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Cruel, bloody Paradise

Ihr heiliges Spiel um meine verdammte Seele
von

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Das doppelte Gemälde

Endlich waren alle auf der anderen Seite der Wand angekommen. Vor ihnen lag eine scheinbar uralte, große, grün bewachsene Kathedrale.

„Das könnte doch dieser Ort sein…“, überlegte Maideya laut, „auf jeden Fall ist er wunderschön…“.

Rion stimmte ihr zu: „Ich wüsste nicht wo wir sonst suchen sollten…“.

Sie nickte: „Wir sehen uns am Besten getrennt voneinander um“.

So betraten sie das Gebäude.

In den hohen, bunten Glasfenstern wurden künstlerisch alte Szenen aus der Bibel dargestellt. Das Sonnenlicht, welches den Ort durchflutete gab die Farben in seinem Lichtspiel wieder. Gelb, grün, rot, blau, lila, orange und türkis.

Die Gruppe hatte sich nach dem Betreten des Gebäudes aufgeteilt. Von innen war die Kathedrale so groß wie sie von Außen wirkte. Die Bänke waren liebevoll gearbeitet und aus Ebenholz. Es war ein prachtvolles Bauwerk. Die Kuppel war mit unzähligen, kleinen Engelbildern verziert. Der Altar sah stabil aus und war aus hellem Stein. Eine große, bemalte Marienstatue stand darauf. Rion trat direkt vor das Bildnis und blickte sie stumm an. Ihre Züge waren so klar und fein, dass es den Eindruck erweckte sie müsse genauso ausgesehen haben, wenn es sie denn gegeben hätte. So und nicht anders. In ihren Augen meinte Rion den Schmerz und das Leid der Welt sehen zu können. Ein wenig fühlte er sich wie sie. Es war ein trauriges Bild, wie sie ihr Baby hielt und alles was da kommen würde längst zu wissen schien. Ihre Augen waren plötzlich das Traurigste, was Rion sich vorstellen konnte. Als stünde sie ganz alleine dar. Er wusste nicht mal warum, doch diese Statue nahm ihn auf unerklärliche Art und Weise gefangen. Aus einem Grund, den nicht mal er nennen könnte, hatte er das Bedürfnis sie zu berühren. Er wünschte, er könne mit ihr sprechen, sie fragen ob sie sich damals wohl so gefühlt hatte, wie er heute.

„Ich frage mich, ob ich ein wenig wie du bin?“, dachte er sich, „Was könnte ich wohl mit dir gemeinsam haben? Was verbindet uns? Es fühlt sich so seltsam an“.

Er berührte ihre Wange leicht mit den Fingerkuppen. Da glitzerten die traurigen, leeren Augen der Statue und winzige, blutrote Tränen bahnten sich ihren Weg über die weißen Wangen. Rion starrte sie wortlos an und wischte eine der Tränen weg. Sie schmeckte wahrhaftig nach Blut.

„Die Madonna vergießt ihre Tränen. Das ist ein Wunder“, meinte der Mönch, der aus heiterem Himmel plötzlich neben ihm stand.

Rion sah ihn an ohne etwas dazu zu sagen.

„Und trotzdem beneidet dich wohl niemand darum“, fügte er noch hinzu und säuberte das Bildnis mit einem alten Leinentuch.

Rion zog den Mundwinkel leicht hoch: „Ich weiß…“.

„Selbst die Götter vergießen ihre Tränen für dich. Du musst verflucht sein, mein Junge. Für nichts auf der Welt möchte ich dein Leben führen. Ich würde nie mit dir tauschen wollen. Aber du hast das Mitleid der Gottesmutter, das ist ein großer Trost. Jeder Mensch trägt seine Last auf den Schultern. Doch jeder trägt nur soviel, wie er zu tragen in der Lage ist…“, versuchte er ihn zu beruhigen.

Rion seufzte: „Der Alte muss mich mit einem Packesel verwechseln. Woher sollte jemand anderes als ich wissen was ich kann?“.

„Ich habe von Menschen gesprochen…“, viel der Mönch ihm ins Wort.

Rion nickte etwas abwesend und kehrte der Statue den Rücken: „Vielleicht haben wir mehr gemeinsam als ich dachte“.

Der alte Mann fragte nicht, er machte ihm auch keine Vorwürfe mehr. Er schien einfach alles auf sich zukommen zu lassen. Sich einfach so in sein Schicksal zu fügen. Rion machte dies innerlich wütend. Er konnte mit solchen Menschen nicht viel anfangen.

„Unsere Inselmadonna. Sie ist schön, nicht wahr?“, fragte der Mann Rion beiläufig und betrachtete sie fast liebevoll, „Sie ist ohne Frage die schönste, reinste Frau der Welt“.

„Inselmadonna?“, wunderte Rion sich.

Er nickte: „Ja…vor ewigen Zeiten fand ich sie am Meer liegend. Und trotzdem hatte es den Anschein sie wäre vom Himmel gefallen…“.

Rion blickte noch einmal zu ihr zurück: „Ja, sie ist wirklich schön, aber ich frage mich warum sie so traurige Augen hat. Jeder kommt zu ihr und bittet um etwas für sich oder andere. Wenn ich sie so sehe ist es eher so, dass sie mit ihrem eigenen Leben genug zu tun hätte…“.

Der Mönch schien Gedankenversunken.

Rion löste sich von ihrem Antlitz und sah sich in dem Bauwerk weiter um.

Beim durchstöbern des heiligen Ortes viel ihm eine gut versteckte, unscheinbare Holztür auf. Er befand sich in einem kleinen Zimmer mit einem Tisch, einer Bibel und einem einfachen Stuhl. Im Regal lagen Gewänder und Kutten. An der Wand hing ein schlichtes Kreuz. Ein Raum weiter waren alle Möbel von Planen und Lacken abgedeckt. Alles lag unter einer dicken Staubschicht versteckt. Überall Spinnenweben mit dicken, schwarzen Spinnen darin. Rion wollte gerade das Zimmer verlassen, da fiel sein Blick auf etwas Eigenartiges. Unbeachtet in einer der Raumecken stand ein übergroßes, hohes Bild in dünnem Holzrahmen. Rion ging darauf zu und warf einen genaueren Blick darauf. Ein großer, grober Riss hatte es beinahe mittig zerteilt, es wurde jedoch anscheinend im Nachhinein notdürftig mit einer Nadel am Rahmen befestigt. Das in dunklen Farben gehaltene Bild zeigte einen jungen Mann mit weichen Zügen und klaren, blauen Augen. Er erinnerte mit seinem überlegenen Blick an einen großen Herrscher. Das braune Haar war halblang und frisch gestriegelt. Er sah so real aus, als würde er wahrhaftig vor ihm stehen. Rion hatte ein beklommenes Gefühl dabei. Es war als würden die Augen ihn beobachten. Schon wieder ein Gegenstand mit so seltsamen Augen. Nach einem Namen des Künstlers oder der Person auf dem Bild suchte er jedoch vergeblich. Vorsichtig löste er die Nadel vom Rahmen und ließ den Bilderfetzen herunterfallen. Es war auf altem Leinen gemalt. Auf der Rückseite des Bildstücks stand etwas in dünnen, roten Lettern. Als hätte man es mit Blut geschrieben. Rion hielt es vor das kleine Fenster, um es im abgedunkelten Raum lesen zu können: „In dieser Welt voller Schmerz gibt es keine Liebe…“.

Unter dem zerstörten Gemälde befand sich die Szene aus dem Paradies. Der Baum, die Schlange, Adam, Eva und der rote Apfel.

„Suchst du hier etwas bestimmtes?“, wollte der Mönch wissen.

„Wer hat das Bild gemalt?“, fragte Rion ihn und beschloss sich ob des plötzlichen Erscheinens und Verschwinden des Mönches nicht mehr zu wundern.

„Ich weiß es nicht“, antwortete der Mönch knapp.

„Es hat keinen Titel…“, bemerkte Rion an ihn gewandt.

„Es braucht keinen Titel. Es existiert einzig hier. Es braucht keinen Namen, so wie auch sein Maler keinen Namen trägt“, war die wenig hilfreiche Antwort.

„Aber es hat doch jemand gemalt. Das wird doch wohl einen Grund gehabt haben“, war er leicht verärgert, „Es hat doch wohl mindestens einen Namen verdient“.

„Es war ein namenloser Künstler. Er hat seinem Werk nie einen Namen gegeben. Warum ist das wichtig? Hier wird es niemals jemand sehen. Es kümmert also niemanden. Niemand wird je noch mal danach fragen“, wehrte er ab.

Rion stand auf: „Mich kümmert es scheinbar, sonst würde ich nicht fragen. Und ich bin ja wohl jemand“.

„Ich kann dir nichts anderes dazu sagen…“, musste er zugeben.

„Wer hat das geschrieben?“, erkundigte Rion sich.

Der Mönch las die in Blut geschriebenen Zeilen: „Das schrieb eine junge Frau vor sehr langer Zeit…“.

„Eine Frau?“, fragte Rion nach, „Ich dachte keine Frau darf dieses Gebäude betreten“.

„Seither nicht mehr“, verbesserte er, „Frauen machen die Welt nur noch komplizierter…“.

„Auch gut…“, meinte Rion, „Wer war sie? Warum hat sie das Bild zerstört?“.

„Du stellst zu viele Fragen. Ich habe keine Antworten für dich“, musste er ihn zurückweisen.

Rion schob sich an ihm vorbei in den Hauptraum zurück: „Das ist ja man was ganz Neues“.

„Was meinst du?“, wunderte der Mönch sich.

Rion sah zu ihm herüber: „Ich bin es gewohnt, dass niemand meine Fragen beantwortet. Aber einen Versuch ist es wert gewesen“.

„Es tut mir leid…“, entgegnete der alte knapp.

„Ich dachte immer man solle nicht lügen“, lächelte Rion kaum merklich.

Der alte Mann sah ihn fast mitleidig an, schwieg jedoch.

„Ich werde meine Antworten finden“, versicherte Rion beinahe kämpferisch.

Er nickte ihm nach: „Gewiss, das wirst du, mein Junge. Nur ich fürchte die Welt ist noch nicht bereit. Weder für deine Fragen, noch für die Antworten darauf. Nicht mal auf dich wird sie vorbereitet sein. Aber wie könnte sie es auch sein? Wie könntest du es?“.

Rions Blick fiel auf das grobe Leinentuch. Es war nichts darauf zu sehen.

Der Mönch schien seine Gedanken lesen zu können: „Es ist rein und sauber“.

„Aber sie haben das Blut aus den Augen der Inselmadonna gewischt“, erinnerte Rion sich, „Das habe ich doch gesehen. Ich stand genau daneben. Es müsste mit Blutflecken benetzt sein…“.

„War das so?“, der Alte lächelte.

Rion sah ihn fragend an.

„Wer könnte dies bezeugen? Wer hat es je gesehen?“, wollte er von ihm wissen.

„Sie“, war seine klare Antwort.

„Wirklich…?“, kam knapp zurück.

Rion verzog die Mundwinkel und wollte etwas erwidern, doch der Mönch war weg. Er seufzte, fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar und schlenderte nachdenklich zurück. Dieser Ort war noch seltsamer als alles, was er zuvor gesehen oder erlebt hatte. Rion fragte sich ernsthaft, ob er vielleicht nur träumte. Zu unglaubwürdig und rätselhaft erschien ihm dieses ganze Gebäude.

Er hatte bereits wieder den Hauptteil des Gebäudes betreten. Die Anderen saßen auf den Holzbänken und blicken ihn erwartungsvoll an.

„Und? Hast du es gefunden?“, erkundigte Maideya sich bei ihm.

Rion trat an sie heran und stützte die Hände auf die Lehne der hintersten Bank: „Nein, leider nicht“.

„Ich weiß nicht wo wir noch suchen sollen…“, stöhnte Geroh und breitete sich der Länge nach aus.

Alle schwiegen betreten. Geroh seufzte theatralisch. Rions wache Augen durchwanderten den Raum als versuche er ihn und alle seine Einzelheiten zu scannen. Er betrachtete die Bilder an der Decke. Der Maler war ein wahrer Künstler. Die Gemälde sahen fast lebendig aus. So, als würden die Personen jeden Augenblick aus dem Bild heraustreten.

„Was für ein großartiger Künstler“, staunte Rafahl und deutete nach oben.

Er schien Rions Blick gefolgt zu sein und starrte wie dieser gebannt dorthin.

Rion pflichtete ihm bei.

„Nur eines ist seltsam…“, begann Rafahl kurz darauf, „Ich habe schon eine ganze Weile damit zugebracht diese Kunstwerke ausgiebig zu bestaunen. Nur eines ist seltsam…“.

Rion hob eine Augenbraue, sein Blick streifte ihn und wanderte wieder nach oben.

„Die Szene des Apfels gibt es doppelt. Ob das ein Versehen ist?“, überlegte Rafahl laut und kratzte sich am Hinterkopf, „Ob so etwas einem so wundervollem Maler versehentlich passieren kann?“.

„Doppelt?“, Rion sah ihn fast geschockt an.

Rafahl schien verdutzt darüber, dass Rion dies noch nicht bemerkt hatte: „Ja, gewiss doch. Einmal dort und dann genau gegenüber. Die Szene aus dem Paradies. Beide laufen im mittleren Bild der Engel zusammen.

„Die doppelte Paradiesszene“, nickte Rion erstaunt.

Cassandra und Maideya gesellten sich zu ihnen.

„Davon hat doch schon dieser fiese, kleine Mann gesprochen…“, fiel Maideya ein.

„Das könnte die Lösung sein…“, murmelte Rion und schnipste so laut und plötzlich mit den Fingern, dass die Anderen zusammenzuckten.

Schnell kehrte er in den Raum mit dem Gemälde zurück und sah sich das Bild genauer an. Es war in der Tat die Szene aus dem Paradies, welche es an den Wänden gab. Beides war exakt identisch. Die Wandszenen sogar ein Spiegelbild voneinander.

„Der Apfel aus dem Bild könnte doch die beschriebene Frucht sein…“, schlussfolgerte er für sich selbst, „Xia sprach von einer viel besungenen Frucht. Der Apfel“.

Vorsichtig fuhr er über die Stelle, an der dieser Apfel im Gemälde abgebildet wurde. Tatsächlich ertasteten seine Fingerkuppen dahinter einen Hohlraum. Zu seiner Überraschung war dieser jedoch bereits leer. Rion verdrehte die Augen. Da war er auf die Lösung des Rätsels gekommen und trotzdem stand er ohne den verdammten Splitter dar. Alle Anspannung wich aus seinem Körper und machte Platz für ein ganz anderes Gefühl – Enttäuschung.

„Hast du ihn?“, erkundigte Maideya sich voller Hoffnung.

„Nein, „Gab er zurück, „Er ist weg…“.

„Weg? Wer könnte ihn denn genommen haben?“, wollte sie wissen.

Rion zuckte mit den Schultern.

Stück für Stück tastete er die beiden Bildschichten ab, doch er fand nichts.

„Lass mich mal versuchen“, bat sie und trat an ihn heran, „Da muss doch was zu finden sein…“.

Beide hielten inne und sahen sich an. Kurz davor war ein leises Klirren zu vernehmen. Beide waren sich nicht sicher. Maideya stand ganz starr dort und bewegte ganz vorsichtig den rechten Stiefel. Nichts. Dann bewegte sie den linken Stiefel um Millimeter. Da war es wieder. Ein kaum hörbares Schaben. Maideya hob wortlos den Fuß und trat einen großen Schritt zurück. Beide knieten sich herunter und tasteten in der millimeterdicken Schicht aus Staub nach dem Auslöser des Geräusches. Die Hoffung blitzte in ihren Augen auf. Rions Zeigefinger stieß gegen etwas Stabiles, Kühles. Sofort huschte ein breites Grinsen über sein Gesicht. Maideya griff im selben Moment danach und erwischte somit nur noch seinen Handrücken.

„Der Splitter! “, realisierten sie zeitgleich.

Maideya zog etwas errötet ihre Hand zurück und blickte von seinen Augen zurück auf den Boden: „Also gab es ihn doch noch…was für ein Glück“.

Rion säuberte ihn vom Staub. Als er ihn auf seine Handfläche legte, da bemerkte er einen Blutfilm an einer der dünnen Seiten des Splitters.

„Ob sie damit die Nachricht schrieb?“, schoss ihm beiläufig durch den Kopf, als er ein letztes Mal auf das Bild sah.

So in Gedanken verstaute er den wertvollen Splitter und kehrte zu den Anderen zurück, die bereits auf ihn warteten.

„Wir haben ihn gefunden!“, verkündete Maideya voller Erleichterung.

Ihren Gesichtern war die Freude über den Erfolg deutlich anzusehen. Die positive Stimmung war fast greifbar in dem alten Gebäude.

„Jetzt müssen wir nur noch einen Weg von dieser rätselhaften Insel finden“, erinnerte Rafahl sie.

Rion stimmte ihm zu: „Bingo. Wir werden erstmal nach draußen gehen. Dort sehen wir weiter“.

Mit diesen Worten öffnete er die schwere Tür und sie machten sich auf diesen Ort zu verlassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  alana_chan
2010-07-26T18:46:54+00:00 26.07.2010 20:46
Ein schöner Ort :-). Mal sehen wie die heutigen Puzzelteile in das eigentlich Puzzel passen. Eins ist klar niemand will Rions leben haben.Das ist schon mal klar

lg lana


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