Zum Inhalt der Seite

Ineffable

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 1 – Am Ende

Kapitel 1 – Am Ende
 

Am Ende war…
 

Nichts. Es war nichts geblieben von der fragilen, friedlichen Existenz, die er sich…nein, die sie sich zusammen geschaffen hatten.

Nichts davon war übrig und diese kleine Welt, sein eigenes kleines Paradies, sein eigener Garten Eden, lag in Trümmern. Da hätte es genauso gut die Apokalypse geben können, die sie verhindert hatten. Schlimmer konnte es doch nicht mehr werden. Doch genauso fühlte es sich an: Wie das Ende der Welt.

Dunkel, grau und kalt.

Genauso fühlte sich der Verrat von Aziraphale an. Wie eine Apokalypse, die über ihn hereinbrach, wie ein Unwetter, ein Orkan, der alles mit sich riss und nicht als Trümmer und Leere hinterließ. Ein großes schwarzes Loch, was alles in sich verschlang.

Da war Leere und Finsternis, die sich in seinem Inneren ausbreitete.

Es fehlte das warme angenehme Gefühl in seinem Bauch. Dieses warme Gefühl, dass sich vergleichen ließ, wie ein heißes Bad bei einem kaltem Wintertag, die Crowley so hasste. Das Gegenteil von...gespenstisch oder furchtbar, wie der Engel ihm einmal erklärt hatte, als sie den Antichristen gesucht hatten und zum Krankenhaus gefahren waren, um die Geburtsaufzeichnungen zu suchen.

Der Dämon hatte zwar Menschen in all seinen Jahrhunderten beobachtet, die sich sich zueinander hingezogen gefühlt hatten, aber das Wort und das Gefühl „Liebe“ war ihm so fremd gewesen, wie lange Zeit der Geschmack einer Auster.

Dämonen liebten eben nicht. Dämonen kannten das Gefühl auch nicht. Dämonen verabscheuten dieses Gefühl.

Doch das hatte es erklärt. So viel erklärt. Eben dieses warme Gefühl und nicht den Engel zu verabscheuen. Er hatte sich damit auseinander gesetzt, Filme gesehen...viele Filme – vor allem von Richard Curtis - und jeden Anlass, den sein Engel gefunden hatte, um einen Film über Liebe mit ihm zu sehen, hatte er grummelnd, aber insgeheim doch neugierig, mit ihm diese Abende verbracht. Während der Engel emotional wurde und kleine Tränen in seinen Augen waren, hatte er die Gelegenheiten genutzt, um zu lernen. Er wollte dieses Gefühl, was ihm so fremd war, verstehen, wissen, wie es funktionierte und ob man es wieder los wurde.

Es war eben ein menschliches Gefühl und nach all der Zeit auf der Erde hatte es zwei Menschen gebraucht, um die Erkenntnis zu bekommen.

Es sah so einfach aus.

Die Leute wurden durch Regen nass, stellten sich unter eine Markise, schauten sich in die Augen, verliebten sich und wussten, dass sie füreinander bestimmt waren.

Welche Ironie, dass sie sich jeweils unter ihren Engelschwingen Schutz gegeben hatten, sich in die Augen gesehen hatten und...es war nichts passiert. Kein Kuss, keine romantische Liebe und doch...

Der Engel hatte ihm Schutz beim ersten Regen auf der Welt geboten, als sie sich im Garten Eden getroffen hatten. Aziraphale hatte immer das Gute in ihm sehen wollen, obwohl er ein Dämon war und ganz bestimmt nicht nett. Dieser Engel, sein Engel, war jedoch seine erste Liebe.

Das alles hatte der Engel mitgenommen, als er in diesen Aufzug gestiegen war und seine Entscheidung getroffen hatte. Er hatte all die Gefühle, all die gemeinsame Zeit, all die Erinnerungen mitgenommen.

Dabei hatte Crowley geglaubt, der Engel sei besser als all das. Sie brauchten diese Seiten gar nicht. Er hatte der Hölle eine Abfuhr erteilt und gehofft, dass Aziraphale das gleiche mit dem Himmel tat. Er war so ein Idiot gewesen. Ein richtiger Hornochse!

Nach allem, was der Himmel getan hatte, glaubte der Engel immer noch an das Gute. Dabei spielte es keine Rolle, wer Menschen opferte und tötete. Tot war tot.

Es ging doch nur um Macht und die Menschen waren die dummen Bauern, die darunter litten.

Und Crowley...er hatte keine Ambitionen wieder ein Engel zu werden. Er wollte nicht zurück.

Er wollte nur...was?

Dass sie wieder ein Team waren? Ihre eigene kleine Gruppe?

Sie konnten sich aufeinander verlassen und diese Scharade so zu tun, als würden sie diese Partnerschaft nicht haben, sollte aufhören. Einfach an sich denken und abhauen, wie er es schon einmal vorgeschlagen hatte, als die Beinahe-Apokalypse gestartet war.

Er hatte seine Sachen gepackt, war aus seiner Wohnung abgehauen und hatte mehrere Jahre danach im Auto gelebt, nur mit ein paar Pflanzen, die in Kartons herumgetragen wurden. Doch der Engel nicht. Er ging diesen vielen Schritte nicht. Er war nicht bereit irgendwas zu tun, damit diese Scharade aufhörte und sein Ruf nicht noch weiter geschädigt wurde.

Und jetzt?

Jetzt war dort diese unbändige Wut, die Kraftlosigkeit, Erschöpfung und Trauer.

Dass ein Dämon wie er dazu überhaupt in der Lage war so etwas wie Trauer zu empfinden, hätte Crowley nicht gedacht. Scheinbar hatte der Engel doch mehr Einfluss auf ihn ausgeübt, als er gedacht und erwartet hätte. Im Gegensatz dazu hatte er selbst nicht annähernd so viel Einfluss gehabt, dass Aziraphale sich für ihn entscheiden würde. Aziraphale hatte so viel Angst davor er selbst zu sein.

Was hatte er auch erwartet?

Er war ein Dämon! Warum also sollte sich der Engel für ihn entscheiden?

Aziraphale war der wundervollste Engel, den er von dem ganzen Misthaufen da oben kannte und wie könnte er da gut genug für ihn sein? Wie hätte er sich da je für ihn entscheiden können, wenn der Himmel nach ihm rief?

Dafür waren Engel doch geschaffen worden: blinder gehorsam, keinen eigenen Willen, nur dem Willen des Himmels gehorchen.

Aber genau das hatte er an Aziraphale immer gemocht. Er arbeitete für den Himmel, soweit es sein Gewissen zuließ und traf auch eigene Entscheidungen, wie die Tatsache Gabriel lieber zu verstecken statt es direkt an die Zentrale zu melden. Hätte er ihn direkt gemeldet, hätte er mit Sicherheit einen Orden und eine Beförderung bekommen. Aber er hatte es nicht getan. Er hatte es ihm erzählt, seinem besten Freund.

Dem Freund, den er aus drei Gründen anrief: Langeweile, er hatte etwas angestellt oder weil er etwas getan hatte und seine Freude teilen wollte.

Doch jetzt blieb das Telefon stumm. Es blieb schon so lange stumm. Keine Anrufe mehr von diesem kleinen kindlich naiven Engel, der ihm voller Freude die neueste Errungenschaft eines Buches erzählte. Kein Engel, der in ihm das Gute sah. Kein Engel, der mit schlechten Zaubertricks versuchte für gute Stimmung zu Sorgen und kein Engel, der immer in seiner Nähe war.

Kein Engel mit diesem vertrauten Geruch nach Moschus, Zedernholz und dem Geruch von staubigen alten Büchern, die er im Lauf der Jahrhunderte gesammelt hatte und auf die der Engel so stolz war.

Das wenige Gute, was Aziraphale gemeint hatte in ihm zu sehen, war nicht gut genug gewesen. Für nichts.

Ja, wer würde ihn schon lieben?

Er war ein Dämon! Er war gefallen und nichts weiter als Abschaum.

Doch, wenn Beelzebub etwas Wichtigeres finden konnte, als den Krieg zwischen Himmel und Hölle, wieso konnte sein Engel das nicht auch?

Hatten sie nicht schon längst ihre eigenen Seiten aufgebaut und angefangen sich ein Leben zu zweit zu leisten? Wozu lebten sie sonst in Soho, dem bekanntesten Viertel in London für multikulturelle Menschen?

Über sechstausend Jahre Menschheitsgeschichte lag hinter ihnen und wenn Crowley sich zurückerinnerte, dann hatte jede dieser Begegnung Einfluss auf sie beide gehabt. Sie hatten Vertrauen aufgebaut und so sehr der kleine Engel mit den blauen Augen sich auch wehren mochte, konnte er nicht leugnen, dass sie eine Partnerschaft gehabt hatten, Vertrauen, Freundschaft und vielleicht auch ohne Worte mehr geteilt hatten als nur gemeinsames Kaffee trinken, Crêpes essen und sich gegenseitig vor der Bestrafung retten.

Da waren doch diese unzähligen Berührungen und Blicke gewesen. Dinge, die sie seit Jahrhunderten wie auf natürliche Weise teilten.

Hatte er am Ende doch zu viel hineininterpretiert?

Hatte er sich am Ende getäuscht und Aziraphale empfand es gar nicht so, wie er?

Er war so dumm gewesen!

Aziraphale hatte das alles nur als Verbrüderung gesehen. Er hatte ihn nur als jemand gesehen, den er gebraucht hatte, nachdem der Himmel ihn als Verräter abgestempelt hatte, sonst nichts!

Doch wie könnte das sein, wenn der blauäugige Engel von „uns“ geprochen hatte, „wir“ und sich ihre Blicke immer wieder trafen, sie immer wieder die Nähe suchten und sich immer wieder finden konnten, als würden sich zwei Magnete anziehen?

Crowley konnte spüren, wenn sein Engel in der Nähe war. Die Luft veränderte sich, die Realität nahm gefühlt eine andere Energie an, was er nie als schlecht empfunden hatte und die Stimmung wurde...nun...fast schon friedlich.

Allein bei der Erinnerung des panischen Blickes in den Augen von Aziraphale, als Nina gefragt hatte, wie es seinem nackten Freund ginge, war zu herrlich gewesen. Als erwartete sein Engelchen, dass er eine Szene machen würde vor lauter Eifersucht. Gut, im ersten Augenblick hatte Crowley auch so etwas empfunden gehabt, aber nicht gezeigt.

Seine Gedanken waren gekreist und er hatte nach außen hin nur die Stirn in Falten gelegt gehabt.

Crowley erinnerte sich heute noch daran als wäre es erst gestern gewesen, wie sie in dem Café „Gib mir Kaffee oder den Tod“ gesessen hatten mit diesen blauen Wänden und der bunten Schrift an der Wand.

Nur bei der bloßen Erinnerung kamen ihm die gleichen Gedanken, wie vor fünf Jahren schon.

Wie konnte es sein, dass Aziraphale einen nackten Mann als Freund hatte? Wieso hatte Aziraphale einen nackten Mann als Freund, der nicht er selbst war? Wer war dieser Freund?

Hingen sie zusammen rum und aßen Eccles-Cakes oder passierte da noch etwas mehr? Hatte sich sein Engelchen endlich der Keuschheit entledigt und seine Neugierde gefunden andere Dinge zu tun als nur Crêpes zu essen, Bücher zu lesen und ein wenig in der Zeit hängen zu bleiben?

Crowley hatte in dem Moment gedacht, dass er diesen verdammten Bastard von Engel kannte, aber er machte nach über sechstausend Jahren Abstinenz und Asexualität plötzlich Sachen mit nackten, fremden Männern. Für wen zum Teufel hielt er sich? Dann leugnete er es nicht mal!

Sie beide waren normalerweise das Duo non plus ultra und wurden für ein Paar gehalten.

In dem Moment waren Mordgedanken durch seine Gehirnzellen gewandert, gefolgt von der Frage, wann das angefangen hatte. Hatte er da irgendwas übersehen? Hatte Aziraphale, der freudige Dinge, nie für sich behalten konnte, irgendwas erzählt und er hatte nur halb zugehört, weil er lieber in diese blauen Augen sah? Hatte der Engel in irgendeinem Nebensatz erwähnt, dass er jemanden datete?

Nein, andernfalls wäre Crowley viel schneller hellhörig geworden damals.

Er hatte doch nur in seinem Auto ein Nickerchen gemacht. Das war nicht lange gewesen, aber offenbar lange genug, damit sich sein geliebter Engel die Mühe machte sich ein Smartphone zu kaufen – was Crowley ihm bereits mehr als einmal geraten hatte - und Tinder oder irgendeine andere Datingapp runter zu laden.

Sechs Espresso Shots wären nicht mal annähernd genug gewesen, um ihn zu beruhigen. Crowley hatte für den Bruchteil von Sekunden die Welt nicht mehr verstanden und sich gefragt, wer das war.

Sofort war ihm der Kammerjäger eingefallen, der hatte kommen müssen, weil in der starken Regenzeit des Herbstes eine Maus oder mehrere den Weg in den Buchladen gefunden hatten. Mehrere Keller waren überschwemmt gewesen und auch der vom Buchladen. So war in dem kleinen Stadtviertel mehrere Mäuseprobleme aufgetreten.

Dieser alte Bastard mit dem Flanellhemd und dem unrasierten Gesicht! Er hatte gewusst, dass dieser Kerl nicht Koscher gewesen war und Crowley als Schlange hätte die Maus mit einem Haps aus der Welt schaffen können. Er hätte die ganze Mäusefamilie auffressen können, von der ganzen Straße hätte er die Mäuse fressen können und sich dann an einem warmen Plätzchen ein Nickerchen gegönnt, um sie alle zu verdauen. Aber nein! Sein Engelchen hatte darauf bestanden einen Profi zu rufen und da hatte er den Salat. Einen nackten Mann im Buchladen seines Engels und sie trieben irgendwelche Dinge miteinander und das auch noch nackt!

Crowley konnte allein bei der Erinnerung spüren, wie die Eifersucht unter seiner Haut kochte und sein Herz sich zusammen zog vor unbändiger, dämonischer Wut.

Eigentlich war das ihre Trinkwette aus Rom gewesen, dass sie solche Dinge machen würden, wenn sie zehntausend Jahre als Alter geschafft hatten.

Aziraphale schien es von alleine gespürt zu haben, dass Crowley missmutig gestimmt war. Hilflos hatte er drein geblickt, als er ihn abwartend und mit hochgezogener Augenbraue angeschaut hatte, ehe er provokant gefragt hatte, ob der nackte Mann der Grund war, wieso sie im Café saßen und nicht im vertrauten Buchladen, wo er immer die Sonnenbrille hatte abnehmen können, die seine Schlangenaugen versteckten. Und genauso provokant war seine Frage, ob er ihm bei irgendwas helfen sollte.

Vielleicht ein dämonischer Dreier?

Doch am Ende war es nur Gabriel gewesen. Nur dieser gottverdammte Erzengel!

Aber genau so funktionierte es eben zwischen ihnen beiden. Sie kommunizierten teilweise ohne Worte, nur mit Blicke und dem feinen Gespür, was sie miteinander hatten und dann sagte man nicht mal eben, dass man sich liebte. Dann kamen Sätze dabei heraus wie: „Du kannst den Buchladen nicht verlassen“, statt „Du kannst mich nicht verlassen“.

Und doch hatte dieser Engel es getan. Nach all der Zeit. Nach dem Kuss, der ihm seinen ganzen Mut gekostet hatte und alles was aus dem Mund von Aziraphale gekommen war, war ein „Ich vergebe dir“.

Knurrend und wütend über die Erinnerungen, die ihn seit fünf Jahren quälten, warf er die ausgetrunkene Rotweinflasche gegen die Wand in seiner Wohnung. Dann griff er zur nächsten Flasche, in der Hoffnung, dass dort noch etwas von der roten Flüssigkeit drin war. Aber sie war genauso leer, wie die davor.

Auf dem sonst so sauberen Tisch mit der roten Marmorplatte und den goldenen Verzierungen als Tischbeine, und der aussah wie aus einem anderen Jahrhundert, waren mehrere dieser grünen Flaschen verteilt. Sie tummelten sich munter zwischen Anrufbeantworter, seinem Notizbuch, Telefon und der goldenen Schatulle.

Alle Flaschen auf dem Tisch waren leer. Allesamt von Crowley getrunken worden, der die Hitze und das Brennen in seinem Magen spürte, genauso wie die Leichtigkeit in seinen Gliedern. Es war die einzige Wärme, die er noch fühlen konnte. Vielleicht wäre sogar Laudanum besser gewesen, aber wer wusste schon, ob er dann nicht wieder gute Taten vollbrachte. Da war Whiskey, Rotwein, Bier oder Schnaps die bessere Alternative.

Dazwischen tummelte sich auch irgendwo eine von Aziraphales Fliegen, die er sich immer um den Hals gebunden hatte. Etwas, was Crowley aus der Wohnung über dem Buchladen hatte mitgehen lassen und die er wie einen Schatz hütete. Irgendwo stand auch ein Aschenbecher zwischen dem Chaos, weil er wieder mit dem Rauchen angefangen hatte, wie in den siebzigern zu seiner Zeit als Kettenraucher. Nach einer Woche jedoch, hatte er es wieder aufgegeben, weil er sich erinnerte, wie eklig der Engel den Geruch an seinen Händen gefunden hatte und auch, weil er sich erinnerte, dass Aziraphale ebenfalls durch ihn zu diesem Laster gekommen war.

„Halt die Klappe!“, rief er in den großen Raum hinein, als die Erinnerung ihn wieder zu übermannen drohte, „Sei endlich still!“

Der Dämon mit den roten Haaren knurrte und sein Schädel pochte schmerzhaft von den vielen Getränken und Erinnerungen, die durch seinen Kopf rasten. „Du brauchst mich nicht! Und ich...ich...“ Die Flasche in der Hand zerbrach , wo er sie gepackt hatte. Scherben rieselten auf den Boden und eine schnitt sich in seine Handfläche bis der rote Lebenssaft hervorquoll.

„Ich brauche dich verdammt noch mal nicht, um mir zu verzeihen!“, murmelte er kraftlos. Seine Handfläche pochte und sein Blick wanderte ins Leere zu den Fenstern. Normalerweise war die Aussicht aus seiner Wohnung fantastisch.

Er konnte auf die Westminster Hall, Big Ben und die Themse sehen. Er hatte sogar einen Blick in den Florence Nightigal Garden. Die großen Panoramafenster mit dem Balkon erlaubten ihm eine gute Aussicht. Das Licht war durch die schwarzen Rollos immer etwas gedimmt, aber hell genug, dass man alles von der schlichten, stilvollen Einrichtung sehen konnte und immer noch einen guten Ausblick nach draußen hatte, wenn man am Schreibtisch saß.

Bis zum St. James Park und Soho war es auch nicht weit. Nur ein Katzensprung. Mit dem Bentley und seinem Fahrstil normalerweise in weniger als fünf Minuten erreichbar, wenn er mit neunzig oder über hundert durch die Straßen raste.

Alles lag immer in Reichweite, was er immer für perfekt gehalten hatte.

Jetzt war der Park ein Ort voller schmerzhafter Erinnerungen und Stunden, die er trübselig auf der Bank saß und auf den Teich starrte mit den Enten. Selbst bei Regen saß er manchmal da in der Hoffnung Aziraphale würde kommen und einen Schirm über ihn halten und sie würden wieder eines ihrer üblichen Gespräche führen.

Nach Soho fuhr er nur, wenn es nötig war, um nach dem Buchladen zu sehen und Muriel davon abzuhalten, dass sie eines der Bücher verkaufte.

Wieder tropfte etwas Blut zu Boden und Crowley legte einen Arm über seine Stirn.

„Ich brauche deine verdammte Liebe zurück“, murmelte er kraftlos.

Niemand würde ihn lieben. Nicht mal Gott liebte ihn. Er wäre niemals gut genug für den Engel gewesen. Er war auch nicht gut genug für Gott, wieso sollte er es dann für eines von seinen Geschöpfen sein?

„Ohne dich, Aziraphale, ist es nicht mehr dasselbe“, sprach er leise weiter. Ohne diesen Engel kam ihm alles grau und trüb vor. Er griff mit der nicht verletzten Hand unter seine Sonnenbrille und rieb sich die brennenden Augen, deren Blick sich wieder trüben wollte.

Konnte der Engel ihn überhaupt hören, wenn er zu ihm betete? Sollte er das mal versuchen und einfach hoffen, dass er seinen Arsch hier runter bewegte?

Der Dämon gab einen Laut des Unmuts von sich und griff zu einer Flasche, um anzusetzen, nur um zu bemerken, dass es wieder eine leere war. Er brauchte dringend Nachschub!

Der Alkohol half ihm die Leere und den Schmerz zu betäuben und nicht wie ein Häufchen Elend im Bett zu liegen und zu flennen, wie ein Baby.

So etwas taten Dämonen nicht! Sie weinten keinem Engel hinterher!

Sie betranken sich und wenn sie betrunken waren und sich elendig fühlten, wunderte man sich einfach wieder nüchtern, füllte die Flaschen wieder auf oder reparierte die Zerbrochenen und begann von Neuem! So lief das!

Sein Gesicht verzog sich vor Anstrengung und ein wenig krümmte er sich zusammen, als genau das geschah. Er nüchterte sich auf wundersame Weise aus und der Wein floss zurück in die Flaschen. Die Flaschen, die zerbrochen am Boden lagen, reparierten sich und füllte sich ebenfalls auf.

Dann sank sein Körper im Stuhl zusammen und er fühlte sich so schlapp, wie schon lange nicht mehr. Kein Wunder, wenn man alles vernachlässigte und nur noch vom Alkohol lebte.

Seine Hand hörte auf zu pochen und heilte.

Als Dämon konnte er aber weder an Krebs, Alkoholvergiftung, fehlendem Essen oder Schlaf sterben.

Irgendwo hatte Crowley gelesen, dass man pro Monat, den man mit einer Person zusammen war, im Durchschnitt etwa einen halben brauchte, um über diese hinweg zu kommen. Bei über sechstausend Jahre waren das 72.000 Monate Zeit, die sie gehabt hatten, um aus dem du und ich ein wir zu machen. Das wären dann wohl etwa 144.000 Monate leiden, die vor ihm lagen, um Aziraphale zu vergessen und mit diesem Schmerz zu leben. Fünf Jahren waren bereits rum, also abzüglich sechzig Monate. Da blieben noch 143.940 Monate.

Hei, er hatte den Fall aus dem Himmel überstanden und weitergelebt und das war schon schmerzhaft gewesen. Da wäre das doch ein Klacks!

143.940 Monate...das waren 11.995 Jahre....für einen Dämons nichts und doch kam ihm diese Qual so unendlich lang vor. Viel länger als die Einsamkeit unter den Dämonen, viel länger und qualvoller als seine Verbannung.

Vielleicht hatte er sich auch verrechnet. So sicher war sich der Dämon da nämlich nicht.

Träge hob er die genesene Hand und betrachtete die saubere Fläche. Nichts. Keine Narbe.

Aber so war es auch mit dem Verlust. Die Wunde konnte niemand sehen, aber sie war da, schmerzte und fraß ihn von innen auf.

Mit einem Stöhnen erhob sich Crowley aus seinem thronartigen Stuhl. Seine Beine zitterten und er goss sich von dem frisch gewunderten Wein sein Glas voll, hielt es auf seine lässige Art in der Hand und griff sich die Fliege vom Tisch, um sie in seine Hosentasche zu stecken und schlurfte mit schweren Schritten durch seine Wohnung. Vorbei an der Maltese Falcon Figur, die er in New York ersteigert hatte.

Seine geliebten Pflanzen , die einst so schön gewesen waren, waren vertrocknet und verdorrt. Die Blätter welk und abgefallen, brüchig wie rissiges Papier. Selbst die erste Pflanze, die er vom Engelchen bekommen hatte war trocken und tot.

Tot wie sein dunkles, verdorbenes Herz.

Die einst so grüne Pflanze hatte einen braunen Stiel und obwohl er hätte alles wieder richten können, sah er keinen Sinn darin.

Normalerweise waren die Zimmerpflanzen morgens das erste, was er vom Schlafzimmer aus sehen konnte, wenn er das Bett verließ. Sie hatten immer stramm gestanden und ihre Blätter gereckt, wenn er aufgewacht war.

Wie lange hatte er nicht mehr geschlafen und sich den Genuss dieser irdischen Freude gegönnt? Es musste Monate her sein. Denn immer, wenn er versuchte zu schlafen, plagten ihn Alpträume vom Moment der Trennung.

Er wachte mit noch schwererem Herzen in der Brust und noch viel stärkerer Sehnsucht nach seinem Engel auf.

So war das Doppelbett also schon lange nicht mehr benutzt worden. Vielleicht konnte er diese Nacht schlafen und würde sich hinlegen. Doch sein Weg führte erstmal nicht ins Schlafzimmer, sondern in das angrenzende Badezimmer.

Mit der freien Hand schob er die Brille etwas hoch.

Ein Blick in den Spiegel offenbarten tiefe Augenringe und leblose rote Haare, die viel zu lang geworden waren. Ein Bart breitete sich an seinem Kinn aus, wie er ihn seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Zuletzt seit...seit...seit Hiobs' Zeit als sie den Himmel ausgetrickst hatten.

Aber dafür fehlte dem Dämon die Muße, um seinen schwarzen düsteren Look einen frisierten und stylischen Touch zu geben, zu pflegen und die Lässigkeit zu geben, die er sonst zur Schau trug.

Normalerweise war es auch der Engel, der seine Haare pflegte, nach Mode der aktuellen Zeit kürzte und...

Die gelben Schlangenaugen senkten den Blick. Das Glas mit Wein kippte aus seiner Hand und ergoss sich im Ausguss.

Crowley musste aufhören an Aziraphale zu denken!

„Aus! Schluss damit!“, tadelte er sich selbst, als wäre er ein böser, ungehorsamer Hund. Er starrte auf das Waschbecken, schloss die Augen und seufzte.

Ja, vielleicht wäre der Versuch zu schlafen gar nicht so schlecht. Noch eine Runde Alkohol und Entnüchtern würde bestimmt nicht gut enden.

Crowley blickt auf und sah sich in seinem Apartment um, als hätte er etwas gehört. Doch das war es nicht. Etwas anderes erregte seine Aufmerksamkeit.

Die Luft hatte sich verändert. Die Realität war anders und er spürte die Veränderung, als würde etwas über seine Haut streicheln und in seiner Nase kitzeln. Da lag ein Geruch in der Luft, der nicht vom Staub stammte, der sich seit fünf Jahren hier sammelte und den er nur noch sporadisch wegwunderte, wenn ihm danach war und damit es keine Zentimeter an Staubschichten wurden.

Das hier war etwas anderes als abgestandene Luft.

Er konnte es spüren.

Ein Engel war hierher kommen und Crowley wirbelte herum.

Ein Schatten am Fenster erregte seine Aufmerksamkeit und zum ersten Mal seit Monaten wurde ihm bewusst, dass es tiefster Winter war, es schneite und die Stimmung auf Erde zu liebenswürdig war.

Es war nicht so schlimm wie an Weihnachten, aber der Hauch davon war noch in der Luft und wurde bestärkt durch den Engel, der dort in der Nacht sein Unwesen trieb, seine kleinen Babyengel Befehle gab und sie ihre unsichtbaren Liebespfeile auf Menschen schossen.

Valentin.

Der Engel, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Der Engel, den er hätte gebrauchen können, als er seinen Engel geküsst hatte. Der Engel, der nun ein Ventil für seine Wut war.

Crowleys Blick verfinsterte sich. Die Wolken am Himmel bauschten sich zu einer dicken, dunklen Wand auf. Ein Gewitter grollte über London mitten im Februar, mitten im Schneefall und kurz vor Valentinstag.

Heute war jemand fällig für dieses Fiasko.

Heute würde jemand die Rechnung dafür bekommen.

Nicht, dass der Dämon ohnehin im Winter schlecht gelaunt war, wegen den nahe beieinander liegenden Festlichkeiten. Igitt, Weihnachten und Valentinstag. Tage, die man durchaus aus dem Kalender streichen konnte. Dafür mochte er Halloween am liebsten.

Aziraphale war da natürlich anderer Meinung – so ein kleiner Angsthase vor Friedhöfen und Horrorfilme! - und er konnte schon die Argumente des Engels in seinen Ohren hören, dass das zwei wichtige Tage waren.

Die Geburt von Gottes Sohn und Valentin der Liebe brachte, die zu dieser finsteren Zeit sehr wichtig war. Bla bla bla...

Dieser Valentin brauchte kein Mensch!

Der Anblick dieses Engels, der unscheinbar und unsichtbar vor den Augen der Menschen sein Unwesen trieb, ließ die Wut in ihm kochen.

Was hatte dieser ach so heilige Valentin getan?

Hatte er das Universum erschaffen? Die Sterne? Den Sternennebel? Den Pferdekopfnebel? Alpha Centauri? Die Milchstraße oder Planeten? Hatte er die Mauern vom Garten Eden beschützt?

NEIN!

Er hatte nur ein paar Leute zum Gottesglauben geführt und war gestorben!

Grund genug für die da oben einen neuen Engel ins Amt zu setzen und die Menschen widmeten ihm einen Tag im Jahr. Den Valentinstag.

Wenn er sich nicht grade nüchtern gewundert hätte, hätte er jetzt definitiv den Inhalt seines Magens geleert.

Ein wütender Schrei entkam dem Dämon und dann war er aus dem Badezimmer verschwunden auf der Jagd nach dem Liebesengel.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: Morgi
2023-08-08T17:39:38+00:00 08.08.2023 19:39
Hallo!

Vorneweg, ich kenne das Fandom nicht, aber der Titel hatte mich neugierig gemacht. Insgesamt fand ich den Ausflug in den dämonischen Liebeskummer, wenn man ihn so nennen kann, sehr interessant. Mein Lieblingseffekt war definitiv das Ausnüchtern, denn wundersam war es! Wie du beschrieben hast, was sich auffüllt, repariert, klasse. Das hatte diesen knackigen, direkten Touch, den man auf der Leinwand genießt. Auch Anspielungen auf Crowleys Aussehen fand ich plastisch (Fans werden wissen, wie er ausschaut, für mich war es ein neugieriges Warten, wen man da vor sich hätte), weil Bart und Alkoholgenuss dieses verbrauchte, elende Selbstmitleid im Gepäck hatten.
Unfreiwillig komisch fand ich die Vorstellung, wie er über Valentins Bedeutung lästert oder sich ausgiebig über die Monats- und Vergessenstheorie echauffierte. Ein Dämon, der in dem Punkt doch verblüffend menschlich handelt und nach jedem Strohhalm greift, um Logik gegen Zuneigung gewinnen zu lassen. Das stumme Telefon war glaubhaft verwünscht. Das ließ sich gut nachempfinden.
Bei der Mischung aus Leere und Schmerz hatte ich mir einen dumpfen, betäubten Missmut vorgestellt, vielleicht noch hauptsächlich Leere und irgendwo am Rande der Ansatz von Schmerz. Beides parallel war für mich nicht greifbar, aber das Konzept, beides wäre in ihm ebenbürtig verankert, passt wiederum zu einem Dämon! Warum sollte er nach menschlichen Maßstäben empfinden?
Möge der Liebesengel nun flott sein, ihm ist die Enttäuschung auf den Fersen ... und bei dem Gewitter möchte ich mit ihm nicht tauschen! :)

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  Frigg
08.08.2023 20:06
Schade, dass du das Fandom nicht kennst.
Ich habe einiges aus der Serie mit eingebaut, wie den Fakt, wie Engel und Dämon sich nach einem Saufgelage sich entnüchtert haben oder dass er im Altertum einen kräftigen Bart hatte. :) Ich hab auch viele Canon Sachen mit rausgesucht. Aber vielleicht regt es dich ja an die Serie jetzt auf Amazon anzusehen :D Je mehr gucken, desto größer wird die Chance sein, dass wir Staffel 3 kriegen :D
Antwort von: Morgi
08.08.2023 20:10
Ach, das macht doch nichts. Die Leinwandatmosphäre habe ich auch ahnungslos (wieder)erkannt. :)
Amazon besitze ich nicht, aber Fanfiction kann ich trotzdem weiterverfolgen. Viel Spaß beim Schreiben des kommenden Kapitels!
Antwort von:  Frigg
08.08.2023 20:24
Danke. Mal schauen, wie sich das entwickelt :D Im Moment ist das eine spontane Idee gewesen und ich habe keine Ahnung, ob ich sie weiter führe oder wohin sie kommt


Zurück