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Die Prinzessin aus Marzipan

Phantasiestück in fünf Aufzügen
von

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4. Aufzug, 1. Bild und 2. Bild

4. Aufzug, 1. Bild
 

Turmzimmer des Hofzauberers
 

Der Hofzauberer verglich den unappetitlichen Inhalt der Gefäße auf dem Tisch vor sich mit einer fleckige Liste, die er in der Hand hielt. "Ich denke, wir haben alles", sagte er schließlich und drehte sich zum Hofastronomen um, der sich locker gegen die Wand lehnte und dem Metrol-hicker, den der Hofzauberer wenige Minuten zuvor beschworen hatte, immer wieder skeptische Blicke zuwarf. Die Beschwörungszeremonie selbst hatte der Hofastronom nicht miterlebt, aber der halb verwischte, mit roter Kreide gezogene Drudenfuß, die abgebrannten Kerzen an den Strahlenenden und große Kleckse einer gallertartigen giftgrünen Masse sprachen auch für einen Laien eine deutliche Sprache.
 

Der sehr magere, ziemlich große Dämon sah sich forschend im Turmzimmer des Hofzauberers um und rümpfte ob der Flaschen und Gläser mit ihrem blubbernden Inhalt, die für den Bekörperungstrank gebraucht wurden, die schmale Nase.
 

Es klopfte verhalten an der Turmzimmertür. "Meister, der Konditor ist soweit. Wollt Ihr bitte kommen?" rief der Lehrling des Hofastronomen von draußen.
 

"Noch ein paar Minuten", rief der Hofzauberer. "Wir kommen sofort." Dann nahm er einen großen Kupfertopf von einem überfüllten Regal und begann, leise vor sich hinmurmelnd, die verschiedenen Flüssigkeiten und Pulver miteinander zu verrühren. Endlich, nachdem der Hofzauberer zu der dunklen, fast schwarzen, dickflüssigen Brühe, eine leuchtend blaue Flüssigkeit hinzugefügt hatte, färbte sich die Mischung gelb. Da der Hofastronom noch einiges von dem Rezept des Trankes in Erinnerung hatte, wußte er, daß das Mischen seinem Ende zuging.
 

Endlich füllte der Hofzauberer die letztendlich zartrosa gefärbte und auf unerklärliche Weise auf weniger als ein Drittel ihres vorherigen Volumens verminderte Flüssigkeit in einen goldenen Kelch, der ebenfalls auf dem Tisch bereitgestanden hatte. Den Kelch reichte der Hofzauberer dem Hofastronomen, er selbst führte den Dämon aus dem Turmzimmer.
 

*
 

4. Aufzug, 2. Bild
 

Burggarten der Wasserburg 'Königsblick'
 

Hofzauberer, gefolgt von dem kürzlich beschworenen Metrol-hicker, und Hofastronom, den goldenen Kelch mit dem Bekörperungstrank in den Händen haltend, gingen die Treppe hinunter, durch den gepflasterten Innenhof, bis in den Garten, in dem bereits alle versammelt waren. Die beiden Schaustellerneffen in ihren goldenen Gewändern warteten, einer mit dem silbernen Spaten in der Hand, in der Nähe des Holunderbusches. Ebenfalls in der Nähe lag ein damastenes Tischtuch bereit, eigentlich für die große Tafel im Festsaal der Wasserburg bestimmt, um darauf die Prinzessinenknochen zu betten.
 

Zwischen Dutzenden von riesigen Schüsseln, die bis an den Rand mit feinstem Maraschinomarzipan gefüllt waren, stand der untersetzte Konditor der Burg, neben ihm der Hofbildhauer, der bereits seine Instrumente vorbereitete. Schon ein paar Tage zuvor, als die Hofküche mit der Zubereitung des Marzipans beschäftigt war, hatte der Hofbildhauer den Prinzen um eine genaue Beschreibung des Geistes gebeten, nach der er ein Portrait angefertigt hatte, sowie eine Skizze mit den ungefähren Körpermaßen der Prinzessin.
 

Auf zwei in den Garten getragenen seidenbespannten Sesseln saßen Ihre Majestäten, umgeben von ihrem Hofstaat, unter einem Sonnensegel, obwohl die Sonne sich bisher noch nicht blicken ließ. Wie fast jeden Tag war der Himmel eher grau und die Luft diesig, so daß man kaum die schwarzweißen Reichsflaggen auf den beide Turmspitzen erkennen konnte.
 

"Majestäten, dies ist der Metrol-hicker, den ich beschworen habe", stellte der Hofzauberer den Dämon vor.
 

Der Dämon sah sich Ihre Majestäten mit abfälligen Blicken an und drehte sich dann demonstrativ zu dem Holunderbusch um, vor dem die beiden Jünglinge warteten.
 

"Majestäten, Ihr müßt entschuldigen", sagte der Hofzauberer schnell. "Metrol-hicker halten sich oft für etwas Besseres und leider können wir auf ihn nicht verzichten..." Ein Stoßgebet an seine Heiligen auf den Lippen eilte der Hofzauberer dann dem Dämon hinterher, der inzwischen auf die Jünglinge zuging, die auf den Startbefehl warteten.
 

"Wenn er allerdings seine Arbeit nicht tut, werde ich wohl den Vertrag kündigen und einen anderen Metrol-hicker verpflichten müssen", sagte der Hofzauberer im Gehen laut.
 

Der Metrol-hicker blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, dann drehte er sich um und kam gemessenen Schrittes zurück zu seinem Meister und Ihren Majestäten.
 

"Wir brauchen mindestens für drei Tage strahlenden Sonnenschein und einen überaus klaren Himmel", befahl der Hofzauberer.
 

Der Metrol-hicker maß seinen Meister mit einem verächtlichen Blick, machte dann eine kurze Handbewegung und in Sekundenschnelle öffnete sich die dicke Wolkendecke und immer mehr Sonnenstrahlen drangen durch. Die kümmerlichen Sonnenblüten an der Südmauer des Burggartens reckten sich begeistert und schon wenig später leuchtete die Südmauer in ihrem eigenen Licht.
 

"Ich denke, jetzt können wir beginnen", sagte die Königin mit einem fragenden Blick zum Hofzauberer.
 

"Aber sicher", sagte der Hofzauberer und verneigte sich tief. "Du, mit dem Spaten", befahl er dann, "beginne Du, den Holunderstrauch auszugraben."
 

Der Jüngling mit dem Spaten nickte und begann zu graben, der andere kam zu Ihren Majestäten, stellte sich neben den Metrol-hicker und blickte bewundernd zu ihm auf.
 

Im Gartenpavillon, den Ihre Majestäten bereits zur bevorstehenden Verlobung ihres Sohnes hatten errichten lassen, begannen drei Musiker zu spielen, und die lieblichen Klänge zogen durch den spätsommerlichen Garten.
 

"Was kommt denn als nächstes?" fragte der König im Flüsterton den Hofastronomen, der in seiner Nähe stand und sich des Goldkelches bereits entledigt hatte. Der Kelch stand jetzt sicher auf dem Tablett eines eigens dafür abgestellten Dieners unter der Aufsicht eines Reichshauptwachmannes.
 

"Nun, der Holunder wird ausgegraben", antwortete der Hofastronom ebenso leise, "die Knochen der Prinzessin werden auf dem Tuch gesammelt und schließlich von Eurem Bildhauer mit dem Marzipan zu einem Körper geformt. Dies alles wird hier im Garten geschehen. Anschließend wird der Körper in den Ankleideraum des Prinzen getragen werden, in dem, dank des Sonnenscheins und der Anwesenheit des Prinzen Jakob, der Geist der Prinzessin Helene von den Nordsümpfen erscheinen wird. Euer Hofzauberer wird den Geist bewegen, sich in den Körper zu begeben und der Prinzessin den Inhalt jenes Kelches einflößen, den der Diener dort drüben hält. Danach wird ihr ein Weizenbrei gereicht, der bereits in der Küche zubereitet wird und anschließend ein Glas des 'Glücklichen Goldtröpfchens', jenes weißen Weines, den Eure Majestäten zu Eurem diesjährigen Hochzeitstag geschenkt bekamen. Darauf wird die Prinzessin in einem bereits vorbereiteten Gästezimmer zum Schlafen gebettet und morgen geweckt. Sie bekommt ein zweites Mal einen Weizenbrei zu essen, ihr wird ein Spiegel vorgehalten, und dann wird der Wanderprediger von der Goldenen Schüssel zu ihr gebracht, um mit ihr zu sprechen. Anschließend kann die Verlobung gefeiert werden."
 

"Wie schön", sagte die Königin, die ebenfalls den Ausführungen des Hofastronomen gelauscht hatte. "Die Prinzessin wird morgen ihren Brautschmuck von mir bekommen."
 

Inzwischen hatte der Jüngling rund um die Wurzeln des Holunderbusches die Erde aufgegraben und begann, den riesigen Busch mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft aus dem Erdloch zu zerren.
 

"Kann dem Jungen denn nicht mal jemand helfen?" fragte die Königin besorgt.
 

Der Hofzauberer verneigte sich entschuldigend. "Das ist leider vollkommen unmöglich, Majestäten, denn allein die Hände dieses unberührten Jünglings dürfen den Holunderbusch berühren."
 

"Und was ist mit seinem Bruder?" fragte der König mit einem Nicken in Richtung des Jünglings und des Metrol-hickers, die beide interessiert der Arbeit des anderen Jünglings zusahen.
 

"Den brauchen wir für das Zurückpflanzen des Busches", erklärte der Hofastronom beflissen. Und eigentlich, dachte er sich, konnte der Junge von Glück sagen, daß der alte Holunderbusch schon vor einigen Jahren verfault war, denn ein knapp vierhundertjähriges Ungetüm hätte ein fünfzehnjähriger Knabe wohl kaum ausgraben können. Der jetzt bearbeitete Busch war ein Ableger des alten und wuchs erst seit etwa fünf Jahren an der Stelle, trotzdem hatte er schon eine beachtliche Größe erreicht.
 

Endlich hatte der Jüngling den Holunderbusch ausgepflanzt und zog ihn über den Rasen bis zur Westmauer des Gartens, was knapp vier Schritte waren. Dann kam er zu Ihren Majestäten, das goldene Gewand mit Erdklumpen beschmutzt, in seinen Haaren Blätter und Früchte des Holunderbusches und mit schweißüberströmtem, erhitzten Gesicht. Doch sein glückliches Lächeln zeigte, daß sich die Anstrengung für ihn offenbar gelohnt hatte.
 

"Du hast gut gearbeitet", lobte der König.
 

"Oh, Majestäten", sagte da der Jüngling, noch ganz außer Atem und warf den Spaten achtlos in die Richtung seines Bruders, der ihn geschickt auffing, "etwas so Wunderbares ist mir in meinem Leben bisher nicht geschehen. Als ich anhub zu graben war mir, als erscheine mir ein junges Mädchen, in ein grünes Gewand aus Blättern gekleidet, sogar mit grünen Haaren und mit Augen, so dunkelviolett wie zwei Holunderbeeren. Und dieses Mädchen betörte mich und ich weiß nicht wie mir geschah, aber ich vergaß die Welt um mich und wachte aus dieser Verzückung erst auf, als ich die kalte Gartenmauer an meinem Rücken spührte..."
 

"So laßt uns denn die Gebeine der Prinzessin aus der Erde holen", unterbrach der Hofzauberer die Ausführungen des Jünglings schroff und begab sich mit forschen Schritten zu der Stelle, an der der Holunderbusch gestanden hatte.
 

Mit gewöhnlichen Spaten gruben drei Diener nach den Anweisungen des Hofzauberers und des Hofastronomen in dem Erdloch und förderten vier alte Dachziegel, einen durchgerosteten Waschzuber, verschiedene Steine zu insgesamt ungefähr zwölf Kilo und eine zerbrochene Blumenschale zutage. Endlich stießen sie jedoch auf zwei Bleisärge, einer mit dem zerkratzten Wappen der Silberberge, der andere in den ausgeblichenen Farben der Nordsümpfe. Auf den zeigte der Hofastronom und befahl, den Sarg zu heben.
 

Seine Scharniere und Schlösser, aus Eisen gefertigt, waren durch die Nässe des Erdreiches vollkommen verrostet, so daß ein Stemmeisen geholt werden mußte, um den Sarg zu öffnen. Während dessen wurde die Grube wieder mit Erdreich gefüllt und der zweite Jüngling machte sich daran, unter der gleichen Verzückung wie sein Bruder den Holunderbusch zurückzupflanzen.
 

"Was wir in dem Sarg wohl vorfinden werden?" überlegte die Königin mit wohligem Schauder in der Stimme.
 

"Nun, den Leichnam der Prinzessin Helene hoffe ich", sagte der Hofastronom leicht befremdet. "Wir wissen natürlich nichts über das Stadium seines Verfalls."
 

Diener wurden angewiesen, den Deckel des Bleisarges aufzustemmen, Hofzauberer und Hofastronom blieben in sicherer Entfernung, jedoch so nahe, daß sie alles genau verfolgen konnten.
 

Statt einer Wolke Verwesungsgeruch entströmte dem Sarg der konzentrierte Duft von Lilien und Rosen, so stark, daß er jeden anderen Geruch im Burggarten überdeckte. Gebettet auf sorgsam bestickte Seidenlaken lag dort ein junges Mädchen in einem altmodischen weißen Seidenkleid, mit blasser Haut und rosigen Wangen, als würde sie schlafen. Ihr blondes Haar lag wie gesponnenes Gold über das Seidenkissen ausgebreitet, auf dem ihr Köpfchen ruhte, und in ihren zusammengefalteten Händen hielt sie einen kleinen Strauß aus weißen Taglilien und roten Rosen, so frisch, als seien sie gerade erst gepflückt worden.
 

"Phantastisch!" entfuhr es dem Hofzauberer und er beugte sich über den Leichnam, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Dann drehte er sich zum Hofastronomen um. "Es ist ein Konservierungszauber über sie verhängt worden. Eine phantastische Arbeit. Wenn die Dinge so stehen, können wir schon heute Nachmittag die Verlobung feiern", sagte der Hofzauberer zuversichtlich.
 

"Und was ist mit dem Marzipan?" fragte der Konditor unglücklich.
 

"Backt eine Hochzeitstorte daraus", befahl die Königin ihm.
 

"Wie Ihr wünscht, Majestäten", sagte der Konditor und verneigte sich tief.
 

Auch der zweite Jüngling hatte jetzt, glücklich erschöpft, seine Arbeit beendet, und die beiden Brüder zogen sich Arm in Arm zu den Wagen der Schausteller zurück, gefolgt von einer argwöhnischen Burgwache, die die goldenen Gewänder im Auge behielt.
 

"Tragt Ihr den Sarg in den Ankleideraum des Prinzen", befahl der Hofzauberer zwei Dienern und an einen anderen gewandt sagte er: "Hole den Wanderprediger von der Goldenen Schüssel."
 

"Und was kommt jetzt?" fragte der Hofastronom seinen Kollegen auf Zeit flüsternd.
 

"Ganz einfach", erklärte der Hofzauberer leise. "Wir werden wie vorgesehen vorgehen, nur haben wir es nicht mit einem künstlichen Körper zu tun und brauchen demnach keine Bespiegelung und keine Schlafpause für den Geist. Allerdings muß ich diesen Konservierungszauber lösen und die Stichwunde heilen, von der die Chronik spricht, aber das ist wirklich keine Sache, über die man sich viel Gedanken machen müßte."
 

Der Diener mit dem Bekörperungstrank folgte den beiden Gelehrten und auch die Majestäten und ein Teil des Hofstaates gingen ihnen nach, um nicht einen Augenblick des Schauspiels zu verpassen.
 

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