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Inu Yasha no yomi

Inu Yasha in der Unterwelt
von

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Dunkelheit der Seele

Hell's bells, they're taking you down

Hell's bells, they're dragging you under

Hell's bells, gonna split the night

Hell's bells, there's no way to fight,

 

AC/DC Hells Bells

 
 

Es regnete in Strömen in dieser Nacht, aber der rotgewandete, weißhaarige junge Mann, der unter eine großen Baum im Wald kniete, schien es nicht zu bemerken. Er hatte beide Hände auf einen Gedenkstein gelegt und weinte selbst.

 

„Ich werde gehen, Kagome,“ flüsterte er. „Ich … es hat sich so viel geändert. Du bist tot, Sango und Miroku, sogar deren Kinder. Niemand weiß mehr, was wir, was ich getan habe. Beschützen muss ich sie nicht. Vor wem auch. Seit Sesshōmaru vor fast siebzig Jahren seinen Traum von einem Yōkaireich durchgesetzt hat und die Yōkai durch Bannkreise von den Menschen getrennt wurden … wer greift denn dann noch das Dorf an?

Immerhin wussten wir ja da schon, warum in deiner Zukunft es so gut wie keine Yōkai mehr in Tokio gab. Du hast gemeint, das wäre doch gut für die Menschen, wenn sie keine Angst mehr vor den Würmern und sonst wem haben müssten. Ja, und dann endete auch das, was du die Epoche der Kriegerischen Staaten genannt hast. Bauern und so wurden entwaffnet, auch die lokalen Herrscher... es gibt nicht einmal mehr Banditen.

Und seit der neue Priester da ist ….Die Bauern sehen nicht, wenn ich für sie jage, das sei meine Pflicht, so ungefähr, damit ich auch Reis bekomme. Und der Priester sieht in mir ein Monster. Ich bin hier nicht mehr zuhause. Das Einzige, was mich noch hält, bist du.“ Er atmete tief durch.

„Ich weiß schon, du würdest sagen, ja, dann gehe doch zu den Yōkai. Aber glaubst du im Ernst, dass sich Sesshōmaru so wahnsinnig in nicht einmal hundert Jahren geändert hat? Er hat es geschafft alle Yōkai an einem Strang ziehen zu lassen, das ist schon toll, gebe ich zu, und die Menschen wissen nicht einmal mehr, dass sie umgeben von Bannkreisen leben, geschützt vor den, wie sagte es der Priester gestern: Monstern. Ich wäre im Westen sicher nicht willkommen.

Im östlichen Fürstentum, wo die Wölfe wohnen? Ich habe mich schon mit Kōga nie gut verstanden, wie viel weniger mit dieser strikten Militärhierarchie da. Selbst Kōga lebt ja nicht dort. Im Norden sind die Füchse und vielleicht würde Shippō für mich sprechen, aber er ist doch noch ein Kind. Du hast es ja selbst gesehen, wie langsam die Zeit für mich vergeht, wie viel mehr für einen vollen Yōkai.

Und unten im Süden die Drachen? Na, die wären begeistert, zumal sich der eigentliche Herr der Drachen, der König Ryujin, ja in seinem Schloss unter dem Meer aufhält und dem Land recht wenig Aufmerksamkeit zollt. Ich weiß nicht, wo ich hin soll, Kagome, ich bin nutzlos und allein, so wie früher. Du weißt es ja. Und jetzt... ich weiß doch jetzt wie es ist ein Zuhause zu haben. Warum nur will mich schon wieder niemand mehr haben....“ Er holte erneut tief Luft.

„Zum Glück bist du hier, und wir zwei wissen ja, dass hier eines Tages euer Schrein gebaut wird. Dann kann ich wenigstens als Mensch Neumond dich besuchen. Bis dahin haben doch alle hier vergessen, dass ich ab und an zum Menschen werde. Und Tokio wird wachsen. Momentan heißt es ja noch Edo, aber der Kaiser soll ja bald dahin umziehen, der Shogun, ach, ich weiß doch nicht wie er heißt, soll schon für den Ausbau dieses Fischerortes sorgen. Es wird alles so passieren, wie es gekommen ist, so in deiner Zeit. Und ich bin sicher, eines Tages wirst du auch wiedergeboren werden und mich finden. Ich … ich kann nur hier nicht mehr bleiben. Die Blicke werden finster, wenn ich komme, manche greifen nach etwas, das sie für Waffen halten. Dabei kennen sie mich doch seit ihrer Geburt. Und ich will wirklich nicht das brechen, was ich Mama und dir versprochen habe, nie Menschen zu töten. Ich weiß noch nicht, wohin ich soll. Aber hier geht es einfach nicht mehr.“

Der Hanyō stand auf und wandte sich um, rieb Regen und Tränen aus den Augen und versuchte zu deuten, was im Dorf passierte. Für einen Augenblick wollte er hinlaufen, helfen, als er die Flammen sah, dann begriff er und wandte sich wieder zum Stein.

„Ich muss weg, Kagome. Sie haben gerade unser Haus angezündet.“ Und sie hatten wohl geglaubt, er würde darin schlafen, hatten nicht einmal gewusst, dass er heute hier wäre, am fünfzigsten Todestag. Trotz des Regens. Sie hatten bestimmt nachgeholfen. „Ich sage Auf Wiedersehen.“

 

Inu Yasha lief los, in die regnerische Nacht. Seine Augen waren deutlich besser als die eines Menschen und so gelangte er weit von den Ebenen von Musashino entfernt bei Beginn der Morgendämmerung auf einen grasigen Hügel und blieb dort stehen. Der Schmerz war noch immer so groß, dass er Tränen spürte, aber es würde nichts helfen. Er war wieder allein.

Vorsichtig blickte er sich um, dann doch erstaunt, wie weit diese Nacht ihn gebracht hatte. Nun ja, er war kein Kind mehr. Linker Hand konnte er ein Stück entfernt das Meer sehen – das nur dort nicht existierte. Zwischen hier und dem Meer lag das Fürstentum seines Halbbruders, von dem, ebenso wie von den anderen Yōkaibereichen die Menschen nicht mal mehr was ahnten. Es glaubten Dörfer an der Küste zu liegen, Fischer zu sein – doch ihr Weg zum Meer war mit magischen Gängen verkürzt. Das, das musste er zugeben, hatte Sesshōmaru wirklich gut hinbekommen. Diese Bannkreise und Wege waren von den vier mächtigsten Männern der Yōkai gelegt worden, sogar der Drachenkönig hatte mitgespielt. Selbst für noch so magisch fähige Menschen nicht zu entdecken oder gar zu brechen. Sollte er versuchen in den Westen zu gelangen? Der alte Flohgeist Myōga hatte ihm bei seinem Abschiedsbesuch versichert, zumindest mit dem roten Tessaiga sollte er durchkommen, er besäße schließlich halbes Yōkaiblut. Aber, ob er sich wirklich die nächste Abfuhr des Herrn Halbbruders holen sollte?

Wohin nur jetzt? Es würde noch Jahrzehnte, eher gut ein Jahrhundert dauern, ehe der Higurashi-Schrein gebaut werden würde und er die Chance hatte in einer Neumondnacht zu Kagome zu gelangen.

 

Sein Blick fiel geradeaus. Hohe Berge, Vulkane, blockierten hier den weiteren Weg nach Norden. Wäre das etwa eine Lösung für ihn? Wenn er sich in kochende Lava stürzte, würde sicher auch er das nicht überleben. Und Tessaiga wäre so auch dem Zugriff aller entzogen.

Was war nur mit ihm los? Aufgeben war doch noch nie eine Option gewesen.

Wohin nur sollte er gehen?

 

In einem recht neuen Schloss im Westen, nun, neu nach Maßstäben der Yōkai, schritt die derzeitige Regentin und Fürstenmutter die zehn Stufen aus dem Privattrakt hinab in den gepflegt angelegten fürstlichen Garten. Eine Geste bedeutete den beiden Hofdamen stehen zu bleiben und auf sie zu warten. Die eleganten Damen ließen sich im Kniesitz nieder, allerdings die Köpfe erhoben, die Rücken gerade, bereit auf den leisesten Wink zu reagieren.

Sie hätte niemals jemandem gezeigt oder zugegeben, dass sie beunruhigt war. Ihr Einziger, der Herr des westlichen Fürstentums, Sesshōmaru, war noch immer nicht zurückgekehrt. Er war vor fünf Tagen einer Einladung eines Vasallen gefolgt.

Was sie zunehmend beunruhigte war die Tatsache, dass es sich bei besagten Vasallen um einen Erddrachen mit Gefolge handelte. Sicher, Sesshōmaru wäre gerade mit Bakusaiga in der Lage auch mit den fünf Drachen fertig zu werden, die vor fast zehn Jahren so demütig um irgendeine Ansiedlungsgenehmigung im Fürstentum gebeten hatten. Gewisses Desinteresse an seinen Ländereien auf dem Festland und deren Bewohnern war dem Drachenkönig nicht abzusprechen. Allerdings war ihr Sohn vorsichtig genug gewesen ihnen ein ödes Stück Land in den Bergen zuzuweisen. Jetzt hatte dieser Ryuuichi den Fürsten aus Dankbarkeit eingeladen, um ihm zu zeigen, wie sie nun wohnten.

Die Regentin ordnete unwillkürlich ihre weiße Boa, die sie um beide Oberarme geschlungen trug. Wohnten. Drachen hausten, das ließ sich so besser sagen, aber natürlich konnte ein Fürst Vasallen nicht vor den Kopf stoßen. Mit Macht gingen auch gewisse Verpflichtungen einher. Dennoch empfand sie vor allem als Mutter gewisse Sorge. Warum war ihr Einziger noch nicht zurück? Und, diese Frage drängte sich ihr immer mehr auf: warum hatte er Tenseiga hier gelassen? Warum das Schwert, das ihn schützen würde, falls es eine heimtückische Falle war? Zumal, weil er allein gegangen war. Natürlich, mit einem Heer zu einer Feier aufzubrechen, wäre unsinnig, aber zumindest eine Leibgarde konnte in aller Regel mit Protokollpflichten abgetan werden. Er hatte nicht auf sie gehört.

Nun ja, er war der Fürst, der Herr des Westens, und selbst die anderen Fürsten, inklusive Ryujin folgten in aller Regel seinen Wünschen. Warum also hätte er sich vor ihr rechtfertigen sollen, Mutter hin oder her? Sie hatte Anspruch auf Respekt – er auf Gehorsam. Er hatte vollendet, was ihr Vater, sein Vater, begonnen hatten, den Ruhm der Familie in kaum erhoffte Höhen getrieben. Er besaß die Perfektion, die sein Name gewünscht hatte, vielleicht der mächtigste Yōkai, wenn man vom Herrn der Füchse absah, aber sicher der mächtigste Krieger, den es je gegeben hatte.

Dennoch zog etwas an ihr und sie trat an die akkurat geschnittene hüfthohe Hecke, um ein wenig ins Land zu blicken, in der uneingestandenen Hoffnung der leichte Wind in ihren Haaren würde ihr die Nachricht zutragen, dass ihr Einziger käme. Etwas störte sie, nagte an ihr, und sie stammte aus einer Familie, in der auch und gerade die Frauen der letzten Generationen überaus magisch bewandert waren.

Wo war Sesshōmaru? Warum kam er nicht heim?

Unwillkürlich fühlte ihre rechte Klaue nach dem schwarzen Medaillon, das sie auf der Brust trug, das magischste Ding, das sie besaß – und doch hier hilflos. Es war eine gute Verteidigung, ohne Zweifel, denn gegen den Pfad der Dunkelheit taten sich Gegner überaus schwer, aber es wäre unmöglich das Medaillon dazu zu nutzen irgendwo im Westen oder gar ganz Japan nach ihrem Sohn zu suchen.

Womöglich war auch alles ganz harmlos, nur ein netter Besuch, ausgedehnt um einen weiteren bei anderen Vasallen. Aber Sesshōmaru war durchaus pflichtbewusst und hätte zumindest einen Boten geschickt. Früher, ja, da war er anders gewesen, leichtfertiger in den Pflichten, zu ihrem großen Bedauern. Aber dann hatte er sich besonnen.

 

Unwillkürlich zuckte sie trotz aller Selbstbeherrschung, die einer Daiyōkai zustand, zusammen, als das Medaillon unter ihren Fingern zu vibrieren begann. Das hatte es noch nie getan, seitdem es ihr der einstige Inu no Taishō zur Geburt ihres gemeinsamen Sohnes geschenkt hatte. Und sie spürte die innewohnende Magie der anderen Welt, des Jenseits. Sie vermochte mit der Magie des Medaillons einen Pfad in das Jenseits zu bahnen, ein Meidō zangetsu zu erschaffen, wie es sonst außer ihr nur noch der zweite Sohne ihres verstorbenen Gefährten angeblich vermochte, nachdem ihm ihr Einziger das endlich verschafft hatte. Was also passierte hier?

Sie nahm die Hand eilig weg, als sich eine Art Tunnel zu bilden begann, da sie ahnte, was das werden würde – ein Pfad in das Jenseits, nur diesmal von der anderen Seite geschaffen. Aber, wie war das möglich? Was geschah hier? Und, wer kam da?

Sie wandte sich etwas um. Ihre Hofdamen waren aufgesprungen, schienen jedoch zu pflichtbewusst um davon zu laufen, als sich der schwarzen Tunnel vor ihr bildete, ähnlich einem Trichter immer breiter wurde, und schließlich ein Schatten erkennbar war, durchaus humanoider Form.

Eine Daiyōkai sollte sich durch nichts überraschen lassen, aber die Regentin presste leicht die fein bepinselten Lippen zusammen, als sie den Besucher erkannte. Kein Höllendämon, wie sie schon befürchtet hatte, aber deswegen bei weitem auch nicht besser. Ein scheinbar junger Mann mit einer Brustpanzer, zwei Flügeln und roten Hosen. Es musste sich um einen Todesgott handeln, einen Shinigami. Das konnte eigentlich nur schlecht sein. Das einzig Beruhigende war, dass er auf die obligatorische Sense verzichtet hatte, womöglich der Art der Anreise geschuldet.

Als der schwarze Tunnel sich prompt wieder in das Medaillon zurückgezogen hatte, neigte der Shinigami leicht den Kopf. „Ich bringe Nachricht,“ sagte er schlicht.

Nun, immerhin wollte er sie nicht mitnehmen, dachte sie, für einen Sekundenbruchteil erleichtert, ehe ihr eine schreckliche Wahrheit dämmerte. „Es geht um meinen Sohn?“ Das war kaum auszusprechen. Aber, seit wann machte sich die Unterwelt denn die Mühe neue Ankömmlinge deren Verwandtschaft zu melden?

„Er kam vor einigen Stunden an. Nun, seine Seele, wie ihr Lebenden sagt.“

Die Hundedame hatte das Gefühl ihr würde ein Dolch in das Herz gestoßen. Sie hatte es befürchtet, aber nicht geahnt, dass die Bestätigung so weh tun würde. Dass es gelogen war, war auszuschließen. „So danke ich für die ungewöhnliche Botschaft,“ erklärte sie höfisch, denn ihr ersten Impuls abzudrehen und zu flüchten wäre ein Gesichtsverlust für ihre Familie und sie selbst. „Darf ich fragen, wie....“

„Das Wie ist uns natürlich nicht bekannt. Ich kann nur mitteilen, dass die Seele in keine guten Zustand ankam, er wäre fast zerbrochen. Aufgrund, nun, gewisser guter Beziehungen der Familie zu uns, erging der Befehl ihn in einen Bann zu schließen, so dass sie nicht zerbrechen kann. Oh, und ich soll noch ausrichten, dass der Körper vollkommen zerstört wurde. Es gibt keinen mehr. Wohl Drachenfeuer.“

„Drachen.“ Also war es eine Falle gewesen, eine tödliche Falle. Oh, könnte sie so, wie sie wollte.... Ihr Einziger!

Der Shinigami schien sich in einen langgestreckten, schwarzen Schatten zu verwandeln, der zielgerichtet in ihr Medaillon sprang.

 

Sie holte tief Atem. Rational bleiben, beschwor sie sich, obwohl sie schreien mochte. An ihr hing nun die Zukunft des Fürstentums, dessen Anfänge bereits ihr Vater gelegt hatte, ihr Gefährte hatte den Frieden im Westen gesichert, ihr Sohn....Sesshōmaru!... das Fürstentum und den Frieden für alle Yōkai gebracht. Und nun? Es galt keine Zeit zu verlieren. Wenn die Drachen eine Falle gelegt hatten, wer sagte, dass nicht doch Ryujin mit drin hing und sich der Westen plötzlich einem Krieg gegenüber sah, auf den sich nur eine Seite vorbereitet hatte?

Sicher, ihr würde weder das Heer noch einer der Vasallen folgen, das wusste sie. Ihre Macht als Frau war stets nur geliehen und mit dem Tod des Fürsten nicht mehr existent. Eigentlich. Aber es wäre fatal, Und ebenso eigentlich wollte sie sich nur zurückziehen, vielleicht in das Schloss ihrer Geburt und allein um ihren Einzigen trauern. Aber das konnte sie nicht, wollte sie nicht alles, was in drei Generationen ihrer Familie entstanden war, einreißen.

Die folgenden Tage würden zu einer Probe ihrer Beherrschung werden. Sie wandte sich zu ihren Gesellschafterinnen und winkte einer. „Geh und richte diesem kleinen Yōkai aus, er solle alle Berater in das private Arbeitszimmer des Fürsten rufen. Es gäbe wichtige Neuigkeiten.“ Zum Glück war Sesshōmaru ...wie weh es tat....sehr genau in der Bestimmung der Berater gewesen und nur wenige ausgewählt. Natürlich den Leiter der Verwaltung, aber auch den zweiten Mann des Militärs, unvermeidlich diesen kleinen Yōkai, der ihm seit Jahrhunderten hinterher gelaufen war, und ebenso natürlich auch diesen Flohgeist, den schon sein Vater stets geschätzt hatte. Sie persönlich empfand die Vorstellung Flöhe in ihrem Schloss zu haben weniger reizvoll.

Und jetzt sollte sie diesen, durchaus loyalen, Männern die Todesnachricht bringen.

Es blieb nur die Frage, warum ein Shinigami zu ihr geschickt wurde? Wegen der guten Beziehungen der Familie? Hatte der Todesgott damit die Möglichkeit des Pfades der Dunkelheit gemeint? Tenseiga? Die Tatsache, dass ihr Sohn und der... der zweite Sohn ihres Gefährten vor Jahren So´unga zurück in die Unterwelt geschickt hatten? Vermutlich alles zusammen. Nun ja, Beziehungen zum Jenseits konnte man das schon nennen.

 
 

Schloss des Westens

Don′t send flowers, just give me some hours

Just a minute of your time, would really make it shine, so think it over

Don′t send flowers, from ivory towers

I just wanna see your face, forever and always, please think it over

 

Sheena Easton: send no flowers

 

 
 

Das Arbeitszimmer des Herrn des Westens war schlicht gehalten, im Gegensatz zu der daneben liegenden offiziellen Audienzhalle. Dort kündeten gekonnt bemalte Papierschirme an den Wänden von der Macht und dem Reichtum des Fürsten, zeigten kunstvoll gemalte Dekors riesige weiße Hunde, aber auch silberne Kraniche. Wer wo zur Audienz sitzen durfte bestimmte ein fein abgewogenes Protokoll.

Das wesentlich kleinere Arbeitszimmer von kaum fünfzehn Quadratmetern dagegen war anspruchslos eben nur das. Auf einem erhöhten Podest, ebenso wie der restliche Raum belegt mit Tatamimatten, lag ein mit weißen Ornamenten besticktes rotes Kissen, davor im Halbkreis die vier braunen Kissen, deutlich einfacher, für die Berater. Ein zweites rotes Kissen, wenngleich unbestickt, auf dem Podest lag den höflichen Abstand von einem Meter hinter dem Platz des Hausherrn – für die Fürstenmutter.

Vor einem Platz eines Beraters stand ein Schreibpult, daneben lagen wohlverschlossen ein Tintenfass und Feder, eingerollte Papiere. Die Holzpfosten der Wände waren mit einfachen Holzquadraten verbunden, bedeckt mit unbemaltem Papier. Nur die Bannkreise, die den Raum abhörsicher selbst für Dämonen machten, verrieten, dass es hier um sehr intime Sachen des westlichen Fürstentums ging. Eine hintere Tür führte in den privaten Bereich des Schlosses, die Räume des Fürsten und den Frauentrakt.

 

Die, nun ehemalige, Fürstenmutter entließ ihre beiden Hofdamen nur mit einer Handbewegung an der Tür, als sie diesen Raum betrat. Ein Blick auf den Platz des Fürsten, ihres Einzigen.... sie spürte erneut, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Er hatte seinen Vater übertroffen, alle ihre stillen und kühnsten Hoffnungen übertroffen. Wie hatte das nur geschehen können? Sie wäre zum ersten Mal in ihrem Leben gern weggelaufen, aber das konnte und durfte sie nicht. Für ihren Sohn, für ihren Vater, für ihren Gefährten, für die Familie.

Sie ließ sich auf dem Platz des Fürsten nieder. Hoffentlich würden die Berater das auch begreifen, musste sie nicht das Unaussprechliche doch aussprechen. Nichts in ihrem Jahrtausende währenden Leben hatte sie je auf diese Situation vorbereitet. Aber sie wusste um ihre Pflicht und so ließ sie sich nicht dazu hinreißen, dass auch nur ihre Boa oder eine Falte ihres Kleides sie verriet. Eine geborene Prinzessin hatte gelernt nicht nur jedes Gefühl aus ihrem Gesicht, sondern auch aus ihrer Haltung zu verdrängen.

 

Ja, sie kamen, diese vier Männer – oder kleinen Geister, denen sie nun auch ihr Schicksal und das des Fürstentums zur Beratung anbieten musste.

Der Erste war natürlich dieser kleine, grüne, hypereifrige, Yōkai, der Sesshōmaru seit Jahrhunderten mehr oder weniger auf Schritt und Tritt folgte. Immerhin stutzte der, als er sie so sitzen sah, ließ sich jedoch wortlos, oder doch fast erschrocken, auf seinen Platz neben dem Schreibpult nieder.

Mit einer Verneigung folgte Mamoru, ein Hundeyōkai, der nach dem Fürsten der Befehlshaber des Heeres war und damit auch der Militärführer jetzt.

Gefährlich, ohne Zweifel, bedachte sie. Er war ein Yōkai in den besten Jahren, stark, mit Militärzugriff. Natürlich war der schwarzhaarige Hund nun unbewaffnet, das ziemte sich, wenngleich er den metallenen Brustpanzer nicht abgelegt hatte. Auch er stutzte, als er sie so sitzen sah, verneigte sich jedoch nur erneut und nahm auf einem Kissen abseits von diesem Jaken Platz, in der linken Ecke vor ihr.

Immerhin schwiegen die Zwei und starrten sie auch nicht direkt an.

 

Aha. Der Haushofmeister, Schlossverwalter Kyoichi, im dunklen, bodenlangen Kimono, der ebenso wie die schwarze Mütze auf dem Kopf seinen Stand anzeigte. Er war ein Hundeyōkai um die fünfzig, wie es wohl ein Mensch geschätzt hätte. Sie schätzte wiederum an ihm seine Fähigkeit zur Improvisation. Es gab zumindest im Schloss seit Jahrhunderten kein Problem, das er nicht diskret beseitigen konnte. Er nahm neben Mamoru Platz auf der äußersten Linken.

 

Als letzter kam natürlich dieser Flohgeist daher gesprungen. Sie hatte nie begriffen, warum ihr Gefährte den je bei sich geduldet hatte. Sicher, er war intelligent, aber das war auch schon alles. Er war ein Floh! Ihr Instinkt riet ihr drauf zu schlagen, aber nun gut. Ein Heerführer suchte nach fähigen Mitarbeitern, hatte ihr Gefährte ihr mit einem schalkhaften Lächeln versichert. Das mochte stimmen. Sesshōmaru hatte ihn, als er nach der Legung der Bannkreise kam, ebenso zum Berater ernannt.

 

Als auch er Platz genommen hatte, zwischen dem grünen Kappa und dem Militärführer, hob sie etwas die Hand und die Bannkreise um das Zimmer wurden aktiviert. Niemand draußen, selbst, wenn er das Ohr an die Tür legen würde, konnte zuhören.

Sie atmete etwas durch, bemüht die Contenance zu wahren, die einer Daiyōkai in jeder Lage gebührte. „Ich erhielt soeben Nachricht. Ein Shinigami teilte mir mit, dass unser Fürst in der Unterwelt eingetroffen sei.“

Alle Vier starrten sie an, erschrocken über die Neuigkeit, aber offensichtlich weit weniger überrascht, dass sie Nachrichten aus der anderen Welt erhielt. Nun ja, man kannte sie. Der kleine grüne Yōkai, ein Kappa oder so etwas, begann laut zu weinen. Darüber doch etwas enerviert, fuhr sie fort: „Euch allen ist bewusst, was das bedeutet. Ich erwarte Vorschläge. Kyoichi?“

 

Der Haushofmeister antwortete nicht sofort. Diese mehr als überraschende, ja, schockierende Nachricht wollte überdacht sein. So rückte er seine tadellos sitzende Beamtenmütze auf dem Kopf, sah kurz in die Runde, ehe er zu der derzeitigen Regentin blickte. „Diese Neuigkeit ist wahrlich überraschend und bestürzend, nicht nur für uns wohl, sondern für das gesamte Fürstentum. Darf ich fragen, wie es zu diesem … Zwischenfall kam?“

Die Regentin war unwillkürlich angetan, dass er es so behutsam formulierte, sah sich dennoch zu Sachlichkeit gezwungen. „Er war, wie ihr selbstverständlich wisst, bei Drachen um Ryuuichi eingeladen und es gab den Hinweis, dass kein Körper mehr existent sei, vermutlich durch Drachenfeuer.“

„Dann müssten wir davon ausgehen, dass das Gastrecht, ja, der Treueeid gebrochen wurden. Es besteht dann durchaus die Gefahr, so, wie ich es sehe, dass diese Drachen um Ryuuichi nur scheinbar aus dem Königreich der Drachen flohen, in Wahrheit jedoch einen Krieg der Drachen gegen den Westen auslösen wollten. Zehn Jahre sind ein Nichts im Leben der beiden Völker.“ Der Haushofmeister blickte unwillkürlich zu seinem Nachbarn, der ja immerhin Militärführer war. Aber der würde schweigen. Hier herrschte die Regel, das nur sprach, wer angesprochen worden war, außer es war ausdrücklich eine offene Diskussion erwünscht. „Zu bedauerlich, dass Sesshōmaru-sama keinen Erben hinterließ. So sehe ich eigentlich nur eine Möglichkeit um den Westen zu schützen. Wir begeben uns unter Euren Kimono, Euren Schutz, Inu no Kami.“

Inu no Kami, der Ehrentitel, den man ihr einst verliehen hatte. Die Hundegöttin, die Perfektion einer Hundeyōkai. Sie wollte fast durchatmen, aber sie schwieg zu diesem Thema, sich durchaus zu bewusst, dass erst alle Berater redeten, ehe der Herr entschied. Oder die Regentin. „Mamoru?“

 

Der Militärführer blickte auf. Seine dunklen Augen musterten kurz die Regentin, ehe er geübt sachlich seine Meinung über die Lage kundtat. „Ohne Fürst ist das Fürstentum verloren. Kein Vasall würde Euch folgen. Trotz aller unleugbarer Fähigkeiten und Eigenschaften, Herrin – Ihr seid eine Frau. Ich glaube, jeder Paladin würde seine Truppen sammeln, auch die aus dem gemeinsamen Heer des Fürsten abziehen, um sich selbst den Sieg und die Macht zu erfechten. Diese inneren Zwistigkeiten würden allerdings meiner Meinung nach auch dazu führen, dass die anderen Fürsten der Yōkai und auch der Drachenkönig den Westen als Beute sehen. - Hinzu kommt, wenn wirklich die Drachen sich hier eingeschlichen hatten mit dem Ziel den Fürsten zu töten, wie es der werte Kyoichi annimmt … das gäbe einen Zwei-Fronten-Krieg, da diese Drachen ja wohl immer noch im Westen weilen. Hinzu kommt, dass ein neuer Fürst stark genug sein müsste alle Vasallen zu besiegen, anerkannt zu werden, Jedoch auch, und nicht zuletzt … nun, ein gewisses Anrecht durch das Blut besitzen. Meines Erachtens ist es notwendig, dass Ihr selbst Euch einen neuen Gefährten sucht, der solcherart mit dem bisherigen Fürstenhaus verwandt wird und damit auch das Anrecht auf die Herrschaft erhält. Natürlich würdet Ihr weise sein und nur einen mächtigen Mann nehmen, der persönlich stark ist und entsprechende Krieger besitzt um sich durchzusetzen.“

 

Wieder gab sie durch nichts zu erkennen, wie sehr dieser Vorschlag sie traf, in der Vermutung, dass Mamoru sich da durchaus für einen geeigneten Kandidaten halten würde. Sie sah sich jedoch durch einen unerwarteten Einwurf genötigt zu der anderen Seite zu blicken.

 

Jaken deutete auf den Schwertständer neben dem Platz des Fürsten, wo ein schlankes Katana in einer kunstvoll gearbeiteten Scheide ruhte. „Tenseiga!“ Er schluchzte es fast.

 

Was sollte sie dazu sagen? Zu ihrem oder auch zum Glück dieses Kappa griff Myōga ein.

„Die Herrin erwähnte doch bereits, dass kein Körper mehr vorhanden sei. Tenseiga vermag viel, aber ohne Körper....“

Danke, Floh, dachte sie aufrichtig, wenngleich zum ersten Mal in ihrem Leben. „Noch ein Einwand, kleiner Yōkai?“

 

Jaken war etwas überrumpelt. Erstens war er seiner Trauer noch nicht Herr geworden, zweitens fasste er das Unfassbare schlicht noch nicht – und drittens wäre er doch noch gar nicht mit einer Antwort an der Reihe gewesen. So überlegte er hastig, ehe er hervorbrachte: „Hätte nicht Fürst Daichi Okami auch ein Wort mitzureden? Ja, die Ehe zwischen Sesshōmaru-sama und seiner Tochter wurde noch nicht formell geschlossen, aber....“

„Er wird sich den Füchsen anschließen,“ meinte Mamoru prompt. „Und sich gemeinsam mit denen einen hübschen Teil des Westens im Norden schnappen. Er ist ein Wolfshund, aber ein sehr guter Krieger und Heerführer. Nicht ohne Grund ist er der letzte noch eigenständige Fürst Japans. Er wäre ein Narr würde er sich ohne weiteren Gewinn auf die Seite des Westens stellen. Die Tochter wird dann eben einen Kitsune heiraten und damit das letzte unabhängige Fürstentum dem Norden, den Füchsen, zubringen.“

„Das bedeutet Krieg,“ stellte Kyoichi nüchtern fest. „Das genau gilt es zu verhindern. Der Westen braucht einen neuen Fürsten. Oder eine Herrin, deren Macht groß genug ist.“

 

Ratgeber sollten eigentlich nicht raten, dachte die wohl mächtigste Hundedame. Ohne Hoffnung, aber bemüht dem Protokoll zu folgen, sah sie zu dem Kleinsten der Anwesenden, dem Flohgeist, der zu allem Überfluss vermutlich noch älter war als dieser Jaken. Immerhin hatte der vorher schon sachlich und vernünftig eingegriffen, was sie doch, zugegeben, erfreut hatte. Nun saß er da, sichtlich die Stirn in Falten. Zuvor, bei dem Vorschlag Mamorus sie solle heiraten, war er versucht gewesen mindestens zwei seiner vier Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen. Wenn er eine bessere Idee hatte wäre sie tatsächlich bereit ihn anzuhören. Sie wollte nie mehr heiraten, sich nie mehr einem Ehemann unterwerfen. Zugegeben, sie war mit dem Inu no Taishō nicht unzufrieden gewesen, bis auf sein Menschenfaible, und sie respektierte seine ehrenhafte Art bis heute. „Myōga.“

 

Der betagte Flohgeist seufzte, war allerdings bemüht nicht zuletzt das, was sein alter Herr begründet hatte, zu retten. „Ich sehe mehrere Probleme und Lösungen.“

 

Das war immerhin schon etwas, dachte sie und hob etwas die Hand.

 

Da das die Erlaubnis zum Weiterreden war, hätte Myōga um ein Haar erneut geseufzt, beschloss jedoch um des Herrn willen weiter zu machen. Seine Instinkte rieten zur Flucht, aber das wäre natürlich auch sinnlos, nun ja, sogar kontraproduktiv. So bemühte er sich, in jahrhundertelanger Kenntnis der Hundeherrschaften, um Nüchternheit. „Ich gebe sowohl Kyoichi als auch Mamoru recht. Der Westen benötigt umgehend einen Fürsten, damit er nicht zum Spielball der Mächte wird und damit zerrissen. Auch ein interner Krieg zwischen den Vasallen muss vermieden werden. Zudem sollte ein neuer Fürst in irgendeinem Zusammenhang mit der bisherigen Fürstenfamilie stehen. Und da gibt es nur eine Person, die in Frage kommt. - Inu Yasha.“ Er sah, dass ihn seine Mit- Räte anstarrten, die Dame kurz die Augen schloss und fuhr mit unleugbarer Tapferkeit fort: „Er ist der Sohn des Inu no Taishō, der Halbbruder Sesshōmaru-samas. Er ist der Letzte der Blutlinie.“

„Ein Hanyō!“ Mamoru klang mehr als indigniert.

Myōga ignorierte ihn, zu bemüht das Erbe seines verstorbenen Herrn und auch dessen Ältesten zu retten. „Ja, er ist ein Hanyō. Und führt das überaus mächtige Tessaiga. Ich darf daran erinnern, dass wir Tenseiga hier zwar vor unseren Augen sehen, aber Bakusaiga sich vermutlich nun in den Klauen eines Drachen befindet.“

 

Bakusaiga. Daran hatte noch niemand gedacht. Und diese Klinge in den Krallen eines Drachen?

 

Die Regentin dachte kurz nach. „Er sollte es nicht benutzen können.“ Immerhin verstand sie zum ersten Mal, was Gefährte und Sohn an diesem Floh geschätzt hatten.

 

„Das kann er momentan nicht, ja.“ Myōga atmete durch. „Wenn ich meinen alten Freund Tōtōsai richtig verstanden habe, suchen sich magische Schwerter ihren Herrn und verlassen ihn nie – bis er stirbt. Bei Bakusaiga liegt die Sache nun noch einmal anders. Es entstand aus Sesshōmaru-sama selbst. Und ich glaube, es wird ihm auch länger die Treue halten. Wie lange, sei dahin gestellt. Inu Yasha-sama hat bereits bewiesen, dass er zumindest einigermaßen gegen Bakusaiga ankommt, wenn dessen rechtmäßiger Herr es führte. Überdies beherrscht er das Meidō zangetsu, den Pfad der Dunkelheit. Er hat das Blut und die Macht, Hanyō hin oder her, um den Westen zu schützen.“ Er atmete tief durch und rieb zwei Hände ineinander als er zu der Regentin blickte. „Ich muss nur in Frage stellen, ob er das auch machen will.“

„Die Macht eines Fürstentums?“ fragte Mamoru ungläubig.

Jaken sah sich prompt zu einer Antwort genötigt. „Du kennst ihn nicht. Er macht nur, was er will.“

 

Die Hundedame zog ihre Schlüsse.

Ein Hanyō, ja. Peinlich. Aber er war der zweite Sohn ihres Gefährten, gleich, wie sehr sie damals diese Beziehung zu Izayoi gekränkt hatte. Und, er war der Halbbruder Sesshōmarus. Das Bluterbe besaß er, ja.

Und er trug Tessaiga und konnte damit umgehen. Das Meidō zangetsu, ja. Allein damit würde er die Vasallen in Schach halten können, einen Bürgerkrieg verhindern.

Und, sie käme um eine Wiederheirat herum. Ihr Blick glitt zu Mamoru. Ja, er würde sich anstellen ihr Ehemann zu werden, dazu vermutlich auch Fürst Daichi und andere. Es gab nur eine Alternative. „Nun, dann wirst du, Kyoichi, ihn fragen. Jaken scheint ihn zu kennen, du gehst auch mit. - Myōga,“ Denn so sinnvoll sein Beitrag auch gewesen sein mochte – es gab noch etwas Wichtiges. „Geh zu diesem Drachennest und beobachte, ob und wo Bakusaiga sich dort befindet.“

Während sich die beiden Erstgenannten nur verneigten, wurde der Floh fast so weiß wie die gespannten Papiere der Wände.

„Mamoru, ist es dir möglich das Heer zusammen zu halten?“

„Selbstverständlich. Aber meint Ihr wirklich...“ Der Militärführer brach unter dem so goldenen und doch so eisigen Blick lieber ab. Sie vermochte Leute lebend in die Unterwelt zu schicken.

„Ich meine, dass Tessaiga in den Westen gehört und damit auch sein Träger, ja.“ Sie drückte ihr Kreuz durch, kaum gehindert von dem steifen Obi. „Und ich meine, dass von dieser Besprechung kein Wort an Außenstehende gegeben wird. Bis es einen neuen Fürsten in diesem Schloss gibt, werde ich weiter als Regentin fungieren. Danach, nun, ich hoffe, dass es mir der neue Herr erlaubt mich zurück zu ziehen. Sage ihm das, Jaken.“

Wieso er und nicht Kyoichi? Jaken war für einen Moment verwirrt, ehe er begriff. Er war der Kanzler, der erste Minister. Es war seine Pflicht. Und wohl das Letzte, was er für Sesshōmaru-sama tun konnte. Erneut quollen Tränen aus den großen Augen des Kappa. Aber er murmelte: „Eine Frage möchte ich noch stellen, ehrenwerte Regentin. Wir müssen durch die Bannkreise in das Menschengebiet. Zwei Krieger wären sinnvoll...“ Denn weder er selbst noch Kyoichi konnten kämpfen. Sicher, Yōkai, aber...

„Ja. Mamoru, suche die beiden verschwiegensten Krieger aus,“ Damit war die Sache für die Hundedame erledigt und sie zeigte es durch Heben der Hand an. Die Bannkreise um das Arbeitszimmer wurden gelöst. „Brecht unverzüglich auf.“ Und sie würde sich ein wenig zurückziehen, versuchen, mit dem Schmerz zurecht zu kommen, den sie so nie erwartet hatte. Dass Inu Yasha dieses Angebot ablehnen würde, glaubte sie nicht. Fürst eines der vier mächtigen Yōkaireiche zu sein, war kein Angebot, das auch nur ein Mann, den sie je kennengelernt hatte, ausgeschlagen hätte. Sie hatte eine Menge Männer gekannt, angefangen bei ihrem Vater – und alle waren Krieger gewesen. Jedenfalls musste sie sich sammeln. Bald schon würden erste verwaltungstechnische Fragen auf sie als Regentin zukommen und das Leben im Schloss sollte wie gewohnt weitergehen, bis der neue Fürst hier eingetroffen war. Sonst … nun, sonst trafen die Befürchtungen der Berater wohl alle auf einmal zu.

 

Als Kyoichi den vordersten Hof des Schlosses betrat, sah er erstaunt, dass Jaken dort mit einem zweiköpfigen Drachen stand, diesen am Zügel hielt. „Der Drache, werter Kollege?“

„Es eilt,“ meinte der Kappa. „Und ich muss zugeben, dass ich nicht mit Euren Schritten mithalten kann. Überdies kann Inu Yasha dann auch mit fliegen. - Eine Idee, wie wir ihn finden können?“

„Myōga sagte, er lebe in einem Dorf in der Gegend, die die Menschen Musashino nennen, in der Nähe von Edo, weit im Osten.“ Und leider eigentlich praktisch vor der Haustür des Fürstentums der Wölfe. Das konnte noch Ärger geben

„Ja, ich weiß, ich war da oft genug mit Sesshōmaru-sama. Aber zumindest früher ist er oft meilenweit durch Japan gelaufen. Selbst ein Falke könnte nicht ganz Japan absuchen. - Nun ja, wir fangen in Musashino an. Womöglich können uns die Menschen dort Auskunft geben.“

„Mehr Sorgen mache ich mir, wenn uns Wolfskrieger stellen. Was sagen wir dem Herrn der Wölfe?“

„Die Wahrheit. Nun ja, wir suchen den potentiellen Thronfolger, damit er ausgebildet werden kann.“ Jaken seufzte. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“

„Niemand von uns. Aber an einer Nachricht, die ein Shinigami überbrachte, ist leider kaum zu zweifeln.“ Der Haushofmeister blickte sich um, da der Militärführer mit zwei Hundekriegern auf sie zukam. „Ah, danke, werter Mamoru.“

Der Befehlshaber winkte nur und die Krieger traten vor. Ein Hanyō, zugegeben mit Blutrecht. Aber der würde nicht nur ebenso fähig sein müssen wie ein vollblütiger Yōkai, sondern besser. Und, kampfstärker als er selbst. Natürlich war es Hochverrat einen Fürsten herauszufordern, aber es gab auch kleine Tests. Sicher, Tessaiga war legendär, aber bislang hatten sie nur Myōgas Wort dafür, dass der Bastard mit seinem Schwert auch umgehen konnte. Vermochte er wirklich ein Meidō zu schlagen, so war es närrisch sich ihm gegenüber zu stellen. Nun, man würde sehen. Der Preis Herr des Westens zu werden war verlockend.

 
 

Wahl des Fürsten

Though autumn leaves may loop and die

A bud of spring are you

 

Clamavis de Profundis: Castle of Dromor

 
 

Sowohl Kyoichi als auch Jaken blickten sich sorgfältig um, nachdem sie die Bannkreise passiert hatten und in die Menschenwelt gekommen waren. Eine der Bedingungen der Verträge der Yōkaifürsten hatte gelautet, dass man sich nicht mehr dort sehen lassen sollte. Wurm- oder andere einfache Yōkai konnten die Bannkreise sowieso nicht durchschreiten, nicht einmal unter der Erde. Auch sie als Berater waren nur quasi mit der Erlaubnis der Regentin durchgekommen, die damit zwar ihre magischen Fähigkeiten bewiesen hatte, aber leider ebenso die Tatsache, dass der Westen momentan ohne Fürsten war. Gewöhnlich besaß nur der Herr der Länder die Möglichkeit diese Magie zu durchbrechen.

 

Jaken, der auf Ah-Un saß, betrachtete noch einmal kurz die beiden Krieger, die ihnen folgten, ehe er zu seinem Beraterkollegen sah – hinabsah, wie es ihm wahrlich selten passierte. „Also direkt nach Osten,“ meinte er. „Dann müssten wir in die Richtung Edo und damit Musashino kommen.“ Immerhin eine Gegend, in der er vor einigen, vielen, Jahrhunderten selbst gelebt hatte, als König seines Volkes. Und das er verlassen hatte, um Sesshōmaru-sama zu folgen, dem wohl perfektesten Lebewesen.... Er spürte erneut Tränen in den Augen brennen.

„Ja. Und wir sollten lieber keine Pause machen. Das Fürstentum ist in Gefahr.“

„Glaubst du, das weiß ich nicht?“ ereiferte sich der Kappa prompt. „Wozu habe ich denn Ah-Un satteln lassen? Bestimmt nicht, weil ich so gerne reite.“

Kyoichi hob begütigend eine Klaue. Er wusste, dass Jaken nicht nur der erste Minister gewesen war, sondern mit wirklicher Treue, ja Zuneigung, an Sesshōmaru gehangen hatte. So lenkte er lieber ab. „Du hast den Hanyō ja schon kennengelernt.“ Der Haushofmeister sah geradeaus. „Myōga meinte, er beherrsche Tessaiga. Stimmt das? Gewöhnlich beherrschen dämonische Schwerter ihre Herren, wenn sie zu schwach sind.“ Nun, selbst die von Allerweltsschmieden. Und Tessaiga galt ebenso wie Tenseiga für die Meisterstücke des legendären Tōtōsai, der freilich auch mehr als kauzig war und den schon lange niemand mehr zu Gesicht bekommen hatte.

Der alte Kappa schüttelte unwillkürlich den kahlen Kopf. „Inu Yasha mag ein Hanyō sein und zumindest früher auch oft genug ein Idiot, naja, kaum erwachsen – aber du solltest dich ihm nicht in den Weg stellen, wenn er dieses Schwert in der Hand hat. Ich habe schon Kämpfe gesehen...“

„Dann stimmt die Sage, dass er gemeinsam mit Sesshōmaru-sama So´unga in die Unterwelt schickte?“

„Ich war dabei, Kyoichi, ich habe zugesehen.“ Jaken seufzte, als er an seinen verstorbenen Herrn dachte. „Wer ihn unterschätzt, nur, weil er ein Hanyō ist, wird sich wundern. Aber, da muss ich Myōga leider recht geben – es ist fraglich, ob er das Fürstentum übernehmen will. Wir sollten uns gute Argumente überlegen.“

„Fürst der Yōkai zu sein ist doch eine der mächtigsten Positionen....“ Der Hundeyōkai brach ab. „Er will keine Macht? Das wäre ungewöhnlich.“

„Früher, also, ich habe ihn ja seit Jahrzehnten nicht gesehen, neigte er dazu ungewöhnlich zu sein. Übrigens in einem Kampf für Gegner oft eine tödliche Eigenschaft.“

„Ich bin nicht gerade ein fähiger Krieger, aber das kann ich mir vorstellen. So merkt man doch, dass er der Sohn eines Daiyōkai ist.“

„Ja.“ Irritiert bemerkte Jaken, dass Ah-Un nach links driftete. Er lenkte ihn zurück, nur, damit der Drache keine Minute später erneut Richtung Süd drehte.

„Kannst du das Vieh nicht lenken?“ murrte Kyoichi unbeachtet aller dämonischen Sachlichkeit, da ihm der Drache schmerzhaft auf den Fuß gestiegen war und er sich definitiv momentan nicht bei Hofe aufhielt.

„Er ist eigentlich nie so stur, außer … Ah, warte.“ Jaken rieb sich die Stirn.

„Auf was?“ nörgelte der gewöhnlich so höfliche Haushofmeister. Es würde Stunden dauern, ehe sich die Knochen in seinem Fuß regeneriert hatten.

„Ah-Un ist ja ein intelligenter Drache, also, Reitdrache. Immerhin hat er zwei Köpfe. Und er machte früher schon immer eigenwillige Dinge....“ Nun ja, vor allem, wenn es um Rin ging. „Hat er vielleicht mitbekommen, dass wir nach Inu Yasha suchen und der ist in der Gegend südlich?“

„Wieso sollte der das wissen?“

„Ja....“ Der Kappa dachte erneut nach, ehe förmlich eine Kerze über seinem Schädel aufzuleuchten schien. „Yōki. In den ganzen Menschengebieten gibt es doch praktisch niemanden mehr mit Yōki!“

Und ein Hanyō, noch dazu der Sohn eines Daiyōkai, besaß das natürlich, das musste der Haushofmeister zugeben. „Das könnte die Suche abkürzen. Falls es nicht jemand anderer ist.“ Aber dann müsste es entweder ein anderer Hanyō sein – oder ein Yōkai, der gegen die Verträge verstieß. Auch in diesem Fall müsste die Regentin informiert werden. Er persönlich wäre ja immer noch dafür der verehrten Inu no Kami die Macht anzuvertrauen. Sie war eine geborene Fürstentochter, Gefährtin des verstorbenen Inu no Taishō, Mutter Sesshōmaru-samas. Ihr Anteil an den Erfolgen der Familie war gewiss größer als ein Außenstehender einschätzen konnte. Überdies war nicht zu verachten, dass sie mit ihrem Medaillon einen direkten Weg in das Jenseits bahnen konnte – für einen einmarschierenden Heerführer sollte das doch eine gewisse Abschreckung bedeuten. Natürlich hatte Mamoru recht, dass das Ärger mit den Vasallen geben konnte, aber auch diese sollten es sich überlegen, ehe sie sich dem Meidō stellten. Aber nun gut. Die Herrin hatte um Inu Yasha geschickt, das war eine klare Anweisung. Und Kyoichi konnte verstehen, wenn sie um ihren Einzigen trauern wollte.

 

Ahnungslos ob der Tatsache, dass er mit Sicherheit der gesuchteste Hanyō im Menschengebiet war, hatte sich Inu Yasha auf dem Hügel niedergelassen. Er schwankte. Was sollte er tun? Im Westen versuchen Sesshōmaru um Unterkunft zu bitten, kurz, dem auf die Nerven gehen? Das endete vermutlich ja doch nur wieder in einem Duell. Unter den Menschen bleiben, die ihm gerade eben wieder einmal bewiesen hatten, dass kaum fünfzig Jahre oder etwas mehr schon dazu führten, dass sie sich an nichts mehr erinnerten? Zu den Wölfen? Füchsen? Auch da wäre ein Hanyō kaum willkommen, nahm er doch schwer an.

Wieder fiel sein Blick auf die Vulkankette vor ihm. Vielleicht war es einfach so, sein Schicksal vorherbestimmt. Kagome hatte ihm geholfen, aber eben nur sie. Aber auf sie zu warten, wie er es eigentlich wollte, wie und wo?

Im nächsten Augenblick wurde ihm bewusst, was er da seit wenigen Minuten spürte. Präventiv hob er kurz die Nase in den Wind, ehe er aufsprang. Das gab es doch gar nicht? Yōki im Menschengebiet? Er hätte gedacht, dass sich alle Yōkai hinter den Bannkreisen befanden?

Da kam wer, ja. Und derjenige kam auf ihn zu. Mehrere. Er blickte nach Westen. Ja, das waren drei Hundeyōkai, der Witterung nach, dazu ein zweiköpfiger Drache... Vorsorglich legte er die Hand an Tessaiga. Boten von Sesshōmaru konnten alles mögliche bedeuten, nur vermutlich nichts Positives.

 

„Ach herrje, er hat schon mal die Hand am Schwert,“ erkannte Jaken. „Gehen wir zwei voran, die Krieger bleiben hier, auch Ah-Un!“

„Er würde doch kaum gleich vier Yōkai angreifen....“ begann der Haushofmeister, ehe er einsah, dass sein Kollege den Hanyō wohl besser kannte. Der würde. Und im Zweifel wohl auch noch töten.

Da sie sich von den anderen lösten, zog Inu Yasha etwas die Augen zusammen. Das war doch Jaken? Eindeutig Nachricht vom großen Bruder. Aber was für eine? Ich bring dich um? Eher weniger, bedachte er dann. Diese frohe Botschaft erledigte nii-san immer selbst. Immerhin waren die zwei Krieger stehengeblieben. Vielleicht war er nach den letzten Tagen auch nur zu misstrauisch und es handelte sich um die schlichte Information, dass er Onkel geworden war? Langsam löste er die Klaue vom Schwertgriff, ohne zu ahnen, dass gleich zwei Ratgeber des Westens aufatmeten, die sich wohlweislich schon in zehn Meter Entfernung verneigten, was wiederum in Inu Yasha ein sehr mulmiges Gefühl im Magen auslöste.

Was war denn da los? So höflich behandelten ihn doch Yōkai nie? Nicht mal Jaken, wenn er sich so recht entsann, wie Kagome den mit Schädeln bombardiert hatte oder Miroku dem jede Menge Beulen verschafft hatte. Und, dass das gefruchtet hatte, wagte er doch zu bezweifeln. Sie kamen näher. In kaum drei Metern vor ihm verneigten sie sich erneut – so tief, dass er sich wirklich fragte, wieso die Beamtenmützen auf den Köpfen blieben. Sicher, bei dem einen könnte sie festgesteckt in den Haaren sein, aber bei Jaken....?

Als sie auch noch vor ihm in die Knie gingen, fehlte ihm jedes Verständnis dafür, was das sollte. Irgendetwas aus Kindertagen erkannte jedoch, dass sie ohne Aufforderung nicht reden würden – höfisches Benehmen. Sekunde. Höfisches Benehmen ihm gegenüber? Naja, wenn er eine Antwort wollte, müsste er wohl fragen. „Nun?“

 

Kyoichi sah mit einem Seitenblick, dass seinem Kollegen schon wieder Tränen in den Augen standen, also übernahm er den Anfang. „Mein Fürst...“

Inu Yasha hätte fast nach Luft geschnappt, denn er glaubte an seinem eigenen Atem zu ersticken. Oder hatte er plötzlich etwas an den Ohren?

So fuhr der Haushofmeister eilig und höfisch gedrillt fort: „Ich bringe traurige Neuigkeit. Sesshōmaru-sama ist in die Unterwelt eingegangen.“

Was? Unmöglich. So alt war der doch nun auch nicht? Oder lief die Zeit hinter den Bannkreisen anders ab? Aber da war Jaken und der sah nicht nur so alt aus wie eh und je, sondern in den großen Augen schwamm Wasser. „Wieso sollte er tot sein?“ war die erste, zugegeben etwas dämliche, Frage. Und das „Fürst“ stand ja auch noch im Raum.

„So, wie es der Shinigami der werten Regentin mitteilte, wurde er ermordet.“

„Ich habe keine Ahnung, was ….“ du geraucht hast, wollte Inu Yasha sagen, ehe ihm dämmerte, dass diese Typen das wirklich glaubten, nun ja, sicher waren. „Das ist unmöglich. Erstens ist er ziemlich stark, zweitens hat er mit Bakusaiga ein Schwert, das wirklich was kann. Und drittens, ich bin der Letzte, der nicht weiß was Tenseiga kann.“ Als er das erste Mal die Windnarbe fand, hatte diese Klinge seinen Halbbruder buchstäblich in Sicherheit gebracht. Und Tōtōsai hatte später bestätigt, dass dieses Schwert unter anderem zu Sesshōmarus Schutz geschmiedet wurde, ebenso wie Tessaiga zu dem seinen.

Das war zu viel. Jaken heulte förmlich auf. „Sesshōmaru-sama ließ Tenseiga ja im Schloss zurück!“

Kyoichi versuchte diese, durchaus berechtigten, Einwände, lieber neutral zu erklären. Immerhin war das der neue Herr des Westens. Wenn der sich dazu entschließen würde. „Mehr wissen wir auch nicht. Die Regentin teilte uns nur mit, dass ein Shinigami ihr das mitteilte. Und natürlich, dass sich momentan Bakusaiga in der Hand der Mörder befindet.“

„Na, herzlichen.... Ihr wisst, was das kann? Wieso ließ er Tenseiga zurück? Ich meine, das Schwert ist darauf ausgelegt ihn zu schützen? Und, wieso sollte er mit ein oder zwei Angreifern nicht klar kommen?“ Inu Yasha gab sich selbst zu, dass ihn diese Botschaft mehr als verwirrte.

Die Rückfragen bewiesen gewisse Kampferfahrung, aber auch Kenntnis des älteren Bruders. „Es dürfte eine Falle gewesen sein, mein Fürst.“

„Ja, klar. Sekunde. Wieso redest du mich so an?“ Das seltsame Gefühl in der Magengegend wurde immer stärker, dachte der Hanyō

„Ihr seid der Letzte der Blutlinie. Und Ihr seid vermutlich der Einzige, der den Westen schützen kann, der Tenseiga führen kann,“ erklärte Jaken hastig, der durchaus erkannte, dass Myōgas und seine Befürchtungen wahr zu werden drohten.

„Was soll ich denn mit Tenseiga? Und im Westen gibt es doch sicher den Einen oder Anderen, der sich um den Job reißt, oder?“

Ach herrje. „Ich weiß nicht, was ein Job ist,“ erklärte Kyoichi behutsam. „Aber Inu Yasha-sama, wenn der Westen ohne Herrn ist, wird er zum Spielball der anderen Mächte. Alles, was Sesshōmaru-sama, euer Vater, der Vater der Regentin in Jahrhunderten an Frieden erreicht hatten, wäre hinfällig.“

„Ihr habt was von einer Regentin erwähnt. Sesshōmarus Frau?“

„Seine Mutter, mein Fürst. So oder so kann allerdings eine Frau kein Heer führen, die Vasallen würden ihr die Treue verweigern,“ beteuerte Jaken. „Bitte, um Sesshōmaru-samas Willen....“ Zu seinem gewissen Entsetzen wandte sich der Hanyō ab und guckte auf die Berge im Hintergrund.

Auch Kyoichi wurde klar, dass da jemand mehr als desinteressiert war. So vermied er die heikle Anrede und rettete sich in eine andere Höflichkeit. „Oyakata-sama, es kann doch kaum in Eurem Interesse sein wenn Bakusaiga in der Klaue von Drachen liegt.“

Inu Yasha wollte schon sagen, dass ihn Massaker jenseits der Bannkreise nichts angingen, ehe ihm die eigentliche Aussage dämmerte. So wandte er langsam den Kopf in einer Art, die beide Berater nur zu sehr an den verstorbenen Fürsten erinnerte. Und alle Zwei beugten eilig die Nacken, zumal die Energie vor ihnen deutlich anstieg, auf ein Level, auf das so mancher Yōkai stolz gewesen wäre.

Aber die Stimme des Hanyō klang noch immer ruhig. Wenngleich nicht aus Selbstbeherrschung, wie es seine Besucher annahmen, sondern in schierer Fassungslosigkeit. „Drachen? Willst du mir sagen, dass Drachen Sesshōmaru umgebracht haben?“

„Ja, oyakata-sama. Es war wohl eine Falle....“ Der Haushofmeister brach lieber ab, da sich der potentielle Herr des Westens ruckartig zu ihm drehte.

„Natürlich war das eine Falle, du Idiot! Mit einem oder zwei Drachen wäre Sesshōmaru doch locker zurande gekommen, oder meinetwegen auch mit fünf!“ Aber Inu Yasha verspürte etwas, das er erst nach ein oder zwei Minuten schweigender Pause deuten konnte. Bitteren Zorn. Sein Vater war, wie er wusste, von Ryuukossusei, einem Drachen, lebensgefährlich verletzt worden, so, dass ihn selbst Takemaru als Mensch besiegen konnte. Und jetzt schneiten da wieder Drachen herein und legten seinen Bruder um, sein einziges noch vorhandenes Familienmitglied? Für was hielten sich diese übergroßen Eidechsen eigentlich? Er nahm sich zusammen. Da fehlte doch noch ein ziemlich großes, schuppiges, Puzzlestück. „Drachen. Ich dachte, da gibt es einen Vertrag mit deren König, der unter dem Meer wohnt?“

„Ja, oyakata-sama.“ Kyoichi war tatsächlich angetan, dass der Hanyō das wusste. Allerdings legte der gerade wieder die Hand an den Schwertgriff. Da war wohl Vorsicht geboten, also ja nicht aufsehen. „König Ryujin hat sich den Verträgen der Yōkai angeschlossen. Allerdings lebt er, wie alle Wasserdrachen, im Ozean und die Erddrachen an Land sind eher sich selbst überlassen. Aus diesem Grund kam vor zehn Jahren Ryuuichi zu... zu Sesshōmaru-sama und bat ihn sich im Westen ansiedeln zu dürfen, um in Sicherheit leben zu können. Er und vier seiner Begleiter. Der Herr genehmigte es, wies ihnen jedoch ein ödes Stück Land in den Bergen zu, um sie von anderen fern zu halten. Zehn Jahre geschah nichts, ehe Ryuuichi im Schloss auftauchte und Sesshōmaru-sama zu einem Empfang, einer Feier, einlud, um ihm zu zeigen, wie sie lebten, Dankbarkeit zeigen. Der Herr ging allein hin und kehrte nicht mehr zurück.“

„Sekunde, du....wie heißt du?“

„Kyoichi, oyakata-sama. Haushofmeister.“

„Schön, du und Jaken... ich dachte eigentlich immer, dass mein Halbbruder viel ist aber nicht dämlich. Wieso also lässt er, wenn er zu einer Drachenparty geht, ausgerechnet Tenseiga zuhause?“

„Diese Frage ist berechtigt, Inu Yasha-sama,“ erklärte Jaken, der zwar keine Ahnung hatte, was eine Party sei, aber den Sinn erriet. „Das fragen wir uns ja auch. Aber natürlich war er uns keine Rechenschaft schuldig.“

Ja, das schon. Und ebenso sicher war Inu Yasha, dass das einen Grund gehabt hatte. Selbst zu Zeiten als Sesshōmaru immer glaubte Tenseiga sei nutzlos, trug der es mit sich spazieren. Wieso also hatte der das ausgerechnet jetzt nicht mitgenommen? Der wusste doch, wie Drachen sind. „Bakusaiga hat also dieser Ryuuichi, Tenseiga liegt im Schloss?“ Da gab es doch eine Möglichkeit?

„Ja, oyakata-sama.“

„Hatte dieser komische Todesgott aus der Unterwelt noch Informationen?“ Da er sah, wie die beiden noch immer vor ihm knienden Yōkai Blicke wechselten, schwante ihm Übles. „Ich höre!“ Die lang vergessene Kindheit als Prinz schlug sich Bahn.

„Nun ja ….“ begann Jaken vorsichtig, nur, um unterbrochen zu werden.

„Ich hasse Sätze, die so anfangen. Kyoichi!“

„Oyakata.-sama...“ Auch der Haushofmeister war nicht so ganz begeistert, wenngleich oder auch weil er an seinem Leben hing. Da lag die Klaue an dem legendären Tessaiga.... Vorsichtig bleiben. „Die Regentin sagte uns nicht mehr, ich bitte um Verzeihung. Falls Ihr weitere Informationen wünscht solltet Ihr mit der Herrin sprechen. Das Einzige, was sie noch erwähnte war, dass es wohl keinen Körper mehr gäbe, Tenseiga also nutzlos sei.“

„Keinen Körper.“ Inu Yasha sagte es tonlos. Sein Einfall sich Tenseiga zu schnappen, zu diesen dämlichen Drachen zu gehen und Sesshōmaru wieder zu beleben war also hinfällig. Schade, zusammen mit dem Halbbruder hätte es bestimmt Spaß gemacht ein paar Schuppen zu rupfen.

„Drachenfeuer, wohl.“ Der Haushofmeister suchte unwillkürlich nach einem Loch im Boden. Er war erfahren genug um stillen Zorn zu erkennen. „Es ist davon auszugehen, dass sie um Tenseigas Fähigkeit wussten.“

Ja, aber wieso hatte dieser Riesenhundeidiot es nicht mitgenommen? Weil er ahnte, dass es eine Falle war und er sich solcherart eine Möglichkeit offen halten wollte? Das wäre immerhin noch eine logische Erklärung. Aber, wenn die Drachen... „Ryuuichi.“ Das war eine schlichte Feststellung.

„Ja, oyakata-sama...?“ Kyoichi konnte damit nichts anfangen.

Jaken eher. Und er versuchte sein Glück. „Inu Yasha-sama, Ihr seid der Einzige, der den Westen und alle seine Bewohner schützen kann. Bitte, folgt unserer und der Bitte der Regentin und kommt mit in den Westen, schützt uns als unser Fürst. Und rächt Sesshōmaru-sama.“

„Keh!“ machte der Hanyō leise. „Soll ich etwa die Regentin heiraten?“

„Nein!“ beteuerte Kyoichi fast entsetzt. „Sie bittet um die Erlaubnis sich zurückziehen zu dürfen. Wir flehen Euch an, mein Fürst... kommt mit uns.“

 

Inu Yasha drehte sich um und betrachtete erneut die Vulkane im Hintergrund. War es erst Stunden her, seit er überlegt hatte sich in einen Krater zu stürzen, weil er nicht wusste wohin mit sich? Es war zugegeben nicht die Lösung, die er gern gehabt hätte, aber eine deutlich bessere Wahl als Lava. Und abgesehen davon konnte sich dieser Ryuuichi schon mal auf seinen Besuch einstellen. Sein letztes Familienmitglied umzubringen und dessen Schwert zu klauen! „Keh,“ wiederholte er. „Ich glaube, ich habe gerade nichts anderes vor.“

 
 

Herr der Hunde

His days of asking are all gone

His fight goes on and on and on

But he thinks, that the fight is worth it all.

So he strikes – like thunderball.

 

James Bond: Thunderball

 
 

Die Gruppe brach auf, die beiden Hundekrieger als protokollgerechte Wache mit neugierigen Blicken auf den neuen Fürsten, hinterdrein.

Inu Yasha beschloss, wenn er schon diesem dämlichen Drachen eins auf die Klauen geben wollte, sollte er zumindest so tun, als ob er Informationen wollte. Da er Jaken nicht allzu viel zutraute, meinte er: „Kyoichi, komm neben mich und erzähle mal im Gehen, was ich wissen sollte.“

Der Haushofmeister seufzte unhörbar, gehorchte jedoch, den höfischen Schritt zurück. Wo sollte er da bei jemandem anfangen, der ganz offenkundig noch nie in einem der Fürstentümer der Yōkai gewesen war, sondern sich lieber mit Menschen abgegeben hatte? Natürlich wäre es unklug so etwas einem Fürsten zu erzählen. Die Hierarchie war unantastbar und die Strafen hart. Er meinte allerdings vorsichtig: „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch auf Ah-Un setzen, dann wären wir schneller.“

„Keh. - Das liegt wohl weniger an mir. Jaken, steig schon auf! Also, Haushofmeister....“

„Äh, ja.“ Da hatte jemand eindeutig keine Ahnung von höfischen Regeln, oder vielmehr wollte sie nicht kennen. Oder auch nur, wenn es zu seinen Gunsten lief. „Das neue Schloss, wie wir es nennen, liegt auf einem Hügel. Es beinhaltet die Verwaltung des Fürstentums, natürlich die privaten Räume der Familie, aber auch Schlosswachen. Im Hauptgebäude liegen die große Audienzhalle, die Privaträume und das private Arbeitszimmer, in einem Seitentrakt die Büros der Verwaltung, die dem werten Jaken untersteht. Ich dagegen mache die Schlossverwaltung und halte dort alles am Laufen, organisiere auch die Audienzen. Wir beide wurden von Sesshōmaru-sama zu Beratern ernannt, ebenso wie Heerführer Mamoru und Myōga, den Ihr wohl kennengelernt habt. Oft war auch die Fürstenmutter anwesend.“

Ach herrje. Der große Bruder musste ja ziemlich einsam gewesen sein, wenn er Mama, Flohopa und Jaken als Berater ausgewählt hatte. Aber, da stimmte doch etwas nicht? „Ich erinnere mich kaum an meine Kindheit, aber irgendwie war da der Haushofmeister nicht mit Politik befasst. Mutter schickte dem immer eine Hofdame.“

Oh. Kyoichi hätte fast die berufsbedingt regungslose Miene verlassen. Das war der erste Hinweis darauf, dass der Hanyō auch mütterlicherseits aus vornehmer Familie stammte. Nun gut. Die Herrin wäre wohl auch sehr erzürnt gewesen hätte ihr Gefährte sie für ein simples Bauernmädchen sitzen lassen. „Das ist wohl wahr, oyakata-sama und hat ein wenig mit meinem langen Leben zu tun. Wenn ich ausführlicher erläutern dürfte...“ Er wartete den Seitenblick ab und deutete ihn als Genehmigung. „Bereits mein Vater war Haushofmeister, allerdings beim Vater der verehrten Fürstenmutter. Als dieser starb war der Gefährte der Herrin so freundlich ihm diesen Posten zu belassen. Ihr wisst natürlich, dass Berater und auch die obersten Hofpositionen oft beim Tod eines Fürsten zur Disposition stehen. Der damalige Gefährte der Herrin war Euer verehrter Herr Vater, der mächtige Inu no Taishō.“

Inu Yasha warf ihm einen missgelaunten Blick zu. „Schreib´s dir hinter die Ohren: nur, weil ich sagte, du sollst mir was erklären, bin ich nicht dämlich!“

„Ich bitte um Verzeihung, oyakata-sama!“ Kyoichi neigte eilig den Kopf und betrachtete seine Schuhe im Gehen. Der Hanyō wirkte so jung und unerfahren, aber natürlich war er jetzt der Fürst des Westens, und Berater eines Fürsten zu sein konnte durchaus, nun, gesundheitliche Nachteile mit sich bringen. „Ich lernte bei meinem Vater und wurde schon früh dem Hofstaat der Prinzessin zugeteilt, leitete diesen auch. Nach dem Tode Eures Herrn Vaters und der Abwesenheit Sesshōmaru-samas führte sie die Ländereien in seinem Namen und benötigte dazu auch Berater. Da sie mich lange kannte und freundlicherweise meinen Fähigkeiten vertraute, erhielt ich beide Ämter. Sesshōmaru-sama beließ es dabei.“

„So dienst du schon lange der Fürstenmutter, so ähnlich wie Myōga meinem Vater?“

„Ja. Wir beide kennen uns seit Jahrhunderten. Die Herrin war mit mir bislang stets zufrieden.“ Ein kleiner Hinweis auf die Hoffnung auch der neue Herr würde ihm diese Ämter belassen.

Dann konnte er sich mit Myōga mal über den Kerl austauschen. Moment mal. Der hatte Vater gekannt? Dann könnte er von dem vielleicht auch endlich etwas über den hören? Aber eines war ihm doch aufgefallen. Er war kein Teenager mehr und hatte in seinem Leben durchaus schon fanatische Leute getroffen: jedes Mal, wenn dieser Kyoichi von der Fürstenmutter sprach, ihren Titel erwähnte, klang das wie eine Fanfare. Da war wohl jemand sehr emotional beteiligt. Vermutlich in allen Ehren, sonst hätte den Sesshōmaru bereits gekillt oder auch dessen unbekannte Mutter, wenn sie seinem Halbbruder auch nur etwas ähnelte. „Gut. Weiter. Du erwähntest einen Militär?“

„Ja, äh....“ Der Haushofmeister sah fast hilfesuchend zu Jaken auf. Der Kappa zuckte die Schultern. Er war nicht gefragt worden und durchaus froh darum. Inu Yasha hatte ihm schon vor Jahrzehnten Beulen verpasst – und dessen Menschenbande gleich dazu. So seufzte der Hundeyōkai. „Er stammt aus einer alten Familie, die stets starke Krieger hervorgebracht hat. Er schlug, als wir die Todesnachricht durch die Fürstenmutter erhielten, vor, dass sie neu heiraten solle und so den nächsten Fürsten bestimmen würde, natürlich,“ beteuerte er eilig: „Ehe Myōga an Euer Erbrecht erinnerte. Und, ich gebe zu, dass wir alle in diesem Moment annahmen, dass er sich durchaus in das Spiel bringen wollte. Natürlich sinnlos. Die Fürstenmutter möchte sich eher zurück ziehen, nach dem Tod....“

Sehr emotionell, der Gute, zumal für einen Yōkai. Ob dessen Interpretation stimmte? Aber da war etwas anderes und Inu Yasha sah zu seiner anderen Seite, etwas nach oben um den Drachenreiter zu begutachten. „Ach, Jaken, du hast also zufällig vergessen wer ich bin?“

„Wer könnte Euch schon vergessen,“ gab der Kappa mit gewissem Seufzen zurück. „Ich dachte nur, dass Ihr lieber unter Menschen seid...“ Klang jedenfalls besser, als dass er dem ungestümen Halbblut nicht über den Weg traute, was die Regierung über ein Fürstentum, politische Verhandlungen und das Durchsetzen der Interessen der Familie gegenüber den Vasallen anging. Ungezügelte Zerstörungswut verband er eher mit dessen Kampftechniken. Wobei, der war älter geworden, reifer, ja, aber da lagen auch Schatten im Gesicht, die früher nicht da gewesen waren. Kagomes Tod? Ja, sie musste tot sein, so als Mensch.

„Mit Menschen habe ich momentan weniger am Hut als mit der Nachricht, dass mein Bruder, mein einziger Bruder, von irgendeiner dahergelaufenen Eidechse ermordet wurde, du dämlicher Kappa!“ Er sollte lieber wieder zu diesem Kyoichi sehen, der schien wenigstens einigermaßen sachlich. Ja, über den und diesen Mamoru sollte er sich wirklich dann mal mit Myōga unterhalten. Onkelchen war feige, aber er hatte ihn noch nie betrogen. Das führte zur nächsten Frage. „Weiter. Warum ist eigentlich Myōga nicht hier?“

„Die Fürstenmutter sandte ihn zu den Drachen, er solle herausfinden, ob es Ryuuichi gelang Bankusaiga zu aktivieren oder sich diese Klinge ihm verweigert.“

„Und da schickt sie den nicht gerade tapfersten Floh aller Zeiten?“ erkundigte sich der nominelle Fürst mehr als erstaunt.

„Befehl ist Befehl, Inu Yasha-sama. Und die Dame kann ihren Anordnungen deutlich Nachdruck verleihen. Sie ist nicht nur eine Daiyōkai, sondern besitzt auch ein Medaillon, mit dem sie ein Meidō direkt in die Unterwelt erschaffen kann. Sie erhielt es von Eurem Herrn Vater.“

„Dachte ich mir.“ Interessant. Sie konnte also auch den Pfad der Dunkelheit schlagen? Naja, wohl weniger schlagen, mit einem Medaillon.

„Und immerhin dürfte ein Flohgeist für einen Drachen deutlich unsichtbarer sein als meine Wenigkeit.“

Da hatte der Haushofmeister recht. Naja, höflich war der ja und irgendetwas musste er auch drauf haben, wenn Sesshōmaru den als Berater hatte. Wobei, der hatte ja schon vor Jahrzehnten Jaken versprochen sein erster Minister zu werden. „Mal die andere Frage – wer dürfte gegen mich sein, so als Hanyō?“

„Die Vasallen,“ sagte Jaken prompt. „Durchgehend starke Yōkai mit eigenen Kriegern, die sich Aussicht auf den Fürstentitel ausrechnen, wenn Sesshōmaru-sama eben....“ Er brach ab.

„Keh. Irgendjemand, der mich schlagen kann?“ Er wollte vor Kyoichi – die zwei Krieger trotteten ja ein Stück weit hinterher – nicht gerade sagen, dass immerhin ER Sesshōmaru ein paar Mal mit eingezogenem Schwanz weggeschickt hatte.

Jaken nahm diese Rücksicht fast gerührt zur Kenntnis. Der Junge war wirklich älter geworden, erwachsen. „Ich glaube nicht, aber sie haben natürlich auch Krieger.“

 

Naja, um die Vasallen musste er sich doch eigentlich sowieso nicht kümmern. Er ging ins Schloss, sagte Sesshōmarus Mutter, irgendwie ja seiner eigenen Stiefmutter, höflich Guten Tag, hörte sich noch an, was Onkel Myōga zum Thema Drachenbande zu sagen hatte, und ging dahin, legte diesen Ryuuichi um und nahm Bakusaiga wieder mit. Fertig.

Und der neue Herr des Westens unterschlug selbst vor sich die Frage elegant, was dann mit Bakusaiga oder Tenseiga geschehen sollte.

 

„Wir erreichen gleich den Bannkreis,“ erklärte Jaken, da Ah-Un stehenblieb. „Wir konnten nur durch mit der Genehmigung der Fürstenmutter. Im Prinzip müsstest du... müsstet Ihr hindurch kommen, oyakata-sama. Ihr habt das Bluterbe.“ Im nächsten Moment schrie er auf: „Nein, nicht mit Tessaiga!“

Inu Yasha hielt das rot leuchtende Schwert in der Hand. „Das löst Barrieren,“ erklärte er etwas erstaunt.

Kyoichi, der bestimmt kein Krieger war, hatte überrascht, wie sehr sich diese Klinge verbreitern konnte und dass sie mindestens zwei verschiedene Farben zeigte. Das war sicher kein gewöhnliches Schwert. Aber er erklärte eilig: „Dieser Bann wurde von allen Fürsten und dem Drachenkönig gemeinsam gelegt. Wird der Zauber angegriffen ist das ein kriegerischer Akt. Ihr solltet als Bluterbe die Möglichkeit besitzen hindurch zu gelangen und uns mitzunehmen.“

Das Hanyō seufzte. Sollte er schon wieder erwähnen, dass er etwas nicht konnte, in diesem Falle eben Magie? Aber er schob Tessaiga zurück und sah sich um. Ja, die Krieger waren auch da. „Das Blut reicht, meint ihr?“ Er spürte die Magie tatsächlich und das bewies nur wie stark sie war. Sehen konnte er sie nicht. „Schön, aber wenn ich nicht durchkomme, ist Tessaiga dran.“

Jaken und Kyoichi wechselten einen besorgten Blick. Was genau hatte der neue Herr der Hunde denn an dem Satz das sei ein kriegerischer Akt nicht verstanden? Das konnte ganz schnell in Auseinandersetzungen mit den anderen Fürsten oder König Ryujin enden.

 

Für einen langen Moment hatte Inu Yasha die Befürchtung sich gleich schrecklich zu blamieren, wenn er wie ein Idiot an einem unsichtbaren Hindernis scheiterte. Tatsächlich aber spürte er etwas wie einen leichten Widerstand, einen Schleier, der vor ihm beiseite wich, dann war er offenkundig durch. Und dachte gerade noch rechtzeitig an seine Begleiter und streckte die Hand aus um den Bann offen zu halten. Das brachte ihm eine Verneigung des Haushofmeisters ein, ein zweistimmiges Grunzen von Ah-Un – und sogar respektvolle Blicke der beiden Krieger. Er ahnte nicht, dass er damit vor ihnen bewiesen hatte, dass er der rechtmäßige Herr der westlichen Länder wäre, der aktuelle Fürst.

„So, weiter im Text, Kyoichi,“ sagte er nur. „Wie geht es jetzt weiter, wenn wir zu dem Schloss kommen?“

Beide Berater tauschten wieder einmal einen unwillkürlichen Blick. Der Hanyō wollte sich an das Hofprotokoll halten? Damit hatten sie zugegeben nach seinem bisherigen Verhalten nicht gerechnet. Aber natürlich ziemte sich eine Antwort.

„Wir gelangen zu dem Schloss, nach bisherigem Tempo, ungefähr gegen Abend, oyakata-sama. Ich muss erwähnen, dass die betrübliche Nachricht vom Tode Sesshōmaru-samas noch geheim sein sollte, schon, um die Vasallen davon abzuhalten ihre eigenen Krieger aus dem Militär abzuziehen. Ich würde vorschlagen, dass Ihr Euch direkt zur Regentin begebt, nun, sie dürfte Euch empfangen, und dann das Weitere besprecht. Es gibt ein privates Arbeitszimmer, das von Bannkreisen umgeben ist und so niemand hören kann, was gesprochen wird. Ich würde dann, natürlich Euer Einverständnis vorausgesetzt, auch die Räume des Fürsten für Euch bereit … nein?“

„Nein.“ Das klang entschieden. Inu Yasha verspürte nicht die mindeste Lust sich da auf einen Thron zu setzen und mit Leuten wie Jaken und Kyoichi Tag für Tag zu reden. Da er den fast entsetzten Blick erkannte, er sich mehr als offenkundig blamiert hatte, bemühte er sich instinktiv um Schadensbegrenzung. „Ich werde sicher erst einmal nicht lange im Schloss sein. Wenn da dieser Drache Bakusaiga in der Hand hat, sehe ich als erste Dringlichkeit das zu holen.“

Das stimmte natürlich und bewies einen gewissen Schutzinstinkt des neuen Fürsten. So verneigte sich der Haushofmeister eilig. „Vergebt, daran dachte ich nicht.“

Es funktionierte. So setzte er nach. „Merke ich. Außerdem sind da auch noch die Vasallen. Wenn ich das so recht betrachte, könnte es da auch Ärger geben.“

Kyoichi nahm den Tadel schweigend hin. Es stimmte und er hatte nur an das Protokoll gedacht, aber da warteten wohl einige Schwierigkeiten und auch Kämpfe auf den Fürsten, der ihm das noch recht freundlich erklärt hatte, ohne Strafe.

Jaken dagegen zuckte die Schultern. „Kein großer Ärger, wenn du... Ihr Euch nicht sehr verändert habt, Inu Yasha-sama. Ich meine, oyakata-sama. Besiegt den Einen oder Anderen, die Restlichen werden sich weder Tessaiga noch gar dem Meidō aussetzen wollen.“

 

„Das wäre mal eine vernünftige Eigenschaft...“ Das von Yōkai sollte er besser unterschlagen, immerhin befand er sich hier in einem Fürstentum eben der Yōkai und die hofften offensichtlich darauf, dass er die Sache in Ordnung bringen würde. Was er, zugegeben, bis auf das Problem mit Bakusaiga, nicht wollte. Andererseits war es natürlich bestimmt höflich der eigenen Stiefmutter das Beileid auszusprechen – und die gute Frau überhaupt mal kennen zu lernen. Immerhin konnte sie angeblich ein Meidō zangetsu erschaffen, vielleicht bekam er da auch noch was Neues zu hören? Eines war jedenfalls klar, sie müsste eine Daiyōkai sein, mit den entsprechenden Fähigkeiten. Naja, ob sie dann so begeistert wäre ihn kennen zu lernen, so als Halbblut? Aber, da musste er wohl durch. Immerhin, wenn sie schon nach ihm diese zwei angeblichen Ratgeber schickte, sollte sie ihn auch als Fürsten anerkennen, naja, ihm gegenüber zumindest höflich sein. Und der Haushofmeister hatte doch schon gemeint, sie wolle sich mit seiner, also Inu Yashas, Erlaubnis zurückziehen?

Ach herrje, bedachte er dann. Er wurde offenkundig im weiten Westen wirklich als Erbe des Fürsten angesehen? Das konnte ja nur heiter werden. Nur rasch Bakusaiga besorgen, dem Drachen eine überbraten und wieder weg... Wohin auch immer. „Gut, erster Schritt zur Regentin zu gehen. Hat sie auch einen Namen?“ Der entgeisterte Blick Kyoichis sagte genug. „He, wie soll ich sie ansprechen? Keibo-sama?“ Verehrte Stiefmutter.

 

„Das wäre sehr freundlich von Euch,“ bekannte der Haushofmeister. Immerhin hätte es der Fürst auch bei „Du“ belassen können und sie zu einem Schatten im Frauentrakt machen können, ohne Rang. Er war sicher, dass das seine Herrin am meisten fürchtete. So versuchte er ihre Besonderheit zu erklären, die ihn seit Jahrhunderten zu ihrem ergebensten Diener machte. „Sie trägt auch den Ehrentitel Inu no Kami, der ihr einst von ihrem Vater verliehen wurde, als Musterbeispiel einer Hundeyōkai. Ihre Magie ist außergewöhnlich.“

Und dann gleich Göttin? Na, die Dame sollte er sich mal angucken. „Gut. Dann muss ich also noch den Militär, diesen Mamoru begrüßen?“ erkundigte sich der Hanyō doch aus gewisser dunkler Erinnerung an seine Kindheit. „Und natürlich Onkelchen, wenn er wieder da ist.“

„Onkelchen?“ wiederholte Kyoichi verständnislos.

„Myōga- jiiji. Er war der Einzige, der mir nach dem Tod meiner Eltern etwas erklärte.“

 

Der erfahrene Hundeyōkai nickte nur. Oh. Diese neue Information musste überdacht werden. Myōga war treu gegenüber der Familie, das hätte er nie bezweifelt, aber offenbar hatte der verstorbene Inu no Taishō da Anweisungen hinterlassen – und Sesshōmaru-sama hatte nie daran gerührt. Das wiederum bedeutete, als der Flohgeist Berater im Westen wurde, konnte es nur mit Genehmigung Inu Yashas passiert sein. Die Halbbrüder hatten sich also durchaus verstanden. Das wiederum bestätigte ja auch die Gerüchte sie hätten das Höllenschwert gemeinsam in die Unterwelt geschickt. Und Jaken hatte heute gesagt, er habe dabei zugesehen. Natürlich fiel so etwas unter eine gewisse Schweigepflicht. Genaueres war da weder von Jaken noch von Myōga zu bekommen. Kyoichi verstand es. Er würde sich auch lieber in Stücke hauen lassen als das Vertrauen der Regentin zu enttäuschen. Er liebte sie, seit er ihr zugeteilt worden war, natürlich ohne jede Hoffnung. Sie war aus fürstlichem Haus, eine Daiyōkai, und alles, was er tun konnte, war für sie zu leben. Und das tat er.

 

Die Sonne berührte schon die entfernten Berge, als Inu Yasha vor sich aus der dünn bewaldeten Ebene Gebäude aufsteigen sah. Zu seiner gewissen Überraschung sah das Yōkaischloss denen der Menschen doch recht ähnlich, wenngleich ohne sichernde Mauer drumherum. Allerdings standen an den Zugängen zwischen den Gebäuden Krieger, alle so ähnlich wie die beiden Hunde hinter ihm in den Farben des Westens gekleidet. Das Hauptgebäude war zweistöckig und überragte die umgebenden Verwaltungshäuser. Er war sicher irgendwo befand sich auch ein Garten, wenngleich der aus dieser Distanz nicht zu sehen war.

Im Haupthof, der durch ein mehr oder weniger symbolisches Tor vom eigentlichen Haupthaus abgetrennt war, tummelten sich eine Menge Leute – alles Yōkai.

 

„Ist das immer so voll?“ erkundigte er sich im Näherkommen.

„Äh, nein, oyakata-sama,“ erwiderte Kyoichi sichtlich nervös. „Es scheint Besuch da zu sein, ein Vasall mit Gefolge, also Kriegern. Es könnte natürlich sein, dass der ... verärgert ist, weil ihn Sesshōmaru-sama nicht empfängt.“

„Keh! Was wurde dem denn gesagt?“

„Nun ja, es sollte noch geheim sein dass der... Jedenfalls wurde wohl gesagt, dass der Fürst unterwegs ist.“

„Na, toll.“ Inu Yasha entschied spontan. „Dann sollte er das erst mal auch nicht wissen. Ich bin eben auf Familienbesuch, oder?“

„Ja, äh, es wäre wohl nur gut, wenn Ihr Euch mit der Herrin zuerst absprechen würdet...“

„Klar. Kommt, rein ins Vergnügen.“

Kyoichi sah ein wenig überrascht, ja, überfordert, zu Jaken, aber der zuckte nur die Schultern. Er hatte in seinem wirklich langen Leben noch niemand außer Sesshōmaru-sama und eben diesem Hanyō kennengelernt, die sich mit Wonne in Ärger stürzten. Und das auch noch meist zu Recht, zugegeben. So schnalzte er und ließ Ah-Un anfliegen.

 

Im Hof standen sich derweil mit Mamoru der momentan ranghöchste Militär und Beamte des Schlosses und ein Provinzfürst gegenüber, der mit dreißig Krieger hier eingetroffen war und mehr als empört über die Tatsache war, dass der Fürst nicht zu sprechen sei.

Mamoru bemühte sich um Deeskalation, schließlich sollte der Tod des Fürsten noch geheim sein, der Hanyō, gleich was der konnte, war jedenfalls noch nicht eingetroffen. „Werter Kori-sama, ich möchte Euch wirklich bitten Eure Contenance zu wahren. Ihr kommt hier unangekündigt an – es ist doch nicht verwunderlich, dass sich der Herr zu Besuchen bei anderen Vasallen aufgemacht hat. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig.“

„Da hat er doch glatt recht, oder, Kori?“

Der Vasall fuhr herum, aber auch Mamoru guckte den ihm unbekannten jungen Mann in der roten Kleidung, ein Suikan, den Adelige zur Jagd trugen – oder auch Zweitgeborene - , mit langen weißen Haaren und eindeutig Hundeohren auf dem Kopf, etwas fassungslos an. In dem Militärführer stieg die Ahnung auf, um wen es sich handeln könnte.

 

Der Provinzfürst, unter Menschen wohl auf Fünfzig geschätzt, mit schwarzen Haaren und bewaffnet, hatte diese Vermutung nicht. „Und, du, der du nichts als ein Hanyō bist, willst mich kritisieren?“ Er legte die Hand an das Schwert und seine Männer folgten unverzüglich diesem Beispiel.

Inu Yasha hob etwas die Brauen. „Ich will dich nicht kritisieren, Kori. Ich mach´s. Kommst hier hereingeschneit wie in eine Taverne, aber ja, der Fürst soll zu deiner Verfügung stehen... Hast du sie noch alle?“ Auch er legte die Klaue an Tessaiga. „So mal zum Mitschreiben. Du bist der Vasall, der Herr der westlichen Länder auch dein Herr. Und du hast hier überhaupt nichts zu melden. Klar.“

Das hatte Kori, ohne Übertreibung einem der mächtigsten Hundeyōkai, auch noch nie jemand gesagt. Aber er erkannte mit Jaken und Kyoichi immerhin zwei Berater hinter diesem Unbekannten. Und so fragte er doch, trotz seines Ärgers: „Wer bist du?“ Er ließ allerdings das Schwert nicht los.

Inu Yasha zuckte etwas die Schultern. „Wer ich bin? Ich bin Inu Yasha, der Sohn des Inu no Taishō, Halbbruder Sesshōmarus. Und, wenn du und deine Männer sich nicht zusammenreißen, bin ich derjenige, der deinem bedauernswerten Hintern den letzten Tritt verpasst um dich ins Jenseits fliegen zu lassen.“ Er hatte Vater und Halbbruder genannt. Er hatte eine Familie. Irgendwo wurde ihm seltsam warm. Er war kein heimatloser Irgendwer, er hatte eine Familie. Und wenn sich dieser Kerl nicht vom Acker machte.... „Wenn du eine Audienz willst, da ist Kyoichi, der Haushofmeister. Und da meldest du dich an. Wie es sich gehört. Wenn du es eilig hast, kannst du dann mit mir reden. In der Audienzhalle. Oder du bist tot. Ist manchmal schon Leuten passiert, die mir schräg kamen.“

 

Kori war kein Narr. Es war eine Sache beleidigt zu sein, weil man annahm, der Fürst missachte einen – und eine zweite, wenn der tatsächlich nicht da war und man sich wohl soeben mit dessen Erben als Stellvertreter und damit der Nummer Zwei anlegte. Das war Hochverrat, Hanyō hin oder her. Er musste sich nicht umsehen, um zu wissen, dass sich Mamoru verneigt hatte, seine Krieger heranwinkte, dass oben vor dem Schloss die Inu no Kami erschienen war. Seine Karten standen nicht sonderlich gut. So gab er den Schwertgriff frei und neigte etwas den Kopf. Nicht zu viel. Das war der Bastard. „So werde ich warten, bis der Fürst Zeit für mich findet.“

„Gut.“ Inu Yasha befand, dass es auch vor den Kriegern des Westens hier mal Zeit wurde zu zeigen, wer er war. „Ich würde fast sagen, dass du lernfähig bist.“ Er zog, sah, wie der Provinzfürst unwillkürlich auch zur Waffe greifen wollte, und drehte sich etwas. „Und durchaus kluge Entscheidungen für dich und deine Männer treffen kannst.“

Kori sah erstaunt, wie sich die Klinge verbreiterte, spürte die magische Macht im Stahl. Das musste Tessaiga sein, das legendäre Schwert des zweiten Sohnes, ja, er hatte davon gehört, allerdings auch davon, dass der unter Menschen lebte. Und, wieso färbte sich die Klinge um, wurde dunkel?

Inu Yasha zielte wohlweislich in den Himmel. „Das nennt man den Pfad der Dunkelheit. Wer ihn betritt landet in der Unterwelt. Lebendig.“

Kori atmete tief durch, als sich ein schwarzer Tunnel öffnete. Es war nicht die Finsternis, es war diese Kälte, die alle hier im Hof erfasste – Vorbote einer Welt, die sie sämtlich irgendwann erreichen würde. Da sich der Hanyō wieder umdrehte, bereits die Klinge in der Scheide, atmete der Provinzfürst erneut tief durch und neigte den Kopf. „Ich habe verstanden, Inu Yasha-sama. Ihr braucht mich nicht mehr zu überzeugen.“
 

Mutter des Fürsten

I can't be cool, without words;

I can't be cool, without reacting;

I can't be cool, because I now know that indifference

closes the doors of humanity.

 

Ghost in a shell

 

 
 

Die Regentin hatte nicht umhin gekonnt, aufgrund der Nachricht, die ihr Mamoru geschickt hatte, schleunigst in den Hof zu gelangen. Zu wichtig war es, dass die Vasallen still hielten bis der zweite Sohn ihres Gefährten, Inu Yasha, da wäre. Nun, sie wusste wenig über ihn, natürlich, dass er der Spross einer Menschenfrau war. Diese Eigenheit ihres Gefährten hatte sie nicht geschätzt, aber doch erduldet.

Als er dann mit seinem Plan über zwei Schwerter und zwei Söhne angekommen war, hatte sie sich freilich die Bemerkung nicht versagen können, wieso er so sicher sei, dass Izayoi keine Tochter bekäme, aber das hatte er verschwiegen. Und dann war er tot gewesen und sein so genannter Jahrhundertplan hatte Gestalt angenommen: Sesshōmaru dazu zu bringen, dass er seine Macht zugunsten anderer einsetze, seine Grenzen erkenne – und Inu Yasha zu schützen, der als Hanyō sicher genau das benötigte, sogar den Schutz vor dem Blut seines Vaters. Das alles in der ergänzten Hoffnung, dass die Zwei sich eines Tages so weit geeinigt haben würden, dass sie So´unga wieder in die Unterwelt schaffen würden. Nun, sein Plan hatte funktioniert, obwohl er schon lange tot war, und dies hatte in ihr doch eine gewisse Verehrung ausgelöst – und das Bedauern, sein Genie nicht zu seinen Lebzeiten wahrhaft geschätzt zu haben, obwohl sie ihm nie den schuldigen Respekt verweigert hatte.

Als sie aus dem Tor des Hauptgebäudes getreten war, hatte sie sofort die unbekannte Gestalt in roter Kleidung gesehen mit weißen Haaren. Feuerrattenhaar, wie sie ihr Gefährte einst gejagt hatte. Nun, er hatte den Stoff wohl Izayoi gegeben und die hatte vernünftig daraus Kleidung und damit auch Schutz für ihren Sohn schneidern lassen.

Allerdings hatte sie ebenso gesehen, wie der Hanyō ein Meidō in die Luft geschnitten hatte, die Kälte der anderen Welt gespürt, so, wie sie es von ihrem eigenen kannte. Eindeutig, Sesshōmaru hatte dem Halbbruder den Pfad der Finsternis verschafft – und überlassen. Nach dieser gewissen Machtdemonstration sollte der neue Fürst auf deutlich weniger Probleme stoßen, denn das würde sich herumsprechen.

Er hatte sie bemerkt, natürlich. Der eigenartige Schmerz in ihrem Herzen war da, aber sie war zu strikt erzogen um nicht ihre Pflicht zu kennen das Fürstentum für die Familie, für das letzte männliche Familienmitglied, zu sichern.

Er kam auf sie zu ohne sie aus den Augen zu lassen und seltsamerweise verdoppelte sich das Brennen in ihrer Brust. Er sah seinem Vater so ähnlich.... ähnlicher, viel ähnlicher, als es ihr eigener Sohn getan hatte. Augen, Brauen, Nase – alles war wie einst. Der Inu no Taishō, der Herr des Westens.

Und sie hatte einen Fehler begangen, dachte sie noch, als er die fünf Treppen auf die hölzerne Veranda mit einem Satz nahm.

 

Inu Yasha hatte in der Frau oben am Portal schon aufgrund des kostbaren zwölflagigen Kimono die Regentin vermutet, die dort, zwei Hofdamen hinter sich, stand. Aber obwohl sie ihm recht jung erschien, war das eindeutig Sesshōmarus Mutter. Dazu hätte er nicht im Näherkommen die Mondsichel auf ihrer Stirn sehen müssen. Auch die Augen, die Nase, die ganze Gestalt... Eine weiße Boa lag um ihre Oberarme. Alles an ihr war elegant, kostbar.

Aber als er in ihr Gesicht blickte, erkannte er etwas ganz anderes. Ihr Teint mochte porzellanfarben gewesen sein, jetzt wirkte er wie roher Ton - eingerissen. Die Haut spannte sich eng um die Wangenknochen. Das Rot der fein gepinselten Lippen bröckelte leicht. Und der goldene Blick, der sicher so eisig wie der des Halbbruders wirken konnte, war nun matt wie das letzte Mondlicht.

Er musste nur an seine eigene Mutter denken, die um sein Schicksal als Hanyō geweint hatte, um ihn geweint hatte, um zu wissen, dass das Herz dieser Frau gebrochen war. Sie hatte einst ihren Mann verloren, nun ihren einzigen Sohn. Dass sie es noch schaffte sich um das Fürstentum zu kümmern, war vermutlich die letzte Kraftanstrengung, die ihr noch möglich war, und gewisses Mitleid überflutete ihn. Kagome hätte vermutlich gemeint, er solle sie in den Arm nehmen, aber so vor allen Leuten war das natürlich unmöglich, dazu kannte er die höfischen Rollen doch zu gut. Aber er meinte leise, ohne sie aus den Augen zu lassen: „Keibo-sama.“ Verehrte Stiefmutter. Dass er sich nicht verneigte, sondern nur ein wenig den Kopf senkte, war dabei nur natürlich – und passte, ohne, dass er es bedachte. Der Fürst grüßte, wenn er höflich sein wollte, nur mit einem leichten Senken des Kinns.

 

Die Verneigung der einstigen Fürstenmutter fiel deutlich tiefer aus, auch, weil sie diese Begrüßung erleichterte. Die Hofdamen hinter ihr beugten sich noch einmal weiter, zu gewohnt daran, dass das Zeremoniell eine gewichtige Rolle bei Hofe spielte.

Die Regentin richtete sich wieder auf, obwohl sie keine Aufforderung dazu erhielt, aber sie vermutete, dass der Hanyō davon keine Ahnung hatte. Es war schlimm genug, dass sie ihn nicht höflich begrüßt hatte, ehe er vor ihr stand, aber er schien das nicht zu wissen. „Inu Yasha-sama, ich bin erfreut Euch im Schloss des Westens begrüßen zu dürfen.“

Nein, das war sie sicher nicht, dachte er prompt. Sie hätte hier lieber den eigenen Sohn stehen. Aber schön, Leute wie dieser Kori sollten nicht mitbekommen, dass sich an der Spitze des Fürstentums etwas tat. Sie war sehr selbstbeherrscht. Eingedenk des Rates von Kyoichi meinte er: „Vielleicht gehen wir in das Arbeitszimmer.“

Sie neigte zustimmend den Kopf. „Ich darf bitten, Inu Yasha-sama.“ Ihn nur nicht als Fürst ansprechen, dachte sie noch. Das wäre zu fatal für sie selbst, würde ihr endgültig jede Hoffnung rauben. Wobei, hoffen war einer Daiyōkai ebenso unwürdig wie das Nicht-Wahr-Haben-Wollen des ersten Augenblicks.

 

Nur wenige Minuten später waren sie zu zweit im Arbeitszimmer und sie ließ sich auf ihren Platz nieder, etwas überrascht, dass der Hanyō stehen blieb, sich nur umsah. „Die Bannkreise sind aktiviert,“ erklärte sie daher ein wenig unhöflich. Auch jetzt erinnerte er sie sehr an seinen Vater. Erst gucken, sichern. Ein Krieger, der scheinbar selbstverständlich sein Schwert abzog und in den Ständer neben Tenseiga stellte. Ihre Verwunderung stieg, als er sich näherte, sich jedoch nicht auf das Kissen niederkniete, auf dem der Fürst saß, sondern sich auf den Rand des Podestes setzte, fast zu ihren Knien, als sei er ein Kind und sie seine Mutter. Er musterte sie forschend, schwieg jedoch. Und solange der Fürst nicht sprach, durfte sie auch nichts sagen. Arg genug, dass sie ihn auf die Bannkreise hingewiesen hatte.

 

Inu Yasha sah beiseite, zum Schwertständer. Tessaiga und Tenseiga. „Warum hat er es nicht mitgenommen?“ erkundigte er sich abrupt.

Die Frage aller Fragen, ja. „Ich weiß es nicht. Ich riet ihm zu einer Leibgarde, aber...“

„Ryuuichi und vier Drachen. Damit sollte er doch fertig werden.“

„Ich weiß es nicht, Inu Yasha-sama.“

Es klang so müde, dass er sie rasch ansah. „Ich muss fragen. Schließlich will und muss ich Bakusaiga von diesen durchgeknallten Eidechsen zurück holen. Ist Myōga eigentlich schon wieder da?“

„Nein.“

„Dann hören wir mal. Aber, ich bin sicher, dass Bakusaiga sich noch gegen den Kerl wehrt. Sonst stünde der schon hier vor dem Schloss.“

Ja, das dachte sie auch. Aber es war immerhin einigermaßen erleichternd, dass der neue Fürst militärisch Ahnung hatte. Das führte zu einem weiteren Punkt. „Darf ich eine Bitte äußern, Inu Yasha-sama?“

„Ihr wollt Euch zurückziehen?“

Die Berater hatten also getan, was sie ihnen aufgetragen hatte. „Ja. Ein Stück nach Westen liegt das Schloss meiner Geburt.“

Und dort könnte sie in Ruhe trauern. Es war reines Verständnis und Mitleid, das ihn es so formulieren ließ: „Ein wenig brauche ich Euch noch hier, Keibo-sama. Wenn ich mit diesem Ryuuichi ein paar Schuppen rupfe, muss hier jemand sein, dem man ein Fürstentum anvertrauen kann. Und dieser Kori, dem würde ich nicht mal die Bewachung der Speisekammer anvertrauen.“ Der würde die prompt fressen und den Rest seinen Männern überlassen. Myōga und Jaken waren loyal, aber damit sicher überfordert, wenn ein Kerl wie dieser Kori aufschlug. Mamoru und Kyoichi waren Unbekannte.

 

Etwas zuckte um ihren Mundwinkel. Es war kein echtes Lächeln, aber doch gewisse Erleichterung. Dass er sie gehen ließ, dass er den ersten Vasallen schon mal richtig einschätzte, dass sie bei aller persönlichen Trauer zumindest das Fürstentum in gute Hände geben konnte. Er ähnelte seinem Vater. So sehr.

Der Hanyō ließ die Klauen nachlässig zwischen den Knien baumeln. „Vielleicht könnt Ihr mir sagen, wieso Sesshōmaru die Drachen sich hier überhaupt ansiedeln ließ?“

Sachliche Fragen, dazu persönliches Interesse. Wieder spürte sie eine gewisse Erleichterung, ohne dass der feste Reif um ihr Herz sprang. „Es war und ist allgemein bekannt, dass sich der Drachenkönig nicht oder nur sehr wenig für Erddrachen interessiert, die im Süden mehr oder weniger jeder für sich leben. Ryuuichi gab an, in der Sicherheit eines festen Fürstentums leben zu wollen, er und seine vier Begleiter. Das hier ist nahe genug am Süden, um dort noch Verwandtschaft zu besuchen....“ Sie sah zu ihm. So waren sie buchstäblich auf Augenhöhe und sie begriff plötzlich, warum er sich so niedergelassen hatte. Rücksicht für eine Daiyōkai von einem Hanyō? Impulsiver Zorn wallte in ihr auf. Sie drängte ihn rasch zurück. Es war nutzlos. Das Fürstentum musste für die Familie gesichert sein, das war alles, was zählte.

„Und außerdem gedachte er mit fünf Drachen auch so zu Rande zu kommen. Warum also ging das schief? Magie?“ Und, hatte der Hundeidiot was davon geahnt und deswegen Tenseiga zurück gelassen? Als Schutz für sich, seine Wiederbelebung? Oder, damit nicht dieses Schwert auch noch in die Klaue von Drachen fallen würde? Warum war er dann hingegangen? Und warum hatte er Bakusaiga mitgenommen? Weil diese Klinge sich besser gegen eine feindliche Übernahme wehren konnte? Nun, er selbst wusste wie Tessaiga das sah und Tenseiga war ja wohl das Zwillingsschwert. Gab es einen anderen Grund den besten Schutz zuhause zu lassen?

Sie schüttelte leicht den Kopf, als sie auf die Matten blickte. Sie wusste es auch nicht. Nur: „Nicht alle Drachen besitzen Magie, schon gar nicht in einem Ausmaß, dass sie einem Daiyōkai gefährlich werden könnten. Und Ryuuichi samt seinen Leuten eher gar keine. Einfache Krieger, dem Yōki nach zu urteilen.“ Sie hatten sich alle dem Fürsten des Westens vorgestellt. Sie war anwesend gewesen, schon um Magie feststellen zu können, aber es hatte keine gegeben.

„Na, fein. Ich werde dann, sobald Onkelchen zurück ist und was über diese Drachenbande erzählt hat, da hingehen und Bakusaiga zurück holen. Dann sehen wir weiter.“ Er stand auf, drehte sich jedoch noch einmal zu ihr um. „Danach, denke ich, könnt Ihr Euch zurückziehen. Und bis er da ist ….was könnte denn in den nächsten Tagen noch an so Idioten hier aufkreuzen?“

Sie sah zu ihm auf, versagte es sich jedoch die Schultern zu zucken. „Es sind keine Vasallen eingeladen. Es besteht nur die Möglichkeit, dass Fürst Daichi, genannt Fürst Okami, einen Boten sendet.“

„Aha. Und wer ist das? Wolfsfürst? Der aus dem Osten?“

Er hatte unter der minderen Rasse gelebt und konnte es nicht wissen. Immerhin erstaunlich genug, dass er doch vom Ryujin und den anderen Fürsten gehört hatte. Myōga, vielleicht. „Oh, nein, Inu Yasha-sama. Fürst Daichi lebt im Norden. Sein Fürstentum ist das letzte außerhalb der vier offiziellen. Es handelt sich um ein nicht zu großes Territorium, das zwischen dem Westen und dem Norden liegt. Sowohl... Sesshōmaru als auch der Fuchsherr versuchten ihn zu überzeugen sich mit ihnen zu verbünden. Es ist der strategische Knotenpunkt zwischen den beiden Fürstentümern.“

„Und er blieb lieber der eigenständige Fürst?“

„Ja. Er ist... mir wurde gesagt, ein wenig schwierig, aber ein sehr guter Feldherr. Sein Fürstentum ist von steilen Bergen umgeben und einfach zu verteidigen. - Sesshōmaru erkannte eine Chance und reiste zu offiziellen Verhandlungen dort hin.“ Wie schwer es ihr fiel den Namen auszusprechen. „Fürst Daichi selbst ist der Sohn eines Wolfes und einer Hundeyōkai, ein Wolfshund. Ihm selbst hat seine Hauptfrau, eine Hundeyōkai, nur eine Tochter zur Welt gebracht. Trotz etlicher Nebenfrauen gab es keinen weiteren Nachwuchs.“ Angeblich hatte er neunundvierzig Konkubinen. Und nicht eine war schwanger geworden, was durchaus zu Spott für ihn geführt hatte. Wohl mit ein Grund, warum er gegen jeden seiner Leute hart zuschlug, der sich nicht bedingungslos fügte.

„Das heißt, er hat keinen Erben? Außer der Tochter?“

„Ja. Und Frauen sind nicht erbberechtigt, wie Ihr natürlich wisst.“ Sonst säße sie nicht hier, kniete vor ihm.

„Ah ja“ Inu Yasha schwante plötzlich Übles und er ließ sich wieder auf seinen vorherigen Platz an der Podestkante nieder. „Lasst mich raten. Sesshōmaru war ganz Stratege und bot dem guten Daichi an die Tochter zu heiraten und so das Erbe für den Westen zu sichern?“

Sie neigte zustimmend den Kopf. „Und er bot Daichi an, dass der als selbstständiger Fürst bis an sein Lebensende regieren könnte.“

„Und wenn dieser Daichi hört, dass Sesshōmaru tot ist, könnte er sich den Füchsen anschließen?“

„Nun, auch der Herr der Füchse hat einen Erben....“ Sie atmete tief durch. „Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass der Vertrag nur vorsieht, dass die Tochter den Titel Fürstengemahlin des Westens erhält, nicht personalisiert mit wem.“

„Na, danke.“ Von verzweifeltem Hanyō zum Herrn des Westens und Bräutigam? Das war ja zu ….Toll. Bruderherz hatte sich offensichtlich erfolgreich aus dem Staub gemacht und er sollte hier jetzt aufräumen? „Daichi wird schon nicht ausgerechnet jetzt einen Boten schicken, oder?“

„Das wäre das größte anstehende Thema. Bis auf natürlich Bakusaiga und die Drachen.“

„Ja. Und das hat für mich erst einmal Vorrang.“ Als ob er irgendjemanden außer Kagome heiraten wollte! Hoffentlich gab es nicht noch so ein paar nette Überraschungen. Egal. Er wartete auf Myōga, ging zu den Drachen, brachte die um, nahm Bakusaiga und kam wieder her.... und dann? Zum ersten Mal dämmerte ihm, dass er die ganze Angelegenheit womöglich zu einfach gesehen hatte. Er musste sich dringend etwas überlegen. „Oh, eine Frage habe ich noch. Gibt es in diesem Schloss was zu essen?“

Die Daiyōkai blickte überrascht zu ihm. „Um alle diese Dinge kümmert sich Kyoichi. Er ist fähig.“

„Gut.“ Wie sollte er das jetzt sagen? Seine Kindheitserinnerungen waren nicht besonders gut. „Dann zieht Euch zurück, Keibo-sama. Morgen sehen wir weiter.“

Sie verneigte sich höfisch, ehe sie sich erhob. „Danke, Inu Yasha-sama.“ Nein, sie sollte nicht nach seiner Mutter fragen, Izayoi war ein Mensch und sicher schon Jahrhunderte tot. Einer Daiyōkai ziemte überdies keine Neugier. „Ich löse die Bannkreise, falls Ihr nichts dagegen habt.“

„Nein, natürlich nicht. - Kann ich die auch legen? Ich habe es nicht so mit Magie.“

Sie hob die Hand. Er war jung, fragte fast wie ein Welpe... Seltsamerweise löste das in ihr etwas aus, das sie nicht deuten konnte. So sagte sie nur formell: „Dann wohl eher nicht. Der kleine Yōkai und auch Kyoichi vermögen es. Diese Tür führt in den privaten Trakt. Ich vermute, Ihr übernachtet in den Räumen des Fürsten?“

Jaken und Bannkreise? Mal wieder etwas Neues. „Ich werde etwas essen.“ Und dann, weil er nach seinen Erfahrungen mit seiner Mutter und Kagomes Tod ahnte, wie sie empfand: „Und ich werde mir mal den privaten Schreibtisch ansehen. Vielleicht hat er irgendeinen Bericht, einen Hinweis hinterlassen, warum er Tenseiga hier parkte. - Ich werde nicht schlafen.“

Das bedeutete, er würde nicht in das Bett ihres Einzigen gehen. Ob er ahnte, wie sie empfand? Das wäre eigen. Zwischen Hanyō und Daiyōkai lagen doch buchstäblich Welten. Aber er war eben der Sohn eines Daiyōkai. Womöglich ahnte er es wirklich.

„Oh, eines noch Wie rufe ich Kyoichi?“

„Sagt das Wort: Diener, wenn die Bankreise weg sind, ein wenig lauter. Der Diensthabende schiebt die Tür beiseite und Ihr äußert Euren Wunsch.“ Sie ging, jeder Zentimeter eine erhabene Fürstin.

 

Inu Yasha ließ sich auf dem Platz des Hausherrn nieder, in dem unsicheren Gefühl sich sonst zu bloß zu stellen. „Diener!“

Prompt wurde die Tür beiseite geschoben und ein Yōkai fiel fast mit der Nase voran in das Zimmer.

Na schön. Brüderchen hatte hier wohl seinen üblichen Charme gezeigt. „Kyoichi soll herkommen.“

„Ja, oyakata-sama.“

Die Tür wurde zugeschoben und es blieb dem Hanyō überlassen festzustellen, dass diese Anrede offenbar für ihn schon ausgegeben worden war. Nun ja, als Haushofmeister war der Kerl wohl keine Fehlbesetzung. Hoffentlich konnte der ihm auch was zu essen beschaffen, er hatte doch schon Tage nichts in den Bauch bekommen.

Kyoichi konnte, zumindest sagte er Essen zu und dass er es in den privaten Trakt des Fürsten liefern lassen würde.

 

Inu Yasha stand so nur zehn Minuten später zum ersten Mal in seinem Leben im Schlafzimmer seine Halbbruders und blickte sich um. Ein Podest aus Tatamimatten, dahinten wohl ein Waschraum, alles sehr einfach ohne Dekor eingerichtet, im deutlichen Unterschied zu den offiziellen Räumen. Auf dem Podest lag eine Decke und ein oder zwei Kissen, aber das interessierte ihn nicht. Er wollte nicht schlafen. Besser war für seine Absicht das kleine Schreibpult unter dem Fenster, ordentlich mit Tinte und Feder, daneben ein ganzer Stoß Papiere. Vielleicht fand er da den Bericht den er suchte – etwas über Drachen.

Dennoch war es eine sehr eigene Empfindung im Magen als er sich dort niederließ. Die Witterung nach Sesshōmaru hing noch in der Luft und er bekam das Gefühl etwas Verbotenes zu tun. Aber da musste er wohl durch,

 

Eine halbe Stunde später war er mehr als frustriert und froh, dass eine Schüssel vor ihn gestellt wurde. Eindeutig Gemüsesuppe. Immerhin. Woher das der Haushofmeister auch geholt hatte. Aber, was Inu Yasha so in gewisse Rage brachte war zum einen die Tatsache, wie schwer er sich mit dem Lesen tat. Nun ja, zugegeben, wie oft in den vergangenen Jahren hatte er gelesen oder geschrieben? Zum zweiten: offenkundig, er hatte einen Brief des Drachenkönigs gefunden, in dem der bezüglich vereinbarter Bannkreise gegenüber menschlichen Fischern nachfragte und um eine Stellungnahme aller Yōkaifürsten zum Thema gemeinsame Magie und gegebenenfalls Abgesandte bat, wie auch er schickte. Das klang nach reiner Bürokratie und nach nichts, was einen Fürstenmord initiieren konnte. Wusste Ryujin in seinem Schloss unter dem Ozean gar nicht, was die Verwandtschaft an Land trieb? Auch die Stiefmutter hatte ja gesagt, der kümmere sich nicht darum.

Aber noch war das größte Rätsel nicht gelöst – Tenseiga. Was war damit los?

Hoffentlich kam Myōga bald zurück und brachte Neuigkeiten, denn eigentlich wollte er so schnell wie möglich hier wieder weg.

Allerdings fürchtete er langsam, dass das schwierig werden könnte, spätestens, wenn er neben Tessaiga auch noch Tenseiga und Bakusaiga sein eigen nannte. Zumindest letzteres Schwert würde sich auch ihm verweigern, da war er sicher, Tenseiga vielleicht mitspielen, wenn es darum ging Sesshōmaru wieder zu beleben, aber sonst vermutlich auch eher weniger.

Wiederbelebung, das wäre doch gar kein schlechter Einfall? Sollte doch der Kerl wieder übernehmen, der so schrecklich gerne Fürst war?

Aber ohne Körper?

Oh man, der Flohopa sollte wirklich irgendeine sinnvolle Idee haben. Und überhaupt, wozu hatte man denn Typen, die sich Berater nannten?

 
 

Pfad der Dunkelheit

Set your hopes up way too high

The living's in the way we die

Living daylights
 

A-ha: Living daylight, james bond

 
 

Im Morgengrauen setzte sich Inu Yasha in das so nüchterne private Arbeitszimmer und harrte der Dinge, die da kommen sollten, wie Frühstück und die Berater, samt der Fürstenmutter. Myōga schien noch nicht wieder da zu sein, jedenfalls hatte sich der Flohopa bei ihm noch nicht gemeldet.

Immerhin tauchte ein Yōkai auf seinen Ruf hin auf und stellte ihm prompt mit einer Verneigung wieder heiße Gemüsesuppe hin – offenbar alles, was Kyoichi auf die Schnelle hatte auftreiben können. Oder vermuteten die Yōkai etwa, dass er kein Fleisch mochte? Auch möglich. Sie hatten seit fast hundert Jahren keinen Kontakt mit Menschen, wohl auch davor nicht mehr gehabt. Mischlinge waren noch seltener, wie er leider nur zu gut wusste. Diejenigen, die es gab, waren oft nicht alt geworden. Shiori oder Jinenji, fielen ihm ein. Was wohl aus denen geworden war?

Während er aß, überlegte er, dass er eigentlich nicht die mindeste Ahnung hatte, was er mit den Beratern denn so beraten sollte. Denn es war doch nur der Bericht Myōgas wichtig, was mit den dämlichen Drachen sei, dann würde er hingehen und Bakusaiga zurückholen. Er warf einen Blick neben sich. Ja, Tenseiga. Was sollte man mit dem denn dann machen? Oder auch eben mit Bakusaiga?

Schön, Tenseiga war das Zwillingsschwert seines eigenen und wie schon gestern hatte er das Gefühl bekommen, dass sich die Klingen freuten beieinander in einem Ständer zu stecken. Sie waren ja mal eines gewesen. Also gut, Tenseiga könnte er mitschleifen. Aber ein drittes Schwert, noch dazu eines, was ihm sicher nicht gehorchen würde? Drei Schwerter, überhaupt, wie sähe das denn aus? Als ob er was kompensieren müsste?

Hatte er gestern, vorgestern, noch wirklich gedacht sein Leben sei vorbei und absolut nichts mehr wert?

Hier schienen das zumindest ein paar Leute anders zu sehen.

Aber Fürst zu werden hatte eigentlich nie gerade zu seinen Wünschen gehört, geschweige denn den eigenen Bruder zu beerben. Naja, immerhin würde er Bakusaiga zurückholen und dann sollten die Anderen doch zusehen, wie sie zu Rande kamen. Tenseiga war ja ohne Körper nutzlos ….Seine Gedanken irrten im Kreis, stellte er fest. Es wurde wirklich Zeit, dass...

Ein Stechen am Hals und er schlug in jahrhundertelanger Erfahrung hin. „Na, Onkelchen, schon da?“

 

Myōga war so glücklich seinen jungen Herrn zu sehen, als dass er bei dieser Begrüßung nur hervorbrachte, noch während er zu Boden segelte: „Oh, Ihr seid gekommen!“

„Hast du etwa daran gezweifelt?“

Der alte Floh hüpfte auf sein Kissen und betrachtete den Hanyō. „Als ich zu Sesshōmaru-sama gehen wollte, weil eben er die Yōkai vereint hatte, wolltet Ihr nicht mit, Inu Yasha-sama.“ Das war doch ein berechtigter Einwand.

Es gab sehr wenige Leute vor denen Inu Yasha das Gefühl hatte sich irgendwie rechtfertigen zu müssen. Aber das war Myōga-jijii, der Einzige, der ihm immer wieder Ratschläge gegeben hatte, der Einzige, der dem kleinen Hanyō doch irgendwie die Welt erklärt hatte – und, der ihn nie in seiner gesamten Kindheit betrogen hatte. „Ja, aber da hatte ich auch keine Lust mich von dem Idioten schräg anmachen zu lassen. Und da lebte auch noch Kagome... Aber, als ich hörte, dass irgendein dämlicher Drache nichts Besseres zu tun hatte als meinen Bruder umzulegen und Bakusaiga zu klauen....“

Ja, der alte Herr hatte durchaus recht behalten mit der Namenswahl seiner Söhne. Sesshōmaru, die Perfektion, die tötet, Inu Yasha, der Schutzgeist der Hunde. „Wann kommen denn die Anderen und natürlich die Herrin?“

„Oh, ich dachte, die kommen freiwillig.“

„Erst, wenn ihre Anwesenheit erwünscht ist,“ erklärte Myōga durchaus bestimmt in der alten Art als Lehrer, noch ehe ihm einfiel, dass das gerade wohl unpassend wäre. „Der Fürst entscheidet, wen er wann zu sehen wünscht.“

Inu Yasha ignorierte das höfisch Fehlerhafte, da er eine andere Ursache vermutete. Der übliche Liebreiz des brüderlichen Eisklotzes, klar. Aber: „Da hast du dich gerade nicht daran gehalten.“

Das stimmte natürlich. Aber er sollte ehrlich sein. „Ach, Inu Yasha-sama, ich war so froh, als ich hörte, dass Ihr eingetroffen seid....“ Wenngleich der Hof von ihm als Regenten sprach und nicht als Fürst. Anscheinend wurde das Geheimnis noch immer gewahrt.

„Und du mein Blut trinken kannst. Hast du eigentlich jetzt siebzig Jahre nichts bekommen?“ Oder war der Alte etwa der Familie untreu geworden? Er hatte ja mal behauptet, dass er nur das Blut dieser Familie trinken würde oder von denen, bei denen sie ihn beauftragten, als er selbst ihm damals gesagt hatte, er solle das Gift von diesem Shinichitai aus seinen Freunden saugen. Irrte er sich oder wurde Myōga tatsächlich rot? Jedenfalls stand ihm Schweiß auf der Stirn. „Aha, doch wer anders?“

„Äh, nein, nein,“ beteuerte der Floh hastig. „Nur, ich sollte es nicht erwähnen.... gegen andere. Sesshōmaru-sama war so frei.“

„Ist dem der Fürstentitel nicht bekommen? - Na, schön. Dann sag mal Bescheid, dass alle kommen sollen und dann kannst du allen gleichzeitig Bericht erstatten.“ Ein tiefer Seufzer ließ ihn den Winzling noch mal in Augenschein nehmen. „Hast du keinen Bericht?“

„Doch, schon, aber...“

„Hau schon ab!“

 

Tatsächlich waren kaum zehn Minuten später alle Berater da und auch die Tür zum Privattrakt öffnete sich – und wurde prompt von außen geschlossen, als die Fürstenmutter eintrat, wie stets sich sehr aufrecht haltend und tadellos gekleidet, das Medaillon über der Brust, mit einer leichten Verneigung, die offensichtlich ausschließlich dem neuen Hausherrn galt.

Inu Yasha musterte sie ein wenig forschend, meinte jedoch nur: „Nehmt Platz, Keibo-sama. Myōga hat Neuigkeiten.“ Sie sah etwas erholter, nun, eher beherrschter aus. Vielleicht beruhigte es sie, dass er hier war? Sie sich wenigstens nicht mehr um das Fürstentum sorgen musste?

Verehrte Stiefmutter? Für den besagten Floh war das schon einmal neu, dass sie sich das von einem Wesen aus der für sie zweituntersten Schublade gefallen ließ. In aller Regel merkte sie sich nicht einmal die Namen der Höflinge, von ihren beiden Damen und Kyoichi abgesehen. Als der Hanyō dann auch noch die Klaue ausstreckte, um ihr beim Niederlassen in den steifen Kimono zu helfen, und die stolze Daiyōkai dies mit einem höflichen Nicken annahm, begriff der treue Diener der Hundefamilie erst einmal nichts mehr. Er musste die Kollegen dringend fragen, was da gestern bei der Ankunft los gewesen war.

Inu Yasha gab die Dame prompt frei und wandte sich ab. „Also, Myōga, du warst bei den Drachen?“

 

Der arme alte Floh schluckte. Nicht, weil er sich vor den Mit-Beratern fürchtete, seine beiden Probleme knieten auf dem Podest – etwas zurück die Mutter, der er jetzt vom Tod ihres Sohnes erzählen sollte und der impulsive neue Fürst, der sich offenkundig mehr als verärgert fühlte, dass da jemand seinen Bruder... war da früher nicht immer was mit „Halbbruder, so viel Zeit muss sein“ gewesen?... umgebracht hatte.

„Es war eine Falle,“ begann er, nur um unterbrochen zu werden.

Inu Yasha murrte prompt: „Das ist uns allen klar, Onkelchen. Was für eine.“

Ach herrje. Der junge Herr, nein, der Herr des Westens war nicht gerade positiv gestimmt. Sachlich bleiben, ermahnte sich der Flohgeist, und vergessen, dass das einst sein Schüler gewesen war. Das war der Fürst des Westens! „Die Drachen hausen auf einer abgebrochenen Bergspitze, die ihnen Sesshōmaru-sama zugewiesen hatte, um die sie einen Ring aus schweren Steinen gezogen haben, ihr Nest, wie sie es nennen. Diese Mauer ist recht hoch, gewiss so hoch wie zwei stehende Drachen in Menschenform aufeinander. Es gelang mir, da zwischen die Steine zu schleichen ohne bemerkt zu werden.“ In panischer Angst erwischt zu werden, ja.

„War dieser Ryuuichi da und trug er Bakusaiga?“

„Ja, aber eben nicht nur er.“

„Vier Begleiter,“ warf die Dame ein, nur, um tatsächlich leicht den Kopf zu neigen. „Vergebt, wenn ich Euch vorgegriffen habe, Inu Yasha-sama.“

„Bedauerlicherweise nein, Herrin.“ Myōga war erneut perplex, wie höflich sie zu ihrem Stiefsohn sein konnte. Namen gemerkt, ließ sich berühren? Oder nur, weil er eben nun der Fürst war? Sie war eine geborene Prinzessin und strikt höfisch erzogen. Gleich. Er holte tief Atem, als er sich an seine zitternde Furcht erinnerte. „Es befanden sich Ryuuichi und ein anderer Drachenkrieger da, von dem ich auch meinte mich zu entsinnen ihn hier gesehen zu haben. Ansonsten befanden sich vier Drachen dort in bodenlangen Kimono in vier Farben des Regenbogens, alle mit einer silbernen Kette um den Hals.“ Und das war mehr als alarmierend.

„Drachenschamanen?“ entfuhr es Kyoichi. „Das ist unmöglich! Oh, vergebt, oyakata-sama.“

Inu Yasha winkte nur unwillig ab. Dieser Floh sollte endlich reden und nicht permanent jeder dazwischen quatschen.

Myōga seufzte erneut, nahm sich aber nach Jahrhunderten als Ratgeber zumal dieser Familie zusammen. „Ich begriff natürlich, dass Drachenmagie erfolgreich auch gegen einen noch so starken Daiyōkai eingesetzt werden kann. Elementmagie, Inu...oyakata-sama, die nur sie beherrschen. Allerdings, um sie perfekt zu machen, benötigt man eigentlich fünf, für jedes Element einen, soweit ich weiß.“ Unwillkürlich sah er zu der Daiyōkai. Magie war wirklich nicht seine, dafür jedoch ihre Stärke.

„Das ist wahr,“ meinte sie langsam, sichtlich an den Rücken des schräg vor ihr sitzenden neuen Hausherrn gerichtet. „Wenn es fünf Drachenschamanen gelungen ist, unbemerkt sich zu Ryuuichi zu begeben, war es ihnen auch möglich, ein Netz aus Wasser, Feuer, Metall, Holz und Erde zu weben, und Sesshōmaru zu fangen, ja, zu töten.“ Elementmagie war überaus schwierig und sie selbst hatte nur wenig Ahnung davon. Dies war ein Spezialbereich der Drachen aus jenen Zeiten, als es nicht nur die Wasser- und die Erddrachen gegeben hatte, sondern auch Drachen der anderen drei Elemente, die inzwischen in den andern beiden Völkern aufgegangen waren. Und kein Yōkai verstand sich dagegen zu verteidigen. Ihr Einziger!

„Keh!“ Inu Yasha legte die Klauen auf die Oberschenkel. „Der hat sich doch gewehrt, oder, Myōga?“

„Ja, ich blieb eine Weile in meinem Versteck...“ Nun, er hatte es nicht gewagt, das unter den Augen von vier Schamanen und zwei Drachenkriegern bei Tage zu verlassen, aber wozu so genau werden. Auch ein Beraterfloh musste sehen, wo er blieb, und seinen Ruf wahren. „Dabei wurde auch geredet, weniger von den Schamanen aber Ryuuichi und seinem Krieger. Der Herr hat sich verteidigt und dabei einen der Schamanen und drei Krieger getötet, ehe er gefangen wurde, da er offenkundig bewegungslos gemacht werden konnte. Ryuuichi nahm Bakusaiga an sich und war sehr wütend, dass er es nicht benutzen konnte, es sich wehrt. Sie, sie haben den Herrn dann getötet. Mit Drachenfeuer, da ihnen Gerüchte um Tenseiga bekannt sind, dass es Tote erwecken könne und sie nichts hinterlassen wollten. Ryuuichi war nicht angetan, dass das nicht auch in seine Hand fiel.“ Das genaue WIE des Todes wollte er wirklich nicht vor der Mutter wiederholen.

Inu Yasha blickte kurz beiseite und schräg hinter sich, aber die Hundedame saß vollkommen regungslos. So meinte er: „Dann wissen wir ja immerhin auch schon mal, dass Bakusaiga nicht bei dem Drachen funktioniert. Und Tenseiga ist hier.“

„Die Drachenschamanen könnten ihm helfen,“ erklärte Jaken ungefragt, aber es ging doch um... um seinen Herrn. „Bakusaiga ist trotz allem nur ein Schwert.“

„Und ein ziemlich mächtiges und stures.“ Ganz der Erschaffer. Der Hanyō legte die Hände wieder auf die Oberschenkel und drückte den Rücken durch, eine Geste, die so einige im Raum an seinen Vater erinnerte. Da kam jetzt ein Plan, dachten sie. „Tenseiga hilft nur bedingt, weil kein Körper mehr da ist, oder? Also muss ein anderer Plan her, ehe diese dämlichen Drachen Bakusaiga funktionstüchtig machen. Mir gehorcht es sicher nicht. Also, ich gehe nicht zuerst zu den Drachen, sondern mache ein Meidō Zangetsu, springe hinein und damit in die Unterwelt und suche Sesshōmaru. Vielleicht klappt Tenseiga ja da auch nur mit der Seele. Immerhin war ich schon ein paar Mal im Jenseits und kam zurück.“

 

Schweigen.

 

Die beiden Berater, die ihn kannten, sahen sich verständnisinnig an, die beiden Anderen starrten etwas konsterniert zu der Fürstenmutter, die zu Boden blickte.

Endlich meinte sie sanft: „Verzeiht, Inu Yasha-sama, dieser Gedanke kam mir bereits auch. Und wenn ich irgendeine Möglichkeit sehen würde, dass das Meidō ans Ziel führt … glaubt mir, ich wäre bereits selbst hindurch gegangen und hätte mein Leben für das seine geboten. Der Tod gibt nichts umsonst frei. Bedauerlicherweise sehe ich keine Möglichkeit.“

Inu Yasha gab seine Idee nicht auf. „Und wenn wir beide unsere Meidō vereinen, vielleicht kann man dann besser zielen?“

„Ohne ein Ziel?“ gab sie nur zurück.

„Wenn wir uns auf ihn konzentrieren?“ Immerhin hatte so etwas, na schön, nicht mit dem Jenseits, aber doch funktioniert.... Er hatte doch bei Kagome, Kaede und Miroku gesehen, wie das ging! Aber er sah jetzt, wie die Daiyōkai den Blick senkte. Da ihm trotz allem klar war, dass sie mehr Ahnung hatte als er, akzeptierte er die stumme Resignation. Aber, es musste doch einfach einen Weg geben!

 

Für das Beraterquartett im Raum wurde gerade klar, dass sich da zwei Leute über Magie unterhielten, die sie nicht einmal nachvollziehen konnten, Fähigkeiten, die keiner von ihnen besaß. Kontakte zum Jenseits besaß diese Familie jedenfalls mehr als alle anderen zusammengenommen. Ein guter Grund, selbst für Mamoru und Kyoichi, sich vorzunehmen, dem neuen Fürsten vorsichtig zu begegnen. Wer wollte schon lebend im Jenseits landen? Nun gut, offensichtlich einen der Anwesenden ausgeschlossen.

„Und, mein Einwand, äh, oyakata-sama,“ begann Jaken lieber vorsichtig. „Ich weiß, dass Ihr bereits im Jenseits wart und ich kenne auch die Fähigkeiten Tenseigas dort ...aber wo Euer Vater begraben ist, ist nur der Vorhof des yomi. Ihr müsst Euch doch noch erinnern, als So´unga die Tore der Unterwelt öffnete, wie diese Seelen sich da drängten...“

Daran erinnerte sich Inu Yasha ungern. „Ich dachte, das ist das für Menschen.“

Myōga seufzte, antwortete aber als Lehrer. „Ja, und sie werden sich vermutlich auch umso mehr um Euch drängen, wenn Ihr Tenseiga dabei habt.“

„Und die Yōkai?“ erkundigte sich der neue Fürst nur. „Die sind da nicht, oder?“

„Nein, aber wie man dann dort hin kommt...“ Der Flohgeist blickte überfragt in die Runde. „Und, ich muss der Herrin zustimmen, der Tod gibt nichts umsonst frei.“

„Man könnte natürlich auch jemanden fragen....“ Jaken rieb sich über das Gesicht. Eine Möglichkeit seinen Herrn wieder zu beleben, ja, mit einem offenkundig verrückten Hanyō als Austausch.... Aber gleich. Er würde Inu Yasha stets gegen Sesshōmaru-sama eintauschen. Jeden Strohhalm nutzen. „Ich meine mich zu entsinnen....“ Er versuchte nicht nur sich zu erinnern, sondern auch eine Formulierung zu überlegen, die ihm keinen Ärger jetzt oder in Zukunft einbringen würde. Sesshōmarus Mutter schätzte offensichtlich auch den Hanyō und es wäre doch fatal, wenn Sesshōmaru-sama wieder leben würde und er selbst von einer ärgerlichen Daiyōkai zu einem nicht minder ärgerlichen Hanyō ins Jenseits geschickt wurde.

„Dann entsinn dich mal etwas schneller,“ kam prompt der Befehl des designierten Fürsten, der in all dem nur Zeitverschwendung sah, wenn nicht irgendwer langsam eine wirklich gute Idee hatte. Berater, keh!

„Ich war vor langen Jahren, ehe ich Sesshōmaru-sama folgte, König eines Kappastammes in den Ebenen von Musashino und schon in dieser Funktion viel mit unserem Schamanen zusammen. Er erzählte mir damals von einem See der Schwelle, mizuumi no shikii, wo eine legendäre Krötenschamanin namens Sorano hause. Der See trägt diesen Namen, weil man von dort aus, wenn man eben Sorano ist, Kontakt zu anderen Welten schaffen kann. Sie redete angeblich dort mit den Göttern, naja, bestimmt mit nur wenigen. Aber da könnte man fragen. Falls sie nicht mehr lebt, solltet Ihr allerdings wirklich in Erwägung ziehen Ryuuichi unverzüglich aufzusuchen. Ich fürchte, die Zeit drängt.“

Die anderen Berater nickten wortlos, selten einstimmig.

Jaken und König? Inu Yasha wollte es fast nicht glauben, aber er saß ja hier momentan auch und alle hielten ihn für einen Fürsten. So traf er seine Entscheidung. Der Vorschlag war immerhin so gut wie jeder andere, naja, um ehrlich zu sein, sogar praktikabel. „Na schön, dann mach Ah-Un fertig, Jaken. Und Onkelchen, du kommst mit. - Ihr zwei könnt gehen.“ Das galt dem Haushofmeister und dem ebenso sprachlosen Militär. Aber alle Berater gehorchten eilig. Dem klaren Befehl eines Fürsten nicht zu gehorchen oder auch zu widersprechen könnte, nun, wozu es anders formulieren, Auswirkungen auf die Gesundheit oder Lebenszeit haben. Keiner von ihnen hatte vergessen, dass Fürst Daichi vor nicht mal wenigen Jahren seinen gesamten Beratern mit einem einzigen Schwertstreich den Kopf gekostet hatte, als sie ihm ehrlich das Offensichtliche erklärten, dass, gleich wie viele Frauen er nehmen würde, die Götter wohl für ihn keinen Sohn vorgesehen hatten. Sesshōmaru-sama und auch der neue Fürst nun, schienen sich da doch zurück zu halten und ließen die Klingen im Schwertständer. Bei zumindest Zweien halfen da auch die Erinnerungen aus der Vergangenheit.

 

Allein gelassen mit der Daiyōkai stand der Hanyō auf. „Ich werde es wirklich versuchen, Keibo-sama, verlasst Euch darauf. Passt Ihr nur gut auf den Westen auf.“ Er bot ihr erneut die Hand um ihr beim Aufstehen zu helfen.

Sie zog eilig ihre Hand zurück, als sie vor ihm stand, suchte gegen das höfische Protokoll seinen Blick, Gold versank in Gold, ehe sie sehr leise und betont sagte: „Ich werde das Fürstentum schützen, so gut ich es vermag. Und, ich werde mich auf Euch verlassen, Inu Yasha-sama. Und das Eine verspreche ich Euch: wenn es Euch gelingt meinen Einzigen lebendig wieder hier her zu bringen, werde ich Euch auf Knien danken.“

Inu Yasha war nicht mehr so jung oder unerfahren, dass er nicht begriffen hätte, was diese Aussage für eine Daiyōkai ihm gegenüber bedeutete. Kagome und auch die Anderen... er wusste jetzt nur zu gut, was nicht nur seine Mutter empfunden hatte. In gewisser Verlegenheit meinte er nur: „Ich werde bestimmt nicht darauf zurückkommen.“ Er wandte sich um und ging, ohne ihr die Erlaubnis gegeben zu haben sich zurückzuziehen, aber sie nahm es auch so zur Kenntnis.

Ihr Atemzug glich dem verbleichenden Silberstreif am Horizont nach einem stürmischen Tag, den sie nun, entgegen aller Möglichkeiten, entdeckt zu haben glaubte. Hoffnung.

 
 

Rat des Schamanen

This is the way we want it to be

This is the way the honest will see

This is the way of the warrior

 

Hammerfall: The way of the warrior

 

 
 

Als Inu Yasha, die Zwillingsschwerter im Gürtel, das private Arbeitszimmer verließ ignorierte er den Diener vor der Tür ebenso wie den Krieger, der dort stand. Er betrachtete stattdessen zum ersten Mal bewusst direkt die Vorhalle, oder eher, eigentliche Haupthalle des Schlosses – und die sichtlich pflichtbewusst hin und her gehenden Beamten und Krieger. Jeder wusste offensichtlich genau, was er zu tun hatte, wo und wann. Es war geschäftig, aber keine Hast. Das dort rechts neben ihm musste dann folglich die Audienzhalle sein, vermutlich mit einem weiteren Vorraum zum Warten. Und da war auch wieder der große Ausgang in den Hof, das Portal stand nun offen und zeigte ebenso wie die Säulen Holzschnitzereien.

Und, erkannte er dann, Kyoichi kam erneut auf ihn zu, so eilig, wie es einem Haushofmeister möglich war, ohne den Anschein von Hektik zu vermitteln. Was war denn jetzt schon wieder los? Dass etwas passiert war, war klar, denn der Hundeyōkai steuerte direkt auf ihn zu. Das Leben als Fürst schien noch anstrengender und lästiger zu sein als er schon vermutet hatte. Nein, danke. Da sollte wirklich nii-san wieder übernehmen.

Mit einer Verneigung meldete der Haushofmeister: „Ein Bote, oyakata-sama, bittet um Gehör.“

Der Hanyō verbot sich sein unwillkürliches Aufjaulen. „Lass mich raten: von Fürst Daichi?“ Dem Blick Kyoichis nach zu urteilen hatte er ins Schwarze getroffen. „Na schön. Gib ihm zu trinken oder sonst etwas und bringe ihn in zehn Minuten in die Audienzhalle. Und ein Diener soll mir zeigen, wohin.“

„Ja, oyakata-sama. Wünscht Ihr die Berater dabei?“

„Ja.“ Das war wohl protokollgerecht notwendig, sonst hätte der scheinbar perfekte Haushofmeister nicht gefragt.

Zögernd erkundigte sich dieser: „Auch die Inu no Kami?“

Das war also keine Pflicht. „Nein.“ Wie sähe das denn aus? Als ob er einen Babysitter brauche? Überdies hatte sie ihm ja schon die meisten, oder hoffentlich alle, Informationen geliefert. „Weiß er, dass ich da bin?“

„Ich sagte ihm, dass Ihr momentan der Regent seid. Mehr erschien mir nicht notwendig.“ Und, das hatte er wirklich dem nominellen Fürsten überlassen wollen. Dem Herrn vorzugreifen war nicht nur manchmal überaus dumm.

„Gut. Dann geh den Kerl holen.“ Zufrieden sah der Hanyō, wie der Haushofmeister noch kurz winkte und ein Diener mit einer Verneigung zu ihm trat. Naja, Bruderherz hatte hier anscheinend gute Arbeit geleistet. So eine strikte Rangordnung bot schon Vorteile – wenn man an der Spitze der Kette stand. „In die Audienzhalle,“ befahl er nur. Na schön, das jetzt noch und dann ab zu dieser Schamanentour, die Jaken empfohlen hatte. Hoffentlich bekam er da irgendwelche sinnvollen Informationen zum Thema Unterwelt oder Wiederbelebung. Das war eigentlich für ihn wichtiger als so einen Boten zu empfangen. Aber natürlich wäre es auch unglaublich peinlich, würde die Wiederbelebung Sesshōmarus klappen und der ihm später, wenn sie zu zweit im yomi saßen, bis zum Weltende zu Recht vorhalten können, dass er alles vermasselt hatte. Also sollte er mal hier den Herrn des Hauses spielen.

Mit gewissem Zögern setzte er sich auf den Hocker, der auf dem Podest am Ende der prachtvollen Halle stand, und packte Tessaiga und Tenseiga samt den Scheiden in den Schwertständer. Der zeigte ebenso wie im Arbeitszimmer an, dass Bruderherz anscheinend beide Schwerter immer bei sich hatte. Vernünftig, wenn man bedachte, was die waren. Und umso rätselhafter, warum der Hundeidiot Tenseiga nicht mitgenommen hatte.

Der Raum hier war eindeutig zur Repräsentation gedacht, viel prunkvoller als das nüchterne Arbeitszimmer. Wortlos kamen da ja auch die Ratgeber heran, Myōga und Jaken zuerst, dann Mamoru, und setzten sich rechts und links von ihm, unterhalb des Podestes, offenkundig auf angestammte Plätze. Hier war anscheinend wirklich alles genau vorausbestimmt. Lästig irgendwie. Und so gar nicht seins.

Da brachte ja Kyoichi den Boten, einen Wolfsyōkai, wie er schätzte. Der war natürlich unbewaffnet. Beide verneigten sich an der Tür, die von zwei Kriegern in der Kleidung des Westheeres hinter ihnen zu geschoben wurde, die sich wachsam daneben postierten.

Der Haushofmeister verneigte sich ebenso wie der Bote. „Nachricht von Fürst Daichi Okami,“ meldete Kyoichi, ehe er den Neuankömmling stehenließ und sich auf seinen eigenen Platz begab.

„Komm näher,“ sagte Inu Yasha, ahnungslos, wie man solche Boten begrüßte, aber bemüht weder Halbbruder noch dessen Fürstentum zu blamieren, geschweige denn sich selbst. „Welche Nachricht sendet Fürst Daichi?“

Der Wolf verbeugte sich nochmals, ehe er der Anweisung gehorchte um sich dann auf den Boden zu knien und vor zu neigen. Er diente einem strengen Herrn und so zeigte er seine Verwunderung nicht, dass der Fürst des Westens nicht hier war, sondern ein Regent. Nun ja, der Haushofmeister hatte eilig hinzugefügt, es handele sich um den Halbbruder des Fürsten. Das erschien natürlich auch als Möglichkeit, zumal, falls der Jüngere seine Loyalität bereits demonstriert hatte. „Fürst Daichi beehrt sich dem Herrn des Westens anzuzeigen, dass er mit der Braut und deren Ausstattung sich bereits aufgemacht hat.“ Für die Fürstentochter würde sich natürlich der Druck erhöhen einen Sohn zur Welt zu bringen, wenn der Fürst des Westens bereits einen erwachsenen Erben hatte, wollte sie ihre eigene Stellung sichern.

Auch das noch, dachte Inu Yasha. Musste denn alles schief gehen? Und jetzt? Sein Bedürfnis zu heiraten belief sich gegen Null, solange die Braut nicht Kagome hieß. „Wann wird der Tross voraussichtlich hier eintreffen?“

„In sieben Tagen.“

Immerhin etwas. Das war schließlich seine eigene Frist, in der das mit der Unterwelt besser funktionieren sollte. Moment. „Das erscheint mir lange.“

„Die Mitgift wurde auf Esel geladen, oyakata-sama, Tiere. Sie benötigen Futter und Wasser.“

Und natürlich hatte kein Yōkai sich dazu bereit erklärt Träger zu spielen, klar. „Noch etwas?“

„Nun, mein Herr ging davon aus, dass sich der edle Fürst hier befindet...“

„Ich richte es ihm aus, weiter.“

„Er lässt anfragen, ob die Gaben des Bräutigams möglicherweise bereits hier liegen und so die Esel sie gleich mit zurück nehmen können.“

Inu Yasha unterdrückte sein „Keh!“ Der gute Daichi schien ein wenig zu geschäftstüchtig zu sein. Aber der unwillige Regent hatte gewisses Vertrauen in die Organisationsfähigkeiten seines Bruders in den letzten Stunden sammeln können. „Soweit ich weiß, ja. - Dann richte Fürst Daichi Okami aus, dass ich unverzüglich mich selbst auf den Weg machen werde, um den Fürsten zu suchen, damit er pünktlich zum Empfang hier sein kann. - Falls nicht, so bin ich sicher, dass die Fürstenmutter eine sehr freundliche Gastgeberin ist.“ So, das war doch hoffentlich höflich und jedenfalls nicht gelogen, denn ein Wolf würde doch bestimmt merken, wenn er schwindelte.

Der Bote neigte sich erneut, wusste jedoch dass er nicht weiter ungefragt reden durfte. Falls ihn der Regent und Bruder des Herrn des Westens in Ketten zu Fürst Daichi zurückschickte und einen höflicheren Boten verlangte, wäre das dessen Recht – und sein eigener Tod.

Konnte denn hier keiner vernünftig reden? Oder was war noch? Dieses Hofprotokoll konnte einen ja in den Wahnsinn treiben! Inu Yasha machte unwillkürlich eine ärgerliche Handbewegung, die der Wolf nur aus den Augenwinkeln sehen konnte, aber als Erlaubnis zum Reden nahm.

„Darf ich fragen, wohin der edle Fürst Sesshōmaru reiste?“

Für den Fall, dass es Probleme mit Vasallen oder Drachen gab? Daichi war wirklich zu beobachten. Und er selbst wollte dieses Amt mitsamt allen dämlichen Verpflichtungen an den Nagel hängen! Wirklich, lieber in die Unterwelt als das hier. Aber schön höfisch bleiben, Man wollte sich und nii-san ja nicht Schande machen. „Das geht dich zwar nichts an, aber um Fürst Daichi zu beruhigen: mein großer Bruder ist auf einer Art Weiterbildungsreise.“ Hätte er etwa jetzt noch „verehrter älterer Bruder“ sagen sollen? Nicht wirklich. Dieser Riesenhundeidiot hatte sich schlicht vom Acker gemacht und ihm den Stress überlassen!

Der Bote senkte lieber den Kopf. Weiterbildung konnte viel heißen, aber, wenn er von seinem Herrn ausging, so zog sich auch Daichi Okami manchmal zurück um in stundenlangen Meditationen abseits aller anderen sein Yōki und seinen Geist zu stärken. Natürlich hinterließ er da auch keine Adresse, denn das machte man am Besten allein. Fürst Sesshōmaru hatte offenkundig nur seinem Bruder Hinweise hinterlassen, sicheres Zeichen, dass er ihm vertraute.

„Wenn du keinen weiteren Auftrag hast, geh.“ Er hatte nur sieben Tage für seinen Plan Sesshōmaru aus der Unterwelt zu holen, und trotz seines gewöhnlichen Optimismus schien es Inu Yasha als ob die Zeit knapp bemessen wurde. Hoffentlich war das jetzt alles passend gelaufen. Hanyō wollte sich ja nicht unbedingt als den idiotischen kleinen Bruder beweisen. „Myōga, Jaken, an die Arbeit.“

 

Inu Yasha fand es ein wenig eigen auf Ah-Un zu fliegen. Er war früher durchaus schon geflogen, und sei es auf Tanuki, aber da hatte nie zuvor ein Kappa die Zügel gehalten und war vor ihm gesessen, noch der Flohopa auf der Schulter. Geschweige denn, dass er ausgerechnet zur Rettung seines Halbbruders aufgebrochen wäre. Tenseiga schien sich jedenfalls zu freuen und Tessaiga auch, dass sie eng nebeneinander in seinem Gürtel steckten. Wenigstens wer.

Jaken lenkte den Drachen schnurgerade nach Osten und irgendwann erkannte Inu Yasha auch die Gegend. „Wir fliegen nach Musashino?“ erkundigte er sich perplex, ehe er ein wenig ärgerlich über sich selbst erkannte, dass das der Kappa ja gesagt hatte.

„Äh, ja, oyakata-sama.“ Lieber höflich bleiben, Jaken entsann sich durchaus einiger Beulen auf seinem Kopf, die ihm das ungestüme Halbblut verpasst hatte – und der war bedauerlicherweise gerade amtierender Fürst des Westens. Falls der ihm den Kopf abschlug würde kein Hund auch nur nachfragen warum. „Das ist zufällig auch die Gegend in der ich früher lebte und unser Schamane auch. Den muss ich zum Weg zu dem See der Schwelle fragen. Da war ich selbst ja noch nie.“

„Mach.“ Das war ein sehr knurriger Befehl, aber Inu Yasha wollte wirklich weder damit Zeit verschwenden Fürst zu sein als auch länger als notwendig mit dieser Begleitung reisen. Und da lauerte auch noch dieser dämliche Brauttross.

 

So landete Ah-Un auf einer feuchten Wiese und die drei Reiter stiegen ab, Myōga noch immer auf der Schulter des jungen Herrn. Jaken blickte sich suchend und sichtlich nervös um.

„Weißt du nicht mehr, wo der wohnt?“ erkundigte sich der Hanyō prompt.

„Doch, schon, natürlich. Ich weiß nur nicht, ob hier noch er lebt oder sein Nachfolger. Wenn Ihr auf mich warten würdet... äh, nichts gegen Euch oder Myōga,“ beteuerte der fürstliche Berater eilig, da schon wieder eine Hand zur Faust geballt wurde. War der aufbrausend! „Das ist nur... für unseren Stamm... heiliges Gebiet. Da sollte kein Fremder hin.“

Inu Yasha entdeckte einen nahe gelegenen Baum auf einer Art Hügel, der immerhin trockenen Boden versprach. „Na schön. Ich warte da auf dich. He, Onkelchen, komm.“ Er drehte ab und überließ es dem seufzenden Jaken sich zu recken und Ah-Uns beiden Köpfen die Maulkörbe abzunehmen um weiden zu können. Eines der wenigen Male, an dem der Kappa Rin wirklich vermisste. Sie hatte den zweiköpfigen Drachen doch immer sehr zufrieden gestellt.

 

Myōga hüpfte auf das Knie seines jungen Herrn als der sich verhältnismäßig unelegant am Baum niederließ, ein Bein aufgestellt, nicht so höfisch kniend. Aber der Flohgeist hatte lange genug einer kriegerischen Familie gedient, um nicht zu wissen, dass man so schneller auf den Beinen und damit verteidigungsbereit war. „Ihr habt Fragen?“

„Klar, aber vermutlich keine, die du beantworten kannst.“

„Ihr seid fest entschlossen in die Unterwelt, das yomi, zu gehen, um zu versuchen Sesshōmaru-sama zurück zu bringen?“ Da der Blick nur bedeuten konnte: habe ich gesagt, ruderte der Floh mit allen vier Armen. „Ja, aber … ich denke, Ihr kennt das Risiko?“ Er seufzte. „Inu Yasha-sama, ich hänge an Euch, das wisst Ihr. Und...“ Nur ein Rückwärtssatz rettete ihn davor zwischen zwei Fingern eingefangen und gedrückt zu werden. Ach herrje, war der gereizt! „Ich würde Euch ja gerne Informationen zukommen lassen,“ versuchte er es tapfer erneut und kam vorsichtig näher. „Ihr müsst nur sagen, wozu.“

Das glaubte ihm der Hanyō sogar und guckte nachsichtiger. „Myōga, du warst nie in der Unterwelt, du hast keine Ahnung wie man dahin kommt, geschweige denn wer diese Sorano ist... Die Geschichte von Tenseiga und Tessaiga kenne ich, die hat Shishinki und dann ja endlich auch mal der alte Schwertbieger ausgepackt. Was also willst du Neues sagen?“

Der Flohgeist beschloss, dass das Risiko geringer wurde und sprang wieder auf das Knie. „Wenn Ihr mich fragt...? Ihr solltet behutsam sein, falls Sorano es noch gibt, falls sie bereit ist für euch in das Takamahara zu gehen oder mit einem der dort lebenden Göttern zu reden... Nein, Inu Yasha-sama, das sind keine der Kami, der irdischen Kami, denen Ihr schon begegnet seid. Das ist eine ganz andere Klasse, ein gewaltiger Unterschied. So ähnlich wie... wie zwischen Sesshōmaru-sama und einem Wurmyōkai! Bedenkt das. Nur dann könntet Ihr, vielleicht, Auskunft bekommen. Die drei Welten Takamahara, die Gefilde des Hohen Himmels, Ashihara no naka tsukuni, das Mittelland des Schilfgefildes, also, diese Welt hier, und eben Yomi no kuni, die Unterwelt, sind gewöhnlich bis auf wenige Brücken strikt voneinander getrennt und niemand mischt sich ohne Grund dazwischen ein.“ Ohne sehr guten Grund.

„Das ist das mit den drei Welten, drei Schwertern, was Tōtōsai erwähnte? Tenseiga für oben, Tessaiga für die Welt der Lebenden und So´unga für die Unterwelt?“

„Ja, genau.“ Myōga hütete sich aus langer Erfahrung seine Begeisterung zu zeigen, dass dieser widerspenstige Schüler mal aufgepasst hatte. „Ich meine, Ihr tragt momentan zwei der Drei und hattet das dritte auch bereits in der Hand, das mag für Euch sprechen. Aber, wer weiß das schon? Seid eben vorsichtig, als ob Ihr im Winter einen zugefrorenen Fuß überqueren wollt.“

Inu Yasha seufzte. „Myōga, da spring ich mit einem Satz drüber, aber ich weiß, was du meinst. Erst denken, dann reden? Du weißt, dass mir das gar nicht liegt.“

„Oh, viel besser als früher, zu den Zeiten, als Ihr wahrlich noch ein Jüngling wart, ehe Ihr Kagome-sama kennenlerntet....“

Kagome. Ob er sie da in der Unterwelt sehen könnte? Sie sogar mitnehmen könnte? Aber das war vermutlich Utopie. Es wäre erstaunlich genug, das gab er ja zu, wenn er auch nur Punkt eins seines Planes durchführen könnte, den älteren Bruder, nii-san, wieder zu beleben. Naja, nüchtern betrachtet war die ganze Idee ziemlich verrückt, aber andererseits – noch vor zwei Tagen hatte er sich in einen Vulkan stürzen wollen, warum nicht Selbstmord mit Nebeneffekt? Stiefmütterchen konnte sich zurückziehen, Kori, Mamoru oder auch Daichi bekamen das Fürstentum nicht in die gierigen Pfoten, von gewissen Drachen ganz zu schweigen.

 

Jaken war erschüttert. Bereits aus der Luft hatte er wahrnehmen können, dass die Hütten aus Grassoden und Schilf des Dorfes nicht mehr standen. Jetzt ging er hindurch. Hier lebte schon seit langen Jahren kein Kappa mehr. Erst mühsam fand er soweit zur Ruhe, weil er sich entsann, dass vermutlich auch sein Stamm nach der Gründung der Youkaifürstentümer in diesem Fall nach Osten, in das Gebiet des Wolfsherrn gezogen war. Und, dass er noch immer die Magie des uralten Bannes spüren konnte. Umso erleichterter war er, als er die Hütte des Schamanen noch in bestem Zustand unten am Stamm entdeckte. „Ruri-sama?“

Tatsächlich tauchte ein, Jaken seht ähnlich sehender, Kappa aus der Hütte auf, allerdings in einem langen, schwarzen Kimono gehüllt, den kahlen Kopf unbedeckt. „Jaken-sama?“ Er schien überrascht und erfreut zu gleich als er die Hand der Gastes ergriff, gegen alle Regeln, als ob er sich versichern müsste, dass es sich um keine Erscheinung handelte. „Ihr lebt noch! - Ich hoffe, Euch führt nichts Arges her?“

Jaken bekannte: „Ich war erschrocken als ich das Dorf sah, aber der Stamm zog wohl nach Osten?“

„Ja. Mein Schüler auch. Ich wache hier über die Magie und er kommt ab und an her um sie teilweise mitzunehmen. Nun ja. Jaken-sama. Ihr kennt die Regeln. Bis zu meinem Tod bleibe ich hier. Da ich nicht vermute, dass Ihr umsonst kamt – kann ich Euch helfen?“

„Es geht um Sorano. Mein Herr, mein derzeitiger Herr, möchte Auskunft von ihr.“

„Ich erinnere mich gut, dass Ihr diesem jungen Youkai folgtet....“

„Er ist tot. Und er ist, war, der Fürst des Westens. Nun will sein Halbbruder Sorano nach einem Weg in die Unterwelt fragen...“

Der Fürst des Westens und damit einer der drei mächtigsten Youkai. Nun ja, Jaken-sama hatte sich wohl nicht in seinem Gebieter getäuscht. Allerdings… „Das ist.... abenteuerlustig. Oder verzweifelt.“

Dazu gab es nur einen passenden Kommentar. „Wenn er sich für Sesshōmaru-sama opfern will, soll es mir recht sein, werter Ruri. Nur, lebt Sorano noch?“

„Naja. Für heute kann ich es Euch nicht sagen. Aber Ihr wisst, dass sich die Geister von Schamanen in Zwischenwelten bewegen. Vor ungefähr einem Jahr hatte ich so mit ihr noch Kontakt.“ Der Kappaschamane zuckte die Schultern. „Mehr kann ich nicht sagen.“

Schön, Ruri log sicher nicht. Also die nächste praktische Frage. „Wo liegt der mizuumi no shikii?“

„Da muss ich auf meinen Karten nachsehen. Der See der Schwelle, ich war da noch nie. Und, natürlich solltet Ihr Eurem neuen Herrn sagen, gleich zu was er bereit wäre – Sorano antwortet nicht jedem und schon gar nicht, wenn sie dafür in das himmlische Reich soll.“

„Das weiß er vermutlich.“ Jaken war nicht bereit die Hoffnung aufzugeben, dass man Inu Yasha gegen Sesshōmaru eintauschen könnte. „Aber er will sie eben fragen.“

„Ich suche die Karte, Jaken-sama.“ Der Schamane drehte sich um und verschwand in seiner Hütte.

Der ehemalige König wartete geduldig. Er wusste, dass Ruri das Bestmögliche tat um ihm zu helfen. Als jedoch sein Gastgeber ohne Karte in der Hand zurückkehrte, seufzte er unwillkürlich. Ohne jede Information zu Inu Yasha zu gehen überließ er gern anderen. Das Halbblut war nicht nur stark, sondern auch mehr als impulsiv und daran hatte sich offensichtlich kaum etwas im Laufe der Jahrzehnte geändert.

Ruri nickte. „Ich fand es, aber in keiner Karte. - Wo auch immer Euer neuer Herr wartet – geht nach Norden. Dort werdet ihr auf einige Berge treffen, Vulkane. Auf einem liegt der mizuumi no shikii. Man erkenne ihn daran, dass er kreisrund ist.“

„Ein Vulkansee im Norden? Wie weit ist es dahin?“

„Drei Wochen.“

Jaken wurde kalt. „Drei Wochen?“

„Oh, natürlich, vergebt. Drei Wochen, die ich laufen würde. Euer Herr ist sicher auch ein Hund und wohl schneller.“

„Äh, wir fliegen auf einem Drachen.“ Aber der ehemalige Kappakönig war gerade sehr erleichtert. Drei Kappawochen zu Fuß waren mit Ah-Un in wenigen Stunden zu erreichen. „Der See ist kreisrund. Und, wie findet man Sorano?“

„Das weiß ich nicht, aber da sie dort lebt, vermute ich, dass man sie irgendwie wahrnehmen kann. Zumindest, wenn man über Eure Magie verfügt, Jaken-sama.“

Ja, fragte sich nur, ob der Bastard ihm das auch zutrauen oder ihm gar zuhören würde. Nun gut. „Danke, Ruri-sama. Ich wünsche dir ein ruhiges Leben.“

„Danke.“ Und, es würde mir Sicherheit ruhiger sein als das des ehemaligen Königs, dachte der kleine Schamane.

 
 

See der Schwelle

We've taken different paths

And travelled different roads

I know we'll always end up on the same one when we're old

And when you´re in the trenches

And you´re under fire I will cover you

 
 

 
 

 
 

 

 

 

Kodaline: Brothers

 

 
 

Myōga bemerkte den unwilligen Blick seines jungen Herrn zum Himmel. Der war ungeduldig. Aber, als der alte Floh dem Blick folgte, verstand er plötzlich. Die Sonne ging fast unter. Und die nächste Nacht wäre die Neumondnacht. Kein Wunder, dass der Hanyō ungeduldig war. Diese Nächte hasste der, seit er ein kleiner Junge gewesen war. Und sich als Mensch einer Krötenschamanin, die sicher eine Yōkai war, zu präsentieren, war vermutlich überaus unangenehm. Nun ja, das erklärte eindeutig die Laune. Hoffentlich kam Jaken bald zurück. Nach dem Weg zu fragen konnte doch nicht so lange dauern?

Oh, da kam der ja. Und Myōga machte eilig den Sprung vom Knie des jungen Herrn. Das ziemte sich nicht für einen fürstlichen Berater.

 

Dem Kappa war das allerdings praktisch entgangen, da er den Blick des Halbblutes zum Himmel gesehen hatte. Oh ja, das Problem stimmte und hatte er nur vergessen. Deswegen drückte der dermaßen auf das Tempo. So kam er hastig heran. „Ich habe unseren Schamanen Ruri angetroffen und er gab mir Auskunft. Wenn wir mit dem Drachen fliegen, nach Nord, werden wir in wenigen Stunden den See erreichen. Äh, schneller geht es wirklich nicht, Inu ….oyakata-sama.“

Inu Yasha seufzte, stand jedoch auf. Natürlich war diesen beiden kleinen Geistern, die schon lange in den Diensten von Familienangehörigen standen, klar, was nächste Nacht los wäre. „Sonst noch etwas zu dieser Tante, ich meine dieser Krötenschamanin?“

Ach du je, dachten beide Berater des Westens, aber Myōga griff aus gewisser Erfahrung in durchaus erzieherischer Absicht ein. „Es handelt sich um eine Schamanin mit nicht nur ehrfurchtgebietendem Alter, sondern auch sehr guten Kontakten. Bitte, hütet Eure Zunge, wenn Ihr Euer Ziel erreichen wollt. Ich weiß doch, dass Ihr auch Kagomes Mutter sehr höflich behandelt habt oder auch die Inu no Kami.“ Davon war zumindest auszugehen, so sehr, wie die Dame ihn, wenn wohl auch nur in der derzeitigen Stellung als Herr und Fürst, geachtet hatte.

Der Kommentar des Hanyō lautete schlicht: „Dann los.“ In kaum zwei Stunden würde die Sonne untergehen und er zu einem Menschen werden. Peinlich. Aber die Zeit sich erst morgens bei dieser Kröte zu melden – war sie etwa Jaken in groß? - hatte er wohl nicht, wenn dieser Brauttross in nun mehr nur sechs Tagen eintrudeln würde.

 

Kaum, dass die Sonne untergegangen war, verwandelte sich der nichts weniger als begeisterte Hanyō in einen Menschen. Jaken sah sich wohlweislich nicht um und hielt den strikten Kurs mit Ah-Un nach Norden. Myōga dagegen blieb auf der Schulter sitzen. „Weißt du, wie weit es noch ist? Und, wie diese Sorano aussieht?“ fragte er den Mit-Berater.

Der ehemalige Kappakönig zuckte die Schultern. „Es müssten dort vorn die Vulkane sein. Der See mizuumi no shikii soll auf einem davon liegen, erkennbar daran, dass er kreisrund ist. Mehr weiß ich auch nicht. Und Sorano selbst soll eine Erdkröte sein, uralt und sehr weise, mit guten Kontakten. Also wirklich niemand, den man ärgern sollte.“

„Keh,“ machte Inu Yasha. „Ich habe es eilig und bin nicht in sonderlich guter Stimmung, wie du dir denken kannst.“

„Naja,“ warf der Flohgeist bemüht diplomatisch ein. „Ihr wollt ein Ziel erreichen. Und sie hat die Kontakte, das solltet Ihr bedenken.“

„Ja, klar, bedenke ich, ich bedenke alles, wenn es nur schnell geht. In sechs Tagen kommt vermutlich dieser Daichi samt der Tochter an. Und die will ich sicher nicht heiraten.“

„Der Name der Fürstentochter ist Daichiko,“ erklärte Jaken prompt.

Daichiko? Kind von Daichi? Was hätte dieser so genannte Fürst denn getan, wenn er noch mehr Kinder oder auch nur Mädchen bekommen hätte? Durchnummeriert? Er fragte nach.

„Äh.“ Dem Kappa fiel dazu wirklich nichts ein.

Myōga seufzte. „Sie war das erste Kind, daher wohl. Und zumindest, wenn schon kein Sohn existierte, die quasi Erbprinzessin. Ein wertvolles Gut auf dem Heiratsmarkt. Mädchen der Fürstenfamilien, Daiyōkai noch dazu, wurden schon immer ausgesprochen teuer verhandelt.“

„Dann hat Vater auch für Sesshōmarus Mutter bezahlt?“ erkundigte sich der derzeit schwarzhaarige Hanyō erstaunt. „Und für meine Mutter?“

„Äh, nein, in beiden Fällen. Das mit Izayoi-sama war ja ...nun, keine arrangierte Hochzeit. Und die Inu no Kami … Lasst es mich so ausdrücken, als der Vater und der Bräutigam den Vertrag unterschreiben wollten, kam der Herr des Wegs und zog So´unga...“

„Und da der Vater das Geld schon vom ersten Bräutigam hatte, trug er es mit Fassung? Und sie selbst?“

„Mädchen, Inu Yasha-sama, haben keinerlei Mitspracherecht. Sie gehen aus der vollständigen Vormundschaft des Vaters in die des Ehemanns über.“

Hm. Irgendwie konnte sich das Inu Yasha bei der Hundedame nicht vorstellen, eher dass sie, wenn ihr der Bräutigam nicht gefallen hätte, durchaus Mittel und Wege gefunden hätte diese Ehe überaus kurzweilig oder besser kurz werden zu lassen. Aber schön, er kannte diesen Daichi und dessen Tochter ja nicht, und, wenn es nach ihm ginge, sollte es auch dabei bleiben. „Ja, aber Sekunde, momentan hat sie weder Vater noch Ehemann.“ Kagome hätte sich eine derartige Regelung bestimmt nicht gefallen lassen, aber das war wohl Yōkaisitte.

„So war ihr Vormund Sesshōmaru-sama. Und danach Ihr.“

„WAS?“ Deswegen war sie auch so höflich geblieben. Naja. Er hatte sich ja denken können, dass er nicht der Einzige war, der den einen oder anderen Haken finden und schlucken musste. Ihre Begeisterung hatte sich garantiert in Grenzen gehalten. Obwohl, sie hatte ihm am Ende gesagt, dass sie das Fürstentum schützen würde und sich auf ihn verlassen würde. Das hätte sie doch wohl nicht sagen müssen? Es wurde immer wichtiger den großen Bruder wieder ins Reich der Lebenden zu schaffen, statt sich um dessen Braut, Mutter und Fürstentum zu kümmern. Er hatte doch wirklich etwas anderes vor! Hatte er? Er dachte wieder an seine Gedanken vor den Vulkanen, als er vor sich eine Dampfwolke aus Schwefel erkannte, die sogar seine menschliche Nase belästigte. „Seht ihr einen kreisrunden See?“ erkundigte er sich nur. Menschliche Augen waren wirklich zu nichts zu gebrauchen.

„Ja.“ Jaken ließ Ah-Un tiefer gehen und am Ufer eines wirklich kreisförmigen Sees von einigen hundert Schritten Durchmesser landen, der von einem hohen felsigen Rand umgeben war. Da der Hanyō sofort absprang und versuchte etwas zu erkennen, kletterte der Kappa etwas langsamer herunter und rief: „Werte Sorano, ich bin Jaken. Ruri-sama, der Schamane unseres Stammes schickte mich her.“

Inu Yasha sah sich um, aber das war alles dunkel, nicht einmal ein Schatten war zu erkennen. Menschen bei Nacht waren schrecklich hilflos. Da er allerdings spürte, dass Myōga fast hastig nicht nur auf seine Schulter, sondern unter seine Haare sprang, war da wohl etwas. Im nächsten Moment hörte er auch Jaken keuchen – und dann erkannte selbst er, dass sich die Felswand ein Stück vor ihnen bewegte, sich umwandte.

Sorano war wirklich eine gigantische Kröte, die die Höhe des Steilhangs erreichte. Ihre Stimme klang ruhig, ließ allerdings die Luft vibrieren. „Jaken, also? Was ist so wichtig für deinen Stamm, dass du mich störst? Und, was gibt sich ein Kappa mit einem Menschen ab, ja drängt ihn mir auf? Wobei – Haare wie Schnee, Augen wie Gold – das ist nicht, wie es scheint.“

Ihre drei Besucher waren erstaunt, dass sie die wahre Gestalt selbst so erkennen konnte.

Jaken bemerkte die unwirsche Bewegung der nur scheinbar menschlichen Hand und erklärte eilig: „Äh, es geht nicht um meinen Stamm, werte Sorano. Es ist so, Sesshōmaru-sama, der Fürst des Westens, wurde ermordet. Und nun hier, Inu Yasha-sama, sein Halbbruder und Erbe, möchte Auskunft haben, ob und wie er ihn in der Unterwelt finden kann. Das eine Schwert, das er trägt und bislang dem Fürsten gehörte, ist Tenseiga, das andere übrigens Tessaiga. - Er ist ein Hanyō und verwandelt sich einmal im Monat in einen Menschen.“

Ja, klar, Idiot, dachte Inu Yasha: tratsch es nur herum! Aber nachdem diese Riesenkröte schon ein wenig misstrauisch war, war es wohl besser zu kooperieren. So versuchte er es mit ungewohnter Diplomatie, so, wie er glaubte, dass es Kagome getan hätte: „Mit Tenseiga wäre es mir möglich ihn wiederzubeleben. Leider haben diese blöden Drachen seinen Körper zerstört. Und jetzt suche ich eine Gelegenheit.... irgendwie muss das doch gehen?“

„Eine Klinge, die den Tod besiegt? Und das willst du deinem Halbbruder wieder geben?“ Soweit sie wusste war zwischen Halbbrüdern, sogar auch Brüdern, es kaum üblich nicht um die Macht zu streiten, sich gegenseitig umzubringen.

„Das, sein Fürstentum, seine Macht, kurz, alles auf was er scharf ist. Und natürlich auch sein anderes Schwert von den Drachen zurückholen. Aber, dazu wäre es schon besser, wenn er selbst dabei wäre. Bakusaiga ist aus ihm selbst entstanden.“

„Ich hörte, das gelingt nur sehr mächtigen Yōkai, nicht einmal allen Daiyōkai.“

„Ich glaube, er ist da ziemlich der Einzige.“ Ein ehrliches Kompliment, denn dieser Hundeidiot war ihm zwar buchstäblich jahrhundertelang auf die Nerven gegangen, aber gegen Ende, als sich die Fürstentümer gebildet hatten, waren sie doch ganz gut miteinander ausgekommen. Nii-san hatte ihm Rin anvertraut, sie hatten sich reine Übungskämpfe geliefert. Das war doch schon einmal nicht schlecht gewesen. Und, obwohl er noch immer eine gewisse Zurückweisung gefürchtet hatte, als er sich vor drei Tagen überlegt hatte in den Westen zu gehen – bei der Nachricht der Ermordung hatte er wirklich ein schmerzliches Gefühl empfunden. Er würde ihn da raus holen, sein einziges Familienmitglied, das er außer seiner Mutter kannte. Seinen Bruder. „Also, Sorano, wäre es dir möglich irgendwie Kontakt zu der Unterwelt aufzunehmen?“

„Nein!“ Sie klang fast entsetzt. „Du scheinst nicht zu wissen, wo du dich befindest und was ich kann.“

„Versuche es mir zu erklären, ja?“ Er sollte doch nett sein.

„Fürst des Westens, also. - Weißt du wie Schamanen reisen? Nur im Geist. Ich muss mich sehr konzentrieren und dann mit meinem Geist in das Wasser dieses Sees eintauchen. Irgendwann erreiche ich dann die Schwelle. Die Schwelle zwischen der Welt der Lebenden und dem Hohen Königreich Takamahara. Dort warte ich, ob und wann jemand kommt. Oft sind es rangniedere Götter, die dann meine Anfrage an jemanden weitergeben, dessen, ja, Fachbereich, es ist. Manchmal, wenn es sehr interessant ist, begegne ich sogar Takami, dem Boten der o-kami Amaterasu. Ich habe keine Möglichkeit, und auch nicht den Wunsch, mich mit der Herrin des yomi zu treffen.“

„Diese Treffen finden also nur im Kopf statt?“ fragte Inu Yasha enttäuscht. Dann war diese Kröte ja vielleicht bloß verrückt und konnte ihm nicht weiterhelfen.

Sorano blickte auf ihn nieder. „Mein Körper ist während dieser Reise leer. Und nur der Geist, ein geübter, gelernter Geist kann sich in diese Welt zwischen zwei Welten bewegen. Angenommen, ich würde dorthin gehen, welche Frage soll ich stellen? Es sollte eine sein, die nie zuvor gestellt wurde, aber ich glaube fast, dass du diese Voraussetzung erfüllst.“

„Also, dann frage: gibt es eine Möglichkeit nii-san wieder zu beleben? Ich habe hier Tenseiga, aber keinen Körper. Und, falls die ihn nicht kennen: sein Name ist Sesshōmaru und wir haben vor einigen Jahren, naja, Jahrzehnten So´unga wieder in die Unterwelt geschickt.“

Die riesige Schamanin schloss kurz ihre Augen. „Das werde ich wohl etwas anders formulieren müssen, denn ich habe immer nur einen Satz. Nun gut. Ich werde es versuchen, junger Hundefürst. Aber ich weiß nicht, wie lange es dauert.“

Junger Hundefürst? So hatte ihn auch noch niemand angesprochen. Dadurch war er doch etwas angenehm überrascht, wenngleich die Zeit drängte. So meinte er hilfsbereit: „Bis zum Morgen? Dann bin ich wieder ein Hanyō.“

„Ich kann es nicht sagen. Und eine Antwort willst du ja auch. Es ziemt sich nicht die Kami warten zu lassen.“

„Na, schön. Danke jedenfalls. - Wie sieht es an dieser Schwelle eigentlich aus? Wasser ist da wohl keines.“

Sorano war ein wenig erstaunt, dass sich ein Yōkaifürst, einer der drei, die es gab, der also gewiss den Status eines Daiyōkai besaß, Halbblut hin oder her, bei ihr bedankte. So gab sie Auskunft. „Nein, das Wasser dient nur der Meditation. Stelle es dir wie eine flache, weiße Ebene vor, die scheinbar endlos ist und keinen Himmel in dem Sinn besitzt.- Ich werde mich konzentrieren. Denkt daran, dass ich keine Störung gebrauchen kann.“

„Ich werde dich nicht aufwecken,“ gab Inu Yasha prompt zu. „Und wenn wer anderes kommt, verjage ich ihn, ganz einfach.“

Ob das als Mensch so einfach sein würde, wagte die Kröte zu bezweifeln, aber offenkundig waren dieser Jaken und der winzige Geist davon überzeugt, dass der Herr des Westens das vermochte, denn sie zuckten nicht mit einer Wimper. So ließ sie sich auf ihre Hinterschenkel sinken und stützte sich mit den Vorderbeinen ab. Ihr Bauch schien fast zu leuchten, als sie langsam die Augen schloss und sich in sich selbst zurückzog.

 

„So. Dann warten wir.“ Der Hanyō in Menschengestalt zog sich die beiden Schwerter ab und setzte sich neben die Schamanin, lehnte sich zurück. „Hoffentlich kriegt sie was raus.“

„Das war die einzige Lösungsmöglichkeit, die mir einfiel,“ erwiderte Jaken. „Ihr müsst zugeben, dass dieser Wunsch ungewöhnlich ist. Was wollt Ihr eigentlich machen, wenn Ihr... ich meine, wenn Ihr... den Austausch machen sollt, von dem die Inu no Kami sprach?“ Leben um Leben, aber er wusste nicht, wie er das bei diesem Hitzkopf formulieren sollte.

Inu Yasha schien, und war, erstaunt. „Na, machen. Ich bin nicht begeistert, aber vielleicht finde ich dann so als Seele Kagome, das wäre doch auch etwas.“

Die beiden fürstlichen Berater wechselten wieder einmal einen Blick. Hatte der augenblickliche Herr des Westens verstanden, wohin er reisen wollte? Und, vor allem, dass es im yomi no kuni ganz sicher Regeln gab, die man beachten sollte, wollte man nicht sich selbst das Nachleben ruinieren? Frei durch die Gegend zu laufen und nach einer bestimmten Seele zu suchen, war vermutlich auch unerwünscht.

 

Mit den ersten Strahlen der Sonne wurde der vermeintliche Mensch wieder zum Hanyō und sprang auf, die Zwillingsschwerter in der Hand. Jetzt erst konnte er die riesige Schamanin betrachten, die ihre Augen noch immer geschlossen hatte und regungslos wie ein Fels neben ihm saß. „Noch nicht wieder da, die Gute,“ stellte er fest. Ja, sie sah wirklich schlicht wie eine riesige Kröte aus, heller Bauch, Seiten und auch der Rücken grau-grün gemustert, mit einzelnen Ausbuchten. Kein Wunder, dass er sie bei Nacht nicht entdeckt hatte, zumal als Mensch. Sie besaß eine sehr gute Tarnung, vor allem vor dieser Felswand.

„Seid froh darum, Inu Yasha-sama,“ Myōga hatte die Nacht auf der Schulter seines jungen Herrn gesessen, war bei dessen Verwandlung allerdings wohlweislich abgesprungen. Dieser jähe Anstieg des Yōki, das nur verriet, welche Energie er von seinem Vater geerbt hatte, schmerzte einen Flohgeist.

„Wieso? Ich habe wenig Zeit, ihr wisst schon, wegen Bakusaiga und Daichi, bei meinem Glück beides gleichzeitig.“ Na, das würde die Hochzeit dann bestimmt sprengen, kämen da die Drachen um die Ecke.

„Nun, ein Nein wäre schnell ausgesprochen. Wer auch immer scheint sich nun über Eure Anfrage Gedanken zu machen.“

Das mochte stimmen, aber: „Ein Nein wäre doch keine Antwort! Ich frage doch nicht zum Spaß!“ fuhr der Hanyō sofort auf.

Begütigend hob der Flohgeist gleich alle vier Arme. „Ja, aber bitte entsinnt Euch, dass die drei Welten getrennt sind – und das ziemlich gründlich. Auch bestimmt nicht zum Spaß. Es könnte daher selbst für ranghohe Kami schwierig sein eine Lösung zu finden. Zumal für das Problem mit dem fehlenden Körper. Ich sehe da weit und breit keine, aber ich bin ja auch nur ein alter Floh.“

 

Ein tiefer Atemzug ließ das Trio zu Sorano gucken, die langsam die Augen öffnete und sich sichtlich erst orientieren musste. So deutlich war ihr Müdigkeit anzusehen, dass selbst der derzeitige Fürst des Westens davon absah sofort nach der Lösung seines Problems zu fragen.

 

Erst, als sie ihn fixierte, schob er, doch ein wenig nervös werdend, die Hände in die Ärmel. Die zuckenden Ohren verrieten auch so seine Unruhe. „Gibt es eine Lösung?“

„Ich vermute. Ich erhielt nach dem Stellen der Frage tatsächlich Besuch von Takami selbst. Und der Bote der Sonnengöttin erscheint mir nur, wenn diese Frage, nun, höheren Ortes von Interesse ist. Er verschwand dann wieder und ich wartete. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis er wieder kam und mir erklärte, was du nun tun musst, junger Hundefürst. Du sollst allein gehen.“

„Ja, klar,“ erklärte der Hanyō prompt mit einem Blick auf die beiden Berater, denen er rein kampftechnisch herzlich wenig zutraute, zumal Jaken ja nicht einmal diesen feuerspeienden Stab dabei hatte. „In die Unterwelt? Wie?“ Hoffentlich sagte sie jetzt nicht er solle sich in Tessaiga stürzen. Aber das meidō wäre vielleicht doch eine Möglichkeit?

„Erst einmal nicht gleich in die Unterwelt. Du bist so... hastig. Ein Stück mag dich der Drache noch bringen, dann musst du allein weiter, immer gerade nach Norden, wo die Sonne nie steht. Du besitzt sicher einen guten Geruchssinn, dann wirst du den Schwefelberg nicht verfehlen. Umgehe den Krater und steige wieder nach Norden hinab. Mir wurde gesagt, dass du an dem Teich dort von jemandem abgeholt wirst. Jemandem aus dem Takamahara! Das ist mir noch nie widerfahren.“

„Äh, vielleicht doch, weil wir damals So´unga....?“

„Jedenfalls musst du dich dann einer Prüfung unterziehen und dann wird entschieden, ob du Rat und Hilfe bekommst.“

„Anders wäre es ja auch zu einfach und nicht so mythisch, kompliziert,“ murrte Inu Yasha. „Warum kommt dieser jemand denn nicht einfach her?“

Auf diese Weise würde er kaum eine göttliche Prüfung bestehen, dachte die Krötenschamanin. Allerdings musste sie zugeben, dass Takami doch ein wenig.... nun, aufgeregt gewirkt hatte, wenngleich er das gut verborgen hatte. Aber Sorano hatte ihn schon des Öfteren getroffen. „Willst du einem Kami etwa Vorschriften machen? Überdies, wie erwähnt, sind die Wege zwischen den Welten nicht gerade häufig. Und Kami können viel, aber nicht auf Schamanenart reisen. So lautet jedenfalls die Anweisung, wenn du dich der Prüfung stellen willst und in das yomi no kuni gelangen willst.“

Da gab es keine Alternative – außer sich selbst Fürstentum, Braut und Stiefmutter aufzuhalsen. Er war doch nicht verrückt! Lieber den Trip in die Unterwelt. „Also nach Norden, zum Schwefelberg, da rüber, dann einen Teich finden und da auf einen Kami warten. Gut. Danke, Sorano,“ ergänzte er doch in Erinnerung an Kagome, ohne zu ahnen, dass die alte Kröte in ihrem Leben schon auf weitaus unhöflichere Daiyōkai getroffen war, solche, die Antworten schlicht als Austausch dafür ansahen, dass sie selbst am Leben bleiben durfte.

So meinte sie nur: „Es war eine wirklich ungewöhnliche Frage. Und, falls sie je wieder jemand stellt, wird sie nicht mehr beantwortet werden.“

„Keh. Myōga, Jaken, rauf auf Ah-Un. Das scheint noch eine längere Sache zu werden, als ich dachte.“

Selten einmütig fragten sich Krötenschamanin, Flohgeist und ehemaliger Kappakönig, was er sich denn überhaupt dabei gedacht hatte, wenn er freiwillig in die Unterwelt reisen wollte, um das Unmögliche möglich zu machen. Vor allem, wie lange das dauern könnte.

 
 

Glück des Hanyo

When you were young and your heart was an open book

You used to say: live and let live

But this everchanging world in which we live in

Makes you give in and cry

Say: live and let die

 

Paul and Linda McCartney: Live an let die, James Bond

 

 
 

Inu Yasha tippte Jaken an. „Lande da. Das ist sicher der Schwefelberg und weiter dürft ihr sowieso nicht mit.“ Er warf einen Blick zum Himmel. Naja. Noch Vormittag, aber er sollte sich beeilen. Wer ihn wohl da drüben abholen würde?

„Äh, was sollen wir denn sagen, wenn wir ohne Euch zurück kommen?“

„Nichts, oder doch, Keibo-sama könnt ihr sagen, dass ich auf dem Weg bin. Und, ach so, ja. Dass Sesshōmaru tot ist sollte noch immer besser keiner wissen. Könnte doch komisch werden, wenn der dann wieder aufkreuzt.“

Das würde ein Blutbad werden, wenn sich da zwei oder drei Vasallen um seinen Titel stritten und er lebendig wieder erschien, da war sich Jaken sicher. Und der Optimismus der Halbbluts beruhigte ihn trotz aller Zweifel. „Ja, noch etwas?“

„Schon gut. Myōga, Jaken du auch, kümmert euch um sie, sie hat mir versprochen den Westen zu beschützen.“ Damit sprang der Inu Yasha vom Drachen und überließ es den beiden Beratern sich irritiert anzusehen.

Der Hanyō stürzte sich in ein Abenteuer, das mit lebensgefährlich noch matt umschrieben war – und dachte als letztes ausgerechnet an seine Stiefmutter? Naja, eher an den Westen, den sie ja tatsächlich, zumindest für eine gewisse Zeit, sichern konnte. Und, es war sicher besser dabei mitzuhelfen, gleich welcher der Halbbrüder zurück kehrte oder ob die Inu no Kami doch selbst übernahm, gegen alle Regeln.

 

Wieso musste er ausgerechnet über einen Schwefelberg? Das Zeug stank, biss in die Nase, und so sprang Inu Yasha nicht nur aus Zeitmangel so rasch er es vermochte nach oben, bog um den gelben, blubbernden Vulkankessel, dessen gesamte Ränder von dem stetig ausgeschütteten Schwefel gelb waren - und dessen abgestorbene Umgebung die Hauptwindrichtung verriet. Egal, nur weiter, weg hier. Da unten sah es doch ganz manierlich aus, Wald. Da roch es sicher besser als hier. Von einem Teich war noch nichts zu sehen, aber er vermutete, dass der bald kommen würde. Die arme Nase war ja wie abgestorben hier. Er jagte in weiten Sätzen den Abhang hinab, dabei allerdings nicht vergessend, dass es auf Feuerbergen manchmal auch ganz woanders heiß oder riskant werden konnte. War das etwa schon eine Prüfung?

Immerhin war das Atmen leichter, als er den Waldrand erreichte und sorgfältig nach einem Teich suchte. Toll. Raubtiere, Yōki, alles war geboten, nur kein Teich. Naja, er sollte nach Norden und so machte er sich wieder auf den Weg. Eines, was ihn die Vergangenheit doch gelehrt hatte, war die schlichte Tatsache, dass er wie ein vollblütiger Yōkai auch im dichtesten Urwald die Himmelsrichtung behalten konnte, was Menschen durchaus schwerer fiel. Die liefen gern im Kreis. Warum auch immer.

 

Er war sicher fast eine Stunde durch den Wald gelaufen, gerannt, als er stehen blieb. Da war etwas anderes und er witterte, suchte nach.

Wasser, ja, klares Wasser. Ob das der Teich war? Immerhin war da auch etwas zu spüren, was er kaum einordnen konnte – war das etwa Genki, diese gegensätzliche Energie, die Götter eben von Yōkai unterschied? Und da war auch – Parfüm? Räucherwerk? Zedernholz? Offensichtlich war da wer weibliches. Kami, die Frauen waren, hießen anders. Megami, entsann er sich nun. Naja. Lieber vorsichtig sein.

 

Tatsächlich drehte sie sich zu ihm um, als er vorsichtig die Lichtung betrat. Ihr roter Kimono war bodenlang und die weiten Ärmelschleppen reichten ihr bis zum Knie. Zeugte das schon davon, dass sie sicher nie arbeiten musste, so auch der goldfarbene, bestickte Seidengürtel, der eher lose um die schmale Taille hing. Auf dem empor gesteckten Haar zeugte auch ein goldener Haarreif von guter Herkunft. Sie war eindeutig schön und auch vornehm gekleidet. In der Linken trug sie etwas, das ihn an das Juwel der vier Seelen in Groß erinnerte – eher keine Empfehlung.

Aber, war sie diejenige, die ihn empfangen sollte? Zögernd blieb der Hanyō stehen, zumal sie ihn anlächelte. Und das konnte genauso gut eine Falle sein. Schön, vielleicht war sie eine Megami, aber sicher war er sich keineswegs. Schließlich hatte er nur diese irdischen Kami getroffen, die laut Myōga ja eine ganz andere Klasse waren. Und sie guckte so auf seine Ohren.

Ihr Lächeln schwand. „Inu Yasha, du erinnerst dich nicht mehr an mich?“

Sie guckte und klang enttäuscht und er wurde prompt verlegen. „Äh, nein.“ Seine Bekanntschaft mit vornehmen Damen beschränkte sich auf seine Kindheit, und da waren doch eigentlich keine Göttinnen darunter gewesen.

Sie seufzte etwas. „Ja, natürlich. Du warst da noch sehr klein. Und du hast so gelitten. Es war so schön, dass du mir vertraut hast, nun genug, um deine Ohren zu … anzufassen.“

„Meine Ohren?“ Was hatten denn nur alle weiblichen Wesen mit denen? Unwillkürlich fasste er sich an eines. Sicher, weich waren sie. „Ich erinnere mich wirklich nicht.“

„Es war im Wald, wohl recht bald nachdem deine Mutter gestorben war. Du wurdest da gerade von einem Oni gejagt und bist fast in mich gelaufen. Nun ja, der Oni spürte, wer ich bin und lief weg. Du erinnerst dich nicht?“ Da er den Kopf schüttelte und sichtlich vorsichtig näherkam: „Du hast doch aber die Auswirkungen bemerkt, ich meine, nachdem ich deine Ohren angefasst hatte?“

Wovon redete sie da? Er war als kleiner Hanyō im Wald so oft gejagt worden, dass er sich an die Einzelheiten nicht erinnern konnte. Und eine so schöne Frau in so kostbarer Kleidung wäre ihm doch aufgefallen? Nun ja, je nachdem, wie verzweifelt er da gewesen war. Und, wenn sie ihn wirklich angefasst hatte … Warum und wieso betonte sie dieses Wort so? „Ich weiß wirklich nicht wovon du redest. Du bist eine Megami?“

Eine derartige Anrede war sie eigentlich nicht gewohnt, aber der fragende Blick, die deutliche Unsicherheit erinnerten sie sehr an den so kleinen Jungen voller Furcht und mit Tränen in den Augen, der sich letztendlich an sie geklammert hatte, weil sie den Oni vertrieben hatte. Sie wurde weich. „Ja. Und, ja, ich soll dich abholen. Komm nur mit.“

„Dann sollst du die Prüfung machen?“

„Nein.“ Sie überlegte fast, wie sie das sagen sollte, warf dann aber einen Blick auf die Taille ihres Begleiters. Zwei Schwerter, deren Erwähnung fast etwas wie Eile ausgelöst hatten im Himmlischen Königreich. Sie konnte sich jedenfalls nicht entsinnen, dass ihr Takami je den Befehl der Sonnengöttin überbracht hätte den Hanyō zu treffen, geschweige denn in dieser Gesellschaft. Aber schön, diesen Namen sollte sie verschweigen und so einiges andere auch. Selbst für sie gab es Leute, mit denen sie sich bestimmt nicht anlegen wollte oder konnte. „Das macht jemand anderes, viel mächtiger als ich. Ich bin nur eine der sieben Glücksgötter, der Fukujin. Darum, als ich dich berührt hatte, solltest du eigentlich Glück gehabt haben.“

Oh. Naja, er hatte danach wohl einige lange Jahre allein im Wald überlebt, soweit alle Kämpfe, meinte sie das? Er fragte nach.

Er war wohl ein Krieger – und immer noch irgendwie dieser kleine Hanyō. Hatte er danach nur sich selbst alles beibringen können? Er schien ja nicht einmal ihren Namen zu wissen. „Nun ja, ein so kleiner Junge würde ohne Glück kaum überleben. Ich hörte, du bist momentan der Regent des westlichen Yōkaifürstentums? Dann hast du doch viel Erfolg gehabt.“

„Nicht so richtig,“ gab Inu Yasha zu. „Eigentlich ist das Sesshōmarus Fürstentum. Aber der Herr Halbbruder, naja, nii-san, hat es ja geschafft sich von so dämlichen Eidechsen umbringen zu lassen, ich meine, Drachen, und jetzt soll ich das alles wieder in Ordnung bringen, irgendwie.“

„Es gibt eine Menge Leute unter allen Arten, die ich je traf, die ein Fürstentum als Erfolg ansehen würden. Was wünscht du dir, Inu Yasha?“

Sie kannte tatsächlich seinen Namen. „Naja, zuerst einmal, dass ich es schaffe, irgendwie, dass Sesshōmaru wieder lebt. Und dann, dass ich irgendwann Kagome wieder finde.“

„Kagome?“

Die Megami sah so verwirrt aus, dass er erklärte. „Meine Ehefrau oder Gefährtin, sie starb vor fünfzig Jahren und ich hoffe, dass sie irgendwann wieder geboren wird. Das ist sie schon mal, musst du wissen. Ich war mal in eine Miko namens Kikyō verliebt und die wurde als Kagome wiedergeboren. War hart für sie das zu verstehen...“ Vor allem, als dann Kikyō auch noch wieder lebte. Danke, Urasae!

„Kagome? Von allen Namen?“ Sie blieb stehen und drehte sich etwas, hob die Linke mit dem Juwel. „So stellen mich die Menschen meist dar, in Tempeln, Schreinen, natürlich immer zusammen mit den anderen Glücksgöttern. Aber diese Haltung bildet ein Dreieck – eben das Kagome, das mich oft symbolisiert.“ Sie lachte etwas. „Noch etwas, warum ich dich mögen sollte.“ Nein, er wusste wirklich nicht, wer sie war. Nun gut, sie sollte darüber schweigen, nicht noch mehr sagen. „Nun, komm. Er wartet vermutlich nicht gern. Und er will dich sprechen um zu entscheiden ob er dir hilft oder nicht.“

„Ein Kami? Und der kennt sich mit der Unterwelt aus?“

Konnte man so nennen. „Äh, ja. Soweit ich hörte war er da schon mal.“

„Das ist ja fein.“

Das konnte schwierig werden, dachte die Glücksgöttin. Trotz ihres damaligen Segens würde weder seine Naivität gut ankommen, noch er je seine eigene Kagome finden. Hm. Kagome. Sie sah auf das Juwel in ihrer Hand, das ihr anvertraut worden war. Warum nicht. Ein kagome für Kagome? Nun ja, schaden würde es dem armen Halbhund so oder so nicht. Er hatte auf jeden Fall eine schwierige Aufgabe von sich. Allerdings sollte sie es elegant machen, so, dass niemand etwas sagen konnte, so, zur Sicherheit. Der Kleine würde es nicht wissen und sie selbst sich mit einem unbedachten Fehler herausreden können. Ja, da vorne wäre doch eine gute Gelegenheit, denn der Wald endete und Gestrüpp und Unterholz zeigten sich. Eine überaus gute Gelegenheit seine Garderobe nicht zu ruinieren...

 

Inu Yasha bemühte sich unauffällig seitwärts zu schielen. Das war eine Göttin? Eine Glücksgöttin? Und hatte ihm angeblich Glück beschert? Falls ja, und das wagte er doch irgendwie zu bezweifeln, wollte er nicht einmal ahnen wie sein Leben ohne diesen Segen ausgesehen haben könnte. Sehr kurz, im Zweifel. Naja, vielleicht war sie wirklich „schuld“ an seinem Überleben und an der Tatsache, dass er Leute wie Kikyō, Sango, Miroku gefunden hatte und natürlich Kagome? Irgendwie vermochte er sich das nicht vorzustellen, aber ….Myōga hatte ja gesagt, dass diese Götter ganz anders waren, als die Seegöttin, die er schon getroffen hatte und andere. Das sollte er wohl beherzigen. Leute aus dem Takamahara waren viel mächtiger … Tja. Und diese Megami hatte ja gemeint, dass die Prüfung, und wohl auch die Hinweise, jemand geben würde, der noch toller, besser, mächtiger war als sie? Super. Also, ja, einerseits war das natürlich schön, wenn ihm da jemand helfen wollte oder konnte – andererseits, was musste er dafür tun?

Die Fukujin blieb stehen, bückte sich und streckte ihm die Linke samt diesem ominösen Juwel entgegen. „Hier, halt mal kurz, bitte. Ich muss nur...“

Unwillkürlich nahm der Hanyō den Stein und bemühte sich demonstrativ in eine andere Richtung zu gucken, als sie ihren Kimono raffte. Das würde Kagome sicher nicht so gern haben, wenn er anderer Frauen Beine betrachtete.

Die Megami warf einen Blick seitwärts. Ach, er schielte nicht mal halbherzig her! Und sie war doch die Göttin der Schönheit, auch so? War sie doch? Oder galt das nur für Menschen und nicht für Hanyō? Dieser Kleine war einfach niedlich und rätselhaft zugleich. Hoffentlich würde der dezente Trick funktionieren. „Danke, gib ihn mir wieder.“

„Hier.“ Noch immer etwas irritiert reichte Inu Yasha das Juwel zurück, erkundigte sich jedoch hilfsbereit: „Geht es oder bist du verletzt? Ich könnte dich tragen.“

Der Glücksgöttin entkam fast ein sehr ungöttlicher Atemzug. Solange sie existierte – das hatte ihr definitiv noch nie jemand angeboten. „Nein, es geht. Ich bin eine Megami.“

Eingedenk des Herrn Halbbruders und dessen Ansichten zu Hilfsangeboten bei Daiyōkai zuckte Inu Yasha etwas die Schultern. „Ich wollte dich nicht beleidigen.“

„Oh, das weiß ich. Es ist nur wirklich nicht nötig.“ Das „Kleiner“ unterschlug sie lieber, als ihr Blick auf die beiden Schwerter an seiner Hüfte fiel. Er war ein Krieger – kein kleiner Junge mehr. Aber irgendwie auch alles. Sehr irritierend. Aber, wie auch immer die Entscheidung über Hilfe für ihn ausfiel – das durfte sie nichts angehen. Sie hatte getan, was sie glaubte tun zu dürfen. „Komm, es ist nicht mehr weit.“

„Und wer erwartet mich da?“

„Ein Kami.“

„Ja, schon klar, mächtiger als du, hast du gesagt. Ich meine, was will er von mir? Was soll ich machen?“

„Das weiß ich nicht, Inu Yasha. Ich kann dir nur raten du selbst zu sein. Lügen wäre fatal. Und mehr darf ich nicht sagen, zumal ich selbst nur raten müsste.“

Er grinste etwas. „Sollte beim Raten ausgerechnet die Glücksgöttin falsch liegen?“

„Ich darf nicht,“ betonte sie etwas hektisch. Sie waren praktisch schon in Hörweite!

Auch der Hanyō konnte jetzt das Genki vor sich spüren, eine fremde Witterung. Na schön. Er hatte sich entschieden und das sollte er jetzt auch durchziehen. So richtete er sich unwillkürlich etwas auf und ging an der Seite der Glücksgöttin noch durch das nächste Unterholz, ehe sie stehenblieb und er gleich mit.

Die Megami verneigte sich höflich tief. „Inu Yasha...“ meldete sie formell.

Dieser musterte den älteren Mann mit langen, schwarzen Haaren, der in einem kostbaren, schwarzen Kimono mit weiten Ärmeln und roten Säumen unter einem Baum auf der Lichtung saß. Irrte er sich oder war das der einzige blühende Baum in diesem gesamten Wald? Vögel sammelten sich anscheinend bei dem auch. Irgendwie wäre es wohl höflich sich zu verneigen, aber das schaffte er nicht. Die dunklen Augen des Kami, denn das war der sicher, musterten ihn, sein Gesicht, dann die Klingen und er legte unwillkürlich die Klaue an Tessaiga. „Äh, das sind Tessaiga und Tenseiga,“ erklärte er dann doch, zumal der Andere weder aufstand noch irgendeine Absicht zeigte sie an sich zu nehmen.

Der erste Satz des Unbekannten galt allerdings der Glücksgöttin. „Du hast seine Ohren angefasst!“

Diese verneigte sich lieber nochmals. „Nicht jetzt!“ beteuerte sie.

„Lüge mich nicht an. Seine Ohren leuchten in Silber.“

Inu Yasha fasste unwillkürlich hinauf. Das hatten sie doch nicht getan, als er das letzte Mal in Wasser geguckt hatte? Konnten das nur Götter sehen? „Äh, das ist doch schon so lange her,“ versuchte er die nette Megami doch irgendwie zu verteidigen.

Der Kami schien irritiert. „Du kennst ihn?“ fragte er dennoch.

„Ja,“ erklärte die Fukujin eilig. „Aber da war er doch noch so klein.“

„Wie klein?“ Und da sie auf die Höhe ihrer Oberschenkel deutete: „Nun, Inu Yasha, so hast du wohl mit diesem Geschenk etwas anfangen können.“

„Ja, ich habe überlebt,“ konterte der Hanyō, etwas missmutig darüber, dass die nette Megami so schräg angemacht wurde. „Sonst wäre ich schon lange gestorben. Und ich wusste nicht einmal etwas davon, ich konnte mich nicht mehr daran erinnern.“

„Kishijōten, wann wollte dich das letzte Mal jemand verteidigen?“ Da die Glücksgöttin sich nur verneigte, schließlich wusste sie das auch nicht, blickte der Kami wieder zu dem Gast. „Inu Yasha. - Du hast offensichtlich weder eine Ahnung von Göttern noch von Höflichkeit. Und doch ersuchst du um Hilfe.“

„Ich suche eigentlich nur nach einem Wegweiser. Ich meine, ich will in das yomi no kuni, um meinen großen Halbbruder da herauszuholen, damit der wieder alles übernehmen kann. Ich habe hier Tenseiga, das ihn wiederbeleben könnte, wenn die Drachen ihm seinen Körper gelassen hätten. Haben sie nur leider nicht. Gib mir den Rat und ich bin weg. Die Zeit drängt nämlich.“ In Ordnung, höflich war das nicht, hätte Kagome vermutlich gemeint, und so ergänzte er doch etwas verlegen: „Sechs Tage nur noch, dann kreuzt im Westen so ein Fürst auf, und wenn weder Sesshōmaru noch ich da sind, wird der vermutlich meine Stiefmutter heiraten und alles übernehmen wollen.“

Die dunklen Augen betrachteten ihn ähnlich wie ein Raubvogel einen davon laufenden Hasen. „Dir ist bewusst, dass du Tenseiga und Tessaiga trägst.“

„Ja, klar. Tessaiga ist das Erbstück meines, unseres, Vaters für mich und Tenseiga für nii-san.“

„Und jetzt suchst du im yomi nach So´unga.“

Inu Yasha hätte geschworen, dass er blass wurde. „Ganz ehrlich, Kami, nein. Dieses dämliche Blechstück wollte mich übernehmen, als ich es zufällig in der Zukunft fand. Und es war wirklich ein solides Stück Arbeit, das wieder in die Unterwelt zu schicken. Sesshōmaru und ich haben das geschafft, eben mit diesen beiden Schwertern hier. Dieser durchgeknallten Höllendrache kann herzlich gern da bleiben, wo er jetzt ist. Wie kommst du denn auf die Idee?“ Und, wohin war denn die Glücksgöttin, wie hieß sie, Kishijōten, denn auf einmal verschwunden?

Der sitzende Gott ließ sich sichtlich nicht aus der Ruhe bringen. „Nun, drei Schwerter, drei Welten.“

„Ach, du glaubst auch das, was der Schmiedeopa, ich meine, Tōtōsai da von sich gab? Die drei Klingen der Weltherrschaft? Blödsinn. Tessaiga ist meins, und, ich gebe zu, es ist dann am Besten, wenn ich jemand beschützen will. Tenseiga ist dazu da, Sesshōmaru zu beschützen und rettet ab und an auch Leben, wenn der es will. So´unga, na, wie gesagt... Wer will das denn schon haben?“

„Du widersprichst dir selbst, Inu Yasha. Wenn Tenseiga dazu erschaffen wurde deinen Halbbruder zu schützen – wieso ist er tot?“

„Weil dieser Riesenhundeidiot es nicht zu den Drachen mitgenommen hat! Und keiner auch nur eine Ahnung hat warum nicht.“

„Tatsächlich? Dann hat wohl niemand mitgedacht, außer ihm. Du offensichtlich auch nicht.“ Der Kami erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung. „Du bist eigenartig.“

„Ich bin ein Hanyō, Kami. Vielleicht hast du noch nie einen getroffen.“

Dieser Junge verwendete nicht einmal die Anrede Kami-sama, wie es auch nur gewöhnlichen Gottheiten zustand, sondern eher den Begriff wie einen Namen. „Das sicher nicht. Und, du bist das Kind eines Daiyōkai und einer...“ Der Gott brach kurz ab. „Hast du irgendwie zufällig das Juwel berührt?“

„Welches? Der Glücksgöttin?“ Sie hatte anscheinend gewusst, warum sie sich aus dem Staub machte. „Äh, ja. Sie drückte es mir in die Hand, als ein Dornzweig oder so in ihrem Kimono hängen blieb.“

„Das kam dir nicht seltsam vor.“

Irgendetwas in der Stimme des Kami alarmierte Inu Yasha, aber er erwiderte ehrlich: „Nein, das passiert Frauen nun mal in so langen Kleidern.“

„Und, als du das Juwel in den Händen hieltest?“

„Äh, was?“

Der Kami hätte fast den Kopf geschüttelt. „Dieses Juwel, das Kishijōten in der Hand hält, nennt man auch das Nyoihōgu Juwel, das Juwel, das Wünsche erfüllt. Sie hätte es dir niemals geben dürfen, solange du einen Wunsch hast. Und in die Unterwelt willst.“

„Ach, darum ging es ja nicht. Ich erzählte ihr von meiner Ehefrau, Kagome, die gestorben ist und sie erzählte mir, dass das eigen sei, wenn sie und das Juwel von Menschen dargestellt würden, würde das oft in Form eines Kagome passieren, eines Dreiecks, wohl.“

„Unverständige Kinder! - Was sagtest du, als sie dich nach deinem Wunsch fragte?“

„Naja, dass ich eben nii-san aus der Unterwelt holen will und eben irgendwie auch doch darauf hoffe, dass Kagome wieder geboren wird. Sie wurde schon mal wieder geboren, das weiß ich. - Ist was, Kami?“

„Ich vermute, es ist alles anders. Ob schlecht oder gut vermag ich nicht zu sagen. Komm, Inu Yasha, gehen wir ein wenig. Und du erzählst mir von deinem Leben, damit ich beurteilen kann, ob ich dir den geheimen Weg in die Unterwelt zeige.“

„Äh, das wäre schon nett.“ Zur gewissen Verwunderung des Hanyō schüttelte sein Begleiter sehr langsam den Kopf.

 
 

Prüfung des Kami

The last and lingering troubadour

to whom the bird has sung

that once was singing southwards,

when all the world was young

 

Clamavis de profundis: Battle of Lepanto
 

 

„Nun, Inu Yasha? Ich hatte gesagt, du sollst mir dein Leben erzählen.“

Sie gingen nebeneinander durch den Wald – der Gott und der Halbdämon. Inu Yasha bemerkte durchaus, dass der Kimono des Kami knapp über der Erde schwebte, diese nicht berührte, sich Bäume und Gras vor ihm bogen. Nun ja, das kannte er von seinem Halbbruder, wenngleich nicht in diesem Ausmaß, meinte er zu wissen, und so zuckte er etwas die Schultern. „Sorano sagte, es gäbe eine Prüfung für mich. Irgendwie stelle ich mir etwas anderes darunter vor als Reden.“

„Hattest du keine Lehrer? Wie liefen da die Prüfungen ab?“

„Äh, nein. Ich hatte keine.“

„Ich meinte mich zu entsinnen, dass dein Vater ein mächtiger Mann unter seinesgleichen war und auch deine Mutter aus, nun, guter Familie.“

„Ja, aber mein Vater starb am Tag meiner Geburt.“ Wieso wusste ein Kami dermaßen viel von ihm? Wer hatte da getratscht? Myōga? Eher weniger. Der passte auf Familiensachen auf. Na, egal. „Und meine Mutter zeigte mir schon, wie ich lesen und schreiben lerne, aber sie starb ja dann.“

„Wie alt warst du, als sie starb?“

„In Menschenjahren sechs oder sieben. Ich alterte damals mehr wie ein Mensch.“

„So klein und doch schob dich deine Yōkaifamilie in den Wald ab? Kishijōten erwähnte, dass sie dich traf.“

„Nein, Kami, nicht die Yōkaifamilie. Die menschliche.“

Zum gewissen Erstaunen des Hanyō drehte der Kami etwas zu abrupt den Kopf zu ihm um es gleichgültig erscheinen zu lassen. „Die Menschen?“

„Ja. Genau weiß ich es nicht, aber nachdem meine Mutter am Waldrand ihren Gedenkstein bekommen hatte, ging jemand mit mir in den Wald und dann war ich allein.“

„Deine Mutter ging also nach dem Tode deines Vaters zu ihrer Herkunftsfamilie? Das war doch ein Schloss?“

„Ja.“ Inu Yashas Verwunderung stieg. „Es gab sogar einen Spielplatz, also, für Ballspiele,. Ich erinnere mich, dass da Männer mit hohen schwarzen Mützen spielten, aber einen Hanyō nicht mitspielen ließen. Wieso?“

„Erzähle nur weiter. Du warst allein im Wald. Kam da nicht auch einmal dein Halbbruder vorbei?“

„Selten, aber das war meist … naja. Er wollte immer kämpfen und manchmal dachte ich er wolle mich umbringen. Aber er machte es nie, obwohl er ja erwachsen war und ich ein Kleinkind. - Inzwischen verstehen wir uns ganz gut.“

Zum nächsten Mal beschlich den Kami die Vermutung, dass das ein sehr seltsamer junger Mann war. „Ganz gut. Und du willst für ihn in das Land der Dunkelheit.“

„Ja.“

„Und, wie lerntest du deine Gefährtin kennen? Im Wald?“

„Äh, nein, ich... ich suchte ein Zuhause. Ich war doch so allein. Da war ich aber schon groß, fast erwachsen. Und da traf ich eine Miko im Wald. Sie hieß Kikyō. Ich folgte ihr heimlich, aber sie bemerkte mich natürlich. Und....“ Einmal ins Erzählen gekommen, berichtete der Hanyō von Kikyō, Narakus Verrat, wie sie ihn an den Baum gebannt hatte und er jahrelang geschlafen hatte, bis ihn Kagome weckte.

Der Kami unterbrach ihn nicht, auch, wenn er sichtlich stutzte, als er hörte, dass Kagome aus der Zukunft gekommen war und Kikyōs Wiedergeburt sei. Erst, als der Hanyō von Kagomes Tod berichtete und ihm dabei fast die Stimme brach, meinte er fast sanft: „Das kann ich nachvollziehen. Meine Gefährtin starb auch.“

„Götter können sterben?“

„Alles kann sterben. Auch ein Daiyōkai, auch ein Kami. Nur unsere Lebensspanne ist sehr lang, aber ein gewaltsames frühzeitiges Ende ist nicht unmöglich. Das Leben der Menschen ist kurz. - Dachtest du wirklich, als die drei Welten geschaffen wurden, dass die Unterwelt keinen Sinn ergab?“

Öhrchen zuckten, ehe es die Schultern taten. „Ich weiß nicht, darüber habe ich nie nachgedacht.“

Und niemand hatte ihm das je beigebracht. Oder auch nur beibringen können. „Hast du einmal die Geschichte gehört, warum Sonne und Mond getrennt sind, obwohl sie doch Geschwister sind?“

„Nein.“

„Tsukiyomi, der Gott des Mondes, tötete einmal in einem Zornanfall eine der Weberinnen der Göttin der Sonne und Herrin des Takamahara, Amaterasu. Eine niedere Gottheit, aber siehst du, sie starb. Die Sonnengöttin wurde darüber so zornig, dass sie ihm einen Boten sandte, dass sie ihn nie wieder sehen wollte und er zu verschwinden habe, wenn sie erscheine. Auch Kami sterben, Inu Yasha, und gelangen in die Unterwelt, bis diese Welt endet.“

Hm. Aber vielleicht bekäme er hier eine Frage beantwortet, die er sich seit fünfzig Jahren stellte. „Warum leben Menschen nicht länger? Ich wäre sehr glücklich, wenn Kagome noch am Leben wäre.“

Eine sehr ungewohnte Rolle, die er hier einnahm. Prüfung, ja. Für wen? „Wäre sie das auch? Sie ist ja anscheinend recht alt geworden, aber der menschliche Körper ist eben … nun, verbraucht.“

Das stimmte leider. „Ja, schon. Ich hoffe eben, dass sie wiedergeboren wird und ich sie dann finde oder sie mich.“ Inu Yasha sah seitwärts. „Ja, ich weiß schon, dass sie sich verändert haben wird, es gab ja auch einen Unterschied zwischen Kikyō und Kagome, aber es war doch die Seele da....“

„Sehr menschlich, diese Hoffnung. Trauerte deine Mutter sehr um deinen Vater?“

„Ja.“

„Sie erkannte nicht, dass es womöglich so besser war? Ruhig, Junge. Hast du je daran gedacht, wie groß der Altersunterschied und die Lebenserwartung war? Dein Vater war ein Daiyōkai, hatte über tausend Jahre kommen und gehen gesehen, sie kaum, sagen wir, achtzehn Sommer. Wären sie länger zusammen gewesen, über was hätten sie sich unterhalten sollen? Was hätte ihn dazu bewegen sollen bei ihr zu bleiben, wenn ihre Jugend verblüht wäre?“

Das mochte stimmen, aber, da gab es ein ABER. „Ich habe mich mit Kagome auch immer über alles unterhalten. Und, wenn du das so rechnest, wäre ich auch viel älter als sie.“

Das Gespräch verlief nicht so ganz nach dem göttlichen Plan. „Du bist kaum erwachsen für einen Yōkai. Und sie alterte. Und doch hast du sie nicht verlassen, meinst du. - Nun, erzähle mir doch wie das mit So´unga war. Du erwähntest, du hast es in der Zukunft gefunden? Konntest du etwa mit deiner Kagome in ihre Zeit?“

„Äh, ja. Damals schon noch.“ Doch etwas verwundert über das Interesse an ihm erzählte Inu Yasha folgsam, bis er endete: „Dann plötzlich erschien eine Gestalt über dem Schacht und Sesshōmaru sagte: chichi-ue. Das war also unser Vater. Ich glaube, wir guckten da alle beide ein bisschen komisch. Naja, jedenfalls meinte der, wir hätten die Lösung endlich gefunden und so. Es war eindeutig ein Lob.“

Der Kami neigte etwas den Kopf schräg. „Nun, es war in der Tat eines. Euch gelang, woran er scheiterte. Aber sein Plan hatte wohl funktioniert. So´unga ist nichts, was in der Welt der Menschen sein sollte.“ Und, obwohl er sich wahrlich nicht mehr in die Geschicke dieser Welten einmischte, so war er dennoch mit gutem Grund auf dem Laufenden gehalten worden, nachdem ausgerechnet dieses Schwert aus dem yomi gestohlen wurde. Und auch nun war er informiert worden – zwei Schwerter der Macht in einer Hand, dazu dieser junge Krieger auf dem Weg in die Unterwelt, wo das Dritte lag, verdiente seine Aufmerksamkeit.

Inu Yasha konnte das nur als Anspielung auffassen. „Wie schon gesagt, ich würde es nicht einmal geschenkt nehmen. Meine Erfahrung mit dem dämlichen Stück Altmetall reicht mir.“ Er sah sich um. „Kami, mal ganz ehrlich. Hilfst du mir oder nicht? Die Sonne geht bald unter und in fünf Tagen taucht dieser Daichi im Schloss auf. Was die Drachen inzwischen treiben weiß ich auch nicht, aber wenn die es schaffen Bakusaiga zu beherrschen, gibt es garantiert Ärger.“

Der Kami verschwieg, dass er die Bilder im Kopf seines jungen Begleiters erfassen konnte, meinte jedoch: „Du denkst an deine Stiefmutter, an deinen Bruder, an den Westen und an deine Gefährtin. Nicht an dich. Für einen Yōkai würde ich sagen, ungewöhnlich, aber auch für einen Menschen. Und, du bist ungeduldig. - Nun gut. Verbringen wir die Nacht dort vorn. Du kannst schlafen und ich werde … einige Kontakte auffrischen. Danach kann ich dir die Antwort geben. Auch, wenn sie dir womöglich nicht gefällt. Sie ist dann endgültig.“

„Mir gefällt seit geraumer Zeit so einiges nicht, Kami.“ Eigentlich fast sein gesamtes Leben, bis auf die Zeit mit Kagome. Naja, und Kikyō, das war ja sozusagen die Einstimmung gewesen, die Vorbereitung. Zu seinem gewissen Erstaunen schwieg sein Begleiter dazu und ließ sich nur mit schwunghafter Eleganz vor einigen Sträuchern nieder – die prompt zu blühen begannen. Nun ja. Der Kerl hatte offenkundig etwas drauf. Und die Sonne begann unter zu gehen. Vielleicht sollte er wirklich schlafen. Der nächste Tag würde so oder so anstrengend werden. Mit einem Satz war er auf dem nächsten Baum.

Der Kami bemerkte es und erkannte darin durchaus die Vorsicht aus einsamen Kindertagen. Ein seltsamer junger Mann. Aber, natürlich, auch der erste Hanyō, den er je getroffen hatte. Er legte die Hände auf die Oberschenkel und schloss die Augen. Vor ihm lag eine gewisse Verhandlung, die Strategie notwendig machte. Und dazu musste er die drei Welten verbinden – etwas, wozu allein er unter allen Lebenden imstande war.

 

Inu Yasha schlief noch auf dem Baum, als sich der Unbekannte aus seiner Trance löste und zu ihm blickte. Die zwei Schwerter, die in allen drei Welten gewisses Kopfzerbrechen ausgelöst hatten, hingen locker an dessen Seite. Nun, scheinbar, denn er hielt eine Hand an Tessaigas Griff. Und beide Schwerter, beide Scheiden, pulsierten in gewissen Abständen für Augen, die es sehen konnten. Diese Klingen wachten für ihren Besitzer. Überdies hatte dieser junge Mann So´unga für eine erstaunlich lange Zeit widerstehen können. Nun gut, das mochte das Blut der Hundefamilie sein. Aber, wie war es ihm gelungen dem Bann des Höllendrachen wieder zu entkommen? Offensichtlich war genau dies geschehen, sonst hätten die Halbbrüder So´unga kaum wieder in die Unterwelt befördern können, Klingen hin oder her.

Eines war jedenfalls offenkundig: Inu Yasha besaß einen eindeutigen Drang zu beschützen, aber kein Machtbewusstsein oder auch nur den Willen zur Macht, der ansonsten Yōkai und Menschen nur zu gern in den Untergang trieb. Ein sehr eigenartiger junger Mann, nicht nur in der Herkunft, auch im Wesen. Nun gut. Er würde ihm noch einige Fragen stellen.

„Inu Yasha.“

Prompt fuhr der Hanyō auf, die Hand nur fester um sein Schwert, ehe er sich entspannte, da er die Lage erkannte, und vom Baum hopste. Anders war das kaum zu beschreiben.

„Kami?“

Immerhin doch noch höflich genug sich nicht sofort nach der Antwort zu erkundigen. „Ich muss dich noch etwas fragen. So´unga hatte dich übernommen, wenngleich nach heftiger Gegenwehr. Habe ich das recht verstanden?“

„Ja. Es wickelte sich dann so um meinen Arm, also, irgendwie Fäden, die sich in mich rein fraßen so dass ich es nicht mehr weg bekam. Kagome hat mich dann aus dem Bann befreit.“

„Deine Gefährtin?“

„Ja. Weißt du, Kami, nein, natürlich nicht, sie war eine recht starke Miko.“ Und selbst Sesshōmaru hatte da gemeint er solle sich bei ihr bedanken.

„Ungewöhnlich. Zumal sich solche Miko eigentlich nur weiträumig um Yōkai bewegen, geschweige denn, Daiyōkai.“

„Na, ich bin ja auch nur ein Hanyō.“

Da wäre Selbsterkenntnis von Nöten, wenngleich völlig anders als bei jedem anderen bei dem er das so gesehen hatte. „Dann überlege doch einmal, wie viele Daiyōkai du so im Laufe deines Lebens geschlagen hast – angefangen bei deinem Halbbruder.“

„Äh, einige?“ Inu Yasha kratzte sich kurz hinter dem Ohr. „Aber, ist doch eigentlich egal. Kann ich jetzt in die Unterwelt und wenn ja, wie kann ich nii-san da rausholen?“

„Ich werde dir den Weg zeigen. Aber, du wirst auf einige Hindernisse stoßen, die du dann allein bewältigen musst. - Und zunächst gehen wir einmal Geschenke für die Große Göttin der Unterwelt zu beschaffen.“

„Geschenke?“

„Weißt du nicht, dass der Tod nichts umsonst freigibt?“

„Habe ich gehört,“ murmelte Inu Yasha. „Aber, was soll ich so jemandem schenken? Iza...Izanami hat doch alles.“

Das war nur halb richtig. Wer hatte diesen jungen Mann, eher, diesen Jungen, nur unterrichtet? „Nicht alles. Und, wenn du sie so im yomi no kuni ansprichst, hast du ein ziemlich ... scheußliches Nachtoderlebnis. Wahre die Höflichkeit.“

„Ja, schon gemerkt. Also, was für Geschenke?“

„Kennst du die Geschichte der Erschaffung der drei Welten?“

Der Hanyō war soeben froh tatsächlich Kaede zugehört zu haben, als sie das Kagome erzählte. „Ja. Einst kamen Götter her, Izanagi und Izanami. Mit Hilfe eines Speeres erschufen sie weitere Inseln als der einen, auf der sie gelandet waren, bekamen viele Kami als Kinder und schufen Tiere, Menschen und auch Yōkai. Dann bekam Izanami einen Sohn, allerdings den Feuergott, und starb daran. Seither ist sie die Herrin der Unterwelt. Izanagi bekam irgendwie allein noch Kinder und verschwand dann wieder, seine Kinder bezogen das Himmlische Reich.“

„Nun ja. Eine arge Kurzfassung.“ Da lag tatsächlich eine Aufgabe als Lehrer vor ihm? Das war ihm noch nie widerfahren. Sollte auch er seine Grenzen kennenlernen?

„Kami, ich habe doch nie angenommen, dass das mal wichtig für mich wird.“

Das grundsätzliche Problem war die praktisch reine Seele dieses Jungen. Naiv, irgendwo unerfahren, doch erfahren, leider nur im Überleben, mächtiger als er sein sollte – und doch … Ja, außer seinem Vater der Einzige, der je alle drei Schwerter der Macht in der Hand hielt. Kishijōten hatte das wohl eher erkannt, wenngleich sicher unbewusst. „Komm mit. - Der Speer, den du erwähntest, ist ein Juwelenspeer. Seine Spitze besteht aus Juwelen. Und er beinhaltet das Licht anderer Welten.“ Er setzte sich in Bewegung, prompt seinen jungen Begleiter an der Seite, der ihn musterte.

„Noch anderer. Und, soll ich etwa mit diesem Speer in die Unterwelt.... He, nicht blass werden. Ich frage ja nur.“ Das klang fast entschuldigend, aber er hatte bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht angenommen, dass solchen Typen schwindelig werden konnte. Er hätte fast zugepackt um den zu halten.

Tatsächlich war dem Kami für einen Augenblick ganz anders geworden, ungewohnt für ihn, bei der Vorstellung, wie der Hanyō, den überaus mächtigen Speer wedelnd, Tenseiga und Tessaiga an der Hüfte, in das yomi no kuni wanderte. Das wäre mutmaßlich der Untergang von gleich drei Welten, obwohl der Junge das nicht einmal beabsichtigte. Er sollte wirklich der Lehrer sein. „Nein. Einige, genauer, drei Splitter werden reichen. Und diese solltest du noch beherrschen können, zumal, wenn Tenseiga in der Nähe ist. Ich hoffe, du weißt, was diese Klinge in der Unterwelt vermag.“ Wenigstens das, bat er, wen auch immer.

Die Ohren zuckten wieder, ehe Inu Yasha zugab: „Nicht so richtig, sie gehört ja nii-san und darum habe ich mich eigentlich nicht so richtig damit befasst. Sicher, als er mit ihr ein meidō schlagen konnte, musste ich schon aufpassen, aber das hat er mir ja gelassen. Ich meine, er hat es von seinem Schwert auf meines übertragen. Der Schmiedeopa erzählte dann ja auch, dass sie mal eine Klinge waren. Oh, der Schmiedeopa. Tōtōsai. Lebt der noch?“

Ein tiefes Seufzen. Gut, da konnte er einen womöglich sogar hilfsbereiten Lehrer kaum tadeln. Das war die Aufmerksamkeitsspanne eines Welpen, in der Tat. „Ich denke. Und der Schmiedeopa, wie du ihn nennst, Tōtōsai, ist sicher einer der fähigsten Schmiede, die es je gab. Denke nur an die Klingen, die du trägst.“

„Ja, aber er vergisst viel. Ist eben schon alt,“ ergänzte er entschuldigend.

„Inu Yasha, er vergisst nie etwas Wichtiges.“

„Aha.“ Ein sehr misstrauischer Blick aus goldfarbenen Augen traf den Kami. „Und, wo ist er jetzt?“

Die Antwort überraschte Inu Yasha dann doch. „Bei seinem Meister.“

„Oh. Der muss dann ja uralt sein.“

DAS war das Einzige, was diesem... diesem Welpen dazu einfiel??? Eindeutig, diese Prüfung war eine für ihn selbst. „Sein Meister ist, soweit ich weiß, fast so etwas wie unsterblich. Ein Kami.“

„Oh.“

Die Überraschung des Hanyō war dermaßen überzeugend, dass sein Begleiter unwillkürlich den Kopf schüttelte. „Hast du eigentlich je über die Menschen, Yōkai oder andere Leute nachgedacht, die du getroffen hast?“

„Naja, weißt du, die ersten Jahre, Jahrhunderte, wollten mich andere Leute entweder fressen oder umbringen. Dann wurde es besser. Kagome, auch Miroku und Sango, sie haben mir Freundschaft beigebracht. Lachen. Und Weinen. Kikyō, ja auch, sie brachte mir bei, dass ich jemandem vertrauen kann, auch, wenn das dank Naraku ja schrecklich schief ging.“

Einsamkeit. Lange Jahre des Alleinseins als Kind hatten wohl viel verschüttet. Umso erstaunlicher war das Ergebnis. Die Fukujin hatte recht behalten ihm Glück mit auf den Weg zu geben. Sein früher Tod hätte einiges auslösen können. Nicht zum Besseren von gleich drei Welten. „Und Sesshōmaru?“

„Früher fand ich ihn einen Misthund, zugegeben. Aber dann ...Wir kämpften Seite an Seite, gegen Naraku und andere, auch gegen So´unga. Und er vertraute mir Rin an, das war ein Menschenmädchen, das er adoptiert hatte. Und er wurde … naja... netter. Für seine Verhältnisse.“ Er hatte ihm in einem ihrer letzten Übungskämpfe sogar gezeigt, wie man eine dieser eleganten Bewegungen machen konnte um einem Gegner das Schwert aus der Hand zu drehen. Natürlich mit „törichter Hanyō“ garniert, aber das machte ja nichts. Nichts mehr.

„Eine letzte Frage noch.“ Der Kami erkannte an den zuckenden Ohren die Ungeduld. „Du fandest ihn einen Misthund. Und doch kämpftet ihr Seite an Seite?“

„Er schimpfte oft genug, wenn ich kam um ihm meine Hilfe anzubieten. Man mische sich nicht in anderer Leute Sachen. Schickt sich nicht für einen Yōkai, geschweige denn einen Sohn des Inu no Taishō.“

Aber der Junge war immer gekommen. Und kam jetzt auch wieder um seines Bruders Willen. Ob das dieser Daiyōkai eigentlich je begriffen hatte? Vermutlich. Da war die Sache mit Tenseiga. „Gut. Komm. Wir gehen zu dem Juwelenspeer.“ Mit einer Handbewegung des Kami erschien ein schwarzes Loch, wirbelnd und drehend vor ihnen.

Inu Yasha warf einen Blick beiseite. „Ein Portal.“

„Dachtest du etwa, der Juwelenspeer läge um die Ecke?“

„Nein, ich meinte – du oder ich zuerst?“

Mut, ohne Zweifel. In das Unbekannte zu springen, als erster. Mit der Lebenserfahrung sicher kein Leichtsinn. „Ich gehe zuerst.“ Denn die magischen Hindernisse mussten erst einmal beseitigt werden. So machte der Kami den Schritt in die Schwärze und konnte noch spüren, wie der Hanyō hinterherkam.

 

Kurz darauf standen beide in einem weiten, von einer blühenden Wiese überzogenen Tal, dessen Seiten rechts und links aufstiegen, von einem dichten Wald verborgen. Inu Yasha sah sich rasch um, die Klaue unwillkürlich an Tessaiga, entspannte sich dann.

Ja, Lebenserfahrung, dachte der Kami. „Wir befinden uns bereits innerhalb der Bannkreise um das Versteck. Der erste Zauber soll Kami abhalten.“

„Du bist durchgekommen.“

„Glaubst du, ich würde das tun, wenn ich es weder könnte noch dürfte?“

„Äh, nein.“

„Der zweite Bann wird für dich lästiger, er geht gegen Yōkai. Du wirst also geläutert werden, wenn du mit hindurch gehen willst.“

„Ja, dann werde ich zum Menschen, das habe ich damals am Berg Hakurei gesehen. Ich lasse dich schon nicht allein.“

DAS hatte ihm auch noch niemand angeboten. Nun ja, seine Gefährtin, aber die hatte das brechen müssen, als sie starb. Wieder einmal kam ihm der Gedanke, dass dieser junge Krieger nicht nur keine Ahnung von Göttern hatte, sondern nicht einmal den Hauch einer Ahnung was er selbst vermochte. Naiv, vielleicht. Aber als die Welt noch jung war, hatten die Vögel Lieder gesungen von furchtlosen Helden, die ohne Ehrgeiz ihre Waffen hoben um die Unschuldigen zu beschützen. Ein einstiger Wunsch, sicher. Er fühlte sich jedoch sehr daran erinnert. „Dann wird der dritte Kreis für dich unüberwindlich,“ erklärte er jedoch, getreu seiner Absicht Lehrer zu sein. „Dieser wehrt Menschen ab. Ich werde dann in das Versteck gehen und dir die drei Splitter holen. Was ist?“

„Oh, nichts. Ich habe nur keine besonders guten Erfahrungen mit Juwelensplittern gemacht.“

„Das shikon no tama, ja, du erzähltest davon. Das hier ist etwas anderes. Viel mächtiger. Darum sollst du sie auch nur kurz verwahren und so rasch es geht dich ihrer wieder entledigen. Tenseiga wird dir helfen.“

Da sein Begleiter sich abwandte und ging, folgte Inu Yasha mit einem weiten Satz. Immerhin kam er in die Unterwelt und dazu noch mit Bestechungsjuwelen für dessen Herrin. Das war wirklich doch ein wichtiger Schritt zur Wiederbelebung Sesshōmarus. Fragte sich nur, ob er es dann irgendwie als Dreingabe noch erbitten könnte, dass Kagome...

Ach, nein. Das sollte er nicht einmal hoffen. Die Enttäuschung würde zu groß werden.
 

Speer der Schöpfung

Diamonds are forever

they are all I need to please me

 

Sheena Easton: James Bond, Diamantenfieber

 

Keine einhundert Schritte war das ungleiche Paar auf der blühenden Wiese gegangen, als Inu Yasha den Bann bemerkte, schmerzhaft und läuternd. Das war ärger als damals am Berg Hakurei.
 

Der Kami, der das das erste Mal in seinem doch recht langen Leben sah, musterte besorgt, wie sich der Hanyō voran mühte, dann durch die Magie gelangte, allerdings keuchend und eindeutig als Mensch auf die Knie ging. „Das ist … faszinierend,“ gab er zu. „Ich habe so etwas noch nie gesehen, um ehrlich zu sein, hätte ich auch nicht angenommen, dass das möglich ist. War es sehr schmerzhaft?“

„Keh, geht schon.“ Inu Yasha richtete sich auf. „Aber jetzt bin ich eben nur ein Mensch. Und kann damit zum Beispiel auch Tessaiga nicht führen, das braucht Yōki. Ich kann dich jetzt nicht beschützen.“

Der schwarzhaarige Mann strich erst einmal sein Haar zurück, um seine Fassung wieder zu erlangen. Wann hatte ihn denn je jemand beschützen wollen? Ja, sich dafür entschuldigt, dass er es gerade nicht könne? Eigentlich hatte der Junge nahe bei ihm bleiben sollen, damit ER ihn beschützen könnte, nicht andersherum. „Sonst geht es dir gut? Keine Schmerzen mehr?“

„Nein. Geläutert zu werden ist nicht so angenehm, weißt du, aber ich überlebe es. Ein reinblütiger Yōkai, der nicht gerade aus der obersten Schublade ist, würde hier sterben, wenn er nicht umdreht.“

„Ja, das war der Zweck. Weder Gott noch Dämon noch Mensch sollen an den mächtigen Speer gelangen. - Glaubst du, dein Halbbruder käme durch?“ Echte Neugier lag in der Frage.

„Keine Ahnung. Der und seine Mutter haben schon an Magie etwas drauf. Ich meine, sie trägt ein Medaillon, das ein meidō machen kann, er konnte schon vor Jahrhunderten Dämonen aus der Unterwelt beschwören.“

„Ach, ein Meidō-Stein. Ja, das war der Rest von Tenseiga, sozusagen. So überrascht? Komm, gehen wir weiter. Du sagtest, dass die Zeit dränge. - Als dein Vater beschloss, dass es wahrlich an der Zeit wäre So´unga wieder in die Unterwelt zu schaffen, kam er, der Krieger und Kriegsherr war, fast natürlich auf den Einfall dies mit einem ebenbürtigen Schwert zu versuchen. Er fragte Tōtōsai. Dieser wiederum wandte sich an seinen Meister, denn er wusste, dass So´unga von allen Welten nur zu gern wieder im yomi no kuni gesehen wurde. Dies gelang nur nicht. Diese Klinge, wie jedes magische Artefakt, auch der Juwelenspeer dort vorne, passt auf sich selbst auf. Tōtōsai erhielt zwei Ratschläge: zum Einen, dass dieses Schwert ebenso mächtig und damit auch gefährlich wäre wie So´unga, man eher zwei machen sollte, und zweitens, dass ein Yōkai einen Stein aus der Unterwelt gestohlen habe, diesen mit seiner Klinge verbunden habe und so ein meidō zangetsu in das yomi schlagen könne.“

„Shishinki, ja, den haben wir getroffen.“ Endlich hörte er einmal von jemandem von seinem Vater. Diese Vorgeschichte hatte zwar der Schmiedeopa erzählt, aber dessen Gedächnis war nicht zu trauen.

„Dann ist er tot.“ Das war eine Feststellung, die nicht zuletzt aus dem „wir“ gezogen wurde, denn Tenseiga und Tessaiga zusammen waren wirklich tödliche Gegner, zumal in der Hand ihrer rechtmäßigen Besitzer. „Tōtōsai schmiedete also eine Klinge, die so mächtig wie So´unga sein sollte, wenn sie das meidō dazu bekam. Euer Vater stellte Shishinki zum Kampf und erbeutete den Pfad der Dunkelheit. Ich bin mir nicht sicher, ob er dann verstand, dass er zwar ein gefährliches Schwert los wäre, das zweite aber noch hätte – oder ob er da bereits an zwei Söhne dachte. Jedenfalls beauftragte er Tōtōsai aus einer Klinge zwei zu machen, mit genauen Anweisungen. So entstanden die beiden Schwerter, die du gerade trägst. Allerdings blieb auf diese Art noch etwas von dem ursprünglichen Material zurück. Euer Vater schenkte es seiner Gemahlin, die es sichern konnte. Wie du sagtest, sie ist magisch recht talentiert. Ich wurde tatsächlich auf dem Laufenden gehalten, nun, wegen So´unga.“

„Aber das Teil ist doch hoffentlich nicht nur im yomi, sondern auch noch gesichert?“ erkundigte sich Inu Yasha mit einem plötzlich unangenehmen Gefühl im Magen. Das fehlte noch, dass er sich noch zusätzlich mit diesem dämlichsten Schwert aller Welten herumschlagen müsste, ohne Bruderherz.

„Das denke ich, ja. Ich selbst kann ja nicht nachsehen gehen, nun, erst wenn ich hier sterben würde.“

„Nein, das meinte ich ja nicht,“ beteuerte der Hanyō hastig. „Ich wollte nur wissen, ob ich diesem Stück Altmetall begegnen könnte...“

„Nein. Aber die genauen Verhaltensmaßregeln gebe ich dir später.“ In der gewissen Erkenntnis, dass sich dieser Junge Sachen nicht allzu lange merken wollte oder konnte. „Dort ist der Bann gegen Menschen. Du solltest hier warten. Es mag etwas dauern, weil ich doch durch die eine oder andere Sicherung muss.“

„Ja, gut.“ Inu Yasha konnte nur Wiese um sich erkennen, aber als Mensch, das hatte er ja gestern Nacht erst gesehen, war er wirklich hilflos. Der Kami würde schon wissen wohin er musste, wenn er schon extra beauftragt worden war. Von wem eigentlich? Der kannte sich jedenfalls ganz gut mit dem Thema So´unga aus. Ach ja, hatte die Glücksgöttin nicht gesagt, der sei schon einmal im Land der Dunkelheit gewesen? Vermutlich auch so ein Auftrag. Was machte der denn jetzt?

Zum gewissen Erstaunen des Hanyō schien der Kami mitten in der Wiese eine Treppe hinunter zu steigen, behutsam, langsam, als sei sie glatt, ehe er buchstäblich wie vom Erdboden verschluckt, verschwand. Ob er doch nachgehen sollte? Lieber nicht, es hatte ja geheißen, dass der Bann für oder eher gegen Menschen sei. Die durften also am dichtesten an diesen Speer heran. Klar, irgendwo. Die meisten Menschen würden einen Bann nicht einmal wahrnehmen. Und dieser ominöse Juwelenspeer schien auch nicht wild darauf zu sein jemanden zu übernehmen. Also schön. Er zog sich die Zwillingsschwerter aus dem Gürtel und ließ sich mit unterschlagenen Beinen nieder. Immerhin erhielt er tatsächlich Hilfe, das war bestimmt schon mal einiges wert.

 

Es dauerte und Inu Yasha wurde etwas besorgt. So stand er auf und musterte die scheinbar so harmlose Wiese. Minuten später legte er unwillkürlich die Klaue an Tessaiga.

„Du willst mir doch nicht hinterher?“

Er fuhr herum. Tatsächlich tauchte der Kami aus dem Boden auf – wortwörtlich, denn erst war offensichtlich der Kopf erschienen, nun der restliche Körper Das konnte doch nur bedeuten, dass er selbst hier schon auf dem Versteck des Speeres stand? So warf der Hanyō einen forschenden Blick auf das Gras unter sich, aber so als Mensch konnte er nichts entdecken.

Der Kami kam mit einem wissenden Lächeln heran. „Du weißt, dass du ein Mensch bist, aber du wärst selbst so bereit mir zu helfen? Ich sollte mich wohl bedanken. Ich habe die drei Splitter. Nun, gehen wir. Ich werde ein Portal erschaffen zu einem Ort, der nahe unseres Zieles liegt. Dort solltest du erst einmal noch essen. Warum, erzähle ich dir dann. Und du wirst so auch deutlich schmerzloser wieder zu einem Hanyō.“

Inu Yasha nahm das zwar zur Kenntnis, wollte jedoch nicht darauf hinweisen, dass die Rückverwandlung weitaus angenehmer war. Wichtiger war etwas anderes. „Wieso essen? Ich habe keinen Hunger, aber es eilig!“

„Glaub mir, es ist besser, wenn du noch etwas isst. Ich war dort. - Komm.“ Es schwang durchaus der Tadel eines Lehrers in der Stimme des Kami, als er sich abwandte und mit einer Handbewegung ein schwarzes Loch vor ihnen erschuf.

Naja, drauf hatte der schon was, dachte der Hanyō. Und, vermutlich hatte der sogar recht, wenn der schon im yomi gewesen war. So sprang er einfach wortlos hinterher.

 

Es war eine Hügellandschaft, geprägt von im Hintergrund deutlich höheren Bergen, in denen sich das seltsame Duo wiederfand. „Du sagst die Zeit dränge, Besorge dir etwas zu essen.“

Inu Yasha wollte noch einmal darauf hinweisen, dass er keinen Hunger hatte, aber da der Kami dermaßen deutlich darauf bestand, war es wohl wichtig. So suchte er trockenes Holz zusammen, lief zu dem See ein Stück weiter und holte sich zwei Fische, die er geübt aufsteckte.

Der Kami schwieg eine Weile. Erst, als er annehmen durfte, dass die Arbeit getan war – immerhin hatte er noch niemals selbst gegrillt – meinte er: „Deine Kagome scheint etwas besonderes zu sein. Wie auch deine Mutter.“

Der Hanyō sah irritiert auf. „Ja, natürlich. Ich habe sie beide geliebt.“

„Das meinte ich nicht. Oder auch schon. - Nun, wie soll ich es jemandem wie dir erklären. Menschen sind schwach, kurzlebig. Und doch gibt es unter ihnen einige, die mit Wesen der Magie umgehen können. Oft genug erregen sie damit den Zorn ihrer Mitmenschen, wenn sie kitsune beschwören können um sich zu verteidigen oder Gegnern zu schaden. Manche schaffen das auch bei Schlangen.“

Da hatte er mal jemanden gekannt. „Tsubaki?“

„Ich weiß nicht, wer das ist.- Aber eben, manche Menschen, seltsamerweise oft Frauen, vermögen es auch Inuyōkai zu zähmen. Wenn ein Hundedämon dem Bann einer Menschenfrau verfällt wird er sie immer beschützen, für sie da sein.“ Er sah, wie sich die Augen des jungen Kriegers vor ihm dermaßen deutlich zusammenzogen, dass nur ein Narr das nicht als Warnung verstanden hätte. So ergänzte er: „Dann wird allerdings etwas aus dem Hund, das man einen Inugami nennt.“

„Inugami? Hundegott?“ Jetzt war Inu Yasha mehr als verwirrt.

„Man nennt es so.“ Der Kami zuckte sichtlich amüsiert die Schultern, ehe er ernst werdend fortfuhr: „Du wirst es doch selbst bemerkt haben. Warst du nicht stärker, fähiger im Kampf, wenn du deine Kagome beschützen wolltest?“

„Ja, schon. Aber ich bin kein Gott, ich bin ein Hanyō.“

Das waren gleich zwei Fehler in einem Satz. „Nun, du bist eine Mischung, ja. Aber deine Macht ist durchaus nicht die, die jeder hat.“

„Naja, mein Vater war ein Daiyōkai und ich weiß, dass das dämonische Blut in mir von einer anderen Qualität ist als so mancher volle Yōkai hat.“

„Richtig. Aber kam dir nie der Einfall, dass du damit auch mehr Stärke, mehr Macht besitzt als so mancher volle Yōkai? Immerhin hast du, das weißt du doch, einige Daiyōkai besiegt.“

„Worauf willst du eigentlich hinaus?“ Inu Yasha drehte die Fische um. „Ich will nicht der Fürst sein, das soll ruhig nii-san machen, dem ist das unglaublich wichtig.“

„Ich will dich darauf aufmerksam machen, dass du, nicht zuletzt durch deine Verbindung mit Kagome, einen Entwicklungssprung getan hast, der dir offenkundig nicht einmal auffiel. - Erinnerst du dich, wie dein Bruder zum Daiyōkai wurde? Diesen Entwicklungssprung schaffte?“

„Ja, klar, ich stand daneben, als er gegen diesen Magatsushi kämpfte und fast verlor, ehe er ...da bekam er Bakusaiga und der Arm wuchs nach. Das war es doch, oder?“ fragte er dann doch nach. Irgendwie wurde ihm dieses Gerede unheimlich.

„Vermutlich. Aber, du erwähntest zuvor, dass er ein Menschenmädchen beschützte und dir zum Schutz anvertraute. Da begann der Weg. Inugami. Hundeblut wird stärker, wenn es beschützen will. Du, lieber Inu Yasha, dürftest inzwischen mit den allermeisten Daiyōkai fertig werden. Und darum traue ich dir auch zu mit den Prüfungen des yomi no kuni fertig zu werden.“

„Moment mal.“ Inu Yasha senkte die schwarzen Brauen. „Willst du mir erzählen, dass ich quasi ein Daiyōkai bin? So vom Kampfniveau her?“

Nun, immerhin. „Ich bin erfreut, dass du begreifst. - Jetzt iss. Und ich werde dir erklären, was du tun musst, um dein Ziel zu erreichen. Höre gut zu.“ Diese Mahnung war bei dem Welpen angebracht. „Ich werde es nur einmal sagen.“

„Ja, und dann gibst du mir die Splitter?“ Inu Yasha war der Letzte, der nicht wusste, was Juwelensplitter so im Geist anrichten konnten. Wirkten die womöglich auch auf den Kami ein und der wollte sie jetzt behalten? Hielt ihn nur hin?

„Ich werde sie dir geben, wenn ich den Stein vor dem Eingang in die Unterwelt für dich bewegt habe. Du solltest sie nur so kurz wie möglich besitzen. - Warum du essen sollst? Es mag dich überraschen, aber dir wird im yomi auf die eine oder andere Art Speise angeboten werden. Die du unter keinen Umständen essen darfst. Wer Nahrung der Unterwelt zu sich nimmt, vergisst das Leben und muss dann dort bleiben. Hunger und Durst mögen kommen, aber du darfst nichts zu dir nehmen, wenn du wieder in die Welt der Lebenden zurück möchtest.“

Das klang nach einem guten Tipp. Inu Yasha zupfte mit dem Fingernagel am Fisch um ihn essbar zu bekommen. Und, das klang fast so, als ob sein Gegenüber tatsächlich schon im yomi gewesen war und sich da mehr oder weniger knapp heraus gerettet hatte. Obwohl der doch ein Gott war. „Gut, nichts essen oder trinken. Weiter.“

„Wie erwähnt, ich werde dir den Weg öffnen und auch den Herrn der Stürme, der diese Passage bewacht, deine Erlaubnis bezeugen. Susanoo hütet diesen Eingang meist persönlich.“ Da der Hanyō ihm gegenüber in den Fisch biss, jedoch nickte, fuhr er fort: „Hinter dir werde ich das Tor wieder schließen. Dann bist du auf dich allein gestellt. Vor dir wird ein Tunnel liegen, der ein wenig herabführt, in die Tiefe. Folge ihm bis zu einer Gabelung. Ein Weg führt steil weiter, Treppen sind zu erkennen. Der andere Pfad geht eben. Nimm diesen. Nach einiger Zeit wirst du an ein Tor kommen, das ein Wächter blockiert. Und nein, denk nicht einmal daran Tessaiga zu benutzen. Die Schwerter, beide, dürfen ihre Scheiden nicht verlassen oder du versagst. Nimm dann einen der Juwelensplitter und lege ihn vor dem Wächter auf den Boden. Dann erkläre, das ist ein Geschenk für okami no yomi, Izanami. Der Splitter sollte dann verschwinden und der Wächter weichen. Gehe den Weg weiter, gleich, was du siehst, hörst. Irgendwann wird dich ein Bote treffen, der dich zu den Prüfungen geleitet. Ich weiß nicht, welche. - Solltest du sie bestehen, wird dich der Shinigami zu einem nächsten Tor bringen, das ebenfalls bewacht wird. Hier wiederholst du das Ritual mit dem zweiten Juwelensplitter. Danach solltest du dich in jenem Teil des yomi befinden, in dem die Seelen der Yōkai auf das Ende der Welt warten. Die Seele deines Bruders liegt abseits, aber das solltest du finden. Er wurde versiegelt, da sie am Zerbrechen war und anscheinend euer Vater für ihn bat. Dann erst ziehe Tenseiga und lege es auf ihn. So sollte diese Seele erwachen.“

„Klingt alles schrecklich kompliziert.“ Inu Yasha musterte sein Gegenüber. „Ja, schon klar, der Tod gibt nichts umsonst frei. Schön. Dann hat er zumindest schon mal die Seele wieder und kann sich im Land der Dunkelheit bewegen?“

War das Arroganz oder Naivität? Eine Mischung aus beiden? Wie... effektiv. „Jetzt liegt das größte Problem vor dir. Nur eine Seele ohne Körper kann nicht in diese Welt gelangen. Der Shinigami wird euch führen, zum dritten Tor.“

„Da auch wieder Juwelensplitter auf den Boden und höflich bleiben?“

„Das wäre sinnvoll, ja. - Danach beginnt das Abenteuer, denn das wurde noch nie auch nur versucht. Es sollte ein Portal erscheinen, in das ihr beide, du mit deinem lebendigen Körper und Sesshōmaru als Seele springt. Wenn alles gut geht, wie du es dir wünschst, landet ihr beide lebendig und in euren Körpern wieder in dieser Welt.“ Der Kami deutete vage um sich. „Es mag auch sein, dass es nicht so gut geht.“

Trotz seines gewöhnlichen Optimismus überlief Inu Yasha ein seltsame Kälte am Rücken. „Äh, das ist wirklich der erste Versuch?“

„Nun, bislang kam noch nie jemand auf diese Idee, wie du. Obwohl schon Mütter anboten für ihre Kinder zu sterben.... Nun. Wenn es nicht so gut läuft, mag sein, dass nur du in der Welt der Lebenden ankommst. Oder dein Bruder, in deinem Körper, und deine Seele im yomi ist.“

Dem Hanyō entkam ein Grinsen. „Na, das würde ihn fürchterlich ärgern in meinem Körper zu stecken.“

„Du hast mitbekommen, dass du in diesem Fall in der Unterwelt bist?“

„Naja, wenn ich das so richtig sehe, lande ich da doch auf jeden Fall.“

Das stimmte, aber … dieser Junge war unmöglich! Aus mehreren Gründen. „Oder aber, das könnte sogar der wahrscheinlichste Fall sein, dass ihr beide in deinem Körper seid.“

„Oh.“ Das gäbe ziemlichen Streit, vermutete Inu Yasha doch. Bruderherz war nicht unbedingt der ideale Kooperationspartner. „Na schön. Ich werde es dann ja sehen. Noch einen Tipp, äh, ich meine, einen guten Rat, Kami?“

Dieser erkannte ein gewisses Bemühen um Höflichkeit an, auch, wenn ihn seit Jahrtausenden niemand geduzt hatte. „Einen, aus gewisser, persönlicher, Erfahrung. Es heißt nicht ohne Grund das Land der Dunkelheit. Fürchte nicht die Nacht und erinnere dich daran, dass das Leben und das Licht nur einen Herzschlag entfernt ist. Solange dein Herz schlägt.“

Irgendwie klang das schon ein wenig unheimlich. Aber immerhin der Kami war ja auch wieder aus der Unterwelt raus gekommen. Er musste sich nur an diese Regeln halten. Nichts essen, die Juwelensplitter an den Toren ablegen und Tenseiga auf Sesshōmaru. Das sollte doch zu schaffen sein. „Gut. Dann können wir gehen.“ Er stand auf.

Dem Kami entkam ein ungöttliches Seufzen. „Der Ältere und der Ranghöhere entscheidet, wann Zeit ist aufzubrechen.“

Das stimmte natürlich. „Ja, tut mir leid, aber ich habe es nun einmal eilig. Ich meine, du hast bestimmt keine Ahnung, was so ein dämlicher Drache mit Bakusaiga anrichten könnte – aber stelle dir einfach so etwas wie ein Baby von So´unga vor.“

Der Ältere erhob sich. Der Junge verstand zu überzeugen, das musste er zugeben. So hob er die Hand und erneut erschien ein Portal.

 

Prompt standen die Zwei nur kurz darauf vor einem Berg. Inu Yasha erkannte einen sehr großen, fast radartigen Stein, der wohl das Ziel bildete, oder, genauer, den Eingang zur Unterwelt. Er wollte schon hingehen, ehe ihm die Mahnung von eben einfiel. Ja, natürlich hatte der Typ recht und es war unhöflich ihm vorzugreifen. Kagome hätte ihn bestimmt geschimpft. Keine Sekunde später erkannte er, dass ihm in diesem Fall sein Zögern vermutlich das Leben gerettet hatte. Oder seine Höflichkeit? Zwischen dem Stein und ihm war ein Wirbel aus Luft aufgetaucht, eine Windhose von enormer Energie. Instinktiv wich er zurück, doch diesmal seinem Begleiter deutlich den Vortritt lassend. Der hatte doch behauptet, dass der Gott der Stürme das Tor bewachte. So, wie seine eigenen weißen Haare förmlich flogen, stimmte das.

Der Kami hob auch nur die Hand und der Sturm verschwand. Was auch immer da an Informationen ausgetauscht wurden konnte der Hanyō nicht wissen – und wollte es eigentlich auch nicht. Es war gleich. Wichtig war, dass dieser Stein verschwand, dass er in die Unterwelt gelangte und diesen dämlichsten großen Bruder aller Zeiten wieder aus seinem Tod zurück holte. Oh, ja, die Juwelensplitter. Er wandte den Kopf um sie anzumahnen, aber der Kami griff bereits in seinen Kimonoärmel.

„Drei Splitter,“ sagte er und es klang bedeutsam. „Verliere ja keinen. Sie gehören ab jetzt der Herrin der Unterwelt und du würdest es merken, wenn sie … nun ungehalten ist.“

„Sie sehen aus wie Diamanten...“ Inu Yasha fasste sie unwillkürlich sehr behutsam an. Selbst er, sicher nicht der Fähigste in Magie, fühlte die ungeheure Energiewelle, die von ihnen ausging. Er konnte auch spüren, dass Tenseiga irgendetwas machte, sich die Teile in seiner Hand beruhigten. Er schob sie hastig ein. „Die können wirklich was....“

„Sie sind Teile eines Artefakts mit dem man Welten erschaffen konnte, Junge. Und sie sind das Einzige, was die okami no yomi wirklich erfreuen kann. Sie sind für die Ewigkeit geboren.“ Der Kami trat vor den Stein. „Ich werde ihn nur wenig bewegen, dann solltest du dich hindurch zwängen können.“

„Oh!“ Inu Yasha fiel etwas ein „Das ist der Berg Hiba, oder? Und Izanagi hat diesen Stein vorgeschoben?“ Dann war es kein Wunder, dass der gute Kami nicht so viel ausrichten konnte.

„Äh, ja.“ Da kam ja doch eine gewisse Ausbildung durch. Offenkundig war allerdings auch einiges verschüttet worden. Oder hatte ihm erst diese Kagome das erklärt? Sie sollte ja eine mächtige Miko gewesen sein. Er legte die Hände an den Felsen. „Denke daran – fürchte nicht die Nacht in dem Land der Dunkelheit. Mehr kann ich dir nicht sagen.“ Er stemmte sich gegen den Felsen.

„Ja, schon klar. Jedenfalls, danke, du hast mir sehr geholfen, Kami. - Das genügt, ich komme da schon durch.“ Hinter dem Spalt erschien es Dunkelheit. Und eine fast eisig zu nennende Kälte, die er aus dem meidō kannte. „Na, dann mal auf ins Vergnügen.“

Der Stein wäre um ein Haar zurück gerollt, als der Kami versucht war sich die Hand vor die Stirn zu schlagen.

 
 

Wege der Unterwelt

Hello darkness, my old friend,

I come to talk with you again

 

Simon and Garfunkel: Sound of silence

 

 
 

Inu Yasha hörte, wie der Stein wieder den Eingang verschloss und war nicht überrascht, dass nun auch der letzte Schimmer des Tages weg war. Es war dunkel, ja, wie zu erwarten, allerdings schimmerte es auch irgendwie vor ihm rötlich. Lava konnte es freilich nicht sein, dazu war es viel zu kalt. Barfuß über diese eisigen Pfade? Er würde sich beeilen müssen, aus noch einem Grund.

So, wie hatte der Kami gesagt – dem Weg folgen bis zu einer Gabelung. Das wäre doch zu finden und so machte er möglichst weite Sprünge, bemüht, den kalten Boden selten zu berühren. Das würde noch heftig werden.

 

Die Gabelung kam nach wenigen Minuten und er blieb etwas überrascht stehen. Ja, der eine Weg führte in scharfen Kehren einen Steilhang hinunter in die Tiefe. Es sah fast wie ein Tal aus, zwischen schroffen, schwarzen Berge mit rötlichem Schimmer. Und dort unten meinte er eine wogende Masse aus Toten zu erkennen, die ihm schon damals, beim Kampf gegen So´unga aufgefallen war – aber nicht gefallen hatte. Aber, da sollte er ja nicht hinunter, so einladend der Weg auch wirken mochte um rasch zum Ziel zu kommen.

 

Ja, der Weg rechts war eben, so wie es der Kami gesagt hatte, und er empfand es doch als gewisse Beruhigung, dass dessen Angaben stimmten. Leider auch die, dass diese drei Splitter schon schwierig wären. Die Energie, die von ihnen ausging, schmerzte fast, obwohl sie doch in der Ärmeltasche steckten und sein suikan aus Feuerrattenhaar bestand. Und auch Tenseiga pulsierte immer wieder, tat wohl, was es konnte. Lieber wieder beeilen.

Der ebene Pfad führte an einem Berghang entlang. Unten drängte sich die Masse, deren undeutbares Flüstern fast wie die Wellen des Meeres wirkten, aber er erkannte auch einige Bogen, geschwungene Pfade, die sich in Schleifen oder Windungen über dieses seltsame Tal der Seelen spannten. Es war eine rot-schwarze Dämmerung in der Kälte und er begriff, warum der Kami ihm gesagt hatte, er sollte keine Furcht vor der Dunkelheit haben. Das hier war schon unheimlich.

Nun, dachte er dann, nicht unheimlicher als ein dichter Wald voller Yōkai und wilder Tiere für einen kleinen Jungen.

Damit beruhigte er sich und sprang, so rasch es der schmale Weg zuließ, weiter.

 

Bis er stehen blieb. Das musste das Tor sein, von dem der Kami gesprochen hatte. Es hatte Säulen aus Stein, ein Balken aus Fels lag darüber. Nicht gerade künstlerisch, aber effektiv, denn in diesem Portal stand ein sicher fünf Meter messender brauner Gigant, dessen einziges Kleidungsstück in einem gelben Lendenschurz bestand – aller Wahrscheinlichkeit nach ein Höllendämon.

Unwillkürlich wollte er zu Tessaiga greifen, merkte jedoch prompt, dass sich das Schwert ihm entzog. Ja, natürlich. Der erste Splitter. Wie sollte er das nur höflich sagen? Immerhin bewegte sich der Riese nicht, sondern musterte ihn nur.

Der nur scheinbare, kleine, Diamant brannte schmerzhaft in seinen Fingern, aber Inu Yasha legte ihn auf den Boden. So, jetzt nur keinen Fehler machen. „Ich bringe ein Geschenk für die okami no yomi, die Herrin der Unterwelt, Izanami.“ Hoffentlich klappte das jetzt auch. Der Weg war kaum einen Schritt breit, ehe es in die düsteren Tiefen ging. Auf der anderen Seite stieg der Hang wirklich steil an und er meinte Bannsprüche zu fühlen.

Naja. Kneifen würde er nicht, aber es hatte doch geheißen... oh. Der Splitter war weg und der Riese drehte sich wortlos beiseite. Es klappte!

 

Erst nach einigen Schritten wandte er den Kopf. Der Gigant stand wieder als Posten in seinem Tor. Er hatte diese erste Sache überstanden. Hm. Den Weg weitergehen, hatte der Kami gesagt, bis er einen Boten traf. Nun ja. Der Pfad war nicht sonderlich breit und führte noch immer auf der gleichen Höhe weiter. Ab und an schwangen sich weite Bogen über das Tal, vielleicht auch Pfade und Inu Yasha meinte manchmal eine Art Hütte oder Haus darauf zu entdecken. Nun, gleich. Er hatte keine Zeit seine Neugier zu stillen. Und es war wirklich, wirklich kalt. Die Kälte eines meidō war nichts gegen die der Unterwelt.

Naja. Den Seelen mochte es gleich sein, aber er steckte eben in seinem Körper. Wieder eine Kurve, ein Weg nach links, aber er hielt sich auf der Hangseite. So sollte es doch richtig sein?

Und er erstarrte, als er den jungen Mann sah, der den Weg blockierte. Etwas größer als er, schwarze, lange Haare und rötlich leuchtende Augen. Dazu zwei fledermausartige, schwarze, Schwingen, die ihn überragten. Ein Brustpanzer, eine rote Hose, und ein ebensolcher Umhang schienen fast eine Art Uniform zu bilden. „Äh, bist du der Bote?“ Das war doch eine zulässige Schlussfolgerung. Und immerhin war es gut jetzt schon zwei Leute hier getroffen zu haben, die offenkundig ihn nicht umbringen wollten.

Schwarze Augenbrauen wurden gehoben, da diese Anrede wirklich unüblich war. „Ich bin ein Shinigami. Und ja, wenn du Inu Yasha bist. Lebend in der Unterwelt.“

„Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier,“ murrte der Hanyō prompt. „Aber, ja, ich bin Inu Yasha. Hast du auch einen Namen?“

„Ja.“

„Und?“

Ein kurzes Atemholen und ein langes Blinzeln. „Weißt du eigentlich, was ein Shinigami ist?“

„Äh, mir wurde nur gesagt, dass ich hier einen Boten treffe, der mir sagt, was ich tun muss um in die Gegend zu gelangen, in der die Yōkaiseelen leben.“ Sterben? Wie nannte man das denn?

Der Todesgott überlegte ernstlich, ob das ihm oder einem seiner Kollegen schon einmal widerfahren war, entschloss sich dann jedoch zur Pflicht. Es war ein besonderer Auftrag und damit eine Ehre. Hierbei zu versagen wäre alles andere als klug. „Gewöhnlich besuchen wir Menschen oder andere Wesen, die sterben und geleiten die Seelen in die Unterwelt. Niemand fragt da je nach unserem Namen. Nun, komm. Und ja, ich heiße Taku.“

Hm. Die geleiteten Seelen in die Unterwelt? Dann könnte der ihm natürlich zeigen wo Sesshōmaru steckte, andererseits, was bedeutete das für ihn selbst? „Mir wurde gesagt, dass es Prüfungen sind.“

Flügel und Hände zuckten, ehe sich der Shinigami erneut pflichtbewusst zusammennahm. „Du bist hier im Land der Dunkelheit, lebendig. Ja, was dachtest du denn?“ erkundigte er sich dann doch.

„Keine Ahnung. Ich will nur meinen Bruder wieder holen.“

„Das wollten schon einige, aber noch nie kam jemand lebendig bis hier. Du scheinst gewisse Protektion zu besitzen.“

„Keine Ahnung. Ich habe es nur eilig. Sag schon, was muss ich machen?“

„Folge mir.“

„Klar.“ Während sie hintereinander den schmalen Weg entlang liefen, meinte Inu Yasha: „Darfst du mir sagen um was es geht?“

„Ich soll sogar. Du bekommst vor jeder Prüfung einen Hinweis, so lautet der Befehl. Wenn du alles überstanden hast, lebend, versteht sich, werde ich dich zu dem Tor begleiten, hinter dem das Land der verstorbenen Yōkai liegt.“

„Hm. Ich meine, ich habe doch den Einen oder Anderen hierher geschickt. Könnte das Ärger geben?“

„Wie? Sie sind nur Seelen. Und du trägst Tenseiga, hörte ich. Auch das zweite Schwert hat sicher besondere Talente.“

„He, ich habe nicht aus Angst gefragt!“ Und wenn dieser Ryuukossusei nochmal Ärger wollte, könnte der ihn bekommen. Er wollte ja nur wissen, ob er sich damit nicht, wie hatte das der Kami gesagt, ein scheußliches Nachtoderlebnis bescherte.

„Ja, Seele. Ich meine, Inu Yasha. Nur ein sehr mutiger oder sehr törichter Mann geht lebend in das Land der Dunkelheit. Ich werde ja sehen, was du bist.“

Der Hanyō presste die Zähne zusammen. Aber Kagome hätte bestimmt gemeint, dass das kein Kerl war, den man ausgerechnet in dieser Gegend vor Prüfungen verärgern sollte. Immerhin, das konnte er als Vorteil sehen, war das Brennen und die Reaktion der Juwelensplitter in seinem Ärmel erheblich schwächer geworden, seitdem er das eine Teil, nun ja, geopfert hatte. Das konnte dann doch nur besser werden, wenn er das nächste los wurde.

 

Geraume Zeit später blieb der Shinigami an der Abzweigung eines hellen Weges stehen, der sich erneut wie eine große, flache, Schleife über das Tal wand. „Siehst du dort in der Mitte des Bogens die Hütte?“

„Ja.“ Hütte war übertrieben, das war maximal ein Pavillon, allerdings mit offenbar festen Wänden.

„Die Aufgabe lautet, gehe diesen Weg. Ich werde dich am anderen Ende erwarten. In dieser Hütte wartet allerdings etwas auf dich, um dich am Weitergehen zu hindern. Du darfst weder ein Schwert aus der Scheide ziehen, noch es verletzen.“

Sollte er etwa nachdenken? Das konnte problematisch werden, so einsichtig war Inu Yasha doch. „Taku, soll ich das, was auch immer das ist, etwa überreden?“

„Wie du die Aufgabe erledigst ist deine Sache. Bestehe diese Prüfung und falle nicht hinunter in die Masse der Seelen. Diese toten Menschen würden dich erdrücken, um Tenseigas Willen.“

„Na, klasse. Und, wie viele dieser kleinen Schikanen warten noch?“ Zu seiner gewissen Überraschung antwortete der Todesgott.

„Drei solcher Wege, drei solcher Hütten. Und noch etwas, von dem ich augenblicklich noch nichts genaueres weiß. Danach geleite ich dich zu dem Land der Yōkai.“

„Fein, dann bis später.“ Der Hanyō drehte sich um und betrat den luftigen Pfad, der immerhin nicht ganz so eisig war wie der bisherige. Fliegen zu können wäre hier wirklich eine Erleichterung, dachte er, als er sich bemühte nur den Weg anzustarren, nicht in die düstere Tiefe darunter zu gucken, wo in die Masse der Seelen offenkundig Bewegung kam. Konnten sie etwa auf diese Distanz Tenseiga spüren? Und, was wollten sie von diesem Schwert? Wiederbelebt werden? Ohne Körper?

 

Er wollte sich nicht nur beeilen, dachte er, er sollte. Das war wirklich kalt und wenn er sich zu lange hier im yomi no kuni aufhielt, würde er vermutlich schlicht erfrieren, dämonische Energie hin oder her. Aber dieser Pfad war immerhin etwas wärmer – und so schmal, dass er lieber nicht springen sollte, sondern möglichst eilig und sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzte. Nein, da hinunter musste er wirklich nicht fallen.

Irrte er sich oder schien dieser dämliche Pavillon immer weiter weg zu sein, je näher er kam, oder kommen sollte? Er wandte den Kopf. Ja, da war der Weg, den er zuvor mit dem Shinigami gekommen war, der jetzt allerdings weg war. Oder nein. Irgendwo in der Dämmerung, dort, wo dieser Schleifenweg wieder endete, schimmerte etwas Rot. Da wartete der also. Immerhin etwas, wenn man sich auf das Wort von Kami verlassen konnte.

 

Wieder fiel sein Blick unwillkürlich auf die Masse der Seelen dort unten. War dort Kagome? Mama? Und auch sein Vater, von dem Sesshōmaru ja immer behauptet hatte, der sei der Stärkste aller Lebenden, war hier, wenn auch in einer anderen Ecke gelandet. Hier endete jeder. Das war Schicksal. Und diese Kälte war die, die jeden erwartete.

Er sollte auf den Weg achten.

Kälte und Dunkelheit wartete auf jeden, bis die Welten endeten. Eigentlich war es wie im Leben. Man war allein, es war dunkel, kalt... wenn man nicht zufällig Glück hatte, entsann er sich plötzlich. Die Glücksgöttin hatte ihm Kagome beschert, das war doch etwas. Mama war mit Papa glücklich gewesen, wenn auch das immer nur eine kurze Zeit gewesen war, aber man konnte sich daran erinnern.

Wenn man nichts hier aß. Das hatte doch der Kami gesagt. Nichts essen, nichts trinken. Dann blieben wenigstens die schönen Erinnerungen. Oh Mann, das würde hart, wenn er Kagome traf und sie sich nicht an ihn erinnern würde, oder Mama. Was sollte er denn dann machen? Ob Sesshōmaru auch nicht mehr wissen würde, wer er war? Nein, der hatte nichts gegessen, sicher. Zum Einen aß der doch nie, sein Yōketsu war mächtig genug, zum Anderen hatten doch alle behauptet, dessen Seele würde gesplittert hier angekommen sein. Da hatte der sicher nichts aus der Unterwelt zu sich genommen. Immerhin, nii-san konnte er da schon mal streichen.

Wieder ein Blick hinab. Dort unten... Kagome, Mama? Oder waren sie doch wiedergeboren worden?

Ja, entschloss er sich. Sie waren beide einfach zu lieb, zu gut, um hier zu bleiben. Und, vielleicht, ganz vielleicht, könnte er das am Ende dieser Reise auch irgend jemandem, wie diesem Taku erklären. Erst einmal sollte er allerdings Sesshōmaru hier heraus holen, dann die zwei anderen Personen, die er liebte. Klang irgendwie ….naja.

Was half es allerdings, wenn er Mama da hätte und sie bei keibo-sama einquartieren müsste? Ärger.

Kagome mit Sesshōmarus Braut? Ärger.

Alle zusammen?

Was und wer hatte eigentlich sein Leben in solch ein Chaos gestürzt? Ja, schon, der neue Priester im Dorf, aber eigentlich doch dieser Ryuuichi. Wirklich, dem würde er jede Schuppe einzeln ausrupfen. Und die am Schwanz lassen, damit es auch jeder mitbekam.

Und Papa?

Zum ersten Mal dachte er daran, wie es wäre, wenn er in dieser Ecke der Yōkai auch seinem Vater gegenüber stehen würde. Was würde der dazu sagen? Gut, dass du meinen Erben retten willst? Gut gemacht, Inu Yasha?

Warum nicht, dachte der Hanyō dann und hob den Kopf. Es hatte schon viele Zeiten, lange, düstere Zeiten, in seinem Leben gegeben. Warum sollte er nicht auf ein Lob seines Vaters hoffen, darauf, dass er seinen Halbbruder hier herausholen konnte, Kagome und Mama wiedergeboren würden? Es war Hoffnung. Und damit auch Licht.

 

Jetzt erst begriff er, dass er stehen geblieben war, sich den bedrückenden Gedanken hingegeben hatte.

Das war also die Dunkelheit, vor dem ihn der Kami hatte warnen wollen. Nicht die, die die Augen sahen.

Und diese Hütte, in der sein Gegner auf ihn wartete, war kaum mehr drei Sprünge weg. Wobei die hier ja nicht gingen, aber er schritt eilig weiter, nicht sicher, wie viel Zeit er hier schon verschwendet hatte.

Und erstarrte.

„Na, du siehst ja hübsch aus,“ entfuhr es ihm, noch während er feststellte, dass er solch ein Wesen wirklich noch nie gesehen hatte. Eigentlich war der Körper mit Platten bedeckt und auch die Form war die eines Käfers. Auf dem Kopf ragten zwei Fühler empor. Damit endete allerdings auch die Käferähnlichkeit. Zwei Beißscheren, die rechts und links vom Kopf angebracht waren und sich nun unsympathisch in seine Richtung öffneten, waren zumindest ungewöhnlich. Hinzu kam, dass die Innenseiten der Scheren mit kleinen, offensichtlich scharfkantigen Dreiecken besetzt waren. Klar war, wenn er dazwischen geriet, steckte er in Problemen. Über dem Oberkörper wölbte sich ein Schwanz, dessen Stachel dem eines Skorpions nur zu ähnlich war. Zwei Facettenaugen musterten ihn. Aber, was dem Ganzen die Krone aufsetzte war der Vollbart. Nun ja. Eher die bartartigen Anhängsel unter den Augen, die wie ein Vorhang wohl das Maul verbargen. Wirklich, ein hübsches Kerlchen! Und leider groß genug, dass der Durchgang durch diese Hütte rechts oder links dran vorbei sicher nicht klappen würde.

Sollte er etwa wirklich nachdenken?

 

Keh, beschloss er. Keine Schwerter, aber die hatte er auch lange nicht besessen. Rechts oder links an dem Monster vorbei zu gelangen funktionierte sicher nicht. Und verletzen sollte er Käferchen ja auch zu allem Überfluss nicht. Kein sakontessu, folglich. Also, blieb nur ein Weg.

Genug nachgedacht, oder? Was sollte es. Direkt drauf los hatte ihm noch immer Erfolg beschert.

So machte er einen weiten Sprung und landete direkt auf dem Kopf seines Gegenübers, zwischen den Fühlern, die auf einmal wie wild zuckten und den Kopf wackeln ließen. Egal. Weiter. Der Schwanz wurde gehoben, bog sich zurück, aber wer wäre schon so dämlich hier stehen zu bleiben? Ein zweiter Sprung brachte den Halbdämonen an die Schwanzwurzel, der sofortige dritte aus dem Pavillon.

Er fuhr zur Sicherheit herum, die Klaue erhoben.

Aua, dachte er, als er erkannte, dass der Schwanzstachel genau dorthin traf, wo er eben noch gestanden hatte – allerdings nun sich durch den Panzer bohrte und etwas wie ein Knirschen hervor rief. Aber der Käfer, oder was auch immer das war, drehte sich nicht zu ihm um, sondern gab ein Geräusch von sich, das man nur als Quietschen bezeichnen konnte.

Tja, er war an dem vorbei, hatte den nicht beschädigt – das hatte der allein geschafft – und auch kein Schwert gezogen. Passte doch wohl.

 

So drehte sich Inu Yasha um und folgte dem schmalen Pfad. Ja, da hinten, am Berg, wartete der Shinigami. Nur, was war das denn jetzt? Auf der rechten Seite des Pfades befand sich eine Art Balkon, auf der eine ziemlich runde Person saß. Eiförmig, um korrekt zu sein. Eiförmig der Kopf, eiförmig der Körper. Männlich oder weiblich war nicht zu identifizieren, jedenfalls unbekleidet, und eben haarlos glatt wie ein Ei.

Vorsichtig näherte sich der Hanyō. Gab es hier doch noch eine Falle? Aber das Ei, oder was auch immer, rührte in einem Kessel, ohne den Löffel zu berühren. Und blickte aus, natürlich, eiförmigen, Augen zu ihm auf.

„Hallo, magst du etwas essen?“

„Ich bin satt, wirklich.“ Er hatte doch erst die Fische … Oh. Der Kami hatte ihn doch davor gewarnt Essen in der Unterwelt anzunehmen. Das war dann wirklich eine Falle für jeden, der nicht zuvor noch etwas gegessen hatte. „Bietest du jedem etwas an, der hier vorbeikommt?“

„Mal hier, mal da. Ich biete jedem an. Immer an unterschiedlichen Orten. - Auf dich wartet ein Todesgott. Und irgendwie bist du anders als andere Seelen.“

„Kluges Ei. Ich lebe nämlich noch.“

„Aber...“ Aber das Wesen erkannte, dass es nur noch mit sich selbst redete und löste sich samt dem Balkon und dem Kessel im Nichts auf.

 

Inu Yasha machte den Satz von dem hellen Weg auf den eisigen Berghang. „Hallo, Taku. Soweit alles in Ordnung?“

„Wenn du damit meinst, Seele, Inu Yasha, ob du die erste Prüfung bestanden hast, ja.“ Der Shinigami suchte erneut nach seiner Fassung. „Komm. In der zweiten Prüfung musst du ebenfalls an einem Hindernis in der Hütte vorbei. Auf dich wartet der Dämon mit den tausend Klingen.“

„Klingt ja toll.“ Aber der Hanyō folgte dem Todesgott. „Soll ich den Typen wieder nicht verletzen und kein Schwert ziehen?“

„Keine deiner Klingen, schon gar nicht Tenseiga, sollte die Scheide verlassen.“

„Und, wie soll ich mich wehren, falls der Kerl mich angreift?“ Naja, immerhin hatte der Käfer das auch nicht getan, zumindest, nachdem er durch diese Hütte gelangt war.

Taku sah sich nicht um. „Das ist dein Problem. Es ist eine Prüfung. Ich sage dir, was ich weiß. Ehrlich und ohne Falle. Was du daraus machst ist dann deine Sache.“

Immerhin etwas. Inu Yasha warf wieder einen Blick hinunter in das Tal der Seelen. „Warum drängen sich alle so? Wenn ich das richtig sehe, liegt doch dort hinten, eine Art Ebene … oder dürfen Menschen da nicht hin?“

„Doch. Sie gehen dann auch dahin. Mehr oder weniger. Aber hier kommen sie eben an. Du bist durch das Tor am Berg Hiba gekommen. Wenn du weiter in die Tiefe gegangen wärst, wie es Seelen so tun, wärst du ebenfalls dort unten angekommen. Es dauert etwas, bis die Seelen sich zurecht finden.“

„Und, wo gehen die hin, die wieder geboren werden?“

„Das weiß ich nicht. Sie werden ausgewählt, wie auch immer. Nicht meine Aufgabe.“

„Schade. Weißt du, meine Gefährtin war die Wiedergeburt einer anderen Priesterin. Ich … naja, ich wüsste gern, ob sie nochmals wiedergeboren werden kann.“

Der Shinigami nahm einen tiefen Atemzug, obwohl er keine Lungen besaß. „Deine Gefährtin wurde wiedergeboren, du bist lebendig im yomi no kuni.... Ich vermute, du bist wirklich nicht ganz gewöhnlich.“

„Ich bin ein Hanyō.“

„Und trägst zwei Klingen der Weltherrschaft. Fehlt nur noch So´unga.“

„Als ob sich jemand um das blöde Teil Altmetall reißen würde!“

Wusste da jemand etwa nicht, um was es sich bei diesem Schwert handelte? „Nun, es wurde bereits aus der Unterwelt entführt.“

Was hatten bloß alle immer damit? „Ich weiß, du dämlicher Shinigami. Und es war ein wirkliches Stück Arbeit das wieder herzuschicken.“

Taku begriff plötzlich. „Du und dein Bruder, den du suchst, habt es hierher zurück geschickt?“

„Stimmt.“

Nun gut, das erklärte die hohe Protektion, die er ja bereits vermutet hatte. Da hatten diese zwei Hundejungen wirklich einiges gerade gebogen. „Sieh, dort vorne, dies ist der Weg, den du gehen solltest. Durch die Hütte, in der der mit den tausend Klingen auf dich wartet. Ich werde dich wieder am Ende des Bogens erwarten. Wenn du zu mir kommst, zeige ich dir die dritte Prüfung. Womöglich erfahre ich bis dahin auch, was dann noch folgt, ehe wir in das Land der Yōkai gehen.“

„Na, dann....“ Was sollte Hanyō dazu schon sagen? Bislang lief ja alles glatt. Aber tausend Klingen, wenn man selbst kein Schwert ziehen sollte? Klang irgendwie wenig verheißungsvoll.

 
 

Dämon der Schwerter

Blade of fury ist the flurry

Sometimes soft and sometimes death

Kills the warmth within uns, hurry

Worry is the winters breath

 

Clamavis de Profundis: Hidden Helper

 
 

Dieser Pfad, wie die erste Schleife schien sich über das Tal der Seelen zu spannen, alles sah gleich aus wie zuvor, eine schwarz-rote, eisige Kälte ausströmende Kulisse. Doch als Inu Yasha doch einmal länger hinab blickte, eigentlich sicher, dass er weder Kagome noch seine Mutter so in der Dunkelheit der Tiefe entdecken würde, fiel ihm auf, dass die Menge der Toten dort weniger wurde.

Jetzt sah er sich doch um. Vor ihm lag die Hütte, in der ihn angeblich ein Dämon mit tausend Klingen erwartete, na, mal gucken. Danach lief der Pfad in einem weiteren Bogen zurück und er war sicher, dass Taku ihn dort wieder abholen würde.

Aber etwas anderes hatte sich verändert. Während links unten, wo sich eine Menge an Seelen dicht drängte, dahinter sich eine scheinbar endlose Ebene öffnete, in die die Toten wohl hinausgelangen sollten, stiegen rechts nur mehr die schroffen, steilen, kahlen, schwarzen Berge auf. Soweit er in dem trüben, rötlichen Licht weiter etwas erkennen konnte, wuchsen die förmlich zu, blockierten das Tal in diese Richtung. Menschliche Seelen, die dort emporklimmen wollten, stürzten jedenfalls wieder ab. Hoffentlich waren Kagome oder Mama nicht dabei.

Er sollte sich konzentrieren. Fast hätte er den Pfad verloren und wäre hinab gestürzt.

Das jedenfalls konnte doch nur bedeuten, dass er sich der Gegend des yomi immerhin näherte, die menschliche und Yōkaiseelen voneinander trennte. Naja. Einfach würde es nicht werden, sicher. Und da gab es noch so einige Pfade zu beschreiten, aber das würde schon gelingen. Er hatte doch schon so viel geschafft. Und die Glücksgöttin hatte ihm doch auch noch ihre Kugel in die Hand gedrückt. Was sollte da schon großartig schief gehen?

Immerhin war er ja, zum Erstaunen eines Shinigami, bis hierher gekommen. Noch dieser Dämon mit tausend Klingen und dann noch ein oder zwei Hindernisse und es wäre fast geschafft.

 

Fast, denn er hatte durchaus nicht vergessen, dass, wenn er Sesshōmaru wieder zusammengesetzt hatte und sie miteinander durch das dritte Tor gelangt waren, das eigentliche Problem wartete.

So sehr er doch den großen Bruder inzwischen fast respektierte – mit dem bis zum Lebensende in einem Körper zu stecken wäre wirklich die Hölle. Erstens waren sie alle beide nicht gerade ausgewiesene Partner in Zusammenarbeit, wie Naraku und So´unga bestimmt bestätigen würden, zum Zweiten wäre er selbst dann ja auch trotz allem gezwungen die Rolle des Fürsten zu spielen, jedenfalls irgendwie mit. Was man dann mit der unbekannten Braut oder gar einer wiedergeborenen Kagome anstellen sollte, wäre ihm schleierhaft. Sicher, ein Mann, zumal ein Fürst, konnte mehrere Frauen haben, aber eine Ehe zu viert wäre doch.... etwas sehr speziell, zumal sich nii-san ganz bestimmt weigern würden einen Erben anzuerkennen, den der Körper seines Halbbruders gezeugt hatte.

Naja. Darüber sollte er sich erst den Kopf zerbrechen, wenn er wieder in den, wie hieß das, Gefilden des Schilffelds, also, der Welt der Lebenden, war.

 

Sein klitzekleines nächstes Hindernis wartete da vorne in der Hütte und war angeblich ein Kerl mit tausend Klingen, was der Hanyō doch ein wenig zu bezweifeln gedachte. Das würde kaum in diese Hütte passen. Außerdem entsann er sich eines Kampfes gegen einen Yōkai, der immerhin mit drei Klingen herumschwenkte und der hatte schon einige Probleme gehabt die zu koordinieren. Schön, gegen den hatte er ja auch Tessaiga einsetzen dürfen.

Hm. Ohne Schwerter und den nicht verletzen? Kagome war auch nicht dabei, die hatte doch immer gute Ideen gehabt im Laufe ihres Lebens. Und natürlich ihre Magie samt Pfeilen. Da hatte er es nun gar nicht so mit.

Es half nichts. Nicht gerade Augen zu und durch, aber erst einmal nicht zu viel nachgrübeln. Womöglich fiel ihm etwas ein, so wie mit den direkten drei Sprüngen über den Käfer. Und, das war das Positive an der ganzen Aktion gewesen, der hatte ihn nicht verfolgt. Anscheinend galt auf diesem Weg: durch ist durch.

 

„Nun, Taku?“

Der Shinigami wandte den Kopf. „Hauptmann. Er ist in der zweiten Prüfung.“

„So hat er die erste bestanden. Recht schnell.“

„Ich hatte nicht den Eindruck als ob er über den gokiburi erschrecken würde.“

„Kaum, er sollte ein Krieger sein, wenn er zwei Klingen der Weltherrschaft trägt. Aber er scheint auch nicht lange gegrübelt zu haben, denn, wie du wissen solltest, liegt die Falle auf diesen Pfaden bereits vor den Hindernissen.“

„Er blieb kurz stehen, schien in Gedanken, ehe er weiterlief. Oh, und er unterhielt sich mit dem Koch, nahm jedoch nichts zu sich. - Dieser zweite Weg wird sicher schwieriger.“ Für einen einfachen Todesgott waren Gefühle schwer nachzuvollziehen.

„Der erste verlangt, dass man mit Trauer klar kommt, dieser hier Mut. Anderen, als ein Krieger. - Der dritte Weg zu dem, der auf Blut tanzt, Geschick. Dann kommt allerdings eine vierte Prüfung. Ich hörte, da wird sich der junge Freund hier hart tun. Entscheidung. Ah, er bleibt wieder stehen, sucht in der Masse. Sicher nach Seelen, die er einst kannte oder gar liebte.“

„Ich verstand es so, dass er seinen Bruder hier herausholen will?“

„Oh, Menschen, oder sogar Yōkai, können mehrere Leute gern haben, hörte ich. Natürlich ist das für uns nicht nachvollziehbar. Aber er geht weiter, lässt sich nicht ablenken, auch, wenn er sichtlich in Gedanken ist. Nun, wir werden gleich sehen, was dann geschieht. - Gut, dann gehe ich Bericht erstatten. Wir müssen wohl ein oder zwei Seelen für die vierte Prüfung finden.“

Taku fand sich allein.

 

Inu Yasha gelangte vor die Hütte, die ihm eigentlich winzig erschien – vorausgesetzt, da wartete wirklich jemand mit gleich tausend Klingen. Nun ja, er würde aufrecht durchkommen, aber das wäre ja kaum das Hindernis.

Schön, er nahm alles zurück und behauptete das Gegenteil. Da vor ihm stand ein ungefähr gleichgroßes Exemplar eines Höllendämons mit unwahrscheinlich vielen Armen. In jeder Hand ein Schwert. Vielleicht waren das nicht tausend, aber hundert kämen wohl schon hin. Und der breitete schon einmal einen Teil seiner Arme aus. Ganz sicher nicht zu einem herzlichen Willkommen.

Instinktiv und aus langjähriger Gewohnheit legte der Hanyō die Klaue an Tessaiga. Schön, er sollte es nicht aus der Scheide ziehen, aber irgendwie musste er sich doch verteidigen? Vielleicht mit der Scheide, wenn er die Klinge selbst drin ließ? Das hatte früher doch öfter geklappt?

Er spürte ein vertrautes, fast hektisches, Vibrieren. Tessaiga? Auf was wollte es ihn denn aufmerksam machen? Und jetzt stimmte auch noch Tenseiga ein, klopfte auf seine Hüfte.

Na schön, wenn die Zwillingsschwerter einer Meinung waren, sollte er wohl auf sie hören. Nur, wie? Und, was?

Probehalber ließ er die Finger von seinem eigenen Schwert, das unverzüglich ruhig wurde, während das Schwert des Lebens weiter pulsierte.

Was wollte Tenseiga denn nur? Es sollte doch nicht die hölzerne Scheide verlassen? Hm.

Vielleicht teilweise, so als Drohung? Nur ein bisschen? Er wusste, dass die Klinge blau leuchtete, wenn sie sich im Jenseits befand und damit auch die Wesen dieser Welt erschrecken oder gar töten konnte. Das Schwert des Lebens, das den Tod tötete, hatte Tōtōsai doch behauptet, und auch, wenn Inu Yasha annahm, dass der Schmiedeopa wieder einmal etwas vergessen hatte, so nahm er doch schwer an, dass der sich nicht ausgerechnet bei seinen beiden Meisterstücken vertat.

War das die Lösung?

Nein, die Leute hier im yomi no kuni wussten doch, was er mit sich trug. Da würde es kaum so einfach sein. Nur wenig in seinem Leben war je einfach gewesen und so suchte er unwillkürlich den Haken an der Sache.

Vermutlich wusste doch dieser Klingentyp ganz genau, dass eines der beiden Schwerter an seiner Hüfte Tenseiga war – und, dass er es kaum so verwenden konnte, dass der in Gefahr kam.

Nachdenken, also? Nicht so unbedingt seine Sache.

 

„Tatsächlich, ein lebendiger Krieger, der zu mir kommt.“ Der Klingendämon schwenkte einige seiner Hände und damit Schwerter. „Das nenne ich mal eine Überraschung. Gewöhnlich ist keiner so ein Idiot freiwillig hierher zu kommen, einmal in das dunkle Land im Allgemeinen und zu mir im Besonderen.“

„Keh, Quatschkopf. Die Tatsache, dass du mir im Weg stehst, heißt nur, dass ich keines meiner Schwerter benutzen kann, sonst wärst du nämlich schon tot, oder wie auch immer ein Unterweltdämon das nennt, wenn er weg ist. Das eine Schwert würde dich im Land der Lebenden umlegen, das andere hier. Du kannst auch beiseite gehen, ich gehe durch und wir scheiden als... naja, Fast-Freunde.“

„Große Klappe. Das nennt man wohl tapfer unter Lebenden?“

„Das nennt man: wenn es hier einen Idioten gibt, dann dich.“

Ah, der junge Krieger wurde verärgert. Sehr gut. Denn der Auftrag des Klingendämons hatte schlicht gelautet, dafür zu sorgen, dass der ein Schwert zog – oder aber sich blind vor Wut in seine Schwerter stürzte. Also, weiter. „Ich soll dich ja nicht anlügen. Also, du kannst da stehen bleiben, aber mir wurde gesagt, du hast es eilig, oder du ziehst.“

„Würde ich gern, aber das wäre gegen die Regel. Das wiederum wurde mir gesagt.“

„Du kannst ja auch versuchen gegen meinen Schwertwirbel anzukommen. Wie du siehst bin ich großzügig.“

Der Hanyō zog die Brauen zusammen, weniger, weil er verärgert war, als weil er gleichzeitig versuchte zu reden und nachzudenken. Das war anstrengend. „Du hast ebenso wenig Ahnung von Großzügigkeit wie von Tapferkeit. Ehrlich, da verstehen ja meine Schwerter mehr von der Sache.“ Zumindest schwieg nun Tessaiga und Tenseiga schlug nicht mehr so gegen seinen Oberschenkel, bewegte sich allerdings immer noch. Es fühlte sich an, als liefen regelmäßige Wellen darüber. Aber er wagte nicht hinab zu gucken, den Kerl vor sich aus den Augen zu lassen. Sicher, der Käfer hatte sich nicht aus der Hütte bewegt, aber es gab schließlich keine Zusage, dass dieser Schwertdämon das nicht doch konnte. Er musste sich wirklich etwas einfallen lassen, denn die Zeit drängte schließlich. Wer wusste schon, wie lange diese Echsenmagier, äh, Drachenschamanen, brauchen würden um Bakusaiga gefügig zu machen? Immerhin hatten die es geschafft Sesshōmaru umzulegen – und er wusste wohl mit am Besten was das für ein Haufen Aufwand war. Nun ja, ein Schamane und drei Krieger hatte das ja auch wohl das Leben gekostet. Klar, nii-san erschien nicht ohne Gefolge in der Unterwelt. Aber zurück zum Thema. „Haust du jetzt ab? Ich habe es wirklich eilig.“ Und nicht nur, weil es das Problem mit Bakusaiga gab. Er begann tatsächlich zu frieren, zumindest an den Füßen, wie er es nicht einmal im Schnee je getan hatte.

„Und ich habe alle Zeit dieser und jeder anderen Welt.“

 

Was leider stimmte. Es musste doch eine Lösung geben... Irgendetwas musste ihm einfallen. Sollte er sich vielleicht wirklich einfach auf den Typen stürzen, in der Hoffnung, den irgendwie nieder zu schlagen, ehe dessen Schwerter zuschlagen konnten?

Bisschen riskant die Sache. Noch vor hundert Jahren hätte er es getan, ja, aber fünfzig Jahre Bekanntschaft mit Kagome waren doch nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Ach, er vermisste sie so. Und zu wissen, dass sie womöglich da unten im Getümmel steckte, ihn und alles vergessen hatte, tat weh. „Du willst es wirklich wissen, hm?“ Und wenn er Tenseiga wirklich nur ein bisschen... Vermutlich würde das „bisschen“ eben zu wenig sein. Man sollte die Unterwelt nicht unterschätzen, bedachte er dann, zugegeben zum ersten Mal, seit er sich entschlossen hatte den Herrn Hundefürsten wieder auf dessen Platz zu setzen. Mach Platz mal anders. Unwillkürlich dachte er wieder an Kagome. Es war fast, als würde er ihre warmen Finger an seinem linken Handgelenk spüren.

 

„Ich brauche nichts zu wissen,“ erklärte der Klingendämon und es klang hochmütig. „Du darfst nicht ziehen, oder du stirbst. Du kannst nicht gegen mich kämpfen, oder du stirbst. Immerhin scheinst du am Leben bleiben zu wollen. Das allerdings bedeutet, dass du dein Ziel nicht erreichen wirst, was auch immer das ist. Ich sehe dahinten einen Shinigami auf dich warten. Ich kann dir verraten, dass er dich nicht zu deinem Ziel begleiten wird, wenn du hier scheiterst.“ Er machte eine Pause. „Du willst gar nicht wissen wohin dann? Solch ein Narr wie du ist mir in Jahrtausenden noch nicht untergekommen.“

 

„Gleichfalls.“ Der Hanyō sah nicht den mindesten Grund klein bei zu geben, auch, wenn die Sache sich nicht so einfach anließ wie mit dem Käfer. Und dieser Idiot ließ seine Schwerter auch schön strategisch verteilt, einige Arme ausgebreitet, einige Kopf und Körper deckend. Er wusste nur, dass der eine Rüstung trug, vom Gesicht hatte er noch nichts gesehen.

Tenseiga! Er war doch ein Idiot. Das Schwert machte irgendetwas – das verstieß gegen keine der Regeln, die ihm auferlegt worden waren, da es brav in der Scheide steckte. Und, was es machte, wurde ihm langsam bewusst. Es war natürlich nicht Kagomes Hand, die sich da so warm anfühlte, sondern die beiden Splitter aus diesem Juwelenspeer. Tenseiga hatte sie irgendwie so unter Kontrolle, dass sie nicht mehr so brannten wie zuvor, selbst durch sein Gewand aus Feuerratten, sondern sich eher warm anfühlten.

War das etwa eine Lösung? Aber, wieso sollte ein Schwerterdämon davon auch nur wissen, geschweige denn vor ein paar Splittern erschrecken? Naja, wenn er bedachte, was schon die Splitter des shikon no tama einst ausgelöst hatten... Und die hier waren doch sicher viel mächtiger. So verschränkte er die Arme und schob die Hände in die Ärmel, bemüht, nicht gleich zu erkennen zu geben, was er vor hatte. Da halfen doch so einige Kämpfe aus der Vergangenheit. Der Gegner sollte überrascht werden. „Zum letzten Mal. Geh aus dem Weg!“

 

„Du kämpfst nur mit Worten, ach so tapferer Krieger.“

„Nicht nur, Vollpfosten.“ Seine Finger hatten die Schnur der Ärmeltasche aufgezogen und umklammerten jetzt die beiden Splitter. Er wollte sich nicht vorstellen, was mit ihm passierte, würde er einen davon verlieren oder der da unten in die Menge der Seelen stürzen. „Dein Problem ist, dass du nie richtig kämpfen musstest, oder? Hast alle Leute zu Tode gequatscht oder sie waren ja sowieso schon tot.“

„Komm nur in meine Arme, Dummkopf. Meine Klingen erwarten dich.“

„Du wiederholst dich.“ Hatte er die Splitter fest genug?

„Zieh!“

„Mit Vergnügen.“ Inu Yasha zog die Rechte aus dem Ärmel. Zu seiner gelinden Überraschung leuchteten die Splitter klar auf – so hell, dass er für einen Moment die Augen schließen musste ehe er die Hand lieber so hielt, dass er drüber gucken konnte. Sie strahlten in einem unglaublich hellen Licht in der Dunkelheit dieser Welt, fast gleißend.

 

Der Schwerterdämon riss alle Hände und Klingen empor – schützend vor das Gesicht. „Licht der Sterne! Tu das weg!“

Das war mal eine zufriedenstellende Wirkung. „Ich denke nicht daran.“ Wieso Sternenlicht? Ach ja, es hatte ja geheißen, dass Izanagi und Izanami vom Himmel gekommen waren, als sie die drei Welten erschufen. Das musste es sein. „Aus dem Weg, Trottel!“

Der Klingendämon wich beiseite, an die Wand der Hütte, noch immer alles vor das Gesicht haltend.

 

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, die Splitter noch immer fest umklammernd war Inu Yasha mit drei Sprüngen auf der anderen Seite. Dann drehte er sich um und schob die Bruchstücke behutsam in die Ärmeltasche und zog sie fest zu, bemüht jetzt nicht noch eines da nach unten fallen zu lassen, wo sich die Menge der Seelen unter dem geschwungenen Pfad langsam aber sicher verdichtete. Das Gemurmel wurde fast zu einem Aufjaulen, hätte er es genannt, so wie damals bei dem Kampf gegen So´unga. Reagierten die Seelen immer so, wenn sie Licht zu sehen bekamen? Gleich, er sollte sich beeilen und zu Taku zurück, der da hinten offensichtlich auf ihn wartete, wenn er den roten Schimmer in der rötlichen Schwärze richtig deutete. Seine Augen waren noch von dem hellen Licht der Juwelensplitter geblendet. Oh. Er sollte wohl besser aufpassen, wohin er seine Füße setzte. Noch besser.

 

Der Shinigami wandte den Kopf, als sein Hauptmann federleicht neben ihm landete. „Er hat Nerven! Er hat die Splitter des Speeres der Schöpfung eingesetzt, die doch der Großen Göttin der Unterwelt zustehen.“

„Nerven? Nun, nennen wir es Intelligenz die Chance zu sehen und Mut sie zu ergreifen. Sage ihm, wenn er auch den, der auf dem Blut tanzt, überstanden hat, wartet noch die vierte und letzte Prüfung, ehe du ihn zum zweiten Tor bringst.“

„Wie lautet diese Prüfung?“

„Er wird versagen.“ Der Hauptmann nickte ein wenig. „Bestanden hat er nur, wenn er sich nicht von seinem Ziel abbringen lässt. Aber das sagst du ihm natürlich nicht. Das muss er selbst entscheiden.“

„Wenn er dort auch besteht, und natürlich zuerst noch den, der auf Blut tanzt, bringe ich ihn in das Gebiet der Yōkai. Und, falls er versagt....?“

„Der Befehl lautet ihn in diesem Fall zur Herrin zu bringen. Ihr gehören diese Splitter.“

Die Blicke trafen sich.

 

Inu Yasha tapste noch einmal vorsichtiger den schmalen Pfad entlang. Er wurde immer unsicherer, das spürte er. Seine Füße schienen fast anzufrieren. Er musste sich wirklich beeilen. Hinzu kam, dass er noch immer buchstäblich Sternchen in der Dunkelheit sah, nicht unbedingt, wohin er den nächsten Schritt machte.

Nur so konnte es passieren, dass er fast gegen einen in Brusthöhe schwebenden Korb stieß, der angefüllt mit allerlei Früchten war.

Was sollte das denn? Eine originelle Idee ihn hinunter in das Wirrwarr der Seelen zu befördern, deren Heulen an- und abschwoll? Ein Blick hinab zeigte ihm, dass viele die, naja, Hände, nach oben ausstreckten, in seine Richtung.

Auch nicht so toll.

Und der Korb war eindeutig im Weg.

Ohne viel nachzudenken kippte der Hanyō den schlicht aus und die Früchte hinunter, ehe er daran vorbei sprang, bemüht kurz, um auf dem Pfad zu bleiben.

Das Heulen wurde wieder zu einem Murmeln. Da er doch irritiert hinabblickte, stellte er fest, dass sich einige der Seelen die Früchte gepackt hatten, hinein bissen, ja, andere sich darum zu streiten schienen. Hatten die etwa Hunger? Bekamen die hier nichts zu essen? Sogar der Kami hatte doch etwas von Früchten in der Unterwelt erzählt?

In gewissem gerechten Zorn machte er sich auf den weiteren Weg zu dem wartenden Shinigami.

„He, Taku, sag mal, lasst ihr hier etwa die arme Seelen verhungern?“ Er stemmte die Arme in die Seiten.

 

Besagter Todesgott blinzelte. Ein Mal, zwei Mal, ehe er überhaupt begriff, was der Kandidat damit sagen wollte und langsam meinte: „Ich weiß nicht, Seele, Inu Yasha, ob du weißt, wo du dich befindest. Wer im yomi no kuni ist, ist in aller Regel nicht mehr am Leben. Sondern tot. Ganz altmodisch tot. Und braucht damit kein Essen mehr.“

„Und was war dieser Obstkorb?“

„Der war eigentlich für dich gedacht.“

„Keh. Ich habe doch gesehen, wie sie sich sogar darum gestritten haben, ehe sie hinein gebissen haben! Und abgesehen davon, ich habe gehört, es gibt Früchte in der Unterwelt, die man besser nicht essen sollte.“

Schön, erkannte Taku, der hatte wirklich Nerven! Aber er sollte besser antworten, immerhin trug dieser Kerl Tenseiga spazieren und es würde ihm selbst nichts helfen, wäre der zwar in der Unterwelt, er selbst jedoch im Nichts. „Die Seelen wurden vom Licht des Speers der Schöpfung angelockt. Ebenso wie Tenseiga hoffen sie instinktiv auf Erlösung. Darum aßen sie auch das Obst der Welt der Lebenden. - Die Früchte dieser Welt, die du meinst, erhalten Neuankömmlinge angeboten. Die, die sie essen, sind für immer an diese Welt gebunden, vergessen alles, was sie an die Welt der Lebenden band. Andere, die sie nicht aßen, erinnern sich an ihr Leben. Ich weiß nicht, was gut oder schlecht ist,“ ergänzte er hastig. „Nur, alle sind eben tot. Und sie benötigen sicher ebenso wenig Nahrung wie ich.“

„Keh.“ Aber Inu Yasha war beruhigt. „Dann: wie geht es weiter?“

„Ich bringe dich nun zu dem Pfad, wo du den Dämon treffen wirst, der auf Blut tanzt.“

„Die haben alle irgendwie komische Namen. Und, danach?“

„Danach gibt es nur noch eine Prüfung, von der ich nicht genau weiß, wie sie aussieht, aber du wirst dich entscheiden müssen. Solltest du auch da bestehen, geleite ich dich zum nächsten Tor. Also lauten der Totengöttin Befehle.“

Und da würde er wohl dann auch den zweiten Splitter der Herrin der Unterwelt überlassen müssen. Nun gut. „Dann gehen wir, Taku. Ich habe es wie schon erwähnt, eilig.“

In dieser Welt war er damit wohl der Einzige. Aber, ja, der hatte wirklich Nerven!

 

 
 

Tänzer auf Blut

For a charm of powerful trouble,

Like a hell-broth boil and bubble.

Double, double toil and trouble;

Fire burn and caldron bubble.

Cool it with a baboon's blood,

Then the charm is firm and good.
 

Shakespeare, Macbeth: the three witches

 
 

Mit der gewissen Ahnungslosigkeit seiner Art über Gefühle schritt der Shinigami voran. Er konnte nicht spüren, dass sein Kandidat ein wenig, um es noch freundlich auszudrücken, verärgert war.

Inu Yasha nahm sich zusammen. Es brachte kaum etwas den Boten anzufauchen, Taku konnte ja wohl nichts für die Prüfungen. Und schon gar nicht für das, was dieser Klingentyp gesagt hatte und ihn doch ziemlich ärgerte. Er sollte sich zusammennehmen. Der schmale Pfad, dem sie bislang am Berghang gefolgt waren, senkte sich etwas, führte anscheinend auf eine bestimmte Stelle zwischen zwei steilen Bergen zu. Kaum schwer zu erraten, dass sich dort das Tor in die Welt der Yōkai befand. Leider wartete da auch noch nach links einer dieser leuchtenden, schwebenden Pfade mit einer Hütte. Das war wohl die nächste Prüfung. Na toll. Der auf Blut tanzt. Also, Namen hatten die hier... da war Taku ja direkt normal. Zugegeben, sein eigener Name war auch ungewöhnlich. Und Sesshōmaru hießen wohl auch die wenigsten. Er sollte sich jetzt hier nicht in Selbstmitleid ergießen, sondern die nächste und damit vorletzte Prüfung bestehen.

„Also, der auf Blut tanzt. Kannst du mir noch etwas dazu sagen, Taku?“

„Die üblichen Bedingungen. Die Schwerter bleiben in der Scheide, du darfst ihn nicht verletzen. Wenn du die Hütte passiert hast, ist es erledigt. Oh, und noch etwas. Die Splitter des mächtigen Speers der Schöpfung werden dir gegen ihn nicht helfen. Er ist blind.“

Inu Yasha vermutete keine Sekunde, dass das eine Erleichterung sei. Der Typ hatte eben dann andere Dinge auf der Pfanne, sonst würden sie ihm den nicht als Hindernis präsentieren. „Aber er tanzt auf Blut.....“

„Dem Blut seiner Gegner, ja.“ Der Shinigami blieb stehen und deutete nach unten. „Dort, wo nur noch Schwärze ist, wartet das Tor in die Welt der Yōkai. Davor allerdings liegt deine letzte Prüfung. Mir wurde gesagt, dass es um eine Entscheidung geht.“

„Naja, erst mal muss ich ja wohl den Tänzer ausschalten, oder? Keine Schwerter, kein Klauenangriff....“ Er sollte den ja nicht verletzen.

„Denk eben nach.“

„Keh!“ Als ob eben das sein Spezialgebiet wäre. Nun ja, immerhin hatte er schon zwei Proben geknackt, dann sollte eine dritte doch auch möglich sein. „Na, dann bis später.“

Das nannte man wohl Optimismus, dachte der Shinigami, wandte sich jedoch ab um zum anderen Ende der Pfadschleife zu gelangen.

 

Während der Hanyō den schmalen Pfad entlang ging, dachte er noch einmal an die Worte des Klingendämons – er sei nicht tapfer! Keh! Er hatte sehr schnell lernen müssen, was das bedeutete. Und er hätte den Kerl samt seinen tausend Schwertern mal allein als Kind in einem Wald sehen wollen! Der hatte doch gar keine Ahnung. Selbst Mama.... Ja. Selbst Mama hatte tapfer sein müssen als Kind. Seltsam, das hatte er vollkommen vergessen und fiel ihm jetzt erst ein.

Mama. Sie musste da schon gewusst haben, wie schlecht es um sie stand. Er hatte geweint, weil sie so krank und schwach war. Und sie hatte ihm das Versprechen abgenommen, er solle tapfer sein. Er wusste noch, oder eher jetzt wieder, dass er schluchzend gemeint hatte, er sei zu klein um tapfer zu sein. Und sie hatte nur den Kopf geschüttelt und ihm eine Geschichte erzählt. Ihre Geschichte. Warum hatte er es nur vergessen?

Sie war klein gewesen, so alt wie er, kaum sechs, als ihr Vater etwas Schlimmes getan hatte. Er und seine gesamte Familie waren zum Tode verurteilt worden. Und ihre Mama, also ja wohl eigentlich seine Großmutter, hatte sie an der Hand gehalten und dem kleinen Mädchen gesagt, sie sollte tapfer sein um die Familie nicht zu blamieren. Drei ihrer Halbbrüder waren hingerichtet worden, als sie und ihre Mutter an die Reihe kamen. Dann hatte irgendwer, wer, das wusste er nicht, gesagt, sie seien begnadigt, weil sie Schwester und Nichte wären, von eben jemand wichtigen. Dann hatte man sie weggebracht, weit entfernt in ein Schloss im Wald. Zwei Dienerinnen, aber jede Menge Samurai. Dort hatten sie gelebt, Essen kam, manchmal sogar Bücher, Kleidung. Als ihre Mutter gestorben war, war Mama allein mit zwei Dienerinnen dort geblieben, verbannt, mit der Auflage nicht zu heiraten. Ja. Und dann hatte Mama wohl irgendwann bei einem Spaziergang im Wald Papa getroffen. Sie war tapfer gewesen, auch, als nach seiner eigenen Geburt Vater tot war, das Schloss niedergebrannt. Irgendwie war es ihr gelungen mit ihrem Halbblutsohn zurück in das Schloss ihrer mütterlichen Familie zu kommen und dort auch aufgenommen zu werden.

Tapfer war sie gewesen, denn der Hanyō entsann sich nur zu gut daran, wie die Menschen ihn gemieden hatten. Und doch – sie hatten ihn geduldet, bis Mama gestorben war. Und ihn auch dann nicht umgebracht, sondern nur im Wald ausgesetzt.

Moment mal. Natürlich. Der Clan seiner Mutter. Und, auch, wenn er als Halbblut unerwünscht war, so vergoss man doch nicht ohne weiteres das Blut eines Familienangehörigen. Sie hatten den eleganten Umweg gewählt. Nun ja, er sollte nicht böse sein. Auch die väterliche Familie hatte sich ja nicht unbedingt durch brüderliche Liebe ausgezeichnet.

Oder vielleicht sogar schon? Immerhin, Sesshōmaru war nicht unbedingt das Musterbeispiel eines großen Bruders gewesen, er hatte oft genug geglaubt, der wolle ihn umbringen. Aber – der Kerl war der Sohn zweier Daiyōkai, praktisch erwachsen und er ein Hanyō, noch dazu ein kleines Kind gewesen. Der hätte ihn doch locker umlegen können, wenn er denn wirklich gewollt hätte?

Da war dieser Kampf um Tessaiga in Vaters Grab – und der zynische Satz des Herrn Hundes: du kämpfst ja immer noch wie ein Kleinkind. Und auch, als er selbst durchgedreht war, mit den Motten – da war Sesshōmaru aufgekreuzt und hatte ihn bewusstlos geschlagen. Kagome hatte ihm dann gesagt, sie hätte befürchtet, dass er ihn umbringen wolle, aber der liebe Bruder hatte nur kommentiert: es mache keinen Spaß jemanden wie einen tollwütigen Hund zu erschlagen.

Naja. Eine gewisse, manchmal auch verquere, Art von Kriegerehre konnte man ihm nicht absprechen. War es wirklich unter der Würde gewesen ein Kleinkind oder einen durchgeknallten Halbbruder umzubringen? Das machte man nur, wenn der topfit war? Nun gut. Daran war der liebe Bruder ja wohl gescheitert.

Und trotzdem, gerade in der letzten Zeit, da hatten sie sich doch eigentlich gut verstanden. Keine ernstgemeinten Duelle mehr, dafür Rin, auf die er aufpassen sollte – was ja immerhin bedeutete, dass ihn Sesshōmaru da für fähiger hielt als Jaken. Wozu zugegeben nicht sonderlich viel gehörte, ehemaliger Krötenkönig hin oder her.

Tja. Und jetzt latschte er hier mehr oder weniger die halbe Unterwelt ab um eben besagten großen Bruder wieder ins Leben zu holen. Wann eigentlich hatte er angefangen sich um den Riesenhundeidioten zu sorgen? Vielleicht in dem Moment, als ihm dämmerte, dass an dessen Ableben leider auch ein komplettes Fürstentum samt Braut hing? Oder auch nicht. Ja, der war ein Blödmann, stur, arrogant und …. aber er war eben auch sein einziges Familienmitglied. Und wenn er so recht gesehen hatte, trauerte dessen Mutter auch sehr um ihren einzigen Sohn. Dafür, dass sie ganz sicher nicht glücklich über den Sohn einer Rivalin war, hatte sie sich gut gehalten, ja, war nett zu ihm gewesen.

 

Oh. Er blieb stehen. Diese ganze Grübelei hatte ihn nahe an die Hütte gebracht und seine Nase verriet ihm Hitze, Gestank. Ein scheinbarer Ring schloss sich würgend um seine Kehle. Das stank nach kochendem Blut! Was war das denn für ein Kerl?

Noch einen Schritt näher erkannte er den Dämon deutlich. Nun ja. Blind war der, genauer, der besaß keine Augen, keine Nase, keine Ohren, keine Haare. Um korrekt zu sein, keinen Kopf. Zwischen den Schultern gab es keinen Hals, nichts. Erst auf den zweiten Blick erkannte Inu Yasha etwas wie ein Gesicht. Nun gut. Einen Mund, der sich auf Brusthöhe befand. Ansonsten war der Typ unbekleidet, sah man von einem roten Tuch um die Lenden ab.

Unter ihm befand sich eine brodelnde rote Flüssigkeit – kochendes Blut. Und der Dämon glitt da wie auf Schienen drüber. Das war irritierend. Erst dann entdeckte der Hanyō Nägel, die aus der Flüssigkeit ragten, und auf denen sich der „auf Blut tanzt“ bewegte. Metall und kochende Flüssigkeit? Das musste recht heiß sein. Und das, wo seine Füße doch schon förmlich zu erfrieren drohten. Das mit dem Tanzen kam dagegen hin. Elegante Schleifen auf den Nägeln.

Äh. Ja. Und jetzt?

Keine Schwerter, kein Klauenangriff, keine Juwelensplitter, aber er sollte an dem Kerl vorbei? Hatte nicht jemand eine gute Idee? Kagome? Das waren unter anderem die Sachen wo er sie so schrecklich vermisste. Naja, auch nachts fehlte ihre Wärme, ihr Lachen, wenn er aß... Na schön. Was sollte er denn nur mit diesem Unterweltdämon anfangen? Wie bekam er den aus dem Weg?

Sang der etwa? Es war nichts zu hören, aber die Ohren des Hanyō zuckten. Sein Gegenüber bewegte sich in Schleifen, schien stumm vor sich hin zu singen, nach einer unhörbaren Melodie zu tanzen. Sollte er die etwa hören? War das die Lösung?

Nein. Seine Ohren waren wirklich gut, aber da war nichts. Und die Tatsache, dass der ein wenig mit den Armen schlängelte, deutete auch auf den Tänzer hin. Nur – wie bekam er den aus dem Weg? Ja, schlangenähnlich. So ungefähr bewegten sich auch die Füße des Tänzers auf den offensichtlich wirklich heißen Nägeln. Sie leuchteten rötlich, glühten in der Dämmerung dieser Welt.

Moment mal.

Inu Yasha starrte noch einmal die Füße des Unterweltdämonen an. Schritt nach rechts, nach hinten, zur anderen Seite... Und jedes Mal der gleiche Rhythmus, der gleiche Weg über dem brodelnden Blut. War das etwa der sichere Pfad? Jetzt aufmerksam geworden suchte er erneut nach der Wiederholung. Er hatte doch so einige Schwertkämpfe hinter sich gebracht und erkannte, dass den Bewegungen ein Schema zugrunde lag. Nur, welches?

Die Nägel, das Metall, natürlich.

Die spitzen Nägel waren heiß – lästig und trotz seiner abgehärteten Füße würde das, nun ja, höllisch weh tun. Aber da, wo der Tänzer tanzte, waren die Nägel nicht spitz, eher wie kleine Platten. Vermutlich auch ziemlich warm, aber, das machte ja nichts. Immerhin würde er sich nicht aufspießen.

Hm. Der Kerl tanzte also auf den flachen Flächen, immer wieder, erneut den gleichen Weg. Das musste doch einfach die Lösung sein. Wenn er selbst nur auf diesen flachen Platten ging – oder eher, sprang … Naja. Da gab es ziemlich lange Arme. Wenn die ihn in die brodelnde Flüssigkeit stoßen würden, wäre das sein Ende. Das bedeutete, er musste verflixt schnell sein – und genau springen, denn die einzelnen Platten waren sicher einen Meter auseinander.

Oh man. Bruderherz konnte sich ausgiebig bei ihm bedanken!

Jetzt war es wieder so weit. Der Tänzer wich nach links an die Wand, verschränkte die Arme und zögerte einen Moment, ehe er erneut seine Runde begann. Das musste das Zeitfenster sein, in dem er selbst rasch hinübergelangen konnte. Da waren Platten. Drei Sprünge. Und bitte nicht daneben landen, das würde fatal werden. Schön, der drehte erneut seine Runde, eine endlose Wiederholung, anscheinend. Hier wurde offensichtlich nicht nach Kampftalent oder – geist gefragt, sondern nach einer strategischen Erkenntnis. Immerhin war ihm neu, dass er über so etwas verfügte.

Jetzt war es wieder soweit, der Tänzer verschränkte die Arme an der linken Wand.

Ohne jedes Zögern setzte der Hanyō auf die flachen Platten – und hastete gleich weiter zur nächsten. Das war wirklich heiß, zumal, seine Füße doch sehr ausgekühlt waren. Noch ein Satz und noch einer – er hatte die andere Seite der Hütte erreicht und drehte sich um.

Der Tänzer drehte bereits stoisch die nächste Runde. Musste der arme Kerl das etwa in alle Ewigkeit machen? Das war mehr als langweilig. Immerhin waren die eigenen Füße wieder aufgetaut – und, das gab er zu, wenn er nicht die Polsterungen da gehabt hätte, wäre es noch schmerzhafter geworden. Nun ja, niemand hatte je behauptet, dass die Unterwelt angenehm zu leben sei. Oder wie man das auch immer nennen wollte.

So, weiter den Pfad entlang. Nur noch eine Prüfung, dann könnte er in die Welt der toten Yōkai und Sesshōmaru suchen. Ob er wohl seinen Vater auch treffen würde? Was sollte er denn dann zu dem sagen? Und, was für eine Prüfung wartete denn noch auf ihn? Entscheidung? Das war nicht unbedingt seine starke Seite, zumal, wenn er nachdenken musste.

 

Keine hundert Schritte weiter atmete er tief durch, als der Blutgeruch und das Brodeln seine Sinne nicht mehr malträtierten. Drei Prüfungen waren geschafft, nur noch eine. Unwillkürlich legte er die Klaue an Tessaiga. Sein Schwert würde ihm hier kaum helfen können, schon gar nicht bei einer Entscheidung, aber immerhin hatte Tenseiga da durchaus hilfreich sein können. Das würde schon gehen. Aha. Der Todesgott stand dahinten und wartete. Eigentlich war es nett ihm einen Führer durch diese Gegend zu geben. Ob da wohl die Splitter dieses Speeres hilfreich waren? Jedenfalls musste er am zweiten Tor auch den zweiten Splitter abgeben, sonst... Das sonst wollte er bestimmt nicht kennenlernen. Und er wollte auch den Kami nicht enttäuschen. Der sich offensichtlich wirklich Gedanken um ihn gemacht hatte.

„Taku.“

„Du hast drei Prüfungen bestanden. Dann komm.“

„Es geht um eine Entscheidung?“

Der Shinigami schlag seinen Umhang unwillkürlich enger um sich. „Die richtige Entscheidung.“

„Und woher soll ich wissen, was richtig und was falsch ist?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nicht einmal welche Entscheidung du treffen sollst.“

„Tipps ja, aber nicht zu viele, oder?“

„Du lebst seit Stunden in der Unterwelt. Das ist ungewöhnlich genug.“

„Mag ja stimmen. Aber ich bin auch nicht gerade begeistert davon hier herumzulaufen.“

„Das wiederum war deine Entscheidung.“

„Taku, du nervst.“

„Lass mich raten.“ Der Todesgott wandte sich nicht um. „Wäre ich sterblich und in deiner Welt, würdest du mich hierher schicken?“

„Keh. Wenn ich alle Leute, die mir auf die Nerven gehen, hierher geschickt hätte, hättet ihr wegen Überfüllung schließen müssen.“

„Ich hörte, dein Bruder und du hättet auch so für gewisse Zuwächse gesorgt.“

„Und Naraku, ja. Und so der eine oder andere Drache auch. Und, wenn ich mich so an Schlachtfelder erinnere, waren die Menschen auch nicht gerade untätig.“

„Da hast du allerdings recht. Menschliche Schlachtfelder bedeuten für uns Shinigami immer eine Menge Arbeit. - Übrigens auch eure Schwerter.“

„Du meinst Tessaiga und Bakusaiga? Tessaiga kann mit einem Schlag einhundert Dämonen töten, Bakusaiga eintausend. Ja, zugegeben, klingt nach Arbeit. Da habe ich noch nie dran gedacht.“

Taku hätte fast geseufzt. „Immerhin weißt du das.“

„He! Ich habe nie jemanden umgebracht, der nicht mich oder meine Freunde umbringen wollte.“

„Und dein Bruder?“

„Nii-san? Der bringt Leute schon um wenn sie ihn schräg ansehen. Aber, das muss ich zugeben, er warnt.“

„Wieviel ist ein Leben wert, Inu Yasha? Das sollst du für dich nun entscheiden.“

Der Hanyō schloss daraus, dass der Todesgott irgendwelche neuen Informationen erhalten hatte und guckte an dem vorbei. Auf dem Platz vor dem Tor, in der Dunkelheit kaum zu erkennen, warteten zwei weitere Shinigami. Zwischen denen standen zwei Seelen, durchscheinende, weiße Gebilde in der Düsternis. Und ...Er rang nach Atem, als sie sich zu ihm umdrehten.

„Kagome! Mama!“ Mit vier weiten Sprüngen stand er bei ihnen, wollte sie beide in die Arme schließen – und scheiterte an der Nicht-Existenz ihrer Körper.

„Inu Yasha!“ kam es von beiden praktisch gleichzeitig.

Dann ergänzte Kagome: „Du bist hier ...lebendig...?“

„Äh, ja.“ Wie sollte er das sagen. Er war doch so froh sie zu sehen und....Taku! Der Blick aus goldfarbenen Augen, der dem Shinigami galt, verriet die Familienähnlichkeit mit einem gewissen Hundefürsten. „Was soll das?“

So ganz genau wusste das Taku auch nicht, also sah er zu den Kollegen. Einer der Neuankömmlinge meinte: „Uns wurde mitgeteilt, dass du eine Seele aus der Unterwelt abholen willst. Soweit wir wissen, diese beiden. Mutter oder Gefährtin. Entscheide dich.“

Was? Inu Yasha rang nach Atem. Eigentlich wollte er doch Sesshōmaru … Und jetzt das? „Das ist ...grausam....“ brachte er heraus.

„Ja. Das ist es!“ Kagome fuhr herum und nur die Tatsache, dass sie als Seele nichts gegen Todesgötter ausrichten konnte, und auch keinen Bogen zur Hand hatte, ließ sie seufzen.

Izayoi dagegen lächelte wehmütig. „Sie ist deine Gefährtin, Inu Yasha. Ich bin schon so lange hier. Nimm sie mit. Falls du ...falls du es irgendwie einrichten kannst, dass du deinen Vater triffst, grüße ihn von mir, mein Kleiner, ja? Euch beiden, viel Glück.“ Sie wandte sich zu den Shinigami. „Bringt mich zurück. Er soll glücklich werden.“

„Mama!“ Inu Yasha brachte es kaum hervor. „Mama!“

Sie wandte den Kopf. „Werde du glücklich, dann bin ich es auch.“ Und dann war sie mit einem der Todesgötter verschwunden.

Der Hanyō brach in die Knie. „Mama!“

„Das ist unglaublich großherzig von ihr gewesen,“ flüsterte Kagome und ließ sich vor ihm nieder.

Erst jetzt erkannte er, dass sie nicht mehr so alt war, wie zu dem Zeitpunkt an dem sie verstorben war. Eher so alt, wie er sie kennengelernt hatte. Sie versuchte seine Hand zu nehmen, scheiterte jedoch. „Kagome....“

„Was ist denn? Du kamst in diese Welt, um.... um deine Mutter zu holen?“

Er schüttelte den Kopf. „Es ist schlimmer.“ Und Tränen begannen zu fließen.

„Inu Yasha! Was ist denn los? Bitte, erzähle es mir doch. Du weißt doch, ich kann viel verstehen – aber, du musst es mir erklären. Was ist denn nur passiert? Wie lange bin ich schon tot?“

„Fünfzig Jahre und ungefähr eine Woche. Ich weiß nicht, wie die Zeit in der Welt der Lebenden verläuft.“ Er würgte es fast heraus, als er mit dem Ärmel über sein Gesicht fuhr. „Das ist so gemein, das hier, so....“

„Warum bist du hier, lebendig?“

„Bakusaiga....“

„Bakusaiga? Das ist doch Sesshōmarus Schwert?“

Er nickte nur.

„Bitte, erkläre es mir. Inu Yasha, nicht weinen. Sage es mir doch, vielleicht kann ich dir helfen.“

Kagome! Seine Tränen flossen reichlicher und heißer, ohne, dass er Worte fand.

 
 

Tore der Hölle

And if I´m dying on my knee

You would be the one to rescue me

I got you, brother.
 

Kodaline: Brothers
 

Kagome starrte den weinenden Inu Yasha etwas hilflos an. Sie hätte ihn so gern in die Arme genommen, beruhigend gestreichelt, aber das war als Seele für sie unmöglich. So fragte sie nur etwas erschrocken: „Bakusaiga? Ist das etwa hier gelandet?“

Er schüttelte den Kopf und nahm sich zusammen. Sie hatte ja recht wie immer – sie verstand doch so viel. „Sesshōmaru. Der Riesenhundeidiot hat sich von Drachen umbringen lassen und deren Anführer, ein gewisser Ryuuichi, hat nun Bakusaiga in der Klaue. Die Fürstenmutter des Westens ….“ Er musste Atem holen: „Schickte nach mir, in der Hoffnung, dass ich das Teil zurückholen kann und den Fürsten da spiele. Naja, lieber marschiere ich jetzt hier herum und muss mich mit so Prüfungen herumschlagen. Aber, es war doch nie die Rede... von dir oder Mama. Das ist so gemein!“

„Vermutlich,“ erwiderte sie mit einem behutsamen Blick zu den Shinigami. „Aber, du willst Sesshōmaru wieder beleben? Ja, du hast Tenseiga...“

„Das Problem ist, dass diese dämlichen Drachen seinen Körper vernichtet haben, sonst wäre das ja nicht so ein Problem. Ich habe schon mit einer Krötenschamanin und einem Kami aus dem Takamahara reden müssen.“

Manchmal hatte sie gelernt einfach hinzunehmen, dass ihr Gefährte nicht ganz normal war. So hielt sie sich an Logik. „Aber dieser Drachen hat ihn getötet? Ich dachte, das geht praktisch nicht.“

„Der hatte zu seiner Unterstützung noch vier Krieger und fünf Schamanen mit irgendwelcher Elementmagie. Da kommt wohl auch ein Daiyōkai nicht so gegen an.“ Er atmete durch. Wie gut es tat mit ihr zu reden, wenngleich nur so durchscheinend und sie nicht anfassen zu können. Zu dürfen. Liebe, gute Kagome.

„Aber Tenseiga hätte ihn doch weggebracht, oder? So wie damals, als du ihn mit dem kaze no kizu getroffen hattest?“

„Ja, wenn der Herr Hundefürst das nicht im Schloss liegen gelassen hätte. Und keiner weiß warum. - Kagome, ich möchte dich so gern mitnehmen....“

Sie lächelte etwas traurig. „Ja, das weiß ich. Ich würde ja auch gern mit dir gehen. Aber du musst an das denken, was dich herführte. Da hat ein mörderischer und bestimmt gefährlicher Drache Bakusaiga in der Hand. Es wehrt sich noch, aber sicher nicht mehr lange, wenn sein Herr tot ist. Du kannst dir doch vorstellen, was im Westen passiert, wenn der damit loszieht? In der Welt der Menschen und der anderen Fürstentümer? Du bist der Einzige, der das verhindern kann. Und, da hat auch deine Mutter recht – wir sind tot. Und das Leben der Lebenden zählt. Nicht weinen, Inu Yasha. Ich kann immer noch wieder geboren werden, mit ein bisschen Glück. Und das ist etwas, was Yōkai versagt ist. Entweder du rettest nii-san – oder du weißt, was dann mit Bakusaiga passiert.“

Er starrte sie an. Kagome. So großherzig wie immer. „Ich....du meinst, ich bin egoistisch, wenn ich dich wieder bei mir haben möchte?“

„Nicht so sehr. Aber, denke einfach daran, wie auch ich, dass ich schon einmal wieder geboren wurde. Das klappt, sicher. Du musst nur etwas Geduld haben. Und ehrlich gesagt, ich möchte in kein Japan geboren werden, in dem ein Drachenherr mit Bakusaiga herumwedelt.“

Das war natürlich ein Argument – und auch, wenn er sie beschützen wollte, so wäre das doch kein Leben für sie. „Ich habe noch zwei Juwelensplitter. Ach, das habe ich dir nicht gesagt. Nein, nicht vom shikon no tama, sondern von einem Juwelenspeer, der bei der Schöpfung verwendet wurde. Der Kami, mit dem ich redete, hat sie mir besorgt. Aber, die muss ich an jedem Tor abgeben. So als Bestech... äh, Geschenk für die Herrin der Unterwelt.“ Nur ja höflich bleiben.

„Ich habe keine Ahnung, was du da gemacht hast, aber anscheinend machst du es richtig.“ Das klang wie ein Seufzen. „Dann geh mal und rette deinen großen Bruder und nebenbei auch den Westen und ganz Japan. Du bist unmöglich. Vermutlich der Grund, warum ich dich so liebe.“

„Ich liebe dich auch, Kagome. - Lasst uns doch noch etwas Zeit!“ Denn zwei Shinigami waren zu ihnen getreten, darunter Taku.

Der sagte nur: „Du kennst die Bedingungen. Deine Entscheidung?“

Der Hanyō sah zu seiner Miko, diese lächelte und nickte, sichtlich ihrer selbst sicher. So meinte er: „Bring mich zum Tor zur Welt der Yōkai. - Auf Wiedersehen, Kagome.“ Und er hörte selbst, dass seine Stimme schwankte. Wehe, dieser Idiot von Hund bedankte sich nicht ordentlich bei ihm! Das hier konnte der nie wieder gut machen!

„Ich liebe dich,“ hörte er noch, dann war seine Gefährtin verschwunden.

So blickte er zu Taku und atmete tief durch. „Dafür sollte ich euch alle umbringen!“

„Du hast in die Regeln eingewilligt,“ erinnerte der Shinigami, dem leider nur zu bewusst war, was Tenseiga in dieser Welt vermochte. „Und, wir gehen nun zu dem nächsten Tor. Du hast ja noch einen Splitter.“

Ein erneutes tiefes Luftholen des Hanyō. „Zwei, Idiot. Wie viel Zeit ist in der anderen Welt vergangen, seit ich hier ankam?“

„Das weiß ich nicht. Zeit ist etwas, was hier nichts zählt. Einige Tage, denke ich.“

Das bedeutete, mit etwas Pech wäre dieser Halbwolf samt Braut schon bei Stiefmütterchen eingetrudelt und stritt sich womöglich schon mit Kori und diesem Mamoru darum, wer sie heiraten dürfte. Er sollte sich wirklich beeilen. „Dann geh schon, los.“ Ja, da war das Tor, gar nicht so weit weg, wie er noch gedacht hatte. Auch hier stand ein ziemlicher Riese da und blockierte den Weg. Aber da gab es ja wohl die Lösung. So zog er den nächsten Splitter aus dem Ärmel und legte ihn auf den felsigen Grund. „Ich bringe ein Geschenk für die okami no yomi no kuni, Izanami-sama.“ Jawohl, es klappte. Der Splitter verschwand, der Wächter drehte sich beiseite und er machte den Satz durch den steinernen Torbogen.

Nur, um überrascht stehen zu bleiben. War der Eingang in die Welt des Jenseits der Menschen ein doch enges Tal, durch das sich alle hindurch drängten, um vielleicht doch mal eher zufällig die Ebenen draußen zu finden, so war hier eine schlichte, weite Ebene, über die vereinzelte weiße Seelen zogen. Kein Berg. Nun ja, nur, wenn er sich umdrehte. Das machte er, denn er suchte seinen Führer. „Und jetzt, Taku?“

„Sieh dort, links. Erkennst du die Felsen?“

„Diese zwei Türme oder so? Ja, klar.“

„Dort befindet sich dein Bruder im Siegel. Ich vermute, du weißt, was du zu tun hast?“

„Erst mal schon. Und, wenn ich ihn geweckt habe, soll ich wieder zu diesem Tor gehen?“

„Nein. Dann komme zu mir und ich bringe euch beide zu dem dritten. Danach kann und werde ich dir nicht mehr helfen. Das Portal, was danach kommt, ist ehrlich gesagt für jeden riskant, es wurde noch nie so erschaffen, hörte ich.“

„Na schön. Also, erst einmal da rüber. Und du wartest hier?“

„Aber ja.“ Taku hätte nie laut zugegeben, dass er dieses Schauspiel um keinen Preis in allen drei Welten verpassen wollte. Die Erschaffung neuen Lebens aus dem Tod – das konnte eigentlich doch nur schief gehen. Aber natürlich würde er nie an der Herrin zweifeln.
 

Tatsächlich handelte es sich um zwei Felsgebilde, die Inu Yasha an die Wolkenkratzer in Tokio in Kagomes Zeit erinnerten. Hoch, steil und statt mit gelblichen mit rötlichem Licht. Aber das, was ihn stehen bleiben ließ, war etwas Weißes, eine Seele, die vor einem der Türme stand, ihm den Rücken zukehrend. Ein Yōkai mit zurückgebundenen, weißen Haaren, zwei Fellteilen rechts und links über die blau-weiße Kleidung fließend. Ja, die Rüstung fehlte, aber da wusste er nur zu gut wo sie war. Und er hatte diesen Mann, diese Seele, nur einmal gesehen. „Oyaji...“ Das war kaum passend, dachte er, als sich sein Vater zu ihm umdrehte, für einen Daiyōkai sichtlich verblüfft. So korrigierte sich der Sohn: „Otōsan...“ Papa. Verehrter Vater wie Sesshōmaru würde er nie sagen. Dazu wüsste er ja nicht einmal was da zu verehren wäre.

Der ehemalige Taishō verengte die Augen. „Inu Yasha? Du, hier, lebendig?“

Berechtigte Frage eines Erzeugers,  gab der Angesprochene zu. „Äh, ja. Ich suche meinen Bruder.“ Jetzt erst entsann er sich, dass der Kami doch gesagt hatte, Sesshōmaru sei versiegelt worden, weil ihr Vater für ihn gebeten hatte. Sein Blick fiel auf den Felsen. Etwas leuchtete da in grün, sicher ein Bann. Vater hatte tatsächlich für seinen Ältesten gebeten und bewachte diesen. Ob er das für ihn auch tun würde? Sie kannten sich ja nicht. „Ich ... ich meine, ich habe den Auftrag ihn wieder lebendig zu machen.“

„Ich sehe Tenseiga an deiner Taille. Aber, mir wurde gesagt, dass kein Körper mehr existiert. Und, wer gab dir den Auftrag?“

„Äh, ja, das stimmt alles, ich meine, da gibt es keinen Körper mehr, aber so ein Kami aus dem Hohen Himmelreich sagte mir, was ich zu tun hätte. Und, naja, Keibo-sama bat mich....“

Die verehrte Stiefmutter? Der Taishō bekam soeben den Eindruck das einiges in der Welt der Lebenden passiert war, von dem er nicht einmal geträumt hatte. „Ein Kami aus dem Takamahara? Wer?“

„Äh, keine Ahung. Kishijoten stellte mich ihm vor, nachdem so eine Krötenschamanin namens Sorano Kontakt aufgenommen hatte.“

Sorano. Und die Glücksgöttin höchstselbst. Wer auch immer der Kami gewesen war, musste wirklich, wirklich Einfluss besitzen. „Es ist sehr mutig von dir hierher zu kommen, mein Junge. Was musst du tun?“

„Äh, ich soll Tenseiga auf ihn legen, damit er wieder zusammenwächst oder so. Sie sagten, seine Seele sei am Zerfallen. Kann das sein? Alle anderen hier sehen doch auch normal aus.“

Ein Welpe, dachte der Vater. Aber ein sehr tapferer. Und, das Verhältnis seiner Söhne schien deutlich besser zu sein, als er je auch nur erhofft, nach seinem Plan als optimistisch erwartet hatte. Wenn da einer für den anderen buchstäblich durch die Hölle ging. „Ja, das kann passieren. Unter einer Bedingung. Weißt du, wie er … wie er sterben sollte?“

„Keine Ahnung, otōsan, ehrlich. Aber es waren Drachen und die Rede war von Drachenfeuer.“ Mit etwas Besorgnis sah Inu Yasha wie ihr Vater die Augen schloss. „So schlimm?“ Schön, das war keine Frage, die man einem Daiyōkai stellen sollte, vermutlich.

„Ja, so schlimm. - Drachenfeuer ist ...“ Der Taishō atmete tief durch, ehe er versuchte das seinem Jüngsten klar zu machen, seinen Ältesten zu verteidigen. „Es war nicht feige von ihm. Sie wollten ihn wohl … nun ja, demütigen. Und so wählte er den einzigen Weg, der ihm noch offen stand. In den Tod. Er muss sein eigenes Yōketsu zerstört haben, die Quelle seiner Energie. - Aber, wie bist du an Tenseiga gekommen? Ich hätte geglaubt die Drachen nehmen die Waffen.“

„Ja, aber sie haben nur Bakusaiga. Das ist das Schwert, das aus nii-san selbst entstanden ist. Tenseiga ließ er dagegen im Schloss, aber keiner konnte mir erklären warum.“

Um den Mund des Vaters zuckte ein Lächeln. „Dann denke nach, Inu Yasha. Du bist der Lösung nahe. Und heile ihn, damit er wenigstens als Seele hier wandeln kann.“ Und das war eindeutig ein väterlicher Befehl.

Der Hanyō hatte so etwas wirklich noch nie erhalten. Aber er zog das Schwert des Lebens und trat an seinem Vater vorbei zu dem leuchtend grünen Bann, in dem er etwas Weißes, das wie Sesshōmaru aussah, erkennen konnte, zerrissen von schwarzen Bändern, die offenkundig nur das Grüne zusammenhielt. Es sah … ungewohnt aus. Irgendwie tat es weh, den hier so zu sehen. „Oniisan.....“ Er legte behutsam die Klinge auf den Bann, die prompt durchfiel auf den felsigen Grund. „Tenseiga,“ bat er.

Zu  seiner gewissen Überraschung streckte sein Vater die Hand über dem Schwert aus. Auf den fragenden Blick erklärte dieser:

„Mein Fangzahn.“ Und bezeugte somit, dass er auch in dieser Welt über gewisse Macht verfügte.

„Oh, ja....Es wirkt!“ Der jüngere Bruder klang begeistert. Denn die schwarzen Risse wurden schmaler, verkürzten sich, die Seele wurde klarer erkennbar.

Der Vater der wohl berühmtesten zwei Hunde aller drei Welten blieb skeptischer. „Soweit. Ich bin mir nicht sicher, welche Folgen so etwas hat. Diese Form von Selbstmord wählten nur wenige. Und die wurden nicht wiederbelebt.“

Inu Yasha starrte nun doch etwas besorgt den Halbbruder an. Hatte der Nachwirkungen? Vater hatte so ernst geklungen. Aber die Seele wurde doch immer deutlicher und das Grün des Bannkreises schwand? Es musste doch einfach funktionieren.
 

Sesshōmaru hatte das Gefühl aus einem Abgrund aufzutauchen – leider, wie er sich prompt bewusst wurde. Er musste nur ohnmächtig gewesen sein, es nicht geschafft haben sein Yōketsu zu zerstören. Und jetzt würden die Drachen weiter machen. Und ihm fehlte die Energie. Er fühlte sich so fremd, so anders, leicht. Das Yōketsu, das ihn Zeit seines Lebens umgab, war … verschwunden. War er etwa doch tot? Jedenfalls fehlte der Schmerz des Drachenfeuers.

Mühsam öffnete er die Augen und starrte auf die Seele, die über ihm stand. „Chichi-ue!“ Es war schrecklich mühsam zu reden. Dann war er doch in der Unterwelt? Es hatte doch funktioniert? So, wie er es gewollt hatte? Dass nicht diese missratenen Drachen über sein Ende bestimmen würden, sondern allein er selbst?

Verwundert sah er, wie Vater beiseite blickte, auf etwas Rotes. „Er scheint noch ein wenig verwirrt, Inu Yasha.“
 

Inu Yasha? Dann war er doch nicht in der Unterwelt? Aber Vater? Sesshōmaru zwang sich den Kopf etwas zu drehen. Unverkennbar der Hanyō, wie immer in rot, Tessaiga an der Seite und eine Scheide, die er erkannte. Tenseiga. Irgendwie griff der auch gerade durch ihn förmlich hindurch und schob diese Klinge wieder ein. Aber ….der lebte doch? Was war passiert? Hatte es Ryuuichi etwa geschafft und er war vor Schmerz wahnsinnig geworden? Nein. Warum sollte er sich als Ausgeburt seiner Phantasie nicht nur den verehrten Vater als tote Seele vorstellen, sondern ausgerechnet den quicklebendigen … Bruder?

Er schloss erneut die Augen, versuchte sich zu erinnern. Ja, er war bewusst in die Falle gegangen, eigentlich sicher, dass er mit fünf Drachenkriegern zurande kommen würde. Die Schamanen mit ihrer Elementmagie waren die wirkliche Überraschung – und das wirkliche Problem gewesen. Und er war im Endergebnis froh gewesen Tenseiga im Schloss zurückgelassen zu haben, für den Einzigen, der es führen könnte, für den Einzigen, der nie gezögert hatte auf seiner Seite zu stehen. Nur, was machte der denn jetzt lebend hier?

Er setzte sich auf. Ja. Eindeutig war er tot und eine Seele. Nur, was hatte Inu Yasha gerade mit Tenseiga getan und warum grinste der doch so erleichtert, wenn er selbst doch tot war?
 

„Du bist noch etwas verwirrt, Sesshōmaru,“ erklärte der Vater. „Inu Yasha hat es vermocht deine Seele wieder zusammen zu setzen. Ich vermute, du hast dich durch die Zerstörung deiner Energiequelle getötet?“

„Und die Drachenbande,“ fuhr Inu Yasha fort, um auch mal etwas zu sagen: „Hatte nicht Dümmeres vor als deinen Körper zu verbrennen. Das erschwerte die Sache etwas.“

Ja. Der ältere Bruder begriff. Ohne Körper konnte Tenseiga bei allen Fähigkeiten nicht eingesetzt werden. Schön. Also war und blieb er tot, nur, wie kam der ….hilfsbereite Narr in die Unterwelt? Sein Verständnis stieg nicht gerade, als der Hanyō ergänzte:

„Deiner Mutter und mir war klar, dass man dann eben in die Unterwelt musste und dass es schwer werden würde dich wieder zu beleben. Ich traf also eine Schamanin und einige Götter, die mir weiterhalfen. Ein Kami besorgte mir Juwelensplitter vom Speer der Schöpfung, damit ich hier Tore auf bekomme. Und Prüfungen gab es auch so einige. Jetzt müssen wir dann gehen. Nach dem dritten Tor kommt ein Portal, in das wir beide hineinspringen. Wenn alles gut geht, sind wir, jeder in seinem Körper, in der Welt der Lebenden. Geht es schlecht, äh.... bin ich vermutlich tot und du in meinem Körper.“

Sesshōmaru schloss die Augen und legte den Kopf unwillkürlich in den Nacken. War das doch ein Alptraum?

Beider Vater sah das ein wenig anders. „Du warst dir dieser Konsequenz bewusst, als du herkamst, Inu Yasha.“ Mut konnte man dem Jungen, nein, er war zu einem jungen Mann geworden, wahrlich nicht absprechen.

„Ja, klar. Aber man kann ja auch mal Glück haben. Kishijoten erzählte mir, sie habe, als ich noch ein kleiner Junge war, meine Ohren angefasst.“

Wunderbar, dachten beide männlichen Familienangehörigen seltsam einträchtig. Die Glücksgöttin hatte ein Faible für Hanyō? Zumindest für diesen einen?

Das erklärte, aber das dachte nur der große Bruder, so einiges in der Vergangenheit – dieser unglaubliche Glückstreffer, der ihm prompt für Monate den linken Arm gekostet hatte, dieses Talent dauernd neue Fähigkeiten in Tessaiga zu finden, kurz, dieses sagenhafte Glück bei ziellosen Schlägen immer den Nagel auf den Kopf zu treffen.

„Äh, ich will ja nicht hetzen, aber da wartet ein Shinigami auf uns.“ Inu Yasha hatte irgendwie das Gefühl er solle sich gegenüber seiner Familie doch höflich benehmen. So oft sah man seinen toten Vater ja auch nicht. Und noch war nii-san ja auch nicht wieder Herr des Westens.

„Dann gehen wir,“ beschloss der Taishō. „Ein Stück weit werde ich euch begleiten können. Ich habe euch lange nicht gesehen. Und, um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass es auch noch eine Zeit dauert, bis wir uns alle Drei wieder sehen.“

„Oh, otōsan....Ich habe drüben...in der Welt der Menschen Mama getroffen.“ Inu Yasha hörte, dass seine Stimme zitterte, aber er sollte das ausrichten. „Sie lässt dich... Euch grüßen,“

„So ist sie noch dort.“ Der ehemalige Taishō klang fast betroffen, wenn man das über einen Daiyōkai je behaupten könnte. „Ich hoffte, sie würde wiedergeboren, diesmal ein ruhiges Leben als Prinzessin führen können.“

„Kagome ist auch noch da,“ antwortete sein Jüngster prompt. „Also, meine menschliche Gefährtin. Ich weiß nicht, wie oft so eine Wiedergeburt vorkommt. Und dabei wurde Kagome schon mal wieder geboren. Sie ist eine Miko, wisst Ihr, aus der Zukunft.“

Miko aus der Zukunft. Der ehemalige Taishō war zu nüchtern um das nicht als Tatsache hinnehmen zu können. Allerdings nahm er sich fest vor, wenn sein Jüngerer hoffentlich viel später wieder hier war, und wenn, dann tot, würde er sich von dem die Geschichte seines Lebens erzählen lassen, in der es vor Bekanntschaften mit Kami, Miko und jedem anderen magischen Wesen offenbar wimmelte. „Dann gehe doch zu dem Shinigami und frage, ob ich mit bis zum letzten Portal darf.“ Denn das Steintor und der dortige Wächter ließen eigentlich keine Yōkaiseelen passieren.

„Der Kerl heißt Taku und spielt hier meinen Führer. Nett, aber ein Idiot.“ Mit ungewohntem Gehorsam machte sich der Hanyō allerdings auf den Weg. Anscheinend wollte Vater doch mit ihnen beiden so weit gehen,wie möglich. Natürlich war der ein wenig erstaunt gewesen, dass er selbst hier war, aber da kam eben auch die typische Nüchternheit durch, die auch nii-san so auszeichnete. Fakt war Fakt.

Als er annehmen konnte, der Kleine wäre außer Hörweite setzte sich der Vater langsam in Bewegung, den Älteren fast an der Seite, den höflichen Schritt zurück. „Du  solltest dich bei ihm bedanken,“ riet der Taishō, ohne beiseite zu blicken.

Sesshōmaru sah geradeaus, zu der weißhaarigen Gestalt, die anscheinend gerade mit einem Shinigami diskutierte. „Ich werde ihm die Wahrheit sagen, verehrter Vater.“

Und der wusste, dass er, tot oder nicht, nicht mehr von seinem schweigsamen Jungen hören würde.

 

Portal der brüder Teil eins

Please, take me as I am

This isn´t what I planned

But I don´t expect that you can understand

Cause you´re not me.

 

Marty Bags: Yugioh

 
 

Inu Yasha wandte sich um. Seltsam, selbst wenn sie nur Seelen waren, Halbbruder und Vater auf sich zukommen zu sehen, war schon etwas … wärmespendend. Nicht so wie Kagome, klar, allein der Gedanke an sie verursachte schon wieder so ein Zuschnüren im Hals, aber doch irgendwie. Anders, aber durchaus angenehm. Er war nicht nur der kleine Hanyō, den man im Wald ausgesetzt hatte um zu sterben, er hatte eine Gefährtin, die ihn immer noch liebte, auch, wenn sie getrennt waren, er hatte eine Familie … und, um ehrlich zu sein, was für eine Familie, denn die Zwei, die herankamen waren immerhin beide Daiyōkai. Und Tōtōsai, ja, auch Myōga, hatten behauptet, Sesshōmaru hätte ihren gemeinsamen Vater übertroffen. Hm. Es hatte doch auch geheißen, dass er selbst, wenn er diesen dämlichen Ryuukossusei umbringen würde, der ja im Endeffekt Schuld an Papas Tod gewesen war, wäre er besser als der. Wäre das möglich? Dass sie alle zwei einen der mächtigsten Daiyōkai übertroffen hatten, den es angeblich je gab?

Aber, wie wäre das nur möglich? Sicher, Sesshōmarus Mutter war eine Daiyōkai, eine der wenigen weiblichen, soweit er wusste – aber seine Mama war ein Mensch gewesen. Sicher, das wusste er doch. Er war ein Hanyō, eine Blutmischung aus Yōkai und Mensch, nicht mehr, aber ganz bestimmt eben auch nicht weniger. Nur, was sollte er dann.... Der Kami. Der hatte doch auch gesagt er sei vom Kampflevel her zu einem Daiyōkai geworden, er habe es nur noch nicht mitbekommen. War es das? Sein Blut mochte anders sein – aber eben nicht schlechter? Wieso?

Gleich. Sie waren da. „Das ist Taku, otōsan, ein Shinigami. Äh, er meinte, dass du... dass Ihr mitgehen könnt bis zum dritten Tor, aber dann sicher nicht mehr weiter.“

 

„In Eurem eigenen Interesse, werter Taishō,“ beteuerte Taku höflich mit einer tiefen Verneigung, was in beiden Söhnen den Eindruck erweckte, dass ihr Vater selbst hier kein Irgendwer war. „Das Portal, das auf Bitten der Seele, ich meine natürlich Inu Yashas, erschaffen wird, beinhaltet ein gewisses Risiko. Nun ja, mehrere.“

„Einer oder beide könnten in der Unterwelt bleiben.“ Die schlichte Schlussfolgerung eines erfahrenen Feldherrn.

„Ja. Aber, um ehrlich zu sein, Sesshōmaru ist sowieso hier und Inu Yasha kannte sein Risiko, wurde mir gesagt. Jedoch, was Euch betrifft, werter Heerführer...“

„Ich bin mir durchaus bewusst was meine Abmachung mit der verehrten okami no yomi beinhaltet, Taku.“ Und das war ein Tadel auf der Stufe: du Trottel, ich rede persönlich mit deiner Chefin.

 

Ohne Überlegung trafen sich die Blicke der Brüder. Vielleicht mochten sie ihn kampftechnisch übertroffen haben, aber... Ja, da war ein Aber. Vater sprach persönlich mit der Herrin der Unterwelt, und, das dachte allerdings nur Sesshōmaru: Inu Yasha kannte offensichtlich auch Götter, Kishijoten kraulte den Narren immerhin, seine eigene Mutter bekam Besuch von Shinigami.... was hatte er nur verpasst? Oder, genauer – war das, was er immer als seine eigene, ärgerliche, Grenze gesehen hatte, nichts als sein Unvermögen Kami zu erkennen oder zu besänftigen? Nun, zugegeben, er war nicht der Mann andere zu besänftigen. Ein interessanter Gesichtspunkt sich in diesem Punkt zu verbessern. Ungewohnt allein der Gedanke.

 

Der Todesgott stellte sich derweil unwillkürlich ein ziemlich intensives Gespräch zweier Personen vor bei dem leider er die Hauptrolle spielen würde. Er wusste immerhin, dass der Drache in So´unga im tiefsten Schwefelfeuer der Unterwelt ...äh, gerügt worden war. „Das habe ich auch nie bezweifelt. Es ist nur meine Pflicht auf alles aufmerksam zu machen... so lautet der Befehl der Totengöttin.“

„Nun, dann gehen wir. - Inu Yasha, ich habe einige Fragen an dich.“ Und das war gleichzeitig das unausgesprochene Kommando an den älteren Sohn sich neben den Shinigami zu bewegen. Nichts, was diesbezüglich alle beide begeisterte.

 

Der Jüngere dagegen blieb stehen um den Vater aufholen zu lassen. Er hatte ihn so viel fragen wollen, sein ganzes Leben lang, oh, so viel. Und jetzt wusste er nichts mehr davon. Aber, immerhin, der wollte ihn ja was fragen – also interessierte der sich doch für ihn?

 

„Du hast ...drüben....deine Mutter und deine Gefährtin getroffen?“

„Ja.“ Erneut kamen die Gefühle in ihm hoch und er bemühte sich fast verzweifelt sie vor einem Daiyōkai zu verbergen.

„Es tat weh. - Natürlich. Ich denke, mein Junge, auch mich würde es schmerzen deine Mutter zu sehen.“

Verständnis? Von immerhin Sesshōmarus Vater? Aber auch dessen Mutter hatte ja irgendwie Gefühle bewiesen, wenngleich gut verborgen. War etwa auch der eisige Bruder im tiefsten Innern anders? Da war Rin gewesen … „Es... es war nicht nur das,“ gab der Hanyō allerdings zu. „Sie... sie stellten mich vor die Wahl. Ich dürfe nur eine Seele mitnehmen. Kagome, Mama oder eben...“ Er nickte nach vorne.

 

Sesshōmaru hätte fast den Kopf gewandt. Er wusste nur zu gut, dass sich Inu Yasha eher zwischen drei Heere und Kagome werfen würde als zuzulassen, dass ihr etwas passierte. Und dann hatte der... der Narr.... dieser verdammte Narr anscheinend ihn gewählt? Warum?

 

Der Taishō schloss die Augen für einen Moment und nickte leicht, ehe er seinen Jüngsten ansah. „Du hast einen guten Grund gehabt in diese Welt zu kommen und du hast ihn nicht vergessen. Ich denke, dafür verdienst du den vollkommenen Respekt eines Kriegers, denn ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach war.“

Dieses, zumindest von Yōkai, ungewohnte Mitgefühl hätte den Hanyō fast schluchzen lassen. „Sie... sie hat mich daran erinnert. Mama ging freiwillig zurück, Kagome auch... Es geht doch um Bakusaiga, das ist Sesshōmarus Schwert. Wenn der Drache das benutzen kann... dann ist es aus.“

„Deine Mutter und anscheinend auch deine Gefährtin sind tapfere Frauen.“

„Keibo-sama auch,“ wandte ausgerechnet der Stiefsohn ein.

Um den Mund des einstigen Herrn der Hunde zuckte ein Lächeln. „Da hast du allerdings recht.“

Neugier verdrängte die Emotion. „Stimmt es, dass Ihr ihren Bräutigam bei der Heirat umgebracht habt? Und sie nichts dagegen machen konnte?“

„Zum einen, ja, zum anderen, ihr Vater konnte nicht. Sie hätte kein Recht gehabt... Aber, zugegeben, sie hätte etwas unternehmen können.“ Diesmal lag definitiv Erheiterung in der Stimme der Seele. „Aber sie gab mir später zu, dass sie diesen Umschwung nie bereute. Ich war damals bereits der Alpha, Herr aller Hundeyōkai und einiger Verwandter, ich war in ihrem Alter – und ihr Bräutigam war so alt wie ihr Vater. Nur eine Frau mit sehr eigenen Ansichten würde sich dem Inu no Taishō verweigern.“

Inu Yasha zog die schwarzen Brauen zusammen, genoss es jedoch zu sehr einmal seinen Vater da zu haben, um nicht zu erklären: „Naja, ich denke, Kagome schon. In ihrer Zeit wählen Frauen auch mit.“ Er erkannte postwendend seinen Gedankenfehler. „Unter Menschen, zumindest.“

„Unter Menschen. Unter Yōkai sucht man die perfekte Blutlinie. In meiner Familie war es seit zwei Generationen möglich So´unga zu beherrschen. In ihrer Familie gehörte immerhin ihre Großmutter... nein, so kann man es nicht nennen. Kami sind es nicht. Aber sie stammte vom Festland, eine Mondgöttin. Du bist überrascht, Sesshōmaru? Hat dir die Sichel auf deiner Stirn nicht angezeigt was auch in dir liegt?“

Nein, leider nicht, dachte der Fürst des Westens. Mutter hatte auch nie etwas erwähnt... oder doch? Hatte er ihr nur nicht bis zum Ende zugehört, wie so oft als Welpe? Das erklärte allerdings Mutters Kontakte ins Jenseits und ihre magischen Fähigkeiten – und auch die seinen. Und, leider, auch, warum haha-ue sich manchmal über ihn und seine Fehler amüsierte. Er hätte es wissen können, ja, sollen, und auch die Konsequenzen ziehen. So neigte er nur etwas den Kopf, ehe er lieber wieder gerade aus blickte, wo sich das Tor zeigte, steinern und mit einem riesigen Wächter besetzt. Ein Instinkt sagte ihm, dass er an dem nie vorbeikommen würde – aber vermutlich schon in dieser Begleitung.

 

Der Taishō erkannte ebenfalls den Ausgang und auch ihm war bewusst, dass er diese Pforte nie durchschreiten können würde. Er war tot und blieb es und selbst Inu Yasha war es verwehrt ihn hier herauszuholen. Der hatte sich für seinen Bruder entschieden – eine Entscheidung, die er selbst nur hoch anrechnen konnte. Dafür Mutter und vor allem Gefährtin hier zu lassen, ja, überhaupt es zu schaffen in das yomi no kuni zu gelangen... all das war bestimmt nicht einfach gewesen. Er sollte seine letzten Worte an den jüngeren Sohn weise wählen. „Ich erkenne deinen Mut an, Inu Yasha. Und ich wünsche dir, dass du eines Tages wieder glücklich wirst.“ Nach Menschenart. Denn da steckte viel von Izayoi in dem Jungen, auch, wenn er mit gewissem Stolz die Kriegerehre erkannte. Ob da Sesshōmaru trotz allem einiges bewirkt hatte? Sein Ältester war bestimmt kein guter Erzieher gewesen, dazu war der noch zu jung und zu sehr von sich eingenommen gewesen, nun, wie alle in diesem Alter. Auch er selbst hatte in diesen Jahren dazu geneigt erst zuzuschlagen und dann nachzudenken. So wurde man allerdings nicht Feldherr – und auch nicht Fürst. Da schien Sesshōmaru deutlich dazu gelernt zu haben.

 

Inu Yasha schluckte unwillkürlich. Was sollte er dazu sagen, zumal der Wächter im Tor sich aufrichtete und sich ein Todesgott zu ihm umdrehte? „Danke, otōsan.“ Und ja, er hatte eine Ahnung bekommen, warum Sesshōmaru diesen Mann so als Muster gewählt hatte. So ergänzte er doch, mit neu gewonnener Anerkennung und Zuneigung: „Chichi-ue.“

Er erntete eine leichte, seitliche Neigung des Kopfes, denn der einstige Taishō hätte nicht gewusst, was er dazu sagen sollte, freute sich jedoch über die offensichtliche Achtung seines Jüngsten. Und machte sich Gedanken. Wenn der dermaßen nach Hinwendung hungerte.... Das jedoch sollte nicht das Problem sein, erkannte er, als er sah, wie der Wächter sich aufrichtete, das Tor deutlich blockierte.

„Seelen dürfen nicht passieren,“ brummte der.

Taku hätte fast geseufzt. Diese Wächter waren zur Sturheit aufgefordert, ja. „Der werte Taishō wird auch nicht durchgehen,“ erklärte er. „Aber dieser Lebende und diese Seele. Befehl der Herrin. - Äh, Inu Yasha?“

Dieser begriff, dass der dritte Splitter gefordert wurde und zog ihn aus dem Ärmel, legte ihn zu Boden. „Ich bringe ein Geschenk für die omikami no yomi, Izanami-sama.“

„So darfst du durch,“ entschied der Posten, der durchaus sah, dass das Geschenk scheinbar spurlos verschwand. „Aber keine Seele.“

„Ja, bist du denn vollkommen bescheuert?“ entfuhr es dem Hanyō. „Das ist doch der Zweck!“

Diese einfachen Unterweltdämonen, dachte ein Shinigami resigniert und bemühte sich um Ruhe. So legte er dem impulsiven Lebenden eine Hand an den rechten Arm um den davon abzuhalten Tenseiga zu ziehen.„Ja, ich weiß, dass im Normalfall keine Seelen hier durchgehen sollen. Aber das ist ein Sonderfall und ich habe einen Sonderauftrag der Herrin persönlich bekommen. Wenn ich ihn nicht erfüllen kann, bin ich nicht der Einzige, der bestraft wird.“

„Deine Bestrafung ist mir gleich, Shinigami. Ich weiß, dass ich keine Seele hier durchlassen darf.“

Wunderbar, dachten ein Todesgott, zwei Daiyōkai und ein Hanyō in seltenem Gleichklang. Inu Yasha sah betont auf die Hand auf seinem Arm. „Tenseiga?“

Taku holte tief Atem. Damit war er etwas überfordert. Ja, der Lebende und sein Bruder sollten in das Portal, aber...

Der Halbdämon hatte keine Zeit die Überlegungen eines Shinigami abzuwarten. „Pass mal auf, Wächter. Ich habe die Erlaubnis, übrigens verdammt, ich meine, sehr teuer bezahlt, dass ich meinen Bruder mit in ein Portal nehmen darf, was immer dann auch passiert. Und, soll ich dir was sagen: wenn du nicht sofort aus dem Weg gehst, obwohl...“ Vorsicht, mahnte er sich. „Obwohl die große Göttin der Unterwelt Izanami-sama mir das zusagen ließ – bist du eben tot. Weg, wohin auch immer. Geh beiseite. Oder bei allem, was mir wichtig ist, ich bringe dich um!“

 

Der Torwächter war seinerseits überfordert. Sein Auftrag lautete Seelen daran zu hindern hier weg zu laufen. Mit einem Lebenden umzugehen hatte ihm nie jemand beigebracht. Und der Shinigami schien auch leicht irritiert. Immerhin, eine Seele würde doch da bleiben, oder? Und, was sollte das? Er war ein Dämon der Unterwelt. Er konnte doch gar nicht sterben....oder? Aber immerhin berief sich der Lebende auf das Wort... Nun ja. Mit IHR sollte man sich nicht anlegen. Und lügen würde der auch nicht, immerhin hatte der wohl ein Opfer gebracht mit diesem leuchtenden Stein, das angenommen worden war.

 

Inu Yasha schüttelte die Hand des Todesgottes wie eine lästige Fliege ab und fasste an Tenseiga.

„Äh, warte!“ Taku war nicht an weiteren Schwierigkeiten interessiert, die vermutlich, eher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, ihn selbst betreffen würden. „Aus dem Weg jetzt, du Narr. Der Taishō bleibt ja hier!“

Der riesige Wächter versuchte sichtlich nachzudenken.

Inu Yasha legte die Hand an Tenseiga und zog es einen Zentimeter, was genügte, dass die Klinge blau auf strahlte.

„Nicht!“ keuchte Taku entsetzt. „Das... das wäre gegen die Abmachung!“

„Keh! Entweder wir zwei gehen oder wir zwei bleiben hier. Klar, du komischer Riese? Wenn wir aber beide hierbleiben, hat die okami no yomi ihr Wort gebrochen. Sie hat die drei Splitter erhalten. Ich wäre fast neugierig, was sie dir dazu dann erzählt.“

Dieses blaue Licht verhieß nichts Gutes, erkannte der Posten. Und, es gab vermutlich angenehmere Dinge als der Herrin der Unterwelt Rede und Antwort stehen zu müssen, warum sie ihr Wort gebrochen habe.... „Nur ihr zwei!“

„Ja!“ Der Hanyō schrie es fast. Nach allem, was er an Leuten in den letzten Tagen kennengelernt hatte, fiel ihm nur eines ein: „Aus dem Weg. Und falls dir mal jemand namens Kori über den Weg läuft, darfst du ihn an den spitzen Ohren ziehen, ja?“

Kori? Sesshōmaru warf einen Blick seitwärts. Nun ja, einer seiner Vasallen, ein ziemlich starker. Aber, woher kannte Inu Yasha den? Obwohl, dieser hatte mit Mutter geredet, hatte Tenseiga, musste folglich im Schloss gewesen sein. Nur, was trieb ein Provinzfürst in seiner Abwesenheit in seinem Schloss? Aber da gab es ja jemanden, der ihm Antwort geben konnte.

„Kori, hm?“ brummte der Posten. „Hund, oder?“ Aber er drehte sich beiseite.

„Komm schon!“ Der Hanyō rannte förmlich durch das Tor, gefolgt von einer Seele. Beide wandten sich allerdings um.

Der ehemalige Taishō bemerkte es gerührt. Seine Jungs. Und er wünschte ihnen wirklich, dass sie diese sich drehende Schwärze hinter ihnen überleben würden. Er war stolz auf seine Söhne, die beide ohne zu zögern da hineinsprangen. Oh, er hätte gern viel mehr Zeit mit ihnen verbracht. Nicht hier, das würde bis ans Ende der Welt dauern, aber unter den Lebenden. Aber, das war vorbei. „Taku, bekommst du Informationen, ob sie in der Welt des Schilffeldes angekommen sind? Und wie viele?“

Der Shinigami nickte. „Ja, werter Taishō. Denn ich bekam die Anweisung den, der es nicht schaffte, unverzüglich zu Euch zu bringen.“

 

Es war Schwärze, in die ein Lebender und eine Seele gesprungen waren, die einige Heimtücken barg. Sobald sie sich darin befanden wurden sie buchstäblich herumgewirbelt, drehten sich, oben, unten, rechts,links, es gab keine Orientierung.

Inu Yasha erkannte, dass etwas an ihm vorbeiflog und griff instinktiv nach dem Roten. Es war nicht nur sein Gewand, wie er etwas erschüttert erkannte, darin steckte noch ein Körper. Sein Körper. Und Sesshōmarus Seele trudelte ebenso hilflos wie die seine. „Hundeidiot, fass doch her, das ist ein Körper!“

Deiner, hätte der Herr des Westens fast gesagt, aber er erkannte, dass der Hanyō recht hatte. Ein Körper – zwei Seelen, aber immerhin ein Anhaltspunkt ist dieser Verwirrtheit. Da der Bruder den rechten Arm irgendwie festhielt.... Konnten das Seelen? ...fasste er den anderen Arm. Immerhin hörte dieses Drehen auf. Aber er ließ dennoch fallen: „Sag mir nie, was ich zu tun habe.“ Die unsägliche Anrede ignorierte er besser.

„Klar, ist ja nur dein Leben, wie heißt das... mein Fürst? Und mein Körper. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie ich es hierher geschafft habe?“

Nein, aber leider stand er definitiv nach jedem Ehrkodex in dessen Schuld. „Du hast Kagome im Stich gelassen.“ Und er verstand nicht, warum.

„Falsch.“ Wieder eine Drehung mit zwei Seelen und einem Körper: „Sie befahl mir sie im Stich zu lassen. Dein dämliches Bakusaiga in der Hand des noch dämlicheren Ryuukoichi wäre in der Lage ganz Japan platt zu machen! Und du bist der Einzige, dem es gehorcht.“

„Er heißt Ryuuichi. Und er gehört mir.“

Das klang ruhig, war aber nichtsdestotrotz ein Todesurteil. „Was ich kaum bezweifle. Ah!“ Der Aufschrei kam durch eine besonders heftige Verwirbelung, die sich flau im Magen bemerkbar machte. Moment mal. Eine Seele hatte doch keinen Magen? Tatsächlich. Als der Hanyō die Lage überprüfte, stelle er fest, dass er wieder in seinem Körper steckte. Soweit so gut, aber …

„Töricht wie immer, Inu Yasha,“ sagte etwas in ihm und er konnte sich ohne Mühe vorstellen, dass sie soeben zu zweit in eins steckten. Oh, bitte nicht der schlimmste Fall!

Sesshōmaru fuhr fort: „Oder hast du einen Plan?“ Das wäre wirklich neu.

„Äh, nein. Niemand konnte etwas dazu sagen, da es das erste Mal ist, dass so ein Portal geschaffen wurde. Das war mit ein Risiko.“ Et atmete tief durch um seinen Magen zu beruhigen. Das war ja schlimmer als auf einem Boot. „Aber, sieh es positiv. Du bekommst meinen Körper, kannst damit doch Bakusaiga zurückbekommen, hast zusätzlich noch Tenseiga und Tessaiga. Und bist natürlich der Fürst des Westens.“

„In deinem Körper.“ Schrecklicher als diese Vorstellung war nur die Idee, was Mutter dazu sagen würde, käme er in ausgerechnet diesem Aussehen zu ihr zurück.

„Ja, aber wäre doch besser als ich alleine in meinem Körper und Fürst, das haben sie mir nämlich schon angeboten.“

Und der Narr hatte das dermaßen unbedingt nicht gewollt, dass er sich lieber kopfüber in die Unterwelt gestürzt hatte. Im Gegensatz zu ihm schien der noch immer nicht begriffen zu haben, dass man als Stärkster und Mächtigster auch Verantwortung übernehmen musste und sollte, notfalls als Fürst. Was zugegeben oft langweilige Pflicht war. Wie konnte man nur mit so einem kleinen Bruder geschlagen sein?

 
 

Portal der Brüder Teil zwei

No, you don't know what it's like

When nothin' feels alright

You don't know what it's like

To be like me

 

Simple Plan: Welcome to my live

 
 

„Betrachtest du tatsächlich die Lage positiv?“ erkundigte sich die Seele des Herrn des Westens bei seinem Nachbarn. Sicher, Vaters jüngerer Sohn war naiv, optimistisch, aber das grenzte ja schon an Unverstand. Er persönlich konnte sehr wenig Positives erkennen. Sicher, er befand sich zwar nicht mehr als Seele in der eigentlichen Unterwelt, aber in einem mehr als beschränkten Körper, noch dazu gemeinsam mit Inu Yasha, wurde in einem unbekannten Portal herumgewirbelt und hatte keine Ahnung wo und wie das enden sollte. Es hatte definitiv schon bessere Zeiten in seinem Leben gegeben. Wenn er denn überhaupt lebte. Im Augenblick war das wohl eher eine Zwischensache.

„Es könnte schlimmer sein.“ Inu Yasha seufzte etwas, da er an Kagome und ihren Rat denken musste. „Wie zum Beispiel, dass inzwischen diese durchgeknallten Eidechsen samt Bakusaiga in deinem Schloss spielen, dass deine Vasallen den Aufstand proben, alles zusammen.“

Er hielt wirklich nicht viel von besagten Vasallen, aber er hielt sie doch für überlebensfähig. „Sie kämen nicht weit. Haha-ue kann ein Meidō öffnen.“

„Ich weiß. Aber sie, nein, damit meine ich jetzt eigentlich Mamoru, hat anscheinend schon mal gesagt, dass dein Heer nicht einer Frau folgen würde.“

„In der Tat.“ Wo war da der Kausalzusammenhang? Gerade Inu Yasha sollte wissen, dass man mit dem Pfad der Dunkelheit auch gegen ein Heer ankam.

Der Jüngere war bereits einen Gedankensprung weiter. „Sag mal, nach was hast du eigentlich deine Berater ausgesucht? Keibo-sama und Myōga verstehe ich ja noch und auch dieser Kyoichi hat anscheinend was drauf. Jaken, naja, ist eben Jaken.“

„Er ist loyal.“ Warum ließ er sich ausfragen? Vielleicht, weil da doch auch einige Fragen offen waren, deren Beantwortung er selbst gern hören würde. Wenn man schon in dieser alles andere als trauten Zweisamkeit steckte.

„Und dieser Mamoru?“ Der Hanyō bemerkte, auch, wenn er es nicht sah, wie der Ältere sich anspannte. Oder, korrekter, ihren gemeinsamen Körper. Aha. Den alarmierte also diese Nachfrage. Seine Meinung war also etwas wert, schloss er zufrieden.

„Er ist der Anführer des Heeres. Nach mir.“

Er sollte es jetzt wohl möglichst sachlich erklären um nicht den guten Eindruck zu ruinieren. „Als die Nachricht von deinem Tod eintraf hatte er laut Onkelchen, Jaken und Kyoichi nichts Besseres zu tun als Keibo-sama eine neue Heirat vorzuschlagen. Vorzugsweise vermutlich mit sich. Myōga musste ihn dann an mein Erbrecht erinnern.“

Ein fast amüsierter Laut, wenngleich nur gedanklich. „Haha-ue würde ihn zum Frühstück verspeisen.“

„Naja, er hätte das Heer und sie keinen notwendigen Vormund, oder?“

„Sie ist nie… ineffektiv.“ Und er würde es auch nicht sein, gleich, in welchem Körper er zurückkäme. Fragte sich nur, was sie dazu getrieben hatte ausgerechnet den Sohn der Rivalin zu tolerieren.

„Ich war es, glaube ich, auch nicht,“ erwiderte Inu Yasha prompt und klang beleidigt. „Nachdem ich die Nachricht bekam, bin ich sofort ins Schloss, habe diesen Kori ein bisschen zur Ordnung gerufen, mit Keibo-sama die Lage besprochen, dann noch mit den Beratern. Ach ja, zu allem Überfluss trudelte dann auch noch der Bote von diesem Wolfshund ein, dass der Brauttross in fünf Tagen da sei. Am nächsten Morgen bin ich dann los, zu einer Schamanin, mit Göttern reden und dann in die Unterwelt. Du kannst mir ruhig glauben, dass ich mich die letzten Tage nicht gelangweilt habe.“

„Was hast du dem Boten gesagt?“ Daichi Okami war bekanntermaßen ein schwieriger Kerl und fühlte sich leicht beleidigt. Leider war er wichtig – und sein Tod hätte sein ihm treues Heer aus kampferprobten Kriegern der Hunde und Wölfe auf den Plan gerufen. Und im Zweifel auch noch den Nordfürsten mit dem Fuchsheer. Durchaus eine Schwierigkeit für den Westen, wenn Mutter allein stand.

„Dass du gerade nicht da bist, auf, äh, Fortbildung, ich dich unverzüglich suchen werde und dass, falls sie doch früher ankommen, die Fürstenmutter sicher eine gute Gastgeberin ist. Sag jetzt nur dass das nicht in Ordnung war.“ Der Hanyō hätte gern die Hände in die Hüfte gestemmt, aber das funktionierte aus zwei Gründen nicht. Erstens gab es erneut einen Wirbel, zweitens wurden seine Hände geblockt und er musste nicht hellsehen können um zu wissen von wem. „He, das ist mein Körper!“

„In dem ich bin. Also benehme dich auch wie der Herr des Westens!“ Hatte er das wirklich gerade gesagt? Nun ja, gedacht? Aber das genügte momentan ja auch. Leider.

„Ausnahmsweise bin ich deiner Meinung, nii-san. Zu zweit in einem Körper .. ich habe damit gerechnet, dass ich in die Unterwelt komme und du überlebst, aber das hier...“ Inu Yasha fiel plötzlich ein, an was er bereits auf diesen Pfaden gedacht hatte. „Äh, wenn das so bleibt, geht das dann überhaupt mit deiner Heirat? Ich meine, ja, nach außen hin bin ich dein Erbe und so, deine Mutter erwähnte schon, dass nur wichtig sei, dass die Braut den Titel Fürstengefährtin erhält, aber nicht von wem … aber, da bist du. Und... Kagome.“

Sesshōmaru war versucht sich die Hand vor die Stirn zu schlagen, ließ es aber sowohl aus persönlichem Stolz als auch dem Wissen sein, dass sich der Jüngere einmischen würde. Aber – sie befanden sich gerade buchstäblich im Nichts, dafür in einem Körper. Und der dachte an.... eheliche Probleme? Es war ein Musterbeispiel von Selbstbeherrschung als er nur erwiderte: „Der Vertrag, der durch diese Heirat besiegelt wird, ist wichtig. Damit gehört Daichis Fürstentum nach seinem Tode mir, also, dem Westen. Bis dahin ist er der eigenständige Fürst, aber mit einem Nichtangriffspakt und einem Beistandsvertrag.“

„Ja, das habe ich ja verstanden und beweist tatsächlich mal, dass du strategisch denken kannst.“

Ein recht zwiespältiges Kompliment, gerade von jemandem, der … der...

„Sprich dich nur aus. Wir sind hier ganz unter uns. - Mal ehrlich, nii-san, ich komme mit diesem Körper mein Leben lang aus, das wirst du schon auch schaffen. Ich werde dir eben helfen.“

Wie gerne hätte Sesshōmaru diesem ….dem kleinen Bruder letztere Idee buchstäblich aus dem Kopf geschlagen. Aber erstens war es in dieser Lage schlicht unmöglich und zweitens... siehe oben. Der war in das yomi gegangen um ihn herauszuholen. Und das aus alles anderen als egoistischen Gründen. Was vermutlich auch erklärte, warum der da überhaupt soweit gekommen war. So meinte er schlicht: „Die Ehe muss vollzogen werden, sonst kann Daichi sie annullieren. Und würde sein Fürstentum sicher den kitsune geben. Der Herr der Füchse bot ihm schon seinen ältesten Sohn an.“

„Dann werde ich mal üben, wie ich mich diskret zurückziehe, damit ich das Kagome so erzählen kann. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Irgendwie mein Lebensmotto.“

Das schien in der Familie zu liegen, dachte der Hundefürst noch, als er sozusagen draußen etwas wie Helligkeit entdeckte, etwas Leuchtendes, das er zu erkennen glaubte. Das war wichtig. Unglaublich wichtig, denn es würde keine zweite Gelegenheit geben. Ohne weitere Fragen oder Antworten bemühte er sich dorthin zu gelangen, buchstäblich seine Seele auszustrecken.

„He!“ brachte Inu Yasha noch heraus, dann stellte er fest, dass er allein in seinem Körper war und er an etwas vorbeiflog, in das gerade eine Seele gesogen wurde, eindrang oder was auch immer. Das war kaum so groß wie einst Kagomes Kater Bujo. Was dachte sich dieser ...er fand gerade kein Schimpfwort, da er wieder umher geschleudert wurde, hart auf etwas prallte, instinktiv abrollte und mit dem Kopf gegen etwas schlug.

 

„Au!“ Das kam nicht nur von dem Anprall an einen Baum, sondern lag auch an der Tatsache, dass seine Linke zwischen den beiden Schwerterscheiden geprellt worden war. Was war denn nun schon wieder passiert?

Er versuchte sich zu orientieren. Da war Wärme – nicht mehr die Kälte der Unterwelt. Sonne. Er öffnete noch etwas mit Magenproblemen und benommen die Augen.

Ja, es war die Welt der Lebenden, mit Sonne, Helligkeit, Witterungen und allem, was dazu gehörte. Er hatte es geschafft und war zurück. Nur, was war mit Sesshōmaru?

Im nächsten Augenblick war er auf den Beinen und fasste instinktiv nach Tessaiga.

Es war kein Baum, gegen den er geprallt war, sondern das vordere, rechte Bein eines ziemlich großen, weißen Hundes, der gerade ein rotes Auge öffnete und hinab zu ihm sah. Instinktiv wich er einen Schritt zurück und ließ sein Schwert los.

Auf ihn hinabsah, war diesmal wörtlich zu nehmen. Er erreichte kaum die Höhe der Knie des Riesenhundes. Er hatte Bruderherz ja schon manchmal in seiner wahren Gestalt gesehen, aber irgendwie war er ihm noch nie dermaßen groß vorgekommen. Wuchs ein Daiyōkai noch einmal im Körper, wenn er zu einem wurde? Und, was machte der jetzt?

Das rote Auge wurde wieder geschlossen, dafür die Lefzen hochgezogen und ein zugegeben recht eindrucksvolles Besteck aus messerscharfen Zähnen entblößt. Eine riesige, rosa Zunge erschien vorne und wischte die ersten Tropfen einer grünlich leuchtende Säure weg. Das rechte Bein wurde gehoben, abgestellt, dann das linke. Und Inu Yasha begriff. Der sonst ach so tolle Herr Hund versuchte gerade herauszufinden, ob ihm der neue Körper gehorchte und wenn ja wie. Jawohl, linkes Hinterbein, rechtes. Als dann auch noch der Schwanz sich bewegte, war er sicher, dass Kagome diese Variante ihres Schwagers absolut niedlich finden würde. Naja, er auch. Ungewohnt unsicher.

Dieser Meinung blieb er noch sechzig Sekunden lang, bis eine ungeheure Woge aus Yōki Gesicht und Gestalt des Riesenhundes verzerrte und der menschenähnliche junge Mann vor ihm stand, der wortlos die Rechte ausstreckte.

So zog er Tenseiga samt Scheide ab, überreichte beides und sparte sich das: „Wie geht es dir?“ Allerdings grinste er. Sie hatten es alle zwei geschafft. Und jetzt begriff er auch, was das Weiße in Katzengröße gewesen war, dem sie begegnet waren – der Körper eines Welpen. Zu Glück hatte nii-san anscheinend sofort durchschaut, dass er als Seele dorthin musste. So klein begann also auch ein ach so toller ...großer … naja. Der große Bruder.

Der Hundefürst schob sein Schwert in den Gürtel. Er hätte nie geglaubt einmal so zufrieden damit zu sein Tenseiga an der Hüfte zu tragen. „Wie viele Tage sind seit deinem Aufbruch aus dem Schloss vergangen?“

„Äh, keine Ahnung, ich war in der Unterwelt und laut Shinigami gibt es da keine Zeit. Sicher zwei Tage, eher mehr. Aber ja, wenn du meinst, wir sollten uns besser beeilen.“

Der Herr des Westens antwortete bereits im Abwenden. „Wir?“

Inu Yasha sprang prompt an seine Seite. „Keh, glaubst du etwa, ich will das Finale nicht mit ansehen und den Kerl kennen lernen, der mir solchen Aufwand aufgehalst hat?“

Nein, gab Sesshōmaru zu. Und, um zumindest zu sich selbst ehrlich zu sein, fühlte es sich besser an den Drachen diesmal mit Tessaiga, nein, mit seinem so loyalen kleinen Bruder gegenüber zu treten. Aber da gab es wohl noch einiges zu klären. „Woher kennst du Kori?“

Da hatte aber jemand sehr gut aufgepasst. „Der war der erste Typ, der mir negativ auffiel, als ich den Hof … äh, deines Schlosses betrat.“ Inu Yasha erzählte kurz, ehe er schloss: „Behaupte jetzt nur nicht es war falsch den mit dem Meidō zur Ordnung gerufen zu haben. Immerhin habe ich ihn nicht umgebracht.“

Ja, tatsächlich, dachte der große Bruder, wenn auch in der Erkenntnis, dass der Provinzfürst sein Glück, der doch überschäumenden Zerstörungswut des Jüngeren entgangen zu sein, kaum zu schätzen wusste. In gewisser Neugier, die einem Daiyōkai natürlich nicht ziemte, aber er schob es auf das Bemühen der unangenehmsten Frage auszuweichen, meinte er: „ Berichte von Anfang an. Wie wurdest du informiert?“

Ja, klar, Bruderherz war einiges entgangen. So berichtete der Hanyō möglichst ausführlich, auch seine Begegnung mit der Stiefmutter. Allerdings ließ er ihre Bemerkung aus, dass sie ihm auf Knien danken würde. Das würde er erst glauben, wenn er es sehen würde, zum Einen, zum Anderen, wäre da der Sohn wohl kaum einverstanden. „Jedenfalls stehen die Chancen gut, dass dieser Daichi samt Tochter schon da ist.“

Das war durchaus möglich. Immerhin hatte Inu Yasha via Boten den vorgewarnt, dass sich weder der Fürst noch sein Stellvertreter im Schloss befinden könnten – also, kein Grund für Daichi vom Handel abzulassen. Der Blick des Älteren glitt zur Seite. Da kam doch noch was?

„Äh, ist diese Daichiko hübsch?“

„Wer?“

„Na, deine Braut. Kennst du etwa ihren Namen nicht?“ Aber der Hanyō erkannte die Antwort und fragte erschüttert: „Sag jetzt nur, du hast sie nicht einmal gesehen?“

Impulsiv, ahnungslos, Inu Yasha. „Wozu?“

„Naja, du solltest dich doch für jemanden interessieren, mit dem du Jahrhunderte zusammen leben willst.“

Er schuldete dem Narren etwas, also sollte er sich wohl dazu herablassen dem einige Kleinigkeiten klar zu machen. „Ich heirate die Erbtochter Daichis um sein Fürstentum nach seinem Tode zu erhalten. Ich heirate eine junge Frau, die mir einen Erben zur Welt bringen soll. Inu Yasha, ich lebe nicht mit ihr zusammen. Ich muss sie nicht einmal sehen, wenn ich es nicht will.“ Es stand ihm zu den Befehl zu geben, dass sie den Frauentrakt nicht verlassen durfte.

Sachlich, ja, und so suchte der Jüngere ein Argument. „Aber, wenn du einen Erben willst... ich meine, angenommen, sie ist so hässlich, dass die Milch bei ihrem Anblick sauer wird....“

„Dann bekommt sie ein Tuch über das Gesicht.“

Inu Yasha rang etwas nach Luft. Pragmatismus war schon etwas, das er mit nii-san verband, aber … naja. Es war eine Prinzessin der Yōkai und nicht Kagome. Bei der Vorstellung, was die dazu gesagt hätte, tat ihm sein Rücken jetzt schon weh. Andererseits konnte er sich auch nicht vorstellen, dass Stiefmütterchen sich hätte so behandeln lassen. Vielleicht würde Sesshōmaru da noch sein Wunder erleben. Obwohl – der Herr „Ich-bin-so-kalt-dass-aus-Regen-hinter-mir-Schnee-wird“ würde vermutlich auch einen Ehekrieg überstehen und gewinnen. Immerhin war er nicht nur der Ehemann, sondern auch noch der Fürst und damit eben auch der absolute Herr, das hatte er doch in den wenigen Stunden als Regent gelernt. Er sollte ablenken. Und zu dem Thema kommen, an dem er seit Tagen knabberte. „Na schön. Beantworte mir noch eine Frage, dann halte ich auch den Mund.“ Da Bruderherz schwieg war das als Zustimmung zu sehen. „Warum um alles in allen drei Welten hast du Tenseiga im Schloss gelassen, als du zu den Drachen gingst?“

Diese Frage hatte er… nun, nicht befürchtet, aber doch vermeiden wollen. Aber er hatte Vater zugesagt der Wahrheit gemäß zu antworten. Und, das war er doch demjenigen schuldig, nach jedem Ehrenkodex, der ihm das Leben gerettet hatte. „Dem entnehme ich, dass du nicht in meinem Zimmer warst.“

„Ich habe nicht in deinem Bett geschlafen,“ fuhr Inu Yasha prompt auf, ergänzte dann aber, in der Gewissheit, dass ihn seine Witterung sowieso verraten würde: „Ich habe mir allerdings die Briefe auf dem Schreibpult dort angesehen.“ Er guckte seitwärts und begegnete einem bernsteinfarbenen Blick: „Ja, da gab es nur einen Brief über Drachen. Dieser König schrieb was von Bannkreisen und Fischern und dass alle Yōkaifürsten auch mal Magier schicken sollten. Aber, das war ja kaum so wichtig.“

Drei Dinge waren zu beachten. Inu Yasha konnte offensichtlich lesen. Und er hatte soweit mitgedacht, dass auf dem Pult etwas Wichtiges sein könnte. Drittens, der hatte weder eine Ausbildung in Strategie erhalten noch Ahnung von Politik. Nun gut. „Du hast nicht genau gelesen.“

„Kannst du eigentlich einmal etwas sagen, das nicht so klingt, als wäre ich der Trottel vom Dienst?“

Beweise es, aber Sesshōmaru versagte sich diese Antwort und erklärte in neu gewonnener Großer-Bruder-Attitüde: „Bei Briefen anderer Fürsten oder eben auch des Drachenkönigs sollte man jedes Wort wägen. Ryujin schrieb, dass er bereits Magier geschickt hatte.“ Genügte das? Er warf erneut einen Blick beiseite. Die Ohren zuckten, ja, da dachte jemand nach. Interessant. Nun, man gelangte auch nicht lebend durch das yomi wenn man ein vollendeter Narr war. Und auch als Regent hatte der sich evident nicht allzu schlecht gemacht. Immerhin war Mutter mit ihm einverstanden gewesen, sonst stünde der kaum noch hier. Auch die Sache mit Daichis Boten hatte der offenbar gut gehandhabt, wenngleich sicher mit haha-ues Rat versehen.

Inu Yasha meinte langsam, durchaus angetan von der Tatsache, dass er offensichtlich etwas von nii-san gelehrt bekommen sollte, was selten genug passiert war und meist nur im Kampftraining: „Der König hatte also Magier schon geschickt? Und die waren nicht bei dir eingetrudelt. Dazu kam diese Einladung von deinem Hausdrachen... Ryuuichi. Schön. Also hattest du den Verdacht, die wären zu dem gegangen? Eine Falle? Und du springst hinein, klar, hätte ich auch gemacht. Du warst sicher, dass du die fünf Drachen und die Magier erledigen kannst. Gut. Soweit komme ich mit. Aber, du hast dich dann schwer getan? Weil es eben keine Feld-, Wald- und Wiesenmagier waren, sondern diese Elementschamanen?“

Für einen Moment kroch die Erinnerung an seine Hilflosigkeit und die Tortur schmerzhaft in dem Hundefürsten hoch, aber er verdrängte es rasch und erwiderte bemüht sachlich: „Es waren fünf. Fünf Elemente.“

Der Hanyou hörte etwas, das er nur als Gefühl deuten konnte, sehr ungewohnt und eigentlich noch nie so vernommen. Es wäre ziemlich unfair gewesen da jetzt darauf herum zu reiten, dem werten Herrn Hund unter die hoch gehaltene Nase zu reiben, dass der mal versagt hatte. Inu Yasha wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte am Boden zu sein. Kagome hatte ihn dann, als sie sich kannten, ja auch aufgerichtet. Vielleicht sollte er es wenigstens versuchen, so ungewohnt das ausgerechnet beim eiskalten Bruder auch war. Aber schön ruhig bleiben, tun, als habe er nichts gehört. In die Arme nehmen, wie es Kagome getan hätte, wäre eher ein Duellgrund. „Ja, und dagegen kann auch jemand wie du nichts ausrichten. Naja, fast. Myouga erzählte, es sind nur noch vier Elementschamanen und zwei Drachen. Die Fehlenden gehen auf dein Konto.“

Immerhin. Das hatte er nicht mitbekommen, zu beschäftigt damit sich aus der tückischen Falle zu befreien. Wenngleich vergebens. Diese Schmach, sich den Hohn Ryuuichis anhören zu müssen, gefesselt in der Elementmagie, hilflos. Zum ersten Mal in seinem Leben. Woher wusste allerdings ausgerechnet Inu Yasha von Elementmagie? Ohne Kagome stolperte der doch in jeden Bann, den er traf. Natürlich. Mutter und die Berater.

„Aber, Tenseiga? Oh, Moment.“ Er hatte es sich doch schon gedacht. „Du hast es im Schloss zurück gelassen als Sicherung. Falls das kleine Abenteuer ein bisschen zu abenteuerlich wird, könnte deine Mutter Tenseiga nehmen und dich wieder beleben.“

Fast. Aber knapp daneben war eben auch vorbei. Noch einen Satz. An wen hatte er in den letzten Wochen mehr Worte verschwendet als an diesen... an den kleinen Bruder? Schön, Daichi, aber das waren auch Verhandlungen gewesen. „Was ist die magische Grundlage unserer Schwerter?“

„Vaters Fangzähne,“ antwortete der Hanyō etwas verständnislos, ehe ihm eine Kerze aufging. „Du meinst, deine Mutter könnte Tenseiga gar nicht benutzen?“ Aber, das bedeutete, konnte nur bedeuten...

Er hatte versprochen die Wahrheit zu sagen. „Könnte sie nie. Nur ihre Meidōkette. Vielleicht.“ Bei Rin hatte es funktioniert, aber nur bei Tenseiga wusste er sicher, dass es auch Yōkai wieder beleben konnte.

Inu Yasha war erschüttert. „Du hast darauf vertraut, dass ich kommen würde, wenn ich erfahre, dass du ermordet worden bist?“

„Diesbezüglich habe ich dir immer vertraut.“

 
 

Nest der Drachen

I come for you, I´ll fight for you

But only if you want me to

Here and now this I vow

I´ll always come for you

 

Nickelback: I come for you

 
 

Inu Yasha öffnete den Mund, fand tatsächlich keine Worte und schloss ihn wieder. Nicht zuletzt, weil er zwar überrascht war über diese Aussage - wann hatte Sesshōmaru je gesagt ihm zu vertrauen - aber er dennoch ja den Beweis soeben geliefert hatte. Er lief hier, neben diesem Riesenhundeidioten, hatte dafür gesorgt, dass der aus dem yomi no kuni wieder in der Welt der Lebenden war, mit seinen zwei verschiedenen Körpern, offenkundig auch der passenden Kleidung und der Rüstung...

Ja. Er war gekommen. Und er hatte das Vertrauen gerechtfertigt. Und, das musste er auch zugeben, auch schon früher, gleich ob gegen Naraku, Magatsushi oder So´unga … er war immer bereit gewesen an der Seite des Bruders zu kämpfen. Der hatte ihm dann zwar immer erklärt, man mische sich nicht in anderer Leute Duelle ein, aber …

Ja, zugegeben. Er war gekommen. Er war immer gekommen, aber er hätte nie geglaubt, dass das bei diesem sturen Esel von Hund Aufmerksamkeit erregen würde. Irgendwie schaffte er es zu erwidern: „Na, schön, dass dir das aufgefallen ist.“

 

Narr, dachte der ältere Bruder, blickte jedoch geradeaus. Für wie töricht hielt der ihn eigentlich? Hatte der wirklich geglaubt er würde Rin in dem Dorf groß werden lassen, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, sie wäre unter dem Schutz des Halbbruders sicher? Viel sicherer, als wenn er sie in die Kämpfe und dann Kriegszüge der Yōkai schleifen würde? Nun gut, er selbst hatte das nie ausgesprochen. Er redete wenig.

Aber das, was der Hanyō in den letzten Tagen gezeigt hatte, war nicht nur das, was er sich von einem Kampfgefährten erhofft, nein, erwartet hatte. Das war deutlich mehr gewesen. Er war davon ausgegangen, dass Inu Yasha kam, sich Tenseiga nahm, zu den Drachen ging und ihn wieder belebte. Und, dass sie dann zu zweit aufräumen würden. Auf den Einfall, dass die Drachen seinen Körper vollständig vernichten würden, war er nicht gekommen.

Nun gut. Der... Vaters zweiter Sohn hatte auch dieses Problem gelöst, nicht zuletzt anscheinend unter Opfern für sich. Denn auf Kagome zu verzichten war gewiss nicht einfach gewesen.

Ja, gut. Er hatte früher geglaubt, der sei nur ein Hanyō, halb im Blut, halb im Können. Bokuseno hatte ihn ja auch darauf aufmerksam gemacht, dass der eben bestimmte Fähigkeiten nie erreichen könnte. Gerade auch in Magie. Aber Inu Yasha war auf seine eigene Art erfolgreich. Konnte man so nennen, auch, wenn der kein Daiyōkai war, nie ein solcher werden würde. Schützling der Glücksgöttin, ja?

Und, er stand tief in dessen Schuld.

Sein Blick glitt kurz beiseite, ehe er sich zu seiner eigenen Überraschung selbst zugab, dass er auch kommen würde, wenn ihn sein Bruder brauchen würde. Und da musste er nur an dessen Verwandlung in ein wahnsinniges Monster denken, als er ihn niedergeschlagen hatte, um Kagome die Möglichkeit zu geben Tessaiga wieder dem … nun ja, dem Jüngeren in die Hand zu drücken. Er war oft genug bei dessen Kämpfen in der Nähe gewesen, hatte beobachtet, aber sehr selten war sein Eingreifen erforderlich gewesen. Nicht einmal gegen Ryuukossusei.

 

Inu Yasha schwieg. Zum Einen hatte er ja versprochen, dass er die Klappe halten würde, wenn die Frage nach Tenseiga beantwortet wäre, zum Anderen hätte er nicht gewusst, was er sagen sollte. Das unerwartete Vertrauen hatte ihn fast schockiert.

Nun ja, erkannte er dann realistisch. Bruderherz hatte es ja eingeschränkt – diesbezüglich hatte er ihm vertraut. Darauf, dass er nach dessen Ermordung nach dem Rechten sehen würde, Tenseiga nehmen würde. Weiter reichte das Vertrauen ja wohl nicht. Allerdings war das nach dem Ablauf ihrer gemeinsamen Beziehung schon wirklich eine Menge, hätte Kagome sicher gemeint. Und, dass man es immer positiv sehen sollte. Der hatte ihm nicht nur vertraut, der hatte es sogar explizit zugegeben. Eine absolute Neuerung im brüderlichen Verhältnis.

 

Sesshōmaru sah noch immer zum Horizont: „Komm!“ Und sprang ab, sich nur zu bewusst, dass der Hanyō nicht fliegen konnte, aber doch aus zwei Gründen neugierig. Erstens wollte er sehen, ob ihn sein Körpergefühl nicht getrogen hatte, als er sich in der Welt der Lebenden wieder gefunden hatte. Falls nein, und die vermutete Ursache stimmte warum, sollte es auch Inu Yasha spüren. Das wäre interessant. Überdies war es tatsächlich ein Grund sich zu beeilen das eigene Schwert wieder in die Klauen zu bekommen. Bakusaiga, da war er sicher, würde bei seinem Auftauchen nur noch ihm gehorchen, aber die Frage war, was bis zu diesem Zeitpunkt alles passieren mochte. Und er war der Schutzherr des Westens.

Erst nach einigen Minuten warf er einen flüchtigen Blick unter sich, hinter sich. Sieh an. Inu Yasha folgte recht ordentlich, wenn man bedachte, dass der auf dem Boden mit Hindernissen konfrontiert wurde, denen er selbst so auswich. Und, der hechelte nicht mit verzweifelten Fünfzehn-Meter-Sprüngen hinterher, sondern teilte sich sichtlich die Kräfte ein um länger durchhalten zu können. Das waren ordentliche Neun-Meter-Sprünge, die der Jüngere mit Sicherheit lange durchhalten würde. Ob der auch etwas anderes spüren konnte?

 

Tatsächlich fiel Inu Yasha bei diesem Tempo auf, dass er irgendwie... stärker geworden war? Es brauchte einige Zeit, ehe er realisierte, dass das an seinem Yōketsu lag, der Quelle seiner dämonischen Energie. Sie war mächtiger, ähnlich, als wenn Vaters Blut ihn früher übernehmen wollte um ihn zu schützen. Aber es machte nichts mit seinem Verstand. Es war eigen, sicher, aber eigentlich auch egal. Nur, wenn er sich nicht täuschte, war auch Sesshōmarus Yōki stärker geworden. War das etwa der Erfolg, wenn man in der Unterwelt gewesen war? Da sollte er mal Onkelchen zu befragen – oder, ganz verrückt, vielleicht sogar Bruderherz? Spürte der das auch? War das mit der Grund gewesen, warum der so sorgfältig seinen Körper nach der Wiederbelebung überprüft hatte? Ach nein, das konnte nicht sein. Sonst wäre ja auch Jaken oder dieser andere Yōkai, den Sesshōmaru mit Tenseiga wieder belebt hatte, viel stärker geworden. Lieber den Mund halten als sich zu blamieren. Törichter Hanyō hatte er oft genug gehört – wenngleich die letzten Stunden definitiv nicht. Dafür eine unglaubliche Aussage, die ihn tatsächlich ein wenig innen gewärmt hatte.

Wie lange waren sie nun schon unterwegs? Die Gegend wurde öde, bergig.

Am Rande eines breiten Tales, dessen runde Steine meterweit neben dem kleinen Bach allerdings verrieten, was zur Schneeschmelze hier los sein musste, landete nii-san. So sprang er neben den, nicht außer Atem. „Was ist?“

„Das Nest der Drachen.“ Der Hundefürst versagte sich jeden Tadel, denn das konnte Inu Yasha beim besten Willen nicht wissen. Und, er ertappte sich bei etwas, das einer kalten Hand um den Magen sehr ähnlich war. Aber er zwang sich zur Ruhe. Es gab nur noch vier Schamanen, sie konnten nicht ihre volle Elementmagie abrufen, er war nicht allein, er hatte den Bruder an der Seite. Und diesmal würde er Ryuuichi umbringen.

 

Der Hanyō starrte nach vorne. Es handelte sich um breites Gebirgstal, abgeschlossen von einem kegelförmigen Basalthügel, dessen Oberkante ein wenig zu eben für Natur war. Bei genauem Hinschauen konnte man eine Art Mauer erkennen. Kein Haus, kein Weg. „Gemütlich,“ kommentierte er prompt. „Da habe ich schon schickere Wohnungen gesehen.“ Naja, er sollte wohl nett sein, wenn er schon Erklärungen erhielt, das würde Kagome doch bestimmt sagen. „Und, dein Plan?“

Diese Anfrage an den großen Bruder führte dazu, dass Sesshōmaru tatsächlich ein wenig den Kopf wandte, um sicher zu gehen, dass er sich nicht gerade verhört hatte. Da er einem fragenden Blick begegnete, meinte er: „Damit ich Bakusaiga nehmen kann, muss es Ryuuichi in der Hand halten. Geh und lenke ihn ab. Und komme von Osten.“ Dort lag das Schloss.

„Äh, wie? Soll ich ihn herausfordern?“ Schön, die Antwort konnte er tatsächlich in den Augen nii-sans ablesen. Geh und tue das, was ich gesagt habe. Na schön. Immerhin stand er nicht allein gegen die Drachen, Bruderherz würde bestimmt eingreifen. Und, das wäre doch wirklich auch mal nett. Alles, was er einstweilen tun musste, war, die Würmchen zu beschäftigen, ja, genau. Er sollte Ryuuichi dazu bringen Bakusaiga zu ziehen, gleich, ob der es gebrauchen konnte oder nicht. Und da waren nur noch vier Drachenmagier, Ryuuichi und ein Krieger. Das sollte doch zu schaffen sein. „Bis später,“ erwiderte er daher nur, als er in östlicher Richtung davon lief.

 

Sesshōmaru sah ihm kurz nach. Ein Kampfpartner, ja, wie er ihn sich immer gewünscht hatte. Aber er hatte eingesehen, einsehen müssen, dass Mutter recht hatte: ein Mächtiger konnte durch die Anwesenheit Schwächerer nur verlieren. War das etwa mit Brüdern, selbst einem Halbbruder, anders? Wäre es anders gewesen, wenn er damals … Nein. Was wäre wenn war sinnlos. Wichtig war nur, dass er diesem Drachen den Weg in die Unterwelt zeigte. Dazu musste einfach der Hanyō seinen Part übernehmen. Und es war tatsächlich ein wenig beruhigend zu wissen, dass der das stets getan hatte.

Er atmete tief durch. Er war Sesshōmaru. Und er würde töten.

 

Der Hügel und die Mauer, die für Myōga so gigantisch gewirkt hatten, boten für Inu Yasha nicht unbedingt ein Hindernis. Mit vier, zugegeben, gewaltigen Sprüngen, stand er oben auf der Mauer und musterte das Innere des Runds. Aha, vier Drachen in Menschenform in bodenlangen, gestreiften Umhängen, die ihn irgendwie an Kagomes Pyjama erinnerte, den sie einst in ihrer Zeit getragen hatte. Ihrer Herkunftszeit, wie sie es immer bezeichnet hatte. Und zwei eindeutige Krieger. Wer was davon war, musste er nicht raten: einer dieser missratenen Würmer trug neben dem eigenen Schwert Bakusaiga im Obi. Alle Drachen hatten ihn bemerkt, denn sie fuhren herum.

„Hallo, Ryuuichi, altes Haus!“ rief er daher und legte die Hand an Tessaiga. „Das nenne ich doch mal ein Benehmen!“

Der Drache nahm sich zusammen und musterte den Neuankömmling, legte allerdings ebenfalls die Klaue an das Schwert. „Du bist im Vorteil. Du kennst meinen Namen.“ Das klang ruhig, aber seine Linke winkte zu den Magiern.

„Nicht doch, Leute!“ Inu Yasha war zu kampferfahren um solche Gesten für überflüssig zu halten. „Ihr seid Elementmagier. Also: wenn ihr irgendeine Handbewegung macht, schicke ich euch gleich gemeinsam ins Jenseits. Ist recht hübsch da. Schwarz. Und lausig kalt. - Ich habe mit Ryuuichi ein paar Takte zu plaudern. Ach ja, du wolltest meinen Namen wissen. Ich bin Inu Yasha. Der Bruder des Daiyōkai, dessen Schwert du da trägst. Überflüssig zu erwähnen, dass ich das nicht gut finde, oder?“

Ryuuichis zwei Gesichter lächelten. „Oh, ein Hanyō. Ich zittere ja schon. - Wie idiotisch. Wenn du wirklich Sesshōmarus Bruder, nein, Halbbruder bist, wie rührend. Auf der Suche nach ihm?“

„Keh. Glaubst du wirklich, du komische Eidechse, ihr könnt hierher kommen, den Herrn des Westens umbringen wollen und nichts passiert?“

„Junge, ich habe ihn umgebracht! Und, alles was passiert, ist dass hier ein Halbköter auftaucht und bellt. Ihr seid immer am Lautesten, wenn man euch die Zähne gezogen hat.“

„Das hätte ich an deiner Stelle nicht gesagt. Nicht einmal gedacht.“ Inu Yasha zog sein Schwert. „Und ihr, Magier – keine Bewegung! Ach, geht doch einmal ein paar Schritte auseinander.“ Er sah, wie die Schamanen Blicke tauschten, aber gehorchten. Planten sie etwas? Gleich. Gegen das Meidō zangetsu konnte auch Elementmagie nichts ausrichten. Er musste sie nur mit im Blick behalten, falls sie auf dämliche Einfälle kamen.

„Willst du etwa gegen mich kämpfen?“ Ryuuichi klang gelassen, noch immer die Finger um Bakusaigas Griff.

Das war schlecht, befand Inu Yasha, denn so konnte nii-san seine Klinge nicht zu sich rufen, was der bestimmt wollte. Na, dann mal anders. „Ich gegen dich kämpfen? Weißt du, vor gut hundert Jahren kämpfte ich mal gegen einen zu groß gewordenen Regenwurm wie dich. Natürlich war der dann tot. Damals war ich noch ziemlich unerfahren. Inzwischen habe ich dazu gelernt. Und es gefällt mir gar nicht, dass du hier noch immer im Westen rumschwirrst samt deinen Kumpels und hier die Luft weg atmest. - Was mich viel mehr interessiert: du kommst hierher, bettelst um einen Wohnort, bekommst ihn, schwörst Treue und dann willst du den Fürsten umbringen. Das nennt man eigentlich Hochverrat. Weiß König Ryujin davon?“ Oh, das war ein Volltreffer, denn sowohl das Drachenmaul als auch das scheinbar menschliche Gesicht an der Stirn pressten die Zähne zusammen. „Ach, er weiß es also nicht. Das geht voll auf deine eigene Rechnung.“

„Du hast keine Ahnung, Missgeburt!“

„Keh! Ich kann dir sagen, dass ICH noch nie in meinem Leben mein Wort gebrochen habe.“ Komm schon, dachte er, zieh Bakusaiga, denn er hatte erkannt, dass ein weißer Schemen auf der Rückseite der Mauer erschienen war. Und er spürte, verdammt noch mal, keine Energie. Das war neu. Nii-san hatte sonst immer ein gewisses Grundlevel an Yōki gezeigt. Dass der das so komplett unterdrücken konnte...? „Damit bist du allerdings reif für die Unterwelt. Aber jeder, wie er es mag, hm?“

„Kinder zahlen für ihre Väter!“ knirschte Ryuuichi. „Und euer Vater hat den meinen umgebracht. Ryuukossusei!“

Die Ohren des Hanyō zuckten in ehrlicher Überraschung, ehe er zugab: „So viele Fehler in einem Satz, klasse, Ryuuichi. Also, Ryuukossusei war schuld, dass unser Vater so verletzt war, dass er im nächsten Duell den Tod fand. Er hatte es zwar geschafft zu siegen, aber hatte den Drachen nur versiegelt. Ein armer Irrer erweckte ihn wieder und ich hatte dann das Vergnügen gleich alle zwei umzubringen.“

„Du lügst!“ Ryuuichi starrte den Fremden an.

„Also, ich habe einen Drachen namens Ryuukossusei erledigt, ob er dein Vater war oder nicht. Wenn es nicht zwei mit dem Namen gibt oder gab, ...“

„Du wagst es mir das einfach so zu sagen? Dass du Schuld am Tode meines Vaters bist? Daran, dass damit die gesamte nachfolgende Familienlinie vom Erbe ausgeschlossen wurde? Mein Vater war der älteste Sohn des Königs! Und ich sein Ältester.“ ER hätte der übernächste König der Drachen werden sollen!

„Keh. Ich sage nur, Dummheit scheint in der Linie erblich zu sein!“ Aber Inu Yasha sah wieder zu den Magiern, die doch irgendetwas ausbrüteten? Aber jetzt war klar, warum die hierher gegangen waren. Die setzten anscheinend auf diese Blutlinie der Drachen, die aber nach den da vermutlich geltenden Gesetzen mit dem Tod des Vaters enterbt worden war. Wobei, so alt hatte Ryuukossusei auf ihn auch nicht gewirkt. Was wusste er allerdings auch schon von diesen Eidechsen. „Und, weil wir gerade bei diesem Thema sind: ich trage mein eigenes Schwert, mit dem ich auch umgehen kann. Auf deiner Seite hast du eine gestohlene Klinge, die auf mich nicht den Eindruck macht, als ob sie dir gehorchen will, einen Krieger, der mich anstarrte, als ob er noch nie im Leben jemanden wie mich gesehen hat, und vier Zauberer in bunten Mänteln. Sieht nach Sieg für mich aus.“

„Vier Elementmagier!“ Ryuuichi knirschte hörbar mit den Zähnen. „Wenn ich dich gleich ins Jenseits geschickt habe, kannst du ja deinen Bruder fragen wie es ist, in einer Fessel aus Elementmagie zu stecken.“

Gleich würde der Drache ziehen, dachte Inu Yasha und legte nach. „Rechnen kannst du also auch nicht, oder, Jungs? Fünf Elemente plus vier Elementmagier ergibt noch keine perfekte Elementmagie.“ Sie bewegten sich doch ein wenig und er hob zur Vorsorge Tessaiga, ließ es Schwarz werden – die Vorbereitung für den direkten Pfad in die Unterwelt. „Aber, ich weiß, wie du das feststellen kannst, Ryuuichi.“

„Ich auch!“ Der Drache zog und sein Krieger folgte diesem Beispiel.

 

Damit kam Bewegung in die bislang recht leblose Szene.

Ryuuichi keuchte vor Überraschung auf, als Bakusaiga sich förmlich aus seiner Klaue losriss und beiseite flog. Die Magier fuhren ebenso herum.

Das Warum konnte sich der Hanyō denken, als er förmlich eine Flutwelle an Yōki über das Drachennest rollen spürte, genährt von einer Dynamik aus den Tiefen der Seele des Hundefürsten, der sich nun nicht mehr verbarg, als er seine Klinge mit der Rechten auffing und zufrieden seinen Hauptgegner musterte. Ohne jedes Wort senkte er sie. Flirrend hellgrün schoss ein Strahl aus dämonischer Energie auf den Drachenkrieger zu, der sich in einzelnen Funken auflöste, ohne auch nur eine Hand bewegt zu haben.

Ryuuichi dagegen riss sein eigenes Schwert heraus. „Du! Nun gut. Dann regeln wir das unter uns. Und dann wirst du eben jetzt sterben. Du erinnerst dich doch, was wir mit dir angestellt haben?“

Falsche Rede, dachte Inu Yasha, der sah, wie sich die Augen seines Bruders verengten. Der hatte Leute schon aus geringeren Anlässen umgenietet. Die Magier! Er wandte eilig den Kopf. Die sollten sein Problem sein und würden es auch, wenn er zuließ, dass die sich da irgendwie einmischten, Lebensrettung hin oder her. So gut kannte er Sesshōmaru.

„Ah,“ machte der Drache zufrieden. „Der ach so tolle Hund erinnert sich. Nun, das lässt sich wiederholen. Und diesmal wird eben das Brüderchen an deiner Seite gebraten! Ich habe keine Ahnung, wieso du hier noch stehst, aber das wird nicht lange dauern. Werft das Netz!“

 

Der Hanyō hatte zugegeben keine Ahnung was das werden sollte, aber er bezweifelte nicht, dass die Schamanen nun Elementmagie weben sollten und auch prompt irgendetwas mit ihren Händen machten. Vielleicht schafften auch nur vier von ihnen nii-san und ihn zu fesseln, das wäre dann das Ende. Er legte nicht den mindesten Wert darauf am eigenen Leib zu erfahren, was diese idiotischen Eidechsen schon mit Sesshōmaru angestellt hatten. Sogar den hatte das ziemlich getroffen. Und da half nur eins. „Meidō zangetsu!“

Noch ehe die Elementmagie der Drachen fertig gewebt worden war, wurden die Schamanen hilflos in das schwarze Loch gezogen, das sich hinter ihnen aufgetan hatte.

Sollten sich doch diese Türwächter mit ihnen beschäftigen! Im yomi würde ihnen auch ihre Zaubertricks nicht weiterhelfen. Inu Yasha wandte den Kopf. Oh ja, Bruderherz war sauer. Nicht, dass der das irgendwo zeigte, aber er kannte diesen Augenausdruck, der unmissverständlich erkennen ließ, dass der so Fixierte gleich sterben würde. Mit der Ausnahme seiner selbst, zugegeben.

 

Ryuuichi hatte sich nicht umgedreht, aber er das brauchte er nicht um zu wissen, dass etwas geschehen war, das die Magier davon abhielt ihm zu helfen. So lächelte er mit beiden Gesichtern. „Du willst mich töten? Und, da du nicht Mann genug bist mit mir allein zu recht zu kommen, hast du dir ausgerechnet einen halben Hund mitgebracht? Wie praktisch. Ich werde zuerst dich kampfunfähig machen und mich an deiner Hilflosigkeit erfreuen, während ich mir das Brüderchen vornehme und dich mit ihm füttere. Erst danach werde ich dich umbringen.“ Da der Herr des Westens nur wortlos seine Klinge aufrecht hob: „Mach nur. Ich sehe doch, dass du Angst hast. Du erinnerst dich zu gut an unser letztes … Gespräch. Zu schade, nicht wahr, dass ich nur einmal sterben kann?“

 

Aua, dachte Inu Yasha. Das falsche letzte Wort, nun eher, vorletzte, bei genau dem falschen Mann. Er sah, wie Sesshōmaru mit einer Handbewegung die Spitze Bakusaigas auf den Boden stellte und über die Klinge sein Yōki in den Boden jagte. Kein Kampf in dem Sinn, das gönnte der dem Drachen nicht. So gesehen war es fast erstaunlich, dass der ihm immer die Ehre erwiesen hatte mit ihm die Klingen zu kreuzen, nachdem er selbst ein Schwert besaß.

 

Ryuuichi sah es und ahnte das Unheil, wollte wegspringen, aber es war bereits zu spät. Wie eine Fontäne schoss die Energie direkt unter ihm aus der Erde, riss ihn aufschreiend in die Unterwelt. Nur ein lebloser Körper blieb zurück, verkohlt, verbrannt.

 

Inu Yasha bemerkte, dass der Hundefürst noch immer keinen Blick für ihn hatte, als der wortlos Bakusaiga in den Gürtel schob und Tenseiga zog. Der wollte doch nicht.... Und dann sah er in den goldenen Augen des Halbbruders die ganze Härte, zu der der fähig war. Um den Mund zuckte die Spezialausgabe eines sadistischen Lächelns. Nein, einmischen war jetzt selbst für ihn nicht ratsam, aber er wollte auch nicht zusehen. So drehte er sich um und sprang aus dem Nest der Drachen hinunter in das Tal.
 

Rückkehr des Herrn

For the two of us, live seems to be easy,

For he is fighting to the end,

That´s why I call him a good friend -

A dog takes over control

 

Themamusik der TV-Reihe Komissar Rex

 
 

Inu Yasha sah sich nicht weiter zu dem Felshügel um, von dem er eben hinabgesprungen war. So, eigentlich war das jetzt erledigt, Brüderchen würde wieder auf seinem Fürstensitz Platz machen, nehmen, was immer ein Hundedämon so tat – und er war wieder da, wo er vor wenigen Tagen gestanden hatte. Er konnte weder zu den Menschen gehen, die ja gerade bewiesen hatten, dass sie ihn verjagen wollten – und ehe er Sesshōmaru um Unterkunft bat, sollte doch die Hölle zufrieren... Naja. Kalt genug war es im yomi ja schon.

Vielleicht sollte er nicht so schwarz sehen. Kagome würde wieder geboren werden, da waren sich doch alle einig, oder? Und sie würde ihn finden. Es war einfacher für sie ihn zu finden, es gab schließlich nicht gerade viele Hanyō.

Ein leises „Tap“ ließ ihn erstaunt den Kopf wenden. Tatsächlich landete der Hundefürst keine neunzig Sekunden nach ihm, beide Schwerter an der Hüfte. Nun ja. Der Kerl war wirklich einfach dazu zu bringen einen umzulegen – aber er machte das immer sauber und schnell. Warum sollte er es bei Ryuuichi anders machen. Nur, er hatte noch immer keine Ahnung wohin mit sich selbst.

„Gehen wir.“

„Wir?“ fragte der Jüngere derart hörbar überrascht, dass der Herr des Westens den Kopf wandte. So ergänzte er, doch ein wenig peinlich berührt: „Ich wüsste nicht, was ich noch in deinem Schloss verloren hätte.“

Das könnte er ihm sagen, denn er hatte einen Plan. Aber, wozu den impulsiven....Vaters impulsiven zweiten Sohn aufschrecken. So meinte er nur: „Meine Heirat.“

„Oh, ja.“ Das stimmte ja. Da warteten vermutlich dieser Wolfsfürst samt Tochter schon auf Sesshōmaru. Na gut, es wäre wohl höflich dabei zu sein. Oder auch nett, den nicht allein zu lassen. So wandte er sich um um an der Seite des Bruders zu gehen. „Und ich sollte mich vermutlich auch bei deiner Mutter verabschieden.“

Da blitzte Benimm auf? Allerdings konnte er sich diese Antwort sparen. Ja, es wäre höflich – und irgendetwas in ihm sagte, dass der Auftrag, den Inu Yasha übernommen hatte, auch erst im Schloss ordnungsgemäß beendet wäre. Hm. Der wusste doch nicht wohin, das war erkennbar. Und er hätte selbst etwas Entlastung von so manchen langweiligen Pflichten, denn um ehrlich zu sein, hatte der Bruder seine absolute Loyalität unter Beweis gestellt. Hinzu kam, dass der Hanyō wirklich ein herausfordernder Trainingspartner war. Aber dazu später, wenn zuhause alles in Ordnung war. Kori und manch anderer, nicht zuletzt Daichi Okami, könnten sich breit gemacht haben. Nicht, dass er sich nicht zutraute mit allen Zweien fertig zu werden, aber warum sollte Inu Yasha nicht auch etwas Spaß haben. Er stand immerhin in dessen Schuld. Und das sollte er bereinigen.

 

Die Tatsache, dass die Nacht hereinbrach, störte keinen der Brüder, sie hielten die Richtung auch im Wald. Dennoch merkte Inu Yasha eine Änderung. „Sag mal, du gehst nicht direkt zum Schloss?“

Er hatte es tatsächlich bemerkt! „Nein.“ Und, kam die Frage, mit der er rechnete? Oh, anscheinend versuchte der Halbhund zu wittern. Ja, das war der Grund.

Inu Yasha musste nachdenken, aber er wollte sich nicht blamieren. „Wir kommen mit dem Wind im Rücken. Du rechnest mit einer Überraschung?“ Das wurde immer klarer, weil die Bäume lichter standen, sich vor ihnen die Ebene andeutete, in der das Schloss lag.

Bokuseno hatte gesagt, dass der als Hanyō einige Fähigkeiten nie erreichen würde. Nun gut. „Spüre nach dämonischen Energien.“ Das sollte doch reichen.

Inu Yasha war so überrascht keine Kritik oder Abwertung zu hören, dass er prompt gehorchte. Ja, da waren Yōki. Und, wenn er sich nicht allzu sehr täuschte, unterdrückte Bruderherz seine eigene Präsenz bereits wieder. Der wollte wohl die kleine Versammlung im Morgengrauen sprengen. „Der Brauttross scheint angekommen zu sein.“

Seit wann funktionierte denn eine Anleitung bei diesem Sturkopf? Obwohl, das gab sich der Hundefürst zu, derartige brüderliche Ratschläge waren auch für ihn relativ neu. Sicher, einige Zeit hatte er mit ihm Schwertkampf geübt, wenn man das Wedeln mit Tessaiga so nennen wollte, aber, sie hatten sich nun doch schon mehr als fünfzig Jahre nicht gesehen, seit die Bannkreise erstellt worden waren. Und, der war erwachsen geworden. So ergänzte er: „Mit Geleitschutz. - Und Kori scheint auch noch da zu sein.“

„Und deine Krieger, Stiefmütter...äh, Keibo-sama.“ Das war ja knapp gewesen. Er sollte aufpassen, was er in dieser Begleitung von sich gab. Mehr um abzulenken, denn dieser Seitwärtsblick des Sohnes der besagten Dame hatte ihm nicht so gefallen, fuhr er fort: „Nettes Treffen, ohne den Hausherrn. Was willst du machen?“ Es wäre wirklich dämlich nach allem, was sie gerade zu zweit geschafft hatten, sich jetzt ein Duell zu liefern.

Der Herr des Westems sah in die aufgehende Sonne. „Du gehst voraus.“

„Da ich wieder kaum glaube, dass du mir den ganzen Spaß allein lassen willst, einen Grund?“

Sollte er oder nicht? Er stand in Inu Yashas Schuld, umso mehr, als der seine Gefährtin für ihn geopfert hatte. „Dir gegenüber werden sie offener sein. Und ich bin der Richter.“

„Ja, alles klar. Deinen Schwiegervater sollte ich ja am Leben lassen und Kori wohl auch?“

Diese Frage war ernst gemeint – und wurde auch so verstanden. Keine Antwort war in diesem Fall allerdings auch eine. Schweigen bedeutete bei Sesshōmaru stets Zustimmung.

Öhrchen zuckten. „Dann mal los. Bis später!“

 

Als der Hanyō auf das Schloss zusprang, bemerkte er nur zu gut die dichte Versammlung im Schlosshof. Er erkannte Krieger in den Farben des Westens, aber auch andere, die alle mit dem Rücken zu ihm gedreht standen. Wenn das deren Auffassung von aufpassen war … Aber, das ging ihn ja wohl nichts an. Und sich in die Dinge Brüderchens einzumischen, hatte der noch nie anders als rabiat beantwortet. Sich da durch zu drängeln, wäre vermutlich nicht nur mühsam, sondern auch kein passender Auftritt, beschloss er und sprang auf das erste, querstehende, Hausdach um die Lage zu überprüfen.

Vor dem rot bemalten hölzernen Tor, das in der Mitte des Hofes den privateren Teil andeutete, warteten Esel, die soeben beladen wurden. Dabei stand ein breitschultriger Yōkai, der Inu Yasha prompt auffiel. Er trug ein Kettenhemd, das fast bis zu den Knien reichte, war bewaffnet. Und, er besaß keine Haare. Da die anderen Leute, die aufluden, immer wieder zu ihm guckten, war der Hanyō sicher, dass es sich um diesen Wolfshund handeln musste, Daichi Okami. Die Tochter war nicht zu sehen, aber eine Sänfte wurde gerade zwischen zwei Eseln befestigt. Eindeutig wollte der Fürst aufbrechen. Das war ziemlich dumm, in jeder Beziehung.

Und da war ja auch der liebe Kori. Der Provinzfürst stand direkt vor dem anscheinend unwilligen Brautvater und erklärte etwas. Was, konnte Inu Yasha nicht wahrnehmen, obwohl es recht still im Hof war.

Vor dem Hauptgebäude des Schlosses stand die Fürstenmutter – und er war sicher, dass sie sich nicht gerade freute, obwohl sie regungslos blieb. Es war wohl höchste Zeit, dass sie zurückkamen. Noch hatte ihn niemand bemerkt.

 

Na, dann: „He, Kori!“ schrie er – und praktisch alle im Hof starrten zu ihm. Da er zum Sprung ansetzte, wichen die Krieger des Westens eilig zurück um einen Weg freizugeben. Er war mit zwei Sätzen bei den beiden Fürsten. Aha. Kori wurde ein bisschen blass um die Nase. „Sag mal, ist es vielleicht möglich, dass ich mal hierher komme ohne dass du mir sofort auf die Nerven gehst?“ Er sollte höflich sein, fiel ihm dann ein und so wandte er sich dem Wolfsfürsten zu: „Ihr seid Fürst Daichi Okami, nehme ich an. Da Ihr aufbrechen wollt – hat Euer Bote meine Worte falsch oder nicht ausgerichtet?“ Ha, Kagome wäre stolz auf ihn.

Der Fürst warf einen Blick zu Kori, der dem nichts Gutes verhieß, erwiderte jedoch: „Ich sehe, dass Ihr ein Hanyō seid. Wohl der Fürstenbruder, dessen Worte mir durchaus ausgerichtet wurden.“

„Ich sagte, dass sich mein Bruder auf einer Reise befindet und ich ihn unverzüglich suchen werde,“ beharrte Inu Yasha. „Und, dass ich ihn mit herbringe und Ihr die Gastfreundschaft Keibo-samas genießen solltet. Sollte die verehrte Stiefmutter Euch keine Gastfreundschaft gewährt haben?“ Er war stolz auf diese Formulierung. Das klang so gebildet.

„Ich kann mich nicht beklagen und meine Tochter auch nicht. Nur, ich sehe Fürst Sesshōmaru nicht bei Euch. Und mir wurde mitgeteilt, dass sich die Dinge geändert hatten.“

Kori! Aber, von dem hatte der das? Nur Stiefmütterchen und die Berater wussten vom Tode Sesshōmarus. Sie hatte gewiss ebenso wenig geplaudert wie Jaken oder Myōga. Kyoichi? Eher weniger. Blieb also nur Mamoru. Und, ach nein. Kori suchte den gerade mit dem Blick. Na, toll. Da sich der Herr Hund noch Zeit lassen wollte, war er wohl noch am Zug. Naja, reden konnte er schon immer. Aber schön höflich bleiben, damit er Bruderherz nicht noch die Ehe vermasselte. „Welche Dinge sollen sich denn geändert haben?“ Nur seine zuckenden Ohren verrieten, dass er in aller Regel nicht mit Fürsten in der Öffentlichkeit debattierte. Zumindest nicht ohne Schwert in der Klaue.

Fürst Daichi winkte ein wenig mit der Hand, sah sich jedoch zu seinem Ärger zu einer Rechtfertigung gezwungen. „Nun, ich wurde offenkundig falsch informiert. Mir wurde gesagt, dass Ihr Euch nicht mehr im Westen befindet, sondern in die Länder der Menschen gegangen wärt. Ich sehe allerdings Fürst Sesshōmaru nicht.“ Diesmal legte er Nachdruck in die Stimme. „Und, mir wurde gesagt, dass er … nun, auch nicht mehr zurückkehrt.“

„Na, ich bin hier. Und, übrigens, Kori hat Euch etwas angeschwindelt, würde ich sagen, ja. Aber, mal angenommen, der Herr des Westens weilte tatsächlich nicht mehr unter uns, wisst Ihr, was nach dem Vertrag dann geschieht?“

Ja, das wusste der Fürst natürlich. Dann würde der Hanyō den Westen erben und den Vertrag eben erfüllen. Er war nur, aufbrausend wie er war, wütend über das Hinhalten der Fürstenmutter geworden, nachdem ihm Kori versichert hatte, der Bruder wäre abgehauen. Was ganz offensichtlich nicht stimmte. Und der Provinzfürst versuchte sich auch soeben behutsam etwas aus der Nähe des offenkundigen Regenten zu entfernen. Keiner der Krieger machte auch nur eine Geste, dass sie den Halbbruder nicht als Erben anerkennen würde, zumal die Inu no Kami wohl auch mit ihm einverstanden war. Krieg mit dem Westen statt des ausgehandelten Nichtangriffspaktes gehörte nicht unbedingt zu seinen Wünschen. „Ihr steht zu dem Wort? Meine einzige Tochter wird Fürstengefährtin.“

„Das wird sie, ja.“ Wo steckte denn der Herr Hund? Auf was wartete der denn? Wenn das hier so weiterlief wurde doch noch er mit der Braut verheiratet. Sollte er sich noch mal Kori vorknöpfen? „Aber, du komischer Hund hier, kannst ja mir und auch Fürst Daichi erklären, was du dir bei dem Schwachsinn gedacht hast, den du da ausgebrütet hast? Wieso sollte ich in die Länder der Menschen gegangen sein, wenn ich doch etwas ganz anderes gesagt habe? Hast du gedacht, ich bin so ein Schwachmat wie du und lüge?“

 

Das zu bejahen würde ihn unverzüglich einen Kopf kürzer machen, das war Kori nur zu bewusst. Er lebte selbst die strikte Hierarchie. Als Mamoru ihm, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, anvertraut hatte, dass der Fürst tot sei, hatte er im Ergebnis sofort seine Chance erkannt. War Fürst Daichi erst einmal beleidigt abgereist, stünde ihm als ranghöchsten Mann im Schloss die Hand der Fürstenmutter zu. Mamoru mochte sich das ebenfalls erhoffen, aber ein Heermeister hatte vor einem Fürsten zurückzuweichen. Wieso also war der Hanyō wieder hier? Wo der doch angeblich jahrzehntelang bei den Menschen gelebt hatte? Und zwar offenkundig mit dem festen Vorsatz die Macht selbst zu ergreifen? Und, noch viel schlimmer, der sprach als ob der Fürst nicht verstorben sei. Wenn Sesshōmaru tatsächlich zurückkehrte, würde seine Mutter ihm sicher von den diversen Heiratsanträgen berichten. Kaum anzunehmen, dass der davon begeistert wäre. Und der dämliche Bastard warf einen Blick hinüber, wo auch Kori die Inu no Kami wusste, ehe er sich wieder ihm zuwandte.

 

Hoffentlich machte Bruderherz bald etwas, dachte Inu Yasha. So war der Stiefmutter nichts anzusehen, aber sie war garantiert besorgt, dass er hier allein aufgetaucht war. Vermutlich glaubte sie er habe versagt. Immerhin hatte ihr Blick auch Kori gegolten, einen Hinweis gebend. Und, da brauchte er nicht lange raten, was den Provinzfürsten da geritten hatte. „Ich verstehe schon. Fürst Daichi sollte abreisen, samt der Tochter, damit du hier freie Bahn hast. Überraschung, mein Lieber. Da haben nämlich noch einige andere Leute ein Wörtchen mitzureden. Ich zum Beispiel. Oder auch der Sohn und Vormund der Dame, die du heiraten willst, habe ich recht?“ Ups. Das hätte er vielleicht nicht so über den schweigenden Hof schreien sollen, denn in seinem Rücken erwuchs eine ungeheure Macht. Yōki, wie er es selbst von Sesshōmaru noch nicht so kannte.

 

Wie eine feurige Woge fegte die Energie knapp über die Köpfe der Krieger, wurde kurz vor dem hölzernen Tor emporgerissen und in die Atmosphäre geschleudert, nicht nur Stärke, sondern auch Beherrschung anzeigend. Haare waren angesengt und Seidenkleidung begann sich bei den Anwesenden im Hof zu kräuseln, was die allermeisten Yōkai für einen guten Moment hielten, sich auf die Knie zu werfen und die Stirn auf den Boden zu legen. Ungeachtet der Tatsache, dass sie die Augen schließen mussten, das Atmen schwer fiel, denn der Sand wurde fast zwanzig Zentimeter hoch aufgeweht, als der Fürst des Westens mit offenem Yōki aber ohne Eile den noch immer freigehaltenen Weg auf die Dreiergruppe zuging.

Kori fand das einen ausgezeichneten Augenblick sich flach auf die Erde zu legen, die Arme nach vorn ausgestreckt, die Finger gespreizt. Mehr als Demut zeigen blieb ihm gerade nicht übrig. Und dass Sesshōmaru zornig war, war kaum zu übersehen.

Fürst Daichi neigte höflich den Kopf. Er hatte gewusst, dass er mit den Yōkaifürsten der vier Länder nicht mithalten konnte, aber nie zuvor hatte sich der erfahrene und raue Krieger so, nun ja, beeindruckt gefühlt. Er war selbst ein Daiyōkai und Fürst – aber das war noch einmal eine andere Liga.

Inu Yasha drehte sich nicht um. Er wusste schließlich, wer kam. Sein Blick galt der Stiefmutter, die noch immer aufrecht stand, ihren Einzigen nicht aus den Augen ließ. Ihre Linke lag auf ihrem Herzen, die Rechte umklammerte das schwarze Medaillon. Dann sah sie zu ihm. Als sie seinem Blick begegnete, neigte sie ein wenig den Kopf. Ja, sie war dankbar, dachte er, dachte allerdings auch an die eigenen Eltern und an Kagome, die er nicht mit hatte nehmen können. Jaken, etwas hinter ihr, schien Tränen in den Augen zu haben. Irgendwo dort musste auch Myōga sein.

 

„Fürst Daichi,“ lautete denn auch nur die Begrüßung des Hausherrn, Kori ignorierend.

„Sesshōmaru-sama,“ erwiderte der verbindlich. „Ich erlaubte mir bereits Euren Bruder darauf aufmerksam zu machen, dass ich offensichtlich einem Missverständnis zum Opfer fiel.“

„Kyoichi.“

Der halblaute Name ließ den Haushofmeister das Kunststück vollbringen trotz seiner schweren Kleidung aufzuspringen, sich irgendwie durch die Menge zu drücken und wieder auf die Knie zu gehen.

Zur gewissen Erleichterung der meisten Anwesenden wurde die Energie des Fürsten wieder in ihn zurückgezogen, gebändigt nur durch den Willen. „Lasse Fürst Daichis Männern beim Abladen helfen. In einer halben Stunde soll die Zeremonie in der Audienzhalle stattfinden. - Komm.“

Das galt Inu Yasha, der allerdings für einen Moment zögerte, durchaus an den Provinzfürsten denkend. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Bruderherz den vergessen hatte – was Kori wohl erhoffte.

Mit einer nur scheinbar absichtslosen Schrittbewegung trat Sesshōmaru allerdings auf die linke Hand des Liegenden, dann mit dem linken Fuß auf die Rechte. Ein deutlich zu spürender Energiestoß ließ im schweigenden Hof jeden Yōkai vernehmen, wie Knochen brachen. Provinzfürst hin oder her – Kori würde Wochen, wenn nicht Monate, benötigen um seine Hände wieder gebrauchsfähig zu bekommen.

Als sei nichts geschehen ging der Herr des Westens weiter zum Vorbau des Schlosses, stieg die Stufen zu seiner Mutter empor, die leicht den Kopf neigte, jedoch nichts sagte. „In mein Arbeitszimmer.“ Sesshōmaru ging voran, sicher, dass auch der kleine Bruder ihm folgen würde. Der entsann sich gewiss, dass sie dort abhörsicher waren.

Erst dann wagten sich die Männer im Hof zu bewegen. Kori richtete sich auf. Die Hände schmerzten und er würde lange brauchen wieder ein Schwert packen zu können. Aber, immerhin, noch lebte er. Nun ja, noch.

 

Einen ähnlichen Gedanken hatte auch Mamoru. Es würde nicht lange dauern, bis der Herr oder der Hanyō herausfanden, welcher Berater geplaudert hatte. Er hatte eben geglaubt... Und, wenn es etwas gab, das man nicht tun sollte, so ein schwatzhafter Berater zu sein. Das war schlicht Hochverrat und er damit reif für das Schwert. Aber ein Fluchtversuch war absolut sinnlos. Kein Hundeyōkai entkam dem Herrn der Hunde. Selbst, wenn er in eines der anderen Fürstentümer fliehen wollte oder gar zu den Drachen – ein kleiner Zweizeiler Sesshōmarus und der entflohene Verräter würde in Ketten zurückgebracht. Sollte er gestehen? Vielleicht morgen? Wenn heute die Hochzeit war, würde doch vielleicht die junge Braut den Herrn milder stimmen? Aber, um ehrlich zu sein, glaubte das Mamoru selbst nicht.

 

Als die drei Familienmitglieder im Arbeitszimmer eingetroffen waren, hob Sesshōmaru etwas die Rechte um die Magie auszulösen. Inu Yasha bemerkte derweil, dass die Fürstenmutter sich daran machte, wie ihm zugesagt, vor ihm in die Knie zu gehen. Fast hastig packte er ihre Handgelenke, umfasste den Krepp dort.

„Bitte nicht, Keibo-sama,“ sagte er leise. „Ich bin sicher, früher oder später wird sich ein Weg finden, wie Ihr mir helfen könnt.“

Sie zog ihre Hände zurück und er gab sie sofort frei. „Ihr seid ein weiser Mann, Inu Yasha-sama. Ich danke Euch.“ Er hatte so viel von seinem Vater, dachte sie etwas wehmütig.

Sesshōmaru hatte die Szene mitbekommen und sah nun ein wenig misstrauisch geworden zwischen Mutter und Bruder hin und her. Soweit er wusste, ließ sie sich von niemandem berühren, geschweige denn von einem Halbmenschen. Was war in seiner Abwesenheit zwischen den Beiden vorgefallen? Aber zunächst stand anderes an. „Kori?“

Inu Yasha antwortete prompt, wenngleich überrascht, dass der Ältere nicht zugehört haben sollte, „Der Idiot hat gehört, vermutlich von Mamoru, würde ich sagen, dass du tot bist. Und er nahm an, dass ich wieder in die Menschenwelt zurückgegangen bin. Da er völlig verblödet ist, hatte er sich ausgemalt, dass er nur noch Daichi wegschicken muss um dann Keibo-sama zu heiraten und selbst hier der Chef... der Fürst zu werden.“

„Auch Mamoru wollte mich heiraten,“ ergänzte die Inu no Kami. „Und Fürst Daichi deutete auch gewisses Interesse an. Aber ihm war seine Tochter wichtiger.“ Um ihren Mund zuckte etwas Heiterkeit. „Dein Befehl lautet in einer halben Stunde soll die Zeremonie beginnen. Ich werde eine Hofdame um Takara senden.“

Das genügte ihren Sohn die Brauen zusammenziehen zu lassen. „Hat er zwei Töchter?“

„Nein. Sie bat nur die Dienerin, die ich ihr zur Verfügung stellte, darum so genannt zu werden, wie sie einst ihre Mutter nannte. Daichiko missfällt ihr wohl.“

Natürlich hatte Mutter eine der vertrautesten Dienerinnen abgestellt, die ihr ausführlich Bericht erstattete. Er kannte sie sein Leben lang. Und, wenn sie nun den Wunschnamen aussprach: „Sie scheint Euer Wohlwollen gefunden zu haben.“

„Du wirst dich weder an ihrem Aussehen noch ihrem Benehmen stören. Und, sie ist intelligent.“

„Schickt um sie.- Und Kyoichi soll herkommen.“

Als die Halbbrüder unter sich waren, machte Inu Yasha: „Äh, wie soll das denn ablaufen? Sicher nicht so wie bei mir und Kagome....“

„Kyoichi soll dir dein Zimmer zeigen und andere Kleidung bringen.“

„Was hast du gegen mein Feuerrattengewand?“ fuhr der Hanyō prompt auf.

Waren jüngere Brüder immer so schwierig? „Es riecht nach der Unterwelt.“

Das stimmte natürlich und war ihm selbst gar nicht mehr aufgefallen. Als er schnupperte, stieg ihm der Geruch nach Blut und anderen Dingen in die Nase. „Dann ziehst du dich auch um?“ Mist, ärgerte er sich. Sesshoumaru hatte seine neue Kleidung ja mit dem neuen Körper bekommen und war nicht damit diese Pfade langgelaufen.

„Ich lege die Schwerter ab.“

Na, immerhin.

 
 

Verträge der Youkai


 

I

nu Yasha folgte dem Haushofmeister, der nur - „Verzeihung, oyakata-sama“ - einen anderen weggeschickt hatte, in den privaten Trakt des Fürsten, mit einem raschen, unwillkürlichen Blick herum. Er war hier zwar schon einmal gewesen, schließlich hatte er eine Nacht im Zimmer des Hausherrn verbracht, aber dennoch war er überrascht wieder dorthin geführt zu werden. Nun gut. Fast. Wo sich auf der hinteren Seite die Tür zum Vorraum und dann dem Schlafzimmer des Fürsten befand, ging eine andere nach rechts ab, die Kyoichi beiseite schob.

So blieb er auf der Schwelle stehen und musterte den Raum. Den ihm nii-san zur Verfügung stellte. Ziemlich groß, übersichtlich und, wie eine zweite Tür im Hintergrund verriet – sogar mit eigenem Badezimmer. „Wer wohnt denn sonst hier?“ erkundigte er sich.

„Niemand, oyakata-sama. Das Schloss wurde ja erbaut, nachdem das Fürstentum in dieser Form entstanden war. Und dieser Raum wurde für den Thronfolger gedacht, wenn er alt genug wäre der mütterlichen Aufsicht entnommen zu werden.“ Jetzt war natürlich der Halbbruder des Fürsten der nächste Agnat am Thron.

Klar. Bruderherz dachte im Voraus, das musste er ihm wirklich zubilligen. Umso saurer dürfte der sein, dass das bei Ryuuichi ein wenig schief gelaufen war. Aber er ging rein, seine Oberbekleidung bereits öffnend. „Ich bekomme was anderes zum anziehen.“ Darin lag keine Frage.

Der Haushofmeister neigte jedoch den Kopf. „Ich schickte bereits um Seidenkleidung, oyakata-sama. Wünscht Ihr ein Bad?“

„Kann ich mich da hinten waschen?“

„Ja.“ Das war immerhin das versteckte Angebot gewesen ihm einen männlichen oder weiblichen Dienstboten zu schicken. Aber, wie auch der ehrenwerte Fürst nahm der Bruder alles wohl lieber selbst in die Klauen. „Wünscht Ihr noch weitere Auskünfte?“

Inu Yasha warf Kyoichi einen schrägen Blick zu. „Ich vermute, du hast kaum Zeit. Also, nein. Du kannst gehen.“ Irgendwie schien der Kerl überall gleichzeitig sein zu müssen und das auch zu schaffen – eindeutig keine Fehlbesetzung.

Das bedeutete, dass sich der junge Herr wirklich lieber selbst kümmerte und ihn seine Arbeit machen ließ. Nach allen Erfahrungen seines Lebens durchaus ein Zug im Westen. Er fand es nur erstaunlich, dass der, nun, in Gedanken durfte er es aussprechen, Bastard des verstorbenen Taishou so sehr dem Fürsten glich. Er verneigte sich allerdings nur höflich und wollte gehen, als bereits ein Diener ihm an der Tür entgegenkam, ein Päckchen Seide im Arm. Zu seiner Zufriedenheit stellte er fest, dass seine Mitarbeiter mitdachten, auch eine Binde für die Unterbekleidung war dabei. So nahm er es ab und wandte sich noch auf der Schwelle um. „Oyakata-sama?“

Der Hanyou musterte die Kleidung irritiert. „Blau-weiß?“ entfuhr es ihm. Gab es da nicht irgendwie eine Regel mit den Hausfarben?

Kyoichi erstarrte. Hatte er etwa falsch mitgedacht? Oh, nein, das konnte der doch nicht unter Youkai aufgewachsene junge Herr nicht wissen. „Das sind die Farben Eures verehrten Vaters,“ erklärte er darum. „Ich vermutete....“

Inu Yasha winkte schon ab. Er entsann sich nur zu gut, wie die Seele seines Vaters im yomi no kuni gekleidet gewesen war. „Sesshoumaru trägt rot und weiß.“

Oh. Der kannte sich doch aus. „Äh, ja, oyakata-sama. Das sind die Farben des Vaters seiner Mutter, des ersten ...sozusagen Fürsten der Familie, wenngleich natürlich das damalige Fürstentum klein war. Sesshoumaru-sama trägt es zu Ehren seines Großvaters. Allerdings, ich vermutete...“

„Ja, schon klar.“ Es war sicher keine Herabwürdigung, wenn man ihm die Farben seines Vaters gab, wie er im ersten Moment schon vermutet hatte. Er sollte dem Typen was zutrauen – und auch nicht vergessen, dass Bruderherz ihm was schuldig war. Der würde bei all seinem verqueren Denken von Ehre und Stolz nicht zulassen, dass er ihn blamierte. „Ach, noch was... holt mich jemand oder soll ich dann allein in die Audienzhalle gehen? Ja, ich kenne den Weg.“

„Das ist mir bewusst, oyakata-sama. Geht nur dorthin, wenn Ihr fertig seid. Es sind nur noch zwanzig Minuten.“ Kyoichi verschwand.

 

Was für eine reizende, kleine, Erinnerung. Und ja, wenn man es so nahm, seine gewöhnliche Kleidung stank wirklich zum Himmel oder nach yomi, wie man es nennen wollte. So zog sich Inu Yasha eilig um. Hm. So sah er seinem Vater schon ähnlich, dachte er. Seltsam. Und dann befiel ihn die Erkenntnis, dass er wohl auch soeben Kleidung seines Vaters trug. Niemand hatte doch in diesem altmodischen Youkaischloss dessen Farben einfach so tragen dürfen. Naja, Brüderchen vermutlich, aber sonst... Eigenartiges Gefühl. Er sah an sich hinunter. So wirkte er schon vornehm, zugegeben. Aber eigentlich auch wie in Verkleidung. Das rote Gewand aus Feuerrattenhaar war doch seins. Schön, erstens musste das gewaschen werden und zweitens – zur Hochzeit des Bruders konnte man sich schon mal fein machen. Was hätte wohl Kagome getragen? Kimono, klar, dazu sicher eine Perlenkette oder sonstigen Schmuck im Haar, vermutete er, wenn er so an Stiefmütterchen dachte.

Oh, er sollte wohl gehen. Zu spät zu der Zeremonie zu kommen würde ihm nicht nur einen bösen Blick des Bruders eintragen, daran war er gewöhnt, sondern auch dessen Spott für die nächsten Jahrhunderte, wenn sie sich trafen.

 

So kam er aus dem Privattrakt in die Audienzhalle. Der Youkai, der eilig die Tür vor ihm beiseite schob, nahm er nur am Rande wahr, zu erstaunt, dass die Halle leer war, ehe er doch den Kopf wandte, denn er spürte das Youki hinter sich. Die Fürstenmutter näherte sich mit zwei Hofdamen dahinter, die allerdings auf ihren Wink hin stehen blieben.

„Keibo-sama.“

„Inu Yasha-sama.“ Keine Bewegung verriet nach außen, wie sehr es sie getroffen hatte, dass er diese Kleidung trug. Im ersten Augenblick war es ihr erschienen als stünde dort der Inu no Taishou. Nur die Fellteile, die einen Daiyoukai anzeigten, oder. genauer, dessen Macht, fehlten einem Hanyou natürlich.

So meinte er: „Ich dachte schon ich bin zu früh, hier ist noch niemand.“

Er kannte sich mit dem Hofzeremoniell kaum aus. „Niemand der Beamten oder Gast trifft vor dem Fürsten ein,“ erläuterte sie und der Youkai, der zu beider Füßen kniete, konnte sich beim besten Willen nicht entsinnen, wann sie jemals jemandem etwas erklärt hatte – sah man natürlich von dem Herrn als Welpen ab.

Dann warten wir also, wollte Inu Yasha sagen, als er Sesshoumaru kommen sah. Falls der sich umgezogen hatte war das nicht zu erkennen, die Kleidung war wie immer, allerdings fehlten Schwerter und Rüstung. Immerhin. Fein gemacht für die Hochzeit konnte man das allerdings kaum nennen, befand er. Wobei, vielleicht war er da auch falsch gelagert, denn er hatte damals auch nur das Übliche getragen. Kagome war es gleich gewesen. Aber das war auch nicht so ein Brimborium gewesen, einfach das gegenseitige Versprechen. „Nii-san...“

Immerhin eine Begrüßung, wenngleich natürlich nicht hofmässig, befand der Hundefürst, hatte jedoch gute Gründe die Kritik zu verschweigen. Nicht kurz vor der Vertragsunterzeichnung und nicht, ehe er mit dem Bruder seinen Zukunftsplan besprochen hatte und dieser zugesagt hatte. Dieser sture Hund wäre in der Lage auf und davon zu rennen. „Gehen wir.“ Da der Rest seiner Familie auseinander wich machte er die ersten Schritte in den Audienzhalle und ließ sich auf seinem Platz nieder.

Inu Yasha folgte zwar, guckte aber dermaßen hilflos beiseite, dass ihm die Inu no Kami in einem seltsamen mütterlichen Gefühl mit einer Handbewegung anzeigte, dass er sich rechts hinter den Bruder zu knien hatte. Sie folgte links.

 

Da die beiden Youkai vollkommen regungslos blieben, folgte Inu Yasha etwas angespannt diesem Beispiel. Dieses formelle Knien war er nicht gewohnt und er spürte jetzt schon wie ihm die Beine weh tun würde, falls er sich wieder erheben sollte. Andererseits wollte er sich ja auch nicht gerade blamieren, zumal jetzt auch die gegenüberliegende Tür geöffnet wurde, Jaken mit einigen Rollen Papier hereinkam, andere Beamte, die sich mit einer tiefen Verneigung stumm an Plätze an der rechten Wand begaben, während der Kappa zum Podest kam und sich dort rechts niederließ. Alles wirkte wie einstudiert, befand der Hanyou. Irgendwie lächerlich. Aber natürlich war es bei Hofe so, das verriet seine doch immer deutlicher werdende Erinnerung an die Tage mit seiner Mutter. Auch da hatte es strenge Regeln gegeben, die er hatte lernen sollen und doch meist überhört hatte. Mama hatte dann geschimpft und er hatte im Nachhinein durchaus begriffen, dass sein Benehmen ihr Schwierigkeiten bereitet hatte.

Aha. Kyoichi führte Männer herein, die an der Rückseite der Halle platziert wurden, in der dunklen Kleidung, die er auch bei Fürst Daichi gesehen hatte. Das mussten dann dessen ranghöchste Leute sein, auch Zeugen dieser Zeremonie.

Wie lange sollte das denn noch dauern? Oh. Da tauchte der Fürst selbst auf, unbewaffnet und ohne Rüstung, neben sich, einen Schritt zurück, eine Frau in kostbarem, höfischen Kimono, über dem Kopf einen weißen Schleier, eindeutig die Braut. Sie wagte einen Blick in die Halle, ehe sie den Kopf wieder senkte und stumm neben ihrem Vater ging. Auf dessen Wink hin ließ sie sich nieder, mit einer Eleganz, die, wie die Fürstenmutter nur zu gut wusste, nur in langjähriger Übung gewonnen werden konnte. Auch sie hatte lernen müssen elegant aufzustehen, sich niederzulassen, stundenlang, bis die Gelenke schmerzten.

 

Während sich Daichi Okami auf seinen vorbestimmten Platz neben dem Gastgeber niederließ, betrachtete Inu Yasha seine zukünftige Schwägerin – oder eher das, was man von ihr sehen konnte, nämlich die Hülle. Irgendwie tat sie ihm leid, so allein unter den Augen aller Anwesenden vor ihrem Vater und dem zukünftigen Ehemann samt Familie zu knien, offenkundig darauf gedrillt nicht einmal aufzublicken. Sie musste doch neugierig auf Sesshoumaru sein? Oder war das einfach Youkai? Sie saß da, die Hände auf den Oberschenkeln, starrte zu Boden und bewegte sich nicht. Na, das hätte mal jemand mit Kagome machen sollen... Wieder dieser Stich im Herzen. Kagome. Ob und wann würden sie sich finden? Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen so einer Hochzeit beizuwohnen? Mitleid mit der Braut und Sehnsucht nach der eigenen Gefährtin...naja. Nicht nur für Daichiko würde das wohl eine sehr lange Zeremonie werden.

Was war denn jetzt los?

Ein Mann, sichtlich ein Beamter, kniete vor Daichi Okami nieder, so ähnlich wie Jaken vor Sesshoumaru, ebenfalls Papiere in der Hand.

„Beginnt,“ sagte der Hausherr an seinen potentiellen Schwiegervater gewandt, auch nicht willens, das hier länger dauern zu lassen als offiziell notwendig. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Nun, nicht körperlich, oder doch? Wie nannte man es, wenn man starb und wieder geboren wurde?

 

Fürst Daichi winkte seinem Beamten, der eilig eine Rolle öffnete und den Inhalt des Vertrages vorzulesen begann.

 

Inu Yasha langweilte sich nach drei Minuten. Der Vertrag war ihm egal. Ja, Nichtangriffspakt, gegenseitiger Beistand... das wusste er ja und ging ihn nun überhaupt nichts an. Außerdem hatte Stiefmütterchen ja zu erkennen geben, dass das der Köder gewesen war, nachdem Daichi geschnappt hatte. Denn der Haken an diesem Vertrag wurde soeben vorgelesen – die Braut war die einzige Tochter, genauer, das einzige Kind, und würde nach dem Tod ihres Vaters ihrem Ehemann die Herrschaft über dessen Fürstentum zu tragen. Der Beamte schwieg und er hoffte schon, dass jetzt etwas passieren würde, er aufstehen könnte, aber nun fasste Jaken nach einem Papier und begann vorzulesen. Es handelte sich um eine sachliche Auflistung der Gaben, die der Fürst des Westens an seinen Schwiegervater gab – kurz, der Brautpreis. Es musste schrecklich sein für die Braut mit den Waren aufgewogen zu werden, dachte der Hanyou. So und so viele Ballen Seide, Barren an Stahl und sonst was. Er wäre erstaunt gewesen, dass er sein Mitleid an die falsche Frau verschwendete.

 

Daichiko, die sich lieber Takara nennen lassen wollte, hatte ihr Leben lang gewusst, dass sie Handelsware war. Sie hatte seit frühester Kindheit mitbekommen, dass ihre Mutter, die offizielle Gefährtin des Fürsten, wirklich alles, jeden noch so entfernten Ratschlag nutzte, um doch noch einen Sohn und Erben zu bekommen, bis sie schließlich resigniert hatte und wie ein dürrer Baum im Winter geworden war. Ihr war daher immer klar gewesen, dass ihre Stellung als einziges Kind in dem Moment null und nichtig wäre, indem sie einen Bruder bekam. Und sie hatte gelernt, mit ihrer Mutter vor den Folgen jeder Nacht des Fürsten mit einer Konkubine zu zittern. Nur, solange sie das einzige Kind war, war sie als Faustpfand von erheblichem Wert für ihren Vater. Er konnte sie taktisch bei Verhandlungen einsetzen, die mächtigen Fürstentümer mit sich verhandeln lassen. Und, sie als Ehefrau in eine dieser mächtigen drei Youkaifamilien oder auch den Drachen zu geben. Und das wäre immerhin ein relativ geschütztes Leben als Fürstengefährtin. Was sie viel mehr gelernt hatte zu fürchten war die Alternative. Bekam ihr Vater einen Erben, würde der kaum mehr zulassen, dass ein potentieller Schwiegersohn Ansprüche erheben konnte. So, das war ihr gesagt worden, würde sie verheiratet werden, an einen älteren Vasallen, der bereits einen erwachsenen Sohn hatte und arm genug war, sich keine Hoffnungen zu machen.

Vor kurzem war ihr mitgeteilt worden, dass sie an den Fürsten des Westens verheiratet würde. Immerhin. Das Leben als Fürstengefährtin bot gewisse Sicherheiten in gewissem Luxus. Da ihr ebenso erzählt worden war, der sei ein erfolgreicher Heerführer, hatte sie allerdings angenommen, er sei älter. Der eine Blick, den sie gegen die Regel auf ihren Bräutigam riskiert hatte – und ihr Vater war sehr schnell mit Strafen zur Hand – hatte ihr jedoch gezeigt, dass er nicht allzuviel älter war als sie. Und, das gab sie sich ein wenig verschämt zu, nicht gerade hässlich war. Immerhin etwas, denn ihr war bewusst, dass er nach der Unterschrift des Vertrages als Ehemann und Fürst jedes Recht über sie besitzen würde.

Das führte zu etwas anderem. Sie waren bereits unterwegs gewesen, als der Bote, den ihr Vater geschickt hatte, zurückgekehrt war. In der verhüllten Sänfte sitzend, hatte sie zufällig mitanhören können, dass der Regent und Fürstenbruder auf die Nachricht antwortete. Das war natürlich ein fürchterlicher Schock für sie gewesen. Sie kannte ihren einzigen Lebenszweck, einen Erben zur Welt zu bringen. Der Druck war damit erheblich gestiegen, wenn der Herr des Westens bereits einen erwachsenen Bruder besaß und den auch noch als Regenten einsetzte, dem also vertraute. Sie war sich bewusst, dass dieser Youkai mit Sicherheit ihr größter Feind am Hofe war, bestimmt daran interessiert selbst an die Macht zu gelangen und seinen eigenen Sohn als Erben einzusetzen. Ihr durfte kein Fehler passieren, sie sich niemals den Anschein geben nicht sittsam zu sein.

Zugegeben, den nächsten Schock hatte sie bei der Ankunft im Schloss erhalten, als ihr Vater ihr aus der Sänfte half und erklärte, dass die Fürstenmutter als Regentin sie empfangen würde. Zuhause lebten die Frauen, Mutter und die Konkubinen, in einem Trakt, in einem gemeinsamen großen Raum, wo sie, mit Mutter und ihr an der Stirnseite, an den Wänden knieten, stickten, sich unterhielten – und nie in die Öffentlichkeit traten.

Sie hatte sie da zum ersten Mal gesehen, zum ersten Mal auch eine weibliche Daiyoukai gesehen. Und sie hatte jäh begriffen, dass das ihr Schicksal sein konnte: so dazustehen, in wertvolle Kimono gehüllt, umgeben von Hofdamen, Beratern und Militärs. Alles, was sie benötigte, war ein Sohn. Und sie hatte sich geschworen, dass sie alles, was sie an Klugheit und Ehrgeiz besaß, genau in dieses Ziel stecken würde – zu werden wie ihre künftige Schwiegermutter. Und dazu brauchte sie das Wohlwollen des Fürsten.

Sie sah ein wenig auf. Ihr Vater saß neben ihrem Bräutigam. Beide hatten die Klauen auf die Oberschenkel gelegt, hielten sich sonst regungslos. Das war natürlich dem Zeremoniell geschuldet. Vater forderte gerade seinen Minister zum Lesen auf, was er ihr an Sachen mitgegeben hatte. Er winkte mit der Hand in der gleichen Art, als ob er jemandem eine Ohrfeige gab. Er war schnell mit Strafen zur Hand und sie hatte von ihrer Mutter gelernt, wie man sich einem Fürsten gegenüber verhielt um unsichtbar zu sein. Die sicherste Methode einer Bestrafung zu entgehen. Das führte unweigerlich zu einer anderen Überlegung – wie würde Sesshoumaru sie bestrafen? Das er es täte, stand für sie außer Frage. Sie hatte schließlich oft genug mitbekommen, wie die Konkubinen Ohrfeigen einstecken mussten. Eine, die zu freche Antworten gegeben hatte, war nie wieder gesehen worden. Nun, immerhin schien ihre Schwiegermutter nett zu sein. Sie hatte ihr erlaubt mit ihr in den Garten zu gehen, hatte ihr auch die Hofdamen vorstellen lassen. Natürlich war ihr bewusst, wer die Ranghöhere war. Ein Fürst konnte mehrere Ehefrauen und Konkubinen besitzen – aber nur eine Mutter.

Dennoch waren ihr die letzten Tage in guter Erinnerung und sie wagte zu hoffen, dass es im Westen für sie besser laufen würde als zuhause. Mit einer behutsamen Frage – ob sie sich schon einmal die Räume der Gefährtin ansehen dürfe – war ihr der Frauentrakt gezeigt worden, natürlich ohne die Räume der Fürstenmutter. Und, das hatte sie erleichtert. Es gab dort nur die Trakte der Mutter, der Gefährtin und zwei Gästezimmer, in einem von denen sie untergebracht worden war. Keine Konkubinen, keine Konkurrenz. Eine zweite Frage, ob sie sich der künftigen Schwägerin vor oder nach der Hochzeit vorstellen solle, hatte ihr die Erleichterung verschafft, dass Inu Yasha, so hieß der Bruder, nicht verheiratet war, also, auch noch keinen Sohn besaß.

Es herrschte kurz Schweigen, ehe sie bemerkte, dass ihr Bräutigam – sie sah wohlweislich nicht auf, die Rechte auf dem Oberschenkel ruhen ließ, nur zwei Finger bewegte. Aber dessen Beamter las weiter vor. Er bewegte keine Hand, wie ihr Vater, nur zwei Finger. War das gut oder schlecht für sie? War er ruhig? Selbstbewusst? Dann, so wagte sie zu hoffen, würde er auch nicht im Affekt zuschlagen, ihr vielleicht eine gewisse Ahnungslosigkeit gegenüber den ungeschriebenen Regeln im Westen verzeihen. Wenn sie sah, mit welcher Selbstverständlichkeit seine Mutter als Regentin agierte, den Rat in seiner und des Bruders Abwesenheit leitete – vielleicht wurden hier Frauen doch ganz anders behandelt als zuhause? Nein. Das hier war jetzt ihr zuhause, sobald beide Fürsten den Vertrag unterschrieben hatten, sie von einer Hand in die andere gewandert war.

Und das war jetzt soweit. Die beiden Beamten standen auf und präsentierten die Verträge ihren Herren, überreichten in Tinte getunkte Federn. Das war keine Sache für die ein Namensstempel genügte.

Sie schielte weiter auf. Ja, unterschrieben war und nun wurden die Verträge gegenseitig ausgetauscht um erneut unterschreiben zu werden. Jede Partei erhielt so eine vollwertige Ausfertigung des Vertrages Und sie war nicht mehr Daichis Tochter. Nun ja, je nachdem, ob ihr nunmehriger Ehemann nicht in der Hochzeitsnacht einen Fehler finden würde, und sie unberührt mit bestem Dank zurückgeben würde. Sie hoffte inständig nicht. Vater würde ihr einen solchen Gesichtsverlust nicht verzeihen und sie schrecklich bestrafen.

Die Beamten zogen sich samt den Verträgen zurück und sie hörte zum ersten Mal bewusst die Stimme ihres Ehemanns: „Bringt meine Braut in den Frauentrakt, haha-ue, und lasst sie sich vorbereiten.“

 
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es kann nur besser werden.

Im nächsten Kapitel tun die fürstlichen Berater das, was sie am Besten können....raten.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Mission Impossible für Berater..

Frohe Weihnachten euch allen


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Es dürften sich noch einige Leute wünschen er hätte was anderes vorgehabt....

Guten Rutsch


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Unterschätze keinen Halbhund.
Das nächste Kapitel bietet das erste Zusammentreffen von Halbbruder und Mutter - mit gewissen Überraschungen.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Inu Yasha erkennt, dass er sich alles zu einfach vorgestellt hat. Was für eine Erkenntnis. Und ja, Berater, sollten Ideen haben. Und der neue, durchaus widerwillige Fürst auch. Dass diese dann überraschend sind, sollte niemanden wundern....

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel kommt vor Reisebegin allerdings ein Überraschungsbesuch, der Inu Yasha unter Zeitdruck setzt...

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Inu Yasha bemüht sich redlich den ehrenhaften Weg des Kriegers zu gehen und nii-san keine Schande zu machen, aber da könnte es noch die eine oder andere Schwierigkeit geben, schon mal im nächsten Kapitel: See der Schwelle.


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel zeigt das "Glück des Hanyo" - und davon sollte der große Bruder besser nie erfahren....


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Der große Bruder sollte vielleicht besser nie erfahren, warum der Jüngere der Liebling der Glücksgöttin ist.
Und Inu Yasha sollte aufhören Kami Kopfschmerzen zu bereiten.
Das nächste Kapitelbringt jedoch: Die Prüfung des Kami.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn jetzt jemand etwas Falsches sagt, hat die Unterwelt einen amoklaufenden Halbdämon samt Tenseiga am Hals... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel bietet ein Höllentor mit leicht überfordertem Wächter und ein Portal, das
so noch nie erschaffen wurde, in das sich die Halbbrüder allerdings gemeinsam stürzen- und die kleinen Überraschungen dann auch gemeinsam durchstehen sollten. Kleine Meinungsverschiedenheiten sind vorprogrammiert....
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Herrin der Unterwelt oder im Takamahara -

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielleicht sollte der werte Herr des Westens die Frage umformulieren: wie konnte man nur mit einem so loyalen klerinen Bruder gesegnet sein?
Was weiter im Portal passiert, werdet ihr nächste Woche erfahren.

Frohe Ostern.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Äh, was? Ist da jemandem sein Tod nicht bekommen? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel bietet eine,äh...romantische Hochzeit und einige Neuigkeiten.


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Nachwort zu diesem Kapitel:
Es soll Leute geben, die bei einem Autokauf oder-verkauf mehr Emotionen haben...


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Kommentare zu dieser Fanfic (30)
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Von:  DuchessOfBoredom
2024-05-05T06:19:01+00:00 05.05.2024 08:19
Oh, das war ein sehr befriedigendes Kapitel, es ist einfach immer sehr cool, wenn Sesshoumaru ein bisschen mit seiner Macht protzen kann ;D Sehr schön auch, wie sich die beiden Brüder jetzt aufeinander verlassen und auch Sesshoumarus Mutter so angetan von Inu Yasha ist. Ich bin schon gespannt, was das nächste Kapitel dann auch an Zukunftsaussichten für Inu Yasha bringt :)
Von:  Sanguisdeci
2024-04-28T08:08:02+00:00 28.04.2024 10:08
Ein sehr schönes Kapitel! Ich bin auf die Hochzeit gespannt, ebenso wie auf die Dinge, die noch kommen werden *-*
Von:  DuchessOfBoredom
2024-04-16T05:25:08+00:00 16.04.2024 07:25
Wow, okay, also macht Sesshoumaru aus dem eigentlich recht kurzen Prozess jetzt doch einen längeren und grausameren. Aber natürlich hat dieser Drache sich das auch selbst zuzuschreiben.
Und sehr cool, wie sich das Vertrauen zwischen den beiden nochmal gefestigt hat und dass beide durch den Trip in die Unterwelt nochmal stärker geworden sind. Umso sicherer wird der Westen jetzt sein ;)
Von:  DuchessOfBoredom
2024-04-14T13:27:03+00:00 14.04.2024 15:27
Okay, gut, dass alles geklappt hat und jeder wieder einen eigenen Körper hat. Sonst wäre die Hochzeitsnacht wirklich awkward geworden XD
Und Sesshoumarus doch sehr ... pragmatische Vorstellungen von Ehe sind schon amüsant, wenn auch in seiner Position sicherlich angemessen und realistisch, wenn die gute Dame nicht ein bisschen was mitbringt im Hinblick auf Aussehen, Charakter und Fähigkeiten. Sagen wir mal so: Ich wünsche ihr, dass sie all das hat, ansonsten wird sie nicht viel Freude an der Verbindung haben. ;D
Und Sessoumarus Vertauensbeweis war einfach schön zu lesen am Ende, und ich glaube auch etwas, das Inu Yasha sehr gut getan hat zu hören. :)
Antwort von:  Hotepneith
14.04.2024 15:33
Danke, ja, das sollte man für die Fürstentochter hoffen, denn der werte Herr würde das sicher durchziehn...

Das nächste Kapitel bringt erst mal etwas zum Thema brüderliche Gefühle. Oder, überhaupt, Gefühle.



hotep
Von:  DuchessOfBoredom
2024-04-02T05:49:35+00:00 02.04.2024 07:49
Ach, ich finde es immer wieder schön, wenn die beiden ihrem Vater begegnen und die besondere Beziehung der drei jeweils miteinander greifbar wird. :) Auch die Verbindung zur Mondgöttin ergibt eine Menge Sinn und man sieht, dass eben auch ein Sesshoumaru noch lange nicht alles weiß. ;)
Und jetzt im Portal hoffe ich einfach mal, dass Sessoumaru und Inu Yasha sich noch auseinander sortieren können, sonst haben hinterher alle Beteiligten nicht wirklich Freude an der Rückkehr ;P
Antwort von:  Hotepneith
03.04.2024 09:41
Ja, der mächtige Sesshoumaru ist eben doch noch fast ein Teenie.. Und er unterschätzt seine Mutter. Ihr wäre es sicher lieber, ihren eigenen Sohn vor sich zu sehen - aber ntofalls würde sie vermutlich die zwei "Helden" auch gemeinsam in einem Körper ertragen, falls es denn der des Sohnes wäre...
Aber, es gibt ja bekanntermaßen für alles eine Lösung... und ich hoffe, die Dialoge im nächsten Kapitel sind auch glaubwürdig bzw. amüsant.

hotep.
Von:  Sanguisdeci
2024-03-31T08:36:32+00:00 31.03.2024 10:36
Auch dir Frohe Ostern :) Und danke für dieses schöne Geschenk!
Von:  DuchessOfBoredom
2024-03-24T06:01:05+00:00 24.03.2024 07:01
Wie gut, dass Kagome wieder mal die Stimme der Vernunft war, wobei ich schon glaube, dass es Inu Yasha auch so geschafft hätte die richtige Entscheidung zu treffen, aber es wäre wohl noch um einiges schwerer geworden als ohnehin schon. Und schön, dass tatsächlich so ein kleines Familientreffen zustande gekommen ist - ich finde es immer toll, wenn der Inu no Taishou vorkommt und die Gelegenheit bekommt, ein bisschen stolz auf seine beiden Söhne schauen zu können ;)
Und auf Sessoumarus und Inu Yashas bereits angedeutetes und notwendiges Danksagungsgespräch bin ich schon jetzt sehr gespannt! :)
Antwort von:  Hotepneith
24.03.2024 08:34
Dankeschön.
Notwendiges Danksagungsgespräch ....für wen notwendig?
Und, es könnte unangenehm werden. Nachdem der große Bruder schon mal andeutete, die Wahrheit sagen zu wollen.... Könnte das nicht darin bestehen röchelnd zu sagen. Ich bin dein Vater?
Naja, das könnte dann wikrliche Komplikationen bedeuten:) Ich hoffe mal, dass ich davon abgesehen habe.


hotep
Antwort von:  DuchessOfBoredom
24.03.2024 19:11
Ich würde sagen notwendig für beide: also für Sesshoumaru, um Danke zu sagen (oder eben die Wahrheit, was auch immer das genau bedeutet - ich bin sehr gespannt!), denn Inu Yasha ist ja nun mal durch die Hölle gegangen mehr oder weniger für ihn, und für Inu Yasha notwendig, um genau dieses Danke zu hören. Ob das tatsächlich passiert - nun, das bleibt wohl abzuwarten. Aber angebracht wäre es auf jeden Fall ;D
Von:  Sanguisdeci
2024-03-23T12:06:12+00:00 23.03.2024 13:06
Herrlich! Einfach nur herrlich! Danke!
Antwort von:  Hotepneith
23.03.2024 14:38
Danke meinerseits - auch, wenn ein kleiner Hund gerade nicht deiner meinung sein dürfte:)
hotep
Von:  DuchessOfBoredom
2024-03-19T07:07:36+00:00 19.03.2024 08:07
Oh Mann, ja, das ist wirklich gemein, Inu Yasha dazu zu zwingen Kagome zurückzulassen, um Sesshoumaru rauszuholen. Aber es war klar, dass ihm diese Entscheidung früher oder später abverlangt werden würde und ich gehe fest davon aus, wenn man ihm die Zeit lässt, mit Kagome zu sprechen, dann wird sie ihm schon ebenfalls sagen, dass er sie zurücklassen soll angesichts dessen, was auf dem Spiel steht. Mal ganz davon abgesehen, dass er es sich eigentlich nicht leisten kann, viel Zeit mit ihr zu "vergeuden" – was sicherlich auch Teil der Prüfung ist.
Aber ich könnte mir vorstellen, dass er am Ende vllt sogar doch mehr mitnimmt als vorher gedacht, aber ich lasse mich überraschen ;)
Antwort von:  Hotepneith
19.03.2024 08:19
Naja, ich will nicht spoilern... Und, es soll ja spannend bleiben. Jedenfalls baut da jemand langsam aber sicher Agressionen auf.
Wir werden ja im nächsten Kapitel sehen, was passiert (heisst so schön: Tore der Hölle)


hotep
Von:  DuchessOfBoredom
2024-03-11T05:31:06+00:00 11.03.2024 06:31
Sehr souverän gelöst von Inu Yasha! Ich habe da so eine Ahnung, wie die letzte Prüfung aussehen könnte, und wenn die eintrifft, dann wird es wirklich schwer für ihn. Aber erstmal kommt der Dämon, der auf Blut tanzt. Geschickt kann Inu Yasha ja durchaus sein, also mal schauen, was passiert ;)
Antwort von:  Hotepneith
11.03.2024 14:13
Solange er Schwerter, äh, Leute dabei hat, die ihm sagen, was er lieber machensollte, könnte es klappen. Falls er seinen eigenen Kopf durchzieht ....sollte man hoffen, dass er eine gute Halftpflichtversicherung hat.


hotep


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