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Eine schwere Last

„... und dann waren wir in einem Land, in dem es nur Seifenblasen gab.“

„Seifenblasen?“

Fye lachte, als er Sakuras große, verblüffte Augen sah. „Ja. Sie schwebten überall in den verschiedensten Farben und Größen herum. Das war ein wirklich schöner Anblick. Wir fanden die Quelle, aus der sie emporstiegen, aber ansonsten gab es in dieser Welt absolut nichts.“

Sakura hatte Fyes Erzählungen gebannt gelauscht und dennoch entging ihr – genau wie den anderen dreien in ihrer Runde – nicht, wie Shaolan bei Erwähnung der Seifenblasen merklich zusammengezuckt war.

„Ist alles in Ordnung, Shaolan-kun?“, fragte die Prinzessin besorgt und der Junge winkte etwas übereifrig ab.

„Es ist nichts. Bitte mach dir keine Sorgen.“ Er lächelte und spürte den durchbohrenden Blick Kuroganes auf sich.

„Shaolan?“ Mokona, die auf der Tischplatte (zwischen dem dort servierten Essen) herumhopste, richtete mit hängenden Öhrchen ihren besorgten Blick auf ihren brünetten Gefährten, dem diese Reaktion sichtlich unangenehm war.

„Stimmt etwas ni-“, begann Sakura, wurde aber hastig und heiter von Fye unterbrochen.

„Oje, oje! Ich ahne, wo das Problem liegt. Ich plappere und plappere und der arme Shaolan fällt vor Müdigkeit fast ins Essen!“ Die strahlend blauen Augen des Magiers trafen auf die verdatterte Miene des Jungen, der daraufhin langsam nickte.

„Du bist müde?“, hakte das Mädchen behutsam nach. „Warum hast du das denn nicht längst gesagt?“

„Vermutlich wollte Shaolan nicht unhöflich sein“, antwortete Fye an seiner Stelle. „Wo wir doch endlich noch einmal im Land Clow sind.“

„Aber das ist noch nicht unhöflich!“, entgegnete Sakura. „Bitte sag mir immer, was mit dir ist, ja, Shaolan-kun?“

Der Angesprochene machte eine erhebliche Pause. „J-ja.“

Kurogane stöhnte an dieser Stelle. „Geh schlafen. Du kannst morgen mit der Prinzessin reden.“

„Okay.“ Zögerlich stand Shaolan auf und verbeugte sich vor Sakura. „Entschuldigung.“

Energisch schüttelte das Mädchen den Kopf. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ruh dich gut aus, ja?“

Er nickte erneut und setzte sich mit unsicheren Schritten in Bewegung.

„Ich bring ihn besser ins Bett.“ Fye stand ebenso auf und ignorierte dabei, dass Kuroganes Blick mittlerweile auf ihm gelandet war. „Sonst schläft er unterwegs noch ein.“ Er holte Shaolan rasch ein, hakte sich bei ihm unter und verließ mit ihm den großen Balkon, auf dem in dieser lauen Nacht im Schloss das Essen für die Reisenden aufgetischt worden war. Sakura hatte dies vorgeschlagen, weil sie diesen Platz für gemütlicher und familiärer als den Speisesaal hielt.

Schweigend begleitete der Magier Shaolan bis in das Zimmer, das jedes Mal für den Jungen im Schloss hergerichtet wurde. Es war ihr zweiter Besuch in Clow, seit sie damals von hier aufgebrochen waren. Bei ihrem jetzigen Besuch hatte Fye belustigt festgestellt, dass er und Kurogane keine getrennten Zimmer mehr zugeteilt bekommen hatten.

Außer ihr wollt doch zwei Zimmer haben ...“, hatte Sakura überfordert eingeworfen, nachdem sie Kuroganes verlegenes (und hochrotes) Gesicht gesehen hatte. Fye hatte daraufhin lachend abgewunken. Dass sie die Zimmer im Vorfeld so verteilt hatte, hatte nun sowieso sämtlichen Schlossbewohnern ziemlich deutlich gesagt, was Sache war. Warum sollte man dann einen Rückzieher machen? Das Land, in dem Sakura war, war für die stetig Umherreisenden das Nächste, was man ein Zuhause nennen konnte. Fye war ein wenig von sich selbst überrascht, dass er (ausgerechnet er) dies dachte, aber: Hier konnten sie alle sie selbst sein. Hier musste niemand etwas verstecken, sich verstellen oder gar lügen.

Eigentlich.

Der Magier setzte Shaolan auf seinem Bett ab und atmete hörbar aus. Kurogane würde wahrscheinlich wieder davon anfangen, dass er auf den Jungen abfärbte. Pah! Der feine Herr Ninja war es doch, der seine Zähne nie auseinanderbekam.

Vielleicht taugten sie beide nicht allzu viel als Vorbilder.

„Danke, dass du der Prinzessin nicht erzählt hast, was in der Welt mit den Seifenblasen vorgefallen ist“, sagte Shaolan von sich aus und sah dabei zu ihm hoch. „Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht.“

„Oh Shaolan-kun.“ Fye seufzte von neuem und fuhr mit einer Hand sanft durch die Haare des Jüngeren. „Das tut sie doch längst. Ich wollte dir nur die Möglichkeit geben, dich erst einmal zu sammeln, bevor du mit ihr redest. Sakura-chan anzulügen ist keine Option. Außerdem weißt du selbst, mit wem wir sie gerade allein gelassen haben ...“

„Denkst du, Kurogane-san wird es ihr erzählen?“

Angesichts der aufsteigenden Panik in der Stimme des Jungen schüttelte Fye den Kopf, bevor er sich zu dem auf der Bettkante sitzenden Shaolan herunterkniete und ihm direkt in die Augen sah. „Er weiß, dass es besser ist, wenn du mit ihr redest. Und das wirst du doch auch tun, nicht wahr, Shaolan-kun?“

„Ja. Natürlich.“

„Sehr gut!“ Fye lächelte ihn so überschwänglich an, dass Shaolan das Lächeln tatsächlich ein wenig erwiderte. „Dann ruh dich jetzt aus. Es war zum Glück ja nicht ganz gelogen, dass du erschöpft bist. Sonst dürfte ich mir von Kuro-pon wieder etwas anhören ...“ Er gab Shaolan einen kurzen Kuss auf die Stirn und strich noch einmal über sein Haar, ehe er sich aufmachte, das Zimmer zu verlassen.

„Fye-san?“

„Ja?“

„Danke.“

„Nichts zu danken. Wirklich nicht.“

Der Blondschopf schloss die Tür hinter sich und verweilte noch einen langen Moment in dem stillen und einsamen Flur. Sein Lächeln war einer sehr nachdenklichen Miene gewichen.

 

„Kurogane-san?“

Der Angesprochene schreckte zusammen, als die Prinzessin so betrübt klingend das Wort an ihn richtete. Er schaute zu ihr und schluckte. Sie blickte genauso drein, wie sie klang.

„Geht es … geht es Shaolan gut?“

Kurogane gab ein Brummen von sich. „Gut ist wahrscheinlich das falsche Wort. Aber es geht ihm auch nicht schlecht. Du solltest das mit ihm selbst besprechen.“

„Ja ...“

Der Ninja stöhnte unzufrieden. Was ließ der Spinner ihn mit der Prinzessin alleine?? Was sollte er ihr denn sagen? Beunruhigen wollte er sie ganz sicher nicht, aber er würde den Teufel tun und vortäuschen, dass alles in Ordnung war! Er würde ihr nicht erzählen, was in dem Land mit den verdammten Seifenblasen vorgefallen war. Er würde ganz bestimmt kein Wort darüber verlieren, wie der Bengel einen Nervenzusammenbruch gehabt hatte, nachdem einige der Seifenblasen bei Berührung mit ihnen zerplatzt waren. Er hatte Angst gehabt, dass sie eventuell Lebensformen waren und ihr Ankommen in dieser Welt sie getötet hätte. Der Klops und der Magier hatten eine halbe Ewigkeit auf Shaolan einreden müssen, bis sie ihn vom Gegenteil überzeugt hatten und er sich hatte beruhigen können.

Selbst harmlose Welten hinterließen nun schon Narben.

Es wurde einfach langsam zu viel für einen Jungen, der schon so viel hatte ertragen müssen.

Kurogane spürte ein schwaches, plüschiges Klopfen auf seiner rechten Hand. Er senkte seine Augen hinab und erblickte Mokona, wie sie ihm in einer Geste der Aufmunterung mit einer Pfote auf die Hand klopfte.

„Hey, stell die Lauscher auf. Was soll der mitleidige Blick? Du bist damit bei der falschen Adresse gelandet.“

Mokona schüttelte ihr Köpfchen. „Ich bin genau richtig.“

„Wie geht es dir, Kurogane-san?“

Überrascht schaute der Schwarzhaarige wieder zu Sakura, die sichtlich sorgenvoll auf seine Antwort wartete.

Ein für seine Verhältnisse sanftes Lächeln formte sich auf seinen Lippen. „Gut wäre vielleicht das falsche Wort. Aber mir geht es definitiv nicht schlecht. Definitiv nicht.“

Sakuras große, grüne Augen füllten sich trotz ihres spürbaren Kummers mit Freude. „Das ist schön zu hören.“

„Ja. Das ist es.“

 

Fye eiste sich von seinem Platz vor Shaolans Tür los und machte sich gemächlich auf den Rückweg. Er war dankbar, dass sie in Clow gelandet waren. Shaolan war sich dies vielleicht selbst nicht bewusst, aber er brauchte eine Pause und zwar dringend. Der Magier war froh, wenn sie nun wenigstens für ein paar Tage aufatmen konnten. Kurogane beschwerte sich ja praktisch nie, doch auch er hatte erkennbar erleichtert gewirkt, als sie realisiert hatten, in welchem Land sie waren.

Nachdem Sakura allen freudig um den Hals gefallen war, hatte sie sofort wissen wollen, was sie in der Zwischenzeit erlebt hatten. Sakura hatte ebenso schnell festgestellt, dass Fye wieder viel gesünder aussähe als damals bei ihrer Begegnung in dem Traum in Matrisis und er hatte das zum Anlass genommen, die Gesprächshoheit an sich zu reißen. Die Prinzessin sollte nicht wissen, dass er in den zwei Wochen, die sie in dem Land verbracht hatten, noch ganze zweimal das Prozedere über sich hatte ergehen lassen müssen, die natürliche Magie entzogen zu bekommen.

Er war selbst erschüttert darüber, wie schwer es ihm fiel, seine negativen Gedanken und Gefühle in den Griff zu bekommen. Er hatte ursprünglich sogar versucht, seine sich wieder verschlechternde Gesundheit vor Kurogane, Shaolan und Mokona zu verheimlichen – was eine wirklich blöde Idee gewesen war. Nach allem, was bis dahin vorgefallen war, konnte er allerdings auch verstehen, dass es für sie so ausgesehen haben musste, als würde er weiterhin schlichtweg nicht ehrlich zu ihnen sein wollen.

Während Shaolan in Matrisis versucht hatte, die Aufzeichnungen der Urahninnen der magischen Wächterinnen zu entschlüsseln und Kurogane zügig einen Job als Lastenesel („DAS IST NICHT DIE OFFIZIELLE BEZEICHNUNG!!“) gefunden hatte, hatte Fye sich schwer damit getan, sich nützlich zu machen. Da die Heilerin Monique Bedenken geäußert hatte, dass er sich nach seinem Beinahe-Tod besser nicht sofort in die Arbeit stürzen sollte („Ich kann dich auch nicht ständig wieder zusammenflicken, Goldlöckchen.“), hatte Fye versucht, Shaolan zu helfen, aber … uh, Fremdsprachen waren nicht sein Ding. Er konnte es selbst kaum fassen, doch der reine Gedanke daran, nutzlos zu sein, hatte schon wieder zu Schwindelanfällen geführt. Seine beiläufige Bemerkung, draußen alleine etwas spazieren gehen zu wollen (wenn er in Wahrheit die magischen Wächterinnen hatte aufsuchen wollen), hatte gereicht, um Kuroganes Argwohn zu wecken.

Als es zum insgesamt dritten Mal passierte, hatte er ihnen daher direkt Bescheid gesagt – und es umgehend bereut. Denn daraufhin hatte Shaolan beschlossen, in die nächste Welt zu reisen. Obwohl er mit den Aufzeichnungen noch nicht fertig gewesen war. Fye würde niemals das erschütterte Gesicht des Jungen vergessen, nachdem eine Erkenntnis über ihn gekommen war.

Wolltest du uns nichts davon sagen, dass es dir schlechter geht, damit ich die Aufzeichnungen zu Ende lesen kann? Bitte, sag die Wahrheit, Fye-san.“

Er hatte ihn nicht anlügen können. Und er hatte ihm nicht die Wahrheit sagen wollen.

Shaolan-kun ...“

Das hatte dem Jungen als Antwort gereicht. Nein, bevor ihm tatsächlich etwas zustoßen würde, müssten sie weiter. Shaolan hatte nicht einmal mehr Kurogane um seine Meinung dazu gefragt. Seitdem waren sie bereits wieder in unzähligen Welten gewesen, doch keine davon hatte ihnen weitergeholfen. Alles, was sie hatten, war ein Abschnitt aus den Schriften in Matrisis, in dem von einer Legende die Rede war, laut der es irgendwo Magier gab, die derart mächtig waren, dass sie selbst Tote wiedererwecken könnten.

Das war Humbug.

Das wusste keiner besser als sie.

Aber - jede Legende besaß einen wahren Kern. Vielleicht gab es in der Tat irgendwo noch viel mächtigere Zauberer. Die Magierinnen aus Matrisis hatten ja schon beeindruckende Kräfte besessen; es war demnach nicht völlig ausgeschlossen, dass es irgendwo jemanden gab, der ihnen helfen konnte, die Kinder zurückzubringen.

Schritte ließen Fye, der beim Gehen die Augen gedankenverloren gen Boden gerichtet hatte, aufhorchen und aufblicken.

Oje.

Da hatte jemand keine gute Laune.

„Wie geht es ihm?“ Kurogane blieb mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihm stehen.

„Ich hoffe, er kann etwas schlafen.“

„Wäre wünschenswert. In jeder neuen Welt rennt er sofort los, um etwas über Legenden und so'n Zeug zu erfahren. Er ist schrecklich rastlos geworden.“

Fye seufzte achselzuckend. „Ich weiß.“

„Wir müssen das in den Griff kriegen. Sonst verausgabt er sich irgendwann komplett.“

Der Magier legte den Kopf leicht schief. „Auch das weiß ich. Ich bin nicht ganz dumm, Kuro-tan.“

„Dann lass mich nicht mit der Prinzessin alleine, wenn sie so traurig guckt. Ich habe eben Blut und Wasser geschwitzt.“

„He he“, gluckste Fye. „Der große böse Ninja hat Angst vor Gefühlen?“

„NEIN! NATÜRLICH NICHT!“, schnaubte dieser. „Ich lüge nur Leuten nicht eiskalt ins Gesicht.“

„Autsch.“ Der Blondschopf zog eine beleidigte Schnute. Er unterdrückte den Drang zu argumentieren, dass das Auslassen gewisser Gegebenheiten in Erzählungen doch nicht das Gleiche wie lügen wäre. Die Diskussion hatten sie bereits mehrmals geführt und Fye wartete noch auf seinen ersten Sieg. Daher zog er einen Themenwechsel vor. „Wo steckt Mokona?“

„Ist mit der Prinzessin schlafen gegangen.“

„Ich könnte auch etwas Schlaf vertragen. Was ist mit dir, Kuro-Schäfchen?“

„WER IST HIER EIN SCHAF?!“

Fye grinste und machte wieder kehrt, um zu ihrem Zimmer zu gehen, doch zwei starke Arme, die sich von hinten um ihn schlangen, ließen ihn erstaunt innehalten.

„Auch wenn du es eben nur für den Kleinen getan hast“, raunte Kurogane ihm ins Ohr, „du lügst nach wie vor so leichtfertig, dass es beängstigend ist.“

Mit betroffener Miene legte der Magier eine Hand auf eine der Größeren, die ihn hielten. „Tut mir leid.“ Er lachte schwermütig. „Es passiert einfach.“

„Das darf es nicht.“

Fye fürchtete bereits, den Anderen verstimmt zu haben, als dieser ihn losließ und an ihm vorbeischritt. Doch Kurogane drehte sich noch einmal zu ihm um – und stöhnte.

„Willst du hier Wurzeln schlagen? Es ist spät, ich bin müde und selbst wenn wir nicht in Welten sind, die dich allein durch dein Gedankenkarussell umbringen können, gefällt es mir nicht, wenn du so ein Gesicht machst.“ Er hielt ihm eine Hand hin und Fye musste lächeln.

„Du bist und bleibst ein Romantiker, Kuro-min.“

 

Kurogane wachte auf, bevor die Tür zu ihrem Zimmer sich öffnete. Es war nicht mehr so ganz früh am Morgen; das konnte er am Lichteinfall ins Zimmer feststellen. Fye lag neben ihm auf der Seite und schlummerte friedlich und sabbernd, die langen Haare wunderbar zerzaust. Zum Schlafen zog er stets den Haargummi aus, mit dem er seine Mähne tagsüber zu einem Pferdeschwanz band. Kurogane hätte nichts dagegen gehabt, diesen Anblick noch etwas in Ruhe zu genießen, doch jemand konnte trotz ihrer geringen Größe Türen öffnen. Wohl eine ihrer 108 Fähigkeiten.

„Huiiii, Papa ist wach!“ Mokona hüpfte auf das Bett und wurde von dem Dunkelhaarigen mit einer Hand gefangen, während er ihr mit dem Zeigefinger seiner anderen Hand anzeigte, leise zu sein.

„Warum springst du hier rum und bist nicht bei der Prinzessin?“, fragte er im Flüsterton.

„Weil Sakura sich gerade mit Shaolan trifft. Und da wollte ich nicht stören.“

„Und stattdessen störst du uns??“

Das Wollknäuel grinste und nickte enthusiastisch. „Ich will noch ein bisschen mit Mama und Papa kuscheln.“

„Ma- ich meine, der Magier schläft noch, also weck ihn nicht!“ Bei seinem gigantischen Lapsus beschleunigte sich Kuroganes Puls mit einem Mal um ein Vielfaches. Verdammt, schlief sein Hirn noch oder wurde es langsam aber sicher von dem Klops übernommen? Zum Glück hatte der Magier nichts mitbeko- oh nein. Kurogane warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf seinen Partner – seinen mit geschlossenen Augen spitzbübisch grinsenden Partner.

Fye öffnete die Augen und drehte sich dem Ninja zu. „Wir haben ihn bald so weit, Mokona.“

Die kleine Kreatur freute sich unverschämt unverhohlen darüber. „Mokona ist Mokona, Papa ist Papa und Mama ist Mama.“

„Ihr seid alle bescheuert. Das ist das einzige, was ihr seid.“

Unbeeindruckt von seinem Gemecker hüpfte Mokona aus Kuroganes Griff und kuschelte sich an Fyes Brustkorb. „Aber nicht auf mich sabbern, Mama!“

„Huh?“ Verdattert wischte der Blonde sich die Spucke mit dem Handrücken aus dem Gesicht. „Oh, das wird ja immer besser. Mach ich das schon lange?“ Er sah peinlich berührt zu dem anderen Mann, der nun derjenige war, der grinste.

„Willst du das wirklich wissen?“

Fye zog eine unzufriedene Miene. „Nein.“ Dann blickte er Kurogane überrascht an, als dieser sich wieder zu ihm drehte und einen Arm um ihn (und somit auch um) Mokona legte. „Ha, ich hatte jetzt damit gerechnet, du würdest aufstehen.“

„Der Bengel redet doch gerade mit der Prinzessin. Da will ich ganz sicher nicht stören. Ich bin nur froh, dass er das tut. Es besteht also noch Hoffnung für ihn.“

„Ja. … Moment, soll das heißen, für ihn besteht im Gegensatz zu jemand anderem Hoffnung??“

„Psst. Das Wollknäuel ist eingeschlafen.“

 

Sakura löste ihren Blick von der Stadt, auf die sie von dem großen Balkon aus hinunterschauen konnte und ließ ihn über den Jungen wandern, der neben ihr stand und sichtlich mit sich haderte. Shaolan war heute Morgen zu ihr gekommen, um mit ihr zu reden und dies freute und beruhigte sie im gleichen Maße, wie es sie beunruhigte.

„Shaolan-kun“, begann sie nach einer Weile, in der er nichts gesagt hatte, „es tut mir leid.“

„Was?“ Erschrocken wirbelte sein Blick zu ihr herum. „Warum … wofür entschuldigst du dich?“

„Weil ich nichts tun kann, um euch zu helfen. Ich wünschte, ich könnte euch viel mehr unterstützen. So wie … wie 'Sakura' es getan hat.“

Shaolan schüttelte hastig den Kopf. „Du hilfst uns doch! Sehr sogar! Von den Dingen abgesehen, die du in Niraikanai oder Matrisis für uns getan hast, bist du doch auch … du bist meine Heimat.“ Es erschütterte ihn tief, dass Sakura glaubte, sie wäre ihnen nicht hilfreich.

Nun schüttelte die Prinzessin ihren Kopf. „Du trägst die Hauptlast, Shaolan-kun. Und … und mir fällt einfach kein Weg ein, wie ich dir etwas davon abnehmen könnte. Ich glaube, Fye-san und Kurogane-san und Moko-chan geht es da genauso. Aber sie können dich wenigstens begleiten.“

Bei ihren Worten senkte Shaolan seinen Blick und ließ sie damit aufmerken. Der Junge atmete einmal tief ein und wieder aus.

„Ich bin froh, dass sie an meiner Seite sind, sehr sogar“, sagte er schließlich. „Aber es dauert alles schon so lange. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass ich ihren eigenen Leben im Weg stehe. Wenn wir es nicht schaffen … wenn wir keine Lösung finden, dann haben sie ihre Lebenszeit für mich aufgeopfert. Das will ich einfach nicht.“ Shaolan kämpfte spürbar damit, die Tränen in seinen Augen zurückzuhalten.

Resolut nahm Sakura eine seiner Hände in ihre. „Ich weiß ganz bestimmt, dass die drei das anders sehen. Und du weißt, dass sie an deiner Seite sein wollen, nicht wahr?“

Er wischte sich mit seiner freien Hand die fallenden Tränen aus seinem Gesicht. „Ich will niemandem mehr wehtun und habe Angst, es doch zu tun.“

Für einen kurzen, doch intensiven Moment sah die Prinzessin ihn aufgewühlt an. Dann umarmte sie den überrumpelten Jungen. „Ich habe letzte Nacht geträumt“, erzählte sie zu seiner wachsenden Verwunderung, „und in diesem Traum ist eine Feder auf einen Berg gefallen und plötzlich wurde es Nacht. Es wurde schrecklich düster und bitterkalt. Alles Leben auf dem Berg ging in der nicht enden wollenden Nacht ein. Dann begann die Feder den Berg nach und nach zu zerdrücken, bis von ihm nichts mehr übrig war. Ich glaube, ich verstehe jetzt, was dieser Traum bedeutet. Die Last, die du trägst, Shaolan-kun, wird schwerer und schwerer je größer deine Hoffnungslosigkeit wird.“ Sakura löste sich von ihm und wandte sich der Sonne zu. „Wenn du zulässt, dass die Nacht den Tag verdrängt und keine Sonne mehr am Himmel aufgeht, dann wird dir vielleicht wirklich etwas Schlimmes zustoßen.

Es war schön, wie du mich eben deine Heimat genannt hast, aber lass mich bitte noch mehr für dich sein! Bitte lass mich und Fye-san und Kurogane-san und Moko-chan deine Sonne sein! Bitte vergiss nie, dass nicht du allein die Last trägst, dass nicht du allein deine Eltern wiederbringen möchtest. Es ist kein Opfer, wenn alle dasselbe Ziel verfolgen!“

Shaolans Tränen fielen nun ungehindert. So lange schon hatte er das Gefühl gehabt, auf der Stelle zu treten, er konnte nicht einmal einen Hinweis finden, sodass er in der Tat zunehmend frustrierter und hoffnungsloser geworden war. Er hatte die Veranlagung, sich in Dinge hineinzusteigern, was zum einen gut und zum anderen katastrophal war. Die Sehnsucht nach seinen Eltern hatte ihn nur noch dieses Problem sehen lassen; er hatte sich selbst zu einem Getriebenen gemacht, der nicht mehr das große Ganze erkennen konnte.

Es war erschreckend.

Es war erschreckend, wie schnell man Fehler wiederholen konnte. Sein Wunsch hatte begonnen, übermächtig zu werden; die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Wünsche waren nicht per se gut oder schlecht. Es waren die Taten, die man zu deren Erfüllung beging, die gut oder schlecht waren.

Sakuras Worte waren eine noch gerade rechtzeitige Mahnung. Bevor er sich seiner Verzweiflung ganz hingegeben hätte und vielleicht sogar seine eigene Familie von sich gestoßen hätte. Er hatte den dreien mit Sicherheit in letzter Zeit viel Kummer bereitet.

Shaolan atmete durch. Aufgeben kam nicht in Frage. Und es half niemandem, wenn er wie ein Besessener nach einer Antwort suchte.

„Wie ich bereits sagte: Du tust so viel für uns. Ich danke dir.“

Durch ihr Lächeln allein fühlte er sich mit einem Mal etwas leichter.



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