Zum Inhalt der Seite

Rot wie das Leben

Eine Tragödie in fünf Akten
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mit ungestilltem Verlangen


 

A K T

I I

 

MIT UNGESTILLTEM VERLANGEN

 

***

 

»Wenn ich nicht überlebe, habe ich es nicht anders verdient

Clove beendet die Verabschiedung, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Ihre Eltern tragen schwarz. Das hier ist eine Beerdigung, auch wenn es keiner sagt. Aber nicht sie wird zu Grabe getragen – nur die Person, die sie einst war. Das gemeinsame Familiengefüge, die Hoffnungen von Mutter und Vater.

Die Arme vor der Brust verschränkt, beobachtet Clove, wie ihre Eltern von Friedenswächtern aus dem Raum geführt werden. Sie braucht ihre Unterstützung nicht. Was nützt es ihr schon, wenn zwei nutzlose Menschen mehr sie daheim anfeuern? Sympathie alleine zahlt keine Sponsorengeschenke und ihre Eltern sind arm – nicht nur gemessen an den Verhältnissen ihres Distrikts.

Den Weg zum Zug beschreitet sie an Catos Seite, im offenen Heck eines Autos, unter der Beobachtung von zahlreichen Kameras. Knapp zwei Stunden lang sind sie bereits Tribute der 74. Hungerspiele und somit Todfeinde – nicht, dass sie sich besonders leiden könnten, seitdem sie beide für die gleichen Spiele trainieren. Wer sich mag, zieht nicht miteinander in die Arena, das ist die erste und oberste Regel aller Trainierenden. Am besten ist die Person neben einem ganz okay. Jemand, dem man für ein paar Tage seinen Rücken anvertrauen kann – und dessen Kanonendonner einem höchstens Musik in den Ohren ist.

Niemals, nie, nicht unter allen Umständen jemand, der einem nicht egal ist. Ein einstiger Schwarm ist eine verdammt schlechte Idee. Aber davon weiß niemand etwas, dessen ist Clove sicher. Bisweilen glaubt sie, dass Cato es selber vergessen hat. Als hätte der Moment, in dem er erkannte, dass seine Konkurrentin keine der reizenden 18-Jährigen, sondern eine wirklich gefährliche Person wird, alle anderen Erinnerungen verbrannt.

Wo es einst geteilte Scherze und gelegentlich auch Schokolade – die in der Akademie ausdrücklich verboten ist – gab, bleiben nur Blicke, die gerne töten würden. Die zwei Wochen vorletztes Jahr, in denen seine Fingerspitzen einmal zu oft ihren Nacken gestreift haben, sind so gut wie nie passiert. Aber das wusste Clove immer. Dass er ihr Gegenspieler werden würde, war stets eine reale Chance. In weiser Voraussicht hat sie sich darin geübt, das Grässliche an ihm zu suchen. Diese gewollte Gefälligkeit, mit der er seine Kleider möglichst körperbetont aussucht, jene vorgebliche unberührte Art, mit der er sich aus jedem Streit zurückzieht; die aufgesetzte Höflichkeit, die blitzschnell in ein freches Grinsen und dreckige Worte umschlagen kann.

Das warme Gefühl der Zeiten, in denen sie während des Theorieunterrichts kleine Texte an den Heftrand des anderen kritzelten, ist vorbei. Endgültig. Diese Tür ist hinter Clove zugeschlagen, als Brutus sie in sein Büro rief und ihr ungerührt verkündete, dass sie trotz ihres ‚mangelnden Alters‘ (sie ist 16, keine sechs, verdammt!) die ausgewählte Tributin der Akademie wird.

So breit wie Cato in diesem Moment in die Kameras lächelt, muss er ebenfalls wissen, dass er keine Chance gegen sie hat. Clove ist jünger als die üblichen Tribute aus Distrikt Zwei – allein das verschafft ihr die Aufmerksamkeit des Kapitols. Er dagegen ist nur ein weiterer 18-Jähriger mit blondem Haar, er muss darum buhlen, nicht bloß eine Eintagsfliege zu sein; ein Spielzeug, dem man schnell überdrüssig wird. Trotzdem ekelt es sie an, zu sehen, wie er die Muskeln in jeder kleinen Geste unnötig spielen lässt. Hat er denn keinen Stolz – oder zu viel?

Ausgerechnet jetzt legt er ihr einen Arm um die Schultern, während er mit dem anderen der jubelnden Masse winkt. Cato inszeniert sie als Einheit und in Clove wächst der Drang, ihre Messer an ihm zu schärfen. Wenn da nicht die Regeln wären, die zwar ungeschrieben sind, ihr dafür allerdings von Brutus ins Gedächtnis gebrannt wurden. Rühre deinen Partner niemals an.

Ihre Hand landet auf Catos Knie, die Fingernägel graben sich in seine Muskeln und sie lächelt, denn er zuckt. Sie kennt ihn schon so lange – und somit seine Schwächen. Eine beruhigende Gewissheit. Am Ende wird sie es sein, die zurückkehrt, davon ist sie überzeugt. Er wird ihr helfen, den Weg zum Sieg zu ebnen. Dafür wird sein Stolz schon sorgen, solange er glaubt, Ruhm für den Distrikt erringen zu können.

Clove winkt den Massen nicht. Gespielte Fröhlichkeit hat ihr noch nie jemand abgekauft. Sie ist eine Meisterin des verkniffenen Gesichtsausdrucks; ihre Züge von Geburt an dafür geschaffen, andere wissen zu lassen, dass sie kein leichter Umgang ist. Das Kapitol wird es lieben, wenn sie sich in den Interviews geschickt anstellt.

Bis zur Wagenparade badet sie im Luxus des Schnellzugs, der ihr aus dem Stadtkern von Distrikt Zwei nicht fremd ist und mit seiner geballten Präsenz doch den Atem raubt. Ihre Hände schwitzen bei dem kurzen Gang vom Zug zum Auto und schließlich vom Auto zum Erneuerungscenter, sodass sie dankbar für die geflieste Gleichgültigkeit des Raumes ist, in dem aus ihr doch noch eine Göttin wird. Eine Kriegsgöttin. Clove weiß nicht wie – und es ist egal –, aber nachdem das Vorbereitungsteam mit ihr fertig ist, sind Staub und Hässlichkeit marmorner Blässe gewichen. Beinahe ist sie schön. Die Makel ihrer Haut sind fort und die Einzige, die ihr die Show stiehlt, ist die Tributin aus Eins.

Glimmer glitzert mit ihrem Namen um die Wette und Clove hasst sie inbrünstig. Umso glücklicher ist sie, dass ihr Image kein Lächeln und pralle Brüste sind, sondern sie mit wahren Qualitäten glänzen darf. Ihre Mundwinkel zucken nicht einmal unfreiwillig auf dem Weg über den Korso. Ganz Panem hat ihre Entschlossenheit gesehen. Sie ist zufrieden mit sich. Selbst der flammende Auftritt der dürren Klappergestelle aus Zwölf dämpft dieses Gefühl nicht.

Ebenso zufrieden ist sie einen Tag später mit ihrem Auftreten im Trainingscenter. Es ist sie, nicht Cato, die den Tributen aus Eins zuerst gegenübersteht. Ihre Hand wird von Marvel geschüttelt und von ihr hört man als Erstes das Wort ‚Bündnis‘. Glimmers Augen durchbohren sie, wie ihre Pfeile die Zielscheiben, und Clove schickt Messerblicke zurück. Am Ende des Tages ist ihre Rolle deutlich geworden. Ängstlich davon weichende Tribute aus unbedeutenden Distrikten pflastern ihren Weg durch die Halle und sie fühlt sich gut. Brutus’ Lob ist süßer als der Nachtisch an jenem Abend und Catos Zähneknirschen die imaginäre Kirsche auf dem Sahnehäubchen ihres Puddings.

Ein Blick ins Fernsehprogramm bestätigt Cloves Überzeugungen. Ihre Wettquoten übersteigen Glimmers, ziehen mit Cato gleich. Sie ist beliebt. An Schlaf ist zwischen den seidigen Laken des Kapitols nicht zu denken. Wenn sie die Lider schließt, sieht sie die Bilder ihres Sieges vor sich, deutlicher als je zuvor. Wenn sie die Augen öffnet, erscheint immer wieder ihr Gesicht auf dem stummgeschalteten Fernseher. Die Szenen, wie sie und Cato zum Zug gebracht werden. Der Anblick gefällt ihr. Auch wenn sie es gehasst hat – sie sehen gut nebeneinander aus.

Ihr Herz schlägt bis in ihre Zehenspitzen. Das alles ist so real, so überschärft, so unfassbar nah, wie ihre Träume es nicht annähernd darzustellen vermochten. Clove gleitet mit den Fingern über ihre neue Alabasterhaut unter dem Seidenkleid, ertastet ihr rasendes Herz. Das Leben sprudelt in ihr, obwohl ihre Haut wie aus dem Stein gehauen wirkt, den sie schon seit Jahren hasst.

Ein Kichern entringt sich ihr. Ohne den Staub fühlt sie sich wunderbar an. Aufzuhören kommt ihr nicht in den Sinn. Berauscht von diesem Gefühl gleitet die Hand von ihrer Brust über den Bauch zu ihren Schenkeln hinab. Zum ersten Mal in ihrem Leben hält sie nichts zurück. Anstatt die Lippen zwischen die Zähne zu schieben, damit sie ja niemand hört, öffnet sie den Mund und überrascht sich selber mit den Lauten, die ihrer Kehle entfliehen. Sie krallt die freie Hand ins Laken und schreit ihre Lebendigkeit hinaus in die Welt, bis sie ebenso sehr in Flammen steht wie das dumme Gör aus Distrikt Zwölf.

Catos wackelnde Augenbrauen am Frühstückstisch tags darauf veranlassen sie zu dem ersten breiten Lächeln seit ihrer Ankunft im Kapitol. Der Gedanke, dass er sie gehört hat, sollte sie beschämen – stattdessen erweckt er die Lust, ihn gleich wieder damit zu quälen. Er versucht, es zu verbergen, doch Clove ist sicher, dass sein Blick mit neuem Interesse auf ihr ruht, wann immer sie fortsieht. Vielleicht begreift er nun endlich, dass sie zu einer Frau und keiner messerwerfenden Maschine herangewachsen ist. Zu spät.

Beim Training, das in Wahrheit reines Schaulaufen ist, lehnt sie sich neben Glimmer an die Wand und beobachtet, wie Cato und Marvel Speere werfen. Sie nimmt genau wahr, wie die Muskeln unter dem dünnen Funktionsstoff ihrer Trainingskleidung arbeiten. Immer dann, wenn Cato sich nicht anstrengt, gefällig zu sein, sieht er tatsächlich gut aus. In den kleinen Momenten, die er ganz er selbst ist, sich konzentriert oder ausgelassen über einen perfekten Treffer jubiliert.

Glimmer quittiert ihre Blicke mit einem Kräuseln der Mundwinkel. »Hast du es so nötig?«

»Du nicht? Ein letztes Mal, bevor du dieser Welt Lebewohl sagst?«

Ihre Konkurrentin lacht, doch Clove hört, wie die Nervosität darin vibriert. Sie weiß, dass es schamlos ist, aber sie hat längst aufgehört, sich stoppen zu wollen, spätestens als ihr Messer das Leben einer Verräterin genommen hat. Eine Hand auf Glimmers Unterarm, lehnt sie sich vor, bis ihre Lippen über deren Ohr streichen.

»Aber ich kann es dir auch in der Arena besorgen, bevor ich deine Kehle verschönere. Ich bin da nicht so missgünstig.«

Die hübschen Augen zusammengekniffen, strafft Glimmer die Schultern. »Versuch es, wenn du unbedingt von Marvels Speer durchbohrt werden willst ...«

Ein wenig verschlägt Clove diese Überzeugung Glimmers, dass Marvel sie rächen wird, die Sprache. Die Chance, eine doppeldeutige Retourkutsche auszuteilen, vergeht. Seitdem Cato sie nach der Verkündung der ausgewählten Tribute nur noch flüchtigen Blickes ansieht, wenn überhaupt, würde es ihr nicht mal im Traum einfallen, so etwas über ihn zu sagen. Jeder für sich, sobald der Tod unabwendbar ist. Offenbar gilt das nicht für Distrikt Eins.

Cloves Wut bricht sich beim Messerwerfen Bahn und zur Belohnung werden die Blicke, die ihr ausweichen, noch ängstlicher. Sie merkt sich die Namen derer, die besonders hastig zu Boden schauen. Denen will sie die schönsten Tode widmen – und diesem Mädchen aus Zwölf, das immerzu starrt wie eine verdammte Bergziege. Einfach weil sie es kann.

Beim Abendessen konfrontiert sie Cato mit ihrer Auswahl der Tribute, die auf ihrer Wunschliste stehen. Weshalb weiß sie nicht. Sie ist schlicht neugierig, wen er haben will. Im Beisein der beiden aus Eins hätte er große Töne geklopft, doch im Appartement lehnt er sich still zurück.

»Ich habe keine Liste. Alle, die mir über den Weg laufen, werde ich töten.«

»Wie langweilig.«

Er zuckt mit den Schultern. »Mag sein. Hauptsache, ich gewinne.«

Die Einstellung wiederum kann sie würdigen. Leben heißt Überleben, einmal mehr beruhigt Clove dieser Gedanke. Wenn sie eines verdient hat, dann Cato zu überleben. Sie wird das schaffen. Er wird nicht ihr Mörder sein und sie nicht seine Mörderin und irgendwo ist diese Gewissheit schön.

Als sie aufsteht, streicht ihre Hand nahezu beiläufig über seinen Nacken. Wieder zuckt er zusammen. Wieder wandern seine Augenbrauen am Frühstückstisch in die Höhe, weil ihre Schlafzimmer zu nahe beieinanderliegen und Clove genau weiß, was sie tut.

Es dauert bis zum Abend des letzten Trainingstages, ehe er sie herausfordert. Mit verschränkten Armen lehnt er an der Tür ihres Zimmers. Ohne erhobene Augenbrauen. Das Blau seiner Augen glitzert selbst im Dunkeln. Sie wartet, dass er spricht. Eine ganze Weile stehen sie so da, ein weiteres, überflüssiges, stummes Kräftemessen.

»Auf dem Dach soll die Aussicht gut sein.« Er stößt sich vom Türrahmen ab und schlendert betont langsam den Flur hinab, ihren verwunderten Blick im Rücken.

Sie folgt ihm, obwohl das nicht ist, was sie erwartet hat. Die Dachterrasse im dreizehnten Stock bietet ihnen einen Ausblick auf das künstliche Lichtermeer des Kapitols, das den Sternenhimmel ertränkt. Eine verkehrte Welt, funkelt es in Distrikt Zwei doch mehr am Himmel als in der Stadt. Falsch und trotzdem schön.

»Bist du jetzt ein Romantiker?« Die Frage ist unfreiwillig spitzzüngig, aber seit Clove einmal die Kontrolle über ihr Mundwerk verloren hat, hat sie es nicht wieder eingefangen. »Süß.«

Cato dreht sich mit dem Rücken zum Geländer. »Ich hätte dich nicht hergebracht, wenn es mir um’s Ficken gehen würde.« Er unterstreicht das Wort mit einer nachdrücklichen Geste, als würde er ganz sichergehen wollen, dass sie ihn keinesfalls für romantisch hält.

»Warum bin ich dann hier?«

»Ich will begreifen, weshalb du hier bist. Mit mir.« Der Vorwurf klingt scharf wie ihre Dolche. »Hasst du mich so sehr? Oder bist du einfach irre? Ich finde es nur fair, wenn du mir das vor der Arena sagst. Damit ich weiß, ob ich in zwei Tagen dein Messer im Rücken habe.«

Clove schluckt. Ein Idealist – schlimmer als ein Romantiker. Sie hätte es verkraftet, wenn er einfach nur aufmerksam sein wollte, bevor sie unweigerlich ihre letzten Tage mit Zugang zu einem weichen Bett dafür nutzen, dieses auf jede erdenkliche Weise zu erproben.

Sie lacht und hat das Gefühl, Staub im Mund zu haben. Steinstaub. Leichenstaub.

Cato lacht nicht. Er lehnt da und wartet, ganz und gar nicht gefällig. Kein Muskelspiel, kein gewinnendes Grinsen, nicht mal ein Haareraufen, das seinen Bizeps zeigt. »Also irre.«

»Du kennst mich«, hält Clove dagegen. »Lange genug.«

»Tue ich das? Hab ich das je? Fühlt sich nicht so an.«

Unruhig tritt Clove von einem Fuß auf den anderen. Wozu soll das hier gut sein? Ein letztes Mal das Gewissen erleichtern, bevor sie in die Arena ziehen? Sie ist im Reinen mit sich! Alles, was sie will, ist ... Cato. Nicht in diesem verqueren Gespräch, sondern seine Bronzehaut auf ihrem kapitolgeschaffenen Alabaster und keine fürchterlichen Gedanken.

Clove hat nie zuvor mit jemandem geschlafen und so kurz vor den Hungerspielen wird ihr schmerzlich bewusst, dass diese Gelegenheit für immer vorbei sein könnte. Dieses Gespräch auf dem windigen Dach zehrt an ihrer Lebendigkeit. Sie hasst Cato, weil er drauf und dran ist, ihr alles zu ruinieren. Dabei ist es doch furchtbar genug, dass er hier ist, um ihre Spiele an sich zu reißen!

»Macht das jetzt noch einen Unterschied? Von hier an geht es nur geradeaus.« Die Stimme scheint von weit weg zu kommen, aber es ist ihre eigene. Müde, unendlich müde. Als wenn da wieder das Mädchen spricht, das Cato zuzwinkert, weil sie aus Versehen sein Shirt mit ihrem Messer erwischt hat beim Training. Das Mädchen, das über all seine Witze lacht und nicht eine Sekunde daran zweifelt, dass er ein Sieger ist. Das Mädchen, das nicht einmal weiß, was Leben wirklich heißt.

Aber sie, die Clove der 74. Hungerspiele weiß es – Leben heißt Überleben. Keine Rücksicht auf Verluste. Also tritt sie auf Cato zu, lässt die Fingernägel über seinen Nacken gleiten und lächelt, weil er erschaudert. Sie zieht ihn zu sich heran, in einen Kuss, den sie sich früher gewünscht hätte. Nimmt seinen heißen Atem in sich auf, als sie mit den Zähnen an seiner Unterlippe knabbert – ganz leicht. Schließlich gilt es zu beweisen, dass sie keine Irre ist.

Seine Haltung verändert sich. Die Muskeln, die sie so gut kennt, spannen sich. Ihre Finger tänzeln in einem Versprechen von mehr darüber, von den Armen über den Bauch bis zu seiner Hüfte.

»Ich bin hier wegen dir«, haucht sie in sein Ohr. Und das ist nicht einmal gelogen. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte sie sich wohl nie für diese Extrakurse angemeldet, in denen sie das wahre Leben kennen und lieben lernte. Doch statt ihn mit der langweiligen Realität ihrer Entscheidungsfindung zu konfrontieren, schiebt sie sein Shirt hoch und hakt ihre Finger unter den Bund seiner Hose. »Ich hab dich nie gehasst, Cato ...«

Sie zieht seinen Namen lang, ein gestöhntes Wispern. Vielleicht ist es sein Stolz – oder auch echtes Begehren – doch er ist Wachs in ihren Händen. Als sie sich gegen ihn lehnt, spürt sie seine Erregung genau. Sie vergräbt das Lächeln an seinem Hals und belohnt ihn mit einem Kuss auf das Schlüsselbein.

»Das ist eine blöde Idee«, murmelt er. »Du hättest nächstes Jahr gehen sollen, ins Jubeljubiläum –«

»Ich kann nicht warten. Das bringt mich um. Ich will leben, Cato, leben!« Und das Jubiläum ist ... unberechenbar. Nicht der ehrliche Wettkampf, den sie herbeisehnt.

Er öffnet den Mund, doch anstatt Worten kommt nur ein Keuchen heraus. Clove hat ihre Hand unter den Hosenbund geschoben und streicht über seine glatte Haut.

»Genau jetzt, Cato. Genau hier. Egal, was morgen ist.«

Sein Blick ist schleierverhangen, doch da regt sich etwas in der Tiefe. »Fuck!« Er zieht ihre Hand fort und auf einmal sind seine Augen wieder hart wie die Saphire aus Distrikt Eins. »Du bist wirklich furchtbar.«

Damit ist er weg.

Den folgenden Tag sieht sie ihn nur kurz, doch das ist egal. Sie arbeitet schließlich an dem größeren Ziel. Keine Zeit für Ablenkung, während sie den Spielmachern ihr gesamtes Können präsentiert; ihnen erzählt, dass sie hier ist, eben weil sie so verzweifelt leben will. Das Klatschen, das geneigte Nicken der schwarzgekleideten Männer auf der Empore – es ist pure Euphorie, die durch ihre Adern rast. Sie weiß einfach, dass sie ihre Sache gut gemacht hat.

Die Bewertungen sind der Höhepunkt des Tages – nein sogar der Vorbereitungszeit. Damit ist sie nicht alleine. Auch Cato grinst breit, sobald sie im Wohnzimmer zusammengetrommelt werden. Die gestrige Situation scheint vergessen. Bei der Verlesung der Punkte sitzt er neben ihr auf dem Sofa, einen Arm auf der Lehne hinter ihr. Begleitet von lässigen Verbeugungen in Richtung des Teams lassen sie sich zu vielversprechenden Hoffnungen krönen. Die Erzählungen dessen, womit sie sich die Punktzahlen verdient haben, sprudeln wie von alleine über ihre Lippen.

Vielleicht ist es ein Satz zu viel, ein bisschen zu ehrlich, dass sie erwähnt, entweder in einem Feuerwerk siegen zu wollen – oder aber unterzugehen. Ihr entgeht nicht, dass das Lächeln ihrer lächerlichen Kapitoleskorte kurz verrutscht und Cato sich auf die Unterlippe beißt. Doch dann lehnt er sich vor, streicht eine lose Haarsträhne über ihre Schulter und verspricht, dass er darauf achten wird, dass sich ihr Wunsch erfüllt. Ob ihr wohl Glimmer oder Marvel als Gegner besser gefällt? Oder doch gleich Zwölf?

Eigentlich keiner von denen. Je länger Clove nachdenkt, desto weniger will sie durch die Hand irgendeines dieser Tribute sterben. Allesamt zu schwach, zu langweilig. Es sei denn, sie verstecken noch etwas vor ihr. Aber sie ist ja ohnehin gekommen, um zu überleben.

Wie zufällig landet ihre Hand auf Catos Oberschenkel. Ein Lächeln zum Fernseher gerichtet, auf dem ausgerechnet die aus Zwölf eine Rekordpunktzahl erhält, streichelt sie die Innenseite seines Beins. Er schlägt ihre Finger nicht wieder fort und das ist auch ein Sieg der anderen Art.

Die Interviews sind reine Formsache. Dafür haben sie schon Monate zuvor trainiert und beide wissen sie, wer sie in den Augen des Kapitols sein wollen. Gefährlich, unberechenbar. Ein weiteres Mal geben Applaus und Wettquoten ihnen recht. Clove kann mit ihrem Alter brillieren, ganz wie geplant. Cato wird begehrt. Die Höschen wildfremder Menschen, die auf der Bühne landen, entlocken Clove ein herzliches wie mitleidiges Lachen.

Viel zu schnell stehen sie in ihren feinsten Kleidern wieder im dunklen Wohnzimmer, die Aussicht auf die letzte Nacht in einem echten Bett vor sich. Sie sehen beide unfassbar gut aus, sogar im Vergleich zur Wagenparade. Die Luft zwischen ihnen knistert – im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Lagen synthetischen Stoffes haben sich elektrisch aufgeladen. Es ist der perfekte Moment. Die Nacht schreit nach Leben, Cloves Blut pulsiert und sie ist unbesiegbar.

Als sie sich abwendet, folgt Cato ihr. In ihrem Zimmer angekommen, landet der erste Kuss in ihrem Nacken.

»Du bist wirklich furchtbar«, wiederholt er seine Worte vom vorgestrigen Tag. »Und das Schlimmste – ich steh darauf.«

Dafür, dass er nicht zögert, zu töten, sind seine Hände erstaunlich weich. Clove hingegen gräbt die Fingernägel in seinen Rücken. Sie schreit das Leben heraus, hält ihn fest und nachdem er sich um Atem ringend zurückzieht, sind ihre Fingerspitzen rot wie das Feuer, das in ihren Adern brennt. Sie lacht, während Tränen ihre Wangen hinablaufen. Sie bebt und lebt. Was morgen passiert, ist egal.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück