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Irgendwo in dieser Welt

von

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Vor den Türen

Isolde hinter dem Steuer war immer noch ein ungewöhnlicher Anblick, auch wenn sie mich vor etwas mehr als einer Woche bereits mit dem Auto vom Krankenhaus abgeholt hatte. An diesem Morgen dagegen brachte sie Zetsu und mich wieder dorthin zurück. Er ohne jede Tasche, ich dagegen erneut mit meinem Koffer.

Sonderlich begeistert schien Isolde nicht gewesen zu sein, als ich ihr erzählte, dass ich wieder zurückgehen würde, aber ich hatte so ein wenig das Gefühl, dass es bereits von ihr erwartet worden war.

Wahrscheinlich fand sie es ebenso schwer, sich von Zetsu zu trennen wie ich – zumindest kam es mir so vor, als wir schließlich, am Krankenhaus angekommen, ausgestiegen waren und uns von ihr verabschiedeten.

„Und du bist ganz sicher, Leana?“

Ich nickte zum unzähligsten Male. „Absolut.“

Immerhin war es für Zetsu und möglicherweise hatte er recht und es war besser, wenn ich zuließ, dass sich jemand um meine Depressionen kümmerte. Was konnte es schon schaden? Immerhin würde ich auf diese Weise weiterhin bei Zetsu bleiben können. Und dann war da noch Baila... ja, zumindest für den Moment gehörte ich eindeutig hierher.

„In Ordnung. Ich werde euch ab und zu besuchen kommen.“

Während ich meine Tasche aus dem Auto nahm, konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten, wie Isolde ihren Arm um Zetsus Schulter legte und ihm etwas zuflüsterte.

Für den Augenblick ignorierte ich das und verabschiedete mich von meiner Schwester.

Dieses Mal sah ich ihr mit einem wesentlich besseren Gefühl hinterher als damals, als sie aus dem Haus unserer Eltern gestürmt und nie zurückgekehrt war. Dieses Mal würde sie wiederkommen, denn sie hatte nun für mich eine Heimat erschaffen.

Galanterweise nahm Zetsu mir eine meiner Taschen ab, während wir auf das Krankenhaus zugingen. Wir hatten den ganzen Morgen kein Wort miteinander gewechselt, nicht einmal, als ich, immer noch gegen seine Schulter gelehnt, aufgewacht war. Stattdessen hatte ich mich verlegen von ihm gelöst und angefangen, meine Sachen zu packen.

Seine neutrale Miene verriet mir nicht, was er fühlte oder was durch seinen Kopf ging. Ich befürchtete schon, dass er wütend wegen meiner Reaktion am Morgen wäre, traute mich aber auch nicht zu fragen.

Vor der Tür ins Krankenhaus blieb er stehen. Missmutig blickte er durch das Glas, entdeckte jenseits davon die Treppe und mit ihr kamen möglicherweise auch finstere Erinnerungen zurück, die er schon vergessen geglaubt hatte.

„Alles okay?“

Er wandte mir seinen Blick zu und nickte. „Natürlich.“

Gerade, als ich glaubte, er wäre tatsächlich sauer, lächelte er wieder. „Ich bin ja nicht allein hier.“

Bevor ich ebenfalls lächeln konnte, hob er meine Tasche ein wenig. „Ohne das wirst du ja bestimmt nicht von hier abhauen, oder?“

„Ich hasse dich“, erwiderte ich gespielt beleidigt.

„Was kann ich tun, damit du mich wieder magst?“

Ich ergriff die Gelegenheit sofort und ohne lange darüber nachzudenken: „Sag mir, was Isolde dir eben zugeflüstert hat.“

„Ah, das hast du gesehen?“

Bei dem amüsierten Tonfall seiner Stimme musste ich spontan an die Manga denken, auf die meine Mitschüler damals so abgefahren waren und in die ich zwangsweise ab und an reingelesen hatte, wenn mir wieder einer in die Hand gedrückt worden war. Jedenfalls stellte ich mir vor, dass es dieser Tonfall war, bei dem Musiknoten neben dem Sprechenden abgebildet waren, um zu verdeutlichen, was für eine hübsche Stimme die Person doch besaß. Das brauchte Zetsu auf jeden Fall auch.

Und Musiknoten gingen ja noch – er durfte nur nicht anfangen zu funkeln.

„Ja, habe ich. Also?“

Ich hoffte, dass mein Tonfall und mein strenger Blick, genug waren, um ihn darauf zu bringen, dass er mir gegenüber besser nicht schweigen sollte.

„Es interessiert dich wirklich, was?“

Oh ja und wie! Das zeigte ich ihm auch überdeutlich – noch deutlicher ging es schon gar nicht mehr.

Mit einem tiefen, theatralischen Seufzen stellte er meine Tasche wieder ab. „Gut, ich sag es dir.“

Ich lächelte erwartungsvoll und äußerst zufrieden mit mir selbst, hatte ich es doch gerade geschafft, Zetsu Akatsuki endlich einmal dazu zu bringen, etwas zu tun.

Als er allerdings seine Hände auf meine Schultern legte, war ich eher perplex.

„Vielleicht zeige ich es dir aber auch besser.“

Noch ehe ich ihn fragen konnte, was er mir zeigen wollte, spürte ich etwas auf meinen Lippen – und stellte erst nach einem kurzen Schreckmoment fest, dass es die Lippen von Zetsu waren, die meine verschlossen.

Darauf folgte ein weiterer Moment des Schreckens, denn immerhin war das mein erster Kuss und er entsprach nicht im Mindesten den üblichen Klischees. Wir hatten uns davor nicht stundenlang angestarrt, unsere Gesichter waren sich nicht zentimeterweise nähergekommen und vor allem hatten wir noch nicht einmal ein Rendezvous!

All die Hollywood-Filme hatten also eine vollkommen falsche Erwartung in meinem Inneren aufgebaut – das gefiel mir wiederum äußerst gut. Ich war ohnehin nicht der kitschige Typ und mir war im Kino bei diesen Filmen immer schlecht geworden.

Ich glaube, das war der beste erste Kuss, den jemand wie ich hätte bekommen können.

Aber warum dachte ich so etwas überhaupt in diesem Moment?

Ich tat es Zetsu nach und schloss die Augen, um das Kribbeln, das in meinem Inneren ausgelöst wurde, zu genießen. Es waren nicht mehr nur Schmetterlinge, die da in meinem Bauch kreisten, das waren schon regelrecht Flugzeuge oder Raumschiffe. Schauer liefen gleichzeitig über meinen Rücken, doch sie waren nicht kalt, sie waren angenehm als ob ich an einem Sommertag im willkommenen Regen stehen würde.

Ich konnte trotzdem nicht anders und musste mich in diesem Augenblick fragen, ob das auch für Zetsu sein erster Kuss war, so wie Satsuki es mir damals erzählt hatte – ich war überrascht, dass ich mich noch daran erinnerte. Und auch, dass ich überhaupt noch denken konnte.

Nach all den Büchern und Geschichten, hatte ich immer angenommen, dass in solchen Momenten das Gehirn aussetzte und sich nur noch auf lebenserhaltende Maßnahmen konzentrierte. Stattdessen jagten mir aber Dutzende von Gedanken durch den Kopf, an vorderster Front natürlich jener, dass seine Lippen überraschend weich waren – und wie sehr ich doch in ihn verliebt war.

Meine geplante Strategie, das auszusitzen, war soeben geplatzt und hatte sich in Luft aufgelöst. Aber ich bereute es nicht im Mindesten, nicht bei Zetsu.

Erst als er sich wieder von mir löste, beruhigten sich meine Gedanken, so dass ich sie wieder einzeln erfassen und mich länger mit ihnen befassen konnte. Doch statt das zu tun, blickte ich ihn nur sprachlos an, sein sanftes Lächeln und das zufriedene Glitzern in seinen Augen musternd.

Wenn das hier nur ein Scherz gewesen wäre, hätte ich das in seinem Gesicht sehen können – doch das, was ich ablesen konnte, verriet mir, dass der Kuss sein voller Ernst gewesen war.

Wieder fuhr mir ein Schauer über den Rücken, als mir der Gedanke kam, dass ich diese besondere Person war, von der Satsuki damals gesprochen hatte, die auf die Zetsu wartete.

Super, da wurden meine eigenen Gedanken schon kitschig. Liebe tat wohl nicht sonderlich gut.

„Zufrieden?“, fragte er.

„Hat... Isolde dir das wirklich gesagt?“, erwiderte ich mit einer Gegenfrage.

Er ließ meine Schultern wieder los. „So in etwa. Ihre genauen Worte waren, dass ich die Initiative ergreifen muss, weil du niemals den ersten Schritt machen würdest.“

Gut, da musste ich Isolde recht geben. Immerhin hatte ich das alles ja aussitzen wollen, statt nachzugeben. Hätte ich vorher gewusst, was das für ein erhebendes Gefühl war, hätte ich allerdings früher selbst den ersten Schritt gewagt – auch wenn mir inzwischen natürlich klar ist, dass ihn das eher verscheucht hätte. Meine Ablehnung war Nahrung für seinen Ehrgeiz gewesen und das hier nun die längst fällige Belohnung. Zumindest erklärte er es kurz darauf in diesen Worten.

„Belohnung?“

„Wie in einem Videospiel“, fügte er lächelnd hinzu. „Nicht, dass ich dich als Spiel sehen würde. Aber du weißt, was ich meine.“

Tatsächlich war es mir inzwischen klar, weswegen ich zustimmend nickte. „Ja, ich weiß es.“

Er legte die Arme um meine Schultern und drückte mich an sich. Ein wenig ungelenk erwiderte ich diese Umarmung. Ich war bislang nicht sonderlich oft umarmt worden und schon gar nicht von jemandem, der nicht zu meiner Familie gehörte. Seine Umarmung, als er mich aus dem Keller befreit hatte, zählte ich großzügigerweise einmal dazu.

Doch dieses Mal war es immerhin nicht, um mich zu trösten, sondern als Ausdruck seiner Zuneigung und ich war dazu nicht noch immer in Panik, sondern... glücklich. Ein Zustand, den ich an Zetsus Seite überraschend oft erlebte.

Möglicherweise gehörten wir zusammen, wie es in all diesen Filmen immer auf kitschigste Art und Weise präsentiert wurde – erstmals kam es mir so vor als könnte da wirklich etwas dran sein.

Ich bedauerte fast, dass er mich wieder losließ.

„Dann lass uns mal reingehen. Bestimmt wartet man schon auf mich.“

Kein Ich liebe dich, kein Willst du mich heiraten. Die Situation war einfach perfekt, er war perfekt. Was konnte ich mir mehr wünschen?

Außer vielleicht einer Erklärung, warum er sich ausgerechnet in mich verliebt hatte. Allerdings war so etwas wohl nicht mit Rationalität zu erklären, genau wie Isolde früher immer gesagt hatte. Also musste ich ihn erst gar nicht fragen, zumindest nicht im Moment.

Er nahm meine Tasche wieder in eine Hand und reichte mir dann seine andere. Lächelnd ergriff ich diese. Als wir schließlich gemeinsam durch die Tür schritten, kam es mir tatsächlich so vor als würden wir gerade in ein neues Leben treten – auch wenn wir das Krankenhaus betraten, statt es zu verlassen, wie es für meinen Gedankengang eigentlich angebrachter wäre.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  LeanaCole
2012-07-13T10:46:59+00:00 13.07.2012 12:46
er durfte nur nicht anfangen zu funkeln.

Sollte das jemals passieren, habe ich immer einen Holzpflock und Koblauch dabei XD


äußerst zufrieden mit mir selbst, hatte ich es doch gerade geschafft, Zetsu Akatsuki endlich einmal dazu zu bringen, etwas zu tun.

Glaub mir. Das wirst du noch oft genug tun XD


Wir hatten uns davor nicht stundenlang angestarrt, unsere Gesichter waren sich nicht zentimeterweise nähergekommen und vor allem hatten wir noch nicht einmal ein Rendezvous!

Sei doch froh, Lea. Weil das hier wäre hollywoodreif und sowas wollen wir nicht XD


Liebe tat wohl nicht sonderlich gut.

Dir auf jeden Fall nicht. Du verkitscht mir hier noch, Lea XD


Das kam mir zwar recht schnell vor, aber das ist mir egal. Endlich haben sie sich geküsst! Aber es war so klar, dass Lea dabei an tausend Dinge denkt. Es ist einfach herrlich XD
Und immerhin lief es nicht so ab, wie in Hollywood. Die Filme kann man ja nicht mal ernst nehmen, weil sie alle nach dem selben Prinzip funktionieren und immer nur anders verpackt sind. Deswegen mag ich das hier umso mehr. Und es hat Zetsu und Lea. Mit den beiden ist alles toll XD


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