Zum Inhalt der Seite

Namida Bandits

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Rot

Auch in den nächsten Tagen hatte sich Hanes Leben verändert. Sie fuhr mit der S-Bahn nach Hamburg, um für ein Wochenende Maki’ zu besuchen. Diese lebte in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung zusammen mit zwei Mitbewohnerinnen, die sie noch nicht kannte. Sie schlenderte an den Landungsbrücken hin und her. Maki’ hatte ihr per SMS geschrieben, dass sie sie abholen würde. Hane war selten hier gewesen.
 

Ihr Handy klingelte. Es war Maki’. Sie entschuldigte sich und beschrieb ihr den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Also ging sie am Bismarckdenkmal und am Gruner und Jahr Pressehaus vorbei, an einer Kirche und weiter in Richtung Innenstadt. Bald schon stand sie vor einem tollen alten Haus, dass eine barocke Außenfassade und Säulen mit korinthischen Kapitellen hatte. Unten im ersten Stock, zu dem eine kunstgeschmiedete Wendeltreppe führte, war eine kleine Boutique.
 

Den Laden kannte Hane noch nicht. Dort verkaufte eine junge Designerin ihre eigenen, extravaganten Kollektionen. Hane traute sich erst gar nicht reinzugehen, aber dann sah sie Maki’ auch schon hinter dem Verkaufstresen stehen. Sie passte so perfekt in dieses Geschäft, dass Hane glaubte, sie hätte diese Kleidung entworfen.
 

Das Bimmeln eines Bambuswindspiels erklang und schon schallte ihr japanische Popmusik entgegen. Das war wieder eine neue Erfahrung für sie. Aber im Moment fand sie es einfach nur großartig. Überall hingen bunte und schwarze Klamotten und in den Regalen lagen tolle Accessoires. Das war genau das, was sie in den Mainstreammodeläden vermisste. „Hi, na, hast du gut her gefunden?“, eine weitere Frau tauchte auf.
 

Höchstwahrscheinlich das irre Genie, das hinter den schicken Kreationen steckte. Sie stellte sich als Yoshiko Hansaki vor. Eine kleine Japanerin, mit einem zu Schreien süßen Akzent, furchtbar nett und ebenso verrückt gekleidet, wie ihre Mode es versprach. Der Name klang ja schon nach Erfolg. Sie holte sich ihre Inspirationen direkt aus ihrer Heimatstadt Tokio. Weshalb ihre Boutique auch „Harajuku“ hieß, nach dem beliebten Viertel, in dem es die Jugendlichen mit ihrem Style auf die Spitze trieben, um aus der Konvention der japanischen Gesellschaft auszubrechen. Der völlig abgefahrene und verrückte Stil dieser jungen Menschen inspirierte viele verschiedene berühmte Personen und Designer. Zum Beispiel auch Sängerin Gwen Stefanie, die ein bekennender Fan der „Harajuku-Girls“ ist.
 

Auch an den Wochenenden im Park traf man sich in wilden Verkleidungen und Outfits, und bot manchmal sogar „Free Hugs“ (Gratisumarmungen) auf kleinen Schildern an. Eine Umarmung war etwas absolut Intimes für einen Japaner, der jemandem zur Begrüßung nicht einmal die Hand gab, sich stattdessen dezent verbeugte, um die Distanz zu waren. Harajuku und Shinjuku waren bei jungen Leuten aber auch deshalb total angesagt, weil es die Vergnügungs- und Shoppingviertel schlechthin waren. Überall Neonlichter und Werbetafeln, bunt wie Las Vegas und in jeder Ecke ein toller Laden neben dem anderen. Diese Boutique holte ein kleines Bisschen dieser Atmosphäre nach Deutschland.
 

Hane kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Maki’ arbeitete schon eine ganze Weile hier. „Hast du nicht gesagt, du bist Grafik-Designerin?“
 

„Bin ich auch, ich verdien mir hier halt noch was dazu.“ Wieder klingelte es und zwei Otakus betraten die Bildfläche. Typisch deutsche Otakus. Eigentlich eher unauffällig in Aussehen und Kleidung, dafür aber laut kichernd und sich noch lauter unterhaltend, über irgendwelche Manga- oder Anime-Inhalte.
 

Hane ließ es sich nicht nehmen das eine oder andere Mal mitzulachen, und die ganze Zeit ein seelig-breites Lächeln aufzusetzen, denn sie wusste ganz genau, wovon die beiden sprachen. Hier hätte sie zehntausendmal lieber gearbeitet als in dem verstaubten Antiquariat ihrer Mutter, aber sie traute sich nicht zu fragen. Tatsächlich hatte Maki’ sie mit Absicht nicht abgeholt, damit Hane zu diesem Laden kommen sollte. War zwar ein Spontanplan, hatte dafür aber hervorragend funktioniert. „Du … Hane-chan … Yoshiko-san“, sie schaute zu ihrer Arbeitgeberin und langjährigen Freundin herüber, „sucht noch eine zweite Verkäuferin, weil sie sich in den nächsten Monaten Abends immer um ihre neue Kollektion kümmern muss. Hast du nicht Lust, hier zu arbeiten?“
 

Verrückt! Konnte Maki’ Gedanken lesen? Offensichtlich.
 

„Ist doch zehntausendmal besser als der Laden deiner Mutter, oder?“
 

Eifrig nickte Hane mit einem Kleinkindlächeln. „Wirklich sehr gerne…“, in Hamburg arbeiten, in diesem Laden arbeiten und vor allem mit Maki’ zusammen arbeiten, das war wie ein Traum, der sich erfüllt hatte und von dem sie bis eben noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie ihn träumte. Und wieder ging die Tür und neue Kunden kamen herein.
 

Am Abend gingen sie zurück zu den Landungsbrücken. Der Hafen sah sehr romantisch aus in der Dunkelheit, besonders die Lichterketten an dem Schulschiff Rickmer Rickmer’s und die König-Der-Löwen-Halle am anderen Ufer, zu der immer noch diese kleinen, niedlichen Boote mit den Gästen eines der erfolgreichsten Musicals aller Zeiten fuhren. Unter den Otakus gab es viele Musicalfans, weshalb auch einige Showgruppen welche auf den Conventions aufführten. Zum Beispiel die Gruppe Romance Kakumei, die für ihre grandiose Interpretation von „Elisabeth“ bekannt sind und dieses teilweise mit japanischen Texten aufführten. Hane mochte aber lediglich „Tanz der Vampire“. Ansonsten hatte sie nicht viel mit dem Thema am Hut.
 

Es gab aber auch Gruppen die eigene Musicals über Animes schrieben, hier sind auf jeden Fall Tsuki no Senshi zu nennen, allein schon für ihre unzähligen Shows zu Animes wie Sailor Moon oder Utena. Diese Gruppe begeistert schon mehrere Jahre Otakus aus ganz Deutschland auf verschiedenen Conventions.
 

Maki’ schleppte Hane noch kurz mit zu ihrem anderen Arbeitsplatz. Ein Grafik-Atelier namens „ReFlex22“, hier arbeiteten nur zweiundzwanzig Leute in einem Kompetenzteam zusammen, um komplexe Designaufgaben für verschiedenste Kunden zu übernehmen. Maki’ wollte noch ihren Schleppt… äh Laptop abholen.
 

Im Flur zum Gemeinschaftsbüro kam ihnen ein seltsamer Typ entgegen. Sein Name war Jo Feininger. Hane hatte gleich ein dummes Gefühl, als sie ihm das erste Mal begegnete. Er war ein Schleimscheißer ohne Gleichen, der keine Sekunde aufhörte, seinem Chef nach dem Posten zu trachten, der lustiger Weise auf den Namen Patrik Itten hörte (Feininger und Itten waren beide Künstler, die Maki’ während ihrer Zeit in der Ausbildung an einer privaten Höheren Berufs- und Fachschule im Fachbereich Farblehre behandelt hatte und sie regte sich jedes Mal wieder darüber auf, wenn sie es jemandem erzählte, da ihre Dozentin damals ganz besessen von diesen Künstlern war, und deren Bücher fast jedes Mal dabei hatte…(An dieser Stelle einen lieben Gruß an meine Dozentin Frau Kummert!^_^)
 

Jo Feininger hatte eine unfassbar eklige Aura und fing sofort an, Maki’ anzugraben, wie anscheinend jeden Tag, denn Maki’ hatte aus Gewohnheit ein paar schlagfertige Antworten parat. Als er ihr und Hane mit einem Zuhältergrinsen und rauchender Zigarette lässig im Türrahmen stehend, einen Dreier anbot, natürlich gegen Bezahlung, wurde es den beiden zu bunt und sie beeilten sich schließlich. „Vergiss diesen Idioten … Der hats einfach nötig …“
 

Hane nickte nur wie ein „ach so…“ und zog die Augenbrauen angewidert hoch.
 

In Maki’s Büro arbeitete noch ein weiterer Mitarbeiter zu so später Stunde. Mick. Er war ein liebenswürdiger Kerl, der ein ausgesprochener Heavy Metal Fan war und von sich selbst behauptete, ein Troll zu sein, was man ihm Dank Frisur und Kinnbart auch fast hätte abkaufen können. Er wurde sichtlich ein wenig nervös, als auf einmal noch eine hübsche Frau hinter Maki’ auftauchte und er verbarg seine aufkommende Gesichtsröte hinter den Gläsern der Brille, die ihn sehr kleidete.
 

Er erklärte Maki’ nur ein paar Details zu einem neuen Kundenauftrag. Die beiden verstanden sich blind und hatten wohl auch den selben Humor. Es fielen einige Insider- und Grafikerwitze… Na ja. Wieder draußen vor der Tür kicherte Maki’: „Du gefällst ihm“, meinte sie und sprang zur Seite, weil sie vermutete einen Seitenhieb zu kassieren.
 

Es kam aber nichts. „Wie sieht’s eigentlich aus? Hast du einen Freund?“
 

„Nein.“
 

„Was? Das kann ich gar nicht glauben. Du bist doch so eine hübsche Frau!“, Maki’ fiel buchstäblich aus allen Wolken.
 

Hane war ein wenig perplex. Sie war es nicht gewöhnt, als „Frau“ bezeichnet zu werden, wo sie doch alle in ihrer Familie immer noch wie dreizehn behandelten, allen voran Tante Annelie. „Und du?“
 

„Ich hab zur Zeit auch keinen Freund.“
 

„Zur Zeit“ hätte Hane auch gerne gesagt. „Das wiederum kann ich nicht glauben.“
 

„Die meisten Männer trauen sich nicht an mich heran.“
 

„Ach so…“ So gingen sie weiter und blieben schließlich im Thai Pan hängen, dem Restaurant mit dem längsten Sushiband in Europa, dass in der Nähe der Reeperbahn war. Hane hatte noch nie vorher Sushi gegessen. Doch mochte sie die kleinen Reishäppchen mit rohem Fisch in Bananenblätter eingewickelt, sofort und aß sich richtig satt. Sie hatte in den letzten Wochen nicht so viel erlebt, wie an diesem Tag und der war noch nicht zu Ende.
 

Dann kamen sie schließlich bei Maki’s Zuhause an. Auf der schönen Marmortreppe lag eine Katze, die auf den Namen „Dumpfbacke“ hörte. „Der alte Funzelkater gehört meiner Mitbewohnerin Kurai. Ist’n ganz komisches Viech… aber wir alle lieben ihn.“
 

Da kam dieser fette schwarze Kater an, schleimte sich an Maki’s Bein und legte sich dann neben ihr auf den Rücken, alle Viere von sich gestreckt und ließ sich kraulen… von Maki’s Fuß, der mit ihm rhythmisch und kreisförmig den Boden aufwischte. Und als er nach einer kleinen Weile wieder aufstand, kam es Hane so vor, als wäre er doppelt so dick, weil sein Fell sich elektrostatisch aufgeladen, zu einem Riesenbommel aufplusterte.
 

„Der steht da voll drauf…“ Hane kicherte. Die Mädchen wohnten im fünften Stock ganz oben. Das bedeutete ein schönes Beintraining jeden Tag. Hane hatte sich sowieso schon gewundert, warum Maki’ so fit war. In der Wohnung, zu der eine wunderschöne, aufgemöbelte Tür gehörte, an der ein Hello-Kitty-Schild hing, war es dunkel und still.
 

Hello Kitty war eine Kultfigur in Japan, ähnlich wie bei uns die Typen von der Sesamstraße oder Mickey Mouse. Die kleine niedliche Katze war wie Emily, Miffy oder dem Mädchen mit den Pandazöpfen Ten …äh, nein Pucca (Kleiner Naruto-Insider), ein beliebtes Motiv auf allem und jedem Gegendstand. Es gab alles an Merchandiseartikeln zu Kitty und ihren Freunden: Taschen, Geldbörsen, Tassen, Haarspangen, Stifte, Briefpapier, […] (Was? Auch eckige Klammern mit Punkten drin?), Gitarren, Sextoys, Klopapier… Dieses Phänomen ist wahrscheinlich in Deutschland vergleichbar mit Steff’s Sheepworld oder Kittys Lieblungsfutter den Diddle Mäusen… *diabolisch grins*
 

Aber zurück zu der Wohnung. Dunkel und still. Das hatte Hane nicht erwartet. Maki’ hielt inne: „Bist du bereit?“, sie tat so, als würde das, was gleich kam, Hane von den Socken hauen. Sie traute sich kaum zu nicken. Es machte Klick. Das Licht ging an und da war er: „Kai!!“
 

Ein drei mal viermeterdreiundfünfzig großes Poster des GazettE-Drummers hing unübersehbar, mit auf der davor stehenden Kommode aufgebautem Schrein, achtzehn Kerzen, einer dunkelroten Schärpe und einem vor sich hin rauchenden Räucherstäbchen, an der Wand. Hanes Mund klappte auf. Ihre Augen funkelten. Sie hatte nichts gegen Kai, im absoluten Gegenteil! Aber das war definitiv… krank!
 

„Das ist Kurais Schrein.“
 

„Hm“, machte es und ließ sich von Maki’ in die Wohnung ziehen. Nur nach dem sie den Anblick eine halbe Stunde verdaut hatte, war ihr endlich aufgefallen, dass der Rest des Flures unglaublich stylish war. Es gab eine schwarzrote Wand an der viele, viele, sehr viele Cosplayfotos der Mädchen hingen und Eintrittskarten von Conventions und J-Music-Konzerten.
 

„Hier ist die Küche“, wow, dass war eine süße Küche mit einem großen ovalen Tisch, auf dem eine Corpse-Bride-Vase stand, mit Hokuspokusrosen, darüber hingen schwarze, mit Samt überzogene Kugeln aus Keramikschnörkeln, an einem Kristalleuchter. „Hier ist das Badezimmer“, das war ein Shintotempel, eine Wellnessoase und ein Mädchenparadies zugleich. Eine große Badewanne, ein mit einer Lichterkette umrahmter Schminkspiegel mit Tisch, ein Aquarium mit asiatischen Kleinfischen und dann dieser fruchtige Duft.
 

„So, hier ist mein Zimmer, hier kannst du erst mal deine Tasche abstellen“, die Tür ging auf. Hane war baff. Maki’s Zimmer sah aus, wie ein Atelier eines großen Künstlers. Überall hingen Arbeiten und Malereien an den Wänden, Naturstudien und Aktzeichnungen, mit Kohle, oder Rötelkreide, oder Aquarelle. Auf der Staffelei stand ein Bild das Maki’ gerade erst angefangen hatte, es zeigte das Gesicht einer schönen Frau. Eine große Anlage mit noch größeren Boxen und ein offener Kleiderschrank mit allerhand abgefahrenen Klamotten. Viel Kleinkram, Schmuck, Künstlerbedarf und eine CD Sammlung, die einen umhaute. Überall Kabel und verschiedene Rechner, Scanner, Kameras und ein Lichttisch.
 

Und auch sie hatte eine Schneiderpuppe, auf der doch tatsächlich das schwarze lederne Kostüm mit der Pelzschärpe und einem selbstgenähten Moogle zu Lulu hing, einem weiteren Charakter aus der Final Fantasy Reihe. Das würde ihr zweifelsohne hervorragend stehen, daneben stand eine alte Nähmaschine auf einem noch älteren Tisch. An der Seite war ein kleiner Ständer auf dem ein Instrument seinen Platz fand, eine E-Violine mit einem transparenten Gehäuse. Maki’ teilte also die Leidenschaft mit Hanes Mutter, aber auf eine andere Art und Weise. „Hier ist Akais Zimmer… aber das kann ich dir nicht zeigen, weil sie nicht da ist … aber Kurais Zimmer kann ich dir zeigen.“
 

„Ku…ku…Kurais Zimmer?“, Hane erinnerte sich an ihr Kaitrauma.
 

Maki’ grinste teuflisch. „Kurais Zimmer…“ Dann packte sie Hane am Arm. Irgendetwas in Hanes Innerem sträubte sich dagegen. „Sie ist da und übt.“
 

„Übt?“
 

„Halt dir lieber die Ohren zu…“ Maki’ öffnete eine Tür, dahinter war… eine zweite Tür. Maki’ schloss die erste. „Bereit?“
 

„Irgendwie hasse ich es jetzt schon, wenn du das machst…“
 

„He, he, he…“, Maki’ drückte ganz langsam die Klinke herunter, Hanes Puls beschleunigte wieder. Mit einem Mal schupste Maki’ die Tür auf und der visuelle Schock den Hane erwartet hatte … blieb aus. Stattdessen bekam sie fast einen Gehöhrsturz.
 

Kurai saß mitten im Raum, an einem Schlagzeug, und hämmerte sich die Seele aus dem Leib! Etwas Abgefahreneres und Wilderes hatte Hane noch nie gehört. Sie ahnte nicht, dass es jemanden gab, der so genial Schlagzeug spielen konnte. Und aus dem schmerzverzerrten, dann verblüfften Gesicht, wurde schnell ein breites Grinsen und ein Mitwippen, das Maki’ hinter ihr ein gewisses Lächeln aus den Lippen formte.
 

Kurai trug ein eher schlichtes schwarzes, ärmelloses Oberteil und eine dunkle Hose mit Ketten dran, die Haare wild und wuschelig, weil mindestens dreitausendvierhundertsechsundvierzig Mal hoch und runter gebangt. Wie auf Knopfdruck herrschte Stille, die allen Anwesenden jetzt mehr in den Ohren klingelte als der Lärm vorher. Sie drehte sich um. Hane schaute in ein hübsches verschwitztes Gesicht, mit Augen so dunkel, dass sie nicht einmal hätte sagen können, welche Farbe sie hatten. Ein Leberfleck zierte gut positioniert ihren Mund. „Du bist bestimmt Hane…“, es schallte ihr eine fraulich leichte Stimmer entgegen, gefolgt von einem Lächeln und einer ausgestreckten Hand.
 

Hane war zu fasziniert und zu verblüfft davon, dass ihr Gegenüber sie und Maki’ trotz der Lautstärke gehört hatte, um zu reagieren. Maki’ stupste sie ein wenig an. Hane gab Kurai die Hand, deren Haut ganz warm und an einigen Stellen vom Trommeln verdickt war. Sie hatte regelrecht Schwielen. Da war jemand mit absoluter Leidenschaft bei der Sache. Davor hatte Hane mehr als nur Respekt. Sie schaute zu ihr auf, und dass nicht nur, weil Kurai sie um einige Zentimeter überragte.
 

Das Zimmer war ebenfalls schlicht eingerichtet. Es gab ein riesiges Bett, dass aus zwei nebeneinander liegenden Futonmatratzen bestand. Auch hier wieder viel Technik, ein großer Computer mit Mikrofonen und Boxen, ein Totenschädel als praktischer Halter für bullige Kopfhörer. Auf einem im rechten Winkel angestellten Tisch standen Turntables. War sie etwa DJ? „Ich bin Kurai, fühl dich ganz wie zu Hause …“ –
 

„Bitte nicht …“, antwortete Hane mit Galgenhumor und die anderen beiden lachten nur verständnisvoll. Anscheinend wusste auch Kurai ein Lied davon zu singen. Kai, überall Kai… anscheinend verehrte sie den Drummer von The GazettE tatsächlich heiß und innig. Der Raum war von oben bis unten ledern schallisoliert. Deshalb hatte Hane nichts gehört. „Ähm… das ist wirklich nett von dir…“, Hane packte sie an einem Tuch, dass um ihren Unterarm gewickelt war und zerrte sie in den Flur, vor Kais Riesenportrait, „…aber was ist das?!“
 

„Das ist Maki’s Schuld … sie hat mir das Poster letztes Mal zum Geburtstag geschenkt.“ Hane bemerkte wie sich die dritte Person ganz leise nach hinten schlich. „Du brauchst gar nicht abzuhauen. Du bist Schuld, dass mich alle für krank halten …“
 

Hane erfuhr an diesem Abend nicht viel über Kurai, außer, dass sie auch Otaku war, war ja auch nicht zu übersehen und sie liebte die Farbe schwarz. Sie war tatsächlich DJ in einem Club auf dem Kietz, in dem auch Akai arbeitete, die sie später dort treffen würde. Ihr richtiger Name war Charlotta, wie sie weiter hieß, wollte sie nicht verraten. Kurai war der Name einer kleinen Dämonin aus der von vielen Otakus geliebten Mangaserie Angel Sanctuary von Kaori Yuki. Schwere Kost, aber ein absolutes Muss, nicht nur für Mangafans. Ansonsten machte sie ein ziemliches Geheimnis um sich. Wer war sie wirklich?
 

Hane fühlte sich hier irre wohl. „Es ist wirklich schön hier…“
 

„Wir haben noch ein Zimmer frei…“, meinte Kurai mit einem Lächeln, als sie ihre Deathnotejacke anzog und sich für diesen Abend verabschiedete. Tatsächlich hatten die Mädchen eine Vier-Zimmer-Wohnung. Das war verblüffend, aber naja, wenn sie sich die Miete teilten natürlich möglich, obwohl Hane gar nicht wissen wollte, was sie an Heizkosten zahlten, bei der hohen Decke und den großen Glasflächen.
 

„Wir können ja nachher noch mal im Club vorbeischauen.“ Der Tanzschuppen hieß „Rollercoaster”, Hane hatte schon mal davon gehört, ein paar Mädels in der Schule hatten sich darüber unterhalten. „Ich hab Lust zu tanzen.“
 

„V… von mir aus…“, Hane wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte.
 

„Okay, aber ich fürchte, so kommst du da nicht rein.“
 

„Was?“
 

„Das war ein Scherz …“, Hane hatte an sich herunter geschaut. Was war denn falsch an ihrem Outfit? Gut, sie war heut schlichter gekleidet, weil ihre Mutter sie sonst nicht aus dem Haus gelassen hätte. Aber auf Party war sie nicht vorbereitet. „Du kannst auch ein paar Sachen von mir haben.“ Sachen von Maki’ tragen kam ihr vor, wie eine Auszeichnung. Aber eh sie sich versah, stand sie auch schon vor Maki’ Kleiderschrank und sah ihrer neuen Freundin beim Stöbern zu.
 

Und anscheinend wusste sie genau, was Hane stehen würde, denn sie brauchte nur ein paar Handgriffe, um etwas Passendes zu finden. Hane war ein flippiges, energiegeladenes Mädchen, deshalb passten die coolen Sachen sehr gut zu ihr, die Maki’ ihr in die Hand gedrückt hatte, die ihr natürlich ein wenig zu groß waren, was aber einen lässigen Eindruck machte und zu einem stimmigen Gesamteindruck beitrug.
 

Hane hatte befürchtet, sich nicht mehr wieder zu erkennen, wenn Maki’ mit ihr fertig war, aber im Gegenteil. Die Ältere hatte eine andere Seite an ihr herausgekramt. Die Sportlich-Elegante. Sie war immer noch sie, aber irgendwie fraulicher. „Also, wenn du jetzt nicht mindestens dreißig Nummern abgreifst, weiß ich auch nicht“, meinte Maki’ mit einem feisten Grinsen, während sie sich ihre Lieblingsjacke überwarf und Hane noch überlegte, ob sie das überhaupt wollte.
 

So schlenderten die beiden über die Reeperbahn, ein Ort, von dem sich Hane früher meilenweit entfernt gehalten hätte. War die Erotik-Vergnügungsmeile doch auch ein Ort von Gewalt und Verbrechen. Aber Maki’ ließ sie schnell die Zweifel vergessen, diese und alle anderen, die sie in ihrem Leben hatte, an sich, an dem, was sie tat und an dem, was sie liebte. Sie zuckte lediglich zusammen, als sie bemerkte, dass sie auf den Fame-Stern von Udo Lindenberg getreten war.
 

„Ganz ruhig Hane-chan, dass ist nur ein Trittstein, der ist dazu da, um drauf rumzutrampeln“, lachte Maki’ wieder und begrüßte im nächsten Moment einen Travestiekünstler. Hane wollte erst gar nicht wissen, woher sich die beiden kannten, aber er … äh… sie schien ganz in Ordnung zu sein.
 

Sie kamen schließlich am Rollercoaster an. Der Laden war gerammelt voll. Eine abgefahrene Location. Trotzdem sie ziemlich klein war, hatte Hane keine Mühe Kurai ausfindig zu machen, denn sie stand etwas weiter oben auf ihrem eigenen Podest, zwischen zwei Laseranlagen. Anscheinend mixte sie die Musik life… ja, natürlich… sie war ja auch DJ. Wieder war Hane beeindruckt. Kurai hatte ein unvergleichbares Talent alles tanzbar zu machen, was ihr je in die Ohren gekommen war.
 

Maki’ kam von der Bar zurück. „’Tschuldige, mich hat son Typ aufgehalten … Der hatte ein übergroßes Kinn, wie Wapol, nur ohne Metall und in schlank … na ja … schlaksig“, Maki’ schüttelte sich. Hane erinnerte sich an den fetten Gegenspieler von Monkey D. Ruffy aus One Piece.
 

„Also eher ein australo peticus…“, beide lachten, bei der Vorstellung dieses Urmenschen.
 

„Sein Kumpel war auch so …“

„Dann sind’s beide australo peticide… klingt irgendwie ungesund.“
 

„Klingt nach einem Coyote Ugly…“, meinte Maki’ sich halb krümmend vor Lachen und drückte ihrer Freundin ein Glas Bacardy Cola in die Hand. „Ah, guck… da ist Akai…“, Hane drehte sich um, als Maki an ihr vorbei durch die Menge auf einen Dancetable zeigte.
 

Was Hane als Erstes auffiel, waren dunkelrote lange Haare und ein Outfit, das an das einer indischen Kurtisane herankam, nur freizügiger … und ein Käfig … Das hatte Hane nicht erwartet. Sie hatte sich eine blonde Kellnerin vorgestellt. Akai war faszinierend schön und verbreitete einen verführerischen Hauch von Erotik. Sie war eine GoGo-Tänzerin, die ihr Handwerk verstand. Hane blieb die Sprache weg. Der Käfig der Akai umgab, war nicht dazu da sie einzusperren, sondern um die Männer von ihr fernzuhalten und wirkte neben ihr wie ein Accessoire. Hane konnte förmlich das Metall auf ihrer Haut klappern hören, während sie zu Kurais Musik die Hüften kreisen ließ.
 

Akai hatte die beiden bemerkt und begrüßte sie unauffällig mit einem Lächeln, ihre Augen funkelten Hane seltsam an, was ihr einen Schauer über den Rücken jagte… Sie waren das genaue Gegenteil voneinander. Das war also Akai. Der Name bedeutete nichts als Rot, das passte aber wie nichts anderes zu ihr, allein schon wegen der Haare. Hane schluckte.
 

Sie war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie in das Leben dieser Frauen passte. Da war Maki’, die wie eine große Schwester werden könnte und so unfassbar talentiert und versiert war, in dem was sie tat, da war Kurai, die eine geniale Drummerin und DJ war, und dann Akai, mit der sie auf den ersten Blick überhaupt nichts anfangen konnte und die ihr in punkto Sexappeal und Sinnlichkeit meilenweit voraus schien, und so blieb ihr nur zu hoffen, dass Letztere sich doch als angenehme Person herausstellen würde, sprich als „Maki’-ähnlich“.
 

Diese ließ ihr keine Zeit nachzudenken, denn schon schleppte sie Hane auf die Tanzfläche. Zum Glück hatte Hane damit kein Problem, nur mit Akai vergleichen durfte sie sich nicht. Doch ihre Tanzpartnerin ließ sie Akai schnell vergessen. Kurai war bekannt dafür Liedelemente aus bekannten Animes mit Mainstream und Housemusic zu mixen. Eine irrer Cocktail, in dem Hane völlig aufging. Die meisten anderen Leute im Laden auch. Ihnen gefielen gerade die Animeeinflüsse, obwohl sie diese gar nicht kannten. Das war typisch.
 

In dem von amerikanischen Künstlern überfluteten Musikbuissnes ging das Potenzial fernöstlicher Musik total unter. Es ging halt nur noch um fette Beats, Hiphop und shaking asses. Aber Kurai hatte gerade die richtige Mischung aus allem, um bei den Leuten anzukommen. Zudem war sie einfach ein cooler Typ Frau, wie sie da so hinter ihren Turntables mit ihrer sexy Leichtigkeit vor sich hin groovte und ihre Mähne schüttelte. Es machte ihr einfach Spaß den Menschen eine gute Zeit zu verschaffen und das wussten alle zu schätzen.
 

Der Abend verging wie im Flug und als Hane in ihre Tasche griff, um auf ihr Handy zu schauen, bemerkte sie, dass ihr tatsächlich einige Männer ihre Nummern zugesteckt hatten. Hane wurde etwas rot, aber insgeheim freute sie sch unheimlich, es war halt gut fürs Selbstbewusstsein und ging runter wie Öl, schade, dass sich keiner getraut hatte, sie anzusprechen. Es war doch tatsächlich schon vier Uhr morgens. Maki’ lotste sie durch die Menge zu einem Hinterraum. „Wir holen nur schnell Akai ab, Kurai kommt auch gleich.“
 

Akai… ja, die hatte sie ja völlig vergessen. Sie war zwischendurch verschwunden, was Hane beim Tanzen nicht bemerkt hatte. „Sie ist bestimmt hinten und spielt Gitarre.“
 

„Oh, wirklich?“, sie hatten also doch etwas gemeinsam.
 

„Ja, sie braucht das, um runter zu kommen“, Maki’ schaute vielsagend. Dann begrüßte sie einen korpulenten farbigen Türsteher mit einem Küsschen auf die Wange. „Hi, ist Akai hinten?“
 

„Jepp, die Kleine rockt schon wieder die Bude“, meinte er und lachte heiser.
 

Als Hane Akai zum ersten Mal spielen hörte, wurde ihr schlecht. Sie lief auf der Stelle kreidebleich an. Diese Frau spielte so fantastisch Gitarre, dass Hane sich wie eine Anfängerin dagegen vorkam und schließlich war sie ja „nur“ Bassistin.
 

Sie hätte locker mit miyavi mithalten können. Sie spielte ein Riff aus Vanilla einem Lied von Gackt… quasi zum „Runterkommen“… Als sie fertig war, tippte sie mit ihrem Stilletto gegen einen Schalter an ihrem kleinen Verstärker. Ruhe. „Ah… jetzt geht’s mir gut“, meinte sie und turnte über die Lehne zu Maki’ auf die Couch. Sie ließ den Kopf in den Nacken sinken und schloss die Augen. „Hallo, Maki’…“
 

„Hi, Akai…“, es kam nichts mehr. „Das hier ist Hane … das Mädchen, das ich im Christopherusgymnasium kennen gelernt habe … sie spielt auch Gitarre“, erst da wurde Akai aufmerksam und bequemte sich trotz Muskelkater aufzusehen.
 

„Naja, ich spiel eigentlich nur Bass …“
 

„Hi“, meinte die Rothhaarige fast schon gleichgültig.
 

„Akai spielt schon seit sie drei ist…“
 

„Das hört man …“, mehr traute sich Hane nicht zu sagen. Sie hatte die Flügel erst mal wieder eingeklappt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück