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Die Prinzessin aus Marzipan

Phantasiestück in fünf Aufzügen
von

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4. Aufzug, 3. Bild

Ankleideraum des Prinzen Jakob
 

Im prinzlichen Ankleideraum fanden Hofastronom und Hofzauberer den Prinzen und, ein wenig durchsichtig, den Geist der Prinzessin Helene vor. Dem Mädchen entfuhr ein entzücktes Kreischen, als sie ihrer leiblichen Hülle ansichtig wurde. "Oh, mein Geliebter!" rief sie dann aus. "Gleich werde ich Dir als wahrhaftiger Mensch in die Arme fliegen." Sprachs und verschwand als dünner Rauchfaden in ihrem Körper.
 

"Beeilt Euch, Meister Hofzauberer", drängte der Prinz. "Jede Minute, die sie mir fern ist, schmerzt mich zutiefst."
 

"Sie hätte nicht sofort in ihren Körper zurückgedurft", sagte der Hofzauberer mißmutig. "Zuerst hätte ich die Wunde schließen müssen. Bei einem leeren Körper ist das viel einfacher, als bei einem begeisterten. Warum haben es diese jungen Leute immer so eilig?"
 

Doch dann beugte er sich über den Leichnam der Prinzessin und begutachtete ihn, indem er seine Handflächen wenige Millimeter über dem Seidenkleid über ihren Körper gleiten ließ. "Soweit ich erkennen kann, weist der Körper überhaupt keine Wunde auf. Wie ist das möglich?" Mit einem fragenden Blick wandte er sich an den Hofastronomen, der nur wortlos mit den Schultern zucken konnte. "Doch, ich habe etwas entdeckt... nein, es ist kein tödliches Gift... ein... Konservierungsgift! Sie hat wirklich nur geschlafen."
 

"Aber warum waren dann Geist und Körper voneinander getrennt?" fragte der Hofastronom.
 

"Das kommt bisweilen vor", erklärte der Hofzauberer und richtete sich auf. "Selbst bei einem ganz gewöhnlichen Schlaf kommt es manchmal dazu, daß Körper und Geist sich trennen...  die eigentliche Frage ist, warum sie überhaupt dieses Konservierungsgift genommen hat." Plötzlich entdeckte der Hofzauberer an der rechten Hand der Prinzessin einen silbernen Ring mit einem großen, bläulich leuchtenden Stein. Vorsichtig zog er den Ring von der leblosen Hand. "Sieh mal einer an", sagte er dann mit einem befriedigten Lächeln, "ein Zeitstein."
 

"Häh?" fragte der König und zupfte nervös an den Ärmelaufschlägen seines Festgewandes.
 

"Ein Zeitstein", wiederholte der Hofzauberer. "Bis vor knapp hundert Jahren waren sie allgemein gebräuchlich. Man kann in ihnen die Zukunft sehen, meist sind sie aber recht unzuverlässig. Dieser hier ist auf die persönliche Zukunft der Prinzessin Helene eingestellt, daher die blaue Farbe. Und die Zukunft, die er zeigt, ist..." Mit kritisch zusammengekniffenen Augen begutachtete der Hofzauberer den Stein in der Sonne, die den ganzen Ankleideraum erstrahlen ließ. "Kein Wunder, daß sie ein Konservierungsgift nahm. Dieser Stein zeigt ihr eine große Liebe in weiter Zukunft: Einen Prinz dieses Schlosses, den sie an einem sonnigen Spätsommertag in diesem Ankleideraum kennenlernen wird. Und das Gesicht, daß der Stein zeigt, ist ohne jeden Zweifel das Gesicht unseres Prinzen Jakob."
 

"Dann ist der Chronik also nicht völlig zu trauen", murmelte der Hofastronom nachdenklich.
 

Der Hofzauberer zupfte an seiner Unterlippe und musterte die Liegende mit seinen grünen Augen. "Vermutlich hat die Prinzessin das Chaos der kämpfenden Brüder genutzt oder sogar inszeniert und..."
 

"So belebt sie doch endlich", verlangte der Prinz.
 

"Aber natürlich, Prinz." Einige rasche Handbewegungen und ein paar genuschelte Worte veranlaßten die Prinzessin, zu atmen, dann schlug sie endlich die Augen auf. Mit einem Fingerschnipsen verlangte der Hofzauberer nach dem Bekörperungstrank, den er der Prinzessin Helene mit der Bemerkung "Das kann bestimmt nichts schaden", einflößte.
 

Die Prinzessin würgte. "Wein!" verlangte sie.
 

"Zuerst Brei", bestimmte der Hofzauberer und ließ sich von einem Küchenjungen, der gerade den Ankleideraum betreten hatte, eine Schüssel Weizenbrei geben.
 

"Wie geht es Euch?" fragte die Königin besorgt, nachdem die Prinzessin zwei große Breischüsseln geleert hatte.
 

Der Hofzauberer reichte der Prinzessin endlich einen Kelch voll Wein und zwischen zwei Schlücken antwortete sie: "Ich bin sehr hungrig!"
 

"Da läßt sich leicht Abhilfe schaffen", sagte der König beruhigend. "Die Verlobungen hier auf der Wasserburg sind berühmt für ihre großartigen Banketts."
 

"Ist hier die Bekörperte?" fragte ein kleiner, dicker, kahler Mann in einer fleckigen Soutane, dem vom Hofstaat bereitwillig ein breiter Weg freigegeben wurde.
 

"Seid Ihr der Wanderprediger von der Goldenen Schüssel?" fragte der Hofastronom zurück.
 

"In der Tat, der bin ich", antwortete der Wanderprediger mit einigem Stolz und verwies auf eine goldene Anstecknadel in Form einer Suppenterrine am Kragen seines Gewandes.
 

"Legt der Prinzessin Helene von den Nordsümpfen bitte in knappen Worten dar, um was es sich bei Eurem Glauben im Wesentlichen handelt und beschränkt Eure Ausführungen nach Möglichkeit auf circa zehn Minuten. Dann laßt die Prinzessin die wichtigsten Punkte wiederholen und kommt mit ihr nach unten in den Festsaal", wies der Hofzauberer ihn ein, dann wandten sich Hofzauberer und Hofastronom zum Gehen und winkten die anderen, bis auf den Küchenjungen mit dem Brei, heraus. Schweren Herzens ließ sogar Prinz Jakob seine Geliebte für eine Weile allein.
 

"Ihr habt gute Arbeit geleistet", lobte der König Hofastronomen und Hofzauberer auf dem Flur. "Das wird sich mit Sicherheit auf Euer Gehalt auswirken." Dann reichte er beiden seine königliche Hand, um seine besondere Anerkennung auszudrücken.
 

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