normaler Fuchs, nein, er schätzte, dass es ein Shinjuu war, was Nanashi ihm auch bestätigte.

Der Fuchs lief auf Zetsu zu und blieb vor ihm stehen. Das Tier hob den Blick, betrachtete seinen Gegenüber eindringlich. Der Junge erwiderte den Blick völlig gelassen. In den Augen des Fuchses glaubte er, unendliche Weisheit zu sehen, Wissen, von dem niemand sonst auch nur ahnte. Ganz anders als der Blick in die Augen von Nanashi.

Schließlich wandte sich das Tier von ihm ab und lief davon. Ein wenig enttäuscht sah Zetsu ihm hinterher, nur um zu sehen, wie der Fuchs wieder stehenblieb und ihn auffordernd ansah.

Sollen wir ihm folgen?, fragte Zetsu.

Nanashi legte den Kopf schräg. „Ich bin mir nicht sicher. Wer weiß schon, wo er uns hinführen wird? Andererseits können wir vielleicht etwas lernen. Also folgen wir ihm lieber.“

Aufgeregt tat der Junge, was Nanashi vorschlug und folgte dem Fuchs.

Mit seinen vier Beinen war das Tier um einiges schneller als er, aber jedesmal, wenn er kurz davor war, es aus den Augen zu verlieren, blieb es stehen und wartete wieder auf ihn. Der Fuchs führte ihn aus der Stadt hinaus in den Wald, der Zetsu schon um einiges weniger mystisch erschien als der auf der Welt zuvor.

Zwischen den Bäumen tauchte eine kleine Hütte auf. In den Bäumen um die Hütte herum waren kleine Metallstückchen an Fäden aufgereiht. Bei der kleinsten Berührung begannen diese Stückchen zu klingen. Wofür diese Vorrichtung wohl diente?

Zetsu konnte es sich nicht vorstellen, besonders weil allein schon der Wind das Klingeln auslöste.

Vor der Hütte stand eine hölzerne Bank, die nur grob bearbeitet worden war, um als Sitzmöbel dienen zu können. Auf der Bank saß ein jung aussehender Mann mit kurzem, hellblauen Haar. Als er den Kopf hob, bemerkte Zetsu auch den müden Blick des Mannes.

Der Junge blieb stehen, als die Stücke erneut klimperten. Der Mann sah wieder in eine andere Richtung, Zetsu folgte dem Blick. Mehrere Lakaien traten aus dem Wald, sie traten auf den Unbekannten zu.

Der Junge trat ängstlich zurück. Was wollten die Wesen nun auch noch hier?

Mit Bewegungen, die wirkten als wäre der Mann gerade eben erst aufgewacht, erhob er sich. Gelangweilt blickte er die Lakaien an. Ohne etwas zu sagen, zog er aus dem Nichts ein Schwert, das Zetsu sehr an sein Shinken erinnerte.

Die Augen des Jungen konnten den Bewegungen des Mannes gar nicht folgen. Schon nach wenigen Sekunden gehörten die aufgetauchten Lakaien der Vergangenheit an, das Schwert verschwand wieder. Die Bewegungen waren so routiniert gewesen, dass Zetsu den Eindruck bekam, dass dieser Mann das öfter machte.

Der Fuchs trottete zu dem Mann hinüber, der inzwischen zu Zetsu blickte.

„Wer bist du?“, fragte der Mann.

Der Junge schluckte schwer. „I-ich bin Zetsu Akatsuki.“

Der Blick des Fremden ging zu dem Shinken an der Hüfte des Jungen. „Du bist... ein Träger. Aber du gehörst nicht zu ihnen, oder?“

„Zu wem?“

Das schien dem Mann Antwort genug zu sein, denn er fragte nicht weiter. „Ich möchte, dass du gehst. Du hast hier nichts verloren.“

Doch Zetsu ging nicht. Stattdessen sah er immer noch den Mann an. „Wie heißt du denn?“

Er zögerte für einen Moment, doch dann antwortete er doch: „Mein Name ist Jinmu.“

„Du hast ein Shinken“, fuhr Zetsu fort. „Und du kannst so toll damit umgehen...“

Bewunderung schwang in seiner Stimme, doch Jinmu ließ das kalt. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Möglich. Du solltest gehen, hier ist kein Platz für dich.“

Er machte Anstalten, in seine Hütte zurück zu kehren, doch der Fuchs stellte sich ihm in den Weg. Beide lieferten sich ein Blickduell, das Zetsu angespannt verfolgte.

Reden sie über ihre Gedanken?

„Ja, ich denke schon. Ich frage mich, was dieser Fuchs ihm sagt.“

Schließlich seufzte Jinmu. „Ich verstehe. Dennoch, Kitsuya... ich kann nicht, nein.“

Der Mann sah Zetsu wieder an. „Geh endlich, Junge. Ich werde dir nicht helfen.“

Damit trat der Fuchs beiseite und ließ Jinmu die Hütte betreten.

Enttäuscht sah Zetsu ihm hinterher. Dieser Mann verkörperte genau das, was er erreichen wollte. Er wollte nicht nur so spielerisch leicht mit seinem Shinken umgehen können, er wollte die Kraft haben, sogar einen Gott zu schlagen. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass Jinmu ihm genau zu dieser Kraft verhelfen könnte, woher auch immer diese Gewissheit kam.

Aber wie sollte er den Mann dazu überreden, ihm zu helfen?

Er wollte offensichtlich doch nicht einmal mit ihm sprechen.

Mit einem Seufzen ließ sich Zetsu auf die Bank vor der Hütte fallen. Nachdenklich starrte er in die Umgebung und dachte dabei über diesen Mann nach.

Warum waren die Lakaien hinter ihm her, so sehr, dass sie sogar sein Shinjuu verfolgten?

Der Fuchs setzte sich neben die Bank und hob den Kopf, um Zetsu anzusehen. Der Junge erwiderte den Blick. Es schien ihm als würde das Tier mit ihm reden und ihm sagen, dass er nicht einfach aufgeben sollte.

„Er hat recht, Meister. Ihr könnt nicht aufgeben, Ihr müsst Jinmu überreden, Euch zu helfen, egal wie.“

Zetsu nickte zustimmend. Außerdem sah ihm Aufgeben gar nicht ähnlich. Nur wie das mit dem Überreden funktionieren sollte, wusste er noch nicht. Doch der Fuchs Kitsuya wusste auch darauf eine Antwort. Er gab ihm zu verstehen, dass er einfach hier warten sollte. Es würde nicht lange dauern, bis Jinmu nachgeben und ihm seinen Wunsch erfüllen würde.

Der Junge nickte noch einmal, worauf der Fuchs zufrieden ebenfalls in die Hütte hineinging.

Nanashi, die immer noch auf seiner Schulter saß, seufzte leise. „Dann warten wir jetzt.“

Die Stunden vergingen, langsam wurde es Abend, ohne dass etwas geschah.

Zetsu und Nanashi starrten schweigend in den Wald, während sie darauf warteten, dass Jinmu endlich nachgab.

Je mehr Zeit verging desto hoffnungsloser wurde Zetsu. Was, wenn Kitsuya sich irrte?

Dieser Mann wäre der perfekte Lehrmeister, schon allein weil sie dieselbe Art von Shinken führten, außerdem wollte Zetsu noch so viel mehr von diesem Mann wissen.

Warum lebte er in diesem Wald?

Warum wurden er und sein Shinjuu von Lakaien verfolgt?

Und warum sah er so traurig aus?

Die Dämmerung setzte ein, aber von Jinmu war immer noch nichts zu sehen, aus der Hütte drangen auch keine Geräusche, die darauf schließen ließen, dass er vorhatte, wieder herauszukommen.

Zetsu seufzte leise. Nanashi tätschelte ihm den Kopf. „Nur Mut, Meister, das wird schon. Er wird uns bestimmt nicht über Nacht hier sitzen lassen.“

Ihre aufmunternden Worte verliehen ihm wieder neue Zuversicht.

Eine weitere Stunde verging und es war bereits dunkel geworden, als Schritte im Inneren der Hütte erklangen. Im nächsten Moment stand Jinmu bereits in der offenen Tür, helles Licht fiel auf den Waldboden.

Zetsu sah ihn gespannt an. Der Mann setzte sich schweigend neben ihn. Beide starrten stumm vor sich hin, bis Jinmu schließlich das Schweigen brach: „Es ist dir also ernst?“

Der Junge stutzte. Wusste der Mann etwa von seinen Plänen?

„Für was kämpfst du?“, fragte Jinmu weiter.

„Rache“, antwortete er prompt. „Ich will die Götter töten, die für den Untergang meiner Welt verantwortlich sind. Nein, ich muss sie töten.“

Jinmu sah ihn prüfend an, der Blick immer noch müde und traurig. „Rache ist keine gute Motivation zu kämpfen. Du solltest dich von diesem Weg abwenden, solange es geht.“

Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, schüttelte Zetsu heftig seinen Kopf. „Nein, niemals! Ich muss das tun!“

Er war selbst überrascht über die Leidenschaft, die plötzlich in seiner Stimme mitschwang. Auch Jinmus Blick änderte sich – allerdings zum Negativen, denn er erhärtete sich. „Dann kann ich dir nicht helfen, es tut mir Leid.“

Er stand wieder auf, um hineinzugehen. In einem Anfall von Verzweiflung sprang Zetsu auf, er stellte sich vor Jinmu. „Bitte! Du musst mir helfen! Ich muss Isbel und die verwaltenden Götter töten! Es ist meine Pflicht!“

Bei der Erwähnung von Isbel zuckte Jinmu zusammen. Sein Blick wandelte sich zu Überraschung. „Hast du Isbel gesagt?“

Der Junge nickte. Der Name schien etwas in dem Mann auszulösen, Zetsu hoffte nun, dass die richtige Reaktion darauf folgen würde.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, seufzte Jinmu schwer. „In Ordnung, ich werde dir helfen. Aber es wird nicht leicht werden. Bist du sicher, dass du das über dich ergehen lassen willst?“

Zetsu nickte ohne nachzudenken. Was immer es kosten würde, Rache zu nehmen, er würde den Preis bezahlen – denn dies war sein letzter Liebesbeweis für alle, die er je gekannt hätte.

„Gut“, sagte Jinmu. „Wir werden morgen anfangen und zwar direkt bei Tagesanbruch.“

Übung macht den Meister

Jinmu hielt sein Wort. Jeden Tag, sobald das erste Anzeichen der Morgendämmerung zu sehen war, wurde Zetsu geweckt, um mit den Training anzufangen.

Wenngleich der Junge nicht verstand, was all die Dinge, die ihm aufgegeben wurden, mit dem Schwertkampf zu tun hatten.

Das Training begann morgens mit Holzhacken, ging weiter über den Transport schwerer Felsen, dem Versorgen des Haushalts und endete mit stundenlangem Stehen unter einem Wasserfall.

Letzteres, so Nanashi, sollte der Konzentration dienen, auch wenn Zetsu das nicht wirklich verstand, ihm war hauptsächlich kalt, sobald er eine Weile darunter stand und im Anschluss musste er vollkommen durchnässt ins Bett gehen.

Die Tage vergingen, ohne dass Zetsu das Gefühl hatte, irgendwie voranzukommen. Er verlor lediglich jegliches Gefühl in seinen Armen und Beinen, weswegen das Training jeden Tag schwerer für ihn wurde. Gleichzeitig spürte er immer öfter einen dumpfen Schmerz in seinem Kopf.

Er war in seinem ganzen Leben noch nie wirklich krank gewesen, aber er hatte kranke Menschen gesehen. Dennoch hoffte er, dass er nicht krank werden würde.

Zetsu wagte nicht, sich zu beschweren. Zu groß war die Angst, dass Jinmu ihn wegschicken und er wieder ohne jegliche Hilfe dastehen würde. So gab es wenigstens die Hoffnung, dass er über kurz oder lang zumindest annähernd auf demselben Level wie Jinmu sein würde und damit die Götter besiegen könnte. Manchmal war er nah daran, den Mann zu bitten, diese Aufgabe zu übernehmen oder ihm zumindest zu helfen – aber dann kehrte sein Stolz zurück.

Er musste die Götter alleine töten, das war er allen schuldig.

Das einzig Gute, was das Training erfüllte war die Tatsache, dass die Albträume ausblieben, von denen er bislang immer geplagt worden war. Am Ende des Tages war sein Körper immer viel zu müde und bleischwer, um überhaupt noch träumen oder sich hinterher daran erinnern zu können.

Nanashi beobachtete ihn bei seinem Training, wobei sie sich ebenfalls fragte, wohin das führen sollte. Noch nie hatte sie einen Shinken-Träger gesehen, der erst trainieren musste, normalerweise kam das von selbst, wie das Denken.

Aber Jinmu schien genau zu wissen, was er tat, deswegen fragte keiner von beiden weiter nach.

Während Zetsus Anwesenheit wurde Jinmu weiterhin von Lakaien heimgesucht, doch sie alle erlitten dasselbe Schicksal wie die ersten, die von Zetsu beobachtet worden waren. Seine Neugier wuchs und wuchs, aber es ergab sich keine Gelegenheit, den Mann zu fragen, warum er so hartnäckig angegriffen wurde.

Mehrere Wochen nach Beginn des Trainings, wurde es zu Zetsus Überraschung plötzlich kalt draußen, heftige Winde peitschten nachts um die Hütte. Es wurde Herbst, eine für den Jungen, der in einer Wüste aufgewachsen war, völlig unbekannte Jahreszeit.

Staunend betrachtete er die Blätter, die sich bunt verfärbten, nur um kurz darauf von den Bäumen zu fallen. Sein Training wurde daraufhin darauf ausgeweitet, das Laub wegzukehren, damit es nicht glitschig werden konnte, wenn es darauf regnete.

Am ersten Abend des Herbst wartete Zetsu darauf, dass sie zum Wasserfall gehen würden, doch als er Jinmu darauf ansprach, schüttelte dieser mit dem Kopf. „Es ist jetzt zu kalt. Du holst dir nur eine Erkältung, wenn du dich dort hinstellst.“

„Erkältung?“, fragte Zetsu verdutzt.

Der Mann nickte. „Das ist eine Krankheit, keine gefährliche zwar, aber sie sorgt dafür, dass du für eine Weile nicht viel tun kannst.“

Das klang für den Jungen tatsächlich bedrohlich. Er schluckte schwer.

„Aber ich habe schon eine Ausweich-Methode, um deine Konzentration zu steigern“, fuhr Jinmu fort.

Er ließ Zetsu an die Wand stehen, mit einem Brett, das er sich über den Kopf halten sollte.

„Halt es gerade“, wies der Mann ihn an.

Der Junge fragte sich weswegen, befolgte aber den Befehl widerstandslos. Im nächsten Moment wurde es ihm auch schon klar: Jinmu stellte einen randvoll gefüllten Eimer auf das Brett.

Das Gewicht zog sofort in Zetsus Arme und ließ ihn leise stöhnen.

„Wenn du auch nur einen Tropfen verschüttest, wirst du alles wieder saubermachen.“

Der Junge, zu beschäftigt damit, das Gleichgewicht des Bretts zu halten, blinzelte nur zur Bestätigung.

„Wie lange muss er das machen?“, fragte Nanashi.

„Solange ich es sage“, war die einzige Antwort.

Damit setzte Jinmu sich hin, wartete schweigend darauf, dass Zetsu nachgab. Während er wartete, nippte er an dem Tee, den der Junge zuvor für ihn gekocht hatte.

Wie von ihm erwartet dauerte es tatsächlich nicht lange, bis der Eimer umkippte und den Boden der Hütte unter Wasser setzte. Kommentarlos reichte er Zetsu den Mopp, während er sich selbst zurücklehnte, um dem Jungen genüsslich beim Aufwischen zu beobachten.

Das Spiel wiederholte sich die nächsten Tage, immer wieder mit demselben Ergebnis, ohne dass sich etwas an der Zeit änderte, die Zetsu durchhielt.

Langsam glaubte der Junge selbst, dass er nicht einmal im Ansatz stark genug werden würde, um irgendjemanden zu besiegen. Wie waren die anderen Shinken-Träger, denen er begegnet war, nur so stark und geschickt geworden?

Warum konnte er das nicht auch?

Während er wieder einmal Laub vor der Hütte zusammenfegte, sah er plötzlich Kitsuya zwischen den Bäumen hervortreten. Um den Hals des Fuchses war eine Tasche geschlungen, die ihm sofort von Jinmu abgenommen wurde.

„Was ist das?“, fragte Zetsu, er deutete auf die Tasche.

„Unser Essen“, antwortete der Mann. „Ich gehe nicht gern unter Menschen, deswegen schicke ich Kitsuya in die Stadt – und er bringt immer das richtige mit.“

„Und holt sich selbst auch etwas“, fügte Nanashi hinzu, den Blick auf das Brötchen im Maul des Fuchses gerichtet.

Jinmu nickte. „Die Stadtbewohner geben ihm auch immer etwas. Ich glaube, sie mögen ihn.“

Kitsuya setzte sich neben die Bank und kaute genussvoll auf seinem Brötchen herum.

„Warum gehst du nicht gern unter Menschen?“, fragte Zetsu.

Er selbst liebte es, unter vielen Menschen zu sein, weswegen ihm die Zeit in diesem Wald fast schon wie eine selbstauferlegte Strafe vorkam.

Jinmu sah Zetsu an, sparte sich allerdings eine Antwort. Stattdessen ging er wieder hinein.

„Ich glaube, er mag mich nicht“, meinte Zetsu geknickt.

„Das glaube ich nicht“, widersprach Nanashi. „Sonst hätte er Euch nicht als seinen Schüler aufgenommen.“

Er verzog sein Gesicht. „Eigentlich kommt es mir eher vor als sollte ich nur unliebsame Arbeiten für ihn abnehmen. Seit ich hier bin muss ich nur diese Hausarbeit machen.“

Tröstend tätschelte sie seinen Kopf. „Seid nicht so negativ, Meister. Bestimmt wird er Euch noch besser unterrichten. Ihr braucht nur ein wenig Geduld.“

Zetsu nickte, dann machte er sich wieder an die Arbeit.
 

Einige Wochen später wurde aus dem Herbst Winter. Dicke weiße Flocken fielen vom Himmel, blieben aber nicht auf dem Boden liegen, sondern schmolzen sofort wieder, obwohl es noch kälter geworden war.

Zetsu, der zehn Jahre nur die Temperaturen der Wüste gewohnt gewesen war, fror selbst tagsüber erbärmlich, egal wie hart er arbeitete, um sich selbst aufzuwärmen.

Doch wenn er sich in der warmen Hütte befand, saß er immer am Fenster und beobachtete die fallenden Flocken stundenlang. Sie alle hatten unterschiedliche Formen und glitzerten im Licht, hatten etwas Hypnotisches an sich, das ihn überaus faszinierte.

Sein bislang fruchtloses Konzentrationstraining wurde in einer alternativen Version fortgesetzt: Statt in der Hütte musste er nun nachts vor dem kleinen Gebäude stehen. Jinmu hoffte anscheinend, dass die Kälte dafür sorgen würde, dass Zetsus Konzentrationsfähigkeit zunahm. Zetsu hoffte es auch.

Während er wieder einmal draußen stand und den Wassereimer auf dem Brett über seinem Kopf balancierte, beobachtete Nanashi ihn von drinnen durch das Fenster.

Sie war auf seinen Wunsch in die Hütte gegangen, damit zumindest einer von ihnen es warm hatte.

Doch während sie ihn beobachtete, spürte sie selbst den Schmerz in den Armen und die Kälte, die einem in die Glieder kroch, sich dort beißend festsetzte und nie wieder gehen wollte.

Am Liebsten hätte sie ihm draußen Gesellschaft geleistet, doch sie wusste, dass ihm das auch nichts bringen würde. Es würde nur ihnen beiden kalt werden.

Jinmu trank wieder einmal seinen Tee und schien sich in keiner Weise um den frierenden Jungen draußen zu kümmern.

„Nanashi,“, begann der Mann plötzlich, „erzähl mir etwas über deinen Meister.“

Sie wandte sich ihm zu, überrascht über diese plötzliche Aufforderung. „Was willst du wissen?“

Er hob den Blick, um sie direkt anzusehen. „Warum will er Rache an Isbel und den verwaltenden Göttern nehmen? Welche Verbindung existiert zwischen ihnen und Zetsu?“

„Solltest du das nicht lieber ihn selbst fragen?“, erwiderte Nanashi mit einer Gegenfrage.

Jinmu schüttelte den Kopf. „Nein, ich will dich fragen. Ich denke, du verstehst den Zusammenhang um einiges besser als er.“

Dennoch wollte sie ablehnen, aber vielleicht würde das helfen, um ihn zu überreden, Zetsu besser zu trainieren, also nickte sie. „Als die Welt meines Meisters auf dem Stand dieser Welt war, wurde sie von einer Göttin – Isbel – auf Geheiß der verwaltenden Götter besucht, um den Untergang anzukündigen. Von da an verlor die Welt langsam ihr Mana und damit jegliches Leben.“

Jinmus Blick verfinsterte sich. Da er nichts sagte, fuhr sie fort: „Kurz vor dem Untergang, vor zehn Jahren, wurde das letzte Kind der Welt geboren – dieses Kind war Zetsu Akatsuki.“

Sie schwieg für einen Moment, aber als keine Reaktion folgte, sprach sie weiter: „Als er zehn war, fanden seine Eltern heraus, dass der Untergang ihrer Welt eine Laune der Götter und kein Schicksal war. Die Überlebenden verzweifelten an diesem Wissen und es kam zu Aufständen, denen Zetsus Eltern zum Opfer fielen.“

Gequält schloss er seine Augen. Auch Nanashi musste wieder schlucken, als sie sich an diesen Tag zurückerinnerte. „Zetsus Orichalcum-Name erwachte durch diesen Vorfall. Die Menschen, die dies sahen, schöpften neue Hoffnung. Aber nicht auf eine Rettung ihrer Welt, sondern auf Rache. Sie baten Zetsu, sie zu töten und ihr Mana in sich aufzunehmen, um Isbel und die verwaltenden Götter für das, was sie getan haben, zu bestrafen.“

„Ich verstehe“, sagte Jinmu leise.

Er sah zum Fenster hinaus, der Blick finster und nachdenklich. Nanashi fragte sich, was durch seinen Kopf ging und welche Schlüsse er daraus ziehen würde. Außerdem interessierte es sie, weswegen er auf den Namen Isbel reagierte. Kannte er die Göttin etwa?

Plötzlich stand er seufzend auf und ging hinaus. Zetsu wandte den Blick nicht, reagierte nicht einmal im Mindesten, sondern starrte konzentriert auf einen weit entfernten Punkt im Wald.

Erst als Jinmu ihm den immer noch vollen Eimer und das Brett wegnahm, sah der Junge ihn an.

In seinem Blick lag die stumme Bitte, ihn nicht wegzuschicken.

„Du kannst wieder reinkommen“, sagte Jinmu ungewohnt sanft.

„Aber was ist mit dem Training?“

Der Mann hielt ihm auffordernd die Tür auf. „Ab morgen werde ich dich richtig trainieren. Du wirst lernen, wie man kämpft, versprochen.“

Die Worte sickerten nur langsam in sein Bewusstsein, doch sie sorgten dafür, dass sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Strahlend ging er wieder in die Hütte hinein, wo er bereits von einer fröhlichen Nanashi empfangen wurde: „Eine gute Nachricht, Meister, nicht wahr?“

Zetsu nickte zustimmend. Seine Euphorie verschlug ihm regelrecht die Sprache.

Jinmu deutete auf das Bett, das dem Jungen gehörte. „Du solltest dich hinlegen und schlafen, ab morgen wird es noch härter für dich.“

Obwohl das wie eine böse Drohung klang, tat nicht einmal das seiner unsäglichen Freude Abbruch.

Endlich würde er das Training bekommen, das er brauchte, er würde in der Lage sein, die Götter zu töten, die seiner Welt das angetan hatten.

Immer noch überschäumend vor Freude legte er sich hin, dabei war er sich völlig sicher, dass er im Moment nicht schlafen könnte. Doch sein Körper sagte da etwas anderes. Innerhalb kurzer Zeit schlief er tief und fest.

Nanashi beobachtete ihn lächelnd. Erst als er eingeschlafen war, wandte sie sich wieder Jinmu zu. „Vielen Dank. Meister schätzt das wirklich sehr.“

Er nickte. „Ich weiß. Man sieht es ihm an. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich ihm helfen kann. Etwas in ihm scheint zu verhindern, dass er wirklich kämpfen lernt, sonst könnte er es bereits selbst.“

Nachdenklich berichtete Nanashi ihm von den Geschehnissen in der Welt zuvor, dem Kampf gegen das Mädchen Ruputna. Er lauschte ihr schweigend, bis er schließlich verstehend nickte. „Dann muss es etwas in ihm geben, das seinen Körper für sich haben will.“

„Etwa Rutsuruji?“

Jinmu hob die Schultern. „Wer weiß? Niemand von uns weiß, ob noch mehr und wenn wieviele Leben zwischen dem jetzigen und unserer Götterinkarnationen lagen. Wir können uns immer nur an die stärkste aller Inkarnationen erinnern und das sind meist die der Götter in uns.“

„Woher kommt deine Erfahrung?“, fragte Nanashi erstaunt.

Ob Zetsu irgendwann auch so sein würde?

Jinmu antwortete darauf nicht. Er fuhr herum. „Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht.“

Damit löschte er das Licht und legte sich in sein eigenes Bett.

Nanashi blieb allein mit Kitsuya und der Glut im Kamin zurück. Der Fuchs rollte sich auf dem kleinen Stück Teppich vor dem Bett seines Meisters zusammen und schloss die Augen.

„Schlaf gut“, murmelte Nanashi halblaut.

Sie legte sich auf das Bett in dem Zetsu lag. Das gelöste Gesicht des Jungen sagte ihr, dass er wieder optimistischer dachte und nun alles gut werden würde. Mit dieser Erkenntnis schloss sie ebenfalls die Augen, um zu schlafen.

Unliebsame Pflicht

Jinmu hielt auch diesmal sein Wort. Tatsächlich wurde das Training noch um einiges härter.

Neben dem Holzhacken und dem Haushalt musste er nun auch stundenlang mit einer hölzernen Waffe den Schwertkampf üben. Für jeden Fehler, den er dabei tat, bekam er einen Schlag von Jinmus Holzschwert verpasst, so dass er bereits nach wenigen Tagen mit blauen Flecken übersät war.

Doch auch diesmal beschwerte Zetsu sich nicht. Er nahm den Schmerz in Kauf, um endlich seinem Ziel näher zu kommen, viel näher und viel schneller.

Allerdings war er sich nicht sicher, ob er sich verbesserte oder ewig auf einem Level stagnierte.

Auf Jinmus Gesicht konnte er nichts ablesen und wie üblich schwieg der Mann nur. Selbst nach all der Zeit traute sich Zetsu immer noch nicht wirklich, von sich aus ein Gespräch zu beginnen, es sei denn, er konnte mit einer unverbindlichen Frage anfangen. Doch diese waren in letzter Zeit rar geworden, weswegen es immer öfter zu schweigsamen Abenden kam.

Zwei Wochen nach Beginn des Trainings, aßen sie wieder einmal stumm vor sich hin. Zetsus Finger machten ihm dabei einige Probleme, weil sie sich einfach nicht mehr um das Besteck schließen ließen und er es so immer wieder fallen ließ.

Als seine Gabel zum fünften Mal an diesem Abend laut klirrend zu Boden fiel, senkte er seufzend den Blick. „Nicht einmal essen kann ich.“

Die Worte kamen aus seinem Mund, bevor er sie hatte zurückhalten können. Jinmu wandte ihm den Kopf zu. „Das ist am Anfang normal.“

Zetsu sah ihn wieder an. „Wirklich?“

Jinmu nickte langsam, dann wandte er wieder den Blick ab. Es sah so aus als würde er nicht weitersprechen wollen, doch bevor Zetsu enttäuscht sein konnte, öffnete er den Mund wieder: „Bevor ich mein Shinken bekam, habe ich selbst erst den Schwertkampf gelernt. Ich habe genauso angefangen wie du, nein sogar schlimmer. Du scheinst ein gewisses Grundtalent zu haben.“

„Wirklich?“, fragte Zetsu strahlend.

Jinmu nickte noch einmal, ein leichtes Lächeln zierte sein Gesicht. Von diesem Gespräch ermuntert, beschloss Zetsu, noch weitere Fragen zu stellen: „Wie hast du dein Shinken bekommen?“

Der Mann legte seinen Kopf schräg, er schien tatsächlich darüber nachzudenken. Aufgeregt wartete der Junge auf die Antwort, starrte Jinmu immerzu an.

Schließlich nickte der Mann. „Ich bekam es vor langer Zeit, ich war gerade ein wenig älter als du. Damals wurden meine Eltern getötet – von einer Göttin namens Isbel.“

Diese Aussage überraschte Zetsu wirklich. „Dann kennst du sie wirklich?“

„Mehr oder weniger“, erwiderte Jinmu. „Ich bin ihr nur einmal begegnet, damals, als sie eben meine Eltern getötet hat. Damals wollte ich auch Rache nehmen. Als mein Shinken erwachte, wurde ich zu einem Eternal.“

Er machte eine kurze Pause, um Zetsus fragenden Gesichtsausdruck zu belächeln. „Ein Eternal ist um einiges machtvoller als ein normaler Shinken-Träger. Er lebt für immer und kann die volle Macht seines Shinken entfalten – im Gegenzug dazu opfert er seine Vergangenheit. All jene, die er je gekannt hat, verlieren die Erinnerung an ihn, es sei denn sie sind oder werden ebenfalls Eternal.“

Es war das erste Mal, dass Zetsu von so etwas hörte. In seinen Ohren klangen die Eternal nach Göttern, zumindest schienen sie über dieselben Eigenschaften zu verfügen, weswegen er es umso erstaunlicher fand, einen solchen zu kennen.

„Aber wenn du so ein machtvolles Wesen bist, warum lebst du dann hier?“, fragte Zetsu neugierig. „Und warum wirst du ständig von den Lakaien angegriffen?“

Wieder schien es als müsste Jinmu erst nachdenken, bevor er antwortete: „Sie erinnern mich nur daran, meine Pflicht zu erfüllen.“

„Welche Pflicht?“

Der Mann schien von den Fragen des Jungen außerordentlich amüsiert zu sein, zumindest zeigte sich der Anflug eines Lächeln auf seinem Gesicht. „Eine sehr unliebsame Pflicht, wenn du mich fragst. Genau wie du bin ich ausgezogen, um Rache zu üben – aber mir war es nie so ernst wie dir.“

Zetsus Augen weiteten sich überrascht. Nicht im Mindesten hatte er damit gerechnet, dass Jinmu ebenfalls wegen Rache losgezogen war. Immerhin war dieser Mann es gewesen, der ihm bei ihrer ersten Begegnung davon abgeraten hatte.

„Warum verfolgst du dieses Ziel nicht weiter?“, fragte Zetsu neugierig.

Jinmu hob die Schultern. „Im Gegensatz zu dir war ich von niemandem darum gebeten worden, weswegen mir irgendwann die Motivation dazu fehlte. Du dagegen hast es jemandem versprochen, nicht wahr?“

Zetsu nickte zustimmend. Deswegen konnte er nicht aufhören, nicht einmal, wenn er es gewollt hätte.

„Du kannst deine Rache haben, wenn du sie willst“, fuhr Jinmu fort. „Du hast das Talent, du musst nur stärker werden. Möglicherweise musst du selbst erst ein Eternal werden, aber ich weiß, dass du es schaffen kannst.“

Dieses Kompliment von Jinmu, der selten solche Dinge sagte, steigerte die Laune des Jungen erheblich. Wenn selbst er sagte, dass er es schaffen könnte, dann glaubte er es auch.

Der Mann lächelte, als er den fröhlichen Gesichtsausdruck bemerkte. „Solange du mit dieser Einstellung an die Sache rangehst, wirst du deine Rache mit Sicherheit bekommen.“

„Aber warum kommen denn nun die Lakaien hierher?“, fragte Zetsu noch einmal.

Dieser Frage war er bislang aus dem Weg gegangen. Jinmu griff sich an den Kopf. „Na ja... ich denke mal, dass jemand Bestimmtes sie mir schickt. Vermutlich die Bringer des Lichts, weil ich mindestens einen ihrer Pläne vereiteln konnte, bevor ich mich hier niederließ.“

Zetsu neigte den Kopf. „Bringer... des Lichts?“

„Du musst dich nicht dafür interessieren“, erwiderte Jinmu. „Konzentrier dich auf Isbel und deine Rache und sonst nichts. Das ist nun wichtig für dich.“

Der Junge nickte verstehend.
 

Nach diesem Gespräch intensivierte er sein Training noch mehr. Jinmu nahm die Fehler des Jungen ein wenig gelassener und schlug ihn nicht mehr bei jedem einzelnen Fehler, hielt stattdessen hilfreiche Ratschläge und Tipps parat, mit denen er sich langsam aber stetig verbesserte.

Als es Frühling wurde, ließ Jinmu sowohl Training als auch häusliche Pflichten lockerer, so dass Zetsu die erblühenden Blumen und die neuen Blätter an den Bäumen genießen konnte.

Nanashi leistete ihm dabei auf seiner Schulter sitzend Gesellschaft. Obwohl sie den Anblick schon öfters gesehen hatte, war sie genauso beeindruckt wie er.

„Wundervoll, Meister, oder?“

Er nickte. „Oh ja. Passiert sowas oft?“

„Jedes Jahr. Das nennt man Jahreszeiten.“

„Ah, verstehe~“

In der Wüste hatte es so etwas selbstverständlich nicht gegeben. Es war immer heiß gewesen, abgesehen von nachts – da war es kalt gewesen. Da man sich nachts aber ohnehin im Haus aufgehalten hatte, war es im Großen und Ganzen egal gewesen.

Die Sache mit den Jahreszeiten gefiel ihm allerdings ausgesprochen gut, so dass er beschloss, sich nach erfolgter Rache in einer Welt mit solchen niederzulassen – sofern er überleben würde.

Sehr sicher, ob das funktionieren würde, war er sich allerdings noch nicht.

Aber daran verschwendete er im Moment keinen Gedanken. Dafür war das Szenario viel zu schön.

Unvermittelt trat Jinmu neben ihn. „Na, genießt du den Frühling?“

„Ja, tue ich.“

„Das habe ich am Anfang auch“, meinte Jinmu.

Zetsu hob den Blick und sah zu ihm hinauf. „Wie alt bist du eigentlich?“

Der Mann lachte verlegen. „Ehrlich gesagt kann ich dir das gar nicht so genau sagen. Ich bin ziemlich lange unterwegs gewesen und, na ja, irgendwann hört man dann eben auf, zu zählen.“

Seit ihrem Gespräch, bei dem Jinmu ihm neuen Mut gemacht hatte, war der Mann deutlich aufgetaut, weswegen Zetsu sich immer öfter traute, sich mit ihm zu unterhalten und ihm Fragen zu stellen. Doch viele der Antworten warfen nur neue Fragen auf, so dass der Junge es langsam aufgab, überhaupt noch welche zu stellen.

Das Klirren der Metallstückchen ließ Zetsu aufhorchen. Auch Jinmu hob den Blick, doch von den Lakaien, die sonst dadurch angekündigt wurden, war nichts zu sehen.

Stille trat wieder ein, worauf der Mann sich wieder entspannte. Der Junge blieb allerdings wachsam. „Kommt so etwas öfter vor?“

„Hin und wieder, ja.“

Die plötzlich aufgetauchte Nervosität in seiner Stimme war nicht zu überhören. Anscheinend kam es doch nicht so oft vor oder irgendetwas war doch anders.

Plötzlich straffte sich Jinmus Körperhaltung. „Zetsu, geh ins Haus.“

Ein befehlender Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen. Zetsu wagte nicht, zu widersprechen. Mit einem hastigen Nicken zog er sich in die Hütte zurück, um von dort aus, aus dem Fenster zu sehen.

Nanashi schwieg angespannt, ihr Blick ging konzentriert ebenfalls nach draußen. Sie schien etwas zwischen den Bäumen zu sehen, was für ihren Meister unsichtbar war. Genau wie Jinmu, der sein Shinken wieder erscheinen ließ. Seine Augen fixierten sich auf einen Punkt zwischen den Bäumen, wo Zetsu nur junge Blätter erblickte.

Was sehen alle da?

Sein Shinjuu schwieg auf seine Gedanken. Sie wirkte wie eine Katze auf dem Sprung, fehlte nur noch ein aufgeregt zuckender Schwanz und der in die Höhe gestreckte Hintern, dessen Bewegungen einem bei genauerem Hinsehen verrieten, wieviel Zeit noch zum Ausweichen blieb.

Eine Bewegung zwischen den Bäumen offenbarte eine Person, die Jinmu gemächlich entgegenschritt. Das schwarze Haar des Unbekannten stand wirr ab, an seinem rechten Arm und seinen Beinen trug er metallene Schoner, die von roten Linien überzogen waren, die ein Muster zu bilden schienen. Auf seiner Schulter saß ein Wesen, das noch kleiner als Nanashi war, mit Flügeln auf dem Rücken.

„Wer ist das?“, fragte Zetsu leise.

Nanashi hob ratlos die Schultern. Jinmu dagegen schien den Mann genau zu kennen, denn er ging automatisch in Abwehrhaltung. „Was willst du?!“

Seine Stimme drang gedämpft durch das Fenster, dennoch konnte Zetsu die unterschwellige Aggression in seiner Stimme hören.

Der Neuankömmling schüttelte seufzend seinen Kopf. „Jinmu, Jinmu... langsam solltest du es wirklich wissen. Ich komme nicht aus Spaß hierher, sondern um dich zu bestrafen.“

„Versuch es“, erwiderte er.

Ein Bogen erschien vor dem Fremden, mit dem er sofort einen Pfeil abfeuerte. Jinmu wich aus, gleichzeitig riss er sein Shinken hoch und griff selbst an. Der Fremde wehrte ihn mit seinem Bogen ab. Er wirbelte seine Waffe, worauf Jinmu zur Seite sprang.

Ein Ring aus Feuer stürmte auf die Stelle zu, an der er eben noch gestanden hatte. So verlor sich die Flamme allerdings nach wenigen Metern.

Jinmu versuchte, den Fremden von der Hütte wegzulocken, doch dieser tat genau das Gegenteil.

„Dir muss ja etwas an dieser armseligen Hütte liegen – oder an dem, was darin ist, wenn du sie so sehr beschützen willst.“

Jinmu knurrte nur. Er griff wieder an – doch Zetsus Blick wurde von etwas abgelenkt.

Das Wesen von der Schulter des Fremden schwebte inzwischen direkt vor dem Fenster und sah ihn an. Zetsu und Nanashi erwiderten den Blick.

„Das ist ein Shinjuu.“

Dann ist dieser Bogen auch ein Shinken?

„Sieht ganz so aus.“

Das Wesen lachte lautlos, in den roten Augen lag Spott und Hohn. Sie flog wieder zu dem Fremden zurück und flüsterte etwas in sein Ohr, worauf er sich wieder von seinem Kampf abwandte. Schmunzelnd sah er zur Hütte hinüber. Automatisch sank Zetsu tiefer, so dass nur noch seine Augen und sein Haar zu sehen war. Nanashi, die immer noch auf seiner Schulter saß, musste nun aufstehen und sich hinstellen, um nach draußen zu sehen.

Der Fremde wandte sich wieder Jinmu zu. „Seit wann beherbergst du kleine Jungen in deiner Hütte? Du bist nicht unbedingt ein guter Samariter.“

„Das geht dich nichts an!“, erwiderte der Gefragte. „Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus!“

„Oh, er scheint also dein schwacher Punkt zu sein. Interessant. Wie wäre es, wenn ich ihn auseinandernehmen würde? Körperteil... für Körperteil...“

Jinmu knurrte lautstark. „Lass ihn in Ruhe! Ich bin dein Gegner!“

Er griff wieder an, diesmal wesentlich unkoordinierter als das letzte Mal. Der Fremde wich leichtfüßig aus, dabei lachte er immer wieder. „Sinnlos, lass es endlich sein.“

Doch Jinmu machte immer weiter, immer öfter unterliefen ihm dabei Fehler, die sogar Zetsu auffielen. Und dem Fremden sicherlich auch.

Schließlich wich er Jinmu erneut aus und entfernte sich ein wenig von ihm.

Er wird nicht so dumm sein und...?

Wie Zetsu es befürchtet hatte, lief Jinmu auf ihn zu. Der Fremde legte an. Zetsu konnte dem Pfeil gar nicht so schnell fliegen, wie er plötzlich in der Brust seines Lehrers steckte.

Die Wucht des Pfeils warf ihn zurück, wie in Zeitlupe ging er zu Boden.

Der Junge wollte aufspringen und hinausrennen, doch er konnte sich kein Stück rühren. Er konnte nur wie festgewurzelt am Fenster stehen und ungläubig hinausstarren, darauf wartend, dass Jinmu gleich wieder aufstehen würde. Er musste einfach wieder aufstehen, er konnte nicht so enden.

Der Fremde trat neben Jinmu, der in einer langsam größer werdenden Blutlache lag. Es war derart viel Blut, dass der Waldboden es nicht schnell aufsaugen konnte.

„Scheint als wäre deine Glanzzeit vorbei“, bemerkte der Fremde grinsend.

Es schien als wollte Jinmu etwas darauf sagen, doch er hustete nur Blut hervor.

Grinsend legte der Fremde noch einen Pfeil an. Er bohrte sich tief in Jinmus Brustkorb, der sich noch ein letztes Mal aufbäumte und schließlich keine Regung mehr von sich gab.

Zetsu atmete heftig. Vor seinem innere Auge sah er wieder die wenigen guten Momente, die er mit Jinmu geteilt hatte, dabei hörte er die mit tiefer Traurigkeit unterlegte Stimme, die sie stets so gleichgültig hatte klingen lassen.

Jinmus Körper begann zu glühen und löste sich im nächsten Moment in Manafunken auf, ein letztes klagendes Heulen von Kitsuya war dabei zu hören. Das Shinken des Fremden leuchtete, was bedeutete, dass er die fremde Macht in sich aufnahm.

Schließlich ging sein Blick wieder zur Hütte. Zetsu nutzte die Gelegenheit und prägte sich jedes sichtbare Detail des Gesichts und des Shinken ein, setzte den Fremden auf seine imaginäre Liste, die nun drei Personen beinhaltete.

Noch einmal setzte der Fremde an. Der Pfeil, den er abschoss, entflammte plötzlich und setzte die getroffene Hütte in Brand. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck fuhr er schließlich herum und verschwand so wie er gekommen war.

Zetsu starrte ihm wie gebannt hinterher, um sich wirklich von diesem Mann einzuprägen und ihn jederzeit wiedererkennen zu können.

„Meister, wir müssen hier raus!“

Nanashis Stimme riss ihn aus seiner Starre. Das Feuer fraß sich erstaunlich schnell seinen Weg durch das Holz der Hütte. Als er sich umsah, standen schon die gesamten Wände und das Dach in Flammen, der beißende Rauch drang in seine Kehle und erschwerte ihm das Atmen.

„Meister, schnell!“

Zetsu nickte. Er nahm sein Shinken zur Hand, das ihm nicht nur ein wenig mehr Sicherheit verlieh, sondern ihm auch das Atmen erleichterte. Die Tür brannte bereits, als er nach wenigen Schritten dort ankam, aber ein kurzer Schlag mit seinem Schwert, öffnete ihm den Ausgang.

Draußen angekommen, fiel er zu Boden. Sein ganzer Körper weigerte sich, sich weiterzubewegen, obwohl er durch keinerlei Anstrengung erschöpft sein sollte. Sein Blick ging zur Hütte, die vom Feuer verschluckt worden zu sein. Der Ort, der für so lange Zeit sein Zuhause gewesen war, wurde geradezu ausgelöscht, was in seinem Inneren ein bitteres Gefühl auslöste. Doch genau wie nach dem Tod all seiner Liebsten weinte er nicht, keinerlei Emotionen, außer dem Wunsch nach Rache wurden in seinem Inneren wach.

„Meister, alles in Ordnung?“

Nanashi setzte sich vor ihn, als er nicht antwortete. „Meister?“

Es erfolgte nach wie vor keine Antwort. Er konnte ihre Stimme hören, aber ihre Worte erreichten sein Innerstes nicht. Stattdessen legte er seinen Kopf auf den Boden und schloss die Augen, so dass ihn schließlich der Schlaf übermannte und ihn mit einem warmen Gefühl empfing, das ihn alles andere vergessen ließ.

Die blauen Schmetterlinge

Stöhnend öffnete Zetsu seine Augen. Er erwartete, auf dem Waldboden zu liegen, mit dem Geruch von Holz in der Nase, doch die Wahrheit traf ihn um einiges härter.

Der kalte Steinboden, auf dem er lag, schien ihm härter als jedes andere Material, das er kannte. In der Luft lag ein süßlicher Geruch von Fäulnis und Verwesung.

Die Schwerkraft drückte ihn mit aller Gewalt auf den Boden zurück, doch er schaffte es dennoch, aufzustehen, auch wenn seine Beine noch immer unter ihm nachzugeben drohten.

Sein suchender Blick offenbarte ihm einen bedrohlichen lila-farbenen Himmel und verdorrte Bäume um ihn herum. Aber keine Nanashi.

Auch als er ihren Namen rief, erfolgte keine Antwort. Ob sein Shinjuu ihn im Stich gelassen hatte?

Nein, das konnte er sich nicht vorstellen, nicht Nanashi. So sehr konnte er sich nicht in jemandem täuschen... oder vielleicht doch?

Verwirrt lief er schließlich los, setzte einen Fuß vor den anderen, um diesem Ort zu entkommen, wie auch immer dorthin gekommen war. Dabei fragte er sich, wie er dort gelandet war.

Nach seiner Flucht aus der brennenden Hütte war er direkt davor ohnmächtig geworden. Es gab keine logische Erklärung, wie er den Ort hatte wechseln können.

Sein Inneres zog sich wieder zusammen, als er daran dachte, dass Jinmu nun tot war, ermordet von einem Unbekannten. Doch Zetsu würde tun, was er konnte, um diesen Mann zur Rechenschaft zu ziehen – sofern er von diesem Ort entkommen könnte.

Aber egal wie weit er lief, die Gegend änderte sich nicht. Immer wieder kam er an den selben Bäumen vorbei, am selben Abschnitt des Himmels. Wie konnte das sein?

Mit einem tiefen Seufzen blieb er wieder stehen.

Einsamkeit war ihm verhasst, weswegen dieser Moment ihm unendlich grausam vorkam.

Er setzte sich auf den Boden, zog die Beine an seinen Körper und schlang die Arme darum. Sein Gesicht vergrub er in seinen abgestützten Armen, bevor er die Augen schloss. Es vermittelte ihm ein Gefühl von Sicherheit, aber die Einsamkeit ließ kein bisschen nach.

Die absolute Stille lastete schwer in seinen Ohren. Egal, wo er bislang gewesen war, noch nie hatte es eine derartige Stille gegeben – und das verstärkte die Einsamkeit noch einmal.

Wieviel Zeit vergangen war, wusste er nicht, als er plötzlich etwas spürte. Etwas schien um ihn herumzuflattern, mit sanften, aber bestimmten Flügelschlägen um ihn herumzutanzen.

Zögernd öffnete Zetsu die Augen, bevor er den Kopf hob. Vier Schmetterlinge flogen immerzu um seinen Körper herum, die Flügel schimmerten in einem tiefdunklem Blau und zogen seinen Blick geradezu magisch an.

Plötzlich schien ihm diese Welt nicht mehr so trostlos wie zuvor, auch wenn diese Wesen nicht mit ihm redeten. Allein ihre Anwesenheit spendete ihm Trost und Zuversicht. Die Sicherheit, dass er aus dieser Welt fliehen könnte, wuchs von Sekunde zu Sekunde.

Ein wenig ungeschickt stand er wieder auf. Die Schmetterlinge flogen ein Stück voraus und verharrten in der Luft als ob sie auf ihn warten würden. Neugierig, wohin sie ihn führen würden, folgte er ihnen.

Wie zuvor führte ihn der Weg durch die karge Steppe, doch diesmal wiederholte sich die Gegend nicht mehr. Stattdessen standen sie unvermittelt in dem Raum, in dem auch Zetsus Träume spielten.

Da die anderen Personen aus seinem Traum nicht da waren, konnte er sich das allererste Mal ungestört umsehen.

Boden und Wände bestanden aus riesigen Marmorquadern, die mit glühenden blauen Linien durchzogen waren. Wurzeln, mit grün glühenden Linien, überwucherten die Quader, verursachten jedoch keine Risse im Gestein. Das war aber auch nicht nötig, denn zwischen jedem einzelnen Quader herrschte fingerbreit Platz, so dass die Pflanzen ungestört wuchern konnten.

Wenn er den Kopf in den Nacken legte, blickte er in endlos scheinende Dunkelheit, wo irgendwo weitere Wurzeln in der Luft zu schweben schienen, wenn er nach unten sah, gab es dasselbe Bild, so als ob er sich zwischen zwei gegenüberliegenden Schichten Erde befinden würde – nur dass die Erde fehlte.

Wie konnten die Wurzeln in der freien Luft wachsen?

Einer der Schmetterlinge gab ein Geräusch von sich, das an das helle Klingeln einer kleinen Glocke erinnerte. Es lenkte Zetsus Aufmerksamkeit wieder auf das Insekt, das ihm scheinbar den weiteren Weg zeigen wollte.

Die anderen drei Schmetterlinge dagegen hielten sich hinter seinem Rücken.

Der Junge folgte dem führenden Schmetterling, bis ihn eine schneidend kalte Stimme wieder zum Stehen brachte: „Zirol...“

Es war nur ein Wort, doch er erkannte die Stimme hinter sich sofort. Ein Schauer durchfuhr Zetsu. Wenn er sich nun umdrehen würde, würde er herausfinden, wie die Person aussah, zu der diese Stimme gehörte. Diese Stimme, die zu dem Körper gehörte, durch dessen Augen er diese schreckliche Albträume beobachtet hatte.

Zirol...“, sagte die Stimme erneut.

Zetsu verstand den Sinn des Wortes nicht, aber vielleicht war es auch nur ein Name?

Langsam drehte der Junge sich um. Das Erste, was ihm an diesem Mann auffiel war das lange silberne Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, direkt danach folgte das fein geschnittene Gesicht mit den halb geschlossenen stahlblauen Augen, die ihn aufmerksam musterten.

Die graue Kleidung kannte Zetsu teilweise von seinen Träumen, das Shinken in seiner Hand war genau dasselbe wie das welches der Junge führte.

„Wer bist du?“

Ein arrogantes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus. „So, du bist also mein Tenseitai.“

Die Worte kamen nur zögerlich so als müsste er vor jedem einzelnen erst einmal nachdenken, ob es überhaupt das richtige war.

„Was... ist das?“, fragte Zetsu, dem das letzte Wort völlig unbekannt war.

Das Lächeln wurde noch breiter, doch inzwischen war auch Spott in seinen Augen zu erkennen. „Ein Tenseitai ist eine Wiedergeburt. Du, mein Lieber, bist meine. Aber du bist enttäuschend.“

Zetsu wich zurück. Der Mann hatte ihm in in seinen Träumen schon nicht gefallen, ihm nun so gegenüberzustehen verbesserte seine Meinung über ihn nicht sonderlich.

„Wer bist du?“, wiederholte Zetsu seine erste Frage.

Sein Gegenüber schnalzte mit der Zunge. „Mein Name ist Rutsuruji.“

Das war der Name, den auch Nanashi ihm gegenüber erwähnt hatte. Aber wenn Zetsu wirklich mal er gewesen war, warum war Rutsuruji dann so kalt?

„Glaubst du mir nicht?“, fragte der Mann. „Aber es ist wahr. Mit so etwas würde ich keine Scherze machen.“

Langsam kam er näher, Zetsu wich gleichzeitig zurück. Langsam schüttelte der Junge mit dem Kopf. „L-lass mich in Ruhe, geh weg!“

Angst, das war es, was er dieser Person gegenüber verspürte. Rutsuruji strahlte Gefahr aus, das feine Lächeln in seinem Gesicht verstärkte diesen Eindruck noch einmal.

Aber Zetsu wusste nicht, wohin er rennen sollte. Dieser Ort war ihm fremd, obwohl er ihn jede Nacht in seinen Träumen gesehen hatte.

„Du bist ein Fehler“, fuhr Rutsuruji fort. „Und Fehler müssen ausgemerzt werden.“

Er hob das Shinken über seinen Kopf. Zetsu kniff die Augen zusammen und erwartete den Schmerz – doch er kam nicht.

Stattdessen konnte er einen lauten Schrei hören. Als er seine Augen öffnete, entdeckte er, dass einer der Schmetterlinge vor Rutsurujis Gesicht auf- und abflatterte.

Der Gott schrie dabei als ob er bei lebendigem Leibe verbrennen würde.

Unzählige Fragen jagten durch Zetsus Kopf, doch statt sich im Augenblick darum zu kümmern, fuhr er sofort herum und rannte davon. Er wusste immer noch nicht, wohin, aber das war ihm im Moment auch vollkommen egal, solange er nur wegkommen würde.

Da er sich nicht umsah, bemerkte er nicht, wie Rutsuruji den Schmetterling zerschlug. Das Insekt zersprang augenblicklich in unzählige glitzernde Funken, die sich auflösten.

Der Gott knurrte leise und nahm die Verfolgung auf.

Egal wie weit Zetsu lief, die Gegend änderte sich nicht, genau wie die trockene Ebene zuvor.

War er in einem Albtraum gefangen?

Einer Illusion?

Wenn ja, wie könnte er dieser endlich entfliehen?

Die verbliebenen drei Schmetterlinge flogen vor ihm, es schien als wollten sie ihm den Weg weisen. Das trübe Licht, das sie spendeten, gab ihm zumindest ein wenig Halt, um nicht völlig zu verzweifeln. Verzweiflung würde bedeuten, dass er für immer in dieser Welt gefangen wäre, dessen war er sich absolut sicher.

Unvermittelt stolperte er plötzlich über etwas und fiel der Länge nach hin. Heftige Schmerzen zuckten durch seinen Körper. Stöhnend richtete er sich wieder auf. Mit seinen Fingern fuhr er über sein Gesicht, dunkelrotes Blut blieb an den Spitzen kleben.

Der Anblick der Flüssigkeit rief in ihm wieder die Erinnerung an die Ermordung seiner Eltern war, sein ganzer Körper zitterte, als die intensiven Emotionen erneut über ihn hereinbrachen.

Nicht weinen... nicht weinen... ich muss weiter!

Einer der Schmetterlinge setzte sich auf seine Nase. Funken begannen von dem Insekt aus- und in Zetsus Körper überzugehen. Je besser er sich wieder fühlte desto blasser wurde der Schmetterling – bis er schließlich ganz verschwand.

Was sind das nur für Wesen?

Hinter sich konnte er Schritte hören, die langsam näherkamen. Sofort richtete er sich wieder auf, um weiterzulaufen. Die verbliebenen Schmetterlinge flatterten wieder vor ihm her.

Mit neuer Energie beseelt rannte Zetsu diesmal schneller als zuvor. Er könnte dem Gott entkommen, daran glaubte er ganz fest, er würde es schaffen, er musste einfach.

Die Euphorie beflügelte ihn noch einmal zusätzlich, bestimmt würde er im nächsten Moment Licht sehen und damit endlich den Ausgang gefunden haben.

Nur noch ein paar Schritte, nur noch ein wenig...

Doch Flucht und Euphorie endeten urplötzlich an einer Wand. Ungläubig hielt Zetsu inne.

Nein, das darf nicht... das darf nicht sein.

Sein Blick ging hinauf und hinunter auf der Suche nach einem Riss, einem Spalt, der groß genug war, um ihn durchzulassen, irgend etwas... aber da war nichts.

Er saß eindeutig in einer Falle.

Hinter ihm wurden wieder die Schritte des Gottes laut. Zetsu fuhr herum und wich mit dem Rücken bis zur Wand zurück. Sein Körper bebte, als Rutsuruji vor ihm stehenblieb, immer noch dasselbe Lächeln im Gesicht wie zuvor.

„Na? Bist du endlich bereit, deinem Schicksal zu folgen?“

Zetsu schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, ich will nicht sterben!“

„Oh, du bist ein schlauer Junge“, stieß der Gott aus. „Ich habe dir doch noch gar nicht gesagt, dass ich dich töten werde. Aber irgendetwas musst du ja von mir haben.“

Der Junge versuchte, noch weiter zurückzuweichen, mit der Wand zu verschmelzen, doch natürlich funktionierte es zu seinem Unglück nicht.

Rutsuruji hob erneut sein Shinken. Die Klinge bohrte sich problemlos durch Zetsus Oberkörper und auch in die Wand hinter ihm.

Mit zufriedenem Gesichtsausdruck zog der Gott das Schwert wieder heraus. Wie in Zeitlupe stürzte der Junge zu Boden. Statt Blut floss Mana aus der Wunde und schwebte lautlos gen Himmel.

Rutsuruji kniete sich neben ihn. Ungewohnt sanft strich er dem Jungen durch das Haar, in seinen Augen war Bitterkeit zu sehen. Das Lächeln war immer noch da, aber es wirkte mehr denn je wie eine aufgesetzte Fassade.

„Warum... warum siehst du so traurig aus?“, fragte Zetsu mühsam.

Ohne Vorwarnung erlosch das Lächeln. „Das ist nichts, was dich angeht. Bald schon gibt es keinen Grund mehr dafür – und du wirst endlich deine Rache bekommen. Das sollte dich doch glücklich machen.“

Das sollte es wirklich, aber Zetsu fühlte sich keineswegs danach. Sein Inneres bäumte sich noch einmal auf, aber sein Körper reagierte wieder nicht darauf. Noch einmal strich Rutsuruji durch das Haar des Jungen. „Du brauchst keine Angst vor dem Tod zu haben. Er ist immer nur der Anfang.“

Die tröstenden Worte, die ihm offensichtlich nicht sonderlich leichtfielen, aber ernst gemeint waren, stimmten Zetsu ein wenig ruhiger. Fühlte sich Sterben wirklich so an?

Sein Körper schien immer leichter zu werden, mit ihm schwanden Sorgen, Kummer und Ängste und auch der Wunsch nach Rache. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich wieder richtig frei.

„Du kannst sterben, wenn du willst“, flüsterte Rutsuruji. „Es ist Zeit für dich...“

Zetsu konnte es sich nicht erklären, aber er war sich sicher, dass der Gott recht hatte. Er würde nicht einfach so verschwinden, denn dies war erst der Anfang.

Der Glanz verschwand aus seinen Augen und ließen nur stumpfe Spiegel zurück, kaum dass sein Atem erstarb.

Rutsuruji seufzte noch einmal schwer. Langsam löste er sich in violette Manafunken auf, die in Nase und Mund des leblosen Jungen eindrangen – gemeinsam mit den blauen Funken eines weiteren Schmetterlings.

Gemeinsam mit den Funken schien ein kleines Wunder zu geschehen. Der Oberkörper des Jungen begann sich wieder in einem regelmäßigen Rhythmus zu heben und zu senken, der Glanz kehrte wieder in die Augen zurück, doch waren sie diesmal wesentlich finsterer und weniger unschuldig als zuvor.

Das Lächeln auf seinem Gesicht erinnerte keineswegs an das herzliche Lächeln des kleinen Jungen, sondern mehr an das des Gottes. Mit dieser unheimlichen Grimasse ließ er den verbliebenen Schmetterling auf seiner Hand landen. „Es wird Zeit...“

Ungelenk stand er auf, um endlich diesen Ort zu verlassen und seinen Plan voranzutreiben – auch wenn er noch nicht wusste, dass es nicht so funktionieren würde wie er hoffte.

Kalt wie Eis

Die trüben Straßenlaternen erhellten kaum den Boden. Im Dunkeln war der Mann nur schwer zu erkennen. Er machte dem Namen seiner Organisation wirklich keinerlei Ehre, was seinen Verfolger zwar störte, aber auch nicht weiter kümmern musste. Selbst im Dunkeln konnte er noch etwas sehen, nicht einmal die feinsten Konturen entgingen ihm, dank seiner kleinen Begleiterin. Es machte die Sache nur ein wenig schwerer als es sein müsste.

Seine Begleiterin schwebte voraus und wies ihm immer wieder den Weg, wenn er den Verfolgten bereits aus den Augen verloren glaubte. Mit eleganten Bewegungen bewegte der silberhaarige Verfolger sich von Dach zu Dach, den Blick immer zwischen dem Boden und seiner Begleiterin hin und her wechselnd.

Schließlich hatte er den Mann, der vermutlich nicht einmal wusste, wer ihn verfolgte, in eine Sackgasse gedrängt. Mit einer lässigen Bewegung sprang er auf den Boden und glich die restliche Distanz aus. „Sieh an, sieh an, wen haben wir denn da?“

Der Verfolgte fuhr herum. Ein blauer Schatten erschien hinter ihm, doch der Silberhaarige kümmerte sich nicht weiter darum. Stattdessen zog er ein silbern glühendes Katana, worauf sämtliche Farbe aus dem Gesicht des Verfolgten wich. „Hey, Mann, das willst du nicht wirklich tun, oder?“

Ein feines Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Silberhaarigen aus. „Doch, will ich.“

„Aber, hey, Zetsu, sind wir nicht... Kumpel oder so?“

Amüsiert hob Zetsu eine Augenbraue. „Kumpel? Seit wann denn das? Ich habe keine Freunde und brauche auch keine. Besonders nicht, wenn sie zu den Bringern des Lichts gehören.“

Der Verfolgte wich weiter zurück. Seine Hilflosigkeit war ihm deutlich anzusehen, auch das seltsame Shinjuu in seinem Rücken schien ihm nicht helfen zu können.

„Wenn du still hältst, wird es auch nicht wehtun.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, wurde er von einer kaum sichtbaren Bewegung Zetsus getroffen. Im nächsten Moment löste sich sein Gegenüber in Manafunken auf, die ihn mit neuer Kraft erfüllten. Das fremde Shinjuu war verschwunden.

Wir haben einmal miteinander gesprochen. Wie kommt der Kerl zu der Annahme, dass wir Freunde sind?

Nanashi setzte sich auf seine Schulter, sie applaudierte. „Sehr gut gemacht, Meister.“

„Kleinigkeit“, erwiderte er arrogant.

Aus dem süßen kleinen Jungen von damals war ein gutaussehender Jugendlicher geworden, der sein langes silbernes Haar in einem Pferdeschwanz trug und immer einen lockeren Spruch parat hielt.

Er zog ein Dokument und eine Feder aus seiner Tasche. Auf dem Dokument standen fein säuberlich unzählige Namen in winzigkleiner Schrift verfasst. Die meisten waren bereits durchgestrichen, die anderen Namen dagegen wurden neugierig von ihm gemustert, um sein aktuelles Opfer zu finden.

Schließlich erblickte er ihn. Mit einem zutiefst befriedigenden Gefühl strich er auch diesen Namen durch. Es blieben zwar immer noch einige zurück, aber diese würde er auch noch ohne Probleme schaffen – zumindest glaube er das. Aber es gab auch keinen Grund, das zu bezweifeln.

Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht. Er verfolgte die Bringer des Lichts, um sich für den Mord an Jinmu zu rächen, aber zwischen all diesen unzähligen Gesichtern in den letzten fünf Jahren, war der Richtige noch nicht dabei gewesen.

Zetsu hatte das Gesicht und das Shinjuu dieses Mannes nie vergessen, lediglich seinen Namen kannte er nicht, weswegen er die ganze lange Liste durchgehen musste. Die Liste, die er durch einen Zufall bei einem Kampf gegen ein Mitglied hatte ergattern können und die ihm dabei half, den Überblick zu behalten.

„Bei meinem Glück ist es wirklich der Letzte auf den ich treffen werde“, meinte er trocken.

„Seid doch nicht so negativ, Meister“, bat Nanashi. „Bestimmt ist der nächste, den wir treffen der Mörder von Jinmu.“

Er lachte, aber es war anders als sein früheres Lachen. Es war nicht mehr frei und unbeschwert, es war kalt, trocken und schien mehr eine erzwungene Maßnahme zu sein.

„Das sagst du jedesmal, Nanashi.“

Empört pumpte sie Luft in ihre Backen. „Dann werde ich irgendwann auch einmal Recht haben!“

„Ja“, stimmte er schmunzelnd zu. „Spätestens, wenn nur noch ein Name auf der Liste ist.“

Die Möglichkeit, dass der Gesuchte aus welchem Grund auch immer, nicht gelistet sein könnte, wollte er gar nicht erst in Betracht ziehen. Sein Dickkopf ließ so etwas nicht zu.

Er bückte sich noch einmal, um etwas aufzuheben. Schließlich wandte er Nanashi seinen Kopf zu. „Wollen wir dann?“

Sie nickte.

Zetsu trat auf die Straße, auf der das Leben weiterging als ob nie etwas geschehen wäre. In unregelmäßigen Abständen fuhren Autos an ihm vorbei. Es war eine ruhige Gegend, aber von einer Straße mehrere Blocks entfernt, hörte er den tosenden Verkehrslärm der Rush Hour.

Es war schwer für ihn gewesen, sich mit solchen Dingen anzufreunden, mit dem Lärm, dem Gestank und der Gefahr, die von solchen Dingen ausging. In fünf Jahren hatte er so viel in so vielen verschiedenen Welten lernen müssen, dass er stellenweise das Gefühl gehabt hatte, dass sein Gehirn überlaufen oder explodieren würde.

Glücklicherweise war nichts von beidem geschehen, dafür hatte er schnell gelernt, sich anzupassen, egal, was er in einer neuen Welt vorfand.

Seit er nicht mehr klein und süß war, musste er noch dazu in jeder Welt zusehen, dass er irgendwie an Geld kam, um zu essen und zu schlafen – und nebenbei musste er einen Bringer des Lichts finden und diesen zur Strecke bringen. In dieser Welt hatte er zu seinem Glück beide Pflichten miteinander vereinbaren können.

Zetsu betrat die kleine Bar in einer Seitengasse. Verrauchte Luft und stimmungsvolle Klaviermusik empfing ihn. Trübes Licht ließ die traurigen Gestalten vergessen, wie erbärmlich sie sich normalerweise fühlten, in einer Ecke stand ein großer Flügel, an dem sich ein Pianist mit geschlossenen Augen seinem Spiel hingab.

Noch immer bewunderte Zetsu ihn dafür. Er konnte keinerlei Instrumente spielen oder sich gar einer solchen Leidenschaft rühmen. Wenn überhaupt, dann übte er das Kämpfen fast schon leidenschaftlich aus, aber es war keinerlei schöne Kunst so wie dieses Klavierspiel.

Er sah sich weiter um und entdeckte die gesuchte Person schließlich an der Bar sitzend, auf demselben Hocker wie bei seinem letzten Besuch. Spontan stellte er sich die Frage, ob sie überhaupt nach Hause gegangen war – und wie er bemerkte, ging es Nanashi ähnlich:

„Glaubt Ihr, sie wohnt hier?“

Ich glaube kaum. Schau, ihre Kleidung ist anders als zuvor. Sie hat sich also umgezogen.

„Stimmt...“

Geschlagen verstummte sie wieder.

Zetsu ging näher an die Frau heran, die sofort aufsah. Als sie ihn erkannte, lächelte sie verführerisch. „Ah, wenn das nicht der Silberjunge ist~ Na? Hat alles funktioniert wie es sollte?“

Betont lässig zog er den Gegenstand von vorhin aus seiner Tasche und legte diesen auf den Tresen. Es war ein oval geschnittenes goldenes Amulett an einer hauchdünnen Kette.

Die Frau nahm den Anhänger an sich und betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten. Ihr Gesicht hellte sich merklich auf. „Ah~ Genau das ist es. Du hast ihn wohl wirklich getötet, was?“

„Natürlich“, antwortete Zetsu tonlos. „Was hätte ich sonst tun sollen? Ihn freundlich bitten, mir den Gegenstand zu geben und so zu tun als wäre er tot?“

„So lustig wie immer.“

Sie kicherte leise. „Und was will mein Held jetzt als Belohnung?“

Demonstrativ streckte sie ihre Brust raus, so dass diese noch größer erschien als ohnehin schon.

Zetsu rollte mit den Augen, aber sie tat als würde sie das nicht bemerken. „Du kannst entweder mich haben und eine aufregende, unvergessliche Nacht erleben...“

Um ihre Aussage zu unterstreichen, zwinkerte sie ihm verführerisch zu, was er mit einem erneuten Augenrollen quittierte.

„Oder du nimmst mein langweiliges, ödes Geld, das du für absolute langweilige Dinge ausgeben kannst.“

Erwartungsvoll sah sie ihn an, in ihren Augen war eine seltsame Form von Hunger zu sehen.

Zetsu blieb von diesem Anblick völlig kalt. „Ich nehme Geld, danke.“

Sie wirkte leicht verärgert, versuchte es aber noch einmal mit ihren Reizen, indem sie sich diesmal vorbeugte, damit er besser in ihren Ausschnitt sehen konnte. Doch auch dieser Anblick brachte Zetsu nicht aus der Ruhe.

„Also, was willst du?“

„Das Geld“, erwiderte er trocken.

Ihr entfuhr ein genervtes Seufzen, als sie sich wieder aufrecht hinstellte. Sie griff in ihre Tasche und knallte ein Bündel Scheine, das sie daraus hervorzog, auf den Tresen.

„Erstick doch dran!“, knurrte sie, bevor sie mit dem Amulett in der Hand und hoch erhobenen Hauptes aus der Bar rauschte.

Nanashi sah ihr fragend hinterher, doch Zetsu kümmerte sich nicht weiter darum. Als ob nichts geschehen wäre, zählte er die Scheine durch, bis er schließlich feststellte, dass es die richtige Summe war und sie einsteckte.

„Hast du Hunger, Nanashi?“

Seine plötzliche Frage riss das Shinjuu aus ihren eigenen Gedanken. „Äh, was?“

Er lächelte warm, als sie ihn ansah, der absolute Kontrast zu seiner Gefühlskälte vorhin.

„Hast du Hunger?“, wiederholte er seine Frage sanft.

„Nein“, antwortete sie perplex. „Ihr wisst doch, dass Shinjuu nichts essen, Meister.“

Zetsu wandte sich dem Ausgang der Bar zu. „Vielleicht solltest du damit anfangen. Du verpasst ziemlich vieles, wenn du nichts isst.“

„Ich werde darüber nachdenken.“

Er verließ die Bar und betrat die Hauptstraße. Kaum setzte er einen Fuß darauf, wurden sie von Menschenmassen, lauten Geräuschen und grellen Lichtern umringt. Als ob jemand einfach einen Schalter umgelegt hätte.

Zetsu lächelte nach wie vor, während er zwischen den Leuten hindurchlief. Ihn schockierte diese Masse nicht, er schien es sogar regelrecht zu genießen, was Nanashi absolut nicht verstehen konnte. Aber das lag möglicherweise auch an der Tatsache, dass sie um einiges kleiner war als er, so dass ihr die Menschen umso größer vorkamen.

Erst als sie wieder in einen ruhigeren Bereich der Stadt kamen, entspannte das Shinjuu sich wieder. Zetsu steuerte direkt auf eine Ramenbude zu, die absolut fehl am Platz zu sein schien. Warmes Licht, so wie das Lachen vieler Menschen strömte daraus hervor und lud ihn geradezu dazu ein, sich dazuzusetzen und zu essen – was er auch sofort tat.

Obwohl er keinen der Gäste kannte, wurde er sofort herzlich empfangen und in die Gespräche eingebunden. Nanashi betrachtete ihn dabei interessiert. Obwohl er lächelte, lachte und scherzte, schien das nur eine aufgesetzte Fassade zu sein hinter der sich Gleichgültigkeit verbarg.

Sie wünschte, er würde das nicht tun, doch er hatte schon lange auf gehört, auf sie zu hören und ihr auch unmissverständlich klargemacht, dass sie auf ihn zu hören hätte und nicht umgekehrt.

Seitdem schwieg sie dazu.

Aus dem süßen kleinen Jungen von einst war ein arroganter eiskalter Jugendliche geworden. Hin und wieder wurde sein Verhalten von Phasen der Warmherzigkeit durchbrochen, aber er kehrte immer wieder zu seinem gleichgültigen Selbst zurück. Er sprach zwar immer wieder von Rache, doch langsam fragte Nanashi sich, ob in ihm nicht vielleicht einfach nur der Drang zum Töten erwacht war und ihn immer weiter nach vorne drängte.

Aber was sollte sie tun?

Sie war nur sein Shinjuu und hatte ihm zu gehorchen, komme was wolle.

Nach dem Essen bezahlte Zetsu und verließ mit einem letzten Gruß die Bude wieder.

„Was wollen wir jetzt tun, Meister?“

Nanashi schwebte wieder neben ihm und sah ihn gespannt an. Er dachte nach, während er weiterlief. „Ich glaube kaum, dass wir hier noch einen Bringer des Lichts finden. Wir sollten weiterziehen, sobald ich mich ausgeruht habe.“

Sie deutete eine Verbeugung an. „Sehr wohl, Meister.“

Er schenkte ihr noch einmal ein Lächeln, bevor seine Miene sich wieder verfinsterte. Wieder einmal trat er auf die belebte Straße, um sich seinen Weg zu einem Hotel zu bahnen, dort endlich in ein weiches Bett zu fallen und bis zum nächsten Morgen durchzuschlafen.

Spirit Corridor

Blaue Funken sprühten, als die beiden Schwerter aufeinander prallten. Der Silberhaarige sprang zurück, sein Gegenüber setzte ihm nach, konnte ihn aber nicht verletzen. Rutsuruji nutzte den Umstand und trat seinem braunhaarigen Gegner gegen den Arm. Mit einem Schrei ließ eine seiner Klingen fallen, die andere umklammerte er dafür umso fester.

„Jetzt haben wir Gleichstand, Jiruol“, bemerkte Rutsuruji schmunzelnd.

Der Braunhaarige schien das keineswegs lustig zu finden. Ohne ein Wort, aber mit vor Wut verzerrtem Gesicht, setzte er Rutsuruji wieder nach.

Der Silberhaarige wich immer wieder aus, ohne auch nur Anstalten für einen Gegenangriff zu machen.

„Veralberst du mich!?“, fauchte Jiruol. „Kämpfe wie ein Mann!“

Rutsuruji lachte. „Wenn du unbedingt willst.“

Seine Klinge traf auf die des anderen Gottes. Während Jiruol zur Seite wich, schrammten beide Schneiden aneinander, was erneute Funken entstehen ließ.

Sie sprangen wieder auseinander, nur um erneut aufeinander zuzustürmen. Schmerzen zuckten durch Rutsurujis Oberkörper. Er senkte den Kopf. Das Schwert, das durch seine Schulter gerammt war, wirkte unwirklich. Fast schon wollte er seine Hand danach ausstrecken, um sich von dem Vorhandensein des Metalls zu überzeugen. Doch der erneut Schmerz, als sich die Klinge plötzlich bewegte, überzeugte ihn von der Realität.

Sein Blick ging weiter zu Jiruol, durch dessen Schulter ebenfalls ein Schwert gerammt worden war. Er verzog das Gesicht, gab aber nicht einmal den kleinsten Laut von sich.

Ein lauter Aufschrei lenkte die Aufmerksamkeit beider Männer auf sich.
 

Zetsu öffnete schlagartig seine Augen. Er befand sich immer noch in seinem Hotelzimmer und nicht an dem Ort, den er eben noch in seinem Traum gesehen hatte.

Nanashi lag neben ihm, noch in den Schlaf vertieft. Lächelnd strich er ihr über das Haar, was sie mit einem genervten Handschlag quittierte.

Er richtete sich auf, um aus dem Fenster zu sehen. Sonnenlicht fiel durch einen Spalt im Vorhang, durch den Zetsu auch nach draußen sehen konnte. Gegenüber war ein Bürogebäude, in dem bereits eifrig gearbeitet wurde. Manchmal fragte Zetsu sich, ob den Menschen dort das Leben nicht zu langweilig wurde. Jeden Tag zum selben Arbeitsplatz, dieselbe Arbeit, dieselben Gesichter...

Er war sich sicher, dass er das nicht lange aushalten würde. Zetsu sehnte sich nach Abwechslung, neuen Welten, neuen Gegnern...

Aber vielleicht interessierte es diese Leute auch gar nicht so sehr. Immerhin kannte wohl keiner von ihnen etwas anderes als diese Welt oder gar das befreiende Gefühl, wenn man sah wie das Leben aus den Augen seines Gegners verschwand.

Nanashi regte sich und riss ihn damit aus den Gedanken. Fragend sah er auf sie hinunter. „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“

Gähnend richtete sie sich auf. „Sehr gut, danke. Und Ihr, Meister?“

„Auch sehr gut, danke.“

Er verzichtete darauf, ihr von seinem Traum zu erzählen. Es war eine Erinnerung aus seinem letzten Leben, dessen war er sich sicher, also musste er sein Shinjuu nicht damit belasten.

„Was tun wir heute, Meister?“

„Hast du so ein schlechtes Gedächtnis?“, fragte Zetsu. „Ich habe doch gestern erst gesagt, dass wir heute weiterziehen werden.“

Missbilligend runzelte sie ihre Stirn. „Aber was ist mit dem ganzen Geld, das Ihr dann noch habt? In der nächsten Welt werdet Ihr es nicht mehr verwenden können.“

Er zuckte nur mit den Schultern. „Ich gebe heute noch etwas davon aus... und dann verschenke ich es einfach.“

Nanashi hob verwundert eine Augenbraue. „Wenn Ihr das wollt.“

Weiterer Widerspruch wäre sinnlos gewesen, darum stimmte sie ihm einfach zu. Zetsu nickte bestätigend. „Also lass uns gehen.“

Zu Beginn seines letzten Tages in dieser Welt, genehmigte er sich ein ausgiebiges Frühstück noch im Hotel selbst. Selbst in den letzten fünf Jahren seiner Reise, hatte er nie so üppig gefrühstückt wie an diesem Tag. Die fragenden Blicke, die ihm die anderen Gäste zuwarfen, ignorierte er dabei völlig. Es kümmerte ihn nicht, was andere Leute dachten, auch nicht wenn es dabei nur um seine Kleidung oder sein Haar ging.

Die bewundernden Blicke, die seinem Haar zugeworfen wurden, war er ohnehin gewohnt, genauso das begeisterte Tuscheln hinter seinem Rücken, das oft verstummte, wenn er zur Quelle sah – nur um zu einem Kreischen zu werden, sobald er wieder den Kopf wandte.

Er war sich vollkommen bewusst, welche Wirkung er auf andere Leute hatte, nutzte dies aber nicht aus. Wozu auch? Er bekam auch auf andere Wege, was er sich wünschte.

Augenblicklich gehörte dazu nur Rache und die würde er über kurz oder lang bekommen, irgendwie.

Nach dem Frühstück und dem Bezahlen seiner gesamten Rechnung verließ Zetsu das Hotel. Während er die Straße entlanglief, musterte er das noch verbliebene Geld. Obwohl er nicht sonderlich sparsam gewesen war, war noch jede Menge übrig. Die Frau hing wohl sehr an dem Amulett, wenn sie so viel Geld für die Rückgabe bot. Aber warum und wie hatte dieser Kerl es ihr überhaupt abnehmen können?

Gerade als die Fragen erwachten, fiel ihm ein, dass er nicht mehr fragen konnte. Nicht nur, dass er nicht wusste, wo die Frau gerade war, er wollte sie auch nicht noch einmal treffen. Die beiden ersten Treffen waren für ihn schon zu viel gewesen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, warf Zetsu das Geldbündel in die geöffneten Hände eines Bettlers, der das Geld nur erstaunt mustern konnte.

Der Silberhaarige bog in eine unbelebte Seitengasse, wo er wieder stehenblieb. „Nanashi, wir brauchen einen Spirit Corridor.“

Das Shinjuu verließ seine Schulter. „Sehr wohl, Meister. Wohin als nächstes?“

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Ich habe keine Koordinaten mehr übrig. Such dir irgend etwas Schönes raus.“

Ihr Gesichtsausdruck verriet die fehlende Begeisterung, aber natürlich gehorchte sie. Das Shinjuu öffnete einen Korridor, an den Zetsu inzwischen so sehr gewohnt war, dass er nicht mehr so fasziniert davon war wie am Anfang.

Mit sicherem Schritt trat er durch das Portal, das sich hinter ihm schloss. Wirbelnde Farben bewegten sich spiralförmig um ihn und die Äste des Zeitbaums, durch den er sich bewegte. Dichte Nebelmassen verhinderten einen Blick auf die Welten, die sich entlang des Korridors befanden, aber nicht sein Ziel waren. Immer wieder wechselten die Farben dieser Welt, von einem dunklen rosa zu einem hellen Blau, einem mysteriösen Lila und wieder zu rosa, bevor sich die Spirale wiederholte.

Keine Geräusche waren zu hören. Anfangs hatte Zetsu geglaubt, sie würden nur nicht existieren, aber inzwischen wusste er es besser. Das einzige, was immerzu zu vernehmen war, war ein seltsames Rauschen, das er nirgends einordnen konnte.

Wie durch Wasser schwebte er durch diese Welt, unfähig, seinen Körper zu bewegen. Hin und wieder erhaschte er durch den Nebel einen Blick auf andere Welten. Solche, die ähnlich wie die eben Verlassene waren und auch solche, die ganz anders, aber dafür um einiges friedlicher zu sein schienen.

Doch sein Herz zog ihn zu keinem dieser Orte. Nirgends wollte er hinreisen, überall vermisste er seine Heimat, die Wüste, die noch tief in seinem Inneren verankert war, seine Familie...

In aller Eile verwarf er den Gedanken wieder. Dafür war keine Zeit, er musste die Augen offenhalten, auch wenn er nicht glaubte, dass ihm in dieser Umgebung etwas geschehen würde.

Nanashi begleitete ihn bei dieser Reise wie gewohnt nicht. So wie er es verstanden hatte, war sie ein Wesen aus Mana, weswegen sie in diesem Umfeld, das aus purem, ungefilterten Mana bestand, nicht existieren konnte. Falls sie es doch riskieren und erscheinen würde, bestand die Gefahr, dass sie sich auflösen und mit dem hiesigen Mana verschmelzen würde. Ein Risiko, das Zetsu unter keinen Umständen eingehen wollte. Nicht nur weil sie seine einzige Gefährtin war, sondern auch, weil er sie noch brauchte. Für seine Rache brauchte er sein Shinken und sein Shinjuu – außerdem war er sich nicht sicher, ob ein Shinken ohne Shinjuu überhaupt existieren konnte.

Während Zetsu durch das Mana schwebte, drang plötzlich eine Stimme an sein Ohr. Mit spöttischem Klang summte sie ein Lied, das durch die Wellen der magischen Materie zu ihm getragen wurde.

„Wer ist das?“

Seine eigene Stimme hallte lediglich in seinem Kopf. Diese Umgebung war nicht dafür geschaffen, Geräusche zu transportieren. Also woher kam das Summen?

Zetsu wandte den Kopf nach allen Seiten, entdeckte aber nichts. Das Summen stoppte darauf, stattdessen hörte er ein leises Kichern. Er versuchte, nach seinem Shinken zu greifen, doch wie jedes Mal in diesem Korridor schaffte er es nicht, mehr als seinen Kopf zu bewegen.

Etwas huschte vor ihm vorbei, doch es war zu schnell für seine Augen.

Verdammt! Was ist das?!

„Seid vorsichtig, Meister!“

Normalerweise hätte er auf ein Shinjuu getippt, doch da diese in diesem Umfeld nicht existieren konnten, fiel das raus. Außer es war ein besonderes Shinjuu. Aber was sollte es hier wollen?

Noch einmal hörte er ein Lachen. Sein Blick ging zur anderen Seite, aber noch immer war nichts zu sehen.

Ich...

Bevor er den Gedanken beenden konnte, spürte er plötzlich eine Druckwelle, die seinen Körper erfasste und nach hinten riss. Der Korridor schien Risse zu bekommen, wie gesprungenes Glas. Der Nebel lichtete sich, so dass er eine Welt sehen konnte, die mit Wolkenkratzern zugepflastert zu sein schien, genau wie die zuvor.

Was würde geschehen, wenn der Korridor zerbrechen würde? Ging das überhaupt?

Erneut versuchte er, mit verzweifelten Bewegungen wieder in die Mitte des Korridors zu kommen, damit er nicht aus erster Hand erfahren würde, was geschehen könnte.

Noch einmal hörte er dieses Kichern, gefolgt von einer weiteren Druckwelle, die ihn gegen eine Wand schleuderte. Er hörte ein lautes Klirren, bevor ein neues Rauschen auf seinen Ohren lastete.

Zetsu wandte den Kopf und kniff gleichzeitig seine Augen wegen des Windes zusammen. Die Welt rauschte an ihm vorbei, während er buchstäblich vom Himmel fiel.

„NANASHI!“

Der Wind schien seine Worte zu verschlucken, das Shinjuu erschien nicht, hörte ihn aber dennoch.

„Meister, haltet Euch die Arme über den Kopf, schnell!“

Zetsu hörte auf ihren Rat, gleich darauf entstand ein Schutzschild um ihn herum. Ein Schild, das ihm letztendlich wohl das Leben rettete.

Im nächsten Augenblick prallte er hart auf der Wasseroberfläche auf. Der Schutzwall aus Mana dämpfte den Aufschlag, der dennoch heftig genug war, dass Zetsu das Bewusstsein verlor. Vor seinen Augen wurde alles schwarz, so dass er nicht mehr sah, wie er immer tiefer und tiefer dem Grund entgegen sank.
 

Die beiden Männer blickten den Ursprung des Kreischens an.

Es war eine junge, schwarzhaarige Frau, die ungläubig auf die beiden Verletzten starrte.

„Jiruol!“

Ihr Schrei ging Rutsuruji durch Mark und Bein, so dass er automatisch zurückfuhr. Dabei wurden beide Klingen aus den Körpern gezogen, Mana strömte mit hervor.

Sie hastete zum Jiruol hinüber, der sich eine Hand auf seine Verletzung drückte. Rutsuruji wich noch ein wenig weiter zurück, ohne sich seine Wunde zu halten.

Die Frau wandte ihm den Kopf zu. Wut lag in ihrem finsteren Blick. „Du hast Jiruol verletzt!“

„Das sehe ich selbst“, erwiderte er kühl zu ihr.

Er sah wieder Jiruol an. „Um dich kümmere ich mich ein andermal. Für heute lasse ich dich leben.“

Der Braunhaarige schnaubte. „Das ist mein Text!“

„Wie auch immer.“

Rutsuruji öffnete einen Spirit Corridor hinter sich. „Bis zum nächsten Mal!“

Damit fuhr er herum und ging durch das Portal hindurch – egal, wo es ihn hinführen würde.

Der Todesengel

Mit dem Erwachen kam auch der Schmerz wieder. Jeder einzelne Muskel schrie geradezu, als ob sein ganzer Körper in Flammen stehen würde. Stöhnend öffnete er seine Augen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er solche Schmerzen, bislang hatte er nicht einmal gewusst, dass so etwas überhaupt möglich war.

Schritte erklangen. Kurz danach beugte sich jemand über ihn. „Du scheinst wieder wach zu sein.“

„Leider.“

Sein Blick war noch verschwommen, weswegen er das Gesicht nicht erkennen konnte. Allerdings konnte er sehen, dass sich ein Grinsen darauf ausbreitete. „Besser lebendig mit Schmerzen als tot, mhm?“

„Darüber lässt sich streiten.“

Mit zusammengebissenen Zähnen richtete er sich auf. Der Mann neben ihm schmunzelte. „Scheinst ja ein ganz zäher Bursche zu sein.“

Zetsu warf einen Blick umher, als sich dieser wieder klärte. Offenbar befand er sich in einer Hütte, die mit allerlei Utensilien zum Fischen vollgestellt war. Das einzige Licht wurde von einer trüben Öllampe gespendet. „Wo bin ich?“

„In meinem Zuhause.“

Es war ein älterer Mann, dessen Haare und Bart bereits grau geworden waren. Zetsu schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich meine, in welcher Stadt.“

Der Mann nannte ihm einen Namen, der ihm gänzlich unbekannt war. Dennoch ließ er sich nichts anmerken. „Verstehe, danke. Was ist... geschehen?“

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Wenn ich das wüsste. Ich habe dich leblos im Fluss treibend gesehen. Dachte schon, du überlebst das nicht. Aber wie gesagt: Bist ein zäher Bursche.“

Zetsu nickte zustimmend. „Ja, das war ich schon immer.“

Der Blick des Mannes blieb fest auf ihm fixiert, selbst als Zetsu sein Gesicht wieder abwandte und woanders hinsah. Der Silberhaarige sah den Mann wieder an. „Was ist los?“

Er schüttelte den Kopf. „Oh, gar nichts.“

Für eine Weile wurde die Hütte von Schweigen erfüllt, bevor der Mann weitersprach: „Es mag sich unhöflich anhören, aber ich möchte, dass du meine Hütte sofort verlässt, wenn es dir wieder besser geht.“

Zetsu nickte. Einen anderen Plan hatte er ohnehin nicht gehabt. Immerhin bestand die Gefahr, dass der gesuchte Lichtbringer sich immer weiter von ihm entfernte, je länger er irgendwo blieb.

Der Mann nickte ebenfalls, deutlich zufrieden mit der Antwort.

Der Silberhaarige schwang seine Beine über die Bettkante und ließ sich seine inzwischen getrockneten Sachen geben. Er hatte zwar nicht geplant, in diese Welt zu kommen, aber wenn er schon hier war, konnte er auch nach Spuren eines Lichtbringers suchen. Vielleicht hatte er ausnahmsweise Glück.

Kaum war Zetsu angezogen, verließ er die Hütten nach einem letzten Dank und einem knappen Gruß. Er konnte gerade noch die Tür hinter sich schließen, als diese auch schon abgeschlossen wurde, was er mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.

„Ein sehr seltsames Verhalten“, kommentierte die erscheinende Nanashi.

Zetsu wandte sich ihr zu. „Weißt du, was geschehen ist?“

„Etwas hat uns aus dem Spirit Corridor geschleudert“, erklärte sie sofort. „Hier seid Ihr direkt aus dem Himmel in einen Fluss gestürzt. Ihr konntet überleben, weil Ihr ein Shinken habt. Es wundert mich ein wenig, dass die Schmerzen so schnell verflogen sind.“

Erst bei ihrem letzten Satz fiel ihm das wieder ein. Probeweise bewegte er seine Arme, aber seine Muskeln schmerzten tatsächlich nicht mehr. „Das wundert mich jetzt auch ein wenig... aber es ist auch gut, nicht?“

Sie nickte bestätigend. Er lächelte kalt. „Gut, dann wollen wir uns mal umsehen.“

Direkt vor der Hütte verlief ein mehrere Meter breiter Fluss, über den eine massive Brücke aus Beton führte. Auf beiden Seiten des Gewässers waren riesige Wolkenkratzer mit Werbebotschaften zu sehen, genau wie in der Welt zuvor. Nur wenige Schritte vom Fluss entfernt, fuhren Autos auf belebten Straßen, Menschen liefen umher, teilweise geschäftig, teilweise gelassen, jeder mit einem mehr oder weniger festem Ziel vor den Augen.

Zumindest in dieser Welt brauchte er sich nicht großartig anzupassen, so schien es ihm. Zetsu beschloss, sich unter die Menschen zu mischen. Durch Klatsch und Tratsch erfuhr man oft das meiste über die Lichtbringer.

Doch kaum setzte er einen Fuß zwischen die anderen, wechselten die sorglosen Gesichter zu besorgten Grimassen, jeder versuchte einen möglichst großen Bogen um ihn zu machen.

Zetsu blieb stehen und beobachtete diese Entwicklung verwirrt. Nanashi neigte den Kopf. „Wie seltsam. Es sieht so aus als ob die anderen Angst vor Euch hätten.“

„So kommt es mir auch vor... dabei war ich hier noch nie zuvor. Meinst du, es hat etwas mit Rutsuruji zu tun?“

„Möglich wäre es“, stimmte sie zu. „Gehen wir weiter?“

Er nickte und lief weiter. Ohne dass er etwas tun musste, teilte sich die Menge vor ihm, so dass er bequem hindurchspazieren konnte. Allerdings blieben seine Gedanken bei der Frage, weswegen die Leute ihn so sehr mieden. Auch wenn er mit dem Gott als Ausrede gekommen war, so glaubte er nicht wirklich daran. Rutsuruji war seit vielen Jahren tot, aber hier wichen ihm alle ohne jeden Unterschied, egal welchen Alters aus. Er war sich sicher, dass einige das nicht tun würden, wenn er nur Teil einer Legende oder eines Glaubens wäre.

Also musste die Bedrohung durch ihn um einiges realer und vor allem allgegenwärtig sein.

Ein Mann, der scheinbar mit seinem Handy beschäftigt war, wich ihm nicht aus, sondern lief direkt in ihn hinein. Bei dem Zusammenprall fiel dem Mann das Handy allerdings aus der Hand. Wütend sah er Zetsu an – und wich ängstlich zurück. Untertänig verneigte der Mann sich. „Oh, bitte, verzeiht. Ich wollte nicht Euren Zorn erregen.“

Der Silberhaarige neigte den Kopf. „Meinen Zorn?“

Inzwischen waren die Menschen um sie herum in einem Kreis stehengeblieben und beobachteten diese Begegnung interessiert und mit Furcht in den Gesichtern.

Sich langsam nach hinten bewegend, verneigte der Mann sich immer wieder. „Die neue Haarfarbe steht Euch ausgezeichnet. Und die Kontaktlinsen lassen Euch gar nicht mehr so blutrünstig erscheinen. Eine gute Entscheidung, mein Herr.“

„Wovon redest du?“, fragte Zetsu genervt.

„Oh, bitte, bringt mich nicht um! Ich habe Frau und Kinder!“

Der Silberhaarige hob die Hand, um ihn zu beruhigen, doch stattdessen fuhr der Mann herum und rannte panisch schreiend davon. „A-aber ich wollte doch nur...“

Zetsu wandte seine Aufmerksamkeit auf die Umstehenden zu, die sich ängstlich sofort wieder in Bewegung setzten und hastig weitergingen als wäre nichts geschehen.

„Verstehst du das, Nanashi?“

Sie schüttelte langsam ihren Kopf. „Nicht im Geringsten. Das einzige, was ich verstehe ist, dass Ihr einem blutrünstigen Mann dieser Welt ähnlich seht.“

Das erklärte immerhin auch, warum sein Retter ihn so schnell aus seiner Hütte haben wollte. Er musste gewusst haben, dass Zetsu nicht der richtige Böse war, hatte sich aber vor eben diesem gefürchtet. Wer wusste schon, was der Kerl tun würde, wenn er mitbekam, dass irgendwo in dieser Welt ein Doppelgänger von ihm herumspazierte?

„Nett“, bemerkte er trocken. „Denkst du, das kann ich ausnutzen, um etwas zu essen zu bekommen?“

„Meister!“, empörte sein Shinjuu sich.

Er lachte. „Schon gut, das war ein Witz. Mich interessiert allerdings, wer dieser Kerl ist. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der aussieht wie ich.“

Nanashi lächelte. „Mich interessiert es allerdings auch, wenn ich ehrlich bin. Wir sollten herausfinden, wo er ist und ihn uns mal ansehen.“

„Dann machen wir das“, sagte er lächelnd.

Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich wieder richtig enthusiastisch und neugierig wie ein Kind. Auch wenn eine Begegnung mit diesem Mann nicht sonderlich erfreulich sein dürfte, wenn er wirklich so blutrünstig war wie dieser Fremde eben gesagt hatte. Allerdings fürchtete Zetsu sich nicht davor, im Gegenteil: Diese Nachricht sorgte nur dafür, dass er noch mehr darauf brannte, seinem Doppelgänger persönlich zu begegnen.

Nur wie sollte er herausfinden, wo dieser lebte, wenn ihm jeder bei seinem Anblick bereits auswich und nicht einmal bereit war, auf seine Fragen einzugehen?

So lief er ziellos weiter, erhoffte sich, Gesprächsfetzen aufzufangen, die ihm einen Hinweis auf den Aufenthaltsort dieses Mannes gaben. Doch jeder wisperte nur ängstlich über die neue Haarfarbe und die Kontaktlinsen – wenngleich Zetsu nicht einmal wusste, was das überhaupt sein sollte.

Es schien ihm als würde er stundenlang im Kreis laufen, bis er schließlich auf einen Mann in Uniform traf, der hastig salutierte. „Sir, alles ruhig, Sir!“

„Ähm... okay?“

Zetsu sah ihn unschlüssig an. Der Soldat schluckte schwer. „Eure neue Frisur sieht wirklich gut aus, Herr und die Kontaktlinsen unterstreichen Euren neuen Stil perfekt – wenn ich das sagen darf.“

„Danke...“

Der Silberhaarige zögerte einen Moment. „Ich scheine heute nicht ganz bei mir zu sein. Wo lebe ich nochmal?“

Entgegen Zetsus Befürchtung schöpfte der Soldat keinerlei Verdacht, sondern deutete in eine bestimmte Richtung. „Einfach dort hinüber, über die Hauptstraße und Ihr werdet es sofort sehen. Es ist das größte Gebäude in dem Viertel.“

„Vielen Dank.“

Zetsu ging weiter. Dabei hörte er hinter sich, wie der Soldat sich mit einem Kameraden darüber unterhielt, dass der Chef seinen neuen Stil wohl mit einem neuerlichen Umtrunk gefeiert hätte.

Ich bin gespannt darauf, diesen Kerl mal zu treffen.

„Und ich erst.“

Er folgte den Anweisungen des Soldaten, bis er tatsächlich ein protziges Gebäude vorfand, das bis hoch in den Himmel ragte. Im Vergleich zu den Hochhäusern in einem anderen Viertel der Stadt war es zwar eher mickrig, aber es schien extra in einer Gegend mit ansonsten kleineren Gebäuden gebaut worden zu sein, um dennoch hervorzustechen. Nicht zuletzt durch ein großes leuchtendes Schild, auf dem Zeichen zu sehen waren, die in vielen Welten als asiatisch bezeichnet wurden.

Zetsu neigte den Kopf. Er deutete auf die Zeichen, die auf dem Haus zu sehen waren. „Was bedeuten die?“

Nanashi runzelte ihre Stirn. „Nun, ähm...“

„Aber das lernt doch jeder“, bemerkte eine Stimme neben Zetsu plötzlich.

Erschrocken wandte er den Kopf und entdeckte einen kleinen Jungen, der ihn mit großen Augen ansah. Als einziger in dieser Welt schien er keinerlei Furcht vor ihm zu haben. Zetsu kniete sich vor den Jungen.

„Kannst du mir dann sagen, was sie bedeuten?“, fragte er lächelnd.

Der Junge nickte, sein Gesicht strahlte geradezu. „Da steht Akatsuki Cain. Er ist ein furchterregender Mann, dem dieses Haus gehört.“

„Warum ist er so furchterregend?“, fragte Zetsu neugierig.

Akatsuki? Genau wie mein Name. Lediglich sein Vorname ist anders.

Nachdenklich legte der Junge einen Finger an seinen Mund. „Nun, meine Mama sagt, er lässt Leute verschwinden, die er nicht mag. Deswegen nennen ihn alle Engel.“

Nanashi sog erschrocken die Luft ein. „Das bedeutet ja...!“

Der Junge sah das Shinjuu an, sofort strahlte sein Gesicht wieder. „Wo kriege ich so eine Puppe her? Die ist ja toll!“

Zetsu musste nichts mehr darauf antworten, denn plötzlich tauchte eine verhuscht aussehende Frau auf, die den Jungen hastig mit sich zog. Dabei schärfte sie ihm ein, nicht mehr mit Fremden zu sprechen oder einfach davonzulaufen.

Fast schon betrübt sah Zetsu ihm hinterher, bis er sich Nanashi zuwandte. „Was würde das bedeuten?“

„Sie hat dem kleinen Jungen erzählt, dass er Menschen verschwinden lässt, was bedeutet, dass er diese umbringt. Darum haben alle Angst vor ihm. Er ist ein richtiger Todesengel.“

Der Enthusiasmus machte Nachdenklichkeit Platz. Aber sein Entschluss, diesen Mann zu treffen, geriet nicht im Mindesten ins Wanken. Sogar im Gegenteil. Nun wollte er ihn umso mehr treffen, um sich nicht nur selbst ein Bild von ihm zu machen, sondern ihn womöglich sogar aufzuhalten, wenn es sein musste.

Nanashi merkte, was in ihm vorging und lächelte. „Wollen wir gehen, Meister?“

Er nickte zustimmend und überquerte die Straße. Als er die Eingangstür hinter sich ließ, entdeckte er mehrere Kameras, die ihn von der Decke aus beobachteten. Mit Mühe kämpfte er den Drang nieder, zu winken, stattdessen trat er an den Empfangsschalter, der genau wie der Boden und die Wände aus massivem Granit zu sein schien.

Die Frau hinter dem Schalter – eine wahnsinnig junge Frau mit strohblondem Haar – lächelte nervös. „Wie kann ich helfen?“

„Ich hätte gern einen Termin bei Akatsuki-sama“, sagte er lächelnd.

Da sie als bislang einzige zu wissen schien, dass er nicht der sogenannte Engel war, versuchte er es einfach mal auf diese Art und Weise. Vielleicht würde sein Charme ja wirken.

Sie senkte den Blick als ob sie auf den Bildschirm ihres Computers sehen würde und druckste um die Antwort herum. Zetsu schien es eine Ewigkeit, bis schließlich das Telefon klingelte und der Empfangsdame so die Antwort abnahm. Sie sagte nichts, sondern lauschte der Stimme am anderen Ende nur. Grußlos legte sie wieder auf, ihr Blick um einiges gefestigter. „Akatsuki-sama erwartet Euch bereits. Nehmt bitte den Aufzug in den dreißigsten Stock.“

Zetsu nickte und begab sich in die Richtung, die ihm von der Frau gewiesen worden war. Aufzüge hatte er bislang immer nur beobachtet, noch nie war er mit einem gefahren. Bislang war ihm die Möglichkeit nicht vergönnt gewesen, so dass er die Maschinen nur argwöhnisch von außen betrachten konnte.

Dies würde das erste Mal sein, dass er wirklich mit einem solchen Ding fahren würde. Es machte ihn ein wenig nervös, aber er versuchte wie üblich, sich nichts anmerken zu lassen. Dafür war nun immerhin keine Zeit.

Als er wieder an den Mann dachte, der ihn oben erwarten würde, wurde seine Nervosität erneut von Neugierde verdrängt. Er wurde also von ihm erwartet... hoffentlich war das keine Falle, in die er gerade blind hineintappte.

Nanashi klopfte ihm zuversichtlich auf die Schulter. „Nur keine Sorge, Meister, Ihr schafft das schon. Habt keine Angst.“

Er nickte zustimmend. Mit einem leisen Klingeln öffneten sich die Aufzugtüren. Der Boden war mit Marmorplatten, passend zum Eingangsbereich, ausgelegt, die Wände bestanden aus Spiegeln. Es war Zetsu als könne er einen dunklen Schatten hinter sich schweben sehen. Doch als er den Kopf wandte, war nichts zu sehen.

Er zuckte mit den Schultern und betrat die kleine Kabine. Auf einem Display neben der Tür war eine lächerlich große Anzahl an Knöpfen befestigt. Warum brauchte dieser Kerl so viele Etagen? Was gab es in diesem Gebäude?

Schließlich drückte er den Knopf für das dreißigste und höchste Stockwerk. Lautlos schlossen sich die Türen wieder, der Aufzug setzte sich in Bewegung.

Zetsu spürte einen leichten Druck auf seinem Ohr, während er auf einem Display oberhalb der Tür beobachtete, wie sich die Ziffern veränderten – bis sie schließlich bei 30 stehenblieben, begleitet von einem erneuten Klingeln.

Zetsu atmete noch einmal tief durch. Die Türen fuhren auseinander und gaben den Blick auf ein riesiges Büro frei. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst von der riesigen Glasfront hinter einem ausladenden Schreibtisch angezogen. Von hier aus schien man die ganze Stadt überblicken zu können.

Wie hypnotisiert trat Zetsu aus dem Aufzug, hinter ihm schlossen sich die Türen wieder. Zuletzt fiel sein Blick auf die Person hinter dem Tisch. Abgesehen von den schwarzen Haaren und den roten Augen schien er eine exakte Kopie von ihm selbst zu sein. Unwillkürlich fuhr ihm ein Schauer über den Rücken.

Der Schwarzhaarige lächelte kalt. „Herzlich Willkommen in meinem Reich, Zetsu Akatsuki. Mein Name ist Cain Akatsuki, wie schön, dass du mich besuchen kommst. Lass uns etwas Spaß haben.“

Die dunkle Seite

Zetsu ging in Abwehrhaltung. „Was meinst du damit?“

Cain stand auf und schritt elegant um den Tisch herum. Seine Hand lag dabei locker auf dem Griff seines Schwertes. Selbst die Waffe schien eine Kopie von Zetsus Shinken zu sein.

Das kalte Lächeln auf dem Gesicht des Schwarzhaarigen erlosch nicht. „Du hast keinerlei Ahnung, wer ich bin, oder?“

„Nein“, antwortete Zetsu.

Nanashi schüttelte ebenfalls mit dem Kopf. „Also warum sagst du es uns nicht einfach?“

Cain lachte humorlos. „Fein.“

Er blieb wieder vor dem Silberhaarigen stehen. „Ich war einmal ein Teil von dir.“

Die Stimme, mit der er das sagte, war vollkommen tonlos als ob er nur über das Wetter plaudern würde, weswegen es eine Weile dauerte, bis die Informationen bei seinem Gegenüber ankamen.

Überrascht hob Zetsu eine Augenbraue. „Was?“

Davon müsste ich doch etwas wissen, oder?

„Nun, genauer gesagt war ich ein Teil von Rutsuruji. Du weißt schon, dem netten Gott, dessen Wiedergeburt du bist. Dummerweise ist er nach seinem Tod... zersplittert.“

Das Wort hallte in Zetsus Innerem nach. Zersplittert... wie hatte das geschehen können?

War es eine Vorsichtsmaßnahme gewesen?

Eine freiwillige Handlung des Gottes?

Eine Handlung von außen, die auch Rutsuruji ein Dorn im Auge gewesen war?

„Er lügt!“, zischte eine Stimme in seinem Inneren, doch er schenkte ihr keine Aufmerksamkeit.

„Weswegen?“, hakte Zetsu nach.

Cain runzelte seine Stirn als ob er erst darüber nachdenken müsste. Der Silberhaarige war sich allerdings vollkommen sicher, dass er die Antwort bereits wusste und ihn nur zappeln lassen wollte.

„Eine gute Frage“, sprach er schließlich weiter. „Ich kann es dir auch nicht erklären, aber er zersprang in drei Teile. Körper, Macht und Wille. Du, mein Kleiner, bist sein Körper. Der Rutsuruji in dir ist sein Wille, so konnte dein Orichalcum-Namen erwachen – und ich bin die Macht.“

Das Konzept verwirrte Zetsu und warf ihn aus der Bahn. Er war also nur ein unvollständiges Fragment von etwas Größerem? Und... dieser Todesengel gehörte ebenfalls dazu?

Aber da war noch etwas, was nicht stimmig war.

„Warum hast du dann aber einen eigenen Körper?“, fragte Zetsu weiter. „Wenn du nur die Macht bist, dürftest du doch gar keinen Körper haben.“

Cain schmunzelte. „Gar nicht mal so dumm, mein Kleiner. Es stimmt, ich dürfte eigentlich keinen eigenen Körper haben – aber dieser hier gehört auch gar nicht mir.“

Er lachte schallend. „Ich habe mir diesen Körper genommen, da sein vormaliger Besitzer ihn ohnehin nicht mehr brauchte. Jahrelang bin ich ohne jede Form umher geirrt – bis ich diesen sterbenden Jungen traf. Ich nahm mir seinen nutzlos gewordenen Körper und formte ihn nach meinen Vorstellungen.“

Sein zufriedenes Grinsen enthüllte eine Reihe schneeweißer, scharfer Zähne.

„Ich nehme an, dass Rutsurujis Wille dasselbe mit dir getan hat, sonst könnte er nicht in dir sein.“

„Lügner!“, zischte die Stimme noch einmal.

Zetsu dachte an seine Albträume zurück. Waren dies nur ein Zeichen des Willens gewesen, dass er nun da war? Wollte er damit seinen Körper übernehmen?

Aber warum hatte es dann so lange gedauert, bis es zu einem tatsächlichen Versuch gekommen war?

Je mehr er darüber nachdachte desto komplizierter und verworrener wurde die Sache für Zetsu.

Doch die Verwirrung wich schnell einer Erkenntnis: Wenn er Cain in sich aufnehmen würde, wäre er wieder vollständig und könnte so mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Rache vollführen.

Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Und was willst du nun tun, Cain?“

„Dasselbe, was du vorhast“, antwortete der Schwarzhaarige. „Ich werde wieder eins mit dir werden. Aber nicht so wie du es dir wünschst.“

Er zog sein Schwert, Zetsu imitierte die Bewegung. „Es läuft wohl auf einen Kampf hinaus.“

Nanashi schwebte von der Schulter des Silberhaarigen. Nervös blickte sie zwischen den beiden hin und her. Cains Klinge gab ein leicht violettes Glühen von sich, aber es schien kein Shinken zu sein, lediglich ein mit Magie verstärktes Schwert.

„Ihr wollt hier drinnen kämpfen?“, fragte das Shinjuu.

„Besseren Vorschlag, Zwerg?“, erwiderte Cain abfällig.

Er hatte noch nicht einmal seinen Mund geschlossen, als Zetsu sich bereits auf ihn stürzte. Mit einem überraschten Aufschrei sprang Cain zurück, gleichzeitig riss er sein Schwert hoch. 'Gyouten' prallte direkt darauf, schaffte es aber nicht, die fremde Klinge zu zerbrechen.

Begleitet von einem irren Lachen, warf Cain seinen Angreifer zurück. Zetsu prallte mit dem Rücken gegen die Aufzugtüren, die Luft wurde schlagartig aus seinen Lungen gepresst. Panisch schnappte er nach Sauerstoff, ohne Zeit dafür zu haben. Cain setzte ihm bereits nach, Zetsu wich aus.

Wie ein Messer durch weiche Butter, ging das Schwert durch das Metall, einen tiefen Riss hinterlassend. Nanashi wollte sich gar nicht ausmalen, wie es aussehen würde, wenn die Klinge ihren Meister aufspießte.

Noch während Cain seine Waffe wieder aus der Tür zog, griff Zetsu ihn erneut an. Um 'Gyouten' auszuweichen, sprang Cain aus dem Stand heraus in die Luft. Er landete auf der Klinge und holte mit dem Fuß aus, um seinem Gegner ins Gesicht zu treten.

Zetsu reagierte schneller. Schlagartig senkte er die Klinge um neunzig Grad, worauf Cain unsanft zu Boden fiel. Der Schwarzhaarige fluchte lautstark.

Der Shinkenträger ging einige Schritte rückwärts, sein Gegner sprang mühelos wieder auf die Füße.

„Gar nicht schlecht“, urteilte Cain, während er sich imaginären Dreck von der Schulter wischte. „Du überlebst bislang länger als meine bisherigen Opfer.“

„Was macht dich so sicher, dass ich dein Opfer werde?“

Statt einer Antwort griff Cain ihn wieder an. Zetsu hob sein Shinken vor sich, sein Angreifer prallte direkt gegen das aufgebaute Schutzschild, ein hässliches Knacken erklang. Nanashi lief ein Schauer über den Rücken, als sie das Blut aus Cains Nase fließen sah.

Der Verletzte lachte nur. „Interessant. Ich habe ganz vergessen, wie viel Macht in so einem Shinken steckt. Aber kann es dich auch davor retten?“

Zetsu hörte gerade noch das letzte Wort, als er plötzlich von einer Druckwelle erfasst und nach hinten geschleudert wurde. Bei seinem Zusammenstoß mit der Fensterfront, entstand nicht nur ein verdächtiges Knirschen, sondern auch ein langer Riss in der Mitte des Glases, der sich fein verästelt über die ganze Scheibe zog.

Cain hob eine Hand und ballte diese zur Faust. „Dies ist nur ein kleiner Teil von Rutsurujis Macht. Sobald alle drei Fragmente wieder vereint sind, wird diese Macht um ein Vielfaches anwachsen und ich werde in der Lage sein, endlich über diese ganze, lächerliche Welt zu herrschen.“

„Ist das alles, was du willst?“, fragte Zetsu, während er sich wieder aufrichtete.

Das leichte Schmunzeln in seinem Gesicht, verriet Nanashi, dass er im Moment nicht ganz bei sich war. „Wie erbärmlich. Du willst die Fähigkeiten eines Gottes nur dafür verwenden, über eine unbedeutende Welt zu herrschen, wenn du den ganzen Zeitbaum haben könntest?“

Cains Entschlossenheit geriet ins Wanken. Er war die Macht, er sehnte sich offensichtlich danach, diese auch auszuüben, falls nötig mit Gewalt. Je mehr desto besser. Die Aussicht, den gesamten Zeitbaum zu beherrschen und damit zu zeigen, dass man das machtvollste Wesen in eben diesem war, war so verlockend, dass er für einen Moment sogar vergaß, dass sein aktueller Kampf noch nicht vorbei war.

Zetsu nutzte die Gelegenheit. Er preschte vor, seine Konturen verschwammen, bis er schließlich im Nichts verschwand.

Diese Aktion holte Cain wieder in die Realität zurück. Hektisch sah er sich um. „Verdammt! Wo bist du hin!? Das ist ein mieser Trick!“

Der Silberhaarige erschien hinter ihm wieder. Gerade rechtzeitig fuhr Cain wieder herum, um dem Angriff auszuweichen. Doch die nachträgliche Schockwelle schleuderte diesmal ihn in Richtung Fenster – das unter dem zweiten Zusammenprall nachgab und zersplitterte.

Zetsu lockerte seine Haltung, er schmunzelte wieder. „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt.“

Erleichtert schwebte Nanashi zu ihm hinüber. „Das war großartig, Meister! Ich bin von Euren Fähigkeiten überwältigt!“

Gespielt verlegen winkte er ab. „Das war doch gar nichts...“

Er wollte noch etwas sagen, hielt aber inne. „Wie seltsam...“

„Was ist, Meister?“

Nachdenklich sah Zetsu auf das ehemalige Fenster. Die kalte Nachtluft erfüllte das Büro, Windstöße brachten die Unterlagen auf dem Tisch durcheinander und spielten mit Zetsus Haar.

„Ich habe diesen Kerl getötet, also müsste er ein Teil von mir werden, oder?“

Nanashis Augen weiteten sich. „Ja, das müsste so sein.“

Beide zogen gleichzeitig denselben Schluss.

Vorsichtig trat Zetsu an den Rand des Raumes und sah hinunter. Er fluchte leise, als er seinen Verdacht bestätigt fand. Unzählige Meter unter ihm, gab es ein lädiert aussehendes Vordach, auf dem ein erschöpfter Cain saß und atemlos nach oben sah. Zetsu wusste nicht, woher er so genau wusste, in welcher Verfassung sein fehlendes Fragment war, aber er machte sich auch keine weiteren Gedanken darum.

Kurzentschlossen stürzte er sich ebenfalls hinunter. Sein Kopf war wie leergefegt, sein Körper handelte von allein, als seine Füße sich der Außenfassade anpassten und er an dieser hinunterrannte.

Bislang kannte er solche Aktionen nur aus Filmen, die in den von ihm besuchten Welten gezeigt wurden, er hätte nie gedacht, dass es wirklich funktionieren würde – doch im Moment tat es das, wenngleich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nur durch die Unterstützung des Shinken, das immer heller glühte, je mehr Macht er davon für sich zu Hilfe zog.

Binne weniger Sekunden war er unten angekommen, schlitternd kam er auf dem Vordach zum Stehen. Der Schwung seiner wagemutigen Aktion beförderte ihn fast über den Rand hinaus.

Cain richtete sich wieder auf. „Das war nicht schlecht. Du bist eine größere Herausforderung als ich dachte. Aber kannst du wirklich mit mir mithalten?“

Er stürmte auf Zetsu zu, der mit einem einfachen Schritt zur Seite auswich. Der Silberhaarige konnte entsetzte Schreie hören, als Cain über den Rand stürzte. Die Explosion verriet ihm, dass sein Gegenstück auch diesen Sturz überlebt hatte – und das nur durch die Macht in seinem Inneren.

Zetsu folgte ihm mit einem beherzten Sprung auf die Straße. Die Menschen rannten panisch davon und ließen ihre Autos einfach stehen.

Cain seufzte theatralisch. „Du bist wirklich einmalig – nein, nicht wirklich. Mich gibt es immerhin auch noch.“

Sein folgender Angriff traf zwar nur die Luft, doch die daraus resultierenden Schockwellen, schossen direkt auf Zetsu zu. Der Silberhaarige hob sein Shinken, die Wellen wurden von dem Schild zurückgeworfen und trafen dafür Gebäude und Fahrzeuge.

Zetsu ließ sein Schutzschild fallen und preschte auf Cain zu. Erneut trafen die Klingen aufeinander, 'Gyouten' brach dabei ein kleines Stück aus dem gegnerischen Schwert. Die beiden Rivalen sprangen wieder auseinander und begannen, sich zu umkreisen.

Ich kann nicht mehr viel Energie aus meinem Shinken ziehen. Ich muss diesen Kampf bald beenden, sonst wird mein Leben beendet.

Da auch Cain keine Anstalten für einen Angriff machte, erwachte in Zetsu der Verdacht, dass sein Gegenstück genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war.

Also musste Zetsu den nächsten Schritt machen, wenn er lebend herauskommen wollte. Er musste nur zusehen, dass es schnell gehen würde.

Mit diesem Entschluss griff Zetsu ihn wieder an. Cain wehrte den Angriff ab, sein Arm zitterte bereits, so dass er den anderen zur Unterstützung nahm. Zetsu nutzte die Gelegenheit, er holte noch einmal aus. Der Schwarzhaarige ging ächzend in die Knie, gleichzeitig wurde eine Art Schockwelle aktiviert, die Zetsu wieder zurückwarf, so dass er direkt in die Windschutzscheibe eines herumstehenden Autos geschleudert wurde.

Die Scherben bohrten sich in seine Hände, während er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Doch die Schmerzen blieben aus. Ob es am Adrenalin lag oder an 'Gyouten', er fühlte absolut nichts – was ihm in diesem Moment äußerst gelegen kam.

Er wischte sich die großen Scherben an seiner Hose ab, dann fasste er sein Shinken wieder fester.

Cain atmete heftig.

„Wenn du die Macht von Rutsuruji bist, ist da aber nicht viel dran“, meinte Zetsu schmunzelnd. „Du schwächelst ja schon.“

„Du verdammter...!“

Der Schwarzhaarige ging in die Knie. „Wie kann das sein? Ich muss... nur noch ein wenig...“

Zetsus Blick fiel auf das beschädigte Schwert seines Feindes. Das schwarze Glühen schien langsam nachzulassen, Mana-Partikel schwebten von der Klinge und verloren sich in der schwarzen Nacht.

Er dachte an die zischende Stimme von vorhin zurück.

Lügner, hm? Dann ist dieser Kerl gar kein Teil von mir? Aber warum hat er das dann behauptet? Und wer oder was ist er wirklich?

Cain versuchte, sich wieder aufzurichten. Zetsu stellte sich direkt vor ihn. „Ich weiß nicht, wer oder was du bist und ich glaube nicht, dass du wirklich ein Teil von Rutsuruji warst. Aber ich werde dich trotzdem töten müssen. Hoffentlich stört dich das nicht.“

Cain hob den Kopf, seine Stimme überschlug sich fast vor Panik: „Nein, warte! Tu das nicht, bitte!“

Ohne jeden Funken Mitgefühl zerteilte Zetsu seinen Gegenüber. Als der Körper auf den Boden aufschlug, erzeugte er kein klatschendes Geräusch, sondern ein hölzernes.

Nanashi schwebte wieder zu ihm. „Er hatte nichts mit Rutsuruji zu tun, nicht?“

Zetsu schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht.“

Er kniete sich neben den Körper und untersuchte ihn genauer. Es war lediglich eine Art Puppe, die irgendwie eine Gestalt ähnlich seiner hatte annehmen können. Das erklärte, warum Cain dermaßen rücksichtslos gewesen war: Ihm hatten einfach Gewissen und Moralvorstellungen gefehlt.

Dann war die treibende Kraft...

Zetsu sah zum Schwert hinüber, das im Asphalt steckte. Je mehr Mana es verlor desto mehr wurde es zu Stein – bis es schließlich vor seinen Augen zerbröckelte.

„Ich habs doch gesagt.“

Die Stimme in seinem Inneren klang eindeutig wie die von Rutsuruji. Vielleicht hätte Zetsu wirklich früher auf ihn hören sollen.

Nanashis Blick ging immer wieder zwischen beidem hin und her. „Wer hat diese Puppe nur geschickt?“

Zetsu lachte durch die Nase. „Na, wer wohl? Ich wette mit dir, dass das die Bringer des Lichts waren. Immerhin habe ich ihre Reihen ganz schön dezimiert.“

Er richtete sich wieder auf. „Das bedeutet, sie haben Angst vor mir.“

„Oder sie wollten eure genaue Kampfkraft austesten.“

„Das kann auch sein.“

Desinteressiert zuckte er mit den Schultern. „Nun gut, Nanashi. Lass uns in die Welt gehen, die wir ursprünglich besuchen wollten. Hier gibt es nichts mehr zu holen – und wir können auch nicht hier bleiben.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in ihm eine Gefahr sah, die man eliminieren musste, war ihm zu hoch, weswegen er nur noch weg wollte.

Nanashi nickte zustimmend. „Ja, lasst uns gehen, Meister.“

Sie sah noch einmal auf den hölzernen Körper und den Haufen Steine neben diesem, dann öffnete sie einen neuen Spirit Corridor. Nanashi setzte sich auf seine Schulter, worauf er lächelnd durch das Portal schritt.

Zurück ließ er nur eine verwüstete Straße, die Überreste seines Gegners und einige verwirrte Beobachter, die nicht verstanden, was eben geschehen war und schon bald die wunderlichsten Geschichten darüber erzählen würden, die Zetsu unwissentlich zu einem Helden machten.

Ein „Held“ kehrt heim – oder auch nicht

Genüsslich räkelte Zetsu sich in dem weichen Bett, in das er am Abend zuvor gefallen war. Nach dem wohltuenden Schlaf fühlte er sich wie neugeboren, seine gesamten Kraftreserven waren wieder vollständig aufgeladen, seine geringen Verletzungen verheilt.

Warme Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und luden ein, die Welt zu erkunden.

Dennoch stand ihm der Sinn ganz und gar nicht danach, dieses Bett zu verlassen. Stattdessen kuschelte er sich noch ein wenig tiefer hinein. Ah~ Das ist so angenehm.

Nanashi erschien direkt neben seinem Gesicht. „Meister, wollt Ihr heute den ganzen Tag verschlafen? Ihr habt doch noch etwas vor.“

„Eigentlich schon, aber... ich bin müde. Der Kampf war ziemlich anstrengend.“

Im Gegensatz zu seinen bisherigen Kämpfen, die er oft mit einem einzigen Hieb hatte gewinnen können. Cain hatte wirklich heftigen Widerstand geleistet. Insgeheim hoffte er, dass es bei seinen zukünftigen Feinden nicht auch so laufen würde.

Unwillkürlich hielt er in seinen Gedanken inne. Zukünftige Feinde? Für ihn gab es nur noch Rache als Ziel. Sobald er Jinmus Mörder getötet hätte, würden nur noch die verwaltenden Götter fehlen, denen er die Schuld am Tod seiner Welt gab. Und danach... war nichts mehr.

In all den Jahren seiner Reise waren seine Gedanken, seine Träume, seine Wünsche nur auf die Rache gerichtet gewesen. Für das Danach existierten keine Pläne, keine Vorstellungen. Er war sich sogar sicher, dass es kein Danach geben würde.

Nanashi tippte ihm gegen die Stirn. „Meister, was denkt Ihr da?“

Er entschuldigte sich leise und richtete sich auf. Sein Blick wanderte zum Fenster, durch das immer noch helles Sonnenlicht fiel. Die Vorhänge musste er am Abend zuvor zu schließen vergessen haben. Doch das sanfte Sonnenlicht störte ihn nicht weiter, es war längst nicht so aggressiv wie in seiner Wüstenheimat.

Zetsu schwang die Beine aus dem Bett und erhob sich. Er zog sich seine Kleidung wieder an, die auf wundersamer Weise nichts von dem gestrigen Kampf abbekommen hatte. Mit Nanashi auf den Schultern verließ er den Raum, wo er von lächelnden Mitarbeitern des kleinen Gasthauses begrüßt wurde. Zumindest glaubte er, gemeint zu sein, auch wenn er dabei immer Sir West genannt wurde. Anfangs hatte er noch versucht, den Irrtum aufzuklären, doch die Angesprochenen hatten immer nur wissend geblinzelt und dann weitergemacht.

Entweder sah er wieder irgendjemandem dermaßen ähnlich oder es gab sonst irgendeine andere der Verwechslung. Zetsu hatte versucht, sie aufzuklären und war gescheitert. Also genoss er die Vorteile, die er dadurch erhielt: Ein kostenloses Zimmer und ein leckeres Frühstück, das ihn bereits im Speisesaal erwartete.

Immerhin wurde er in dieser Welt nicht gefürchtet, sondern wie ein Held behandelt, was Zetsu durchaus gefiel – auch wenn nicht er damit gemeint war.

Während er gemeinsam mit Nanashi sein Frühstück – bestehend aus warmen Brötchen, fruchtiger Marmelade und frischem Kaffee – zu sich nahm, trat plötzlich jemand an seinen Tisch. „Sir West?“

Die Stimme kam Zetsu ganz und gar nicht bekannt vor, es war also entweder kein Angestellter oder zumindest keiner, den er kannte. Er hob den Kopf und musterte den schmächtigen Mann mit dem hellen Haar, das ihm langsam auszugehen schien. „Sir West, Ihr seid es wirklich? Ich habe gehört, Ihr seid getötet worden. Ich bin erleichtert, dass es nur Gerüchte gewesen sind.“

„Von wem soll ich getötet worden sein?“, fragte Zetsu, während er die Rolle weiterspielte.

Der Mann senkte die Stimme. „Von Sir Bahadur. Diesen Lichtbringern war doch von Anfang an nicht zu trauen.“

Ertappt zuckte der Mann zusammen. Hastig warf er einen Blick umher als befürchtete er, dass jemand hervorspringen, ihn ergreifen und mit sich in die Dunkelheit zerren würde. Kaum war er damit fertig, verbeugte er sich vor Zetsu. „Verzeiht, Sir West.“

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte der Silberhaarige. „Nun, wie Ihr seht, lebe ich noch. Aber wisst Ihr zufällig, wo ich Sir Bahadur finden kann?“

Als der Mann erwähnt hatte, dass dieser Bahadur zu den Bringern des Lichts gehörte, waren sofort sämtliche Alarmglocken losgegangen. Er würde diesen Mann aufsuchen und auch ihn töten, komme was wolle. Wenn sein Glück in diesem Ausmaß anhalten würde, würde sich dieser Kerl vielleicht sogar als Mörder von Jinmu herausstellen.

Der Mann neigte den Kopf. „Ich nehme an, Sir Bahadur wird sich wie üblich im Regierungsgebäude in der Hauptstadt, nicht weit von hier, aufhalten. Wollt Ihr es denn noch einmal versuchen?“

Zetsu wusste nicht, worüber er redete, nickte aber. „Sicher will ich das. Was spricht dagegen?“

Erneut zuckte der Mann zusammen, als ob er sich für das Gesagte schämte. Zetsu war sich sicher, dass er am liebsten im Erdboden versunken wäre.

Er verabschiedete sich hastig von Zetsu und ging davon. Der Silberhaarige blickte zu seinem Shinjuu. „Was sagst du dazu?“

„Ich bin mir nicht sicher wofür Euch die Menschen hier halten...“

„Immerhin nicht für einen Mörder“, meinte er. „Das ist schon mal ein Fortschritt.“

Sie nickte kauend. „Ich frage mich nur, weswegen wir immer in Welten landen, wo jemand lebt, der Euch ähnlich sieht.“

„Das frage ich mich auch. Bislang dachte ich, ich wäre einzigartig.“

Er seufzte leise, fast schon genervt. Nanashi tätschelte seine Hand. „In diesen Zeiten ist wohl niemand mehr einzigartig. Macht Euch keine Gedanken darum.“

„Ja, sehen wir lieber zu, dass wir zu dieser Hauptstadt kommen und Bahadur treffen. Ich bin mal gespannt, ob er der Gesuchte ist.“

Das Shinjuu nickte zustimmend. Die beiden beendeten ihr Frühstück, verabschiedeten sich von dem Personal und verließen das Gasthaus. Die Sonne war inzwischen weit vorangeschritten, in weniger als zwei Stunden wäre es bereits Zeit für das Mittagessen. Aber Zetsus Gedanken richteten sich bereits auf die Hauptstadt.

Dieses Gasthaus befand sich buchstäblich mitten im Nirgendwo, eine willkommene Ruhestätte für die zerschundenen Knochen der Wanderer und Abenteurer – falls es solche in dieser Welt überhaupt gab.

Allerdings konnte man von diesem Zwischenstopp über die weiten Felder sehen, bis zu dem, was Zetsu als Stadt einordnete. Ein bedrohliches, riesiges Gebilde, unter dunklem Himmel. Er fragte sich nicht nur, woher dieser seltsame Himmel über dem Gebilde kam, sondern auch warum es mehr nach einer riesigen Käseglocke aussah. Die ganze Stadt schien unter einer Kuppel zu sein.

Er seufzte noch einmal. Antworten würde er nur bekommen, wenn er weiter herumstand, andere Leute fragte und damit Misstrauen erregte oder wenn er näherging. Also entschied er sich für Letzteres und ging weiter.

Je näher er der Kuppel kam desto schwerer fiel ihm das Atmen, sämtliche Vegetation war abgestorben, keine Tiere waren zu sehen. Was verursachte diese tote Zone? Es war keinesfalls normal, nicht einmal für einen Jungen, der in der Wüste aufgewachsen war.

Direkt vor der Kuppel und dem, was der Eingang dazu zu sein schien, blieb Zetsu wieder stehen. Am Liebsten hätte er sich übergeben, doch er bezwang den Drang mühevoll. Sein Blick ging suchend an der metallenen Vorrichtung entlang, um herauszufinden, wie man die Tür öffnete. Natürlich hätte er sie einfach mit seinem Shinken aufschneiden können, doch schien ihm das eine schlechte Idee zu sein. Er wollte nur in die Stadt, nicht ins Gefängnis.

Nanashi deutete schließlich auf eine Konsole. „Ich glaube, hier muss man irgendetwas eingeben. Fragt sich nur, was...“

Zetsu zuckte mit den Schultern. Er tippte einige beliebige Ziffern ein, bevor er die grüne „Eingabe“-Taste betätigte. Ein Surren erklang, während der Computer offensichtlich nachzuvollziehen versuchte, ob die Zahlenfolge korrekt war.

Plötzlich erwachte in Zetsu die Frage, was wohl geschehen würde, wenn die Kombination nicht richtig war. Würde dann einfach nur eine Fehlermeldung kommen oder möglicherweise etwas Gefährliches?

Hastig schob er den Gedanken beiseite und hoffte einfach, dass die Zahlen durch irgendeinen faszinierenden Zufall – oder durch Glück – tatsächlich korrekt waren.

Tatsächlich erklang ein beruhigendes Klingeln, wie bei dem Aufzug in der Welt zuvor, dann sprang ein grünes Licht an der Konsole an und die Tür öffnete sich.

Ohne jede Verzögerung huschte Zetsu gemeinsam mit Nanashi hinein, hinter ihm schloss sich die Tür wieder. Im Inneren des Ganges fiel ihm das Atmen um einiges leichter, die Luft wirkte abgestanden, aber nicht ätzend, durch die Glaswände konnte er in die Trostlosigkeit hinaussehen. Was war an dieser Stadt, was die Umgebung so sehr vergiftete?

Am Ende des Ganges gab es nur zwei weitere Gänge, einen nach rechts und und einen nach links. An der Wand der Abzweigung hingen zwei Schilder, die von Sektoren redeten. Zetsu konnte weder etwas mit „1-A“ noch mit „1-C“ etwas anfangen, weswegen er schulterzuckend den linken Gang zu Sektor 1-A nahm.

Die rechte Wand des Ganges war durch ein Aquarium ersetzt worden, das einen scharfen Kontrast zu der Szenerie außerhalb der Kuppel bot. In der Decke waren weiße Leuchten installiert. Das sanfte blaue Licht aus dem Aquarium wirkte beruhigend auf Zetsu, der im Laufen die farbenfrohen Fische beobachtete, die sich im Wasser tummelten. Je mehr er diese Tiere beobachtete desto mehr vergaß er, weswegen er eigentlich gekommen war, in ihm erwachte der Wunsch, für immer hier zu bleiben, nie mehr diesen Ganz zu verlassen und -

„Meister!“

Nanashi riss ihn wieder aus seinen Gedanken. Fragend wandte er sich ihr zu. Sie schwebte hinter ihm in der Luft und deutete auf eine Tür direkt neben sich, an der Zetsu in Gedanken versunken vorbeigelaufen war. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass das Aquarium für einen kurzen Moment unterbrochen worden war.

Das Shinjuu neigte den Kopf. „Diese Fische und das Licht scheinen eine seltsame Macht auf Euch zu haben, Meister.“

Er schmunzelte. „Oh ja. So kann man sich auch vor Leuten schützen, die sich bei einem beschweren wollen – man lässt sie einfach vergessen, weswegen sie gekommen sind.“

„Das ist unheimlich“, urteilte Nanashi. „Lasst uns weitergehen. Je eher wir hier fertig sind desto besser, glaubt Ihr nicht.“

Er nickte zustimmend. Glücklicherweise musste er an dieser Tür keine Kombination eingeben. Sie öffnete sich, als er einen einfachen Schalter betätigte und ließ ihn hindurch. Ein trostloser kleiner Raum, dessen beide Wände das Aquarium stellten, empfing ihn. Im Gegensatz zum Gang zuvor, gab es hier keinerlei Licht außer das aus dem Aquarium. Dafür erklang eine beruhigende Frauenstimme aus einem Lautsprecher: „Herzlich Willkommen in Ilan Oren, der Stadt der Zukunft. Sie befinden sich in Sektor 1-A, dem Unterhaltungssektor von Ilan Oren. Geben Sie Ihr Geld gut aus für einen Nachmittag voller Spaß für die ganze Familie.“

Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, doch bevor Zetsu etwas sagen konnte, erklang die Stimme noch einmal, um etwas hinzuzufügen: „Leider ist der Unterhaltungssektor gerade außer Betrieb. Wir bitten um Ihr Verständnis und wünschen Ihnen dennoch einen wundervollen Tag.“

Zetsu warf Nanashi einen Blick zu. Beruhigt stellte er fest, dass sie genauso verwirrt zu sein schien wie er. Beide verzichteten darauf, diese Sache zu kommentieren.

Mit einem Zischen öffnete sich die Tür gegenüber. Zetsu lief weiter. Diesmal endete er in einem Gang, dessen Wände mit Bildschirmen bestückt waren.

Auf jedem Bildschirm lief eine Nachrichtensendung, die von einem Anschlag in Sektor 1-A sprach. Zetsu blieb stehen und neigte den Kopf. Noch immer war er fasziniert von diesen sich bewegenden Bildern, hinter deren Geheimnis er einfach nicht kommen konnte, weswegen er fast automatisch immer stehenbleiben musste, sobald er einen solchen Bildschirm sah.

Die Nachrichten zeigten Bilder von eingestürzten oder brennenden Gebäuden und panischen Menschen. Zetsus Augen weiteten sich, als plötzlich ein Bild von ihm erschien. Der Name darunter lautete -

„Jacob West!“, entfuhr es Zetsu. „Das muss der Kerl sein, für den mich alle halten.“

Nanashi nickte zustimmend. „Anscheinend gehört er zu einer Untergrundbewegung, die gegen die Herrscher dieser Stadt vorgeht. Und da er seit der Explosion in Sektor 1-A vermisst wird, wird vermutet, dass er tot ist.“

Zetsu runzelte seine Stirn. „Denkst du, das kann ich zu meinem Vorteil benutzen?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Diesmal nicht – zumindest nicht öffentlich. Das Volk hält ihn zwar für einen Helden, aber anscheinend sind die städtischen Organe nicht dieser Meinung. Sie werden angehalten, ihn sofort zu verhaften, wenn sie ihn sehen.“

„Kann ich mir vorstellen.“

Zetsu vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen, während er wieder in Gedanken versank. Dieser Jacob West wurde als Held gesehen, nur weil er etwas tat, woran er anscheinend glaubte. Ob irgendjemand ihn auch einmal als Held sehen würde?

Aber wer sollte das schon tun?

Selbst die, für die er das alles tat, waren bereits tot. Sie würden ihn nie wieder als Helden ansehen können, wenn sie das überhaupt je getan hatten.

Im Grunde beneidete er diesen Jacob um seinen Status – und warum sollte er ihn nicht einfach ausnutzen, solange der echte nicht da war?

Richtig, es gab keinen Grund dagegen, wenngleich Zetsu auch nicht wirklich darüber nachdachte.

Er lächelte Nanashi zu. „Na, wollen wir weiter?“

Sie erwiderte das Lächeln nickend.

Zetsu wandte sich von dem Bildschirm ab und lief auf die – hoffentlich – letzte Tür zu. Als er sich näherte, erklang erneut ein Zischen. Die Tür öffnete sich, lud ihn ein, die Stadt zu betreten.

Er zögerte nicht mehr länger und ging hindurch.

Ilan Oren

Während er durch den Tunnel gelaufen war, hatte sich unbemerkt eine gewisse Erwartungshaltung an diese Stadt in ihm aufgebaut. Die Nachrichten hatten die Erwartungen zwar ein wenig gedämpft, dennoch waren sie noch sehr hoch gewesen – weswegen die Enttäuschung umso größer war, als er die eigentliche Stadt betrat.

Das Blau des Himmels war deutlich künstlich, hin und wieder flackerte es und zeigte damit, dass auch dies nur aus einem Bildschirm bestand.

Sein Blick schweifte über Ruinen, bei denen die Aufräumarbeiten bereits begonnen hatten und solche um die sich noch nicht gekümmert worden war. Überall standen oder saßen Leute, die sich unterhielten oder einfach nur vor sich hinstarrten.

Auch hier war die Luft abgestanden, aber immerhin war das Atmen noch möglich. Die trostlose Atmosphäre bedrückte selbst Zetsu, während er weiterlief.

Die Blicke der anderen wandten sich ihm zu, einige fragend, andere hoffnungsvoll, aber keiner sagte etwas zu ihm. Zetsu fühlte sich fast schäbig für seine Gedanken von vorhin – aber nur fast.

Über den Köpfen der Bewohner drehten seltsame Geräte ohne Flügel ihre Runden, dabei gaben sie klickende Laute von sich, die Zetsu schwer einzuordnen fielen.

„Ich habe das Gefühl, sie beobachten uns“, wisperte Nanashi. „Denkt Ihr, dass das sein kann?“

Er hob die Schultern. „Wer weiß?“

Seine Schritte lenkten ihn durch die Ruinen des Vergnügungssektors. Nirgends sah er derzeit aktive Aufräumarbeiten. Ob gerade Mittagspause war?

Von der Zeit her könnte es sicherlich hinkommen, aber irgend etwas in seinem Inneren sagte ihm, dass etwas anderes dahinter steckte.

Er verdrängte den Gedanken, als er endlich an weniger beschädigten Gebäuden vorbeikam. Er sah in eines davon hinein. Im Inneren war es dunkel, wenn man von den seltsamen Geräten absah, vor denen sich Jugendliche versammelt hatten und die neben seltsamen Geräuschen auch blinkende Lichter von sich gaben.

In anderen Welten hatte man diese Einrichtungen Spielhallen genannt, wenn Zetsu sich richtig zurückerinnerte. Hatte der ganze Vergnügungssektor etwa daraus bestanden?

Schließlich verließ er den Sektor und betrat einen anderen, der aus Restaurants und Cafés für jeden Geschmack zu bestehen schien. Hunger verspürte er keinen, weswegen er nicht lange dort verweilte und den nächsten Sektor betrat, der den Titel 1-C trug. In diesem gab es allerlei verschiedene Geschäfte, sogar Waffenläden, wie Zetsu feststellten. Ob so etwas wirklich notwendig war?

Während er an den Menschen vorbeiging, die vor den Geschäften standen und deren Auslagen bestaunten, bekam er ein Gespräch mit, das sich offensichtlich um diesen Bahadur drehte.

Er verstand den genauen Wortlaut nicht, doch das brauchte er auch nicht. Es genügte, zu hören, dass sich der Lichtbringer in Sektor 2-A befinden würde.

Dank der zahlreichen Schilder, fand er schnell den Weg dahin. Sektor 2-A trug den Untertitel Verwaltungssektor, dementsprechend befanden sich außerordentlich viele schlicht gebaute Gebäude in diesem Bereich. In den anderen Sektoren liefen allerlei verschiedene Menschen herum, doch die Leute hier waren alle fein gekleidet und schienen es eilig zu haben. Mit Aktentaschen unter den Armen huschten sie von einem Haus zum Nächsten, ohne jede Intention, anzuhalten.

Sie waren sogar zu beschäftigt, um Zetsu misstrauische Blicke zuzuwerfen, was dieser gut fand.

Allerdings wusste er so auch nicht, wo er Bahadur finden sollte, also musste er wohl oder übel einen dieser geschäftig aussehenden Männern aufhalten.

Mehrere Minuten stand er einfach nur da und beobachtete die Vorbeikommenden, bis er einen sehen würde, bei dem er das Gefühl hatte, ihn ansprechen zu können.

Tatsächlich fand er so einen.

Der schlaksige Mann trug einen klassisch aussehenden meeresblauen Anzug, dessen Gehrock ihm bis zu den Knien reichte. Auf seinem Kopf thronte ein Zylinder, mit dem er sein ergrautes Haar zu verstecken versuchte. Sein von Falten gezeichnetes Gesicht beherbergte eine krumme Nase, auf der eine drahtige Brille balancierte, die hellblauen Augen dahinter glitzerten. Seine knochigen Finger trugen eine abgewetzte Ledertasche, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Mit seinen langen Beine machten er große Schritte, ansonsten schien er es nicht eilig zu haben.

Ja, diesen Mann könnte er sicherlich kurz aufhalten und nach Bahadur fragen.

Zetsu trat vor ihn und verbeugte sich höflich. „Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Ich würde Sie gerne etwas fragen.“

Der Mann blieb stehen. Er schob seine Brille zurecht und musterte Zetsu. Diesem war das im Gegensatz zu sonst absolut nicht unangenehm. Wer immer dieser Mann war, von ihm ging keinerlei Gefahr aus.

„Worum geht es?“, fragte er mit näselnder Stimme.

„Ich suche nach einem Mann namens Bahadur, der zu den Bringern des Lichts gehört“, erklärte Zetsu.

Für einen Moment glaubte er, er müsste erklären, weswegen er den Lichtbringer suchen würde, doch der Mann antwortete ohne eine derartige Gegenfrage zu stellen: „Sir Bahadur wird sich im Rathaus befinden. Dort sitzt er oft mit dem Bürgermeister zusammen, um Pläne zu schmieden. Ich kann Sie hinbringen, wenn Sie wollen.“

Zetsu verneigte sich noch einmal. „Vielen Dank.“

„Es gibt nichts zu danken, junger Mann.“

Nebeneinander schlugen sie den Weg zum Rathaus ein – zumindest hoffte Zetsu es, da er sich in diesem Sektor absolut nicht zurechtfinden konnte. Jedes Gebäude schien dem anderen bis auf den letzten Stein zu gleichen. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn auch das Innere bis zum letzten Nagel in der Wand in jedem Gebäude absolut exakt gleich war.

Wie sich diese geschäftigen Menschen zurechtfinden konnten, war ihm ein Rätsel. Doch vielleicht taten sie das auch gar nicht und huschten deswegen so geschäftig umher.

Zetsus Blick fiel auf die Aktentasche des Mannes, er neigte den Kopf. „Müssen Sie nirgendwohin?“

Ohne ihn anzusehen wurde die Frage mit einem Kopfschütteln beantwortet. „Ich habe kein festes Ziel, dementsprechend muss ich nirgendwohin.“

Das macht Sinn.

„Aber warum laufen Sie dann hier herum?“, fragte Zetsu, dem das Verhalten komisch vorkam.

„Da ich kein festes Ziel habe, ist es egal, wo ich laufe, nicht wahr?“

Das auch. Vielleicht ist der Arme ja schon vom Alterswahnsinn befallen.

Der Silberhaarige deutete auf den Aktenkoffer. „Und was ist dort drin?“

Die Mundwinkel des Mannes hoben sich leicht. „Sie sind ein neugieriger Junge, nicht? Nun, das ist gut, immerhin ist Neugier ein Zeichen gesunder Jugend. Oder nicht?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Zetsu.

Ein Schmunzeln erschien auf dem Gesicht seines Begleiters, verblasste aber sofort wieder. Die Frage nach dem Inhalt des Aktenkoffers blieb unbeantwortet. Aber Zetsu musste zugeben, dass es eine sehr persönliche Frage gewesen war.

„Wie finden Sie sich hier zurecht?“, wollte der Silberhaarige stattdessen wissen.

Noch einmal konnte er ein Schmunzeln sehen. „Das tue ich nicht. Aber solange ich zuversichtlich bin, mein Ziel zu erreichen, geschieht es auch irgendwann.“

Sagte er vorher nicht, dass er kein Ziel hätte?

Seine Gedanken waren anscheinend ein offenes Buch für den Mann oder die Verwirrung war ihm derart deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sein Begleiter tatsächlich reagierte: „Oh, nur weil ich kein großes Ziel habe, heißt das nicht, dass es nicht viele kleine Ziele am Wegesrand geben kann. Im Moment ist mein Ziel, dich zum Rathaus zu bringen.“

So hatte Zetsu es noch nie gesehen. Seit vielen Jahren schon folgte er nur einem großen Ziel. Dass er dabei viele Kleine bereits erreicht hatte, war ihm vor lauter Frustration über das weit entfernte Große nie aufgefallen.

Möglicherweise war es Schicksal, dass er diesen Mann getroffen hatte, um das zu lernen.

Schmunzelnd verwarf er den Gedanken sofort wieder. An das Schicksal glaubte er seit seiner Begegnung mit Isbel nicht mehr und er würde auch nicht mehr damit anfangen.

Auch diesmal schien sein Begleiter genau zu wissen, was ihn gerade beschäftigte: „Es ist nicht verkehrt, an das Schicksal zu glauben, junger Freund.“

„Und wie soll das aussehen?“, fragte Zetsu. „Irgendjemand muss doch aufpassen, dass nicht alles durcheinander gerät, oder?“

Er erwartete keine Antwort, aber dennoch kam eine: „Da hat wohl jeder Mensch seine eigene Vorstellung. Ich für meinen Teil stelle mir gern eine Frau in einer riesigen Bibliothek vor – und jedes Buch darin handelt vom Leben eines anderen Menschen.“

„Lächerlich“, urteilte Zetsu abfällig. „Wie soll eine einzelne Frau denn all diese Schicksale verwalten?“

Sein Begleiter warf ihm einen Seitenblick zu. Zetsu verspürte den Impuls, sich für seine Tonart entschuldigen zu müssen, doch er tat es nicht. Stattdessen sah er stur weiter nach vorne.

Der Mann seufzte. „Der Glaube an Magie kann vieles bewirken. Auch einer einzelnen Frau helfen, all diese Arbeit zu erledigen.“

Zetsu zuckte schroff mit den Schultern. „Kann sein. Was solls? Ich glaube ohnehin nicht daran.“

Seufzend schüttelte der Mann seinen Kopf. „Versteh einer diese Jugend. An nichts glaubt sie mehr und hinterfragt auch nicht mehr fühlt sich aber immer früher reif und erwachsen.“

Langsam bereute Zetsu es, diesem Mann begegnet zu sein. Hoffentlich sind wir bald beim Rathaus. Ich halte das nicht mehr lange aus.

„Verzeih“, sagte der Mann schließlich. „Ich bin überzeugt, dass du deine Gründe für deinen Glauben hast. Diese sollte ich nicht hinterfragen.“

„Es tut mir Leid, dass ich so über Euren Glauben geurteilt habe“, entschuldigte Zetsu sich schließlich doch noch.

Der Mann lächelte wieder. Unvermittelt blieb er stehen, was Zetsu ihm direkt nachtat. Das Gebäude, vor dem sie sich befanden, besaß nur einen, nicht wirklich signifikanten Unterschied zu den anderen in diesem Sektor: Neben der Tür war eine unscheinbare, kleine Glocke angebracht, an der man mittels einer Schnur klingeln konnte.

Sie wäre Zetsu nie aufgefallen, wenn sein Begleiter ihn nicht direkt vor das Haus geführt hätte.

Er verneigte sich wieder vor dem Mann. „Vielen Dank, dass Sie mich hergeführt haben. Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen.“

„Keine Ursache. Das Gespräch mit dir war sehr unterhaltsam, ich habe zu danken.“

Der Herr verneigte sich ebenfalls kurz. „Oh, falls Sie auf Ihrer Reise einem kleinen Jungen mit einer Vorliebe für Magie begegnen, richten Sie ihm bitte Grüße von seinem Großvater aus.“

„Natürlich.“

Wenngleich Zetsu ohnehin nicht glaubte, einem solchen Jungen jemals zu begegnen.

Noch einmal verneigte der Herr sich, tippte sich an die Hutkrempe, dann schlenderte er wieder davon.

„Ein sehr seltsamer Mann“, meinte Nanashi, die plötzlich wieder auftauchte. „Woher wusste er, dass Ihr auf einer Reise seid, Meister?“

Zetsu nickte zustimmend. Die Frage hatte er sich ebenfalls gestellt, aber vermutlich lag der Grund irgendwo weit jenseits seiner Vorstellung und seinem Wissen. „Immerhin hat er mir geholfen.“

Er trat an die Tür und versuchte diese zu öffnen – doch sie gab keinen Millimeter nach. Seufzend betätigte er die Glocke. Ihr kümmerliches Klingeln gab ihm nicht sonderlich viel Hoffnung, dass jemand ihn hören würde, aber tatsächlich öffnete sich eine Klappe in der Tür. Ein finster aussehender Mann sah heraus. „Was gibt’s?“

„Ich möchte gerne mit Sir Bahadur sprechen.“

Im ersten Moment konnte Zetsu sich das Grinsen des Mannes nicht erklären, doch als ihm wieder einfiel, dass er wie der totgeglaubte Jacob West aussah, war es bereits zu spät. Die Klappe wurde wieder geschlossen, die Tür selbst dafür entriegelt und schließlich einladend geöffnet.

Ohne weitere Einladung trat Zetsu ein. Das Innere strafte dem äußeren Anschein Lügen: Er fand sich in einem finsteren, fensterlosen, quadratischen Zimmer wieder.

Die einzige Lichtquelle stellte eine Lampe auf dem Schreibtisch. Doch Zetsu empfand die Dunkelheit außerhalb des dämmrigen Lichtkreises als umso finsterer und bedrohlicher. Eigentlich schon fast ein Witz, wenn man bedachte, dass sein schwarzes Mana ihm die Kraft der Finsternis verlieh.

Der Mann hinter dem Tisch wirkte viel zu ungelenk und unscheinbar, um ein Shinkenträger zu sein, also war er schon mal kein Lichtbringer.

„Oh, Mr West“, quietschte der Mann erschrocken. „Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich bin froh, zu sehen, dass es Ihnen gut geht.“

„Sicher doch...“, meinte Zetsu unbeeindruckt. „Ich suche nach Bahadur und habe gehört, dass er hier ist. Also, wo ist er?“

Die Blicke des Mannes gingen in die Dunkelheit, aber Zetsu konnte nichts erkennen, nicht einmal, wenn er konzentriert ins Schwarze starrte. Schulterzuckend wandte er sich wieder an den Mann, der ebenfalls die Schultern hob. „Ich wüsste nicht, warum ich es Ihnen sagen sollte, Mr West. Sie sollten doch wissen, dass meine Loyalität gegenüber den Bringern des Lichts ungebrochen ist.“

„Wie dumm“, erwiderte Zetsu. „Soll ich mir diese Information etwa mit Gewalt holen?“

„Das musst du nicht“, hörte er eine Stimme hinter sich.

Der Silberhaarige fuhr herum, aber offensichtlich nicht schnell genug. Er spürte einen schweren Schlag gegen seinen Hals, dann wurde auch das wenige Licht im Zimmer zu Dunkelheit, als er sein Bewusstsein verlor und zu Boden stürzte.

Unter Rebellen

„Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, gegen Jiruol anzutreten.“

Die junge Frau neben Rutsuruji spielte mit ihrem schwarzem Haar, während sie das sagte. Es erschien wie eine nebensächliche Bemerkung, aber er wusste, dass sie eine Antwort verlangte, auch wenn sie das nicht zeigte.

Warum war er eigentlich mit ihr unterwegs? Ach ja, weil sie sich ihm aufgedrängt hatte, um bessere Chancen gegen Jiruol zu haben, mit dem sie ihn wie so oft nervte.

Er wandte ihr seinen Blick zu. „Besser als von ihm überrascht und getötet zu werden, oder?“

Sie beendete das Spiel mit ihren Haarsträhnen und erwiderte den Blick. Ihre roten Augen starrten direkt in seine blauen. „Finde ich nicht. Wenn du ihn angreifst, wirst du auch sterben, ganz sicher.“

Bevor er etwas erwidern konnte, sprang sie auf und vollführte eine Bewegung mit beiden Armen, deren genaue Interpretation ihm verborgen blieb. „Jiruol ist nämlich richtig stark! Ich habe gesehen, wie er Yaharagi, Sejital und Shumin getötet hat! Einfach so!“

Um ihre Worte zu unterstreichen, schnippte sie mit den Fingern.

Die Namen sagten ihm allerdings gar nichts, weswegen er nicht sagen konnte, ob das nun sonderlich erstaunlich oder unwesentlich war. Also hob er die Schultern. „Und?“

Ihr Gesicht nahm einen verzweifelten Ausdruck an. „Und mit jedem Tod wurde er nur stärker. Ja, ich weiß, warum, das weiß doch jeder Gott.“

Er hatte bereits den Mund geöffnet, um ihr zu sagen, dass dies eine logische Reaktion war, da die Macht eines getöteten Gottes auf dessen Mörder überging. Aber da sie das offenbar selbst wusste, schloss er den Mund wortlos wieder.

Sie beugte sich ein wenig vor, um ihm besser in die Augen sehen zu können. Rutsuruji konnte sehen, wie sie innerlich tobte, wie sie ihn darum bat, endlich aufzugeben und diesen ganzen Krieg zu beenden. Sie kannten sich kaum, aber dennoch klammerte sie sich so sehr an ihn...

Es war ihm ein wenig unheimlich, weswegen er unwillkürlich ein Stück von ihr wegrutschte.

„Ich werde mich nicht zurückziehen“, erwiderte er. „Aber niemand hindert dich daran, das zu tun.“

Enttäuscht stellte sie sich wieder aufrecht hin. Sie schüttelte so heftig ihren Kopf, dass ihr langes Haar umherflog. „Ich will aber nicht alleine gehen...“

Rutsuruji verstand sofort, was sie meinte. Diesem Krieg den Rücken zu kehren, bedeutete, den Zeitbaum verlassen und alles Geliebte zurücklassen zu müssen. Er konnte verstehen, dass sie nicht alleine gehen wollte, aber er hatte nicht vor, Jiruol auszuweichen.

„Nun... wie war dein Name nochmal? Alnine, nicht wahr?“

Sie nickte bedrückt.

„Du weißt, dass ich dich nicht begleiten kann. Ich habe noch etwas zu tun.“

„Aber was denn?“, fragte Alnine. „Was kann so wichtig sein, dass du dafür dein Leben riskierst?“

Wie sollte er ihr das nur vernünftig erklären? Er fand ja nicht einmal für sich eine Erklärung.

Geduldig sah sie ihn an, wartete darauf, dass er endlich die richtigen Worte fand.

„Ich muss eine Verräterin bestrafen.“

Mit der Antwort hatte sie anscheinend nicht gerechnet, weswegen ihr Blick sich zu Erstaunen wandelte. „Eine Verräterin? Oh! Du meinst Himeora?“

Diesmal war er an der Reihe, überrascht zu sein: „Du kennst sie?“

Alnine nickte. „Oh ja. Alle kennen sie. Aber ich dachte, das wären nur Gerüchte gewesen.“

„Nein, es ist wahr. Himeora hat uns wegen Jiruol verraten – und das werde ich ihr nicht verzeihen.“

Nachdenklich neigte sie den Kopf. Rutsuruji stand derweil auf. „Es wird Zeit, weiterzugehen.“

Er lief an ihr vorbei. Erst als er einige Schritte von ihr entfernt stand, hörte er, wie sie zögerlich eine Frage stellte: „Sag mal... warst du in sie verliebt?“
 

Vorsichtig öffnete er seine Augen. Verwirrt blinzelte er in die grelle Beleuchtung über seinem Bett. Mit einem genervten Laut hielt er sich einen Arm über seine Augen.

„Meister“, hörte er eine erleichterte Stimme neben sich. „Endlich seid Ihr wieder wach.“

Sein Blick suchte die hölzerne Decke ab, doch die grellen Lichter ließen immer wieder Sterne vor seinen Augen tanzen, so dass er sich absolut nicht orientieren konnte.

„Wo sind wir? Was ist passiert?“

„Nun, wo wir sind, weiß ich selbst nicht“, antwortete Nanashi zögernd. „Während Ihr mit dem Bürgermeister gesprochen habt, wurdet Ihr von jemandem niedergeschlagen, der sich in den Schatten verborgen gehalten hat. Anschließend solltet Ihr weggeschafft werden, doch plötzlich sind lauter seltsame Leute aufgetaucht und haben Euch mit sich genommen.“

„Wohin haben sie uns gebracht?“

Bedauernd hob sie die Schultern. „Ich konnte es nicht erkennen, tut mir Leid.“

„Schon gut.“

Ächzend richtete er sich auf. Er hatte nur einen Schlag gegen den Nacken bekommen, doch der Schmerz schien in seinem ganzen Körper zu sitzen. „Mir tut alles weh...“

„Verzeiht, Meister“, bat Nanashi. „Wenn Ihr weißes Mana hättet, könnte ich-“

„Schon gut“, unterbrach er sie. „Kümmere dich nicht darum.“

Er nutzte seine Haltung, um sich weiter umzusehen. Das Zimmer, in dem er sich befand, war nur eine kleine Kammer, in dem gerade einmal das Bett und ein Tisch mit einem Stuhl davor Platz fanden. Fenster gab es auch keine, weswegen die Lichter so grell waren.

Keine Spur von Luxus, er befand sich also offensichtlich nicht in einem Hotel – er war sich sicher, dass selbst die Besenkammer des billigsten Hotels von Ilan Oren noch größer war als dieser Raum hier.

Vorsichtig stand er auf und lief ein paar Schritte – zwei, um genau zu sein. Damit war die Fläche des Zimmers bereits wieder ausgeschöpft, weswegen er sich umdrehte und die zwei Schritte wieder zurücklief. Nanashi beobachtete ihn dabei gespannt. „Heckt Ihr gerade einen Plan aus, mit dem wir hier wieder rauskommen werden?“

„Ich fürchte, nein.“

Es schmerzte ihn fast, die Enttäuschung auf ihrem Gesicht zu sehen. War die Tür überhaupt geschlossen?

Neugierig trat er an die Tür, die tatsächlich unter seinem Griff nachgab und sich öffnete.

„Meister, Ihr seid so toll!“

Gespielt verlegen winkte er ab. „Komm jetzt, ich habe noch etwas anderes vor.“

Sie nickte und setzte sich auf seine Schulter, bevor sie wieder verschwand. Zetsu warf einen Blick auf den leeren Gang, der mit Metallplatten verkleidet war. Auf diesem herrschte dasselbe grelle Licht wie in dem kleinen Raum, aber ansonsten war niemand zu sehen.

Er hielt es für sicher und verließ den Raum. Obwohl er nicht wusste, wo er war, wollte er nicht darauf warten, bis ihm jemand diese Antwort auf dem Silbertablett servierte. Und wenn schon nicht abgeschlossen war, würde er einfach klammheimlich verschwinden.

Doch schon nach wenigen Schritten konnte er das klammheimlich wieder streichen. Zwei Männer in seltsamen Uniformen stellten sich ihm entgegen, doch keiner von beiden machte Anstalten, eine Waffe zu ziehen. Misstrauisch sah Zetsu zwischen beiden hin und her.

Einer von beiden lächelte schließlich. „Meister Jacob, Ihr seid endlich wieder wach! Wir fürchteten schon, Ihr hättet den Angriff nicht überlebt.“

Zetsu öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch bevor ein Laut aus seinem Mund kommen konnte, erklang eine weitere Stimme: „Das reicht jetzt!“

Es war die herrische Stimme einer Frau, deren Besitzerin auch sogleich in sein Sichtfeld trat. Das blutrote Haar reichte ihr nur bis zu den Schultern, in den ockerfarbenen Augen lag Ernsthaftigkeit, ein bitterer Zug umspielte ihren Mund. Ihre Kleidung erinnerte Zetsu an Beamte, die er in verschiedenen Welten gesehen hatte. Eine schwarze Stoffhose und eine gleichfarbige Weste, darunter ein weißes Hemd, dessen Ärmel an den Unterarmen zerrissen waren, was untypisch für Beamte war – genau wie die schwarzen fingerlosen Handschuhe.

Die Uniformierten machten für sie Platz. „Tut uns Leid, Miss Azar. Aber Meister Jacob-“

„Ich habe gesagt, es reicht!“, erwiderte sie scharf. „Ich werde jetzt mit Jacob in den Besprechungsraum gehen – und ich dulde keine Störungen, verstanden!?“

Die beiden salutierten. „Sehr wohl.“

Zetsu fragte sich unwillkürlich, welche Position sie in dieser Einrichtung innehatte, dass sie derart respektvoll angesprochen wurde. Und er fragte sich, weswegen sie den Namen Jacob so merkwürdig betonte.

Doch bevor er seinen Gedanken weiter nachhängen konnte, sprach sie ihn an: „Du kommst mit mir, ich muss mit dir reden.“

Ihr Ton besaß einen derart bestimmenden Beigeschmack, dass Zetsu es gar nicht wagte, zu widersprechen. Dabei war er es nicht gewohnt, Befehle von einer Frau entgegenzunehmen und eigentlich war dies ein Punkt auf seiner Das-werde-ich-nie-tun-Liste gewesen. Aber in diesem Fall vergaß er seine Liste und ließ sich von Azar den Gang entlangführen, bis sie zu einer doppelflügigen Tür kamen, die um einiges edler aussah als der Rest dieser Einrichtung.

Der Raum dahinter war um einiges größer als die kleine Kammer in der er aufgewacht war. Tische waren in U-Formation ausgerichtet, an der hinteren Wand war eine Weltkarte festgemacht, die anderen Wände waren mit Schränken und Regalen vollgestellt.

Außer ihnen befand sich niemand hier, was den Raum trotz aller Gegenstände leer erschienen ließ.

Azar wandte sich ihm zu. „Was bildest du dir eigentlich ein?“

Ihr aggressiver Ton traf Zetsu vollkommen unvorbereitet, weswegen er sie nur verdutzt ansehen konnte. „Äh... was?“

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, die ihren Zorn noch einmal verdeutlichte. Es schien als wollte sie Zetsu ohrfeigen, hielt sich allerdings im allerletzten Moment wieder zurück. „Du tauchst hier auf, machst einen auf Jacob West und glaubst, du kommst damit durch!“

Abwehrend hob er die Hände. „Hey, hey, Moment mal! Ich habe nie behauptet, dieser Jacob zu sein! Niemand lässt mir Zeit, mich vorzustellen. Mein Name ist Zetsu Akatsuki.“

„Natürlich bist du nicht Jacob! Denkst du, ich falle darauf herein!?“

Ihr Fauchen schmerzte in seinen Ohren. Wie konnte man nur so starrsinnig sein? Warum hörte ihm niemand in dieser Welt zu?

„Es ist so respektlos! Wir haben noch nicht einmal Jacobs Leiche gefunden und schon...“

Sie unterbrach sich selbst und machte noch einmal Anstalten, ihn zu schlagen.

„Okay, hör zu“, versuchte er es noch einmal. „Ich bin Zetsu Akatsuki, ein Shinkenträger, der in diese Welt gekommen ist, um den Bringer des Lichts zur Strecke zu bringen. Ich sehe diesem Jacob offensichtlich sehr ähnlich, weswegen mich alle für ihn halten und mir keine Gelegenheit geben, mich richtig vorzustellen.“

Dass er diesen Umstand ausgenutzt hatte, verschwieg er. Mit Sicherheit hätte ihr das nicht gefallen.

Azars Gesichtszüge wurden ein wenig weicher, blieben aber angespannt. „Nun... die Menschen in dieser Stadt sind tatsächlich ein wenig voreilig, was Jacob angeht...“

Ihre gemurmelte Feststellung ließ Zetsu hoffen, dass sie nun aufhören würde, ihn anzuschreien und den Gedanken, ihn zu schlagen fallenlassen würde. Tatsächlich räusperte sie sich. „Es tut mir Leid, ich sollte mich vorstellen. Mein Name ist Azar, ich bin derzeit die Anführerin dieser kleinen Gruppe.“

Das gefiel ihm schon einiges besser.

„Was ist das für eine Gruppe? Und warum bin ich hier?“

Azar machte eine ausladende Handbewegung. „Wir rebellieren gegen Bahadur, den Lichtbringer, der unsere Welt dem Untergang ausliefern will.“

Genau wie meine Welt... das ist also das Ziel dieser Gruppe.

Obwohl er die Bringer des Lichts seit Jahren verfolgte, hatte er sich nie um ihre Motive oder Beweggründe gekümmert. Aber das sorgte nun auch nicht gerade dafür, dass sie ihm sympathisch wurden, ganz im Gegenteil. Zumindest musste er kein schlechtes Gewissen haben, fast die gesamte Gruppe ausgelöscht zu haben. Nein, er spürte sogar ein bisschen Stolz in sich. Er verspürte kein Mitleid für diese Leute, nur Abscheu. In seinen Augen hatte er sie ihrer gerechten Strafe zugeführt und so würde er weitermachen, bis die gesamte Gruppe verschwunden und er an seinem Ziel angekommen war.

„Meine Mitglieder sahen einige Stadtwachen, die dich fortschaffen wollten“, fuhr Azar fort. „Sie hielten dich für Jacob und haben dich quasi entführt.“

„Muss ich mich dafür bedanken?“, fragte Zetsu.

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und ersetzte den bitteren Zug. „Nun, nur wenn es dir gefallen hätte, in einer Müllpresse zu landen.“

Zetsu verzog sein Gesicht, als er das hörte. „Vielen Dank.“

Azar lachte leise. „Schon gut. Du sagtest vorher, du bist ein Shinkenträger.“

„Korrekt.“

Sie zögerte ein wenig, bis sie die nächste Frage stellte: „Kann ich dein Shinjuu mal sehen?“

„Selbstverständlich.“

Nanashi erschien wieder auf seiner Schulter. Sie deutete eine leichte Verbeugung an. „Mein Name ist Nanashi, freut mich sehr.“

Azar lächelte, als sie das kleine Shinjuu betrachtete. „Endlich... ich hatte befürchtet, wir würden nie einen zweiten Shinkenträger bekommen.“

„Einen zweiten?“, fragte Zetsu. „Wen habt ihr denn noch?“

Hinter Azar erschien plötzlich eine anmutige, in Schwarz gekleidete Frau inmitten von hellen Flammen, ihr Gesicht war verhüllt, auf ihrem Kopf thronte eine goldene Krone. Zetsu und Nanashi musterten die Gestalt interessiert.

„Das ist ein Shinjuu“, stellte sie schließlich fest.

Der Blick des Silberhaarigen ging zu Azar weiter. „Es gehört dir?“

Sie nickte zustimmend. „Das ist richtig, dies ist Sati. Gemeinsam mit dir werde ich Bahadur endlich zahlen lassen können. Dafür, dass er diese Welt zugrunde richtet und dafür, dass er Jacob getötet hat.“

„Warum ist dir dieser Jacob so wichtig?“, fragte Zetsu leicht genervt.

Jeder redete über ihn, aber besonders bei Azar schien noch etwas anderes dahinter zu stecken.

Sie hob ihre linke Hand, an der ein silberner Ring zu sehen war. „Jacob West war mein Verlobter – und ich will Rache für das, was ihm angetan wurde. Gemeinsam mit dir wird das möglich sein.“

Zetsu warf sein Haar zurück. „Danke, aber ich habe meine eigenen Pläne mit ihm. Ich brauche keine Hilfe von dir dafür.“

Zornig presste Azar ihre Lippen aufeinander. „Du meinst, du schaffst das allein?“

„Ich meine nicht nur, ich kann.“

Plötzlich wurde ihr Gesicht wieder ganz weich, sie lächelte. „Oh, ich bin gespannt, wie du in das Gebäude eindringen willst, in dem sich Bahadur befindet und wie du in den schwer bewachten Raum kommen willst. Es ist ja nicht so, dass wir nicht bereits einen Plan hätten. Wenn du meinst, dass du es allein schaffst, nur zu.“

Er konnte das triumphierende Glitzern in ihren Augen sehen, als er das Gesicht verzog. Zwar wollte er glauben, dass sie ihm das nur erzählte, um ihn auf ihre Seite zu ziehen, doch etwas sagte ihm, dass sie keineswegs übertrieb und er konnte es sich nicht leisten, noch einmal zu versagen.

„Du hast doch ein Shinken, damit dürfte niemand gegen dich ankommen“, bemerkte er. „Warum gehst du nicht allein?“

Sie stieß ein abgehacktes Lachen aus. „Denkst du nicht, dass ich das nicht auch in Betracht gezogen hätte? Aber es ist gänzlich unmöglich. Das Gebäude ist mit einem speziellen Abwehrmechanismus gesichert, man braucht mindestens zwei Shinkenträger, um ihn außer Gefecht zu setzen.“

Sein verwirrtes Gesicht brachte sie erneut zum Lachen. „Wenn du mir hilfst, erkläre ich dir alles und wir werden gemeinsam gegen Bahadur antreten. Deal?“

Es schien als würde ihm nichts anderes übrigbleiben. Auch Nanashi bemerkte in seinen Gedanken, dass er besser zustimmen sollte, wenn er nicht wirklich sterben wollte.

„Wir kennen uns doch gar nicht“, wagte er noch einen Vorstoß. „Woher weißt du, dass du mir vertrauen kannst?“

„Ich verlasse mich auf mein Gefühl. Du siehst aus wie Jacob und hörst dich an wie er, also vertraue ich dir auch wie ihm. Also, Deal?“

Seufzend gab er nach. „Ich weiß zwar nicht, was dieses Wort bedeutet, aber ich bin dabei.“

Azar lächelte zufrieden. „Fein, fein. Dann wollen wir mal mit der Planung beginnen, Jacob.“

Ihr Shinjuu verschwand wieder, sie verließ den Raum.

Denkst du, ich habe das Richtige getan, Nanashi?

„Natürlich. Alles ist erlaubt, solange es einen weiterbringt, nicht, Meister?

Ja...

Doch trotz Nanashis Worten ging es ihm nicht besser. In seinem Inneren herrschte das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben – aber nun konnte er es nicht mehr ändern.

Alles ist erlaubt, solange es einen weiterbringt.

Überläufer

Während er die dunkelgrauen Gefängnismauern anstarrte, fragte er sich immer wieder, was geschehen war. Alles war nach Azars Plan verlaufen, bis zu dem Punkt, als er eine der Schlüsselkarten für den Aufzug benutzen sollte – niemand hatte ihn gewarnt, dass sich Tränengas in diesem Aufzug befinden würde.

Soviel zu „Wir sind auf alles vorbereitet“, offenbar waren die Pläne der Rebellen veraltet.

Nun saß er in dieser Zelle und wartete darauf, dass jemand ihn dort herausholte. Immerhin galt er immer noch als deren Anführer. Azar hatte es für eine gute Idee befunden, die anderen Rebellen im Glauben zu lassen, dass er Jacob war, auch gegen Zetsus Willen.

Aus irgendeinem Grund stellte er sich vor, dass die Loyalität gegenüber Jacob so weit ging, dass seine Anhänger sich für ihn auch in den sicheren Tod stürzen würden. Aber möglicherweise war das nur Wunschdenken.

Da offensichtlich niemand kam und es zu nichts führte, sich darauf zu konzentrieren, dass jemand kommen sollte, wanderten seine Gedanken wieder zu dem Traum, den er vor seinem Erwachen im Rebellenhauptquartier gehabt hatte.

„Jiruol ist nämlich richtig stark! Ich habe gesehen, wie er Yaharagi, Sejital und Shumin getötet hat! Einfach so!“

Diese Worte von Alnine gingen ihm immer wieder durch den Kopf. Wenn er Jiruols Macht in sich aufnehmen könnte, würde ihm nichts und niemand mehr im Weg stehen und er hätte sich nicht auf diesen Deal mit Azar einlassen müssen.

Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Er würde es ohne Jiruols Hilfe schaffen, niemals würde er dessen Macht in Anspruch nehmen, solange er sich nicht die Zähne an jemandem ausbiss. Und bislang sah es ganz und gar nicht danach aus – wenn man von diesem Umweg über die Zelle absah.

Nanashi saß neben ihm auf der metallenen Pritsche, die als Bett dienen sollte. In unregelmäßigen Abständen entfuhr ihr ein Seufzen. „Meister, was denkt Ihr, wie lange wir hier noch rumsitzen müssen?“

„Vielleicht vergessen sie uns ja“, spottete er. „Das würde doch passen.“

„Sagt doch so etwas nicht“, bat sie entsetzt.

Lächelnd sah er sie an, um sich dafür zu entschuldigen, doch ein helles Kichern hielt ihn davon ab. Er warf einen Blick umher. Dieses Geräusch kam ihm bekannt vor, er hatte es schon einmal gehört – und zwar im Spirit Corridor! Es gehörte zu der Person, die ihn in Cains Welt geworfen hatte!

„Wer ist da!?“, rief er in den leeren Raum hinein.

Das Kichern erklang noch einmal, dann erschien eine kleine Fee, die er auch bereits zuvor gesehen hatte. Damals war er noch ein Kind gewesen, doch dieses Wesen war in sein Gehirn gebrannt. Es war das Shinjuu, das zu Jinmus Mörder gehörte – wenn es auch zu Bahadur gehörte, war er endlich in der richtigen Welt angelangt.

Sie musterte Zetsu eingehend, er hatte Mühe, sich zurückzuhalten. Am Liebsten hätte er sie sich geschnappt und so lange durchgeschüttelt, bis sie ihm Bahadurs Aufenthaltsort verraten würde. Doch er musste taktisch vorgehen, wenn er zu dem Meister des Shinjuu gelangen wollte.

„Du bist also Akatsuki“, stellte sie schließlich fest. „Mhm, du siehst gar nicht mal schlecht aus.“

Empört schnaubend schwebte Nanashi vor Zetsu. „Lass gefälligst meinen Meister in Ruhe!“

„Halt die Klappe, Zwerg!“, erwiderte das fremde Shinjuu. „Ich rede mit dem gutaussehenden Mann.“

Sie fegte die perplexe Nanashi beiseite. Zetsu schmunzelte. Sie war selbst um einiges kleiner als Nanashi und bezeichnete diese als Zwerg, das hatte was Ironisches.

„Also, Schatz, ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich gegen Cain ankommst.“

„Dann warst es also wirklich, die mich in diese andere Welt geschleudert hat.“

Sie nickte begeistert über sich selbst. „Oh ja! Cainilein war auch meine Kreation. Er sollte nicht nur dich testen, sondern auch unsere Verluste ausgleichen und unseren Plan vorantreiben. Ich glaubte, er wäre perfekt, aber du hast mich glücklicherweise auf meinen Fehler hingewiesen.“

Nichts in ihrer Stimme ließ darauf schließen, dass sie wütend auf ihn war, nein, es klang wirklich wirklich dankbar.

„Aber ich habe schon eine neue Idee“, sagte sie fröhlich. „Cain war vielleicht nicht perfekt, aber du bist da schon näher dran, mein lieber Gary Stu.“

„Was ist ein Gary Stu?“, fragte Zetsu verwirrt.

Es klang wie ein Name, aber irgendwie auch nach einem Etwas. Er konnte es jedenfalls nicht einordnen oder sich daran erinnern, es zuvor gehört zu haben.

„Oh, nichts weiter“, wehrte sie kichernd ab. „Das fiel mir nur so ein. Ach ja, da fällt mir auf, wie unhöflich ich doch bin. Mein Name ist Paget, ich bin das großartige Shugo Shinjuu des großartigen Bahadur, von den Bringern des Lichts.“

Nanashi schnaubte. „Arrogante Kuh...“

„Redest du von dir?“, fragte Paget amüsiert. „Jedenfalls, Akatsuki, bin ich hier, um dir ein großartiges Angebot zu machen. Mein Meister hat dich seit deiner Zeit bei Jinmu beobachtet und ist außerordentlich glücklich mit deiner Entwicklung.“

Also war Bahadur wirklich Jinmus Mörder. Nun hieß es, vorsichtig zu sein und taktisch klug vorzugehen.

„Was bedeutet das?“, hakte Zetsu nach.

Paget lächelte. „Meister Bahadur wusste schon damals, dass in deinem Herzen viel Dunkelheit existiert. Du hast gelitten, genau wie er und deswegen wäre es das Beste, wenn du dich uns anschließen würdest. Deine Kräfte sind viel zu gut, um sie für die Brigade zu verschwenden und die Finsternis in deinem Herzen sehnt sich nach mehr, ich weiß es.“

Die Brigade war neu für Zetsu, aber im Moment interessierte ihn das nicht. „Ich habe fast alle eure Verbündeten getötet, wie sieht das denn aus, wenn ich euch beitrete?“

Paget lachte. „Die anderen waren doch alles Versager. Du bist viel mehr wert als sie alle zusammen.“

Es kam für Zetsu absolut nicht in Frage, sich den Lichtbringern anzuschließen. Sie arbeiteten für die Götter, die für den Untergang seiner Welt verantwortlich waren und sollten damit demselben Schicksal zugeführt werden, wie eben diese. Aber für den Moment wäre es vielleicht sinnvoll, zumindest so zu tun als ob. Immerhin würde er dann wieder aus der Gefängniszelle raus und problemlos in Bahadurs Nähe kommen können.

„Du schmeichelst mir“, bemerkte Zetsu gespielt verlegen.

„Aber nein, ganz und gar nicht“, erwiderte Paget entschieden. „Du würdest unsere Kampfkraft um ein Vielfaches erhöhen und wir können so alte Welten erhalten.“

„Was?“, fragte er irritiert.

Paget griff sich an die Wange und setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. „Weißt du das nicht? Die Bringer des Lichts zerstören Welten – um alte Welten zu erhalten. So wie deine, die für eine neue zerstört wurde.“

Für einen kurzen Moment geriet seine Entschlossenheit ins Wanken. Sie wollten also die alten Welten schützen, damit sie nicht wie seine Heimat zerstört wurden. Das Ziel der Gruppe schien egoistisch wie edel, doch die Umsetzung behagte ihm gar nicht. Für das alte Leben wurde neues zerstört – und das war auch nicht der richtige Weg.

Außerdem galt sein Vorsatz der Rache immer noch, da war es völlig egal, was Ziel und Motivation der Lichtbringer waren.

Er erhob sich von der Pritsche. „In Ordnung, ich schließe mich euch an.“

Nanashi sah ihn verdutzt an. „Meister?“

Er ignorierte sein Shinjuu, sein Blick blieb auf Paget gerichtet. Die Elfe lächelte zufrieden. „Ich wusste doch, dass du die richtige Entscheidung treffen würdest. Dann bringe ich dich mal zu meinem Meister, damit ihr das gebührend feiern könnt.“

Die Zellentür öffnete sich. Paget gab ihm mit mit einem Wink zu verstehen, dass er ihr folgen sollte, dann flog sie voraus. Während Zetsu ihr durch den Gang hinterherlief, verschwand Nanashi wieder.

„Ich verstehe das nicht, Meister. Was habt Ihr vor?“

Vertrau mir einfach. Ich weiß, was ich tue.

„Seid Ihr sicher?“

Ganz sicher.

Sie schwieg wieder, aber überzeugt schien sie nicht zu sein.

Paget führte ihn nicht in einen Raum, sondern direkt auf das Dach. Der scharfe Wind zerzauste sein Haar und spielte mit seiner Kleidung. Sein Blick blieb an einem schwarzhaarigen Mann hängen. Alles an ihm war genau wie damals, er war eindeutig der Mann, der Jinmu getötet hatte. Zetsu sah ihn wieder vor sich, mit dem Bogen und dem angelegten Pfeil über dem Gefallenen stehend. Mit aller Macht hielt er sich selbst davon ab, sein Shinken zu ziehen und auf den Lichtbringer zuzustürmen. Er durfte seine Taktik noch nicht aufgeben, deswegen drängte er die Wellen des Hasses zurück.

Paget flog zu dem Mann hinüber und sagte etwas zu ihm. Es war wirklich Bahadur.

Er fuhr herum und musterte Zetsu, der langsam näherkam. „Du bist Akatsuki?“

Der Angesprochene nickte. „Und du Bahadur.“

In seinem Fall war es eine Feststellung, dennoch nickte der Lichtbringer. „Du kennst meinen Namen also schon. Gut, das erspart mir eine Vorstellung.“

Sein Blick ging an Zetsu hoch und runter. „Aus dir ist ja richtig was geworden. Mein Gefühl hat mich damals also nicht getäuscht.“

„Schön für dich“, sagte Zetsu trocken.

„Na na na, ist man etwa so unhöflich zu seinem Kollegen?“

Der Silberhaarige knirschte mit den Zähnen. „Tut mir Leid.“

Bahadur winkte ab. „Schon gut, wir haben immerhin noch etwas anderes zu tun als Höflichkeitsfloskeln auszutauschen.“

Zetsu wollte gerade fragen, was das sein könnte, als plötzlich Schritte erklangen. Er wandte den Kopf und entdeckte Azar, die von mehreren Wachen begleitet wurde. Keiner von ihnen hielt sie fest, aber alle behielten sie genau im Auge als ob sie nur auf eine falsche Bewegung warten würden.

Azar erblickte Zetsu, ein fragender Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. „Wie kommst du hierher?“

„War das nicht Teil des Plans?“, erwiderte er.

Auf Bahadurs Wink verließen die Soldaten das Dach wieder. Azar schluckte leicht. „Nun, irgendwie schon, aber... ich habe gehört, du wärst gefasst worden.“

„Tränengas schadet auch einem Shinkenträger.“

Bedrückt sah sie ihn an.

„Ich fass es nicht!“, klagte Zetsu. „Ihr habt davon gewusst und mich ins offene Messer laufen lassen!“

„Das war die einzige Möglichkeit, hier hoch zu kommen!“, verteidigte Azar sich.

Er schnaubte. „Ja, ich sehe ja, wie gut es geklappt hat.“

„Warum? Ich bin hier, oder!?“

Bahadur unterbrach ihren Streit mit einem herzhaften Gähnen. „Ich störe ja nur ungern, aber ihr beide werdet langsam langweilig. Akatsuki, wie wäre es, wenn du den Bringern des Lichts deine Treue demonstrierst und Azar tötest?“

Schockiert sah sie den Silberhaarigen an. „Du bist denen beigetreten!? Hast du sie noch alle!?“

Seufzend zog Zetsu sein Shinken. „Nerv mich nicht. Meine Pläne gehen dich nichts an.“

„Aber Jacob hätte so etwas nie getan...“

Enttäuscht ließ sie den Kopf hängen.

„Ich bin aber nicht Jacob“, erwiderte er gereizt. „Es wird Zeit, dass du das einsiehst.“

Die Worte schienen nicht zu ihr durchzudringen, ihr Blick blieb gesenkt. Bahadur lachte leise. „Nun verpass ihr den letzten Schlag, Akatsuki, während sie sich noch in diesem Zustand befindet.“

Es widerstrebte Zetsu. Zwar konnte er Azar nicht wirklich leiden, doch er hegte ihr gegenüber auch keinerlei Groll. Deswegen hoffte er, dass ihr Shinjuu etwas tun würde, wenn er sie angriff.

Zu einem solchen kam es aber nicht mehr. Sati erschien, noch bevor er irgend etwas tun konnte. Sie schleuderte ihm Flammen entgegen, die ihn zurückwarfen. Doch bevor er schmerzhaft Kontakt mit dem Boden machen konnte, schaffte er es, sich wieder zu fangen und geschmeidig wie eine Katze auf den Füßen zu landen.

Azar hob schließlich den Kopf wieder. Ihr Shinken erschien und nun verstand Zetsu, weswegen die Ärmel an ihren Unterarmen zerrissen waren: Sie trug zwei leicht gekrümmte kurze Klingen in ihren Händen, an den Enden der Griffe waren Ketten befestigt, die um ihre Unterarme geschlungen waren.

Zetsu stellte es sich schmerzhaft vor, wenn die Ketten auf der bloßen Haut rieben, doch er machte sich keine weiteren Gedanken darum. Nun da Azars Shinken erschienen war, konnte er gegen sie kämpfen – zumindest bis er ihr seinen Plan begreiflich gemacht hatte. Er hoffte nur, dass das nicht allzu lange dauern würde.

Mit einem wütenden Schrei griff sie ihn an. Zetsu wich ihr aus und wehrte den direkt darauf folgenden Angriff ab. Sie ließ nicht von ihm ab, versuchte stattdessen ihn zurückzudrängen, an den Rand des Daches, um ihn dort hinunterzustürzen.

Allerdings war er um einiges stärker als sie, weswegen erfolglos gegen ihn anlief. Es wirkte fast wie eine Satire auf einen richtigen Kampf. Azar grummelte. Da sie mit beiden Klingen gegen ihn anlief und es gerade so schaffte, ihn unter Kontrolle zu halten, konnte sie es nicht riskieren, mit dem Druck nachzulassen und ihn anders anzugreifen.

Zetsu neigte den Kopf ein wenig zu ihr, um ihr etwas zuzuflüstern: „Hör zu, wenn wir zusammen gegen ihn antreten, können wir ihn töten.“

Irritiert hielt sie inne. „Was?“

„Du hast mich schon richtig verstanden. Ich wollte nur aus dieser Zelle raus. Also?“

Für einen Moment schien es, als hätte sie ihn nicht verstanden oder würde ihm nicht glauben, doch dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Ja!“

Sie ließ von ihm ab und wandte sich gemeinsam mit Zetsu Bahadur zu. Der Blick des Lichtbringers ging zwischen beiden hin und her. „Was soll das bedeuten?“

„Na, was wohl?“, fragte der Silberhaarige schmunzelnd. „Denkst du wirklich, ich würde mich denen anschließen, die für den Untergang meiner Heimat verantwortlich sind und demjenigen, der meinen Lehrmeister getötet hat?“

„Du machst einen großen Fehler“, erwiderte Bahadur. „Ich bin nicht umsonst ein Eternal, du wirst durch meine Hand sterben!“

Der Bogen erschien in seiner Hand. Doch weder Zetsu noch Azar ließen sich dadurch entmutigen, beide wollten nur Rache an ihm nehmen und würden sich durch nichts davon abhalten lassen, selbst wenn sie dafür sterben mussten.

„Dann legen wir los!“

Süße Rache

Sowohl Zetsu als auch Azar erkannten bald, dass Bahadur ein tougher Gegner war. Nicht nur war er ein exzellenter Schütze, er schien auch jeden einzelnen Angriff vorherzusehen, außerdem nutzte er im Nahkampf seinen riesigen Bogen, der genauso schmerzhaft wie jede Schlagwaffe war.

Die beiden Verbündeten waren bald mit blauen Flecken und Blutergüssen übersät, aber keiner von beiden dachte auch nur im Entferntesten daran, aufzugeben.

Paget umschwirrte die Kämpfenden und stieß dabei immer wieder ein leises Kichern aus. Nanashi beobachtete sie argwöhnisch dabei, reagierte aber ansonsten nicht.

Ihr Blick ging wieder zu Zetsu und Azar hinunter, die sich immer noch einen wilden Kampf lieferten. Obwohl die Rebellenführerin trotz offensichtlich fehlender Erfahrung geschickt mit ihren Messern hantierte, schaffte sie es nicht, einen Treffer bei Bahadur anzubringen.

Zetsu machte aber trotz seiner Erfahrung keine viel bessere Figur. Jeder seiner zielgerichteten Schwerthiebe wurde von seinem Gegner mit Leichtigkeit pariert.

Sie entfernten sich wieder von Bahadur und blieben nebeneinander stehen. Er dagegen blieb auf seinem Platz stehen und tat gar nichts, scheinbar nicht einmal atmen.

„Wie kann er nur so schnell sein?“, beklagte Azar sich.

„Wenn ich das wüsste“, antwortete Zetsu. „Möglicherweise verleiht sein Shinken ihm diese Kraft.“

„Können wir das auch?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon, aber es ist gefährlich.“

Plötzlich begann Bahadur, sich wieder zu bewegen. Wenngleich diese Bewegungen ungelenk wirkten, als kämen sie von jemandem, dem alle Glieder eingeschlafen waren. Zetsu dachte wieder an Puppe zurück, die wie sein Aussehen gehabt hatte, aber diesmal war es anders. Er konnte das von Bahadur ausgehende Mana spüren, also war er ein durchaus lebendiges Lebewesen. Möglicherweise kamen seine ungelenken Bewegungen von dem übermäßigen Gebrauch seines Shinken.

„Wollt ihr noch lange reden?“, fragte er genervt. „Ich dachte, ihr seid hier, um mich zu töten.“

Bevor Zetsu sie aufhalten konnte, preschte Azar zu einem weiteren Angriff vor. Eine Wolke aus roten Manafunken umgab sie dabei.

Bahadur machte sich nicht einmal die Mühe, sie abzuwehren. Stattdessen machte er einfach locker einige Schritte zur Seite, so dass er jedem einzelnen ihrer aufeinanderfolgenden Angriffe ausweichen konnte.

Plötzlich blieb sie stehen und hob eine ihrer Hände. „Divine Flames!“

Ihr Shinjuu schleuderte Flammen auf Bahadur. Selbst Zetsu konnte die Hitze spüren, die von diesem Angriff ausging, obwohl er mehrere Meter entfernt von ihnen stand.

Doch Bahadur ließ sich nicht davon beeindrucken. Lässig hob er seinen Bogen vor sich. Die Flammen verpufften wirkungslos an seinem Schild. „Ist das alles, was du zu bieten hast?“

Azar wich zurück, ungläubig starrte sie auf den Unverletzten. „D-das kann doch nicht sein... das ist noch nie zuvor passiert. Warum hat es nicht funktioniert?“

„Du hattest es noch nie mit einem Eternal zu tun“, erwiderte er daraufhin süffisant. „Wir sind die Krone der Schöpfung, die Spitze der Evolution! Jämmerliche Shinkenträger wie ihr es seid, könnt uns nicht besiegen!“

Azar ergriff ihre Waffen fester, ihre Knöchel traten weiß hervor. Zetsu konnte spüren, wie ihr Zorn weiter angefacht wurde. Mit fast schon wissenschaftlichem Interesse beobachtete er ihre Reaktion.

Genau wie Bahadur, der sie immer noch unbewegt ansah.

Sie legte ihren Kopf in den Nacken und stieß einen lauten Schrei aus. Das Mana um sie herum schien geradezu zu explodieren, Zetsu hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten, Bahadur dagegen ließ alles wieder an seinem Schutzschild abprallen.

Er wollte noch etwas sagen, doch erneut wurde er von Azar mit unzähligen Angriffen eingedeckt.

Zetsu konnte sehen, wie sich auch ein Schleier aus rotem Mana um ihn herum bildete, während er auf die Kraft seines Shinken zurückgriff, um auszuweichen.

Sieht das bei mir auch so aus, wenn ich kämpfe?

„Meister!“

Zetsu sah zu dem Shinjuu hinüber. Paget wollte zu Bahadur schweben, doch Nanashi stellte sich ihr in den Weg. „Nicht so schnell! Du kommst hier nicht weg!“

Das Feenshinjuu schnaubte und wollte nach dem Haar ihres Gegenübers greifen, doch Nanashi duckte sich rechtzeitig weg, so dass die fremde Hand ins Leere ging.

„Geh mir aus dem Weg, Zwerg!“

Ein Kampf entbrannte zwischen den beiden, dem Zetsu allerdings nicht weiter folgen wollte. Sein Blick ging wieder zu Azar und Bahadur.

Inzwischen schien er tatsächlich einige Schwierigkeiten zu bekommen, denn er ging immer öfter in Abwehrhaltung statt auszuweichen, sein Gesicht vor Anstrengung verkrampft.

Ihre Angriffe wurden von einem Schweif dunkelrotem Manas begleitet, der ihrem Zorn zusätzlich Ausdruck verlieh. Zetsu wollte ihre Wut ganz sicher niemals auf sich ziehen.

Schließlich schaffte sie es, einen Treffer anzubringen. Sie zog ihre Waffe quer über sein Gesicht, nur knapp an seinem Auge vorbei und hinterließ eine klaffende Wunde.

Bahadur stolperte zurück, Azar blieb in Angriffsposition stehen. Ihr Atem ging schwer und heftig, er verriet die Anstrengung, die hinter ihrem Kampfstil steckte. Aber da war noch etwas...

Ihr Shinken glühte bedrohlich, als ob es versuchen würde, mit ihr zu sprechen. Er konnte Nanashi nicht danach fragen, aber er hörte bereits eine andere Stimme in sich, die ihm das zu erklären versuchte: „'Nekketsu' versucht, ihren Verstand zu übernehmen.“

Mit einem weiteren Schrei stürzte sie sich erneut auf Bahadur. Sie prallte heftig an seinem Schutzschild ab, wurde zurückgeschleudert, ohne dass es ihr etwas auszumachen schien und griff ihren Gegner erneut an. Diesmal erwiderte er den Angriff, was dazu führte, dass alsbald Mana aus Verletzungen an ihren Armen sickerte.

Als Azar erneut zurückgeschleudert wurde, nutzte Bahadur die Gelegenheit für einen weiteren Angriff. Er legte einen Pfeil an, zielte und ließ ihn los. Das Geschoss, das von rotem Mana eingehüllt wurde, fegte auf Azar zu.

Einem ersten Impuls folgend, wollte Zetsu dazwischengehen, doch er hielt sich zurück.

Azar wehrte den Pfeil problemlos mit einem ihrer Shinken ab, doch plötzlich erschien ein weiterer Pfeil, den mit ihrer anderen Klinge abwehrte. Zetsu hatte nicht einmal bemerkt, dass noch ein Pfeil abgeschossen worden war.

Aber als ein weiterer Pfeil erschien, war er sich sicher, dass Bahadur nichts getan hatte. Die Geschosse erschienen einfach aus dem Nichts, wie auch immer das möglich war.

Der dritte Pfeil fand sein Ziel in Azars rechter Schulter. Sie schrie schmerzerfüllt auf, wobei der Schrei mehr an ein wildes Tier als an einen Menschen erinnerte. Allerdings ließ sie sich auch von der neuen Verletzung nicht abbringen, weiter anzugreifen, was Bahadur durchaus zu verwirren schien.

„Du musst die Frau aufhalten, wenn du nicht willst, dass sie dich mit 'Nekketsus' Hilfe um deine Rache bringt“, erklang die Stimme in seinem Inneren wieder.

Inzwischen war sich Zetsu sicher, dass es sich um Rutsuruji handelte, immerhin ähnelte die Stimme seiner eigenen und der, die er öfter in diesen Träumen hörte.

Es widerstrebte ihm, aber er musste dem Gott recht geben. Allerdings fürchtete er auch, verletzt zu werden, sobald er sich in den Kampf einmischte. Azar war augenblicklich mehr Biest als Mensch und er war sich sicher, dass sie auch ihn angreifen würde, sobald er in der Nähe war.

Aber wenn er nichts tun würde, würde Azar Bahadur ohne seine Hilfe töten und er würde nie Rache für Jinmu nehmen können. Nein, das konnte er nicht riskieren.

Also begab er sich mit gezücktem Shinken ebenfalls in den Kampf. Tatsächlich schien Azar davon absolut nicht erbaut zu sein. Sie warf ihm einen glühenden Blick zu, der vor Gift nur so strotzte.

Er ließ sich davon nicht beeindrucken und griff Bahadur zusammen mit ihr an.

Der vereinten Kraft von Azar im Furienmodus und dem entschlossenen Zetsu konnte der Lichtbringer kaum noch standhalten. Bahadur knurrte, aber das half ihm auch nicht. Sein Shinken glühte auf, Zetsu konnte spüren, wie in ihm genau dieselbe Verwandlung vor sich ging wie in Azar.

Toll, gleich zwei Verrückte auf einmal.

„Meister!“, hörte er erneut den schrillen Schrei des Feenshinjuu.

Diesmal ließ sie sich nicht von Nanashi aufhalten, die nicht derartig schnell reagieren konnte. Paget flog zu Bahadur, der ihr allerdings nicht einmal einen Blick schenkte.

„Meister!“, winselte sie noch einmal. „Tut das nicht, bitte!“

„Verschwinde!“, fauchte Bahadur und schlug einmal nach ihr, bevor er sich auf Azar stürzte.

Zetsu ignorierte er dabei vollkommen. Der Silberhaarige ging einige Schritte zurück und beobachtete den wilden Kampf.

Der Anblick besorgte ihn wirklich. Möglicherweise würden sich beide gegenseitig umbringen und keiner würde je wieder Probleme mit ihnen kriegen. Aber Zetsus Rache wäre damit immer noch verloren. Doch eingreifen konnte er nicht. Nicht nur wurde er von beiden ignoriert, er hatte das Gefühl, dass sie einige Level über ihm waren und er gnadenlos untergehen würde – auch wenn er sich das äußerst ungern eingestand.

Paget flog zu Zetsu hinüber. Ihr flehender Blick jagte ihm einen Schauer über den Rücken. „Bitte, Akatsuki, du musst ihm helfen. Er wird wahnsinnig werden!“

„Ihm helfen?“, hakte Zetsu nach. „Du weißt, dass es mein Ziel ist, ihn zu töten, nicht? Das ist die einzige Hilfe, die ich ihm bieten kann.“

„Ich weiß“, sagte Paget. „Aber Azar kann ihn nicht besiegen! Du musst es tun!“

Ihr plötzlich Stimmungsumschwung von frech zu verzweifelt, irritierte Zetsu im ersten Moment ein wenig. Die Bitte, nein, der Befehl, kam so plötzlich und überraschend, dass er zuerst gar nicht darauf reagieren konnte.

Verunsichert, wie zuletzt als Kind, sah er zu Nanashi hinüber. Sein Shinjuu wirkte ebenso irritiert wie er, weswegen sie seinen Blick nur mit einem Schulterzucken beantworten konnte.

Er sah wieder Paget an. „Aber was soll ich tun? Er ist um einiges stärker als ich – und ich werde bestimmt nicht dermaßen viel Macht aus meinem Shinken ziehen.“

„Ich weiß, dass du das tun kannst, Akatsuki“, sagte Paget absolut überzeugt. „Du bist der einzige, der das kann – deswegen habe ich dich doch hierher geholt!“

„Was?“, fragte Zetsu verwirrt.

Sie gab einen genervten Laut von sich. „Cain war nur ein Test. Er war auf demselben Level wie mein Meister, weil ich sehen wollte, ob du ihn aufhalten kannst. Aber jetzt ist es zu spät! Man kann ihn nur noch aufhalten, indem man ihn tötet!“

Ihre gehetzte Stimme verriet ihm, dass sie die Wahrheit sagte. Auch wenn er es äußerst seltsam fand. Sie hatte ihn also getestet, um zu sehen, ob er stark genug war, ihren Meister zu töten, sobald dieser dermaßen ausrasten würde?

„Ich dachte, du unterstützt ihn“, erwiderte er.

„Das tue ich auch – aber alles hat seine Grenzen! Jetzt beeil dich endlich!“

Seufzend begab er sich wieder in den Kampf, auch wenn dieser noch hitziger geworden war. Zuerst wurde er wieder von beiden ignoriert, doch als er es schaffte, Bahadur eine Verletzung am Rücken zuzufügen, fuhr dieser wutentbrannt zu ihm herum. Azar hielt im Kampf inne, scheinbar um sich zu erholen und Luft zu schnappen.

Eingeschüchtert wich Zetsu zurück. Das Glitzern in den Augen des Lichtbringers gefiel ihm nicht – und der folgende Angriff des Mannes gab ihm recht. Statt die Pfeile abzuwehren, so wie Azar es getan hatte, wich Zetsu ihnen so schnell wie möglich aus.

Lediglich den letzten Pfeil schleuderte er mithilfe seines Shinken zurück auf den Angreifer, der tatsächlich getroffen wurde. Mit einem erstickten Laut taumelte Bahadur zurück.

Azar nutzte die Gelegenheit, vorzuspringen und ihre Klingen in seinem Rücken zu versenken. Ein weiterer Schrei, gefolgt von einem Blutschwall, kam aus Bahadurs Kehle.

Zetsu trat ebenfalls dazu und stieß sein Shinken in den Brustkorb des Lichtbringers. Noch einmal schoss Blut aus seinem Mund, er gab gurgelnde Laute von sich – und hörte auf, sich zu bewegen.

Kurz darauf löste er sich bereits in unzählige Manafunken auf, so wie all die anderen vor ihm.

Nach diesem für Zetsu furchterregenden Kampf, den er hauptsächlich beobachtet hatte, kam ihm dieses Ende schon fast enttäuschend unspektakulär vor.

Das befriedigende Gefühl, das Zetsu für die Vollendung seiner Rache erwartet hatte, blieb aus. Doch er machte sich keine Gedanken darum und schob es auf die Tatsache, dass er den Tod des Lichtbringers nur noch nicht wirklich realisiert hatte. Sobald dies geschehen war, so war er sich sicher, würde sich auch die Zufriedenheit einstellen.

Dafür sah er plötzlich etwas vor sich. Eine seltsame Welt, die ihm bislang vollkommen unbekannt war. Sie war anders als die bisherigen Welten. Einzelne Inseln, jede mit anderen Wetterverhältnissen schwebten im um einen großen Felsen herum. Inmitten dieses Felsens gab es ein Loch, in dem sich irgendetwas, was einem Baum ähnelte, zu befinden schien.

Er spürte genau, dass es dort, in dieser Welt, etwas gab, was er finden wollte, das, wonach er so lange gesucht hatte. Ja, es musste der Wohnort der verwaltenden Götter sein.

Kaum war Bahadur verschwunden, wurden Azars Augen vollkommen leer, ihr Blick blieb unfixiert.

Instinktiv machte Zetsu einen Schritt zurück, da er befürchtete, sie würde nun ihn angreifen, doch stattdessen kippte sie wortlos vornüber, ihr Shinken verschwand wieder.

Zetsu kniete sich neben sie, Nanashi kam ebenfalls dazu und stellte nach nur einem kurzen Blick fest, dass Azar ohnmächtig war, was sie Zetsu auch sofort mitteilte.

„Wenn es nur das ist...“

Er stand wieder auf.

„Wollt Ihr sie so liegen lassen, Meister?“

„Jemand wird sie schon finden“, antwortete er. „Wir müssen weiter.“

Ratlos neigte Nanashi den Kopf. „Weiter? Wohin? Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht.“

„Musst du auch nicht.“

Er steckte sein Shinken ein und wandte sich seinem Shinjuu zu. Sein Gesicht war wieder vollkommen ernst. „Ich weiß schon, wo wir hinmüssen.“

„Seid Ihr sicher, Meister?“

„Ja!“, fauchte er. „Frag nicht immer so blöd!“

Nanashi zuckte zusammen. Er seufzte. „Also los, kümmern wir uns endlich um.“

Sie nickte langsam und öffnete einen Spirit Corridor. „Dann gehen wir.“

Gemeinsam gingen sie durch das Portal hindurch, das sich wie üblich hinter ihnen wieder schloss, so dass sie nicht mitbekamen, wie jemand das Dach betrat.

Der silberhaarige junge Mann kniete sich neben Azar. Behutsam strich er ihr über die Stirn, worauf sie die Augen aufschlug. Sie lächelte, als sie den Mann erkannte. „Jacob... du lebst.“

Er nickte lächelnd. „Du weiß doch, so leicht kriegt man mich nicht klein.“

„Ich bin so froh...“

Sie schloss ihre tränennassen Augen erschöpft wieder. Vorsichtig Jacob sie auf seine Arme, um sie nach unten und dann zu einem Arzt zu bringen – und sich dann selbst als Held feiern zu lassen, obwohl er absolut nichts getan hatte.

Der Name des Ruins

Nanashi nannte diese Welt den Idealen Stamm. Ein Ort mitten im Zentrum des Zeitbaums, an dem alle Stränge zusammenliefen und von dem aus sämtliche Dinge mittels Datenübertragung geregelt werden konnten.

Zetsu interessierte sich allerdings nicht dafür. Alles, was er wollte, war, die verwaltenden Götter zu finden und diese endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Er zweifelte nicht mehr daran, dass er das konnte, es war nur noch eine Frage, wie schnell er das schaffen würde.

Ungeduldig hetzte er über die Inseln, die ihn zur Mitte führen sollten. Von einer verschneiten Ebene über eine wundervoll üppige Vegetation, zu einer Wüste und schließlich einer erneuten Grasfläche kam er schließlich im Zentrum an.

Bis dorthin hielt er kein einziges Mal inne, um sich die Umgebung zu betrachten, jede Sekunde, die verstrich, brachte er weitere Schritte hinter sich, bis er schließlich am Zielort angekommen war.

Da er nirgends mehr hingehen konnte, blieb er stehen und wartete. Die Pflanzen, die hier wuchsen, hatte er bislang in keiner anderen Welt gesehen und auch ihre Größe verwunderte ihn.

Neugierig griff er nach einer Pflanze. Sie fühlte sich leblos an, offenbar war sie nicht echt, sondern diente nur der Dekoration. Möglicherweise fühlten sich die Götter sonst schlecht, weil sie diese Welt nicht verlassen konnte.

Wut stieg wieder in Zetsu auf, als er daran dachte und seinen Blick über die verschiedenen Plattformen streifte, die von hier oben aus überblickbar waren. Egal welches Szenario die Götter wollten, sie konnten jedes haben. Wurde es ihnen zu kalt, besuchten sie einfach die Wüste, wurde es zu heiß, konnten sie die verschneite Plattform besuchen – und dann gab es noch die Plattform mit enorm viel Wasser und jene mit einer frühlingshaften Vegetation. Und eben dieses Zentrum mit den unnatürlichen Pflanzen.

Sie hatten all das und dennoch schienen sie anderen diese Freiheit nicht zu gönnen und zerstörten mal eben Welten wie es ihnen gefiel. Wütend ballte er seine Hände zu Fäusten. Niemals würde er ihnen vergeben, niemals...

Ein leises Lachen ließ ihn zusammenzucken.

„Es scheint, als hätten wir Besuch“, erklang eine spöttische Stimme.

Alarmiert griff Zetsu an den Griff seines Schwertes, aufmerksam sah er sich nach allen Seiten um. Kurz darauf erschien vor ihm ein alter Mann mit brauner trockener Haut, das Alter hatte tiefe Spuren in sein Gesicht gegraben, auf seinen Schultern trug er einen schwer aussehenden Panzer, der seinen Oberkörper nach unten drückte. Er hielt die Hände vor sich gefaltet, direkt davor schwebte eine violette Energiekugel, in dessen Inneren sich ein weit aufgerissenes Auge befand.

„Es ist eine Weile her, seit wir so jungen Besuch bekamen“, sagte der Alte.

Es war dieselbe Stimme wie gerade eben. Zetsu schwieg dazu nur.

Im nächsten Moment erschien eine weitere Person. Obwohl sich Zetsu nicht sicher war, ob man diese Gestalt wirklich als Person bezeichnen konnte. Von seiner Haut war, aufgrund seiner pompösen Kleidung, abgesehen von seinem Gesicht nicht sonderlich viel zu sehen. Aber das Auffallendste an ihm waren ohnehin die Hörner auf seinem Kopf. Seine Stimme war dunkel und ernst, anders als die des ersten Mannes: „Möglicherweise sollten wir ihn fragen, was er von uns will, Etle. Nicht oft verirrt sich jemand zu uns.“

„Eine gute Idee, Edega“, stimmt der Alte zu.

Beide wandten sich ihm zu.

„Was führt dich zu uns, Zetsu Akatsuki?“, fragte Etle.

Zetsu runzelte seine Stirn. „Woher kennt ihr meinen Namen?“

„Wir wissen alles über dich“, antwortete Edega. „Immerhin sind wir die verwaltenden Götter.“

Der Silberhaarige schmunzelte. „Dann wisst ihr ja mit Sicherheit auch, warum ich hier bin.“

Die beiden lachten einstimmig. Zetsu wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Keiner der beiden Götter schien auch nur im Mindesten Furcht zu haben, dafür flößten sie ihm diese ein, was ihm ganz und gar nicht gefiel.

In Edegas Hand erschien ein Stab. Trotz der Entfernung spürte Zetsu die ungeheure Macht, die von dieser Waffe ausging, sie ließ seinen Körper zittern und seinen Geist in Panik verfallen. Er musste alle Konzentration zusammentrommeln, die er aufbringen konnte, um nicht einfach wegzulaufen.

Etle zog keinerlei Waffe, aber das Auge in der Energiekugel begann aufgeregt innerhalb eben dieser zu hüpfen. Plötzlich ging auch davon eine ungeheure Kraft aus, die Zetsu beinahe um den Verstand brachte. Alles verschwamm vor seinen Augen, er musste mehrmals angestrengt blinzeln, um wieder einen klaren Blick zu bekommen.

„Dann wollen wir ihn mal spüren lassen, dass man mit Göttern nicht spaßt“, brummte Edega.

Zetsu konnte im allerletzten Moment ein Schild aufbauen, an dem der Angriff des Gottes abprallte. Er hatte den Angriff nicht einmal kommen sehen. Niemals hätte er bei diesen alten Männern eine solche Geschwindigkeit erwartet – dabei war es nur verständlich, immerhin waren sie Götter.

Wie hatte er sie nur so unterschätzen können? Aber für Reue oder Bedenken war es zu spät.

Unter einem heftigen Zauber von Etle zerbrach Zetsus Schild. Krämpfe schüttelten seinen Körper, als der Zauber ihn traf, es war als ob er in Flammen stehen würde. Noch nie zuvor hatte er solche Schmerzen verspürt wie in diesem Moment. Lediglich seine eigene Willenskraft hielt ihn davon ab, laut aufzuschreien.

Den beiden Göttern schien das zu gefallen, denn als der Zauber und auch der Schmerz nachließ, konnte er sie wieder amüsiert lachen hören. Erneut stieg Wut in ihm empor.

Zetsu zog sein Shinken und rannte auf Etle zu. Er hatte gerade zum richtigen Angriff angesetzt, als der Alte vor ihm verschwand und mehrere Meter entfernt wieder auftauchte. Im nächsten Augenblick spürte Zetsu einen stechenden Schmerz in seiner Brust, der von dieser violetten Kugel herrührte, die sich gleich darauf wieder zu ihrem Besitzer zurückzog.

Noch bevor er sich von diesem Angriff erholen konnte, bekam er einen heftigen Schlag in den Rücken, der ihn taumeln ließ. Für einen kurzen Moment verlor er sämtliches Gefühl in seinem Körper, doch sein Wille half ihm auch diesmal. Er griff sein Shinken fester und wirbelte herum, doch Edega war bereits wieder mehrere Meter von ihm entfernt.

Wie können die beiden nur so schnell sein? Wie können sie teleportieren?

Als er sah wie Edega einen neuen Zauber wirkte, baute er wieder ein Schutzschild auf – nur um erneut zusehen zu müssen, wie es zerbrach. Mit einem Schrei ging er in die Knie, Wellen von Schmerz fuhren immer wieder durch seinen Körper und ließen ihn fast das Bewusstsein verlieren.

Etle lachte amüsiert, während er zusah, wie der Silberhaarige sich wand.

Edega beendete seinen Zauber abrupt, aber der Schmerz in Zetsus Körper klang nur langsam wieder ab. Keuchend schnappte er nach Luft. Fast noch mehr schmerzte aber die Erkenntnis, dass dieser Kampf vorbei zu sein schien, bevor er richtig angefangen hatte.

Aber das konnte er nicht zulassen. Er trommelte seine letzten Kraftreserven zusammen und stand wieder auf. Seine Knie knickten unter ihm weg, aber er richtete sich erneut auf. Er war endlich am Ziel, er konnte nicht so einfach aufgeben.

Mit einem entschlossenen Schrei stürzte er sich erneut auf Edega. Seine Augen weiteten sich erstaunt, als sein Shinken auf das fremde Schild traf – und nichts weiter geschah.

Wütend griff er weiter an, doch jeder Schlag traf nur erneut auf das Schutzschild, das um keinen Grad schwächer zu werden schien.

Erschöpft atmend ging Zetsu erneut in die Knie. „Das... kann nicht... sein...“

Edega lächelte nur müde, als er den zusammengesunkenen Silberhaarigen vor sich sah. „Du musst sehr viel Mut besitzen, einen Gott einfach so anzugreifen. Mut oder Dummheit. Was von beiden ist es wohl, Zetsu Akatsuki?“

Der Gefragte antwortete nicht. Er stützte sich schwer atmend auf sein Shinken und starrte auf den Boden. Egal wie sehr er es sich wünschte, er konnte nicht gegen die beiden angehen, nicht einmal im Mindesten. Cain und Bahadur waren nichts im Vergleich dazu gewesen.

„Sollen wir ihm den Gnadenstoß geben?“, fragte Etle amüsiert.

Edega beantwortete die Frage nicht sofort, stattdessen sah er weiter auf Zetsu hinunter. Für den Besiegten schien es Stunden zu dauern, bis der Gott endlich antwortete: „Nein.“

In Zetsus Ohren klang es wie der pure Hohn. Er war haushoch besiegt worden, aber dennoch sollte er am Leben gelassen werden. Das konnte sein Feind ihm einfach nicht antun!

Doch bevor er Einspruch erheben konnte, lachte Etle plötzlich wieder. „Du hast recht. Das ist natürlich noch viel besser.“

Zetsu wollte fragen, was das sein sollte, als er plötzlich einen brennenden Schmerz an seinem Arm mit dem Orichalcum-Namen spürte. Aber noch bevor er den Ansatz zu einem Schrei machen konnte, war das Brennen wieder verschwunden. Zurück blieb nur ein leicht stechender Schmerz wie von einem frischen Nadelstich, den er leicht ignorieren konnte, obwohl er sich ihm langsam und stetig in sein Gehirn einprägte.

Aber was war das nur?

Etwa eine Fähigkeit, die seinen Orichalcum-Namen auflösen würde, so wie jene, von der Nanashi ihm einmal erzählt hatte?

Nein, sie sagte doch, es gab nur eine und die war in dieser leblosen Welt gefangen.

Andererseits waren dies die verwaltenden Götter. Möglicherweise kannten sie mehr als nur diese eine Fähigkeit.

Etle lachte noch einmal, ein Lachen wie es nur von einem alten Mann kommen konnte. „Das ist der Name des Ruins, Zetsu Akatsuki. Er wird dich nicht sofort töten, aber immerhin Schritt für Schritt und das sehr effektiv.“

Fragend sah Zetsu zwischen den beiden Göttern hin und her, bis sich Edega zu einer Antwort bequemte: „Der Name des Ruins überschreibt deinen Orichalcum-Namen, der deine Identität festlegt. Mit der Zeit löst er den Orichalcum-Namen auf – und damit auch deinen Körper.“

Zetsu riss erschrocken seine Augen auf. „Was!?“

Etle kicherte vergnügt. „Die schönste Art jemanden umzubringen ist langsam und schmerzhaft. Das funktioniert damit am besten. Je mehr Energie du benutzen wirst, um dich selbst zu retten desto schneller wird dein Untergang voranschreiten.“

Zetsu schüttelte nur leicht den Kopf. Diese Worte machten ihn sprachlos.

Er war so weit gekommen, nur um jetzt zu sterben?

Das konnte nicht sein! Er musste doch irgendetwas tun können.

Doch der stechende Schmerz in seinem Arm sagte ihm, dass es nichts gab, was er tun konnte. Er war am Ende und das musste er akzeptieren, auch wenn es ihm nicht gefiel und auch nicht seiner Natur entsprach, so kurz vor dem Ziel aufzugeben.

„Aber wir wollen gnädig sein“, sprach Edega. „Du darfst deinen letzten Tage bei uns verbringen, damit du zumindest ein paar schöne Erinnerungen an dein Leben behältst.“

Unter anderen Umständen hätte Zetsu eine trockene Erwiderung dazu abgeliefert, aber so sah er die beiden Götter nur schweigend an.

„Aber vielleicht“, meinte Etle, „wirst du auch vorher sterben. Wenn wir erst einmal Jiruols Macht haben, wird von allen Shinkenträgern nicht mehr viel übrigbleiben. Und die Bringer des Lichts sind schon seinem Tenseitai auf den Fersen.“

Zetsu registrierte die Worte, reagierte aber nicht darauf. Zu sehr war er im Moment damit beschäftigt, sich Vorwürfe zu machen und sich zu bemitleiden.

Die Götter lächelten zufrieden und verschwanden genauso schnell wie sie gekommen waren.

Zetsu blieb allein zurück. Verwirrt, verzweifelt und von sich selbst enttäuscht.
 

Die beiden Götter beobachteten Zetsu aus einiger Entfernung. Sie genossen, wie er langsam immer tiefer in die Verzweiflung sank, obwohl inzwischen sein Shinjuu erschienen war, um ihn wieder aufzubauen.

Etle schmunzelte. „Ich wusste doch, dass er so reagieren würde. Menschen sind so berechenbar, auch wenn sie immer behaupten, sie wären es nicht.“

„Warst du nicht selbst einmal ein Mensch?“, erwiderte Edega, worauf er wieder ein Lachen als Antwort bekam: „Diese Zeit ist schon so lange her. Ich erinnere mich kaum noch daran.“

Edega nickte zustimmend. Auch er erinnerte sich nicht mehr an die Zeit, bevor er zu einem Gott in diesem Zeitbaum geworden war. Was immer er in seinem Leben zuvor getan hatte, er erinnerte sich nicht mehr daran und dementsprechend vermisste er auch nichts. Genausowenig wie Etle oder der dritte verwaltende Gott, der inzwischen...

Das Lachen einer Frau beendete ihre Zweisamkeit. Beide Götter fuhren herum, um ihren Neuankömmling zu begrüßen. Es war eine grünhaarige Frau mit äußerst knapper orientalisch wirkender Kleidung. Sie lächelte sanft. „Lange nicht gesehen, Etle, Edega.“

Die Götter erwiderten das Lächeln gleichermaßen. „Schön, dich wiederzusehen, Evolia. Willkommen zurück.“

Die Bringer des Lichts

Nanashi strich Zetsu tröstend über den Kopf, doch er reagierte nicht. Stattdessen saß er auf einem Felsen und starrte konzentriert über den Abgrund in die unergründliche Tiefe. Früher hatte er sich immer vorgestellt, dass man eine Höhle sehen könnte, wenn man von der Erde aus hinunter sehen würde – doch hier war es, als ob der Himmel einfach nach unten weitergehen würde.

Ob man aus dieser Welt hinausfallen würde, wenn man von hier aus sprang? Oder würde man dann von oben wieder herunterfallen?

Für einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, es ausprobieren. Immerhin hatte er nichts mehr zu verlieren. Die Götter waren zu stark für ihn und nun trug er auch noch den Namen des Ruins, der ihn langsam, aber sicher töten würde...

Er konnte nichts mehr tun, gar nichts.

„Meister...“, sagte Nanashi leise. „Bitte... gebt doch nicht einfach auf.“

„Aber was soll ich denn tun?“, fragte er. „Mein Körper wird sich auflösen. Ich kann mich nicht für den Tod meiner Familie rächen. Es ist alles vorbei.“

Diese Erkenntnis traf ihn immer wieder genauso hart wie zuvor, egal wie oft er daran dachte. Möglicherweise würde er bis zu seinem Tod mit diesem Schmerz leben müssen.

„Nun, es stimmt, dass man den Namen des Ruins nicht mehr ablegen kann“, meinte Nanashi nachdenklich. „Aber... Ihr könnt Eure Rache noch bekommen, wenn Ihr sie unbedingt wollt.“

Fragend sah er sein Shinjuu an. Er würde sich an jede neue Hoffnung klammern, die sie ihm gab. Sie zögerte allerdings, bevor sie weitersprach.

Unvermittelt fiel ihm wieder Alnine ein. „Jiruol ist nämlich richtig stark! Ich habe gesehen, wie er Yaharagi, Sejital und Shumin getötet hat! Einfach so!“

Mit Jiruols Stärke wäre er sicher nicht in dieser Situation. Aber wie sollte er ihn finden?

Gleich darauf fielen ihm Etles Worte wieder ein: „Wenn wir erst einmal Jiruols Macht haben, wird von allen Shinkenträgern nicht mehr viel übrigbleiben. Und die Bringer des Lichts sind schon seinem Tenseitai auf den Fersen.“

Es war als würde etwas in ihm ihm helfen wollen und ihn deswegen freundlich, aber bestimmt auf Erinnerungen hinweisen.

Wenn er es schaffen könnte, an Jiruols Macht zu gelangen, könnte er die Götter töten. Er selbst hatte keine Zeit, alle Welten nach ihm zu durchsuchen – aber Etle hatte gesagt, dass die Lichtbringer bereits hinter ihm herwaren. Wenn er es also schaffen könnte, sich dieser Organisation anzuschließen, könnte er an Jiruol herankommen und dann seine Rache bekommen.

Fragte sich nur, wie er an die Bringer des Lichts herankommen sollte. Er wusste ja nicht einmal, wer ihr Anführer war.

Aber die verwaltenden Götter wussten es bestimmt. Nur wie sollte er sie überreden, ihn zu dem Anführer der Lichtbringer zu bringen? Immerhin waren sie Feinde.

Sein plötzlich wieder aufmerksamer Blick besorgte Nanashi. „Meister, was ist los?“

Mit einem leichten Lächelnd wandte er sich ihr zu. „Ich habe einen Plan.“
 

„Ich verstehe“, sagte Evolia lächelnd, nachdem die Götter sie über das Geschehen informiert hatten. „Dann ist dieser Junge also Zetsu Akatsuki, der nette Kleine, der so viele meiner Leute – und Bahadur – getötet hat?“

Etle nickte zustimmend. „Derselbe.“

Genüsslich platzierte sie eine Hand an ihrem Kinn. „Was sagst du dazu, Berbalzerd?“

Neben der zierlichen Frau erschien ein großer, muskulöser Mann, der sein Gesicht hinter einer roten Maske verborgen hielt. In seinen Händen hielt er eine Hellebarde, von der die Energie eines Shinken ausging. „Ich sage, dass es viel zu schade ist, ihn hier auf seinen Tod warten zu lassen. Er wäre sehr praktisch für uns.“

Etle und Edega sahen ihn fragend an, worauf Berbalzerd eine Erklärung hinterher schob: „Er ist etwa im selben Alter wie Jiruols Tenseitai und die meisten Mitglieder der Brigade. Wir könnten ihn ohne große Umstände in Jiruols Bekanntenkreis einschleusen.“

Lächelnd sah Evolia ihn an. „Denselben Gedanken hatte ich auch. Aber glaubst du, er würde sich uns einfach anschließen? Er wurde von unserem Lieblingsfeind Jinmu trainiert. Und er hat so viele von uns getötet.“

Ein helles Lachen folgte ihren Worten, bevor sie weitersprach: „Ich würde mich unter diesen Bedingungen nicht anschließen.“

Für einen Moment herrschte nachdenkliches Schweigen. Es war Edega, der dieses wieder brach: „Außerdem will er immer noch Rache an uns. Warum sollte er also?“

Die Anwesenden drehten sich um, als sie hinter sich Schritte hörten. Vor ihnen stand ein selbstbewusst lächelnder Zetsu, von dem eine unheimliche Atmosphäre ausging. Sein besorgt aussehendes Shinjuu saß auf seiner Schulter.

Evolia fand ihr Lächeln ebenfalls wieder. „Wie angenehm endlich demjenigen gegenüberzustehen, der im Alleingang einige meiner Leute ausgelöscht hat.“

„Dann bist du also die Anführerin dieser Lichtbringer?“, hakte Zetsu nach.

Sie lachte hell. „Ganz genau. Willst du mich nun töten?“

Der spöttische Klang ihrer Stimme sollte ihn wohl verunsichern, doch er ließ sich nichts anmerken. „Nein, danke. Kein Interesse. Ich habe meine Rache an Bahadur bekommen.“

Sie gestikulierte zu Etle und Edega hinüber. „Und was ist mit deiner Rache an denen?“

Zetsu hob seine Schultern. „Sie haben dir mit Sicherheit gesagt, dass ich kläglich gegen sie verloren haben. Also werde ich etwas anderes machen.“

Evolia und Berbalzerd warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Sie sah wieder Zetsu an. „Und was willst du machen?“

„Solange neue Welten entstehen, werden alte sterben, nicht wahr? Und ihr zerstört Welten, um die Vernichtung alter Welten, so wie meiner, zu verhindern, nicht?“

Beide Lichtbringer nickten zustimmend, sie konnten sich bereits denken, was er als nächstes sagen würde.

„Dann werde ich mich euch anschließen. Das Ziel gefällt mir.“

Evolia lächelte kokett. „Und wer sagt, dass wir dich dabeihaben wollen? Du hast einige unserer talentiertesten Mitglieder getötet.“

Ihre Worte entlockten ihm nur ein müdes Lächeln. „Das waren eure talentiertesten Mitglieder? Dann will ich wirklich nicht wissen, wie diejenigen kämpfen, die nicht so talentiert sind.“

Er hatte erwartet, dass sie wütend werden würde, doch sie lächelte mild. „Ich muss zugeben, im Vergleich zu deinen Fähigkeiten sind die meisten unserer Mitglieder nur rasch verglühende Lichter. Es hat mir auch imponiert, dass du Bahadur getötet hast.“

Überrascht runzelte Zetsu seine Stirn. „Ich dachte, er wäre einer deiner besten Leute gewesen.“

Sie antwortete nicht, aber Berbalzerd übernahm das bereits für sie: „Bahadur war einmal ein sehr gutes Mitglied gewesen. Doch seine Sehnsucht nach Rache an Jinmu hat ihn geradezu verdorben. Und nachdem er seine Rache endlich hatte, war er endgültig nicht mehr zu gebrauchen. Deswegen schickten wir ihn in die Welt der Rebellen. Wir dachten uns, dass er entweder von dir oder von den dortigen Rebellen getötet werden würde.“

„Damit hattet ihr recht“, meinte Zetsu. „Also, wie sieht es nun aus? Darf ich Mitglied werden oder nicht?“

Nanashi verzog ihr Gesicht, schwieg aber, wie ihr Meister ihr mittels seiner Gedanken befahl.

„Wir werden dir den Namen des Ruins aber nicht wieder entfernen“, meinte Etle kichernd.

„Das ist mir klar“, sagte Zetsu, an den Gott gewandt. „Deswegen mache ich das nicht.“

„Aber wenn du dich bewährst und uns deine Treue zeigst“, fügte Edega hinzu, „werden wir noch einmal darüber beraten.“

Der Silberhaarige wollte lieber nicht wissen, wie so eine Beratung zwischen den beiden aussah. Etle würde vermutlich die ganze Zeit vor sich hinkichern und Edega würde irgendetwas in seinen Bart murmeln.

Erneut warfen sich Berbalzerd und Evolia einen Blick zu. Es erschien Zetsu lächerlich, aber offenbar kommunizierten sie in Gedanken miteinander, denn nach einer Weile nickten sie sich zu. Evolia sah wieder Zetsu an. „In Ordnung, mein Lieber. Wir nehmen dich wirklich gern auf. Aber vorher musst du noch etwas sehr Wichtiges wissen.“

Etle räusperte sich. „Ich nehme mal an, dass ihr uns nicht mehr braucht, also ziehen wir uns vorerst zurück. Wir sehen uns, Evolia.“

Die Götter verschwanden, Zetsu trauerte ihnen nicht hinterher. „Was gibt es so Wichtiges?“

„Du kennst uns Bringer des Lichts, aber kennst du auch unsere Feinde?“

Der Silberhaarige schüttelte mit dem Kopf. Er kannte lediglich den zurückgezogenen und inzwischen toten Jinmu und die Rebellen. Aber die konnten kaum gemeint sein, weswegen er gespannt darauf wartete, von welchem Feind sie wohl sprach. Sie bemerkte seine Neugierde, so dass sie lächelnd fortfuhr: „Unsere Feinde sind Mitglieder der Brigade. Ein Zusammenschluss armseliger Shinkenträger, die sich gegen uns verschworen haben und uns behindern, wo es nur geht.“

„Wenn sie so armselig sind, wie können sie euch dann behindern?“

Er erwartete wirklich, dass Evolia irgendwann einmal eine wütende Reaktion zeigte, aber ihr Lächeln erlosch immer noch nicht. „Sie können es eben. Sie sind wie Sand im Getriebe. Einzelne Sandkörner stören auch nicht großartig, nicht wahr? Aber viele von ihnen können den ganzen Betrieb aufhalten.“

Zetsu nickte verstehend. „Ich soll mich also vor ihnen in Acht nehmen?“

„Noch besser“, verkündete Evolia strahlend. „Du wirst dich als einen von ihnen ausgeben und dich in den Freundeskreis von Jiruols Tenseitai schmuggeln.“

Für einen kurzen Augenblick verschlug es Zetsu die Sprache, weswegen er sie nur schweigend ansah. Er würde so einfach an sein Ziel kommen? Sämtliche Glückssterne, die es im Zeitbaum gab, mussten ihm gewogen sein, um ihm das so einfach und problemlos zu ermöglichen.

Aber vielleicht, hielt er sich selbst zurück, war es auch nur ein Trick von Evolia. Möglicherweise wollte sie ihn damit irgendwohin abschieben, wo er ihr nicht schaden könnte, bevor sie ihn und die entsprechende Welt im selben Atemzug zerstörte.

Doch im Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen, wenn er sein Ziel erreichen wollte. Und das wollte er unbedingt, mit jeder Faser seines Körpers, selbst wenn es bedeuten würde, blind in eine Falle zu rennen.

Also nickte er. „In Ordnung, ich mache es.“

Evolia lächelte vergnügt. „Fein. Berbalzerd, kümmere dich doch bitte um die Vorbereitungen. Du kennst ja die Koordinaten. Unser neues Mitglied wird eine Wohnung und eine Schulanmeldung brauchen.“

Der Angesprochene nickte und verschwand. Zetsu fragte sich, was wohl eine Schulanmeldung war, verschob diese Frage aber auf ein andermal. „Muss ich noch etwas wissen?“

Evolia nickte. „Du wirst vor Ort auf ein anderes Mitglied der Brigade stoßen. Ihr Name ist Satsuki Ikaruga, sie ist der kleine Liebling des Anführers, deswegen bekam sie einen so simplen Auftrag. Du wirst sie sofort an ihrem roten Haar erkennen, außerdem führt sie ein Shinken des sechsten Ranges mit sich.“

Zetsu nickte langsam, zum Zeichen, dass er verstand.

„Der Anführer der Brigade nennt sich selbst Salles Cworcs. Er war einst ebenfalls ein verwaltender Gott, aber er hat desertiert und die Brigade gegründet.“

Etwas, was Zetsu nur allzu gut verstehen konnte. Allein die Gesellschaft der beiden anderen Götter hätte ihm gereicht, um ihn davon zu überzeugen, so schnell wie möglich zu verschwinden. Ob dieser Salles wohl ebenfalls so alt wie Etle oder halb Tier wie Edega war?

Wenn alles gut ging, müsste er das nie herausfinden.

„Ich glaube, das ist auch schon alles, was du wissen musst. Sollte Satsuki dich in ein Gespräch über die Brigade verwickeln, weich einfach so gut wie möglich aus. Nicht, dass sie dir am Ende ein paar Fangfragen stellt und du vor der Zeit enttarnt wirst, mein Lieber.“

„Wann ist die Zeit?“

„Dann, wenn ich es dir sage“, sagte Evolia lächelnd. „Wir werden dich die ganze Zeit im Auge behalten, also denk nicht, du könntest tun, was du willst oder einfach abhauen. Denk immer daran: Dein einziges Ziel ist es, Jiruol auf unsere Seite zu ziehen, bis wir ihn holen kommen. Wie du das machst, ist mir egal, aber sieh zu, dass du es machst. Verstanden?“

Zetsu nickte schweigend, was ihr sehr zu gefallen schien. „In Ordnung, mein Bester. Dann wird es langsam Zeit, zu gehen – und enttäusche uns ja nicht.“

Tenseitai

Noch nie hatte er eine Schule von innen gesehen oder gar gewusst, wofür sie gut war.

So war es eine Premiere für den inzwischen 16-Jährigen, als er an diesem Tag das Schultor hinter sich ließ. Die fragenden Blicke von Jungen so wie Mädchen folgten ihm dabei. Schon nach nur wenigen Sekunden konnte er schmachtendes Seufzen hören. Doch er ignorierte es und lief einfach weiter.

Die blaue Uniform mit dem weißen Hemd darunter, erschien Zetsu unpraktikabel. Kämpfen würde er damit nicht können. Allerdings lernten normale Menschen das vermutlich auch nicht an Schulen.

Er betrat das Gebäude und lief durch die Gänge, um sich einen Weg zum Raum des Schülerrats zu bahnen. Evolia hatte ihm erklärt, dass er dort Satsuki finden würde, der er sich als von Jatzieta geschicktes neues Mitglied vorzustellen hatte.

Wer Jatzieta war oder warum sie ihn schicken sollte und warum niemand dabei misstrauisch werden würde, das hatte sie ihm nicht verraten. Aber er hatte auch nicht weiter nachgefragt. Sein Ziel war ihm im Moment wichtiger.

„Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass Ihr das tun wollt, Meister?“

Nanashis Stimme hallte in seinem Inneren nach und brachte ihn damit ein wenig aus dem bis dahin gleichmäßigen Schritt.

Es gibt jetzt kein Zurück mehr. Ich werde Jiruols Tenseitai benutzen, um meine Rache zu bekommen.

„Wisst Ihr denn schon, wie genau Ihr das machen wollt?“

Nein, noch nicht. Aber das werde ich noch herausfinden, nur keine Sorge.

Nach diesem selbstsicheren Gedanken schwieg Nanashi, was ihm nur recht war. Denn wenn er ehrlich sein musste, ging ihm sein Shinjuu in letzter Zeit leicht auf die Nerven. Er war ihr dankbar, dass sie bei ihm gewesen war in seiner Zeit der Einsamkeit, aber musste sie ständig irendwelche Predigten halten oder seine Entscheidungen hinterfragen?

Sie war doch sein Shinjuu und hatte damit alles zu tun, was er wollte. Oder etwa nicht?

Vor einer Tür blieb er wieder stehen. Ein Blick auf das Schild an der Wand daneben, verriet ihm, dass es sich tatsächlich um den Raum des Schülerrats handelte. Nun musste er nur noch hoffen, dass diese Satsuki auch tatsächlich da war.

Wie es sich gehörte, klopfte er an die Tür und wartete auf Antwort. Das dauerte allerdings nicht sonderlich lange. Schon nach wenigen Sekunden konnte er eine fröhliche Stimme hören, die ihn hereinbat. Zetsu folgte der Aufforderung.

Als Evolia „rote Haare“ erwähnt hatte, hatte der Silberhaarige sich eine dunkle Farbe wie bei Azar vorgestellt, aber die von Satsuki erinnerten eher an die Färbung der Sonne bei deren Untergang. Ihre grünblauen Augen bildeten einen passenden Kontrast dazu. Das weiße Oberteil der Uniform wirkte fast schon züchtig, während der blaue Rock gerade einmal das Nötigste bedeckte.

Es war eine Weile her, dass er mit jemandem in seinem Alter zusammengekommen war, so dass Zetsu sie erst einmal nur stumm ansehen konnte. Sie nutzte die Gelegenheit, um ihn ihrerseits zu mustern, bevor sie den Oberkörper vorstreckte und einen Arm in die Hüfte stemmte.

„Was ist los?“, fragte sie lächelnd. „Hat dir mein umwerfendes Aussehen die Sprache verschlagen?“

Er wollte eine knurrende Antwort darauf geben, hielt sich aber zurück. „Tut mir Leid.“

Nach seiner Entschuldigung räusperte er sich. „Mein Name ist Zetsu Akatsuki.“

„Ein neuer Schüler?“, fragte sie vergnügt.

Ihre quietschige Stimme ging ihm bereits auf die Nerven, er hoffte, nicht allzuviel mit ihr zu tun haben zu müssen. Er ahnte ja noch nicht, mit wem Jiruols Tenseitai alles befreundet war.

Zetsu nickte. „Ganz genau. Und...“

Gedanklich rief er Nanashi zu sich, die sich nur widerwillig zeigte.

Satsukis ohnehin schon große Augen, weiteten sich noch einmal. „Ein Shinjuu! Aber... warum bist du hier?“

Zetsu zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, um sich Evolias Worte noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. „Jatzieta schickt mich zur Unterstützung.“

Einen kurzen Moment fürchtete er, dass diese Lüge auffliegen würde, besonders als Satsuki ihr Gesicht verzog. Doch im nächsten Moment schnalzte sie bereits mit der Zunge. „Typisch Jatzieta. Die erzählt einem aber auch gar nichts mehr. Bestimmt hat sie nicht einmal Salles erzählt, dass sie einfach neue Mitglieder anwirbt.“

Sie stöhnte genervt. „Und bestimmt brauche ich sie auch nicht danach zu fragen, das hat sie dann mit Sicherheit schon wieder vergessen, so viel wie sie immer trinkt.“

Zetsu schaltete ab, als sie in einen brummelnden Monolog darüber verfiel, wie unzuverlässig Jatzieta doch wäre und wie schnell ihr Alkoholkonsum ihr Gehirn zersetzte.

Daher also Evolias Anweisung.

Plötzlich räusperte Satsuki sich. Sie lächelte und fuhr sich mit einer verspielten Geste durch ihr Haar. „Ich bin übrigens Satsuki Ikaruga. Das weißt du bestimmt, aber es ist höflicher, sich selbst vorzustellen, nicht wahr?“

„Vermutlich“, meinte er abweisend.

Sie seufzte leise, lächelte aber nach wie vor. „Nun, auch wenn Jatzieta langsam ihr Gehirn zerstört, Geschmack hat sie ja noch. Schade, dass mein Herz schon vergeben ist.“

Satsuki lachte. Zetsu und Nanashi rollten gleichermaßen mit den Augen, worauf Satsuki sofort wieder ernst wurde: „Hat Jatzieta dir erzählt, was unsere Mission ist?“

„Nicht direkt, nein“, antwortete er ausweichend.

„Dachte ich mir doch“, seufzte sie. „Okay. Wir müssen auf einen Jungen namens Nozomu Setoki aufpassen. Er ist der Tenseitai von Jiruol, dem Gott der Zerstörung, weswegen wir, die Brigade darauf achten müssen, dass er nicht erwacht.“

Zetsu hatte da ganz andere Pläne, aber mit Sicherheit würde er das nicht einfach so zugeben. Er nickte. „Verstanden. Aber wie sollen wir das verhindern?“

Sie schluckte, bevor sie ihm einen panischen Blick zuwarf. „Äh... also darüber werde ich natürlich noch einmal mit Salles sprechen. Wichtig ist aber auf jeden Fall, jede Gefahr von ihm fernzuhalten. Eine gefährliche Situation könnte dazu führen, dass Jiruol erwacht.“

Der Silberhaarige nickte noch einmal.

„Ich werde ihn dir natürlich vorstellen“, sagte sie vergnügt. „Aber mach dir bloß keine falschen Gedanken. Nozomu-kun steht nur auf Frauen. Hoffe ich.“

Die letzten zwei Worte fügte sie kleinlaut hinzu. Zetsu rollte noch einmal mit den Augen, während Nanashi leise seufzte. Als ob er sich an ihn ranmachen würde.

„Dann lass dein Shinjuu mal wieder verschwinden“, sagte Satsuki. „Das sollte hier in der Schule besser nicht gewesen werden.“

Er nickte erneut, worauf Nanashi wieder verschwand und sie beide alleinließ.

„Dann komm mal mit.“

Satsuki bedeutete ihm, ihr zu folgen und führte ihn nicht nur wieder aus dem Raum hinaus, sondern auch zurück auf den Schulhof. Die Schüler standen immer noch in Gruppen versammelt herum, einige Nachzügler kamen durch das Tor herein.

Zetsu blickte desinteressiert zwischen allen umher, bis sein Blick an zwei bestimmten Schülern hängen blieb. Sein Herzschlag beschleunigte sich wieder, das Blut rauschte in seinen Ohren. Für einen kurzen Augenblick vergaß er sogar das Atmen.

Sie trugen ebenfalls die Schuluniformen der Monobe Akademie, doch er erkannte sie sofort. Sie beide sahen noch genauso aus wie zuvor. Sie sahen aus wie Faim und Jiruol.

Abgesehen von der Tatsache, dass das Mädchen, das Faims Tenseitai zu sein schien, nicht so leblos war wie die Göttin damals. Nein, sie lächelte vergnügt und winkte Satsuki bereits zu, als sie diese entdeckte.

Der braunhaarige Junge neben ihr dagegen wirkte müde und übernächtigt. Die blauen Augen blickten trüb umher.

Je länger Zetsu ihn beobachtete desto mehr wuchs die Wut in ihm. Er wollte sein Shinken ziehen, auf den Jungen zustürmen und ihm den Kopf von den Schultern nehmen, doch er hielt sich selbst zurück. Sein Plan war ein anderer und an den sollte er sich zumindest vorerst halten.

Vor den beiden blieben Satsuki und Zetsu wieder stehen. Der Silberhaarige hatte sich inzwischen wieder unter Kontrolle, auch die musternde Blicke der beiden Schüler machten ihm nichts aus.

Satsuki stellte sie lächelnd vor. „Nozomu-kun, Nozomi-chan, das hier ist Zetsu Akatsuki. Akatsuki, das hier sind Nozomi Nagamine und Nozomu Setoki.“

„Ein neuer Schüler?“, fragte Nozomi lächelnd, während Nozomu schwieg.

Satsuki nickte zustimmend. „Ganz genau.“

Was für eine dumme Frage, dachte Zetsu. Haben wir uns denn schon einmal gesehen?

In dem Moment kam ihm nicht in den Sinn, dass die Schule einige hundert Schüler hatte, so dass es tatsächlich vorkommen konnte, dass man sich gegenseitig übersah.

„Freut mich sehr“, sagte Nozomi immer noch lächelnd.

Der Junge neben ihr schwieg immer noch. Zetsu wandte sich ihm zu. Wieder flammte Wut in seinem Inneren auf, doch er kämpfte sie nieder. Er wusste nicht, wie Jiruol reagieren würde, wenn er seinen Tenseitai angriff, also sollte er diplomatisch vorgehen – und sich mit ihm anfreunden.

Zetsu lächelte warm, sein erstes echt aussehendes Lächeln seit langem. Auffordernd hielt er Nozomu die Hand hin. „Es freut mich, dich kennenzulernen.“

Der Braunhaarige musterte ihn misstrauisch und wenig von seiner Freude überzeugt.

Ahnte er, wer Zetsu in Wirklichkeit war?

Wusste er überhaupt von seinem letzten Leben?

Doch plötzlich ergriff Nozomu seine Hand. „Freut mich auch.“

Zetsu lächelte vergnügt. „Das bedeutet wohl, wir sind jetzt Freunde, was?“

Seine Worte zauberten ein Lächeln in Nozomus Gesicht. „Ja... vielleicht.“

Während der Silberhaarige nach außen so tat als wäre er glücklich, frohlockte in seinem Inneren seine finstere Seite, die den Plan ausgeheckt hatte und sich nun darauf freute, ihn endlich ausführen zu können – sobald die Zeit dafür gekommen war.

Mehr als es scheint

Zetsu öffnete seine Augen und sah aus dem Fenster hinaus. Sein Haar fiel ihm ins Gesicht und störte ihn bei seiner Beobachtung des Schulhofs, weswegen er es mit einer ungeduldigen Geste wieder wegschob.

Er, Zetsu Akatsuki, befand sich kurz vor seinem zweitgrößten Sieg in seinem Leben.

Dabei erschien es ihm wie gestern, dass er an diese Schule gekommen war. Doch er war bereits seit einigen Monaten an der Monobe Akademie – und würde alles an diesem Tag beenden.

Er hatte es geschafft, sich mit Nozomu Setoki, seinem Zielobjekt, anzufreunden. Demjenigen, der ihn zu seinem größten Sieg verhelfen würde – wenn auch vielleicht eher unfreiwillig.

Sobald er Nozomu in einem Kampf besiegt hatte, sobald er seine Kraft in sich aufgenommen hatte, konnte er endlich wieder der sein, der er sein sollte.

Und dann konnte er endlich Rache nehmen.

Rache an den verwaltenden Göttern, die seine Welt in den Untergang geschickt hatten und die seinen Orichalcum-Namen mit dem Namen des Ruins verflucht hatten.

In der letzten Zeit spürte er die Auswirkungen dieses Fluchs stärker als je zuvor. Immer wieder musste er erschöpft Pausen machen, auch nach der kleinsten Anstrengung.

Langsam bereute er es, seinen Plan mit dem von Evolia abgestimmt zu haben. Denn statt Nozomu gleich bei ihrer ersten Begegnung zu töten verbrachte er Zeit mit ihm. Viel Zeit.

Es bestand die Möglichkeit, dass Zetsu selbst mit Jiruols Macht sofort zerfallen würde, sobald seine Rache vollendet war, also sammelte er Erinnerungen. Die wahrscheinlich letzten schönen Erinnerungen in seinem Leben.

Manchmal fühlte Zetsu das Gewissen an sich nagen. Er gaukelte Nozomu die Freundschaft vor, um die noch nicht erwachte Macht des Jungen für sich zu nutzen.

Der auffallendste Nachteil daran war: Zetsu war sich gar nicht mehr so sicher, ob er Nozomu wirklich töten konnte, wenn die Zeit gekommen war.

Wann immer er sich vorstellte, wie er den Jungen umbringen würde, spürte er wieder einen leisen Stich in seiner Brust. Er befürchtete, dass dieser Stich im Zweifelsfall ausreichen würde, um ihn aufzuhalten. Doch darum sollte er sich keine Gedanken machen.

An diesem Tag würde es enden.

Sie waren in der Schule, um ein Fest vorzubereiten. Zetsu hatte beschlossen, dass an diesem Tag alles enden musste. Er konnte spüren, dass sein Körper mit jedem Tag mehr zerfiel, dass er immer öfter, immer länger werdende Pausen einlegen musste.

Also wollte er die Gelegenheit nutzen.

Nozomu würde in der Schule sein, das Gebäude war das perfekte Ziel für die Lakaien, die seelenlosen Diener der Bringer des Lichts.

Zetsu beobachtete, wie der Himmel sich öffnete und die Lakaien erschienen. Zuletzt hatte er diese Wesen gesehen, als er noch bei Jinmu gewesen war. Schon damals waren sie ihm unheimlich und suspekt gewesen. Sie bestanden aus purem Mana und existierten nur, um zu töten, was ihnen in die Hände geriet. Manchmal verglich Zetsu sich mit ihnen. Es hatte eine Zeit in seinem Leben gegeben, da hatte er genauso gehandelt.

Aber nun konzentrierte er sich darauf, so viel Mana wie möglich auf einen Schlag zu bekommen.

Und Nozomus, Jiruols, Tod war dafür genau das Richtige.

„Nanashi...“

Zetsus Stimme war im Vergleich zum eingesetzten Lärm leise, dennoch hörte seine treue Begleiterin, dass er nach ihr rief.

Sein Shinjuu erschien in der Luft schwebend vor ihm. „Meister?“

Sie war von seinem Plan nicht sonderlich begeistert gewesen, hatte sich schließlich aber gebeugt, wie es sich für ein Shinjuu gehörte. Auch wenn er es nicht mehr zeigte, aber er war dankbar dafür, dass sie an seiner Seite war, egal, was er tat. Ganz allein und auf sich gestellt wäre er nie so weit gekommen.

Er griff nach dem Schwertgriff an seiner Seite. „Es beginnt.“

Nanashi nickte und setzte sich auf seine Schulter, während er sich seinen Weg durch die Schüler zu Nozomu bahnte.

Dieses Mal werde ich nicht verlieren. Dieses Mal wirst du durch meine Hand fallen, Jiruol.

Doch als Zetsu Nozomu fand, stellte er fest, dass das eingetreten war, was er befürchtet hatte.

Es war etwas geschehen, was Zetsus Plan durcheinanderbrachte und den Kampf unnötig verkomplizierte. Er musste seinen Freund also schnell töten, bevor dieser begriff, was geschehen war. Bevor er einen Vorteil ziehen konnte.

Zetsu zog seine Klinge und sah kühl vom oberen Treppenabsatz auf Nozomu und dessen Freunde hinunter.

„So, dein Shinken ist erwacht?“



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Kommentare zu dieser Fanfic (29)
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Von:  Kanda-Lavi
2015-08-18T12:10:48+00:00 18.08.2015 14:10


Weißt du durch diese Geschichte habe ich vieles verstanden. Was es mit dem Mana auf sich hat, weswegen Zetsu sich rächen will, was ein Shinken ist und so weiter. Das erleichtert mir vieles.

Ich musste fast weinen Zetsus Eltern getötet wurden und er selbst auch alle anderen ermordete. Da dachte ich mir, dass es Spuren hinterlassen muss. Ich Liebe Drama, aber das übersteigt ehrlich gesagt meine Vorstellung. Ich habe mehr gelitten als Zetsu, aber sie hatten alle nichts mehr zu verlieren. Das tröstet ein wenig.

Für sein junges Alter reagiert er immet Recht erwachsen was mich ein wenig erstaunt, war er vor nicht allzu langer Zeit noch ein kleiner Junge. Dieser Fuchs ist fantadtisch. Ich liebe solche Wesen im Allgemeinen. Die vier Schweife fand ich am Besten.

Jinmus Strategien den Jungen zu trainieren gefallen mir. Das mit dem Brett und den Eiern habe ich auch mal versucht, also weiß ich wie schwer das ist. Nur war ich so schlau und habe das Wasser und Gesicht bekommen... wie das wohl geht?
Manno. Wieso sterben bei dir immer alle die mir gefallen? Das kann doch nicht wahr sein! Und dann kämpft Jinmu auch noch unvernünftig, so dass ich sagen muss: Pech gehabt, mein Lieber.

Heißt das der eigentliche Zetsu ist Tod und lediglich der Gott lebt, habe ich das richtig verstanden? Oder warte... kannst du es mir einfach erklären? Ich bin zu dumm dazu. Er ist jetzt ein Teenager. Kein schlechter Gedanke. Irgendwie...sweeety.

Was ist eigentlich nur Paget passiert? Ihr Meister ist Tod, also was hat sie zu tun?
Zetsu Tat mir Leid als er gegen die Götter verlor. Und dann auch noch sterben sollte einsam und nur mit Nanashi. Ich wollte ihn Beistehen.
Als er dann sagte er habe einen Plan habe ich neue Hoffnungen geschöpft. Ich mag diese Götter nicht und sie müssen bestraft werden.

Wow. Salles war einmal ein Gott? Ich liebe diesen Kerl weswegen ich ein wenig wütend war, da et getötet werden soll. Aber Zetsu sagte ja er habe einen Plan, nicht? Und dann stand Zetsu Nozomu gegenüber und es war... ENDE???? Verdammt. Das war viel zu gut als das es schon enden kann. Lg
Yuki-kun
Antwort von:  Flordelis
18.08.2015 20:51
Danke für deinen Kommentar~.

Ach je, diese Geschichte ... ich hab hier so viele Dinge falsch gemacht, weil ich sie damals noch nicht verstanden habe (etwa, warum Zetsu mit Nachnamen Akatsuki heißt oder warum Nanashi eben Nanashi heißt).
Ich muss auch zugeben, dass ich bei dieser Geschichte nicht mehr so ganz weiß, was dieser Traum beim Übergang zwischen Kindheit und Jugend bedeuten sollte ... aber Zetsu lebt auch noch.

Salles ist bei Erschaffung des Zeitbaums von außerhalb dazu geholt worden, um einer der Management Gods zu werden, jap.
Die Geschichte endet da, weil im Grunde da dann das Spiel einsetzt und Zetsu da seinen Plan ja umsetzt. Okay, nicht wirklich, aber er hat es versucht. :,D
Von:  BlindDemon
2009-12-25T19:44:22+00:00 25.12.2009 20:44
Das ist ja so toll T^T Wenn ich Zeit hätte, würde ich sofort weiter lesen.
Es ist echt schön, dass ich durch deinen Kalender einen einsteigenden Einblick in die Geschichte erhaschen darf :3 Das macht wirklich Spaß!

Ich bin schon total gespannt, wie es weiter geht.
Die Charaktere sind übrigens sehr sympathisch dargestellt.
Von:  LeanaCole
2009-12-24T13:16:56+00:00 24.12.2009 14:16
Erinnert mich ein wenig an deine Kurzgeschichte vom letzten Jahr... war es letztes Jahr? Ich weiß es schon gar nicht mehr XD

So. Jetzt kann ich ja mein Fazit geben: Also insgesamt fand ich es sehr schön und gelungen. Deine Beschreibungen (besonders im Kampf) haben mir sehr gut gefallen. Man, wie sehr ich dich doch um dein Talent im Schreiben beneide XD
Meiner Meinung nach gibt es nur sehr wenige auf Mexx, die so gut und fleißig sind, wie du. Darauf kannste dir jetzt was einbilden *lach*

Die meisten Personen die in der FF vorkamen, waren mir sehr sympatisch. Bis auf einige Ausnahmen natürlich *immernoch Azar und Jacob verfluch*
Besonders mochte ich Paget, Jinmu und sein Shinjuu und Zetsus Familie. Letztere waren meiner Meinung nach besonders gut ausgedacht, obwohl sie nur so kurz dabei waren. Ich fand es schon richtig schade, als sie nicht mehr dabei waren XD

Auch haben mir die Welten gefallen, in die Zetsu gereist ist. Da kamen deine Beschreibungen wieder so schön zur Geltung :3
Außerdem waren sie oft auch sehr verschieden (bis auf die Welten mit den Hochhäusern. Aber es schien ja so, als würde Zetsu die mögen). Ich fands nur schade, dass es nur 24+2 Kapitel hatte. Man hätte sonst sicher noch einige Welten reinpacken können :3

Die meiste Zeit war Zetsu auch (meiner Meinung nach) IC. Nur ab und zu mal dachte ich nur "Also ich weiß nicht, ob er das jetzt gemacht hätte", oder sowas XD
Ich finde sowieso, dass 24+2 Kapitel nicht ausreichen, um Zetsu perfekt darzustellen. Er braucht einfach mehr Screen-Time. Gary Stu XD

Was mir nicht so gut gefiel war das Ende. Also das letzte Kapitel und der Epilog. Es war nicht nur sehr kurz, sondern hat (für mich) ein wichtiger Teil gefehlt. Und zwar ein Kapitel von Zetsus Zeit in der Monobe-Akademie. Also wie er sich langsam mit Nozomu anfreundet. Andere Ereignisse in deiner Geschichte haben mehrere Kapis gedauert und das Ende war dann so kurz.
Natürlich hattest du nur 24+2 Kapitel zur Verfügung, aber du hättest ein Kapitel ja draußen lassen können (meine Meinung). Das Rupu-Kapi zum Beispiel. Ich fand es irgendwie... mmmh... ich weiß, dass du Rupu magst und ich habe auch nichts gegen sie. Aber das Kapitel fand ich... wie soll ich sagen... etwas überflüssig.
Aber das ist natürlich nur meine Meinung. Hör also nicht auf sie XD

Aber im großen und ganzen fand ich Color of Twilight sehr gut und ich bin froh, dass du es geschrieben hast :3
*Zetsu anhimmel*


Von:  LeanaCole
2009-12-24T12:58:59+00:00 24.12.2009 13:58
Dafür, dass dies das "letzte" Kapitel war, ist es ganz schön kurz geraten XD
Besonders verwundert war ich, dass Satsuki nen Stecki gekriegt hat, Nozomu und Nozomi aber nicht. Schließlich hatten sie was zu sagen *lach*

Mir gefällt der Kapitelname, obwohl es etwas komisch ist XD
Man stellt sich darunter einen anderen Kapitelinhalt vor. Aber na ja.

Und schon geht es los. Zetsu hat sicher schon seine ersten Fans. Er ist eben umwerfend XD

Hmm, ich denke, den Rest hebe ich mir für den letzten Kommi auf.

Von:  LeanaCole
2009-12-23T12:53:59+00:00 23.12.2009 13:53
Ja, so kann man natürlich auch an Nozomu rankommen *lach*
Zetsu ist ja gar net so dumm. Guter Junge XD

Bäh, ich kann aber Evolia und die verwaltenden Götter nicht ausstehen. Man, sind die... blöd.
Berbalzerd geht ja noch, weil er nicht gerade viel von sich gegeben hat. Sein Glück XD

Man, wurde in dem Kapi viel gelabert... und gelächtelt *lach*
Evolia muss sich doch schon ne Gesichtszerrung deswegen geholt haben. Ich frage mich, ob die überhaupt mal wütend werden kann o.o

Hach man. Morgen ist es schon vorbei *traurig ist*
Bin schon gespannt, wie es endet :3
Obwohl ich das ja eigentlich schon weiß *grins*
Von:  LeanaCole
2009-12-22T18:56:02+00:00 22.12.2009 19:56
Ich hatte den Namen des Ruins schon vollkommen vergessen. Armer Zetsu T______T
Etle und Edega sind solche *piep*!
Wie kann man so alt sein und trotzdem so stark? Okay, sie sind Götter und haben mächtige Shinken, aber trotzdem XDDDDD

Ich finde die Welt des Idealen Stamms sehr interessant. Die ist wirklich... vielseitig. Also ich kanns mir Dank deiner Beschreibung sehr gut vorstellen :3
Und die Techniken, die die beiden Götter eingesetzt haben, fand ich auch gut beschrieben. Du wirst wirklich besser darin ^^

Oh man. Bald ist es schon wieder vorbei T____T
Von:  LeanaCole
2009-12-21T13:34:24+00:00 21.12.2009 14:34
Schade, dass das Shinken Azars Verstand nicht übernommen hat. Doofe Kuh XD
Ich fand es sowieso seltsam, dass es erst hieß, die beiden sind auf einem höheren Level, als Zetsu und im nächsten Moment Paget sagt, dass nur Zetsu ihn besiegen kann. Das hat mich doch verwirrt o.o

Außerdem fand ich es auch seltsam, dass Bahadur zuerst so stark war und kaum ist die dumme Kuh in ihrem "Furien-Modus", er so schwach war. Ich glaube kaum, dass ein Eternal sich von einem Shinken-Träger (Zetsu hat sich ja in der Zeit nicht eingemischt, um nichts abzukriegen) so zurichten lässt. Der ist doch um einiges stärker.

Das dann am Ende auch noch Jacob kommt und sich dann als Held feiern lässt, finde ich am Schlimmsten. Erst sich die ganze Zeit verstecken und kaum hat Zetsu für ihn die Drecksarbeit erledigt, kommt er wieder und lässt sich feiern. Wäre er doch wirklich tot gewesen. Das hätte ich Azar so gegönnt -.-

Anyway. Sonst fand ich den Ablauf des Kampfes nicht schlecht (wenn man von den Sachen oben absieht). Schön spannend und dynamisch :D

Ich finde es übrigens wegen Paget schade. Ich fand sie so tollig. Hat mich ein bisschen an Ravens Shinjuu Merle erinnert, da die ja an Rehmes Haaren so gezogen hat (da, wo Paget nach Nanashis Haaren greifen wollte).
Von:  BlindDemon
2009-12-20T20:11:44+00:00 20.12.2009 21:11
Oh Mann, wie ich jetzt wünschte, dass ich es auch kennen würde T^T Dann würde es nocheinmal so viel Spaß machen.
Es ist so toll geschrieben~ Ich kann mir alles gut vorstellen - wie in einem Buch eben ^_^

Ja, ich habe nichts auszusetzten, weil es einfach klasse ist.
Du bist so toll T^T

*och mann*
Ich bin so eine Niete im Kommentare schreiben >D
Von:  LeanaCole
2009-12-20T18:11:13+00:00 20.12.2009 19:11
Schade. Ich hatte gehofft, dass die doofe Azar kalt gemacht wird XD
Na ja. Kann man nichts machen~

Anyway. Ich finde Paget tollig. Die weiß, wie man mit Nanashi umgeht XD
Außerdem mag ich ihren Charakter. Ich frage mich aber, wie sie und ihr Meister aussehen o.o
Also wenn die doofe Azar ein Bild kriegt, dann sollten die beiden doch auch ein Bild kriegen. Die haben da mehr anrecht drauf, als die Tusse, weil sie doch schon mal nen Auftritt hatten :D

Ich bin schon sehr gespannt, ob Zetsu und Zicke ihren Gegner besiegen werden (und sie vielleicht doch noch kalt gemacht wird >D).
Ich bin heute wieder so gemein~ XD
Von:  LeanaCole
2009-12-19T15:54:40+00:00 19.12.2009 16:54
Rutsi... verliebt in Himeora... was für eine gruselige Vorstellung, brrr.

*würg*
Ich kann Azar nicht ausstehen. Gott, ist die nervig. Jacob West muss ja bescheuert gewesen sein, als er ihr einen Antrag gemacht hat. Oder er ist einfach taub gewesen XD

Außerdem muss ich mich beschweren. Du hast mir Sati geklaut. Ich wollte sie doch mal als Shinjuu benutzen Q____Q
Du bist so gemein!!1!!1!!1!!11elf!!!!

Anyway. Ich bin froh, dass es Zetsu gut geht. Hoffentlich kriegt er den Bringer des Lichts im nächsten Kapitel. Ich bin schon sehr gespannt :D


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