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Dunkle Nächte

Wenn das Schicksal zuschlägt...
von

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Albträume

Kapitel 43 

Albträume 

 

Als Joey an diesem Morgen erwachte, es war jedoch eher Sonntagmittag, fühlte er sich unglaublich erschöpft und müde. Wie immer war er länger in der Diskothek, in der er gerade arbeitete, gewesen und kam erst gegen 04:00 Uhr nachts ins Bett. Wie spät es jetzt war, wusste der blonde Mann nicht. Zwar hatte er über 8 Stunden geschlafen, aber der Albtraum der letzten Nacht hatte ihn unglaublich gerädert. Dabei erinnerte er sich selbst nicht mehr daran, was er eigentlich geträumt hatte. Es blieben nur schemenhafte Bilder, ein gefühlter unendlicher Schmerz und ein wahrhaft niederschmetterndes Schuldgefühl. Woran er denn Schuld haben sollte, war ihm wiederum nicht klar. Joey fühlte sich extrem erschöpft, sein Kopf und alle seine Glieder schmerzten und innerlich fühlte er sich regelrecht zerschmettert. Es dauerte lange, bis er sich endlich auf die Seite rollte und nach seinem Telefon griff. Mittlerweile war es schon 12:37 Uhr. Dass er so lange geschlafen hatte, konnte er sich gar nicht vorstellen. 

Als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet, klopfte es plötzlich vorsichtig an seiner Zimmertür. Die Stimme seiner Schwester rief zurückhaltend. „Bist du schon wach?“ Mit einem Murren antwortete er ihr. Es war mehr ein Grummeln oder vielleicht eher ein Brummen. Zumindest war seine Reaktion auf ihr Klopfen ausreichend irritierend und besorgniserregend, dass die junge Frau die Tür öffnete. Vorsichtig streckte sie ihren Kopf in das Zimmer, welches matt erhellt wurde. Die Vorhänge reichten nicht aus, um das gesamte Licht des Tages aus diesem Raum fernzuhalten. Wenn die Sonne aufging, wurde es auch für Joey heller. Müde und nicht willig aufzustehen hob er seinen linken Arm als Zeichen dafür, dass er bereits wach wäre. Nun war seine Schwester erst recht besorgt. Vorsichtig trat sie hinein, den auf dem Bett liegenden jungen Mann musternd, und fragte vorsichtig. „Geht es dir nicht gut?“  Erneut war es eher ein Brummen, welches der Blonde von sich gab. So setzte sich Serenity auf  die Bettkante und versuchte ein Lächeln aufzusetzen. „Hattest du einen Albtraum?“ Wieder dauerte es einen Augenblick bis der junge Mann reagierte. Nur eines der beiden Augen öffnete sich und suchte den Blick seiner Schwester. Bedächtig kam Joey ganz langsam in Bewegung. Auch das zweite Auge öffnete sich und er begann, sich langsam in eine aufrechte Position zu kämpfen. Auch dies dauerte einen Moment, den seine Schwester ihm gerne gab. 

„Ja, das war definitiv ein Albtraum! Ich weiß nicht mehr genau, was eigentlich passiert ist, aber…“ Dem Gesicht des Blonden konnte man Schmerz und Entsetzen ansehen. „Ich weiß nur noch so viel, dass der Traum im alten Ägypten gespielt hat und du dabei gewesen bist. Aus irgendeinem Grund hatte ich unglaubliche Angst um dich. Ich wäre fast gestorben vor Angst.“ Trotz dieser Worte setzte Joey ein Lächeln auf und blickte zu seiner Schwester. Es war dieser typische, liebevolle Blick eines großen Bruders. „Dich jetzt hier in Sicherheit zu sehen, macht mich definitiv glücklich!“ Nun musste auch Serenity lächeln, während sie nach der Hand ihres Bruders griff. „Dann macht dich meine nächste Aussage sicher noch ein bisschen glücklicher. Das Essen ist fertig!“ Mit einem breiten Grinsen nickte Joey und meinte strahlend. „Nun mit Essen kannst du mir immer eine Freude machen!“ 

 

So verging dieser Sonntag auf eine sehr harmonische Weise. Während Joey über den Tag hinweg immer wieder in seine Schulunterlagen blickte, lernte auch seine Schwester für ihre Abschlussprüfung. Doch heute war bei beiden die Konzentration nicht sehr groß. Immer wieder lenkten sie einander ab, bis sie am späten Nachmittag schlussendlich alle Sachen zur Seite räumten. Es machte sowieso keinen Sinn mehr. So sprachen sie noch einmal über die kommende Woche, begannen das Abendessen vorzubereiten und blickten nebenher immer wieder auf ihre Telefone. Noch war ja nicht klar, wie der Abend im Hause Kaiba lief. Es konnte ja schließlich sein, dass  Mokuba gleich in Tränen aufgelöst anrief. Zwar hielt Joey das für unwahrscheinlich, aber sicher war er sich nicht. 

Erst spät in der Nacht trudelte die erwartete Nachricht ein. Der Schwarzhaarige schrieb freudig, dass der Filmabend ein voller Erfolg gewesen wäre. Diese Nachricht las Joey jedoch erst am nächsten Morgen und dieser begann alles andere als gut, denn der Albtraum der letzten Nacht hatte sich wiederholt. Müde und mit dem Gefühl innerlich zerschlagen zu sein entlockte diese Nachricht ihm nur ein kleines Schmunzeln.  

 

Auch auf der Arbeit hatte er den Nachhall des Albtraumes noch nicht abschütteln können. Er war sogar so erschöpft, dass er völlig vergaß, dass Seto heute eine halbe Stunde später anfing. Der Kaffeebecher im Büro des Brünetten war bereits ausgekühlt… Zuerst hatte er die Sorge, dass dieser wütend auf ihn wäre, doch der Anblick des Firmenführers war ebenso grauenhaft, wie der Joeys. Offensichtlich war auch dessen Nacht genauso erschöpfend und wenig erholsam gewesen. Die honigbraunen Augen musterten den 22-jährigen Mann eingehend. „Ich weiß gerade nicht, wer von uns beiden schlimmer aussieht, du oder ich.“ Diese Aussage entlockte dem Brünetten wirklich ein leichtes Schmunzeln. Er stand mit dem Motorradhelm unter dem Arm vor dem Schreibtisch seines Sekretärs und trug noch immer Schal und Handschuhe, als wäre es ihm zu kalt, um diese auszuziehen. Sein Gesicht war bleich und er hatte tiefe, schwarze Augenringe. „Ich habe nicht sonderlich gut geschlafen. Um genau zu sein habe ich extrem schlecht geschlafen. Ich könnte sogar hingehen und behaupten, dass ich so schlecht geschlafen habe, dass ich mir wünschte, gar nicht geschlafen zu haben. Wahrscheinlich ginge es mir jetzt besser, wenn ich die ganze Nacht durchgearbeitet hätte.“ 

 

Es dauerte einen Moment, bis der blonde, junge Mann verstanden hatte. „Oh, du hattest also auch Albträume.“ Nun zogen sich die brünetten Augenbrauen in die Höhe. „Ach so nennt man das. Ich dachte immer, dass Menschen in meiner Position von so einem Schwachsinn verschont bleiben.“ Trotz ihres aktuell desaströsen Zustandes lag doch eine gewisse Erheiterung in der Luft. „Ach so, ich dachte, dass Menschen, die so viel zu verlieren haben wie du, grundsätzlich von Albträumen heimgesucht werden. Immerhin habt ihr ja auch sehr viel mehr zu verlieren als wir, die im Grunde gar nichts besitzen.“ Kurz schien der Brünette ernsthaft über diese Aussage nachzudenken. Das schien ein Gedanke zu sein, den er so noch nie gehabt hatte. „Nun, sorgt die Tatsache, dass der gleiche Verlust bei dir zu einem existenziellen Problem führt nicht dazu, dass deine Sorgen weitaus grösser sind? Verliere ich eine Millionen Yen, egal ob privat oder geschäftlich, wäre dieses nur ein kleines Ärgernis.“ Nun starrte ihn der Blonde mit großen Augen an. „Eine Millionen Yen?“ Ein Nicken war die Antwort. „Scheiße, das wäre definitiv ein großes Problem. Jetzt weiß ich nicht, ob ich froh darüber sein soll, dass ich nur davon geträumt habe, dass irgendein Scheiß im alten Ägypten passiert ist. Müsste ich mich jetzt auch noch mit solchen Albträumen auseinandersetzen, wäre ich echt am Ende.“  

 

Ganz kurz starrte ihn der brünette Firmenführer an, als wäre etwas an dieser Aussage besonders. Dann jedoch schien Seto den Gedanken zu verwerfen und meinte stattdessen. „Da magst du Recht haben, aber ich würde dennoch gerne über schönere Themen reden.“ Nun waren es die blonden Augenbrauen, die sich fragend nach oben schoben. „Dann sollte ich also nicht nach deinen Erfolgen beim Meditieren fragen oder?“ Er setzte dabei ein möglichst unschuldiges Lächeln auf. Kurz schlossen sich die eisblauen Augen und ein qualvoller Ausdruck entstand auf dem bleichen Gesicht. „Nein!“ Kam hart und direkt von dem Firmenführer und die eisblauen Augen blickten wieder über den Schreibtisch hinüber zu dem 19-jährigen Mann. Schließlich meinte er verstimmt. „Es war genauso grauenhaft und erfolglos wie schon die letzten Tage. Das einzig Positive ist die Aussage meines Sensei, dass es laut seiner Aussage irgendwann besser wird. Er meinte, dass es ein Prozess wäre. Ich sollte auf diesen vertrauen und einfach weiter üben. Irgendwann wird es einfacher werden oder sagen wir einmal, dass es überhaupt so etwas ähnliches wird, wie eine Meditation.“ Ein schmales Lächeln war auf den Lippen Setos zu finden. Es wirkte sehr unsicher, schien jedoch auch ein wenig Hoffnung zu zeigen. Joey erwiderte diesen Ausdruck und lächelte ebenfalls. „Heißt es nicht immer, dass der Sensei stets Recht hat?“ Das schmale Lächeln des Brünetten wurde etwas breiter. Ein gewisser Schalk zeichnete nun dieses zuerst zurückhaltende Lächeln, welches nun schon beinahe etwas Spitzbübisches hatte. „Höre ich deinem Ton etwa an, dass daran jemals ein Zweifel bestanden hätte?“  

 

Das breite Grinsen wurde noch ein wenig breiter und der Schalk darin war jetzt unübersehbar. Die honigbraunen Augen glänzten und funkelten, als hätte der Brünette einen Fünfjährigen vor sich sitzen, welcher soeben einen Plan geschmiedet hatte, um an alle Süßigkeiten im gesamten Gebäude heranzukommen. „Nein! Auf gar keinen Fall! Es ist eher andersherum. Denn wenn dein Sensei glaubt, dass selbst ein so hoffnungsloser Fall wie du das richtige Meditieren irgendwann noch einmal auf die Reihe bekommt, dann muss der Sensei Recht haben. Andernfalls würde das bedeuten, dass der Mann entweder überhaupt keine Ahnung von dem hat, was er tut, oder er belügt dich nach Strich und Faden, damit du die Hoffnung nicht aufgibst.“ Für einen Moment wusste Seto nicht, was er darauf erwidern sollte. Diese Frechheit war einfach zu dreist. So starrte er den 19-Jährigen einen Moment lang erstaunt an. Neben all den vielen Beleidigungen, welche ihm durch den Kopf gingen, entschied er sich unerwartet für eine eher charmante Frage. „Hast du mich gerade einen hoffnungslosen Fall genannt?“ Die zu erwartende Verlegenheit blieb aus und ein frecher, leicht herausfordernder Ton kehrte nun in die warme Stimme ein. „Nein! Ich sagte lediglich, dass ich sehr froh bin, dass der Sensei immer Recht hat.  Wäre dies nicht so, müssten wir davon ausgehen, dass du ein hoffnungsloser Fall bist. Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass dies so wäre. Oder glaubst du etwa selber, dass du ein hoffnungsloser Fall bist?“  

Für einen Moment wurde es still. Zu still. Beinahe entsetzt Begriff der Blonde, dass diese Gedanken anscheinend wirklich in dem Kopf des Firmenführers aufgetaucht waren. Nun war das Entsetzen auf Joeys Seite zu finden und seine braunen Augen wurden groß und rund. „Vergiss es! So einen Scheiß wirst du nicht einmal denken! Wenn ich in der Lage dazu bin, diesen Job hier wenigstens halbwegs vernünftig auf die Reihe zu bekommen, bist du alles andere als ein hoffnungsloser Fall! Du wirst mir doch jetzt nicht erzählen wollen, dass du ernsthaft daran zweifelst, dass du, ausgerechnet du, irgendetwas nicht kannst!“ Er stierte den Firmenführer beinahe an. 

 

Es war ein verlegener Ausdruck auf dem Gesicht des 22-jährigen Mannes zu erkennen. Er schien wirklich diesen völlig unerwartet absurden Gedanken zu hegen. Jedoch erweckten die Worte des Blonden ein Lächeln, schmal und zurückhaltend. „Weißt du Joseph, wäre ich so überragend, wie du behauptest, wäre ich überhaupt nicht in dieser Situation. Dann könnte ich mir diesen ganzen Schwachsinn sparen. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, scheine sogar ich nicht vor Selbstzweifeln gefeit zu sein. Es freut mich jedoch sehr, dass du nach all dem noch immer glaubst, dass ich fehlerlos wäre.“ 

Nun sahen die honigbraunen Augen leuchtend zu ihm auf. Er hatte einen neckenden und frechen Ton in der Stimme. „Dann gibst du damit offiziell zu, dass du menschlich bist?“ Wollte Joey nun wissen und Seto hob elegant die brünetten Augenbrauen. „Nein, auch Götter kommen gelegentlich ins Straucheln.“ Frotzelte er zurück und nun war es der 19-Jährige, der ihn erstaunt anblickte. Doch anstelle einer Antwort schüttelte er nur den Kopf. 

„Sag mir lieber, wie dein Abend gestern mit Mokuba gewesen ist.“ Forderte Joey nun und wollte das Thema beenden, bevor er doch noch etwas Dummes sagte. „Hat dir mein Bruder keinen ausführlichen Bericht gegeben?“ Kam nun mit einem Schmunzeln von dem Brünetten und die honigbraunen Augen blickten ihn direkt an. „Nein, hat er nicht. Ich weiß nur, dass es wohl ganz schön gewesen ist. Mehr nicht. Außerdem heißt es ja noch lange nicht, dass dir der Abend auch gefallen hat.“ Setzte der Sekretär wider Willen dazu und versuchte einen unschuldigen Ausdruck aufzusetzen. Kurz schien Seto diesen Worten ihren Platz einzuräumen und meinte dann. „Nun, ich habe den Abend soweit sehr genossen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Tribute von Panem doch noch so interessant werden würden. Es gab doch die eine oder andere Überraschung, die ich nicht erwartet hatte.“ Nun saß Joey der Schalk wirklich im Nacken. „Du erwartest Überraschungen?“ Fragte er breit grinsend und brachte den Firmenführer zu einem Schmunzeln. „Bei einem Chaoten wie dir: jederzeit! Ob es auch gute sind, ist eher fragwürdig.“ Stichelte er zurück und nun war der Blonde empört. „Frechheit!“ Schimpfte er direkt und schüttelte den Kopf. 

Schließlich scheuchte er mit einer Handbewegung seinen jetzigen Chef endlich hinüber in sein Büro und mit einem breiten Grinsen folgte Seto sogar dieser Aufforderung.  Nur wenig später fiel die Tür hinter ihm zu. 

 

Der eigentlich so schlechte Morgen hatte nun doch eine angenehme Wendung genommen, mit welcher keiner der beiden Männer gerechnet hatte. Sie beide schienen sich auf diese seltsam irritierende Art sehr positiv zu beeinflussen, jedoch war dies keinem der beiden bewusst. So verging der erste Montagmorgen nach ihrer gemeinsamen Reise. Auch Yuriko bemerkte die unerwartet freudige Stimmung am heutigen Vormittag, denn sie hatte bereits eine Nachricht von Joey erhalten, in welcher der Blonde mitgeteilt hatte, dass es ihm nicht sonderlich gut ging. So hatte sie damit gerechnet, dass sie zuerst dafür Sorge tragen müsste, dass es dem Blonden wieder besser ginge. Seine freudige Stimmung war überraschend und dennoch sehr angenehm. 

 

Der Arbeitstag verging schneller als gedacht, ebenso wie die darauffolgenden Tage. Die Stimmung war dennoch wechsellaunig, denn die beiden jungen Männer wurden des Nachts immer wieder von Albträumen gequält. Ihr Schlaf war wenig erholsam und so wurde es immer schwieriger über Tag eine gute Stimmung zu halten. Seto stellte zusätzlich fest, dass seine Anstrengungen im Meditieren anscheinend erfolglos waren. Morgens und abends schaffte er es nicht auch nur ansatzweise seine Gedanken zum Schweigen zu bringen, welche ununterbrochen um die Albträume sowie die Aufgaben und Probleme des Tages kreisten. Sie hatten über die Woche daher eine Art Waffenstillstand beschlossen. Eigentlich ging dieser eher von Seto aus, der meistens damit beschäftigt war, einen neuen Plan gegen den Blonden auszuhecken. Doch in seinem jetzigen Zustand und in Anbetracht der Ereignisse in Dubai, war ihm überhaupt nicht nach solcherlei Späßen zumute. Joey hatte diese Tatsache dankend angenommen, denn durch den wenigen Schlaf waren solche Auseinandersetzungen nun das letzte, was er gebrauchen konnte. 

Erst am Donnerstag kam es wieder zu einer etwas privateren Auseinandersetzung. Yuriko war schon gegangen und es war mittlerweile kurz vor 19:00 Uhr. Auch Joey wollte langsam gehen, doch dafür musste er noch ein letztes Mal in das große Büro. Ein wenig unsicher klopfte er dort an und zog die rechte Seite der großen Flügeltür auf, als Seto ihn hineinrief. Der Firmenführer wirkte erschöpft und blickte aus seinen eisblauen Augen hinüber zu dem jungen Mann. Die brünetten Haare wirkten heute ein wenig wild und ungeordnet, während schwarze Augenringe einen starken Kontrast zu der blassen Haut des 22-Jährigen bildeten. „Du machst jetzt Feierabend?“ Kam ein wenig zurückhaltend von dem jungen Mann, der im nächsten Augenblick auch schon wieder auf den Bildschirm blickte, als dort offensichtlich eine kleine neue Nachricht am Bildschirmrand seine Aufmerksamkeit einforderte. „Ja, nachdem ich eben beinahe im Sitzen eingeschlafen wäre, denke ich, dass es eine ziemlich intelligente Idee wäre, jetzt zu gehen.“ Er sagte dies mit einem leichten Schmunzeln, doch die Müdigkeit und die Erschöpfung waren ihm deutlich anzusehen. 

Seto nickte nur und bei einem erneuten Blick in das ebenso blasse Gesicht des Blonden meinte er plötzlich. „Das ist eine unerwartet clevere Idee von dir. Sie ist sogar so vorragend, dass ich mich ihr anschließe. Selbst einem Gott wie mir werden langsam die Augen schwer und es spricht absolut nichts dagegen, jetzt Feierabend zu machen.“ Seine Stimme wirkte erschöpft und schwach, obwohl ein kleiner Hauch von Schalk darin lag. Dies löste jedoch ein noch breiteres Schmunzeln bei dem Blonden aus, welcher darauf neckend sagte. „Das muss ich sehen! Du machst für deine Verhältnisse früh Feierabend? Das glaube ich dir erst, wenn ich dich diese Bürotür wirklich abschließen sehe!“ Joey hatte diesen neckenden Ton und griff dann nach dem leeren Becher auf dem Schreibtisch, der zwischen den Unterlagen beinahe begraben wurde. „Also machen wir gemeinsam Feierabend?“ Erwiderte der Brünette nun doch mit einem stillen Schmunzeln und starrte auf den Bildschirm, während seine Hände über die Tastatur flogen. Er musste noch ein paar Eintragungen machen, bevor er alles schließen konnte. „Klar, klingt gut.“  

 

Kurz zögerte Joey noch, doch dann drehte er sich um und ging zur Tür. „Ich warte draußen auf dich.“ Gab er leicht abgelenkt von sich und verließ den Raum. Einer Eingebung folgend sah Seto auf und bemerkte noch, wie der junge Mann einen Ausdruck aufsetzte, der ihn irritierte. Er wirkte nachdenklich, verlegen und so, als wollte er eigentlich etwas sagen, traute sich aber nicht. Das war etwas, dass er nur bedingt von dem Blonden kannte. Meistens gab dieser ungefiltert von sich, was durch seinen Kopf jagte und übte sich selten in Überlegungen und Zurückhaltung. Mit einem Kopfschütteln versuchte sich Seto wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren und beendete die letzten offenen Aufträge. Mit geübten Handgriffen räumte er soweit alles auf, dass sein Büro morgen wieder wirkte, als wäre es annähernd perfekt. Vielleicht war es zusätzliche Arbeit, wenn er Dinge erst wegräumte, die er dann doch wieder brauchen würde, doch sein Morgen war direkt gelaufen, wenn er einen überfüllten, chaotischen Schreibtisch vorfand.  

Ordnung, das war etwas, dass ihm in den letzten Tagen fehlte. Er liebte sie und er hatte sie viel zu selten. Sein Kopf schwirrte vor Fragen, Überlegungen und vor allem von Erinnerungen, die er nicht fassen konnte. Teilweise mischten sich auch noch Albträume darunter, die ihn nicht mehr los ließen. Nur bedingt konnte er sich an diese erinnern, doch hin und wieder hatte er das Gefühl, dass er von Priester Seth träumte, der im alten Ägypten seine lieben Probleme hatte. Mit einem Seufzen verstaute er die wenigen Dinge, die er mitnehmen wollte, in seinem Rucksack und ging um seinen Schreibtisch herum. Im Vorbeigehen griff er noch seine Jacke und den Helm, in dem sein Schal und die Handschuhe verborgen waren.  

 

Seine Aufgabe war es, den Kopf frei zu bekommen. Darin war er aktuell jedoch nicht sehr gut. Es wurde eigentlich immer schlimmer. Er hatte das Gefühl, sich an einigen Tagen kaum konzentrieren zu können, weil ihm so viele Sachen durch den Schädel gingen und ihn wie kleine, kläffende Köter von der Seite ansprangen und so lange nervten, bis er eine Pause einlegen musste. Die anhaltende Müdigkeit machte es auch nicht besser und so war sein gesamter Zustand mittlerweile bedenklich. Verwundert sah er sich in seinem Vorzimmer um und bemerkte, dass dort noch immer die Tasche des Blonden auf der Kante des Schreibtisches stand. Seine Jacke war daneben über diesen geworfen und auch der Schal war dort. Nur der dazugehörige junge Mann nicht. Kurz lauschte er, doch er konnte nichts hören. War er auf der Toilette?  

Etwas ziellos ging Seto hinüber in den kleinen Küchenbereich mit den Bistrotischen, bei denen er sich noch immer fragte, warum er diesem Design zugesagt hatte. Wann wurde das Potenzial dieses Raumes jemals vollends genutzt? Doch seine Gedanken wurden abgelenkt, als er endlich fand, wen er gesucht hatte. Seine blauen Augen erkannten den jungen Mann dort am Waschbecken stehend und den blauen Becher in Händen haltend. Die Schranktür war schon offen und der Becher sauber. Das Geschirrtuch, welches weiß mit einem seltsam bunten Muster am Rand war, hielt Joey ebenso fest, wie den Becher, den er abwesend anstarrte. Das war ein Anblick, mit dem Seto nicht gerechnet hatte und so kam er näher.  

 

„Alles ok bei dir?“ Fragte er mit einem Mal und wieder geschah es. Der 19-Jährige zuckte zusammen und nun waren es die braunen Augen, die geweitet und mit Angst gefüllt zu ihm blickten. Reflexartig hatte er einen Schritt zur Seite gemacht und die Hände schützend vor sich gehoben, den Becher und das Tuch noch immer festhaltend. „W…was?“ Kam von ihm und er musste erst einmal einen Moment durchatmen, bevor er die Situation verstand.  

Seto rügte sich in Gedanken, doch nach außen hin versuchte er ruhig zu bleiben. Er wusste doch, dass er dem Kerl nicht so nahe kommen sollte. „Ich wollte nur wissen, ob alles ok ist. Du hast anscheinend eine Weile auf den Becher gestarrt, als würde dieser die Antworten auf all deine Fragen kennen.“ Erklärte er ruhig und setzte ein leichtes Lächeln auf. Diese Worte würden einen Moment brauchen, um von Joey verstanden zu werden, doch diese Zeit würde der Brünette ihm geben. 

Es stimmte, Joey brauchte wirklich einen Augenblick, um das Gesagte zu verarbeiten. Dann jedoch musste er lächeln und stellte den Becher endlich wieder in den Schrank. „Du hast Recht.“ Begann er und schloss die Schranktür. „Ich habe mir wirklich Gedanken gemacht.“ Kurz zögerte der Blonde, unsicher, ob er ansprechen konnte, was ihm durch den Kopf ging. Er starrte auf die Schranktür, deren Griff er noch immer umschlossen hielt. Dabei begann er, unruhig auf seiner Unterlippe herum zu kauen. Dieses war ein neues, Seto bisher unbekanntes Verhalten. Als Zeichen, dass er ihm alle notwendige Zeit geben würde, lehnte sich der Brünette in einer leichten Entfernung zu ihm an den Arbeitstresen. Er wollte Joey auf keinen Fall drängen, denn er hatte das Gefühl, dass sich die Gedanken des Blonden um etwas sehr Wichtiges drehten. 

Wie lange sie dort standen, konnte Seto nicht sagen. Es war zuerst ein Räuspern, welches Joey schließlich von sich gab. Er starrte noch immer auf die geschlossene Schranktür, von welcher er den Griff weiterhin fest umklammert hatte. Den brünetten jungen Mann wagte er nicht anzusehen. „Woher wusstest du, dass du auch auf Männer stehst?“ Seine Stimme wirkte schwach und schien leicht zu zittern, die Anspannung war nicht nur in seinem Gesicht zu erkennen, sondern auch in seiner Stimme. 

 

Diese Frage kam unerwartet und Seto konnte sie nicht beantworten. Er selbst hatte sich niemals über diese Tatsache Gedanken gemacht. So atmete er hörbar tief ein und sein Blick wanderte nachdenklich von dem 19-Jährigen zu den unterschiedlichen Tischen im Raum. Auch er musste einen Moment überlegen, bevor er diese Frage beantworten konnte. „Um ehrlich zu sein, kann ich dir nur sagen, dass mir dies von Anfang an bewusst war. Ich selbst habe im Grunde noch nie tiefgreifend über meine Sexualität nachgedacht, denn früher fehlten mir schlichtweg die Zeit und die Kapazität, um dieser Frage nachzugehen und jetzt stelle ich sie mir nicht mehr.“ Die eisblauen Augen musterten nun einen der Stehtische im vorderen Bereich ganz besonders eingehend und er legte die Stirn leicht in Falten. „Weil ich mir meiner immer stets sehr bewusst war, habe ich mich niemals großartig mit diesem Thema beschäftigt. Zumindest nie in Hinblick meiner eigenen Bedürfnisse, denn mir war zumindest grundsätzlich klar, wie der Sex funktioniert und welche Herausforderungen es gibt.” Er zuckte mit den Schultern und blickte wieder zu Joey, der ihn nun ebenfalls vorsichtig mit seinen honigbraunen Augen ansah, als er wieder etwas unsicher zu sprechen begann. „Ich habe damals gleichermaßen von Männern und Frauen geträumt und fühlte mich ebenso zu beiden Geschlechtern hingezogen. Vielleicht war mein Vorteil, dass der erste Mann, mit dem ich schlief, deutlich mehr Erfahrung hatte und so niemals die Frage aufkam, ob es sich um etwas Verwerfliches handelte. Für mich war es schlicht normal und als mir das erste Mal klar wurde, dass es eigentlich nicht die Regel ist, war es bereits zu einer Gewohnheit geworden. Es gehörte zu mir, also schloss ich mich dem fragwürdigen Gedankengut der Masse nicht an.“  

Der Mund des Blonden verzog sich und er wirkte skeptisch. Es dauerte einen Moment, bis er sagte. „Nun, ich würde dir gerne vorwerfen, dass auch nur du niemals über so etwas nachdenkst, aber bei mir war es ja nicht anders. Ich meine, es gab nie einen Grund, an… na ja, du weißt schon, zu zweifeln.“ Die Verlegenheit war klar in seinem Gesicht zu erkennen und er ließ endlich den Türgriff los, um sich mit dieser Hand über den Nacken zu fahren. „Bist du dir denn jetzt sicher bei „du weißt schon was“?“ Fragte Seto mit einem Schmunzeln und hatte dabei einen ungewöhnlich sanften Ton in der Stimme.  

Augenblicklich wurde der junge Mann noch dunkler im Gesicht und senkte den Blick wieder, die Hand noch immer im Nacken liegend. „Ja, doch… ich denke schon, dass ich mir jetzt sicher bin.“ Kam beinahe kläglich krächzend von ihm, nachdem er sich geräuspert hatte. „Die Nacht mit Djamila war sehr aufschlussreich. Ich meine…“, er räusperte sich erneut. „…abschließend kann ich so etwas natürlich nicht sagen, aber…“ Ein lautes Schlucken folgte und die Verlegenheit brannte in einer deutlichen Röte auf seinem Gesicht. 

 

Dass Joey nun Djamila ins Spiel brachte, hatte Seto nicht erwartet und kurz verunsicherte ihn diese Aussage. Dass der junge Mann mit Djamila geschlafen hatte, war für ihn noch immer irritierend und irgendwie falsch. Dennoch schien diese eine Nacht sowohl Joey als auch Djamila positiv verändert zu haben. Im Nachhinein schien diese seltsame Entwicklung sogar seinem besten Freund Kamil gut getan zu haben, denn dieser schien in der neuen Beziehung mit seiner Freundin sehr glücklich zu sein. Allgemein schien dieser seltsame Vorfall in Dubai vieles zum Besseren verändert zu haben. 

Wobei die negativen Spuren hier in Domino nicht von der Hand zu weisen waren. Die Panik in den honigbraunen Augen war ein unübersehbares Zeichen dafür, dass seine Handlungen in diesem Fall extrem dramatische Folgen hatten. Ganz gleich, was sich Seto auch einreden wollte, es war seine Schuld. Er hatte die Kontrolle verloren, Entscheidungen getroffen, die unabänderliche Konsequenzen hatten, und musste sich nun die Frage stellen, wie er zu seinem eigenen Versagen stand. Um ehrlich zu sein, hätte er nicht gewusst, ob er an Joeys Stelle je wieder in dieses Büro gekommen wäre; wahrscheinlich nicht! 

„Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen.“ Verwirrt blickte Seto nun hinüber zu dem jungen Mann, welcher so unerwartet sprach. „Ich meine, das mit Djamila. Ich hätte davon nicht anfangen sollen. Kamil ist immerhin dein Freund, da ist es sicher schwer über dieses Thema so sprechen.“ Der Blonde setzte ein verlegenes Lächeln auf, wobei es ihm schwer fiel dem brünetten Firmenführer in die Augen zu sehen. Er fühlte sich deutlich unwohl, gab jedoch trotzdem sein Bestes, um auf die Gefühle und Bedürfnisse des anderen einzugehen. Dieses für ihn völlig abstruse Verhalten war Seto schon öfter aufgefallen, jedoch wusste er nicht, wie er damit am besten umgehen konnte. Für ihn ergab dieses Verhalten keinen Sinn und er kannte es nur von seinem jüngeren Bruder. 

 

„Schon gut, mach dir keinen Kopf darüber. Ich denke, dass es, so seltsam es auch klingt, das Beste war, was ihm passieren konnte. Nach allem, was er mir erzählt hat, scheint er doch einige Dinge zu finden, die ihm in dieser Beziehung gefallen.“ Natürlich war Seto mit seinem Freund in Verbindung geblieben und tauschte sich in den letzten Tagen regelmäßig über dessen aktuelle Situation aus. Da das neu gefundene Paar ebenfalls etliche Probleme hatte, unter anderem die alten, eingefahrenen Verhaltensweisen von Kamil, war der Neustart auch nicht unbedingt einfach. Diese Information wollte Seto jedoch nicht weitergeben, denn es schon noch in dem Rahmen normaler Neuordnung zu sein. Immerhin hatten die beiden lange in anderen Verhältnissen gelebt und nun war die hübsche Djamila nicht mehr Kamil Spielball, sondern forderte aktiv ihre eigenen Rechte ein. Noch ging der Firmenführer davon aus, dass sich diese Belanglosigkeiten einspielen würden und die Streitigkeiten ausblieben. Nun war es Joey, der erleichtert ausatmete und dann voller Freude sagte. „Das ist schön. Ich bin sehr glücklich, dass die beiden einen Weg miteinander gefunden haben.“  

Es war ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen, als Seto meinte. „Ja, es gibt zwar nicht immer ganz leicht zwischen ihnen, aber das wird schon. Es ist wirklich schön, dass die beiden sich gefunden haben.“ Nun kam ein weiteres Nicken von Joey und dieser deutete auf die Tür zum Büro hin, damit sie endlich in den wohlverdienten Feierabend gehen konnten. „Tja, so ist das mit Gewohnheiten, aber sie werden es sicher schaffen. Sag mal, hast du eigentlich die Geschichten von Djamila mittlerweile gelesen?“ Fragte er und Seto stieß sich von der Arbeitsfläche ab, um in den anderen Raum hinüberzugehen. „Nein, das habe ich bisher noch nicht gemacht. Du etwa?“ Wollte nun sein Chef wissen und Joey nickte erstaunlicherweise.  

„Ja, ich habe angefangen. Sie sind ja auf Englisch geschrieben, daher ist es für mich echt schwer. Trotzdem bin ich begeistert von den Geschichten. Sie wollte mir ein Buch zuschicken, aber es ist wohl noch unterwegs. Ich bin echt gespannt, wie es sein wird. Dann kenne ich eine echte, richtige Autorin.“ Kam nun begeistert von dem Blonden und Seto nickte. „ Das ist wohl wahr, die kennst du jetzt.“  

 

Die beiden unterhielten sich noch über den Inhalt der Geschichte, die Joey nun las. Er handelte von einem Liebespaar, dass sich nicht finden durfte und sich daher heimlich traf, weil sie eigentlich einem anderen Mann versprochen war. Anscheinend eine Thematik, die in diesem Bereich sehr angesehen war und gleichzeitig eine ihrer meistverkauften Geschichten darstellte. Der Blonde verstand immer nur einen Teil davon, doch es war ausreichend mit der Übersetzung, dass er wusste, um was es ging. Im Fahrstuhl mussten sie sich verabschieden, denn Seto würde weiter nach unten fahren, dort, wo er sein Motorrad stehen hatte. Joey machte sich wiederum direkt auf den Weg nach Hause. Er war müde, doch schlafen wollte er eigentlich nicht. Er hatte Sorge vor dem Traum, der ihn auch in dieser Nacht wieder heimsuchen würde. Es war nur eine Ahnung, eine Angst, die in seinem Herzen festsaß und ihn am nächsten Morgen wie so oft in den vergangenen Tagen mit einem unglaublichen Schuldgefühl erwartete. Weswegen er diese Schuld hatte, wusste er noch immer nicht. Es war ein schemenhafter Traum, dessen Inhalt er nur bedingt zusammen bekam. Doch er würde wieder schlafen müssen. Vielleicht würde es ja in dieser Nacht besser werden. 

 

~~~ooo~~~ 

 

Ihre Blicke trafen sich und keiner sagte ein Wort. Beide wirkten müde und erschöpft. Die Träume waren anscheinend noch immer präsent und dann gähnte der Brünette. Er kam näher, den Motorradhelm unter dem Arm haltend. „Es gibt wenig Dinge, die ich so irritierend finde, wie dich jeden Morgen hier an diesem Schreibtisch sitzen zu sehen. Welches mich zu einer anderen Frage bringt. Da ich seit Montag später beginne, hoffe ich doch, dass du ebenfalls später anfängst oder?“ Fragte er plötzlich und blieb nun vor dem Schreibtisch stehen. Der Firmenführer hatte noch immer den blauen Schal um seinen Hals, während die ledernen Handschuhe im Helm lagen. „Nein, bisher nicht, warum?“ Fragte der Blonde müde und seiner Stimme konnte man anhören, dass er deutlich erschöpft war. „Weil du hier keine Stunde vor mir auftauchen musst. Wenn ich eine halbe Stunde später komme, tust du das ebenfalls. Es ist nicht notwendig, hier ewig zu sitzen. Du bist eh immer viel zu lange hier. Wenn ich deine Überstunden bezahlen würde, müsste ich dir ein ganzes Monatsgehalt zusätzlich auszahlen.“ Kam nun matt von Seto und der 19-Jährige lächelte. „Klingt doch gut. Gegen mehr Geld ist nichts einzuwenden.“ Neckte er nun und die brünetten Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. „Das glaube ich gerne. Du musst übrigens noch deinen Arbeitsnachweis einreichen. Den brauche ich bis zum 25. des Monats, um die Abrechnung fertig machen zu lassen.“  

 

Nun war der Blonde überrascht und sah verwundert zu ihm auf. „Was für ein Arbeitsnachweis?“ Fragte er unsicher und Seto schloss die Augen. „Der Arbeitsnachweis, in dem du eingetragen hast, wann du angefangen und wann du aufgehört hast, abzüglich deiner Pausen.“ Noch hatte seine Stimme einen freundlichen Ton, doch er wirkte kraftlos und erschöpft. „Oh...” Kam nun von Joey und er wurde rot auf den Wangen. „Nein, so etwas habe ich nicht. Kann ich das im Nachhinein machen?“ Fragte er nun und die eisblauen Augen öffneten sich. „Klar, wenn du noch die genaue Uhrzeit kennst, zu der du jeden Tag angefangen und aufgehört hast.“ Nun war da ein provokanter Ton in der kühlen Stimme, denn es war beiden klar, dass dieses wohl ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Das Entsetzen wurde wie erwartend deutlich in dem schon vor Verlegenheit rotem Gesicht. „Ähm… wie genau?“ Wollte der 19-Jährige nun wissen und Seto antwortete direkt. „Minutengenau.“  

 

Stille. Ihnen war beiden klar, dass der Blonde dies nicht konnte, denn dafür war viel zu viel geschehen. Wenn er wirklich jede Minute angeben sollte, wäre er verloren. Das Entsetzen wurde langsam von einer gewissen Verzweiflung getränkt, die ausreichend beeinflussend zu sein schien, dass Seto seufzend meinte. „Ich habe da eine Idee…“ Es klang etwas Brummend von ihm und er trat um den Schreibtisch zu Joey herum.  

Dieser sah unsicher zu dem Größeren auf, doch er wehrte sich nicht. Zwar ging ihm die Frage durch den Kopf, warum der Brünette ihm so nahe kommen musste, doch die verbat er sich. Ebenso wie er den Schauer verdrängte, welcher ihm über den Rücken lief. So dicht an seiner Seite, musste er an die Geschehnisse in Dubai denken, eine erregende und schockierende Erinnerung zugleich. „Sally.“ Begann der Brünette und der Smiley klimperte mit den Augen. „Ja?“ Fragte sie und im nächsten Moment kam von dem Firmenführer. „Liste mir die Betriebszeiten dieses Rechners seit dem 27. Oktober auf.“  

Nur einen Moment später kam auf der linken Seite ein schwarzes Fenster in dem in weißen Buchstaben zu lesen stand, von wann bis wann dieser Rechner in Betrieb gewesen war. „Formatiere mir diese Daten in Excel. Erste Spalte „Datum“, zweite Spalte „Beginn“, dritte Spalte „Ende“, vierte Spalte „Gesamtzeit“, fünfte Spalte „Pause“ und zum Schluss in der sechsten Spalte die „Arbeitszeit“. In der vierten Spalte rechnest du mir die Stundenanzahl zusammen, die sich ergibt, wenn du die Differenz aus Spalte drei und zwei nimmst.“ Sie nickte nur und einen Augenblick später öffnete sich ein weiteres Dokument, in dem die eben genannten Spalten eingefügt wurden.  

 

Schweigen herrschte und Seto sah nun zu dem Blonden hinüber. In der vierten Spalte waren grundsätzlich Zahlen angegeben, die weit über den 10 Stunden lagen. Wenn der 19-Jährige um halb sieben Anfing und um 19 Uhr ging, kamen locker 13 Stunden pro Tag zusammen. „Von 7 Uhr bis 17 Uhr und mit anderthalb Stunden Pause. Das ist es, was du eigentlich arbeitest. Nicht das da!“ Kam in einem kühlen Ton von ihm und Joey meinte verlegen. „Na ja, da wird ja noch die Pause abgezogen.“ Er setzte ein Lächeln auf, doch so einfach war das nicht. Mit einem Seufzen schüttelte Seto den Kopf. „Du bist zu lange hier! Das habe ich dir schon einmal gesagt. Jetzt steht es auch noch hier schwarz auf weiß!“ Der Brünette blickte wieder hinüber zum Bildschirm und gab noch einige weitere Befehle, um die Tabelle entsprechend zu ordnen, bis dort eine Zahl stand, die ziemlich hoch war.  

„36,5 Stunden?“ Kam von Seto und er sah erneut fragend und entsetzt zu dem Blonden. „Ja?“ Kam von diesem und er schluckte verlegen. „Das ist die Zahl, die da unten steht. Das sind die Überstunden oder?“ Fragte er und setzte einen hilfesuchenden Ausdruck auf. „Ja, das sind deine Überstunden. Wenn ich die Zeiten, in denen du den Rechner an- und abgemeldet hast, als Grundlage nehme, dann hast du ernsthaft in einem Monat beinahe eine gesamte Woche an Überstunden angesammelt! Wann willst du die jemals wieder abbauen?“ Die Stimme des 22-Jährigen war kühl und fordernd. Doch Joey wusste nicht, was er antworten sollte. Eine Möglichkeit wäre, einfach eine Woche früher zu gehen, aber dann hatte Seto ja keinen Sekretär mehr. „Nun, du könntest sie mir einfach auszahlen. Dann hätten wir beide etwas davon. Dein Vorteil wäre es, dass du nicht eine Woche auf mich verzichten müsstest und du weißt, auch wenn ich nicht käuflich sein will, gegen eine solche zusätzliche Auszahlung hätte ich wirklich nichts.“  

Die eisblauen Augen starrten ihn einen Moment lang an und dann war es eher die unerwartete Überraschung, dass der Blonde wirklich so viel gearbeitet hatte. Immerhin war es nur eine Wette. Nun, eine niederschmetternde, alles entscheidende Wette, über die er sich auch noch Gedanken machen musste. Immerhin vertrug sich diese nun gar nicht mit der Frage, ob er denn ein guter Mensch wäre. Gute Menschen wollten ihre Sekretäre nicht in den Wahnsinn treiben und vor der ganzen Welt demütigen. „Ich überlege es mir und du wirst heute verdammt noch mal früher Schluss machen, sonst Prügel ich dich höchstpersönlich aus diesem Büro! Hast du mich verstanden?“ Kam nun in einem kalten, beinahe harschen Ton von dem Brünetten.  

 

Joey zog den Kopf ein und lächelte verlegen. „Schon gut, ich bin heute früher weg. Ich kann ja mal um 18 Uhr gehen.“ Neckte er nun wirklich und die brünetten Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ok, komm, ich mache dir einen Vorschlag. Ich gehe heute schon um 16 Uhr und dafür gehst du auch! Wir beide sind völlig erledigt. Das wir nachts nicht vernünftig schlafen können, macht uns beide fertig. Also, was hältst du davon?“ Schlug der Blonde nun lebensmüde, aber breit grinsend vor. Seto richtete sich endlich wieder zur vollen Größe auf und blickte ihn erstaunt an. Jetzt war auch etwas Distanz zwischen ihnen. „Und was soll ich mit dieser freien Zeit anstellen?“ Wollte er nun leicht provokant wissen und der Blonde grinste nur noch breiter.  

Nun war da ein Ausdruck völliger Begeisterung zu sehen und er machte einen folgenschweren Vorschlag. „Nun, heute ist Freitag und im Dome spielt Babymetal. Das heißt, dass der Laden heute recht ruhig sein wird und wenn du willst, kann ich dir meinen Arbeitsplatz zeigen.“ Schlug er nun vor und beobachtete, wie der 22-Jährige verwundert und interessiert zugleich wirkte. „Du meinst, dass du mich wirklich mitnehmen würdest?“ Fragte er nun ein wenig frech und Joey grinste noch immer. „Klar, wenn du dich benimmst und die Finger vom Alkohol lässt, nehme ich dich mit. Nachdem ich deine Welt sehen durfte, kannst du ja einmal einen Blick in meine werfen. Ich muss heute Abend auch nicht arbeiten, aber einen Blick hinter die Kulissen kann ich dir gerne einmal geben. Damit du auch etwas von der „arbeitenden Bevölkerung der Mittelschicht“ kennenlernst.“ Neckte der Blonde nun frech zurück und wartete auf eine Antwort.  

Es dauerte einen Moment und Seto war am Überlegen. Es war vielleicht einmal eine gute Ablenkung und er arbeitete, wenn er ehrlich sein sollte, sowieso viel zu viel. Wenn er heute noch das ein oder andere vorbereitete, konnte er auch früher gehen. Nachdenklich sah er zur Fahrstuhltür, denn diese gab gerade den bekannten Ton von sich. „Na gut, dann machen wir es so. Wir machen heute beide früher Feierabend und ich wage mich hinter die Kulissen eines so einfachen Etablissements, wie einer Diskothek. Wobei ich es wirklich ironisch finde, dass du auf der einen Seite willst, dass ich keinen Alkohol trinke und mich dann auf der anderen Seite hinter die Bar schleppst. So etwas bekommst auch nur du zustande.“  

 

 

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Moin ihr Lieben,

wir kommen dem nächsten Kapitel näher, welches doch von etwas mehr Unzucht bestimmt wird. ABER... bis dahin muss es erst einmal Freitag Nacht werden und Seto noch einiges erleben. Ich hoffe, euch hat dieses kleine Kapitel gefallen, das eher ein Filler ist, aber wenigstens mit keinen neuen Problemen aufwartet. Immerhin war der Albtraum schon ziemlich heftig und wie ihr gelesen habt, kam er öfter als ein mal vor.

Dann wünsche ich euch noch einen schönen Oktober! Komplett anzeigen

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