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Green Sea of Darkness

von

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Kapitel 10

Nachdem Jack verbunden und das Abendessen beendet war, hatten sich die beiden Männer darauf geeinigt, dass Jack die erste Wache übernehmen sollte. Um die Pferde vor unwillkommenen Besuchern zu schützen und im Notfall besser sehen zu können, hatten sie seitlich neben der Hütte ein Feuer entzündet, an dem sich Jack nun im Schneidersitz niedergelassen hatte. Die Nacht war angenehm lau, doch die Hitze der Flammen hinderte ihn immerhin daran, versehentlich einzuschlafen.
 

Als ob er das überhaupt gekonnt hätte! Seit sich die Ereignisse nicht mehr überschlugen, blieb ihm kaum etwas anderes übrig, sich der grausamen Wahrheit zu stellen. Es war ihm nicht gelungen, die Kinder zu schützen. Sobald er auch nur für einen kurzen Moment die Augen schloss, sah er Momoh, Jemi und Aimen vor sich, wie sie ihn vorwurfsvoll anstarrten. Sie hatten auch alles Recht dazu; wenn er nur ein wenig früher zurückgekommen - wenn er das verdammte Opium nicht gekauft hätte - dann wäre es vielleicht nie so weit gekommen. James Norrington machte er keine Vorwürfe, auch wenn ihn das selbst ein wenig überraschte. Der Admiral hatte alles getan, was in seiner Macht stand, um die Kinder zu schützen – weit mehr, als Jack von ihm verlangt oder ihm auch nur zugetraut hatte. Auch er hätte alles Recht gehabt, wütend zu sein. Davon hatte der Pirat bisher allerdings kaum etwas zu spüren bekommen; im Gegenteil hatte sich Norrington als bemerkenswert kooperativ erwiesen und Jack musste widerstrebend zugeben, dass sie es ohne ihn nicht einmal bis hierher geschafft hätten.
 

Gedankenverloren starrte er auf die Schatten, die über den Verband an seinem Finger tanzten. Er konnte sich nicht erinnern, wann sich zuletzt jemand die Mühe gemacht hatte, seine Wunden zu versorgen. Dabei war der Schnitt wirklich kaum der Rede wert und wäre wahrscheinlich auch so verheilt. Seine Fingerspitzen strichen über die Stelle, die Norrington noch vor kurzem berührt hatte und er fragte sich, ob er sich vielleicht in dem Admiral getäuscht hatte. Sicher, er hatte ihn immer für einen anständigen, wenn auch ein wenig steifen und in seinen Gewohnheiten erstarrten Mann gehalten. Allerdings hätte er nie erwartet, jemals so etwas wie Respekt und ehrliche Sympathie für ihn empfinden zu können. Er wagte den Gedanken kaum zu Ende zu denken, doch eigentlich war er sogar froh, dass er die Sache nicht alleine durchstehen musste. Das Schicksal hatte ihn schon mit weitaus schlimmeren – und deutlich unattraktiveren – Begleitern in die Löwengrube geworfen.
 

Die kleine Stute blickte neugierig zu ihm herüber, und für einen Moment fürchtete er, sie hätte seine Gedanken erraten. Obwohl sie nur ein Pferd und vorrangig an seiner Rolle als Futterspender interessiert war, sah er betreten in die andere Richtung. Merkwürdigerweise änderte jedoch auch das nichts an der Tatsache, dass er sich beobachtet fühlte. Als eine Gestalt aus dem Schatten trat, wurde ihm auch klar, warum.
 

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte er, während Sheza langsam auf das Feuer zuging.
 

Das Mädchen schüttelte den Kopf und Jack spürte, dass sie nach seiner Gegenwart gesucht hatte. „Wenn du willst, kannst du dich noch ein bisschen zu mir setzen“, sagte er und klopfte einladend neben sich auf die festgetretene Erde. Sheza lächelte dankbar und ließ sich mit einer geschmeidigen Bewegung im Schneidersitz nieder. Der Feuerschein huschte über ihre fein geschnittenen Gesichtszüge und Jack wurde beinahe schlecht, als er an das Schicksal dachte, dem sie nur knapp entronnen war.
 

Wehe dem Mann, der es wagen sollte, seine dreckigen Finger an sie zu legen!
 

Er ballte seine unverletzte Hand zur Faust und sah zu Boden. Als er wieder aufblickte, hatte Sheza Tränen in den Augen. Ohne nachzudenken beugte er sich zu ihr hinüber und zog sie in seine Arme. Sie barg den Kopf an seiner Halsbeuge, irgendwo zwischen Holzperlen und Zöpfen, und er strich ihr unbeholfen übers Haar. Er ertappte sich dabei, wie er selbst gerne geweint hätte, doch irgendwie hatte er vergessen, wie das überhaupt ging. So begnügte er sich damit, Sheza an sich zu drücken und sich vorzustellen, ihre Schluchzer wären seine eigenen.
 

Er wusste nicht, wie lange sie so gesessen hatten, als sich etwas veränderte. Zuerst merkte er gar nicht, was es war, doch plötzlich hatte Sheza ihre Arme fest um seine Schultern geschlungen und sagte etwas in ihrer Sprache, das er nicht verstand. Wahrscheinlich war der Inhalt auch egal, es war der Klang ihrer Worte, der ihm beinahe tröstlich erschien. Himmel, sie war vierzehn, war aus ihrer Heimat verschleppt worden und hatte soeben ihre Freunde verloren. Er hätte sie trösten sollen, und dennoch war sie es, die genügend Kraft fand, um sie beide zu stützen.
 

Als sie sich schließlich wieder voneinander lösten, fühlte er sich tatsächlich ein wenig besser.
 

„Wir werden sie finden, Sheza“, sagte er zuversichtlich und strich ihr über die Wange. „Das verspreche ich dir. Ich brauche nur ein wenig Zeit um darüber nachzudenken, wo wir anfangen sollen.“
 

Sie neigte den Kopf und sah in mit berechtigter Skepsis an, nickte dann jedoch langsam. „So lange?“
 

„Tja, weißt du, ich denke, es wird wohl eine Weile dauern, aber ich bin mir sicher …“ Er brach ab, als Sheza mit dem Kopf schüttelte. Sie legte einen Finger an die Lippen und er konnte sehen, dass sie angestrengt nachdachte. Offenbar suchte sie nach den richtigen Worten, um auszudrücken, was sie eigentlich sagen wollte.
 

Schließlich schloss sie konzentriert die Augen und sagte sehr langsam: „Was wir machen? So lange?“
 

„Nun ja, wir könnten … also weißt du, morgen werden wir erst einmal zur Jagdhütte des Gouverneurs reiten und hoffen, dass er nicht zuhause ist. Und dann –“ Ja, was war dann eigentlich? Wollten sie sich bis zum Ende aller Tage in den Bergen verstecken und von Wildschweinen und Beeren leben?
 

„Ah!“ Er hatte noch immer keine zufrieden stellende Lösung gefunden, als ihn Sheza unterbrach und leicht am Ärmel zupfte. Ein Leuchten trat in ihre Augen und sie lächelte, offensichtlich zufrieden mit sich und ihrem Einfall. „Ich weiß!“, sagte sie und bedeutete Jack, sich umzudrehen, damit sie einander gegenüber saßen.
 

„Und jetzt?“, fragte Jack mit hochgezogenen Brauen.
 

Sie zeigte auf sich und imitierte mit der Hand die Bewegung eines plappernden Mundes. „Deine Sprache!“ Dann zeigte sie auf ihn und grinste verschmitzt. „Und jetzt: meine Sprache!“
 

‚Oh oh’, dachte Jack und quälte sich ein Lächeln ab. ‚Nicht gut!’ Es war schon eine ganze Weile her, seit er zuletzt versucht hatte, eine Sprache zu erlernen. Er bildete sich ein, damals einiges an Talent gezeigt zu haben, doch er war sich nicht sicher, ob sich Shezas Sprache in irgendeiner Weise mit Französisch oder Latein vergleichen ließ.
 

Die junge Afrikanerin dagegen schien sich in ihrer neuen Rolle zu gefallen. Trotz der grotesken Situation setzte sie ein ernstes Gesicht auf und bedachte Jack eines schulmeisterlichen Blickes.
 

„minɛ yi Sheza“, sagte sie langsam und deutete dabei auf ihre Brust. „ ŋes ʌmu-a?“
 

*~*
 

Als sie eine knappe Stunde später gähnend zu Bett ging, kannte Jack eine ganze Reihe von Wörtern und Sätzen in ihrer Sprache. Sheza hatte sich als enthusiastische Lehrerin erwiesen und er hatte schnell festgestellt, dass ihm der improvisierte Unterricht tatsächlich Spaß machte. Am Ende bedauerte er es sogar ein wenig, weder Pergament noch Feder zur Hand zu haben, um sich Notizen zu machen. Die Herren Wissenschaftler mochten behaupten, dass die Sprachen der Afrikaner primitiv waren, doch das wollte er nicht so recht glauben. Tatsächlich erschien ihm Shezas Sprache weitaus komplizierter, als die meisten europäischen Sprachen. Um das Gelernte nicht sofort wieder zu vergessen, wiederholte er die Sätze noch einmal im Geiste und sagte einige von ihnen sogar laut vor sich hin. Die Pferde musterten ihn noch immer, als hätte er den Verstand verloren, doch daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt. So verbrachte er eine weitere halbe Stunde, bis ihm die Ideen ausgingen.
 

Er durchsuchte seine Erinnerungen nach einer Geschichte, doch nur eine einzige kam ihm in den Sinn. Es war eine Episode, die er sich täglich selbst, aber kaum jemals einem anderen Menschen erzählt hatte. Nur Bill kannte die ganze Wahrheit, denn William Turner, Matrose aus Glasgow, war schließlich dabei gewesen. Wie so viele andere hatte er die Reise nach Cape Coast nicht freiwillig angetreten. Seine Schulden waren beträchtlich und Cutler Becketts Schergen von der wenig verständnisvollen Sorte gewesen. So war ihm schließlich keine andere Wahl geblieben, als seine Frau und seinen Jungen in Liverpool zurückzulassen, wo sie auf seine Rückkehr warteten.
 

Vergeblich.
 

„Ich lasse dich nicht allein, verdammt nochmal!“
 

‚Hättest du besser tun sollen, alter Freund’, dachte Jack bitter. Wäre er einfach abgehauen und hätte sich nach England durchgeschlagen, wäre ihm tatsächlich eine ganze Menge erspart geblieben. Zum Beispiel eine Reise zum Meeresgrund in Begleitung einer Kanonenkugel; oder der entschieden einseitige Arbeitsvertrag mit Davy Jones.
 

Sich mit Jack Sparrow anzulegen war eine Sache, ihn zum Freund zu haben eine andere. Und letzteres war ungleich gefährlicher.
 

Missmutig hob er einen kleinen Ast auf und schleuderte ihn ins Feuer. Funken stoben auf und eines der Pferde hob verwundert den Kopf. Das Tier schien ihn so vorwurfsvoll zu mustern, dass Jack entschuldigend die Hand hob.
 

„Tut mir leid, Mädchen.“
 

Für eine Weile beobachtete er die dösenden Pferde im Feuerschein und lauschte auf die Geräusche der Nacht. Vereinzelt knackte es im Unterholz, hie und da schrie ein Vogel, doch ansonsten blieb alles ruhig. Zu ruhig. Das Gewitter hatte die Luft nur vorübergehend kühlen können. Inzwischen war es wieder so heiß und stickig wie zuvor und Jack wischte sich mit der Handfläche über die schweißnasse Stirn. Wenn nur das Feuer nicht wäre …
 

Die Hitze schien ihn förmlich zu erdrücken, nur die Brusttasche seines Mantels war angenehm kühl. Opium war ein wahres Wundermittel. Es vermochte selbst die kälteste Seele zu wärmen und das heißeste Gemüt zu kühlen. Manche glaubten, es würde jeglichen Schmerz lindern, doch Jack wusste es besser. Opium ergriff den Schmerz, packte ihn an der Wurzel und verwandelte ihn in das süßeste Gift, das jemals die Adern eines Menschen durchströmt hatte. Er brauchte das Opium, brauchte es mit einem Mal so sehr, wie er einst Bill gebraucht hatte. ‚Ambrosia’, dachte er und zog das Fläschchen heraus. Er betrachtete es im Feuerschein und wiegte die Flüssigkeit langsam hin und her.
 

Am liebsten hätte er den Korken herausgezogen und einfach getrunken, bis das Fläschchen leer war. Er dachte nicht mehr an die durchwachten Nächte, an das Fieber und den Wahn; den brennenden, unstillbaren Durst und die anhaltenden Krämpfe. Er stellte sich vor, wie sich der Wald lichten und in eine monumentale Säulenhalle aus weißem Marmor verwandeln würde. Die Stimmen der Vögel würden nicht mehr krächzend, sondern klar und rein klingen, die Luft sauber und kühl sein. Eine ganze Welt, die nur ihm und seinen geschärften Sinnen offen stand.
 

Jack kniff die Augen zusammen, während sich seine Faust immer fester um das Fläschchen schloss. Er biss sich auf die Lippen, als er fühlte, wie das Glas brach und die wertvolle Flüssigkeit zwischen seinen Fingern zerrann. Die Scherben hätten ihm ins Fleisch schneiden sollen, doch er verspürte keinen Schmerz, nur eine merkwürdige Taubheit. Verwundert öffnete er die Augen und stellte fest, dass die Opiumtinktur noch immer unversehrt in seiner Hand lag.
 

„Damit wären wir also in der Phase mit den Wahnvorstellungen angelangt“, sagte Jack leise zu sich selbst. „Glückwunsch, alter Knabe!“
 

Er kam nicht umhin, sich ein wenig wie Cottons Papagei zu fühlen. Was wohl aus dem alten Seebären und seinem Sprachersatz geworden war? Seit seiner Abreise aus Tortuga hatte Jack weder Gibbs, noch ein anderes Mitglied seiner treuen Crew wiedergesehen. Einige von ihnen waren sicherlich mit Barbossa gesegelt, doch auch die Black Pearl war nicht länger Teil seines Lebens. Als er zuletzt von ihr gehört hatte, war sie mitnichten auf der Suche nach dem Quell der ewigen Jugend gewesen, sondern hatte vor der Nordküste Kubas zwei spanische Karavellen aufgebracht. Offenbar hatte sich Barbossa damit abgefunden, dass Jack den zentralen Teil der Seekarte besaß, auf der die genaue Lage eingezeichnet war. Nun ja, zumindest hatte er die Karte besessen, bevor ihm aufgegangen war, dass es sich mitnichten um eine echte Seekarte, sondern um eine billig reproduzierte Wanddekoration handelte. Anders war immerhin kaum zu erklären, dass man in New Providence dutzende davon kaufen konnte. So hatte er den Traum von Unsterblichkeit fürs erste begraben und sich nach neuen Abenteuern umsehen müssen. Natürlich stand die Wiederbeschaffung der Black Pearl ganz oben auf seiner Liste, aber wie schon so oft hatte ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht.
 

Dabei war er so kurz davor gewesen! Wenn ihm nicht die Kinder über den Weg gelaufen wären, hätte er Barbossa wahrscheinlich abpassen und ihm die Pearl entreißen können. Er hatte zwar noch keinen konkreten Plan gehabt, zweifelte jedoch nicht im Geringsten daran, dass sich eine Gelegenheit ergeben hätte. Wie sagte man so schön: Das Glück war stets mit den Kindern und Schwachsinnigen. In diesem Fall hatte es allerdings den Kindern den Vorzug gegeben, wobei man wohl darüber streiten konnte, ob sich die Begegnung mit Jack tatsächlich als besonders glücklich erwiesen hatte.
 

An diesem Punkt angelangt beschloss er, falsche Wahnvorstellungen durch echte zu ersetzen. Es wurde ohnehin Zeit, den Admiral an seine Pflichten zu erinnern.



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