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Die Vertretung und die Folgen

Wenn Hündchen vor große Herausforderungen gestellt werden
von

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Angriff

Sonntag, 02.10. / Montag, 03.10.
 

Das restliche Wochenende war seltsam gewesen. Kaiba hatte viel gearbeitet, weil es Probleme mit Nordamerika gab wegen neuer Beschränkungen, die in der Politik beschlossen waren und so hatte er ihn praktisch nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Stattdessen hatte er den Tag halb mit Mokuba verbracht, ehe dieser seinen großen Bruder im Arbeitszimmer aufgesucht hatte. Er selbst hatte sich ebenfalls in sein Zimmer zurückgezogen, diesem Shinichi die nächste Rate überwiesen und sich danach an die Hausaufgaben gesetzt, doch so richtig konzentrieren konnte er sich nicht.

Tief in seinem Inneren hatte er sich gestern Abend gewünscht, dass Kaiba noch beim ihm reingeschaut hätte, um sich zu erkundigen, wie es ihm ging, doch da war nichts gekommen. Stundenlang hatte er seitlich auf dem Bett gelegen und die Tür förmlich angestarrt, doch sie war geschlossen geblieben. Es war dumm gewesen, anzunehmen, dass sich der Brünette plötzlich für ihn interessierte und an seinem Leben teilhaben wollte. Und die Erkenntnis, dass eben doch alles geschauspielert war, tat ihm weh. Viel mehr, als er es wollte.

Auch auf sein Angebot, dass er ihm mit der Nordamerikasache helfen könnte, um schneller fertig zu werden, war er nicht eingegangen. Wahrscheinlich bereitete er sich bereits auf ihre Trennung vor, die nach dem Firmenjubiläum irgendwann verkündet werden sollte. Trennung. Ha! Dafür hätten sie ja jemals miteinander zusammen gewesen sein müssen. Scheiße, das ging ihm echt nah.

Frustriert räumte er mit einer Hand die Sachen von seinem Schreibtisch und schlug auf die Holzplatte. Er musste sich zusammenreißenm. Es konnte doch nicht sein, dass er Gefühle für den Eisschrank entwickelt hatte! Das war doch so absurd, so lächerlich.

Kaiba würde ihn auf der Stelle auslachen, wenn er damit ankam. Nein, die Blöße würde er sich nicht geben.

Es klopfte und erschrocken starrte er die Tür an. „J-ja?“ Sein Herz klopfte unnatürlich schnell, als er gebannt beobachtete, wie sie geöffnet wurde und Seto in einem dünnen Pullover und Jogginghose dastand.

„Was ist denn hier passiert?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue und schaute auf die Schulsachen, die neben ihm auf dem Boden lagen. Es arbeitete in Joeys Kopf, was er erwidern sollte und noch ehe er sich in die Scheiße reiten konnte, antwortete er: „Mathe bringt mich noch ins Grab. Ich verstehe es einfach nicht.“

Kaiba seufzte, schloss die Tür hinter sich und trat an ihn heran, blieb vor dem Hefter stehen und hob ihn auf. „Du gibst doch sonst nie auf.“ Es war eine Feststellung und die blauen Augen, die ihn so intensiv musterten, waren ihm irgendwie so unangenehm und andererseits wollte er für immer so weiter angeschaut werden. Das war doch alles zum Haare raufen!

„Mathe ist etwas anderes. Ich verstehe nicht, wie Leute sagen können, dass Mathe etwas Logisches ist und etwas Beruhigendes an sich hat. Ich meine, warum gibt es Buchstaben in der Mathematik? Mathe sind Zahlen und Sprachen sind Buchstaben! Das muss man doch nicht durcheinanderwürfeln!“, echauffierte er sich und entlockte dem Brünetten so ein Schmunzeln. „Dir wird es genauso gehen, wenn der Groschen erst einmal gefallen ist. Du hast in den letzten Wochen so viel gelernt, dass du doch jetzt nicht damit aufhören willst, oder?“ „Kommt aufs Thema an“, brummte der Blondschopf und beobachtete aufgeregt, wie Kaiba einen Stuhl holte und sich neben ihn setzte, während er schnell die Stifte aufhob und auf den Tisch legte.
 

Zwei Stunden saßen sie da an seinem Schreibtisch und Joey hatte danach das Gefühl, wenigstens etwas mehr verstanden zu haben. Allerdings hatte er sich auch nicht immer konzentrieren können. Der Pulli saß so perfekt und wenn er an den Körper darunter dachte … Aber so viel wichtiger für Joey war sein Lächeln. Das ehrliche, liebevolle Lächeln, mit dem er oft Mokuba bedachte, wenn dieser ganz begeistert von etwas war. Es sah so wunderschön aus.

„Wieso bist du eigentlich hier?“, fragte er plötzlich und Kaiba sah zu ihm. „Hm?“ „Na, du bist doch wohl kaum hierhergekommen, um mir Mathe Nachhilfe zu geben. Oder hast du hier Kameras installiert und wusstest so, dass ich hier verzweifel?“ „Interessanter Gedanke, aber hier gibt es keine Kameras. Ich wollte dir nur sagen, dass ich die Angelegenheit klären konnte. Du kannst Emails dazu einfach ignorieren. Ich werde mich um die letzten Details, die morgen sicherlich noch aufkommen werden, kümmern.“ „Das klingt gut.“ Der Brünette nickte und stand auf und der Blondschopf wusste nicht, was er tun sollte. Bis Freitag hätte er ihn sofort geküsst und verführt, aber irgendetwas war anders. Lag es an ihm selbst? Weil der Umzug so viel an die Oberfläche gespült hatte, dass er glaubte zu ertrinken? Lag es an Kaiba, weil er gestern etwas erlebt hatte, was ihn beschäftigte? Scheiße, was sollte er tun?

„Also dann, gute Nacht und schlaf schön. Bis morgen.“ „Du auch, bis morgen“, murmelte Joey und schaute dem CEO nach, der bereits an der Tür war und diese hinter sich schloss.

Das war sie gewesen, deine Chance, tadelte ihn eine innere Stimme, doch er schüttelte den Kopf. Nein, das war alles nur geschauspielert. Obwohl … Nein, nicht alles. Dass Kaiba ihm sehr dankbar war, dass er sich um Mokuba gekümmert hatte und deswegen ein paar Dinge für ihn getan hatte, das war echt. Da war er sich sicher. Aber anscheinend gehörte der Brünette zu den Menschen, die zwischen Sex und Liebe unterscheiden konnten. Fuck, das konnte doch nicht sein. Nein, das durfte nicht sein.
 

Die Limousine hielt vor der Schule an und Joey straffte die Schultern. Es war ein täglicher Kampf, der ihm auf den Sack ging, aber den er immer wieder gewinnen musste. Er brauchte diesen verdammten Abschluss, um in der Zukunft gut aufgestellt zu sein.

Sonst hätte er sich diesen Spießrutenlauf schon seit Wochen nicht mehr angetan. Die halbe Schule schien homophob zu sein und hatte er bisher geglaubt, dass er bi war, dann hatte er mittlerweile das Gefühl, schon aus trotz schwul zu sein.

Der Blonde schritt um den Wagen herum zu Kaiba, der wie immer sofort einen Arm um ihn legte, doch heute Morgen wusste er nicht, was er davon halten sollte. Dafür war das Wochenende zu seltsam gewesen.

Sie marschierten über den Schulhof, begleitet von Blicken und Tuscheleien, die ihm immer mehr zusetzten. Hatte er es am Anfang noch geschafft, das zu ignorieren, fiel es ihm von Zeit zu Zeit schwerer, das noch so zu handhaben. Und sein Rettungsanker neben ihm hatte sich als sehr brüchig erwiesen. Auf Kaiba wollte er sich nicht mehr verlassen. Er musste das allein schaffen. Wie er bisher auch alles allein geschafft hatte.

Anders ging es einfach nicht. Das hatte er gestern Abend begriffen.

In der Klasse angekommen, brachte er den CEO zu seinem Platz und entschuldigte sich dann bei ihm. Er legte seine Tasche auf seinen Stuhl und wandte sich dann grinsend Yugi zu, dem er durch die Frisur wuschelte. „Na, wie war noch dein Wochenende?“, wollte er wissen und hoffte, dass die gute Laune überzeugend herüberkam. Er brauchte Ablenkung und sich mit seinen besten Freunden zu unterhalten, wirkte da noch immer Wunder. „Ziemlich unspektakulär. Ich habe gestern noch mit Großvater einen Ausflug ans Meer gemacht, weil wir da beide Lust zu hatten, aber sonst nichts. Und du?“ „Ich habe mich gestern mit Mathe herumgeärgert, aber dank der Nachhilfe des Eisklotzes habe ich wenigstens etwas verstanden“, antwortete er automatisch und spürte plötzlich diesen Blick in seinem Nacken. Kaiba hatte sie bestimmt gehört, so weit entfernt waren sie nicht, aber warum fühlte er sich so unwohl? Es war einer seiner Spitznamen, die er für ihn hatte. Da konnte er sich doch nicht wundern, dass er ihn nutzte, oder? Oder … verletzte es ihn, dass er ihn noch immer so nannte?

„Guten Morgen!“, rief Tea fröhlich und kam sofort auf sie zu und die Gedanken verblassten, als ihre Freundin ihnen erzählte, dass sie gestern ein paar Bewerbungen für Tanzschulen weggeschickt hatte. Sie beglückwünschten sie dazu und Joey spürte auf einmal, dass er sich viel besser fühlte. Was würde er nur ohne seine Freunde tun?
 

Es war Zeit für die Kantine, als Joey seufzte. Es war die Zeit des Tages, die ihn am meisten Kraft kostete, die ihn am meisten nervte. Obwohl all seine Freunde und auch der Brünette ihm halfen und für ihn konterten, konnten sie nichts daran ändern, dass die meisten Beleidigungen und Beschimpfungen ihm galten. Nicht Kaiba, weil sich niemand traute, es sich mit ihm zu verscherzen, sondern ihm. Dem Straßenköter, der sich ein Herrchen gesucht hatte, dass auf ihn aufpasste. Das war die gängige Meinung und so war es eben er, der alles abbekam.

„Ich geh noch eben ins Bad, bis gleich“, verabschiedete er sich von den anderen und sie nickten ihm zu, als Joey in einen anderen Gang abbog, wo sich die WCs befanden.

Er war gerade fertig und wollte sich die Hände waschen, als plötzlich fünf Typen aus der Parallelklasse auftauchten und ihm den Weg versperrten. Nach außen hin unbeeindruckt wusch er sich in Ruhe und trocknete die Hände ab, doch innerlich schrillten alle Alarmglocken. Sie waren von Anfang an ganz vorn dabei gewesen, ihn zu schickanieren und wenn er sich die jetzt so ansah, wollten sie es nicht mehr nur bei Worten belassen. Und er saß in der Falle.

„Na, wenn das nicht unser schwanzlutschender Freund ist. Gar kein Herrchen bei dir?“ Verbissen schwieg Joey. Er durfte sich nicht provozieren lassen. Wenn er von der Schule flog, waren die letzten Wochen vollkommen umsonst und er konnte sich seine Träume in die Haare schmieren. Dafür hatte er noch viel zu viel vor.

„Was denn? Seit wann so schweigsam? Du kläffst doch sonst immer sofort los, Mr. „glückliche Schwuchtel“. Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?“ „Hören wir auf zu quatschen. Ich will ihn endlich loswerden. Die Fresse nervt mich“, knurrte ein anderer und reflexartig ging Joey in eine Abwehrhaltung. Was sollte „loswerden“ überhaupt heißen? Von der Schule fliegen? Umbringen? Ihm wurde schlecht, doch er zwang sich dazu, nicht durchzudrehen. Dabei züngelte die Panik durch seine Adern, schärfte seine Sinne, aber vernebelte auch seine Gedanken.

Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Zwei Typen griffen an. Den einen konnte er abwehren, der andere traf ihn mit der Faust in den Bauch, sodass ihm kurz die Luft ausging. Für die anderen Drei war es das Startsignal. Joey verteidigte sich nur, zu groß war die Angst, bei einem Angriff sofort von der Schule zu fliegen. Aber bei fünf Angreifern war es sowieso schon beinahe unmöglich, alles abzuwehren – geschweige denn anzugreifen. Er war ja kein ausgebildeter Kämpfer.

Ein letzter Schlag gegen sein Brustbein, dann ließen die Typen lachend von ihm ab und er rutschte an der Wand herunter und blieb vor Schmerz stöhnend sitzen. Die Schweine hatten darauf geachtet, ihn nicht im Gesicht zu erwischen, damit niemand sah, was sie mit ihm gemacht hatten. Scheiße, tat das weh. Sein gesamter Oberkörper schmerzte und mit zusammengebissenen Zähnen blieb er einfach sitzen. Nur eine Bewegung und er würde wahrscheinlich die gesamte Schule zusammenbrüllen.

Nach ein paar Minuten ging es ihm schon etwas besser und er konnte zu den anderen gehen. Shit, die anderen!

Fest griff Joey mit einer Hand das Waschbecken und zog sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hoch. Es würde nicht lange dauern, bis sich seine Freunde auf den Weg machen würden, um zu sehen, ob es ihm gutging. Sie sollten ihn so nicht sehen. Zu schwach, um sich zu wehren. Zu schwach, um das selbst regeln zu können.

Langsam und gleichmäßig atmete Joey ein und aus, hielt sich mit beiden Händen an dem Porzellan fest und wartete darauf, dass der Schwindel verschwand. Immerhin konnte er problemlos atmen, also war seine Lunge schonmal in Ordnung. Das war doch ein Anfang.
 

Mit schweren Schritten schleppte er sich in die Kantine und wollte gerade in Richtung des Tresens gehen, um sich etwas zu holen, als Seto plötzlich vor ihm stand. „Joey, was ist passiert?“ „N-nichts. Mir ist nur ein bisschen schwindelig“, murmelte er und wollte an ihm vorbeigehen, doch der CEO stellte sich ihm in den Weg. „Joey, an deiner Uniform ist Blut. Was ist los?“ „Blut?“, wiederholte er fragend und schaute an sich herab. Tatsächlich waren da zwei Blutflecken. Mist, das sauber zu kriegen, war die Hölle, schoss es ihm durch den Kopf, als sich alles um ihn herumdrehte und dann wurde alles schwarz vor seinen Augen.



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