Der Regen und die Ex
Es war ein regnerischer Sonntagabend. Den ganzen Tag über hatte sich die
Sonne nicht blicken lassen, und seltsamerweise konnte ihm auch sein Rechner
von seiner schlechten Laune keine Abhilfe verschaffen. Er dachte an ein Gedicht
aus der Schule, welches er zum Thema: "Leben in der Großstadt" geschrieben
hatte:
"Die Stadt, ein Paradies aus der Hand des Menschen. Vertrieben aus dem
Paradies, geflohen in ihre Welt, nahe dem Tode waren die Menschen. Geschaffen
von den vergänglichsten aller Wesen. Geschaffen vom Wissen, erlangt für jene
Schwäche, unser eigenes Paradies. Zu beschützen von der Angst vor dem Tod,
uns zu erfüllen mit Glück, geschaffen wurde dieses Paradies. Diese Stadt ist
wahrlich ein Paradies. Ausgestattet mit den Waffen, um uns zu beschützen.
Eine Stadt für Feiglinge, die vor der Welt dort draußen mit all ihren Feinden
fliehen. Feiglinge, die länger leben."
Der Regen prasste noch immer gegen das Fenster, während er den Fernseher
ausschaltete. Es lief, wie in unseren Zeiten üblich, nur von kurzen Musikeinspielungen
unterbrochene Klingeltonwerbung, die ihn ohnehin bis aufs Blut reizte.
Nun erfüllte nurnoch das leise, kaum mehr hörbare Summen seines Rechners und
das Geräusch von an der Fensterscheibe berstenden Regentropfen den Raum. Er
atmete durch, und beschloss sich an das Fenster zu setzen. Das war im dann doch
zu leise, sodass er sein Winamp startete, um etwas musikalische Untermalung zu
haben. Natürlich begann die Playlist mit "Myself", einem Lied, dass er nach dem
Verlust seiner letzten Freundin nur zu oft gehört hatte. "Verdammt" ging es ihm
durch den Kopf. Er hatte seine Freundinnen nie lange halten können, meistens
waren sie abgesprungen, und ein paar Mal, so musste er sich eingestehen, war
er auch selbst nicht ganz ehrlich - zu ihnen und auch, und um so öfter - zu sich
selbst. "Verdammt"... "Tja..." seufzte er kaum merklich, als er einen Schatten
an seinem Fenster vorbeihuschen sah. Hätte es ihn interessiert, was unten auf
der Straße passiert, dann hätte er auch erkannt, wer oder was dieser Schatten
war. So aber erkannte er nur die Umrisse einer Gestalt auf einem Fahrrad. In
Gedanken versunken trauert er um seine Freundin: "Warum kann Liebe nicht
einfacher sein... Warum ist das alles so kompliziert... Keiner da zum kuscheln...
zum Einfach-mal-in-den-Arm-nehmen... Einsamkeit.." Riiiiiiing!
Seine Klingel weckte ihn aus seinem Gedankengang. Er sah auf die Uhr. "Die
Post? So spät?"... Unmotiviert ging er zur Tür. "Wer ist da?" - "Lieferservice,
ein Packet für Herrn ZENSIERT!" - "Kommen Sie hoch." Schnell warf er sich
noch ein Hemd über und ging zur Tür. Mit dem typischen "Wo soll ich unterschreiben?"
öffnete er die Tür. Weiter als "Wo soll..." kam er aber nicht. Vor
ihm stand sie. Groß, relativ schlank und wunderschön. "Katrin... was machst du
hier?" - "Ich war in der Gegend und... und... und... da fing es an zu regnen und
ich..." - "Ist schon ok, komm rein..." Katrin war seine Ex. Er hatte sie schon oft
weinen sehen und wusste, dass sie auch heute geweint hatte. Durch ihre vom
Regen völlig durchnässten Klamotten sah sie noch viel schlimmer aus... "Komm
mit" sagte er in einem ruhigen Ton. Er empfand keinen Groll, er mochte sie noch
immer sehr, und war ohnehin ein Menschenfreund, was er sich nicht erklären
konnte. Menschen waren für ihn immer wie Außerirdischen, die zu verstehen
er nie so wirklich in der Lage gewesen war. "Hier, nimm das. Du kannst deine
Sachen im Bad aufhängen. Handtücher sind da auch. Ich warte dann im Wohnzimmer."
- "Danke" drang es sehr leise, aber voller Dankbarkeit in den bereitsleeren Flur.
Er hatte ihr einen seiner Jogginganzüge gegeben, und sie ging ins Bad und
zog sich um. "Ist das richtig, was ich hier tue?" dachten beide gleichzeitig. Er
wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Normalerweise hatten sie immer gemeinsam
auf der Couch gelegen. Der Sessel schien ihm besser geignet, um sie
nicht zu bedrängen. Unbequem war er, kein Zweifel, aber für sie würde er auch
auf dem Boden liegen. Wie selbstverständlich kam sie aus dem Bad und setzte
sich auf die Couch. Dann war Stille... Keiner wusste so wirklich, was man sagen
sollte... "Was machst du grad so..." fragte er, denn er hasste Stille sehr. "Ich hab
mich grad von meinem Freund getrennt..." - "Aha..." - "Ja, er wollte mich nur
als Vorzeigepüppchen haben" - "Verstehe" - "Und bei dir?" - "Es muss... habe
keine Freundin zur Zeit... und auch nicht gehabt..." - "Du?" - "Ja?" - "Der Sessel
war doch immer unbequem... Willst du nicht, ich meine..." - "Ja." Sie verstanden
sich, und so setzte er sich neben sie auf die Couch. Sie neigte unmerklich seitlich,
bis ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. Ebenso unmerklich legte er seinen Arm
um sie. Sie seufzten, auf irgendeine seltsame Art und Weise waren sie glücklich.
"So einen lieben wie dich findet man ja auch selten... nein, nie" - "danke"...
Er drückte sie. "Du, ich meine...", sagte sie, "warum bist Du immenroch so lieb
zu mir, nach alldem, was ich Dir angetan habe?" Stille... Er überlegte gründlich,
bevor er antwortete: "Es ist so..." seine Stimme begann zu zittern "... dass ich
Dich liebe. Egal, was Du auch tust. Ich sehne mich nach Dir, Deiner Nähe,
Deinen Küssen... einfach nach Dir..." Jetzt konnte er seine Tränen nicht mehr
zurückhalten. "Es tut mir le..." - "ist schon gut." Er wischte sich die Tränen
aus dein Augen, was ihm sichtlich schwer fiel. "Und", begann er zu fragen, "wie
kommt es, dass Du ausgerechnet an meiner Tür klopfst?" Sie holte tief Luft und
antwortete ihm leise: "Es ist... Tina hat mir erzählt, wie schlecht es Dir geht...
Ich fühlte mich schuldig... Klein, Dreckig... verstehst Du? Ich wollte halt... zu
Dir! Dann hat mich der Regen überrascht..." - "Es regnet schon den ganzen
Tag..." - "Jaa... aber ich wollte Dich einfach sehen..."
Sie blickten sich tief in die Augen. Dann schlossen sie die Augen und küssten
sich. "Warum hattest Du mich eigentlich verlassen?" - "Das ist unwichtig" - "Nein,
mich interessiert es..." - "Ich dachte, mit Vitali das würde besser laufen..." Er
rückte von ihr weg. "Also dachtest Du, wenns bei Nummer 1 nicht klappt, kann
ich einfach zu Nummer 2 zurück?" - "Nein! Das ist es nicht!" - "WAS ZUM
TEUFEL SOLL ES DENN DANN SEIN???" sie begann zu weinen. "Ich habe
gemerkt, dass ich mich nach Dir sehne, Dich brauche... Bitte..." Er war hin und
hergerissen, entschloss sich dann aber, besonders, weil sie auch weinte, ihr noch
eine Chance zu geben: "Es ist schwer... Aber wir können es nochmal versuchen..."
- "Ja, bitte". So verbrachten sie den Abend auf der Couch, und schliefen in ihren
Armen ein.
Und an einem Ort, den die Wirklichkeit nicht kennt, liegt ein Traum verborgen
in der Wirklichkeit. Stets spürt der Mensch Schmerz in seinem Herzen.
Wir lassen uns von anderen verletzen weil wir sie an unserer Geschichte teilhaben
lassen. Das Herz ist verwundbar, deshalb ist das Leben so mühselig. Der
Schmerz zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Menschen. Der
Mensch lebt um zu vergessen. Der Mensch lebt, weil er vergessen kann. Die Liebe
kann nicht alle Probleme lösen. Es ist nur allzu angenehm, auf dem leichten
Weg der Ignoranz vor der Wahrheit zu fliehen.
Die Trauer der Welt hat uns geführt. Wir alle waren von Aufruhr umgeben...
und Einsamkeit erfüllte die Herzen der Menschen