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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Der Antrag~

Während Robin uns mit ihrem neuen Wagen zu Susen fährt, halte ich die kleine Schachtel auf meinem Schoß in den Händen. Eine Weile betrachte ich den kunstvoll verzierten Deckel, dann klappe ich ihn auf. Der Ring glänzt mich im Sonnenlicht an. Ein besseres Symbol für Hoffnung und im selben Maße Verzweiflung kann ich mir nicht vorstellen. Zusammen mit der aufgeschürften Haut an meinen Händen ein passendes Bild. Ich sinke weiter in meiner Haltung zusammen und mache einen Buckel dabei, habe ich doch das Gefühl gerade von der Last meines Schicksals erdrück zu werden.

Warme Hände legen sich über meine kalten. Toni sagt kein Wort, er sieht mich nicht mal an, nur seine Hand drück fest meine Finger.

Ich kämpfe mit den Tränen, als ich an seinem feinen Anzug hinauf sehe. Das Robin uns erst mal neu eingekleidet hat, täuscht zumindest ein bisschen über das Erlebte hinweg. Nur in Tonis Gesicht sind noch ein paar Schrammen zu sehen, der Rest ist unter der Kleidung verborgen. Ebenso wie bei mir.

Ich fühle der Wärme seiner Finger nach und wünsche mir so sehnlichst endlich aus diesem Alptraum zu erwachen.

„Enrico, mach ein fröhlicheres Gesicht. Du hältst gleich um die Hand meiner Schwester an. Wenn du dabei schaust, wie auf einer Beerdigung, wird sie wohl kaum ja sagen.“

Großartig! Nun darf ich dem Gefühl in mir nicht mal mehr Ausdruck verleihen? Finster sehe ich auf und Robin an, ohne meinen Rücken wieder aufzurichten.

„Was?“, will Robin schroff wissen. „Wäre es dir lieber ich fahre dich zu Vincent oder Vater, ohne eine Absicherung? Mal sehen wem Vater mehr Glauben schenken wird.“

Ich lasse den Blick wieder sinken. Das kann doch alles nur ein schlechter Traum sein, es muss einfach! Habe ich denn wirklich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera?

„Enrico…“, zieht Toni meinen Namen in die Länge und drückt meine Hand fest.

„Ist ja schon gut!“, sage ich und atme tief durch. „Ich schauspielere ja nicht zum ersten mal!“, füge ich an und drücke den Rücken wieder durch. Noch einen Atemzug nehme ich, dann gelingt es mir auch ein Lächeln aufzusetzen. Die Schachtel klappe ich wieder zu und verstaue sie in meiner Hosentasche.

Als ich aus der Frontscheibe hinaus schaue, kann ich den Strand und Susens Haus bereits sehen. Robin parkt gerade den Wagen. Noch härter schlägt mir das Herz in der Brust.

„Willst du uns eigentlich beim Antrag dabei haben?“, fragt Toni.

Darüber habe ich bisher nicht nachgedacht. Auch nicht wie ich das Thema vor Judy anfange. Einfach vor ihr auf die Knie fallen dürfte wohl kaum ausreichen. „Nein, ich will allein mit ihr reden“, antworte ich mit fester Stimme. Erst mal möchte ich wissen wie sie über die Schwangerschaft und ihre Folgen denkt, vielleicht kann ich darüber das mit der Hochzeit ansprechen.

Robin steigt aus und auch Toni öffnet die Türen des Wagens.

Ich brauche einen Moment länger als die beiden um mich endlich aus dem Auto zu quälen. Als ich die Wagentür nach mir zuschlage, hält Robin mir einen großen Strauß Blumen vor die Nase, den wir unterwegs gekauft haben.

Ich betrachte das ausladende Blumengestrüpp skeptisch. Es erscheint mir so unpassend wie der übereilte Antrag. „Nein, lass sie im Wagen. Das hier ist nicht zum Feiern, auch für Judy nicht. Jetzt wo sie schwanger ist, hat sie genau so wenig eine Wahl, wie ich.“

Robin betrachtet mich eingehend, dann nickt sie verstehend und legt die Blumen zurück in den Wagen.

Als sie die Wagentüren zuschließt und schon auf den Steg zugehen will, der auf die Insel führt, halte ich sie am Arm fest. „Lasst mich das allein machen!“, sage ich und sehe auch Toni eindringlich an.

Er nickt nur, während Robin mich besorgt mustert.

„Bitte!“, schiebe ich hinterher.

„Na schön!“, gibt sie nach.

„Danke!“, entgegne ich schlicht und gehe über den Steg zur Insel und auf die Haustür zu. Noch immer hämmert mir das Herz hart in der Brust. Meine Hand zittert als ich damit den Knopf betätige, der im Inneren des Hauses eine Glocke läuten lässt.

Einen Moment lang bleibt es still, dann nähern sich Schritte der Tür. Susen ist es, die mir öffnet. Ihr Blick fährt mich von oben bis unten ab und bleibt dann missbilligend an meinem Gesicht hängen. „Sieh mal einer an…“, sagt sie in einem herablassenden Tonfall.

„Bitte, erspar mir einen Kommentar. Ist Judy da, kann ich mit ihr sprechen?“, frage ich gerade heraus.

Susens Blick mustert mein Gesicht und geht dann über meine Hände. Sie betrachtet die Schrammen und blauen Flecke.

Mein Gesicht kann ich davor nicht schützen, aber meine Hände nehme ich hinter den Rücken, um sie ihrem Blick zu entziehen.

Susen runzelt die Stirn. Als Ärztin bleibt ihr der wahre Zustand meines Körpers sicher nicht verborgen. Sie seufzt tief, dann geht sie einen Schritt bei Seite. „Judy ist oben in ihrem Zimmer. Den Weg kennst du ja sicher noch!“, sagt sie hart.

„Danke!“, ist alles, was ich erwidere als ich mich an ihr vorbei schleiche.

Das Susen Robin und Toni auch ins Haus winkt und hereinlässt, bekomme ich nur am Rande mit. Wie automatisiert laufe ich zur Wendeltreppe und über sie in den ersten Stock. Ganz von allein finden meine Füße ihren Weg zum Zimmer Judys. Als ich vor ihm stehe, klopfe ich an. Nichts passiert, keine Frage danach wer hier ist und auch keine Schritte. Nur ein schwerer Atem ist zu hören.

„Judy, können wir reden?“, frage ich.

Der Atem stockt, einen Moment lang ist es still, dann kann ich das wischen von Papier und eine Bewegung im Zimmer hören. Es dauert noch einen Augenblick bis sich die Schritte nähern, schließlich wird die Tür geöffnet.

Judys Augen sind rot und ihre Haare zerzaust. Das blaue Kleid, das sie trägt, ist überall zerknittert. Vergeblich versucht sie es glatt zu streichen. „Enrico… ich… ich bin nicht Salonfähig“, sagt sie mit roten Wangen und in einer verlegenen Stimmlage.

Ich sehe an meinem feinen Anzug hinab und dann wieder sie an. Ein gequältes Lächeln setze ich auf, als ich sage: „Ich schon, aber nur äußerlich!“, gestehe ich ihr.

Meine Worte treiben ihr ein flüchtiges Lächeln in die Mundwinkel, doch als sie spricht, verschwindet es wieder. „Weißt du es schon?“, will sie wissen.

Ich senke den Blick, kleinlaut antworte ich: „Ja, Robin hat es mir erzählt.“

Einen Moment schleicht sich Schweigen zwischen uns, dann halte ich die Stille nicht länger aus und sehe sie wieder offen an. „Darf ich rein kommen? Können wir darüber reden?“

Judy sieht von mir zurück in ihr Zimmer. Sorgenfalten bilden sich auf ihrer Stirn. „Es ist nicht aufgeräumt, aber ja, komm rein!“, sagt sie und schiebt die Tür weiter auf.

Mal abgesehen von ein paar Kleidungsstücken, die am Boden liegen und dass ihr Bettzeug unordentlich ist, sieht es doch so aus, als wenn alles an seinem Platz wäre. Mein Zimmer sieht für gewöhnlich deutlich schlimmer aus.

„Unwichtig“, versichere ich ihr und trete ein, als sie mir Platz macht.

Judy schließt die Tür, dann geht sie zum Bett und lässt sich wie ein nasser Sack auf selbiges fallen. Ihre Hände faltet sie in ihrem Schoß und schaut zu Boden. „Es tut mir leid. Ich habe nicht aufgepasst…“, sagt sie mit brüchiger Stimme.

Ich gehe zu ihr und setze mich neben sie. „Also wenn, haben wir daran ja beide irgendwie Schuld.“ Meine Hand lege ich über ihre und lächle sie aufmunternd an.

Judy dreht ihre Finger, bis sie sie in meine einhaken kann. Ein Seufzer der Erleichterung überkommt sie, dann wandern ihre Augen die Schrammen an meiner Hand ab. Ihr Blick hebt sich, bis sie mir ins Gesicht sehen kann. Sorge legt sich in ihre Augen, als sie mich mustert.

Ich wende mich schnell ab und sehe zu Boden, trotzdem spüre ich ihren Blick weiter forschend auf mir.

Sie hebt ihre Hand und greift in den Kragen meines Hemdes, den Stoff schiebt sie ein Stück nach unten.

Ich kralle meine Hände in die Matratze des Bettes und versuche glaubhaft herauszubringen: „Es geht mir gut!“ Dabei kann ich mir meine Worte nicht mal selbst glauben.

Judy richtet meinen Kragen wieder, ihre Haltung sinkt ein Stück tiefer. Während sie versucht mir ins Gesicht zu sehen, faltet sie die Hände in ihrem Schoss. Mit fürsorglicher Stimme will sie wissen: „Was ist passiert?“

Bei ihrer ehrlichen Sorge und der sanften Stimme, muss ich schwer an mich halten, nicht einfach loszuheulen. Das Erlebte ist noch viel zu frisch und auch wenn ich es in den hintersten Winkel meines Geistes zu verbannen versuche, blitzt es immer wieder in kurzen Erinnerungsfetzen auf. „Nicht so wichtig“, bringe ich gerade noch so standhaft heraus, bevor mir die Stimme versagt und ich Vincent schon wieder vor mir sehe.

Nun ist es Judy, die ihre Hand auf meine legt. Eindringlich sieht sie mich von der Seite an. „Ich weiß, wir kennen uns so gut wie gar nicht, aber… also… naja du wirst der Vater meines Kindes und wir… ich…“, versucht sie vergeblich die richtigen Worte zu finden. Schließlich atmet sie tief durch und sagt deutlich gefasster: „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann…“

Ich sinke in meiner Haltung noch tiefer zusammen und komme nicht mehr gegen meine Tränen an. Da wütet so viel Angst und Verzweiflung in mir, dass ich nicht aufhalten kann, dass alles auf einmal aus mir heraussprudelt: „Niemand kann mir helfen. Dein Vater hat es nicht geschafft. Toni und ich wären deswegen heute fast drauf gegangen und dein Leben habe ich mit einem Kind zerstört. Es sind schon so viele Menschen meinetwegen getötet worden. Dabei wäre es besser gewesen, ich hätte mich damals einfach erschießen lassen, dann wäre alles längst vorbei. Es tut mir so leid, dass ich dich da jetzt auch noch mit reingezogen habe!“

Immer mehr Tränen fallen mir von den Wangen, selbst das Schluchzen kann ich nicht verhindern, während ich mich auf meinen Oberschenkeln ganz klein zusammenrolle.

Judy sagt nichts zu alledem, sie legt mir lediglich die Hand auf den Rücken und streichelt ihn sanft. Als ich versuche durch meinen Tränenschleier zu ihr aufzusehen, ist ihr Blick noch immer freundlich aber auch mahnend.

Was sie jetzt wohl von mir denkt? Ein Mann der vor ihr heult wie ein kleines Kind. Sicher wird sie jetzt erst recht meinen Antrag ablehnen. Damit habe ich auch noch die letzte Chance verspielt, die Toni und mich hätte retten können. Der Gedanke lässt meinen Blick wieder verschwimmen.

„Du steckst also doch tiefer in Vaters Geschäften mit drin, als Robin mich glauben lassen will“, sagt Judy schließlich in einem neutralen Tonfall.

„Bestimmt nicht freiwillig“, kommt mir spontan über die Lippen.

Judy richtet sich auf, sie erhebt sich und bleibt vor mir stehen. Die Arme verschränkt sie vor der Brust und sieht streng auf mich hinab. „Warum bist du wirklich hier? Doch sicher nicht um mir von deinem beschissenen Tag zu berichten.“

Scheu sehe ich zu ihr auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht, dann krame ich in der Hosentasche nach dem Schmuckkästchen. Als ich es in ihre Richtung reiche, muss ich es nicht mal öffnen. Durch Judys Gesicht geht aus so ein verstehender Ausdruck.

„Ich lasse dich mit dem Kind nicht hängen!“, verspreche ich ihr.

Judys verspannte Haltung lockert sich, doch ihr ernster Gesichtsausdruck bleibt. „Also willst du mir nur deswegen einen Antrag machen?“, fragt sie in düsterer Stimmlage und wendet ihren Blick von mir ab.

Ich wische mir die letzte Nässe aus dem Gesicht und richte mich wieder auf. So gern ich Judy auch etwas vorspielen will, so sehr sie auch verdient hätte, dass mein Grund ein anderer ist, ich kann sie nicht belügen. „Ja und weil du gerade meine einzige Lebensversicherung gegen Vincent bist“, sage ich ernst und verbanne das Zittern aus meiner Stimme.

Judy dreht sich wieder zu mir. „Vincent hat dich töten wollen?“, will sie wissen und fügt noch eine Frage an, „Warum?“

Ich sehe unter ihrem Blick hinweg. „Weil er vertuschen will, was er mit Kindern tut, wenn er sie in die Finger bekommt!“, sage ich in finsterer Stimmlage und grabe meine Finger tiefer in die Matratze, um die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben.

„Ich verachte diesen Mistkerl!“, sagt Judy diabolisch. Diese Stimmlage kenne ich von ihr noch nicht und es treibt mir einen eisigen Schauer den Rücken hinab. „Der Dreckskerl hat meine Katze auf dem Gewissen“, murmelt sie leise.

Verstört hebe ich den Blick und sehe sie an. In wieweit ist eine Katze bitte genauso Schlimm wie das, was ich ihr gerade angedeutet habe?

Judy hat die Arme fest vor der Brust verschränkt und schaut nach Rache dürstend vor sich hin, dann wandert ihr Blick auf mich zurück. „Wenn wir heiraten und du damit unter meinem Schutz stehst, ob wir ihn damit in den Wahnsinn treiben können?“

Völlig überfordert mit den neuen Informationen betrachte ich Judy und ihre Haltung. Da ist eindeutig Mordlust in ihrem Blick, auch wenn sie es nicht ausspricht, doch was sie sagt passt irgendwie auch nicht dazu. So muss ich es wiederholen, um sicher zu gehen, dass ich sie richtig verstanden habe: „Also das Baby allein wäre für dich kein Grund mich zu heiraten, aber um Vincent eins auszuwischen, dafür würdest du mich heiraten und das alles nur, weil er deine Katze auf dem Gewissen hat?“

„Ja, wieso?“. fragt sie angriffslustig.

„Oh man…“, murmle ich schockiert. Mit der habe ich ja einen Fang gemacht. Aber wie konnte ich auch erwarten, dass aus einer Familie wie der Aarons etwas Niedliches und Pflegeleichtes heraus kommt.

„Was? Du bist auch nicht gerade ein Hauptgewinn!“, murrt sie.

„Na gut, eins zu null für dich!“, gestehe ich ihr zu.

Das lässt sie zufrieden lächeln. Während sie damit beginnt durch das Zimmer zu wandern, sagt sie: „Außerdem, wenn du deine Worte mich nicht hängen zu lassen wirklich ernst gemeint hast, dann werden wir doch eh heiraten. Da kann ich damit doch auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ Von einem Moment auf den anderen hält Judy inne und sieht mich fixierend an.

Fragend betrachte ich sie, während mir ein neuer Schauer den Rücken hinabjagt.

„Vincent hat nun schon seinen zweiten Fehler begangen. Erst hat er meine Katze umgebracht und jetzt versucht er noch den Vater meines Kindes zu töten. Dagegen habe ich aus Prinzip etwas!“, sagt sie finster.

Ihre Worte geben mir mehr Hoffnung als ich zuvor noch hatte und ihre Entschlossenheit dabei erinnert mich irgendwie an Robin, was sie gleich noch einmal sympathischer macht. So lächle ich sie zufrieden an.

„Was?“, will sie schroff wissen.

„In dir steckt mehr von deiner Schwester als ich dachte, nur das du noch mal deutlich hübscher bist, als Robin!“, verkünde ich ihr.

Judys Wangen werden rot. Ihr Blick bekommt etwas gespielt Arrogantes, als sie sagt: „Natürlich bin ich hübscher als sie. Robin läuft ja immer herum wie eine Nutte.“

Ihre Worte und die abgewandte Haltung lassen mich schon wieder schmunzeln. Irgendwie werde ich schon mit ihr klar kommen. Immerhin ist sie auf meiner Seite und das obwohl sie die Wahrheit über meine Heiratsabsichten kennt. So öffne ich die Schmuckschachtel und gehe vor Judy auf die Knie: „Nun dann Judy Longhard, würdest du mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?“

Judys Blick wandert langsam und von oben herab auf mich zurück. Sie greift in die Schmuckschachtel und nimmt den Ring heraus. Selbst legt sie ihn sich an den Ringfinger der linken Hand und streckt dann den Arm weit aus. Aus der Ferne betrachtet sie den Diamanten in der Mitte und lässt ihn dabei funkelnde Lichtflecken an die Wände werfen.

„Ich denke der ist angebracht. Meine Mutter ist mit ihm am Finger gestorben und mein Mann ist ein Totgeweihter. Ich habe schon ein Glück!“, sagt sie seufzend.

Ich betrachte sie fassungslos. Wie kann sie so was nur so gefühlskalt aussprechen? „Du bist echt nicht normal“, kommt mir spontan über die Lippen.

„Sei froh, dass es so ist. Eine normale Frau würde sich hierauf sicher nicht einlassen.“, sagt sie.

Das lässt mich wieder aufstehen und sie fragend betrachten. „Also war das jetzt ein ja?“, will ich wissen.

Sie lächelt mich zufrieden an und kommt einen Schritt näher. Ihre Arme legt sie mir um den Hals und sieht mich mit einem warmherzigen Lächeln an. „Ja, ich will dich heiraten“, sagt sie fast schon liebevoll. Durchdringend wird ihr Blick. „Weil du ehrlich zu mir warst und mich nicht mit dem Kind hängen lässt“, sagt sie und schiebt noch ein verträumt klingendes, „Und weil ich dich heiß finde…“, hinterher.

Ich umgreife ihre Taille und drücke sie fest an mich. Das sie dabei überrascht schaut, ignoriere ich. „Danke!“, sage ich und meine es ehrlich.

Sie seufzt erleichtert und legt mir ihre Arme enger an den Nacken. „Ich danke dir auch… Ich will keine Ausgestoßene sein, die ein uneheliches Kind bekommt“, sagt sie und lässt sich in meine Umarmung fallen. „Davor habe ich panische Angst…“, murmelt sie deutlich leiser. Warme Tränen spüre ich dabei in meinen Hemdkragen laufen.

Erst jetzt wird mir wirklich bewusst, dass auch sie sich in einer ausweglosen Lage befindet und ihr Leben ohne diese Hochzeit ebenfalls nichts mehr wert wäre. Gesellschaftlich wäre sie ruiniert und kein Mann hätte je wieder Interesse an ihr. Sie wäre für immer von den Launen ihres Vaters abhängig.

„Wir schaffen das schon irgendwie… zusammen“, verspreche ich ihr und suche genauso Halt an ihr, wie sie an mir. „Aber eine Frage habe ich trotzdem noch“, muss ich noch loswerden.

„Welche?“, will sie in meine Halsbeuge genuschelt wissen.

„Wie hat Vincent deine Katze getötet?“, frage ich und stelle mir schon die schlimmsten Morde vor. Überfahren, erschossen, aufgehangen und gehäutet...

Judys Mundwinkel gehen nach oben, ich glaube ihr bösartiges Lächeln auf meiner Schulter durch den Stoff hindurch spüren zu können. „Er hat sie aufgegessen!“, antwortet sie.

„Was?“, frage ich verstört und male mir schon eine gebratene Katze am Spieß aus.

„Ja, sie war aus Schokolade und stand im Wohnzimmer. Mutter hat sie mir gemacht und der Mistkerl hat sie einfach gegessen!“

„Du willst Rache an ihm für eine Schokoladenkatze?“, frage ich ungläubig.

„Ja, hast du ein Problem damit?“, will sie angriffslustig wissen und krallt mir ihre Finger in die Schulter.

„Nein, kein Stück!“, entgegne ich schnell.

Ihre Finger lockern sich, sie legt sie flach auf meiner Schulter ab. „Gut!“, sagt sie versöhnlich.

Eine Frage brennt mir trotzdem noch unter den Nägeln, die ich einfach loswerden muss. „Hat er die Katze eigentlich vor oder nach dem Tod deiner Mutter aufgegessen?“

„Nach ihrem Tod!“, erklärt sie.

Das erleichtert mich etwas, erklärt es doch zumindest ein bisschen warum sie so sauer ist, doch Judy schiebt in dunklere Stimmlage nach.

„Aber ich würde ihn auch hassen, wenn er sie davor gegessen hätte! Einfach aus Prinzip!“

Oh man, auf was lasse ich mich hier nur ein? Wenn sie je von mir und Toni erfährt, brauche ich Vincent sicher nicht mehr fürchten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Brooky
2023-04-16T05:22:04+00:00 16.04.2023 07:22
Ich weiß schon, warum ich Judy irgendwie von Anfang an möchte :D
Es ist zwar nicht schön, dass Toni und Enrico damit erneut Steine in den Weg gelegt bekommen, aber das ist nun einmal einfach ihr Schicksal. Umso angenehmer finde ich es, dass Judys und Enricos Eheschließung zumindest auf Ehrlichkeit beruht und nicht auf einer Illusion von einer Liebesheirat. Das wäre nämlich spätestens dann den beiden zum Verhängnis geworden, wenn es rausgekommen wäre, dass das eben nicht der Grund war. So fußt die Verlobung und anschließende Hochzeit zumindest auf einem ehrlichen Fundament und das ist gut.
Schönes Kapitel, nur würde mich tatsächlich interessieren, ob Vincent die Schokoladenkatze gegessen hat, bevor oder nachdem Judys Mutter verstorben ist. Denn je nachdem ist der Zorn, den Judy empfindet, dann noch besser nachvollziehbar abhängig vom Zeitpunkt der Völlerei ;)
Antwort von:  Enrico
17.04.2023 09:59
Judy erinnert mich ja häufig an meine Frau^^. Ein bisschen ist sie auch von ihr inspiriert. Meiner Frau die Süßigkeiten wegzuessen, besonders während der Perioda kann tödlich enden. Lach^^. Aber ich mochte Judy hier auch. Hatte erst überlegt ob das mit der Katze vielleicht zu viel ist, aber ich fand es dann einfach zu kommisch und als ich meiner Frau davon erzählt hat und sie auch darüber lachen konnte, dachte ich mir ahhh passt schon^^. Das die beiden aber so ehrlich zueinander sind auch wenn das Thema nicht schön ist, habe ich auch sehr gemocht. So haben sie zumindest ein kleines Fundament für diese Hochzeit, auch wenn es keine aus Liebe ist. Ich habe im übrigen noch etwas angefügt wo Enrico mal nachfragt ob es nach oder vor dem Tod der Mutter ist... für Judy scheint das aber keinen zu großen Unterschied zu machen^^. Ach ja ich mag ja so Kleine Storys zwischendrin die die düstere Stimmung auflockern.

LG. Enrico
Von:  dasy
2023-04-15T11:01:38+00:00 15.04.2023 13:01
Genial, eine Schokoladenkatze!
Jetzt habe ich für mindestens zwei Tage etwas zum lachen!
Antwort von:  Enrico
15.04.2023 13:03
Ich habe auch noch lange lachen müssen^^


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