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About Clowns and Heroes

von

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Amnesia


 

1
 

Nach dieser ganzen ungewollten Aufregung war der restliche Tag umso entspannter. Eng aneinandergeschmiegt liegen die beiden in ihrem Bett und träumen noch ganz friedlich vor sich hin. Keiner von ihnen ahnt, dass es mit der Ruhe sehr schnell vorbei sein und diese Nacht eine schreckliche Wendung nehmen wird, die nicht nur die zwei Verrückten an ihre Grenzen bringen könnte...
 


 

2
 

Herrlich warm drückt sich Jokers Körper gegen Edwards. Es wäre wirklich eine echte Schande, jetzt aufstehen zu müssen. Dennoch öffnet der Rätselmeister ganz langsam die Augen und blickt verschlafen zum Fenster hinüber. Die Nacht bietet sich ihm äußerst ungemütlich da. Eisblumen ranken sich am Glas hinauf und dicke Schneeflocken fallen schwer vom bewölken Himmel herab. Innerlich schüttelt sich der Brünette, und verzieht verstimmt das Gesicht. Am besten gar nicht erst darüber nachdenken, was dort draußen vor sich geht. Da jagt man ja freiwillig nicht einmal einen räudigen Hund vor die Tür.
 

Gähnend vergräbt er daher lieber wieder das Gesicht in den wirren, grünen Haaren seines Vordermanns und zieht ihn noch etwas dichter an sich heran. Ein bisschen Zeit zum Dösen haben sie schließlich noch. Schwerfällig regt sich der kleine Clown in seinen Armen, versucht, sich anscheinend umzudrehen. Ed lässt ihn gewähren, indem er seinen Griff etwas lockert. Verträumt betrachtet er dann das schlafende Antlitz seines kleinen Partners. Er wirkt so unglaublich friedlich. Langsam stiehlt sich eine Hand des Älteren unter der Decke hervor. Ganz sanft streicht er dem Jungen damit eine verirrte Strähne aus der Stirn und dabei lächelt er liebevoll in sich hinein.
 

Joker scheint davon allerdings nicht so angetan zu sein. Murrend vergräbt er sein Gesicht im Kissen, was Nigma nur noch mehr schmunzeln lässt. Einen Moment später dreht sich der Bengel dann auch schon wieder auf die andere Seite zurück und versucht, sich tiefer in den Schlaf zurückzuziehen. Vorsichtig rückt Edward an ihn heran und legt erneut die Arme um ihn. Diese herrliche Wärme stellt sich abermals zwischen ihnen ein, sodass der Rätselmeister gähnend die Augen schließt und abzudriften beginnt. Zum Einschlafen kommt er jedoch nicht...
 

Plötzlich reißt der kleine Clown erschrocken die Augen auf und zuckt merklich zusammen. Blinzend versucht sich sein Hintermann daraufhin von der einlullenden Stimme in seinem Kopf zu trennen. Er schafft es aber nicht mehr schnell genug. „Was zum...?“, platzt es völlig verwirrt aus dem Grünhaarigen heraus und er blickt sich fragend in dem kleinen Raum um. Viel erkennt er jedoch nicht, immerhin ist es dunkel draußen, und somit auch hier drinnen. „Was ist los, Joker? Hattest du einen Alptraum?“, tönt auf einmal eine verschlafe Stimme hinter ihm. Der Angesprochene zuckt erneut heftig zusammen und trennt sich dann überaus grob von seinem Partner, um sich kerzengerade hinzusetzen.
 

„Scheiße, wer...“, kommt es fast schon ängstlich von ihm. Besorgt setzt sich auch Nigma aufrecht hin und tastet an ihm vorbei nach der Nachttischlampe. Als das sanfte Licht auf das Gesicht des Clowns fällt, zuckt Ed innerlich selbst erschrocken zusammen. Die unnatürlich roten Augen des Jungen vor ihm sind weit aufgerissen, scheinen die Welt um sich herum nicht mehr zu verstehen. Drücken Angst und Wut gleichermaßen aus. Wirken völlig fremd auf den Älteren. Besorgt streckt er eine Hand aus, um dem Jüngeren irgendwie Trost zu spenden. Allerdings schlägt der Verrückte die Hand einfach grob beiseite, ehe sie ihn berühren kann.
 

„Fass mich nicht an, verdammt noch mal!“, faucht der Jüngere zornig. Nigma fehlen die Worte, es klingt so unglaublich befremdlich. „Was soll der Scheiß hier? Wo bin ich? Wer bist du? Und, was in aller Welt, machst du neben mir im Bett?“ Nun ist die Verwirrung des Älteren komplett. „Aber, Joker, erkennst du mich denn nicht mehr? Ich bin es doch, Ed, dein Freund...“, versucht er es hilflos, während allmählich die Angst in ihm anzuwachsen beginnt und sein Herz wie eine Buschtrommel schmerzlich gegen seinen Brustkorb schlagen lässt. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht!
 

Nun springt der Bengel wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett, um Abstand zu ihm zu gewinnen. „Ich kenne keine Ed! Und mein Name ist Jack, verflucht! Was hast du mit mir gemacht, Alter? Bist du einer von diesen Perversen, die auf kleine Jungs stehen?“ Mit offenem Mund hört sich Edward diese unbegreiflichen Anschuldigungen an und weiß beim besten Willen nicht, was er darauf erwidern soll. Er kommt sich wie in einem ganz schlechten Film vor. Ganz vorsichtig steht er allerdings ebenfalls auf und hebt, wie er hofft, beruhigend die Hände. „Nein, ich – ich bin wirklich dein Freund...“, erwidert er schließlich, mehr fällt ihm einfach nicht ein. Sein Hirn arbeitet auf Hochtouren, kann aber einfach keinen Sinn in alledem finden. Er braucht mehr Zeit, die er ganz offenbar aber nicht hat. Mehr Informationen, die Joker ihm ganz sicher nicht geben wird, hat er sie ganz offensichtlich doch nicht einmal selbst.
 

Angewidert verzieht Joker das Gesicht. „Wovon träumst du eigentlich, Alter? Ich steh nicht auf Kerle, und auf dich schon mal gar nicht! Und jetzt sag mir endlich, wie ich hierhergekommen bin und was das alles soll!“ Panisch sucht der Brünette nach einer Lösung, doch das scheint seinem Gegenüber definitiv zu lange zu dauern. Grob packt ihn der kleine Clown nun bei den Schultern und schubst ihn dann polternd gegen den Kleiderschrank. Hart schlägt Nigmas Kopf dabei gegen das Holz und lässt ihn Sekunden lang Sterne sehen. Das reicht dem Verrückten aber noch längst nicht aus.
 

Jetzt packt er ihn am Kragen seines T-Shirts und drückt ihn fester gegen die Schranktür. Ein tiefes Knurren presst sich dabei seine Kehle empor. Seine scharfen Zähne glänzen bedrohlich im Zwielicht der Nachttischlampe „Treib hier keine Spielchen mit mir, Alter! Nur weil ich kleiner bin als du, heißt das noch lange nicht, dass ich mich von dir rumschubsen lasse! Also gib’s endlich zu! Du hast mich entführt und mir irgendwelchen Scheiß eingeflößt, damit ich dir hörig bin, stimmt’s? Du hast mich gefickt, nicht wahr? Jetzt mach endlich dein verdammtes Maul auf, du dreckige Schwuchtel!“ Mit gefletschten Zähnen ballt der Grünhaarige die linke Hand zur Faust und hebt sie drohend in Schlagposition. Völlig verängstigt beginnt Edward zu zittern, er kann einfach nichts dagegen unternehmen.
 

„Oh, bitte, Joker! Nun erinnere dich doch! Ich habe dich nicht angefasst und entführt schon gar nicht! Ich bin doch dein Freund, dass musst du mir glauben! Ich...“, weiter kommt er mit seinen Worten nicht mehr. Denn plötzlich knallt die Faust des Kleineren mit voller Wucht auf seine Nase und lässt ihn augenblicklich verstummen. Ganz hinten im Kopf kann der Brünette ein widerliches Knirschen hören und weiß sofort, dass Joker ihm doch tatsächlich gerade die Nase gebrochen hat! Er kann es einfach nicht glauben. Was ist nur los mit ihm? Warum kann er sich nicht erinnern?
 

Ed gibt ein schmerzliches Stöhnen von sich, während ihm warmes Blut über Mund und Kinn läuft. Aus Jokers Augen sprüht reinster Hass. Sie sind kalt wie Eis und doppelt so tödlich. „Ich sag es dir jetzt ein letztes Mal, Alter. Mein Name ist Jack, also verkneif dir deine perversen Fantasien! Du bist nicht mein Freund und wirst es auch niemals sein! Denn im Gegensatz zu dir bin ich, verdammt noch mal, nicht schwul!“ Knurrend drückt er den wehrlosen Rätselmeister noch fester gegen den Schrank. Nach gefühlt endlosen Sekunden lässt er dann schließlich doch von ihm ab. Kraftlos fällt Ed auf die Knie und hustet erstickt, während sich Jack im Raum umzusehen beginnt.
 


 

3
 

Nichts, aber auch rein gar nichts kommt ihm in diesem winzigen Zimmer bekannt vor. Schmerzlich beginnt sein Kopf zu pochen, versucht, irgendwie zu begreifen, was in den letzten Stunden passiert sein muss. Doch er kommt nicht drauf. Alles ist wie ausgelöscht. Ganz tief hinten im Kopf kann er sich daran erinnern, wie er zu Bett gegangen ist. Sam lag im Bett auf der anderen Seite des kleinen Raumes, den sie sich teilen, und sie haben sich irgendwelchen Unsinn erzählt und herzlich gelacht, bis das Licht ausging und sie schlafen sollten. Und jetzt ist er hier, wo immer das auch sein mag. An einem ihm völlig unbekannten Ort, und das auch noch halbnackt mit diesem notgeilen Spinner in einem Bett. Wie hat es dieser schlaksige Möchtegern nur geschafft, ihn aus dem Kinderheim zu entführen, ohne dass die Betreuer oder Sam etwas davon bemerkt haben?
 

Ist dieser Kerl vielleicht weit gefährlicher, als er sich hier ihm gegenüber gerade gibt? Oder hatte er etwa Helfer? Ist auch völlig egal. Das Einzige, was jetzt zählt, ist, dass Jack so schnell wie möglich von hier wegmuss. Noch einmal wirft er einen Blick durch den fremden Raum, doch das Ergebnis bleibt dasselbe.
 

„Hey, Alter! Wo sind meine Klamotten? Und wag es ja nicht, mich irgendwie zu verarschen, sonst ist eine gebrochene Nase noch dein geringstes Problem!“, drohend steht der kleine Bengel vor Edward, der vor Schmerzen kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann. Seine Nase beginnt unermüdlich anzuschwellen, was die Qual nur noch vergrößert und ihm das Atmen erschwert. Tränen benetzten seine glühenden Wangen. Seine zitternden Hände sind mit seinem eigenen Blut bedeckt, ebenso der Boden vor ihm. „Ich rede mit dir, du notgeiler Spinner!“, knurrt Jack in sich hinein und packt sein wehrloses Gegenüber erneut am Kragen. Mit einem wehklagenden Geräusch reißt der Stoff dabei ein, woraufhin Nigma nur wieder zusammenzuckt.
 

Weinend versucht Ed, seinem bohrenden Blick irgendwie standzuhalten. Doch es schmerzt so sehr, ihn so zu sehen. Einfach nicht begreifen zu können, was hier los ist. Innerlich ist ihm klar, dass es besser wäre, Joker zu antworten, aber die aufkeimende Panik und die anhaltenden Schmerzen schnüren ihm regelrecht die Kehle zu. Ein Wimmern ist alles, was er von sich geben kann. So hilflos hat er sich nicht einmal in den schlimmsten Situationen mit Batman und dem Riddler gefühlt. Da hatte er immerhin den Vorteil, zu wissen, wie es ausgehen wird – hier ist alles ungewiss, und das macht ihn ganz verrückt.
 

„Antworte mir!“, fordert der Clown abermals zähneknirschend. Und genau das schafft Nigma noch immer nicht, er ist wie gelähmt. Was er aber schafft, ist, seinen Arm zu heben und zur Kommode hinüber zu deuten. Dort liegen zwei Haufen Stoff. Der eine ist penibel ordentlich gefaltet und in der Reihenfolge aufgeschichtet, wie sein Besitzer die Sachen anzuziehen pflegt. Der zweite Haufen ist das reinste Chaos, als hätte man die einzelnen Teile dort einfach nur achtlos hingeworfen.
 

Verstimmt folgt Jack seinem Fingerzeig, scheint dabei aber nicht sonderlich zufrieden zu sein. Grob lässt er den Rätselmeister fallen und wendet sich der Kommode zu. Der Brünette gibt ein schmerzliches Stöhnen von sich und setzt sich schwerlich wieder aufrecht hin, um alles besser im Blick behalten zu können. Abgehackt holt er durch den Mund Luft und lehnt sich gegen die Schranktür. Bitter kann er dabei sein eigenes Blut auf der Zunge schmecken. Es bereitet ihm Übelkeit, doch er klammert sich verbissen an seine angeschlagene Selbstbeherrschung. Für dergleichen Dinge ist noch genug Zeit, wenn sich Joker endlich wieder zu erinnern beginnt. Derweilen durchwühlt sein ungewollter Zimmergenosse die Sachen. Angewidert lässt er die Hälfte davon zu Boden fallen.
 

„Sag mal, du verarscht mich doch wohl! Das sind nicht meine Sachen!“ Zornig wirft ihm der Junge einen neongrünen, ärmellosen Pullover mit ausladendem V-Ausschnitt entgegen, sodass er mitten in Nigmas lädiertem Gesicht landet und sein Blut den Stoff beschmutzt. Hilflos klammert sich der Ältere an dem Stück Stoff fest, als wäre es sein rettender Anker. Wenn Joker diesen Pulli sonst trägt, findet Edward ihn eigentlich immer ziemlich niedlich damit. Es bricht ihm das Herz, sich jetzt daran zu erinnern. Himmel, der Verrückte liebt dieses grellgrüne Ding! Heiße Tränen rinnen erneut seine Wangen hinab und er versucht krampfhaft, ein weinerliches Schluchzen zu unterdrücken.
 

„Es – es tut mir leid. – Ich – ich habe – nichts anderes...“, bringt Ed schließlich stockend hervor. Theoretisch könnte er dem Clown auch sagen, dass er sich einfach etwas anderes aus dem Schrank herausnehmen soll. Doch was hätte das für einen Sinn? Alle Klamotten des Grünhaarigen sehen total durchgedreht, knallbunt oder schreiend grell aus. Er besitzt überhaupt nichts Dezentes oder Schlichtes, und es würde wohl auch gar nicht zu ihm passen. Er legt es schließlich grundsätzlich darauf an aufzufallen, in welcher Weise auch immer.
 

„Du mieses Arschloch!“, faucht der Jüngere und krallt sich dann einfach Nigmas Sachen. Diese findet er zwar ebenfalls zum Kotzen, viel zu streng, aber immerhin sehen sie nicht aus, als hätte sich ein Kleinkind auf LSD mit Fingerfarben daran vergangen. Der Rätselmeister sagt nichts dazu, presst sich nur weiterhin den Pullover des Verrücken gegen die bebende Brust. „Wo ist das Bad?“, brummt der Bengel nun. Erneut hebt der Brünette schniefend die Hand und deutet damit einfach nur auf die geschlossene Schlafzimmertür. Jack rümpft verächtlich die Nase und stapft dann an ihm vorbei, um den Raum zu verlassen.
 


 

4
 

Krachend fällt die Tür hinter dem kleinen Clown ins Schloss zurück. Trügerische Stille stellt sich in dem beengten Raum ein. Zitternd stößt der Rätselmeister die Luft aus und betrachtet das wurmstichige Holz. Doch nur einen Moment, dann rauben ihm neue Tränen die Sicht. Was ist nur passiert? Was soll das alles? Was, nur was hat er verbrochen, um das zu verdienen? Er war doch so glücklich mit Joker. Alles schien perfekt. Erst recht, wo Batman jetzt auch endlich begriffen zu haben scheint, worauf es wirklich ankommt. Und jetzt das. Es ist so schrecklich unfair!
 

Doch das alles kann kein Zufall sein. Irgendjemand hat da seine Finger im Spiel. Dergleichen passiert nicht einfach über Nacht aus heiterem Himmel, auch wenn es Edward gerade so vorkommt. Dafür muss es eine logische Erklärung geben. Aber wer könnte so etwas in Joker auslösen und wie? Oh, wenn seine Nase nur nicht so pochen würde, könnte er auch einen Gedanken an die Lösung dieses Unglücks verlieren. Aber solange sich der Grünhaarige wie eine wilde Furie aufführt und ihm jederzeit an die Gurgel springen könnte, wird Ed keine Lösung finden, geschweige denn sich um seine Nase und die Schmerzen kümmern können, um überhaupt wieder logisch zu denken.
 

Er braucht in jedem Fall mehr Zeit. Doch die hat er einfach nicht, solange Joker nicht wenigstens etwas ins Hier und Jetzt zurückfindet. Verbissen lässt Nigma alles Revue passieren, was sich gerade ereignet hat. Der Clown erinnert sich nicht mehr an ihn. Zudem scheint er in einer Zeit gefangen zu sein, in der er sich seiner Homosexualität noch nicht bewusst war. Hm, dass bedeutet dann wohl, dass diese Amnesie – falls es sich um dergleichen handeln sollte – mehrere Jahre betrifft! Also mal nachdenken. Zu welcher Zeit könnte das wohl gewesen sein? Noch bevor Batman begann, die dunklen Nächte Gothams unsicher zu machen, schätzungsweise.
 

Sorgfältig durchsucht der Brünette sein pochendes Gehirn. Erinnert sich an alles, was Joker ihm jemals bezüglich seiner lückenhaften Vergangenheit erzählt hat. Der Bengel ist jetzt, nach eigener Aussage, zwanzig Jahre alt. Als er Batman kennengelernt hat, war er fünfzehn. Ed erinnert sich noch genau daran, wie er mit dem Früchtchen zusammen in der Badewanne gesessen hat und schockiert darüber war, wer so verantwortungslos sein kann und einen Fünfzehnjährigen tätowiert. Somit befindet sich Joker also mit größter Wahrscheinlichkeit wieder in der Zeit, als er noch ein Teenager war und sein Wahnsinn – von seiner Obsession zu Batman ganz zu schweigen – gerade erst so richtig zu sprießen begann. Er also gerade erst zum jetzigen Joker wurde.
 

Aber wer könnte so eine Macht haben, und warum? Scarecrow vielleicht? Nein, eher unwahrscheinlich. Sein Gas löst Angstzustände aus, und dass ist hier keineswegs der Fall. Zumal es der Vogelscheuche bis jetzt auch nicht gelungen ist, Joker irgendeine Angst zu entlocken. Wäre aber ganz sicher interessant zu wissen, um was es sich dabei handelt. Vermutlich irgendetwas mit Batman, womit die zwei sogar eine Gemeinsamkeit hätten. Schließlich fürchtet Jonathan nichts mehr als die dunkle Fledermaus. Doch das ist hier gerade nicht das Thema. Also weiter im Text.
 

Allerdings ist es ziemlich schwierig, sich irgendwie festzulegen. Die meisten Schurken, erst recht die, die zu so etwas fähig sein könnten, hat Joker seit Monaten nicht mehr gesehen, geschweige denn ihnen irgendetwas getan. Das bedeutet also, dass dort jemand entweder sehr nachtragend ist und sich für etwas rächen will, das schon länger zurückliegt, er jetzt aber erst die Möglichkeit dazu bekommen hat. Oder aber es gibt ein neues Gesicht in Gotham. Einen unbekannten Schurken, der es auf Joker abgesehen hat. Doch warum? Weil er selbst an der Spitze der Nahrungskette stehen will, die Joker als Prinz dieser verruchten Stadt immer noch unangefochten anführt, und dass trotz der Tatsache, dass er nun ein weitgehend friedliches Leben führt?
 

Wer auch immer es war, muss den Clown auf einen seiner Streifzüge der letzten Tage erwischt haben. Allerdings war Joker nur ein einziges Mal draußen, und dass, um sich mit Batman auszusöhnen. Hat ihm dabei etwa jemand aufgelauert, sodass es nicht einmal der Rächer mitbekommen hat? Oder bevor die beiden aufeinandergetroffen sind? Der Junge hat zumindest nichts erzählt. Vielleicht hat er es aber auch vergessen? Immerhin war er so aufgewühlt, weil er dachte, Edward betrogen zu haben, da kann er unmöglich einen Gedanken an dergleichen verschwendet haben. Wahrscheinlicher wäre aber, dass Joker gar nichts bemerkt hat – sich der Täter ihm nicht direkt in den Weg gestellt hat. Dass ihm heimlich, aus dem Hinterhalt heraus, etwas verabreicht wurde, das jetzt seinen Gedächtnisschwund auslöst.
 

Doch geht so etwas überhaupt? Schließlich war ihm nichts anzumerken, bis Ed ihn ungewollt geweckt hat. Es muss daher mitten im Schlaf eingesetzt haben. Das heißt im Ernstfall etliche Stunden später. Gibt es das? Eine Amnesie mit Zeitverzögerung? Denkbar. Zum Beispiel, wenn der Patient einen Schock erlitten hat oder aus einem Koma erwacht. Aber beides ist bei Joker nicht der Fall. Um eine Lösung dafür zu finden, müsste Nigma ihn vermutlich befragen, was aber selbstverständlich nicht geht. Der Clown ist in einer Vergangenheit gefangen, die mehr als fünf Jahre zurückliegt. Wo er höchstwahrscheinlich noch nicht einmal irgendeinen Schurken gekannt hat...
 

Der Rätselmeister gibt es nicht gern zu, doch er wird hierbei wohl Hilfe brauchen. Hilfe von Batman. Was für eine berauschende Vorstellung... Ein nur allzu bekannter Funken Eifersucht regt sich in seinem Herzen, den er vehement zu verdrängen versucht. Auch die Fledermaus dürfte von diesem Gedanken nicht sonderlich angetan sein – Versöhnung mit Joker hin oder her –, geht es dem Rächer doch nicht anders. Er und Nigma sind immerhin stumme Rivalen um die Gunst des kleinen Clowns und akzeptieren den jeweils anderen nur, weil Joker es so will und braucht. Aber es muss sein. Keinem anderen kann er in dieser Sache vertrauen. Kein anderer verfügt über mehr Wissen hinsichtlich Gothams Schurken.
 

Ein tiefes Seufzen verlässt seinen Mund. All diese Überlegungen haben nur ein paar Sekunden in Anspruch genommen. Das ist nicht viel und bedarf sicher noch genaueren Nachdenkens, ehe er sich seinen Rivalen womöglich ins Haus holen muss, doch für Jack war die Zeit lang genug. Aus dem Bad vernimmt Ed jetzt einen überraschten Schrei, der sehr schnell in Wut umschlägt. Der Brünette schluckt hart. Er ahnt Schlimmes...
 


 

5
 

Nur Sekunden später wird die Schlafzimmertür ruckartig aufgerissen und Jack steht wutschnaubend und mit gefletschten Zähnen unter der Zarge. „DU!“, knurrt er wie ein tollwütiger Wolf. Noch ehe der Angesprochene überhaupt Luft holen kann, um eine mögliche Antwort zu formulieren, packt ihn der Jüngere wieder am Kragen, der daraufhin nur noch weiter einreißt, und rammt ihn dann mit voller Wucht gegen die Schranktür. Nigma sieht nur noch Sterne, klammert sich aber verbissen weiterhin an die Wirklichkeit. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte, sollte er jetzt ohnmächtig werden...
 

„Was für ein krankes Schwein bist du eigentlich?“, faucht ihn der Bengel an. „Was hast du mit meinen Haaren gemacht? Und was sind das für selten dämliche Bilder auf meinen Armen? Das geht überhaupt nicht ab! Ich hoffe für dich, dass der Scheiß Henna ist!“, gebärt sich der kleine Clown weiterhin, während er Edward immer wieder gegen die Schranktür wuchtet und ihn wie ein paar alte Lumpen durchschüttelt. Diese Kraft ist wirklich beängstigend, und Ed hatte so sehr gehofft, sie nie wieder am eigenen Leib erfahren zu müssen...
 

Trotz der Schmerzen und der Angst ist Edwards erster Gedanke allerdings: ‚Zum Glück hat er das Tattoo an seinem Steiß nicht gesehen. Das könnte ihm kein Mensch erklären und anschließend noch weiterleben...‘ Kurz darauf kommt ihm noch ein weiterer Gedanke. Die Amnesie scheint noch weiter zu reichen. Jacks Hier und Jetzt muss sich irgendwo zu der Zeit befinden, wo der Bengel in diesem schrecklichen Kinderheim war. Bevor er seinen Freund Sam im Affekt getötet hatte. Bevor der tragische Unfall mit dem Chlorreiniger passiert ist. Ja, sogar noch bevor er sich überhaupt erst in Sam verlieben konnte.
 

„Ich – ich...“ setzt Nigma stammelnd an und bekommt dennoch kein Wort heraus. Er weiß auch beim besten Willen nicht, was er sagen soll. Sein Gegenüber versteht aber verständlicherweise so gar keinen Spaß mehr. „Ich hoffe für dich, dass ich der Einzige bin, den du entführt hast, Freundchen! Denn wenn du Sam auch nur ein Haar gekrümmt hast, mach ich dich kalt!“ Ah! Das bestätigt immerhin die Vermutung des Rätselmeisters, in welcher Zeit sich der Grünhaarige jetzt befinden müsste. Kein Trost, aber wenigstens eine kleine Gewissheit.
 

„Du – du verstehst das alles völlig falsch...“, bringt Ed schwerlich hervor und windet sich hilflos im eisernen Griff des Verrückten. „Oh, glaub mal, ich versteh sehr gut!“, knurrt Jack und ballt abermals die linke Faust. Kurz darauf knallt sie mit voller Wucht auf Nigmas rechtes Auge. Ein weiterer Schlag trifft ihn überaus hart im Magen. Dann lässt der Junge, Gott sei Dank, wieder von ihm ab. Wie ein nasser Sack landet der Brünette erneut auf dem Boden und ringt erstickt nach Luft, hustet und versucht abermals, nicht ohnmächtig zu werden. Sein ungewollter Mitbewohner verschwindet derweilen wieder im Bad, um sich nun doch endlich anzuziehen.
 


 

6
 

Die Wartezeit ist diesmal um einiges länger, was Ed nur recht sein kann. Angestrengt versucht er durchzuatmen, all die Schmerzen zu ignorieren, die von seinem Körper Besitz ergriffen haben und ihn hilflos zittern lassen. Er hat auch die Möglichkeit zum Nachdenken, auch wenn es ihm jetzt noch viel schwerer fällt. Erst einmal braucht er ein paar Minuten, ehe er sich wieder halbwegs aufrecht hinsetzen und gegen den Schrank lehnen kann. Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht aber keine so gute Idee. Kaum, dass er sitzt, fliegen auch schon schwarze Punkte vor seinen Augen vorbei. Oder eher vor seinem Auge. Das Rechte kann er nicht mehr öffnen, ohne das es schmerzt und zu tränen beginnt.
 

Reflexartig schließt er es daher wieder und das andere gleich mit. Nun sieht er allerdings weiße Punkte vor seinen geschlossenen Lidern dahinrasen. Ihm ist ganz schlecht, und er ist schon ziemlich froh, dass das alles nicht erst nach dem Frühstück passiert ist, sonst hätte er sich mit aller größter Wahrscheinlichkeit schon mehr als einmal übergeben müssen. Nach und nach vergeht die Übelkeit wieder etwas, und auch die Punkte verschwinden. Ganz langsam öffnet er daher erneut das linke Auge und prüft dabei abwartend seinen restlichen körperlichen Zustand.
 

Schwerfällig rollt sein Kopf zur Seite und starrt erneut auf die Schlafzimmertür. Angestrengt lauscht er auf mögliche Geräusche aus dem Bad. Viel ist jedoch nicht zu hören. Joker, oder eher Jack – das sollte er sich dringend merken, es könnte vielleicht irgendwann einmal wichtig sein –, murmelt irgendetwas vor sich hin. Es klingt nicht gerade erfreut, was Nigma hinsichtlich seiner Situation nachvollziehen kann. Der Rätselmeister kann nur hoffen, dass der Bengel halbwegs zufrieden sein wird, wenn er wieder zurück ins Schlafzimmer kommt. Noch mehr Prügel will der Brünette nun wirklich nicht beziehen, schon gar nicht, ohne zu wissen, bei wem er sich eigentlich dafür bedanken darf.
 

Für eine Sekunde kommt ihm der Gedanke, den Panikknopf zu drücken, der sich in seiner unmittelbaren Nähe an der Seite des Schrankes befindet. Doch würde ihm das etwas bringen? Seine Jungs kämen zu ihnen hinauf. Sie würden nicht begreifen, was mit Joker nicht stimmt, genauso wenig wie Jack begreifen würde, was dieser plötzliche Überfall nun wieder zu bedeuten hat. Edwards Männer wären in der Überzahl, doch das würde auch nicht so viel bringen. Der Grünhaarige hat genug Kraft und Geschicklichkeit, um zwei oder drei von ihnen auszuschalten, noch bevor die Jungs überhaupt auch nur einen Treffer landen können.
 

Das wäre also eher eine schlechte Idee. Vielleicht sollte er sie aber dennoch im Hinterkopf behalten, falls der Verrückte wieder auf ihn losgehen will? Was für Möglichkeiten hat er noch? Unter seinem Kopfkissen liegt seine .45er Magnum. Aber was soll er damit anfangen? Etwa auf den Jungen schießen, den er von ganzem Herzen liebt? Unmöglich! Nicht einmal aus Notwehr! Zudem ist er sich auch irgendwie sicher, dass sich Jack nicht sonderlich von der Waffe beeindrucken lassen würde. Immerhin hat der Bengel schon einiges durchgemacht und weiß sich zu wehren. Außerdem ist Ed nicht einmal ansatzweise so schnell und gewandt wie der Clown, nicht einmal in völlig fittem Zustand. Joker würde ihm die Waffe daher mit größter Wahrscheinlichkeit einfach wieder abnehmen, wenn er nicht in dem Augenblick auf ihn schießen will, wenn er die Badezimmertür öffnet. Also auch keine Option...
 

In der Küche liegt noch ganz hinten in einem Schrank eine Tafel Schokolade versteckt. Allerdings käme es einer unmöglichen Weltreise gleich, in seinem angeschlagenen Zustand dorthin kommen zu wollen. Und die Chancen stehen verdammt hoch, dass Joker diese Leckerei im Moment auch herzlich wenig interessiert. Somit auch keine Möglichkeit, Frieden zu stiften. Der stolze Rätselmeister gibt es nur sehr ungern zu, doch er sitzt definitiv in der Falle. Oder besser ausgedrückt: In einem ganzen Haufen Scheiße! Ein Rätsel wird ihm hier selbstredend auch nicht helfen, die findet Joker schon unter normalen Umständen mehr lästig als alles andere, und er lässt sie nur notgedrungener Maßen über sich ergehen, um Ed eine Freude zu machen.
 

Daher bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als hier zu sitzen und auf sein Schicksal zu warten... Akzeptieren will er diese Tatsache nicht wirklich, doch es gibt einfach nichts, das er tun kann, ohne Joker wohlmöglich zu verletzen, den Bengel immer wieder unbewusst auf die Palme zu bringen, oder sich selbst noch mehr Schmerzen einzuhandeln. Also einfach abwarten...
 


 

7
 

In seinen Schmerzen versunken döst der Rätselmeister schon fast ein. Es ähnelt allerdings mehr einer Ohnmacht als heilendem Schlaf. Verhindert wird dies durch ein lautes Poltern. Sein vernebelter Kopf erläutert ihm schließlich, dass es sich dabei um die Badzimmertür gehandelt haben muss, die Joker wohl äußerst ungestüm geöffnet hat, sodass sie gegen das Regal mit Handtüchern geknallt ist, das sich genau dahinter befindet. Instinktiv spannt der Brünette sämtlich Muskeln an und macht sich auf das gefasst, was auch immer jetzt passieren wird. Bitter schmeckt er eine Unmenge Adrenalin hinten im Rachen. Entgegen all seiner Annahmen kommt der kleine Clown jedoch nicht mehr ins Schlafzimmer, um ihm womöglich eine letzte Abreibung zu verpassen.
 

Stattdessen hört er gedämpft, wie der Junge die Wohnungstür öffnet und in den Hausflur verschwindet. „Mist!“, knirscht Edward in sich hinein. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpft er sich schwerlich auf die Füße. Er muss den Grünhaarigen irgendwie aufhalten. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte, wenn Joker in seinem Zustand durch Gotham irrt. Jeder Schurke, der sich gerade auf freiem Fuß befindet, wird sofort merken, dass etwas nicht mit ihm stimmt und ihm an den Kragen wollen. Sie alle haben immer noch mehr als genug Wut wegen der Sache in der Iceberg Lounge im Bauch, um den Verrückten schneller um die Ecke zu bringen, als dieser auch nur Piep sagen kann...
 

Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis Nigma endlich aufrecht steht, ohne von Ohnmacht oder grellen Lichtpunkten vor den Augen überwältigt zu werden. Bevor er jedoch den Raum verlässt, lässt er sich aber noch einmal aufs Bett sinken und greift nun doch nach seiner Pistole unter dem Kissen. Selbstredend hat er immer noch nicht vor, Joker in irgendeiner Form zu verletzten, aber vielleicht hält ihn ein Warnschuss zumindest solange auf, bis seine Jungs ihn irgendwie einfangen oder beruhigen können?
 

Beim Gedanken an seine Männer wird Ed ganz flau im Magen. Sie wissen ja auch nicht, dass mit Joker etwas nicht stimmt, werden ihn daher wie immer ganz ausgelassen und überschwänglich behandeln. Und er wird es ihnen danken, indem er sie in seiner Wut und Panik verletzt – oder gar schlimmeres...
 

„Oh, nein...“, wimmert der Brünette leicht und erhebt sich schwerlich wieder. Er muss sich irgendwie beeilen. Ungeschickt stolpert er aus dem Raum heraus. Die Wohnungstür steht noch offen, und der Ältere kann die zornigen Schritte seines Gefährten am unteren Ende der Treppe poltern hören. Schnell versucht er ihm zu folgen, doch es ist alles andere als einfach. Seine wackeligen Beine wollen ihm resolut den Dienst versagen und ihn die Treppe herabstürzen lassen, sodass er sich panisch am Geländer festklammern muss. Es verhindert jedoch nicht, dass er vier Stufen hinabrutscht, und ein stechender Schmerz seine Beine und den Rücken hinaufschießt, von seiner Hüfte ganz zu schweigen, in der es mahnend knackt. Mitleidig stöhnt er auf und zieht sich zitternd am Geländer hoch.
 

Für einen Moment verstummen daraufhin die Schritte des Clowns und Edward kann über das Geländer hinweg einen Blick auf ihn erhaschen. Es dauert nur eine Sekunde, dann wendet Joker das Gesicht aber schon wieder ab und setzt seinen Weg fort. Doch es hat gereicht, um all den Zorn und das Unverständnis in den unnatürlich roten Augen zu erkennen. Zudem sieht er in Nigmas Klamotten unglaublich befremdlich aus, und dass nicht nur, weil sie mindestens vier Nummern zu groß für ihn sind.
 

Es ist schon eine ganze Weile her, da hat Joker mal eines seiner weißen Hemden angezogen, ganz so wie es unter Liebespaaren nach romantischer Zweisamkeit schon mal üblich ist. Es reichte ihm bis über die Knie, sodass er gar nichts anderes mehr angezogen hat. Hätte er sich einen Gürtel um die Hüften gebunden, hätte es fast so ausgesehen, als würde er ein Kleid tragen. Er tanzte damit beschwingt durch die Küche und kochte Kaffee, während Ed ihn schmunzelnd vom Tresen aus beobachtet hat. Er sah so unglaublich niedlich aus, so glücklich. Aber das scheint schon tausend Jahre her zu sein, wie es dem Brünetten vorkommt...
 

Schweren Herzens verdrängt der Rätselmeister diesen Anblick und beginnt damit, vorsichtig den Rest der Treppe hinter sich zu bringen. Zweimal sieht es dabei wieder so aus, als würde er stürzen, sich womöglich den Hals brechen, doch er kann sich jedes Mal gerade noch so retten. Allerdings ist das nicht gerade förderlich für all die Blessuren, die sich immer weiter in seinem Körper ausbreiten. Mittlerweile scheint es keine Stelle mehr zu geben, die nicht höllisch schmerzt. Alle Muskeln zittern und ihm bricht deswegen schon bei der kleinsten Bewegung der Schweiß aus. Das ist gar nicht gut, überhaupt nicht.
 

Schließlich erreicht er doch endlich den untersten Absatz und somit die Tür, die ihn in die Garage führt. Sie steht nicht offen, was aber auch nur daran liegt, dass sie eine große Feder hat, die sie von selbst ins Schloss zurückfallen lässt. Tief durchatmend steht Ed davor und versucht sich auf das vorzubereiten, was ihn auf der anderen Seite erwarten könnte. Es gelingt ihm nicht wirklich, zudem hört er nichts aus der Garage. Ist das jetzt ein gutes oder eher ein schlechtes Zeichen? Auch diese Frage kann er nicht beantworten. Von daher hilft nur eines: Schwer fällt seine Hand auf die Klinke und drückt sie nieder...
 


 

8
 

Was ihn auf der anderen Seite der dicken Metalltür erwartet, wirkt mindestens so befremdlich, wie den durchgeknallten Bengel in Nigmas Anzug zu sehen. Joker steht mit dem Rücken zu ihm. Ein Schnappmesser funkelt bedrohlich in seiner Hand im Schein der Deckenbeleuchtung. Wo hat der Bengel nur so schnell das Messer gefunden? Ihm gegenüber stehen Edwards Männer aufgereiht und unbewaffnet. Alle Beteiligten wirken angespannt. Die Luft scheint zum Schneiden dick. Die Szene erinnert den Rätselmeister unweigerlich an den Wilden Westen. Allerdings herrscht hier durchaus verkehrte Welt, denn der Grünhaarige kann in diesem Zustand unmöglich den rechtschaffenden Sheriff spielen, der seine heißgeliebte Stadt vor einer fiesen Räuberbande zu beschützen versucht. Doch vielleicht mimen seine Jungs auch ein wehrhaftes Dorf und sie versuchen, sich gemeinsam gegen diesen irren Eindringling zu verteidigen?
 

Aber ganz gleich, wie man es auch sehen mag, es ist nicht gut. Joker hat eine deutliche Angriffshaltung eingenommen und ballt die Faust, die nicht das Messer hält. Knurrend wie ein Hund zieht er dabei die Lippen hoch, um seine eindrucksvollen Reißzähne zu präsentieren. Eds Truppe wirkt hingegen nur sehr verwirrt. Alle stehen sie wie verschüchterte Kinder da und wissen nichts mit ihrem Gegenüber anzufangen.
 

Scheppernd fällt plötzlich die Tür hinter Nigma ins Schloss zurück. In der schneidenden Stille ist der Laut nahezu ohrenbetäubend. Sichtlich zucken alle Anwesenden zusammen. Gehetzt wendet Joker den Blick und entdeckt den Brünetten, der erschöpft an der Zarge lehnt. Mehr als ein zorniges Knurren hat er auch für ihn nicht übrig. Edwards Männer hingegen sind nun ziemlich erschrocken, versuchen ganz sicher zu ergründen, was vorgefallen sein muss, weshalb ihr Boss in so schlechter Verfassung ist.
 

Zwei von ihnen treten einen Schritt vor und setzen dazu an, ihm helfen zu wollen, doch dann wendet Joker mahnend den Blick herum, schwenkt sein Messer drohend in ihre Richtung und knurrt wieder. Mit einem japsenden Laut nehmen die Männer ihren ursprünglichen Platz wieder ein.
 

„Du hast mich in einen Hinterhalt gelockt, du elender Mistkerl!“, faucht der kleine Clown nun wieder in Nigmas Richtung. „Nein! Ich schwöre, dass es nicht so ist! Niemand hier will dir etwas tun. Bitte bleibt ganz ruhig...“ „Du hast mir gar nichts zu sagen, Alter! Und jetzt lass mich sofort gehen oder ich werde...“ „Schon gut! Schon gut. Keiner von uns wird dich aufhalten, wenn du gehen willst. Aber vielleicht überlegst du es dir doch noch einmal? Wo willst du denn mitten in der Nacht bei dieser Kälte hin?“, setzt Ed wenig hoffungsvoll an. „Das geht dich einen Scheißdreck an, wo ich hinwill!“
 

Inzwischen hat es der Rätselmeister mehr oder weniger aufgegeben, Joker an seiner Flucht zu hindern. Es würde nur zu unnötigen Verletzten führen. Außerdem ist der Grünhaarige gedanklich in einer Zeit gefangen, in der er wohl kaum mal eben in seinen Lamborghini springen und aus der Stadt düsen wird. Zu Fuß wird er bei dieser Kälte und dem Schnee, der den ganzen Tag über gefallen ist, daher sicher nicht weit kommen. Er kann ihm etwas Vorsprung lassen und dann einen seiner Jungs hinter ihm herschicken, um ihm im Auge zu behalten, bis er eine Lösung für all das gefunden hat. Das ist vermutlich der einzig vernünftige Weg.
 

Zu allem Überfluss kann sich Ed auch nicht mehr lange auf den Beinen halten. Daher sollte er das hier vielleicht beschleunigen und dem Bengel seinen Willen lassen. „Toni, öffne das Tor und lass ihn gehen.“, gibt er schwer atmend von sich und lehnt sich bedenklich gegen die Türzarge. Sorge schlägt sich daraufhin in den Gesichtern der Männer nieder. Unzweifelhaft gilt sie nicht nur Edward selbst, sondern auch Joker. Dennoch dauert es nur ein paar Sekunden und dann setzt sich Toni unter den wachsamen Augen des verrückten Clowns langsam in Bewegung.
 

Als er das Garagentor erreicht, wendet er noch einmal den Blick zum Brünetten um, doch dieser nickt ihm nur zu. Mit einem lautlosen Seufzen betätigt der breitschultrige Mann schließlich den Knopf und das Tor rattert gemächlich in seinen Führungen nach oben. Rumpelnd kommt es nach einer Weile zum Stehen, eisige Nachtluft weht herein. Jungfräulicher Schnee türmt sich gut fünf Zentimeter vor dem Gebäude auf. Eine Millionen Wintersterne funkeln am tiefschwarzen, inzwischen größtenteils wolkenlosen Himmel, und ein perlweißer Mond erhellt den Vorplatz fast so gut wie ein Bühnenscheinwerfer, lässt die herabgefallenen Flocken wie unzählige Diamanten glitzern. Es herrscht vollkommene Stille dort draußen. Nur wenn man sich unglaublich anstrengt, kann man in weiter, weiter Ferne das Brummen einiger Baumaschinen hören.
 

Kaum, dass das Tor zum Stillstand gekommen ist, huscht Joker auch schon darauf zu. Die Männer in der Garage weichen vor ihm zurück, als fürchten sie, dass er eine ansteckende Krankheit haben könnte. Der Rätselmeister kann es ihnen nicht verübeln. Gleichermaßen ist er froh, dass sie sich so verhalten. So entgehen sie zumindest dem meisten Ärger. In jedem Fall haben sie weit mehr Glück als Ed selbst.
 

Nahezu abrupt stoppt der kleine Clown direkt unter dem Tor. Die kalte Luft erfasst seinen schmalen Körper. Unsichtbare Windfinger greifen in seine geborgten Klamotten. Sie flattern sichtlich, erst recht, weil sie ihm viel zu groß sind. Ganz langsam wendet der Junge das Gesicht herum und starrt sie alle eine schier endlose Weile an. Sein Blick ist der eines kleinen Tieres, das viel zu lange eingesperrt war und nun unverhofft freigelassen wird. Unschlüssig, ängstlich und hilflos, dennoch gehetzt und voller Wut. Ein seltsamer Funken huscht durch seine unnatürlich roten Augen. Gern würde sich Edward einbilden, dass in diesem Funken etwas von Erkennen schlummert, von Erinnerung. Doch das ist wohl zu viel des Guten.
 

Jacks Gesicht verfinstert sich immer mehr. Zum Schluss scheint er schon fast zu Schmollen. Wie ein bockiges Kind starrt er sie alle an, dann verschwindet er ohne ein weiteres Wort einfach in die eisige Nacht hinaus und rennt davon...
 


 

9
 

In sich gekehrt lässt Toni das Tor kurze Zeit später wieder nach unten fahren, damit noch etwas Wärme in der Garage zurückbleibt. Schweigend stehen sie alle beisammen und wissen nicht so recht, was sie jetzt sagen oder tun sollen. Nigma geht es da nicht viel besser. Er kämpft allerdings auch noch mit ganz anderen Dingen.
 

Das Tor hat sich noch keine zwei Minuten geschlossen, da kapituliert sein angeschlagener Körper endgültig. Mit einem schmerzlichen Stöhnen rutscht er ungelenk an der Türzarge hinab und setzt sich dann unsanft auf den kalten Betonboden. Sein Kopf dröhnt, als würde er jeden Moment platzen. Die grellen Punkte vor seinen Augen sind auch wieder da. Ihm ist schlecht, und dass nicht nur vor Schmerzen, sondern auch vor Sorge. Heiße Tränen rinnen ungehalten seine völlig blassen Wangen hinab, und er gibt ein ersticktes Schniefen von sich.
 

Erst jetzt merken seine Jungs, dass etwas nicht stimmt. „Boss!“, kommt es erschrocken von Mel. Mit zwei großen Schritten ist er bei ihm und versucht, die Lage zu ergründen. „War das etwa Mister Jay, der dich so zugerichtet hat?“, fragt er sorgenvoll und versucht, ihm wieder auf die Füße zu helfen. Stöhnend lässt es der Rätselmeister geschehen. Im festen Griff des anderen Mannes stolpert er langsam zur Couch hinüber. Schwerlich legt er sich dort hin, auch wenn er es nicht will, doch Mel lässt ihm keine andere Wahl.
 

„Ja, aber – aber Joker ist nicht – ist nicht er selbst. – Er kann sich an nichts erinnern. – Nicht an mich, nicht an euch, an gar nichts. – Irgendwie hat er sein Gedächtnis verloren und irrt jetzt dort draußen herum. Wir müssen ihn unbedingt wiederfinden und versuchen, seine Erinnerungen zurückzubringen, bevor er etwas anstellt oder ihm womöglich etwas passiert! Ihn trifft keine Schuld an alledem...“, berichtet Ed unter Tränen.
 

„Aber wie kann denn so was passieren? Ich meine, man verliert doch nicht einfach so über Nacht alle Erinnerungen...“, wirft Bob bedrückt ein. „Ich weiß es nicht. Doch ich vermute mal, dass dort irgendwer seine Hände im Spiel hat. Als er aufgewacht ist, hat er mich nicht mehr erkannt. – Er hat geglaubt, ich hätte ihm irgendetwas Schlimmes angetan. – Dann ist er durchgedreht und hat mich verprügelt. Zum Glück nicht allzu sehr. Doch er hat mir die Nase gebrochen. Und ich kann wohl von Glück sagen, dass ich meine Brille noch nicht aufhatte, als er mir aufs Auge geschlagen hat...“
 

Inzwischen hat Carl einen nassen Lappen besorgt, den er dem Brünetten nun reicht, damit dieser ihn auf seine Nase legen kann. Auch der Rest der Männer wuselt geschäftlich umher und sucht Verbandsmaterial zusammen. „Woran kann er sich denn überhaupt noch erinnern?“, kommt es nun von Tom, während er Ed ein Kissen in den Rücken drückt, damit er bequemer sitzen kann. Dankbar versucht der Brünetten zu lächeln, doch es will ihm nicht so recht gelingen.
 

„Naja, er kann sich an nichts erinnern, was hier in den letzten Monaten passiert ist. Er kann sich auch nicht an sein Dasein als Joker erinnern. Was immer passiert ist, hat mehrere Jahre seines Lebens einfach ausradiert. So wie ich ihn verstanden habe, glaubt er, wieder ein junger Teenager zu sein. Er glaubt, dass er noch immer in diesem Waisenhaus lebt, aus dem er irgendwann geflüchtet ist...“ Edward hatte seinen Männern vor einer ganzen Weile zumindest bruchstückhaft erzählt, was er so alles von Joker erfahren hatte, sodass sie jetzt immerhin halbwegs verstehen, was er ihnen mitteilt.
 

„Toni und ich werden nach ihm suchen. Vielleicht können wir ihn ja doch irgendwie überreden, wieder hierher zurückzukommen.“, meint Carl zuversichtlich. „Das ist eine gute Idee. Doch kommt ihm nicht zu nahe, solange er so aufgebracht ist. Beobachtet ihn bloß, bis sich eine günstige Gelegenheit ergibt. Passt auf, dass ihm nichts zustößt oder er, Gott weiß wem in die Arme läuft. Im Schnee dürfte er nicht schwer zu finden sein, zumindest, solange er sich noch in den Narrows aufhält.“ „Verstanden, Boss.“ Und schon machen sich die beiden auf den Weg.
 

„Gibt es überhaupt ein Mittel, das gegen Amnesie hilft?“, fragt Mel nun unschlüssig. „Hm. Eine gute Frage. Soweit ich weiß, eher nicht. Man kann nur versuchen, Erinnerungen in jemandem wieder wachzurufen, indem man ihm etwas über sich erzählt oder ihn an vertraute Orte führt. Oftmals schließen sich solche Gedächtnislücken auch von ganz allein wieder. Aber das kann ziemlich lange dauern. Vielleicht hat das Ganze auch eine Chemikalie oder dergleichen verursacht, und dann bräuchten wir womöglich ein Gegenmittel? Das müssen wir aber alles erst herausfinden. Dafür brauchen wir Joker aber hier. – Wahrscheinlich brauchen wir sogar auch Hilfe von außerhalb...“
 

„Du meinst – Batman?“, fragt Bob nicht sonderlich glücklich. Edward erwidert seinen Blick in nicht gerade besserer Stimmung. Tonlos knirscht er mit den Zähnen. „Ja, ich fürchte, wir brauchen Batman...“, spricht er schließlich das aus, was keiner von ihnen jemals hören wollte. Ein Seufzen geht durch die Runde, aber es ändert natürlich nichts an der miesen Lage, in der sie sich gerade befinden. Keiner von ihnen will sich freiwillig vor die Tür begeben, um die Fledermaus zu suchen, und dass würde Ed auch niemals von ihnen verlangen. Das ist etwas, dass er selbst in die Hand nehmen muss. Allerdings muss er dafür erst einmal wieder etwas auf die Beine kommen.
 

Morgen ist aber auch noch eine Nacht, um sich damit zu beschäftigen. Und vielleicht besteht ja auch die unwahrscheinliche Change, dass sich Joker bis dahin wieder an alles erinnert und zu ihnen zurückkommt, als wäre nichts gewesen? Daran glaubt der Rätselmeister zwar nicht, aber hoffen darf man ja noch. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Joker Batman ganz von selbst unabsichtlich in die Arme läuft. Der Ritter wird sofort merken, dass etwas nicht stimmt und ihm sicher irgendwie versuchen wollen zu helfen. Im besten Fall bringt er den Clown dann sogar hierher zurück und sie können gemeinsam an einer Lösung arbeiten.
 

Ja, dass wäre wirklich der beste Plan. Etwas anderes fällt Nigma im Moment einfach nicht ein, nicht mit diesen höllischen Kopfschmerzen und alledem. Müde schließt er die Augen und döst ein. Seine Männer lassen ihn schlafen. Abwechselnd halten sie allerdings bei ihm Wache, falls sich sein Zustand verschlechtern sollte, während der Rest seinen allnächtlichen Arbeiten nachgeht.



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