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1.2. Find your way straight into the future

2. Kapitel: Find your way straight into the future
 

"Kai! Untersteh dich, wenn du nicht einen äußerst qualvollen Tod sterben willst! Lass deine Finger da weg oder ich hack sie dir ab!"

Gähnend tapste Rei leicht übermüdet in die Küche, aus der seit ca. einer Stunde höllischer Lärm zu hören war. Verschlafen rieb er sich die Augen und seufzte leicht. Was seine beiden Gäste da wohl machten, in aller Herrgottsfrühe. Je nach Betrachter empfand er 10 Uhr morgens heute für viel zu früh um aufzustehen. Dennoch hatten die Beiden ihn aus dem Bett bekommen.

Verwundert beobachtete er einen sich mit Händen und Füßen wehrenden Kai, der verzweifelt versuchte den Hieben des Kochlöffels, der immer wieder gezielt auf seine Finger einschlug, auszuweichen. Dazwischen grinste er die Schwarzhaarige andauernd hämisch an was diese nur dazu brachte, weiter auf ihn einzuschlagen.

Plötzlich schien er seinen Gastgeber bemerkt zu haben. "Morgen Rei!" wurde kurz gemurmelt und schlagartig stellten die beiden ihre Aktivitäten ein. Grüne Augen musterten ihn erneut neugierig, was er ihr heute auch kaum vergönnen konnte, sah man ihm den Schlafmangel im Moment mehr als deutlich an. Der Grund seiner nächtlichen Unruhe hingegen beachtete ihn kaum und machte sich stattdessen eifrigst daran, den Tisch für das Frühstück zu decken. Woher der Silberhaarige allerdings wusste, wo sich dieser befand, war äußerst fragwürdig, wurde allerdings nur am Rande registriert, da aus der Küche ein köstlicher Geruch strömte. Genüsslich sog der Schwarzhaarige den Duft auf und sah verwundert zu dem Mädchen vor sich.

"Pfannkuchen?!"

Sie nickte nur kurz und verschwand wieder am Herd. Schulter zuckend setzte Chinese sich auf einen Stuhl und beobachtete die beiden gespannt. Anscheinend waren sie ein eingespieltes Team, da sie sich beim Anrichten nicht ein einziges Mal auch nur ganz kurz im Weg standen. Ob die Kleine wohl doch Kais Schwester oder sogar Freundin war?

"Hau rein, sie sind auch nicht vergiftet, ich hab' ihn extra weit weg von der Pfanne gehalten!"

Freundlicherweise schaufelte sie ihm ordentlich Pfannkuchen auf seinen Teller und beobachtete ihn abwartend als er langsam begann zu essen. Aber die Teile schmeckten wirklich hervorragend sodass dem ersten bald ein zweiter und sogar noch ein dritter folgte.

Die ganze Zeit über hatten alle drei geschwiegen und einfach nur gegessen. Nach einem Seitenblick Kais zu seiner Begleiterin begann er eine, anscheinend schon länger angebrochene Diskussion fortzuführen.

"Da wir jetzt für's Erste angekommen sind, sollten wir uns wirklich schnellst möglich überlegen, wo wir denn jetzt hinwollen, da wir ja kaum erwarten können, ewig Reis Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Also, wohin jetzt?!"

Sie senkte nachdenklich den Kopf und begann ein wenig auf ihrer Unterlippe herumzukauen, ein deutliches Zeichen dafür, dass sie schon länger über diesem Problem grübelte. Aber bis auf weiteres hatte sie wohl auch keine Lösung parat. Rei blickte angespannt zwischen den beiden hin und her. Sie waren wirklich nicht gerade entspannt. Sogar dem Silberhaarigen konnte man die leichte Nervosität ansehen.

"Ich würde vorschlagen, erst einmal den Tisch abzuräumen, bevor ihr hier eure Gehirne mit Grübeln zum schmelzen bringt!", unterbrach der Schwarzhaarige die Stille schief grinsend.

Fast augenblicklich starrten rubinrote Augen ihn böse an. Er schluckte laut und machte sich so schnell wie möglich daran, die Teller in die Küche zu bringen. Kurz darauf folgte ihm die unbekannte und begann, das Geschirr abzuwaschen.

"Ich dachte du könntest Hilfe gebrauchen." wurde auf seinen verwunderten Blick hin erklärt. "Danke, ähm..." Mein Gott, da ließ er eine Wildfremde die mitten in der Nacht vor seiner Tür stand herein, bei sich übernachten uns sich sogar von ihr bekochen und kannte dabei noch nicht einmal ihren Namen.

"Nenn mich einfach Angel, das tun so und so alle", grinsend reichte sie ihm die vom Spülwasser nasse Hand.

"Ok, Angel, dann lass uns mal anfangen, da sich der Herr Hiwatari wohl kaum herablassen wird, uns zu helfen!"

Und so werkelten die beiden Schwarzhaarigen in der Küche und beseitigten die letzten Spuren des Frühstücks gekonnt. Keiner sagte etwas und dennoch war die Stille zwischen ihnen nicht etwa unangenehm. Nein, irgendwie kam Rei diese Situation seltsam vertraut vor, auch wenn er sich versichern konnte, noch nie schweigend mit jemandem in der Küche zusammengearbeitet zu haben.

Sicherlich waren schon oft Leute bei ihm, die ihm sogar ab und zu ein wenig halfen aber eigentlich immer munter drauf los redeten. Gut, mit Kai hatte er solche "Gespräche ohne Worte" recht häufig geführt, aber so ähnlich waren sich die beiden nun auch wieder nicht, dass man von einem auf den anderen schließen konnte. Nur die Augen, die bei beiden so kalt und gleichzeitig verlassen wirkten. Dass dies bei weitem nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden war sollte er im Laufe der Zeit schon noch feststellen...
 

Kai, der für einen winzigen Moment vorhatte den Beiden zu helfen, verwarf diese Idee möglichst schnell wieder. Blöder Gedanke! Seit wann half er schon anderen Menschen. Nun, eigentlich immer schon, nur so versteckt, dass es nicht so auffällig war. Hier und da eine "hilfreiche" Bemerkung, meist im abfälligsten Meckerton, der irgendwie möglich war. Fragwürdige Methode, sicher, aber bei Takao klappte es, natürlich erst nachdem dieser sich lautstark abreagiert hatte. Nur, beim Abwasch würde er sich wohl oder übel die Hände schmutzig, in dem Fall eher nass, machen. Und so etwas tat der Kai Hiwatari schließlich nicht, den alle Welt kannte und bewunderte.

Aber dieser Kai schleppte auch kein Mädchen quer durch China mit sich herum, nur um einen kleinen schwarzhaarigen Chinesen zu beruhigen. Dieser Kai hatte auch nicht die Absicht, sich irgendwo für eine Weile zu verstecken. Dieser Kai hatte ja keine gottverdammte Vergangenheit, die ihn jetzt noch verfolgte. Er schon!

Er war sofort mit ihr aufgebrochen, als sie ihm die Situation erklärt hatte, um zu der Person zu gelangen, der er im Moment mehr als allen anderen vertraute, auch wenn der schwarzhaarige das nicht wusste...

Natürlich hatte Rei die beiden ohne einen Laut der Missbilligung sofort herein gelassen und bis jetzt noch keine einzige Frage zu ihrem plötzlichen Auftauchen gestellt, wofür der Halbrusse ihm sehr dankbar war. Dankbar genug, um ihn rein intuitiv sanft auf die Wange zu küssen, wie er es als Kind immer bei seiner Mutter gemacht hatte. Macht der Gewohnheit...aber Rei sah in diesem Moment so was von dämlich aus der Wäsche. Zu niedlich....

Der "normale" Hiwatari junior würde bestimmt nie so etwas von einem seiner ehemaligen Teamkameraden denken aber dies war nun mal der am besten passende Ausdruck für den verwirrten Blick und die Unsicherheit des Chinesen.

Gerade noch konnte er ein vergnügtes Quietschen beim Gedanken an den Schwarzhaarigen unterdrücken. Stattdessen grinste er zufrieden vor sich hin und verzog sich so schnell und vor allem gleichzeitig leise wie möglich vom Esstisch in "sein" Zimmer wo er sich auf eine der matten fallen ließ. Dies war jetzt weder der richtige Moment um Trübsal zu blasen noch um Freudenfeste zu feiern.

Er musste jetzt dringend überlegen, wie sie weitermachen sollten. Dass das ganze hier so und so nur Zeitschinderei war, war ihm durchaus bewusst. Sie brauchten ja auch nichts anderes tun, außer möglichst unauffällig zu bleiben und sich für die nächsten Monate erstmal nicht mehr sehen zu lassen. Leichter gesagt als getan. Da er, aus Übermut und wegen mangelhafter Überlegungen, Rei mehr oder weniger mit in die ganze Angelegenheit hineingezogen hatte, würde dieser sie garantiert nicht ohne eine gute Erklärung wieder von dannen ziehen lassen.

Ok, und woher bekam er auf die Schnelle eine passable ausrede her?

Irgendwie musste der kleine Chinese davon abgehalten werden, sich tiefer in der ganzen Angelegenheit zu verstricken. Schwierig, wenn man ihn nicht anlügen und auf keinen Fall verletzen wollte...

Angel schwanger? - Ne, dafür würde sie ihm an die Gurgel gehen!

Urlaub? - Schon klar, ohne Hotel und mit Anreise zu Fuß!

Verlaufen? - Sich von Russland aus nach China verlaufen. Dumme Idee.

Als Überraschungsbesuch zum Geburtstag? - Fehlten nur noch die rote Nase und die riesigen Clownschuhe. Nein, das ging auf keinen Fall. Aber der einzige vernünftige Vorschlag wäre...nun, dem Schwarzhaarigen die Wahrheit zu sagen. Würde auch nicht glatt laufen, außer natürlich, man erzählte ihm die Geschichte nur stellenweise.

Jetzt musste er es nur noch schaffen, Angel so unauffällig wie möglich einzuweihen.
 

Noch immer schweigend saßen sie in seinem Zimmer und lauschten der lauten Musik. Es war die CD, die Mao ihm geschenkt hatte, das Lied bei dem er an Kai denken musste, setzte zu seinen ersten Takten an und er vernahm ein leises Summen von der Schwarzhaarigen. Fast lautlos sang sie jedes einzelne Wort mit, als habe sie das Lied selbst geschrieben. Beim Refrain erhob sie sogar ihre Stimme und schloss dabei ganz automatisch die Augen.

"...it's not ok, but we're alright. I remember the days, you were a hero in my eyes but those are just a long lost memory of mine. I spent so many years learning how to survive. Now I'm writing just to let you know I'm still alive..."(©Good Charlotte "Emotionless")

Er schluckte kurz. So wie sie sang hörte es sich sogar noch überzeugender als im Original an, auch wenn ihre Stimme und die Qualität des Gesangs nicht makellos waren. Vielleicht waren es ja gerade die manchmal etwas schiefen Töne und die kleinen Grimassen, die sie dabei schnitt, die ihn so beeindruckten. Dieses Mädchen hatte die Fähigkeit, mühelos die gesamte Aufmerksamkeit zu erlangen und es selbst noch nicht einmal zu bemerken.

Zufrieden lächelnd öffnete sie die Augen wieder und zog die Beine an. Langsam, in einer seltsamen Art, sogar schon fast bedächtig, schlang sie die Arme um ihre Knie und stützte ihren Kopf auf. Weder sah sie ihn an noch sprach sie.

"Warum seid ihr abgehauen?"

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte sie ihn, sah dabei aber durch ihn hindurch. Wieder schien es so, als wolle sie ihn zur Antwort anschweigen doch ihr Blick festigte sich in Sekundenschnelle und sie starrte Rei teils überrumpelt teils unterkühlt und ein klein wenig nervös an.

"Was geht's dich an! Kann dir doch scheißegal sein und das sollte es besser auch!"

Obwohl sie ihre Worte wie eine Drohung hatte klingen lassen wollen hörte er die leise Angst in ihrer Stimme mitschwanken. Anscheinend war etwas passiert, dass sie so schnell wie möglich dazu bewegt hatte, wegzulaufen, da weder Kai noch sie ihre Flucht, wenn es den eine war, genauer geplant hatten. Ob sie nicht darüber reden wollte oder konnte?

Noch immer blitzten ihn grüne Augen gefährlich an. Mit dieser Frage hatte er sich wohl in gefährliche Gewässer begeben. Es war wohl besser, wenn er einstweilen nicht weiter nachfragte und das Ganze auf sich beruhen ließ. Irgendwo hatte er das Gefühl, jetzt schon zu tief in der Sache drin zu sein. Aber plötzlich einen Rückzieher machen? Geduldig wartete er, bis sie sich wieder gefasst hatte und lächelte sie dann einnehmend an. Mit dieser kleinen Geste wollte er ihr zeigen, dass er sie verstand und nicht weiter nachbohrte.

"Sorry, ich wollte dich nicht aufregen. Wenn es mich nichts angeht, dann werde ich auch nicht weiter nachfragen.", entschuldigend grinsend griff er nach dem Telefon und verließ sein Zimmer. Kurz drehe er sich noch im Türrahmen um und meinte leise:

"So Leid es mir tut geht es mich jetzt doch etwas an. Schließlich seid ihr bei mir mitten in der Nacht vor der Tür aufgetaucht. Aber ich kann warten."

Die Tür fiel ins schloss und zurück blieb eine nachdenkliche Schwarzhaarige, die sich frustriert auf das weiche Bett fallen ließ. Die Situation war komplizierter als am Anfang angenommen. Dieser Rei, auch wenn er auf den ersten Blick sehr niedlich und völlig ungefährlich wirkte, könnte sie beide noch in bedenkliche Schwierigkeiten bringen. Entweder sie erzählen ihm gar nichts und verschwanden gleich wieder, was Kai-chan bestimmt nicht gefallen würde, oder...

Resigniert wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Da musste wohl die Wahrheit ein ganzes Stück zu Recht gebogen werden. Aber was tat man nicht alles um einen Eisblock glücklich zu sehen. Denn dieser kleine Chinese tat ihrem Kai wirklich gut. Seitdem sie sich dazu entschlossen hatten, nach China zu fliegen und den Schwarzhaarigen zu besuchen redete er nur noch von dessen Augen, seiner Freundlichkeit und anderen auf Dauer nervtötenden guten Eigenschaften Reis.

"Wobei ich, glaube ich, noch immer die einzige bin, die Kai jemals von jemandem hat schwärmen hören. Tja, da kann ich mir wohl selbst auf die Schulter klopfen. Ich hab' den kleinen Hiwatari anscheinend ziemlich weich gekocht!"

Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie war, dass die Tür wieder geöffnet wurde und der Silberhaarige herein schlich. Demonstrativ kniete er sich breitbeinig über sie und pustete ihr seinen Atem ins Gesicht. Grinsend zog sie ihn in eine freundschaftliche Umarmung.

"Ich hab' dich vermisst, Kai-chan!"

mit einem Mal wurde er für einen Moment völlig ruhig und ließ sich in ihre Umarmung sinken, sich von ihr festhalten. Niemand konnte ihn sehen, weder der, vor dem er weglief noch der, der ihm so einst nahe stand oder der, der ihm seine Gedanken raubte. Es war fast wie früher.

"Ich dich auch, Engelchen. Es war sehr einsam in all den Jahren ohne dich. Ich wäre fast gestorben, als du eines morgens nicht mehr da warst. Man hat uns erzählt, du seiest adoptiert worden und würdest jetzt ein wundervolles Leben führen. Alle die dich kannten haben sich für dich gefreut, nur ich nicht. Ich habe dich in diesem Moment so sehr gehasst! Nie wieder wollte ich auch nur an dich denken. Und dennoch hab' ich dich vermisst. Ich habe mich sogar..."

Und so plötzlich wie er seine Schwäche gezeigt hatte, war auch die Mauer um ihn herum augenblicklich wieder an ihrem ursprünglichen Platz und schirmte ihn vor der Außenwelt ab. Noch bevor er sich aus ihren Armen löste wusste "Angel" bereits, dass sie ihn erneut an seine Erinnerung verloren hatte, dass er es noch immer bereute, worauf er sich damals eingelassen hatte. Er gab sich immer noch die Schuld daran, was aus ihnen allen dreien geworden war. Ihr, die von allein gelassen wurde. Sich selbst, dessen Herz zu Stein erstarrt war und dessen eigene Dunkelheit drohte, ihn zu verschlingen. Und natürlich er, den sie beide wie einen Bruder geliebt hatten und der sie beide verraten hatte.
 

Das gelb leuchtende Display ging gerade wieder aus doch noch immer konnte man bei genauem hinsehen die eingespeicherte Nummer sehen. Unsicher betrachteten zwei bernsteinfarbene Augen die lange Zahlenfolge. Sollte er das wirklich tun? Seine beiden Gäste würden davon nicht gerade begeistert sein. Aber die anderen (er selbst natürlich auch) würden sich sicher entschieden besser fühlen, wenn er jetzt dort anrief und die ganze Situation aufklärte. Vor allem er selbst würde sich dann besser fühlen.

Seufzend legte er das silberne Telefon neben sich auf den Tisch und starrte die Tischplatte genervt an. Es war zum Haare ausreißen. Entweder er rief jetzt an und erklärte Dicki alles oder er tat es nicht und versuchte, Kai und diese Angel zu überreden, ihn mitkommen zu lassen. Letzteres gefiel ihm im Augenblick wesentlich besser.

Seit wann er vor hatte die beiden zu begleiten?

Nun, eigentlich seit Kai heute beim Frühstück meinte, dass sie nicht ewig hier bleiben konnten. Da kam in ihm schon das unbestimmte Gefühl auf, den Silberhaarigen nicht gehen lassen zu dürfen. Irgendetwas schien ihm dabei nicht zu stimmen. Den Entschluss mitzukommen, wenn sie wirklich gehen mussten, hatte er gerade eben erst gefasst. Er wollte wissen, ob das ungute Gefühl berechtigt war. Und Angels Verhalten hatte seine Vermutung bestätigt. Etwas stimmte da ganz und gar nicht! Er würde schon noch dahinter kommen! Aber zu Erst...musste Kai davon überzeugt werden, ihn, Rei, mit zulassen. Vielleicht, wenn er wenigstens Kenny Bescheid sagen würde, könnte er ihnen helfen, ein besseres Versteck als zum Beispiel sein Haus zu finden. Nur zu gut konnte der schwarzhaarige verstehen, warum der Halbrusse so schnell wie möglich von hier weg wollte. Es war ja doch ziemlich offensichtlich, dass Kai zu einem seiner ehemaligen Teamkameraden ging. Und wenn Biovolt ihn suchte...

Aber was wollte Voltaire bitte von diesem Mädchen. Schließlich war sie es, die bei Kai aufgetaucht war und ihn mitgenommen hatte. Oder war es doch anders herum verlaufen? Kopfschüttelnd suchte er im Kurzwahlverzeichnis nach Kennys Handynummer. Wenige Sekunden später hörte er die monotone Computerstimme seiner Mailbox den üblichen Text hinunterrattern und das Piepssignal für Nachrichten ertönte.

"Ähm...hey Kenny, hier ist Rei! Gibt es etwas Neues? Blöde Frage, da du ja anrufen wolltest, falls es Neuigkeiten gib. Was ich meine ist...Ok, noch mal von vorne. Ich muss dir etwas Wichtiges sagen:

Ich weiß jetzt was mit Kai ist. Was genau ist, natürlich nicht nur...Angel hat so etwas Merkwürdiges gesagt. Eigentlich hat sie überhaupt nichts gesagt. Aber du kennst Angel ja gar nicht! Ich kenne sie auch nicht...ich habe sie zwar schon mal gesehen, sie stand nämlich gestern vor meiner Tür und...

Was ich eigentlich sagen will ist, dass Kai mit samt Begleitung gestern mitten in der Nacht vor meiner Tür aufgetaucht ist und sich vorübergehend hier einquartiert hat. Ich muss jetzt Schluss machen, Kai hat nämlich keine Ahnung von diesem Anruf und eigentlich hat das Ganze hier nie stattgefunden..."

Er hätte wohl noch weiter wirres Zeug vor sich hin gebrabbelt hätte nicht in diesem Moment ein zweites Piepsen das Ende der Nachricht verkündet. Schulter zuckend legte er auf und starrte das Telefon an. Hoffentlich verstand Kenny sein wirres Gefasel überhaupt.
 

Rei erhielt den gesamten Vormittag über weder Antwort von Kenny, eine Nachricht von Mr. Dickinson noch konnte er mit Kai reden. Also entschloss er sich, etwas zu tun, das er schon lange nicht mehr gemacht hatte. Er schnappte sich seinen Blade und ging von sich aus trainieren. Obwohl er selbst merkte, dass er etwas aus der Übung war, klappte das ganze doch recht gut. Er beherrschte die meisten Spielzüge noch immer nahezu perfekt und selbst Drigger ließ sich problemlos aufrufen.

"Du bist immer noch äußerst begabt, Reimond Kon! Deine Mutter wäre sicherlich äußerst stolz auf dich, wenn sie dich heute sehen könnte. Sie war eine ganz fantastische Bladerin, der du, wie nicht anders zu erwarten, sehr ähnlich siehst. Gehst du ein Stück mit mir spazieren?"

Mit einem gutmütigen Lächeln ging der Dorf Älteste etwas zitternd auf ihn zu und besah sich den glänzenden, silbernen Blade etwas genauer. Sanft strich er über den auf dem Chip abgebildeten weißen Tiger, in Erinnerungen schwelgend machte er sich langsam auf den Weg in den nahe gelegen Wald, Rei dicht hinter sich.

"Mao sagte mir, du seiest äußerst nachdenklich in letzter Zeit. Sie meinte du würdest hier keinen dauerhaften Frieden mehr finden. Selbst in diesem Punkt bist du ihr ähnlich!

Ray, deine Mutter, war kaum älter gewesen als du jetzt, als man ihr den White Tiger vermacht hatte. Sie war damals ausgezogen, Hilfe für ihr Dorf zu finden. Wir bereiteten ihr ein riesiges Abschiedsfest und warteten auf ihr Wiederkommen.

Ihrer Rückkehr war jedoch längst nicht so glorreich wie ihr Auszug in eine ihr unbekannte Welt. Mitten in der größten Hitze war sie ermüdet in meine Hütte gestolpert, die Hände fest um den deutlich von der Schwangerschaft gekennzeichneten Bauch geschlungen. Sie hatte keine Hilfe gefunden. Nur eine unglückliche Liebe war ihr widerfahren und die einzige Erinnerung an deinen Vater außer dem Kind in ihrem Bauch war der neue Blade, den er um Drigger gebaut hatte.

Obwohl sie viel zu erschöpft für die Strapazen einer Geburt war, kamst du noch am selben Tag als gesunder, kräftiger Junge auf die Welt. Leider hat sie das nie erfahren können, da sie die Schmerzen und die völlige Überanstrengung nicht überlebt hat. Aber ich erinnere mich noch wie sie mit einem seligen Lächeln dort lag, als wollte sie mir sagen, ich solle auf dich aufpassen!

Ich weiß, bis her haben wir dir erzählt, du seiest ein Findelkind. Aber dem ist nicht so, Ray. Deine Mutter hat uns viel zu früh verlassen! Deshalb wollten wir alles daran setzen, dass wenigstens du für immer bei uns bleibst. Doch ich spüre seit langem, dass dich etwas beschäftigt, nicht war? Du kannst nicht hier bleiben. Du musst diese beiden begleiten und vielleicht findest du ja heraus, was deine Mutter mit ins Grab genommen hat..."

Mit glänzenden Augen blieb der alte Mann vor einem einfachen Grab mitten im Wald stehen. Der Schwarzhaarige erinnerte sich daran, hier oft mit Lee und Mao gespielt zu haben. Aber niemand von ihnen wusste, wer dort unter der Erde lag. Sie hatten auch nie danach gefragt. Wie oft hatten sie für die Fremde im Wald gebetet, ohne zu wissen, ob es noch jemanden gab, der sie gekannt hatte. Wer hätte ahnen sollen, dass seine eigene Mutter es war.

"Nur sie wusste es, kannte den Namen deines Vaters. Sie hat ihn aber niemandem verraten, wahrscheinlich aus Angst, du könntest ihr weggenommen werden. Und jetzt stehst du hier, nachdem ich dir die Wahrheit gesagt habe und hast keinen Anhaltspunkt, wer es sein könnte!"

Der Älteste wollte sich wieder zu Rei umdrehen und ihn beschwichtigend in den Arm nehmen. Dieser jedoch sah ihn hasserfüllt an. Man hatte ihn belogen. Die ganze Zeit hatte man ihn belogen. Seine Eltern waren gar nicht beide unbekannt verstorben. Seine Mutter stammte aus diesem Dorf, hatte hier gelebt und war sogar hier begraben.

Und sein Vater. Sein Vater war wahrscheinlich noch am Leben. Vielleicht suchte er sein Kind sogar verzweifelt. Und er? Er wusste bis gerade eben noch nicht einmal, dass sein Vater noch lebte.

"Verzeih uns, Rei! Wir wollten nur das Beste für dich!"

Einzelne Tränen rannten aus den sonst so strahlenden bernsteinfarbenen Augen. Das Beste! War es etwa das Beste für ihn gewesen, mit dem Gedanken aufwachsen zu müssen, seine Eltern nie sehen zu können, sie tot zu wissen und noch nicht einmal an ihrem Grab trauern zu können. Er kam sich so belogen vor. Mit raschen Schritten rannte der junge Chinese zurück zu seinem Haus und sah sich verächtlich um.

Sein ganzes Leben hier war eine einzige Lüge gewesen. Nichts entsprach der Wahrheit. Er hätte heulen können, hätte schreien können. Aber er tat nichts von alledem. Seine Augen starrten nur leer auf dem Boden. Nicht einmal mehr Tränen flossen über seine Wangen so wie gerade eben. Alles schien so...lächerlich...

Wie in Trance ließ er sich zu Boden gleiten und blieb so regungslos sitzen.
 

Nachdenklich sah er aus dem Fenster. Seit heute morgen hatte er weder mit Angel noch mit Rei geredet. Und mittlerweile war es bereits Abend. Von ihr wusste er zwar, dass sie gerne herumstreifte. Aber Rei. Natürlich war auch dieser ab und zu Mal verschwunden, wenn er Zeit für sich brauchte, nur bis jetzt kam er stets nach höchstens drei Stunden zurück. Das er weg gegangen war, war jedoch bereits weitaus länger her. Insgeheim hatte der Silberhaarige ihn beobachtet, was er aber nicht zugeben würde.

Genauso wenig, wie er zugeben würde, dass er sich ein wenig Sorgen um den Schwarzhaarigen machte. Und das nicht erst seit heute oder gestern. Viel mehr kümmerte er sich schon seit einiger Zeit mehr um den kleinen Chinesen als um sonst irgendjemanden. Etwas an ihm hatte den Eisblock in seinem Inneren ein ganz klein wenig zum Schmelzen gebracht. Aber anstatt sich jetzt besser zu fühlen war durch die kleinen Risse in seiner sonst so eisern aufrecht gehaltenen Mauer ein anderes, dumpfes, stechendes Gefühl gekrochen. Etwas, dass sie wie ein unsichtbares Gift jedes Mal in seinem gesamten Körper ausbreitete wenn er sah, wie weit seine Freunde doch in Wahrheit von ihm entfernt waren obgleich sie doch neben ihm standen.

Gerade als er nach unten sehen wollte hörte er das leise Knacken der Tür und sah einen völlig fertigen Rei hereinkommen. Doch obwohl er sehr müde wirkte konnte Kai in den hellen Augen eine seltsame Entschlossenheit sehen.
 

Der Schwarzhaarige hatte endgültig einen Entschluss gefasst. Er konnte hier nicht bleiben! Hier hatte er nichts mehr verloren, umgeben von all diesen Lügnern. Sie hatten es gewusst, alle hatten sie es gewusst. Mao, Lee, Kevin - selbst seine besten Freunde hatten ihn belogen. Aber jetzt war es an ihm, die Wahrheit zu finden, seinen Vater.

"Kai", obwohl er etwas zitterte klang seine Stimme völlig fest und ruhig "ich bitte dich nur einmal, dieses eine Mal. Lasst mich mit euch mitkommen! Ich muss etwas herausfinden. Ihr seid die einzige Chance die sich mir bietet. Ich kann dir jetzt nicht sagen, worum es geht nur, dass es sehr wichtig ist. Was sagst du?"

Rubinrote Augen sahen ihn prüfend an, als wolle der Halbrusse seine Entschlossenheit auf die Probe stellen. Entschlossen hielt er dem blick stand, sagte aber nichts und wartete einfach ab. Ein kurzes Hochzucken seiner Mundwinkel (vielleicht sogar ein Lächeln?) ließ ihn aufmerken.

"Angel wird sicherlich nicht gerade begeistert sein, dass du uns begleitest, wo wir doch noch nicht einmal wissen wohin. Aber es scheint dir sehr ernst zu sein. Du kannst mitkommen, unter einer Bedingung: Weder du noch ich hinterfragen das Verhalten des Anderen, egal wie seltsam es uns auch vorkommen mag!"

Er nickte kurz und reichte dem Silberhaarigen die Hand. Dies würde eine Reise ohne Ziel werden. Aber wen kümmerte das schon.



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