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Dein rettendes Lachen

von

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Wieder Daheim

„Wie ist es jetzt?“ fragte Naomi, während sie die Spritze in eine kleine Schale neben mich legte.

Ich atmete erleichtert auf. „Besser.“

„Tu mir bitte den Gefallen und warte mit dem Schmerzmittel nicht immer bis zu dem Zeitpunkt, an dem es kaum noch erträglich ist. Damit tust du niemandem einen Gefallen.“ Sie hatte ja recht, aber ich wurde dadurch immer so müde. Naomi war gerade dabei meinen Verband zu wechseln. Als sie den alten Verband abnahm, schielte ich kurz zu meinem Schlüsselbein.

„Es verheilt wirklich gut“ sagte sie zufrieden. „Die Ärztin wird dich heute sicher wieder entlassen. Wenn du es bis heute Abend hier aushalten kannst, nehme ich dich nach meiner Schicht mit.“
 

Ich war erleichtert. Von Krankenhäusern hatte ich wirklich erstmal die Nase voll. „Das klingt toll. Wie geht’s Pharao?“

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie den neuen Verband anlegte. „Jaden kümmert sich um die Kleine. Sie ist wirklich verspielt. Wenn Makoto nicht so allergisch wäre, hätte ich sie sicher auch aufgenommen.“

Ich lachte leise auf. „Jaden war auch sofort begeistert. Mein Vater hat auch nichts dagegen sie zu behalten.“

„Er freut sich schon richtig darauf“ sagte sie als sie fertig war.

„Wie meinst du das?“

Sie kicherte amüsiert. „Er hat es mir letzte Woche ganz begeistert erzählt. Dass eine Katze bei dir lebt meine ich. Er freut sich schon darauf, endlich wieder nach Hause zu kommen.“

Ich schmunzelte. Auch ich freute mich darauf, dass er in zwei Wochen wieder nach Hause kommt. Und vor allem freute ich mich, dass er langsam wieder der Alte war. Die Angst, dass er sich wieder etwas antun könnte, war verschwunden. Das lag zu einem großen Teil auch an Naomi. Wäre sie nicht gewesen, hätte mein Vater nur meine kurzen Besuche gehabt. Sie hat sich während seines Aufenthalts hier so gut um ihn gekümmert. „Danke für alles“ sagte ich und sah Naomi an.
 

Sie schüttelte nur den Kopf und lächelte herzlich. „Du brauchst dich für nichts zu bedanken. Das war selbstverständlich für mich. Wir sind für dich da. Und auch für deinen Vater. Außerdem muss auch ich dir danken.“ Ich sah sie fragend an. Was in aller Welt hatte ich schon für sie getan? Ihr Lächeln intensivierte sich und sie packte den alten Verband in die Schale neben mir, nahm sie an sich und ging anschließend zur Tür. Ein letztes Mal drehte sie sich zu mir und hatte immer noch diesen glücklichen Gesichtsausdruck. „Jaden ist wirklich glücklich“ sagte sie. Überrascht sah ich ihr nach und beobachtete, wie die Tür langsam ins Schloss fiel.
 

~*~
 

Wenig später kam die Ärztin zur Visite. Ich war froh zu hören, dass ich wirklich entlassen wurde. Allerdings sollte ich es wegen der Gehirnerschütterung bis Ende der Woche noch langsam angehen lassen und mich nicht überanstrengen. Außerdem gab sie mir wegen meiner Schulter noch Schmerztabletten mit. In den nächsten beiden Wochen sollte ich die Schlinge um meinen Arm noch tragen, damit die Wunde ausheilen konnte. Danach muss ich zur Physiotherapie. Ich seufzte. Also werde ich das Krankenhaus doch nicht so schnell wieder los.
 

Ein dezentes Klopfen hallte durch den Raum. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür und meine Großmutter betrat den Raum. „Hallo“ begrüßte ich sie überrascht.

„Hallo, Yusei“

„Hast du in Tokio schon alles erledigt?“

„Nicht ganz, aber den Rest schaffe ich auch von hier aus. Ich habe ja gesagt, dass ich dich bald wieder besuche. Du wirst heute entlassen, nicht?“

Noch immer etwas verwirrt nickte ich. So früh hatte ich sie wirklich nicht erwartet. „Ich wurde schon entlassen.“

„Und warum bist du dann noch hier?“ fragte sie verwundert.

„Naomi will mich nach ihrer Schicht mitnehmen. Das Motorrad kann ich in nächster Zeit wohl vergessen.“

„Die Mutter dieses quirligen Jungen?“

Wieder nickte ich.

„Wenn du möchtest, kann ich dich nach Hause fahren. Es wäre angenehmer als hier zu warten, meinst du nicht?“
 

Zögerlich stimmte ich ihr zu. Kurz darauf verabschiedete ich mich von Naomi und den anderen und lief mit meiner Großmutter zusammen zum Parkplatz. Ich sah mich um. „Wo ist denn der lange Typ mit den schwarzen Haaren?“ Sie sah wieder zu mir. „Du meinst sicher Mister Devlin. Er ist noch in Tokio und koordiniert einige Angelegenheiten in meiner Abwesenheit.“
 

Wir waren am Parkplatz angekommen und sie hielt mir die Tür ihres Wagens auf. Ich bedankte mich und stieg ein. Erstaunt sah ich mich um. Dieses Auto sah von innen noch besser aus als ich dachte. Während sie ebenfalls einstieg und losfuhr, sah ich wieder zu ihr. „Welche Angelegenheiten meinst du eigentlich?“ Ich wusste von ihr bisher nur, dass sie einen kleinen Konzern leitete, seit ihr Mann verstorben war. Weder wie der Konzern hieß, noch was ihre eigentliche Aufgabe war.
 

„Ach, das übliche“ antwortete sie vage. „Finanzchecks, Buchhaltung, das ein oder andere Gespräch mit einem Mitarbeiter. Seine Hauptaufgabe besteht im Wesentlichen darin, mich zu beraten. In meiner Abwesenheit vertritt er mich allerdings auch.“

„Aber was machst du genau?“ wollte ich wissen.

„Bevor ich meinen Mann kennenlernte, verdiente ich meinen Lebensunterhalt damit zu komponieren. Ein Stück weit ist das auch heute noch meine Aufgabe. Allerdings nicht mehr für mich selbst. Ich manage unter anderem einige Solisten.“

„Unter anderem?“

Sie schien zu überlegen. „Naja, man kann sagen, dass ich in Tokio darüber entscheide, welcher Musiker weiterkommt und welcher keine Zukunft in diesem Bereich haben wird.“

„So wie Herr Kazuki?“

Sie musterte mich einen kurzen Augenblick, ehe sie ihre Augen wieder auf die Straße richtete. „Nicht ganz. Mein Einfluss beschränkt sich nicht nur auf eine einzelne Konzerthalle.“

Ich verstand es noch immer nicht genau. „Wo hast du denn überall Einfluss?“

„Das ist wirklich nicht einfach zu erklären. Sagen wir einfach, er reicht über einige Unternehmen und Einrichtungen.“
 

„Hm.“ Weiterreden wollte sie darüber wohl nicht. Ihre Gründe dafür waren mir zwar schleierhaft, aber fürs erste nahm ich ihre Antworten zur Kenntnis. Später hatte ich noch immer Gelegenheit dazu, mehr herauszufinden. Der Wagen bog die Einfahrt zu unserer Garage ein und kam langsam zum Stehen. Ich bedankte mich und bat sie mit rein. Als ich die Tür öffnete, wartete schon jemand auf mich. Ich schmunzelte als Pharao auf mich zu getapst kam und mich begrüßte. Ich kraulte sie kurz hinter dem Ohr, ehe sie sich wieder davonmachte. Überraschenderweise beachtete sie meine Großmutter nicht.
 

„Die ist aber süß“ bemerkte sie und hing ihren Mantel an die Garderobe. Ich nickte und sah der Katze nach, wie sie um die Ecke bog. Das war das erste Mal, dass sie jemanden ignorierte. Als ich mich wieder umdrehte, sah ich meine Großmutter vor den Bildern an der Wand stehen. Ich konnte ihren Blick nicht deuten, während sie die vielen Fotos begutachtete. „Willst du einen Tee?“ versuchte ich das Gespräch fortzuführen. Ohne sich von den Fotos zu lösen, gab sie mir ihre Antwort. „Nein, mach dir keine Umstände deswegen. Du sollst dich doch schonen.“
 

„Das macht keine Umstände. Den bekomme ich mit einem Arm noch hin“ beharrte ich.

Sie sah wieder zu mir und lächelte. „Wenn du so darauf bestehst.“

Ich bat sie ins Wohnzimmer und machte den Tee in der Küche zurecht. Als ich zu ihr ging, betrachtete sie einen kleinen Stapel Blätter auf dem Tisch. Sie sah wieder auf. „Ist das von dir?“ Ich brauchte etwas, ehe ich wusste was sie meinte. Auf dem Tisch lag noch das Projekt, an dem ich gerade saß. Ich hatte wohl letzte Woche vergessen sie wieder oben zu verstauen. „Ja, ich spiele gerade mit einigen Ideen herum. Aber ich bin noch lange nicht fertig.“

„Der Ansatz ist sehr interessant“ sagte sie und sah mich an. „Darf ich?“

Ich nickte und stellte die Tasse vor ihr ab.
 

Eine Weile betrachtete sie still die Noten, die ich aufgeschrieben hatte. „Der Teil hier ist etwas eigenwillig“ sagte sie plötzlich. Ich lehnte mich kurz zu ihr, um zu sehen was sie meinte. „Ich weiß, aber den Teil der höheren Oktave will ich so beibehalten. Mir ist nur noch nicht eingefallen, wie ich die Begleitakkorde schreiben soll.“ „Hm.“ Eine Weile besah sie sich das Blatt, legte ihre Hand dabei an ihr Kinn und schloss dann ihre Augen. Ich schmunzelte. So sieht sie wirklich aus wie meine Mutter, wenn sie in ihrem Arbeitszimmer saß. Schon interessant, wie sehr sie sich in mancher Hinsicht ähnelten. Währenddessen sprang Pharao auf das Sofa, um es sich neben mir bequem zu machen. Neugierig beäugte sie die Schlinge um meinem Arm.
 

Plötzlich legte meine Großmutter das Blatt wieder auf den Tisch, nahm sich einige unbeschriebene Notenblätter und schrieb etwas auf. Während sie die Noten zeichnete, blieb ich still und betrachtete neugierig das Blatt vor ihr. Allem Anschein nach hatte sie eine Idee für mein Problem. Als sie fertig war, reichte sie mir ihre Arbeit. „Diese Variante ist etwas eleganter, wenn du die hohen Töne wirklich so belassen willst.“ Überrascht las ich mir die Noten durch. „Das ist wirklich besser“ sagte ich und sah wieder auf. „Danke.“
 

Ein dezentes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Das meiste davon ist noch immer von dir. Ich habe es nur etwas abgewandelt.“ Wie gern hätte ich es gleich gespielt, aber das war in der nächsten Zeit leider unmöglich. Dieser verdammte Arm war zu nichts zu gebrauchen. Allerdings hatte mir die Ärztin versprochen, dass ich bis zur Aufführung wieder Klavier spielen könnte. Zumindest wenn ich die Physio schnell beginne. Doch dafür musste erst die Wunde von der OP heilen. „Was bedrückt dich?“ hörte ich wieder ihre Stimme und sah auf. Sie musterte mich besorgt.

Ich winkte ab. „Nichts, alles gut. Ich würde es nur am liebsten gleich spielen.“

Ihre Gesichtszüge entspannten sich wieder. „Selbst wenn du deinen Arm bewegen könntest, wäre das im Moment keine gute Idee.“

„Warum?“ fragte ich irritiert.

„Du brauchst immer noch viel Ruhe. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen.“
 

Die Klingel der Haustür ließ mich Aufsehen. „Schon gut, ich hatte in den letzten Tagen genug Ruhe“ sagte ich, während ich aufstand und zur Tür ging. Als ich sie öffnete, grinste mir Jaden entgegen. Seine Schultasche hing über seinen Schultern. „Hey, meine Mutter meinte ich hab dich knapp verpasst“ sagte er fröhlich, und gab mir zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss.

Verwundert sah ich auf die Uhr. „So früh habe ich gar nicht mit dir gerechnet. Ist das Training ausgefallen?“

„Ja, der Platz ist wegen dem Regen gestern komplett unspielbar“ sagte er, während er Richtung Wohnzimmer lief. „Die Halle haben wir erst morgen.“

Ich folgte ihm und er hob zur Begrüßung die Hand. „Hey, so sieht man sich wieder!“

„Hallo“ erwiderte meine Großmutter verwundert. „Jaden, nicht?“

Jaden nickte und stellte seine Tasche ab. In diesem Moment kam Pharao auf ihn zugetapst und begann plötzlich damit, mit ihm zu spielen. Er lachte herzlich und ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Für einen Augenblick sah meine Großmutter überrascht zu mir. Mein Lächeln wurde breiter. Anscheinend hat sie es bemerkt.
 

~*~
 

Die Tage vergingen und allmählich fühlte ich mich wieder besser. Die Kopfschmerzen waren weg, und wenn ich sie nicht bewegte, hatte ich auch kaum noch Schmerzen in meiner Schulter. Dadurch blieben mir zumindest die Schmerzmittel erspart. Vormittags besuchte mich fast täglich meine Großmutter für ein paar Stunden, um mir ein wenig zu helfen. Das Einkaufen und der Haushalt gestalteten sich etwas schwierig für mich. Wir unterhielten uns unter anderem oft über mein Projekt und mein baldiges Studium in Tokio. Sie erzählte mir viele Geschichten von meiner Mutter, als sie noch ein kleines Mädchen war und ich lauschte gespannt jedem ihrer Worte. Die meisten Erzählungen hörte ich zum ersten Mal. Anscheinend war sie damals ein kleiner Wirbelwind und sehr lebensfroh. Letzteres hatte sich bis zu ihrem letzten Tag nicht verändert. Es war seltsam, aber irgendwie lernte ich sie auf diese Art ganz anders kennen, und dafür bin ich meiner Großmutter wirklich dankbar. Allmählich wurde ich wirklich warm mit ihr und auch sie wirkte entspannter als am Anfang.
 

Um auf dem Laufenden zu bleiben, kam Alexis nach der Schule oft mit Crow und Jaden vorbei, um mit mir den Schulstoff durchzugehen. Crow murrte zwar oft rum, aber Alexis hatte stolz verkündet, dass seine Noten sich schon gebessert hatten, und er mit dem Fußball weitermachen konnte. Ich war wirklich erleichtert. Zwar würde ich für die nächsten drei Monate ausfallen, aber Leo war ein wirklich guter Ersatz für mich. Für Crow hätten wir allerdings niemanden gehabt und ab Januar würde die Regionalmeisterschaft starten. Mit nur zehn Spielern wäre das unmöglich gewesen.
 

Am Montag stand ich pünktlich vor meinem Haus und wartete auf Naomi. Sie wollte mich zusammen mit Jaden und Alexis mit zur Schule nehmen. Ich freute mich schon darauf meine Freunde wiederzusehen. Zwar hatte ich in den letzten Tagen ständig Gesellschaft, aber mein Alltag war mir doch lieber. Aus der Seitenstraße sah ich schon den quietschgelben Wagen vorfahren, der neben mir zum Stehen kam. Ehe ich ihn erreicht hatte, öffnete sich die hintere Tür und Alexis half mir einzusteigen. Ich bedankte mich und begrüßte die anderen. Jaden saß schräg hinter mir und sah so aus, als würde er jeden Moment wieder einschlafen. „Was ist denn mit dir los?“ fragte ich besorgt.

Er gähnte herzhaft. „Nichts, bin nur müde.“

Alexis seufzte. „Warum denkst du auch nicht eher daran zu lernen.“

„Hey, ich hab gedacht wir schreiben die Klausur erst nächste Woche!“ beschwerte er sich.

„Wozu hast du eigentlich einen Kalender, wenn du dir doch nichts einschreibst?“

Jaden stöhnte genervt auf und ließ sich in den Sitz sinken.

„Was schreibst du denn heute?“ fragte ich.

„Geschichte. Hätte mich Jim gestern Abend nicht erinnert, hätte ich das komplett vergessen.“

Naomi schüttelte nur ein wenig verzweifelt den Kopf.
 

In der Schule angekommen, verabschiedete ich mich von Jaden und wünschte ihm viel Glück. Hoffentlich bleibt er während der Klausur wach. „Hey, da ist er ja wieder!“ begrüßte mich Crow fröhlich als ich das Klassenzimmer betrat. „Du bist ja die komischen Streifen an der Schläfe losgeworden.“

Was für Streifen meint er denn? Ach so, stimmt, die Klemmpflaster. „Ja, die Wunde ist wieder verheilt.“

„Wie geht’s deinem Arm?“ fragte Jack.

„Besser, aber ich darf ihn noch nicht bewegen.“

„Und wie lange fällst du aus?“ bohrte er weiter.

Alexis lachte. „Jetzt lass ihn doch erstmal ankommen, Jack!“

Ich stellte meine Tasche an meinem Platz ab. „Schon gut. Spielen darf ich drei Monate nicht. Aber das Training kann ich trotzdem leiten.“

„Echt? Drei Monate?“ fragte Crow erstaunt.

Ich nickte.

„Warum so lange?“

„Weil ich mir beim nächsten Tackle sonst wieder das Schlüsselbein breche. Da bringt mir die Metallplatte auch nicht viel.“

„Das ist ja ätzend.“

Ich konnte ihm nur zustimmen. Sensei Flannigan betrat den Raum und wir setzten uns auf unsere Plätze.
 

~*~
 

„Braucht du Hilfe mit deiner Jacke?“ fragte Alexis.

Ich schmunzelte. „Nein, geht schon, danke. Ich hänge sie mir nur über die Schulter. So kalt ist es heute nicht.“

„Ist heute wohl das letzte Mal, dass wir die Mittagspause draußen verbringen können“ meinte Crow als wir zu den Tribünen liefen. „Ab morgen soll es arschkalt werden.“

„Was erwartest du?“ sagte Jack. „Ist immerhin schon Ende November.“
 

Als wir angekommen waren, warteten Aki und Carly bereits und begrüßten uns fröhlich. Auch Jaden und Jim stießen einen Augenblick später zu uns. „Wie lief die Klausur?“ fragte ich, während sich Jaden neben mich setzte.

„Ganz gut, aber ich glaube der Kaffee lässt nach.“

„Ist echt ein Wunder, dass du bei Sensei Flannigan in der letzten Stunde nicht weggepennt bist“ stichelte Jim.

Jaden antwortete nur mit einem mürrischen Blick.

„Kannst du eigentlich bis zur Aufführung wieder Klavier spielen?“ fragte mich Aki.

Jaden gähnte herzhaft, legte seinen Kopf auf meinem Schoß ab und schloss die Augen. Ich sah kurz zu ihm herunter, widmete mich dann aber wieder Aki, während ich ihm meine rechte Hand auf den Kopf legte und ihm durchs Haar strich. „Nächste Woche beginnt die Physio, ich denke von da an geht es ziemlich schnell, bis ich wieder spielen kann. Die Schlinge kann Ende der Woche auch schon ab.“

„Willst du jetzt echt hier draußen pennen?“ fragte Jim belustigt.

„Lass ihn doch“ kicherte Carly.

Jack zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bringt das ja was bis zum Training.“

Während die anderen sich unterhielten, zog ich meine Jacke von meinen Schultern und legte sie über Jaden. Crow grinste mich an. „Jetzt sieht er wirklich aus wie dein Kätzchen.“

„Jetzt hör schon auf“ antwortete ich. Ich wollte ernst klingen, konnte eine gewisse Belustigung allerdings nicht aus meiner Stimme verbannen.

„Wieso? Du hast doch damit angefangen.“

Ich seufzte lautlos. „Mag sein, aber ich wollte nicht, dass sich das als Spitzname etabliert.“

Das dezente Geräusch meines Handys erklang. Mein Nachrichtenton. Vorsichtig fischte ich es aus meiner Jackentasche, darauf bedacht, Jaden nicht zu wecken. Überrascht sah ich auf den Absender. Sherry.
 

Hey, wie läufts? Kalin meinte, du wurdest bei deinem letzten Spiel umgerannt. Hoffe es geht wieder. Ich wollte dich fragen, ob du nächstes Wochenende Zeit hast um nach Osaka zu kommen. Ach so, und grüß Jaden von mir. Vielleicht hat er ja auch Zeit.
 

Nächstes Wochenende? Ach stimmt, sie hat bald Geburtstag. Ich wollte mit meinem Vater zwar ohnehin nach Osaka fahren, aber bis dahin ist er noch nicht wieder aus dem Krankenhaus raus. Das Motorrad fällt flach, aber ich könnte den Zug nehmen. Fragt sich nur ob Jaden auch mitkommen möchte. Zumindest steht er in Kontakt mit ihr und Kalin. Es wäre wirklich schön, die beiden mal wiederzusehen.

„Mit wem schreibst du denn da?“

Ich sah auf. Alexis musterte mich neugierig.

„Mit meiner Ex-Freundin.“

„Hä?!“ Crow sah mich irritiert an. „Ich denke du bist schwul.“

Ich grinste verschmitzt. „Das habe ich nie gesagt.“

„Ich komm nicht mehr mit.“

„Du schreibst mit deiner Ex?“ bohrte Alexis weiter nach.

„Ja, wieso nicht? Sie hat Jaden und mich zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen.“

Alexis zog fragend eine Augenbraue hoch. „Deine Ex hat dich und meinen Bruder, mit dem du zusammen bist, zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen?“ fragte sie skeptisch.

Ich lachte auf. „Nicht jede Beziehung endet in einem Drama. Wir verstehen uns gut und Jaden hat auch Freundschaft mit ihr geschlossen.“

„Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole“ sagte Crow und sah mich noch immer irritiert an. „Du bist echt seltsam.“
 

„Vielleicht“ erwiderte ich nur und wandte mich wieder an Alexis. „Wie haben eure Eltern eigentlich gestern reagiert?“

„Was meinst du?“

„Wollte Jaden nicht gestern mit ihnen reden?“

„Ach so“ lachte sie. „Das meinst du. Papa war ziemlich überrascht, dass ihr beiden plötzlich zusammen seid, aber Mama wusste es wohl schon vor Jaden. Zumindest hat sie das gesagt.“ Überrascht musterte ich sie. Wie konnte Naomi schon vor Jaden wissen, dass wir zusammen sind? Das ergibt doch keinen Sinn. Wieder lachte Alexis. „Schau doch nicht so bedröppelt. Unserer Mutter kann man nicht viel vormachen. Sie durchschaut uns eigentlich immer sofort.“
 

~*~
 

Endlich hörten wir das erlösende Geräusch der Schulklingel, die das Ende des Tages verkündete. Der Schultag war zwar wirklich schön gewesen, doch die letzte Stunde Japanisch bei Sensei Banner zog sich unglaublich in die Länge. Anscheinend forderte die Gehirnerschütterung noch immer ihren Tribut. Ich war so ungewöhnlich müde. Jaden hingegen hatte sein Tief wohl überwunden, denn er war wieder so energiegeladen wie immer. „Anscheinend hat dein Mittagsschläfchen doch geholfen“ bemerkte Crow und grinste breit, während wir über den Parkplatz zur Turnhalle liefen. Jaden lachte. „Oder einfach nur die Vorfreude auf das Training. Immerhin haben wir unseren Trainier wieder!“ Ich schmunzelte und ließ meinen Blick über den Parkplatz schweifen. Ein gutes Stück von uns entfernt stand ein Wagen, der mir nur allzu bekannt vorkam. Ich blieb stehen. Das ist unmöglich.
 

„Was ist denn?“ hörte ich Jacks Stimme. Ich sah nicht zu ihm, betrachtete weiter den Wagen. Das kann doch nicht sein! Plötzlich öffnete sich die Tür auf der Fahrerseite und meine Augen weiteten sich überrascht. Beinahe hätte ich meine Tasche fallen lassen. „Ich glaube, das Training übernehme ich heute wieder. Sieht aus, als hättet du noch was vor.“ Ich sah wieder zur Seite. Jaden grinste breit. „Jetzt geh schon!“ forderte er mich auf und gab mir zum Abschied einen flüchtigen Kuss, ehe er mit Jack und Crow zur Turnhalle lief. Die beiden wirkten etwas verwirrt, doch das war im Moment das letzte, was mich beschäftigte. Wieder sah ich zum Auto und ging langsam darauf zu. Auf halbem Wege wurde ich schneller. Kurz vor meinem Ziel ließ ich die Tasche los, die unbeachtet auf dem Boden landete, und umarmte meinen Vater. Vorsichtig legte er seine Arme ebenfalls um mich und für einen kleinen Augenblick ignorierte ich komplett meine Umgebung. Stille umschloss mich. Nachdem sich die Überraschung gelegt hatte, war ich einfach nur glücklich ihn zu sehen. „Warum bist du denn schon entlassen worden?“ fragte ich und löste mich aus der Umarmung. Mein Vater grinste schief. „Die haben mich dort wohl nicht mehr ausgehalten. Am Freitag sagte der Arzt, dass er mich heute entlassen will, aber ich wollte dich überraschen.“ Ich lachte kurz auf. „Das hast du geschafft. Aber warum haben dich die Ärzte eine ganze Woche vorher rausgelassen?“
 

Er ging an mir vorbei und hob meine Tasche auf, die er im Wagen verstaute. Währenddessen gab er mir seine Antwort. „Sie meinten ich hätte so große Fortschritte gemacht, dass es keinen Zweck hätte, mich weiter stationär zu behandeln. Der Rest der Therapie läuft ambulant ab.“

„Also musst du weiter dort hin?“

Er nickte und hielt mir die Tür auf. Nachdem wir eingestiegen waren, sprach er weiter. „Für den Rest der Woche wurde ich beurlaubt. Ab Dienstag fange ich wieder an zu arbeiten. Das ist für die Abrechnung einfacher, schließlich ist es der erste Dezember. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich darauf freue wieder Zuhause zu sein.“
 

Ich schmunzelte. So in etwa konnte ich mir vorstellen wie er sich fühlen musste. Nach all der Zeit im Krankenhaus, hätte ich auch lieber ein wenig von meinem Alltag wieder. Ich freute mich selbst wahnsinnig, dass er wieder da war.
 

* Die Sicht von Hakase *
 

Langsam rollte der Wagen die letzten Meter bis zur Einfahrt unserer Garage hinauf. Zuhause. Es fühlt sich so seltsam an. Seit dem Umzug hatte ich den größten Teil der Zeit im Krankenhaus verbracht. Ich war überglücklich, als mein behandelnder Arzt mich entlassen hatte, aber dennoch fühlte ich eine gewisse Nervosität. Es war, als würde für mich ein neues Leben beginnen, wenn ich über die Schwelle der Tür trete. „Alles in Ordnung?“ hörte ich die Stimme meines Sohnes. Ein letztes Mal atmete ich tief durch und sah ihn an. Schenkte ihm ein kleines Lächeln und nickte. Etwas unbeholfen stieg er aus, ehe ich ihm helfen konnte. Er schloss die Garagentür auf und öffnete sie. Das Auto passt doch ohnehin nicht rein. Warum öffnet er sie? Für einen Moment hielt ich inne und sah zu Yusei. „Du hast Platz geschaffen?“
 

Er grinste. „Ich hatte viel Zeit. Außerdem habe ich es in dem ganzen Chaos nicht mehr ausgehalten.“ Verstehe. Er war immer schon ein kleiner Ordnungsfanatiker. Nachdem ich das Auto in der Garage geparkt hatte, folgte ich Yusei in den Flur. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Vor einigen Wochen war hier noch alles kahl und trist. Jetzt sah es so liebevoll eingerichtet aus, wie in unserem alten Haus. Mein Blick schweifte über die alten Fotos an der Wand und ich musste schmunzeln. Es waren so schöne Erinnerungen. „Hallo Pharao“ hörte ich wieder Yusei hinter mir und drehte mich um. Aus der Küche lief ein kleines Kätzchen und tapste zu meinem Sohn. Schmiegte sich an seine Beine und er kraulte das kleine Ding hinter dem Ohr, was sie schnurren ließ. „Die ist noch süßer als auf den Fotos“ sagte ich und lächelte. „Aber was hat sie denn eigentlich für ein Geschlecht?“
 

Yusei hob sie mit einer Hand hoch. „Keine Ahnung. Das sieht man noch nicht so gut. Ich hatte bisher auch noch keine Gelegenheit zum Tierarzt zu fahren.“ Ich nahm sie ihm ab und sah selbst einmal nach. Er hatte recht. So ganz konnte ich es auch nicht sagen. In meiner Armbeuge machte es sich das kleine Ding bequem und schnurrte, während ich weiter über das weiche Fell strich. Sie war wirklich zutraulich. „Das erledige ich im laufe der Woche“ sagte ich, während ich durch die Küche lief. Auch hier hatte sich einiges verändert. Doch die größte Veränderung erwartete mich im Wohnzimmer. Mein Blick schweifte über die Einrichtung. Die hälfte der Möbel stand vorher in der Garage. Selbst mein Plattenspieler hatte seinen Weg ins Wohnzimmer gefunden. Ich drehte mich wieder zu Yusei und sah ihn erstaunt an. „Hast du das alles allein gemacht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, Jack und Crow haben mir geholfen. Aber es hat gar nicht so lange gedauert. Ein paar Tage vielleicht.“

„Jack und Crow?“

„Ein paar Freunde aus der Schule. Du hast sie heute vielleicht gesehen. Sie liefen mit Jaden und mir Richtung Turnhalle, als ich dich auf dem Parkplatz gesehen habe.“

„Verstehe. Schön, dass du neue Freunde gefunden hast. Vielleicht lädst du sie mal ein.“

Wieder lächelte er und nickte. Zumindest war er in den Wochen meiner Abwesenheit nicht allein. Das hätte ich mir nicht verzeihen können.
 

Etwas später bereitete ich das Abendessen vor, bis mich das Klingeln an der Tür aufsehen ließ. Wer könnte das sein? „Ich geh schon“ sagte Yusei und lief an mir vorbei zur Wohnungstür. Als er sie öffnete, sah er sein Gegenüber etwas erschrocken an. Eine Frauenstimme begrüßte ihn. Skeptisch ging ich zu ihm, doch noch ehe ich ihn erreicht hatte, betrat die Person das Haus. Wie erstarrt blieb ich einige Schritte vor der Frau stehen, und auch sie sah mich etwas erschrocken an. Doch ich fasste mich schnell wieder und musterte sie argwöhnisch. „Kazuko“ brachte ich kühl hervor. Yusei sah unschlüssig zu mir, dann wieder zu Kazuko, die sich ebenfalls schnell wieder fasste. „Hallo Hakase.“ Eine kurze Stille legte sich über uns. Man konnte die angespannte Stimmung förmlich spüren. „Was willst du hier?“ fragte ich schließlich.
 

Yusei trat zwischen uns und sah mich an. Sein Blick erinnerte mich an damals, als er als kleines Kind versehentlich mit dem Ball eine Scheibe eingeschlagen hatte. „Sie hat mich in den letzten Tagen oft besucht“ erklärte er. „Und sie hat mir wirklich geholfen, seit ich wieder aus dem Krankenhaus raus bin.“

„Schon gut, Yusei“ sagte sie und zog so meine Aufmerksamkeit wieder zu sich. Sie sah wieder zu mir und hatte ihren üblichen Blick aufgesetzt, den ich einfach nicht lesen konnte. „Ich dachte du würdest erst nächste Woche entlassen werden. Wenn ich hier unerwünscht bin, sag es und ich lasse euch wieder allein.“

„Nein!“ sagte Yusei schnell und wandte sich wieder an Kazuko. „Du bist nicht unerwünscht.“ Dann sah er mich wieder an. „Vielleicht solltet ihr euch einfach mal aussprechen.“

Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und ließ Kazuko nicht aus den Augen. „Es gibt nichts zu besprechen. Ich kann dich nicht von Yusei fernhalten, aber in diesem Haus bist du nicht länger willkommen.“

Ein kurzes Zucken ihrer Lider war ihre Antwort. „Wie du willst“ sagte sie schließlich und drehte sich zur Tür, die immer noch einen Spalt weit geöffnet war. „Warte!“ versuchte Yusei sie aufzuhalten, doch sie winkte ab und ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Keine Angst, ich verschwinde nicht gänzlich aus deinem Leben. Aber wir sollten die Entscheidung deines Vaters akzeptieren, meinst du nicht?“ Ein letztes Mal noch, sah sie zu mir. „Es ist schön zu sehen, dass es dir wieder besser geht, Hakase. Solltest du deine Meinung ändern, kannst du mich jederzeit erreichen.“ Sie sah wieder zu Yusei und verabschiedete sich von ihm, ehe sie endlich durch die Tür ging. Als ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, entspannte ich mich wieder etwas.
 

„Das ist doch lächerlich!“ Yusei stand vor mir. In seinen Augen spiegelten sich Trauer und Wut. „Wieso willst du ihr nicht zuhören? Sie kam dir schon auf halbem Weg entgegen. Ihr müsst euch ja nicht vertragen, aber könntet ihr es wenigstens gemeinsam in einem Raum aushalten?“ Schon wieder. Diese Frau bringt nichts als Probleme. Ich seufzte. „Ich verstehe dich, Yusei. Aber ich habe dir beim letzten Mal schon gesagt, dass ich nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Du musst das wohl oder übel akzeptieren.“

„Aber-“

„Ich will nichts mehr davon hören! Und jetzt komm, das Abendessen ist fertig.“

Er schnaubte und mied meinen Blick. „Mir ist der Appetit vergangen.“
 

Mit diesen Worten drehte er sich zur Treppe und war verschwunden. Wieder seufzte ich und sah ihm nach. Ich weiß, wie wichtig ihm die ganze Sache ist, aber ich kann das nicht. Diese Frau ist toxisch. Je eher er das begreift, desto weniger wird er leiden, wenn sie sich von ihm abwendet. Und das wird sie. Da bin ich mir sicher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Alexiel91
2021-07-06T07:14:54+00:00 06.07.2021 09:14
Hallo, so schön wieder von dir zu lesen :-D
Das warten hat sich sehr gelohnt, tolles Kapitel :-)
ich freue mich wirklich schon auf das nächste Mal.
Yusei und Jaden sind einfach so ein süßes Paar <3
LG Alexie


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