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Green Sea of Darkness

von

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Kapitel 9

Er bewegte sich erstaunlich behände und mit beeindruckender Geschwindigkeit – dafür, dass er eine Eidechse war.
 

Überrascht sprang Jack einen Schritt zurück und quiekte erschrocken. Dabei wäre er fast über den Anbindebalken gestolpert, an dem die Pferde mit weit aufgerissenen Augen zerrten. Erst im letzte Augenblick packte ihn eine kräftige Hand an der Schulter und schubste ihn zurück in eine aufrechte Position.
 

„Was ist los?“, fragte James Norrington alarmiert. Er hatte seinen Umhang ebenfalls ausgezogen und stand nun in Hemdsärmeln und mit gezücktem Degen hinter Jack. Seine Augen huschten rastlos über die Lichtung, glitten mit militärischer Präzision über den nahen Waldrand und blieben schließlich an den beiden Pferden hängen, die noch immer nervös hin- und hertänzelten.
 

„Hoooo …“, sagte Jack unbeholfen und tätschelte der Stute den Hals; eine Geste, die sie überraschenderweise zu schätzen wusste. Als sich die Tiere beruhigt hatten, wandte er sich mit leiser Stimme an Norrington.
 

„Eine Eidechse“, sagte er und verzog das Gesicht. „Fiese kleine Biester, man weiß nie, was sie in ihrem schuppigen Köpfchen als nächstes aushecken.“ Um die Ernsthaftigkeit der Situation zu unterstreichen, fuchtelte er noch einmal mit seinem Degen durch die Luft, bevor er ihn wieder in die Scheide gleiten ließ.
 

„Eine Echse?“
 

Jack konnte kaum etwas erkennen, glaubte jedoch so etwas wie Panik aus Norringtons Worten herauszuhören. Er hätte beinahe geschmunzelt, wäre nicht im selben Augenblick ein scharfer Schmerz durch seine Hand gerast. Mit einer raschen Bewegung umklammerte er die pochende Faust und fluchte leise. Angewidert musste er feststellen, dass sein Handrücken mit einer warmen Flüssigkeit bedeckt war; Blut.
 

„Sie ist doch weg, nicht wahr?“, vernahm er Norringtons besorgte Stimme.
 

„Ich glaube, es hat ihr hier nicht sonderlich gut gefallen“, presste Jack hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Schnitt an seiner Hand ging tiefer als vermutet – verdammtes Seil! – und brannte wie die Hölle. Der gequälte Ausdruck in seiner Stimme schien auch Norrington auf den Plan zu rufen, denn der Admiral gab seine Suche nach der bösartigen Echse auf und griff nach der Kerze auf dem Brunnenrand.
 

„Was habt Ihr da an Eurer Hand?“ Misstrauisch beugte er sich nach vorne und schreckte sofort zurück, als er das Blut sah. „Sie hat Euch gebissen?“
 

„Wir haben miteinander gerungen.“ Als Norrington ihn verständnislos anblickte, fügte er schnell hinzu: „Es war eine sehr große Echse.“
 

„Seid nicht albern, Sparrow.“ Offenbar hatte Norrington bemerkt, dass sich Jack über ihn lustig machte.
 

„Also gut, ich habe mit dem Knoten am Brunnentau gekämpft. Er hat mir bis zuletzt verzweifelten Widerstand geleistet. Zufrieden?“ Jack hoffte, dass sich der Admiral mit dieser Antwort zufrieden geben und keine weiteren Fragen stellen würde. Vergeblich.
 

„Zeigt mal her“, sagte er mit ruhiger Stimme und steckte seinen Degen weg. Die unbedeutende Verletzung hatte ihn jede Angst vor den herumstreunenden Echsen vergessen lassen und Jack konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Norrington regelrecht aufblühte. Offenbar gehörte er zu jenen Männern, deren Leben erst einen Sinn bekam, wenn sie Verantwortung für andere übernehmen konnten. Damit entsprach er zweifellos dem viel besungenen Ideal der Royal Navy, allerdings stand zu bezweifeln, dass er sich mit dieser Einstellung besonders viele Freunde gemacht hatte. Kein Wunder, dachte Jack, dass man den armen Kerl in die Verwaltung abgeschoben hatte.
 

„Na kommt schon!“, ermunterte ihn Norrington, als er keine Anstalten machte, seine schmerzende Hand loszulassen. „Es bringt uns auch nicht weiter, wenn Ihr Euch den Wundbrand holt!“
 

In seiner Stimme schwang eine Autorität mit, der sich selbst Jack nicht entziehen konnte. Jahrelange Erfahrung mit den königlichen Truppen hatte ihn gelehrt, dass man diesem Befehlston besser Folge leistete, wenn man sich eine Kugel in der Brust ersparen wollte. So streckte er seine Hand aus und presste die Augen fest zusammen, als Norrington danach griff. Ein heißer Luftzug glitt über seinen Handrücken und sagte ihm, dass der Admiral offenbar die Kerze zur Hilfe nahm, um besser sehen zu können. Beinahe erwartete er, dass man ihm unvermittelt den Hemdsärmel hochschieben und das Brandzeichen entdecken würde. Die Folgen kannte er nur zu gut.
 

„Sperrt ihn ein!“

„Peitscht ihn aus!“

„Hängt ihn auf!“
 

Doch diese Stufe ihrer Bekanntschaft hatten Jack und Norrington längst hinter sich gelassen; ganz zu schweigen davon, dass die Staatsgewalt ihre Arme kaum bis zu dieser gottverlassenen Lichtung ausstrecken würde.
 

Zögerlich öffnete Jack die Augen und beobachtete Norrington, der mit konzentriertem Gesichtsausdruck auf die offene Wunde starrte. Ein klaffender Schnitt zog sich über den Zeigefinger seiner linken Hand, blutete jedoch so stark, dass die Verletzung weitaus schlimmer aussah, als sie wahrscheinlich war.
 

„Zuerst die gute Nachricht: Ihr werdet es überleben“, stellte Norrington schließlich mit fachmännischer Präzision fest.
 

„Und die schlechte?“
 

„Der Schnitt ist ziemlich tief und die Wunde wird sich sehr wahrscheinlich entzünden, wenn wir sie nicht verbinden.“ Gedankenverloren strich Norrington über die Verletzung und die unerwartete Berührung ließ Jack zusammenzucken. Mit einer raschen Bewegung zog er seine Hand zurück und Norrington hüstelte verlegen.
 

„Ich … äh … ich habe Stofffetzen gesehen“, fuhr er hastig fort. „In dem kleinen Schuppen. Ich werde sie holen gehen. Drückt so lange das hier auf die Wunde.“ Er zog ein elegantes Taschentuch aus seinem Ärmel und reichte es Jack. „Und jetzt geht nach drinnen. Wir sollten Sheza sagen, dass alles in Ordnung ist. Das arme Mädchen hat heute schon genug mitmachen müssen.“
 

*~*
 

James sah Sparrows Silhouette nach, die o-beinig in Richtung Veranda wankte. ‚Was für ein seltsamer Mann’, sinnierte er nachdenklich. Zweifellos gefiel er sich in der Rolle des unbeschwerten Einfallspinsels, doch James hatte genug gesehen um zu wissen, dass sich hinter dieser Fassade ein überaus intelligenter und mutiger Mann verbarg. Sicherlich war er keiner von jenen armen Teufeln, die die Docks der Neuen Welt zu Hunderten bevölkerten; Gauner, Glücksritter und Gefallene, für die das Piratenleben oft letzter Ausweg und Erfüllung ihrer kühnsten Träume zugleich war. Er erinnerte sich an einen Piratenkapitän, der der Welt noch auf dem Schafott eine Kriegserklärung ausgesprochen hatte. Ob Sparrow wohl auch so dachte?
 

Er schüttelte irritiert den Kopf und warf einen Blick auf das Zugseil, das sich Jack so hartnäckig widersetzt hatte. Zwei kurze Handbewegungen, und er hatte den Knoten gelöst. ‚Ein herkömmlicher Kopfschlag’, stellte er schmunzelnd fest und hinderte das Seil mit einem Achtknoten am Durchrutschen. Jack Sparrow mochte der beste Pirat sein, den er je gesehen hatte, doch bei Nacht war er eindeutig blind wie ein Maulwurf.
 

Mit dem Vorsatz, das Wasser später mit nach drinnen zu nehmen, hob er die Kerze auf und ging zu dem kleinen Schuppen hinüber, in dem er zuvor schon Heu und Feuerholz gefunden hatte. Im Grunde handelte es sich um kaum mehr als einen hölzernen Verschlag, der mit wenig Sinn für architektonische Feinheiten an die Außenwand der Hütte gezimmert worden war. James schob die knarrende Tür auf und hielt die Kerze hoch, um besser sehen zu können. In der Tat hatte er sich nicht getäuscht. Direkt hinter der Tür befand sich ein Berg Lumpen, den der Besitzer der Hütte aus unerfindlichen Gründen dort einzulagern schien. Vorsichtig stellte er die Kerze auf dem staubigen Boden ab und ging in die Knie, um einen möglichst sauberen Stofffetzen zu suchen. Die Lumpen, die zuoberst lagen erwiesen sich als schmutzverkrustet und James warf sie achtlos zur Seite. Doch je tiefer er grub, desto aussichtsloser wurde seine Suche. Bald steckte er bis zu den Ellenbogen in dem Kleiderstapel, ohne auch nur ein einziges sauberes Stück Stoff finden zu können. Warum nur hob jemand einen Berg derartig schmutziger Wäsche auf?
 

Stutzig geworden zog er aufs Geradewohl einen Lumpen heraus, der dem Schnitt nach zu urteilen einmal ein Hemd gewesen war. Er hielt ihn auf Armeslänge von sich und betrachtete die Flecken im flackernden Kerzenlicht. Als ihm aufging, was die Kleider so in Mitleidenschaft gezogen hatte, warf er das Hemd schockiert von sich und stieß dabei die Kerze um, deren Flamme sofort im Staub erlosch.
 

Mit weit aufgerissenen Augen kroch er rückwärts, weg von den Lumpen, bis er einen Holzstoß im Rücken spüren konnte. Schwer atmend saß er in der Dunkelheit und überlegte zum zweiten Mal an diesem Tag, warum er nicht einfach losbrüllte. Auf den Kleidern war kein Dreck, sondern Blut. Überall verkrustetes Blut, als wäre er im Hinterzimmer einer Schlachterei gelandet.
 

Er sah den Körper seiner Haushälterin wieder vor sich, den aufgeschlitzten Unterleib, über dem die Fliegen kreisten. Sein Magen rebellierte, und obwohl er den ganzen Tag über nichts gegessen hatte beugte er sich nach vorne und übergab sich würgend auf den Boden. Es fühlte sich an, als würden seine Eingeweide allesamt den Weg nach draußen suchen. Als es endlich vorbei war und die Übelkeit einer seltsamen Taubheit wich, lehnte er sich erschöpft zurück und schloss die Augen.
 

‚Es ist eine Jagdhütte’, versuchte er sich verzweifelt selbst zu überzeugen. Wahrscheinlich hatte der Eigentümer lediglich ein Wildschwein ausgenommen. Doch eine leise Stimme sagte ihm, dass seine Reaktion durchaus angemessen war. Auf den Stofffetzen war Menschenblut; und wem auch immer diese Hütte gehörte, er war ein Mörder. Er verspürte den starken Impuls, zu Sparrow und Sheza zu rennen und sie davon zu überzeugen, dass sie schleunigst von diesem Ort verschwinden mussten. Dabei erschien ihm zweitrangig, wie sie das bei völliger Dunkelheit bewerkstelligen sollten. Hauptsache war schließlich, sie entkamen diesem Wahnsinnigen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo im Unterholz lauerte.
 

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Keulenschlag. Mit ihrer Flucht aus Port Royal waren sie zu Gejagten geworden, Vogelfreien, deren Leben kaum mehr wert war, als das der Wildschweine, die die Cockpit Mountains durchstreiften. Der Dschungel hätte ihnen Schutz bieten sollen, doch stattdessen war er zur tödlichen Falle geworden. Bleierne Erschöpfung überkam ihn, eine Resignation vor den Tatsachen, die sich beinahe tröstlich anfühlte. Sie würden also sterben. Das war nicht weiter schlimm, denn eigentlich hätte er ohnehin tot sein sollen. Dass er lebte war ein Irrtum, den der Verantwortliche nun offenbar rückgängig zu machen gedachte. Auch bei Sparrow war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis ihn der Sensenmann irgendwann einholen würde.
 

Dann allerdings fiel ihm Sheza ein, und er begann an dem göttlichen Plan zu zweifeln, den er eben noch so deutlich vor sich gesehen hatte. Mit zitternden Knien hievte er sich auf die Füße und verließ den Schuppen. Unsteten Schrittes ging er zu der Pferdetränke hinüber, schöpfte mit den Händen Wasser und goss es sich über den Kopf. Unter den neugierigen Augen der beiden Tiere wiederholte er diesen Vorgang so lange, bis er sich wieder wie ein Mensch fühlte.
 

Schließlich ging er zum Brunnen hinüber, ließ den Eimer in den Schacht hinab und füllte ihn mit Wasser. Als er damit fertig war, zog er sein Hemd aus dem Hosenbund und riss einen Fetzen in ausreichender Größe ab, bevor er es zurücksteckte. Mit Eimer und Verbandsmaterial bewaffnet ging er schließlich zur Hütte zurück. Inzwischen hatte der kühl kalkulierende Soldat in ihm wieder die Oberhand gewonnen und warnte ihn davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Gut, er hatte soeben Hinweise darauf gefunden, dass ihr Nachtquartier einem Axtmörder gehörte. Allerdings bedeutete das noch lange nicht, dass besagter Axtmörder sich auch tatsächlich in der Nähe aufhielt oder überhaupt noch am Leben war. Wenn man einmal genauer darüber nachdachte, so bedeutete es noch nicht einmal, dass der Axtmörder überhaupt ein Axtmörder war. Vielleicht hatte er sich ja selbst beim Holzhacken verletzt und versucht, die Blutung zu stillen. An ihrer Situation änderte sich dadurch trotzdem nichts.
 

Als er die Hütte betrat und Sheza erschöpft auf dem klapprigen Bett liegen sah, war sein Entschluss bereits gefasst. Er würde seine Entdeckung für sich behalten und darauf hoffen, dass sie sich als bedeutungslos erweisen würde.



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