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Gleipnir

von

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Kapitel 7: Das ist zu auffällig


 

Es war eine Weile her, seit ich zuletzt mit einem der gepanzerten Wägen von Fenrir gefahren war, aber ich war überzeugt, dass es eigentlich nicht derartig ruckeln sollte. Lindow raste über die Steppe jenseits der Fernost-Abteilung, als wäre ein Aragami hinter uns her. Da er dabei allerdings immer wieder lachte, und ich nichts hinter uns sehen konnte, war das nicht der Fall.

Soma saß auf dem Rücksitz neben mir, und auch wenn ich ihn nicht genauer betrachten konnte, war ich sicher, dass auch er seine Geduld langsam verlor. Wir waren angeschnallt, aber dennoch wurden wir so sehr durchgeschleudert, dass mein Magen bereits zu rebellieren begann und ich bereute nicht auf das Frühstück verzichtet zu haben.

Sakuya, auf dem Beifahrersitz, kümmerte sich gar nicht darum. Sie sah lächelnd aus dem Fenster, kommentierte manchmal etwas besonders Außergewöhnliches – »Seht euch mal diesen riesigen Quadriga an!« – und wirkte dabei vollkommen entspannt. Wie oft war sie mit Lindow unterwegs gewesen, um daran bereits gewöhnt zu sein?

Mit voller Geschwindigkeit rumpelte der Wagen über die Hindernisse auf unserem Weg. Früher waren das einmal sorgsam gepflegte Straßen gewesen, doch mit den Jahren waren sie vollkommen zerfallen. Aufgrund der Aragami war niemand hier draußen gewesen, um entstehende Risse zu schließen. So hatte sich Regenwasser in Pfützen unter dem Asphalt gesammelt. Im Winter waren diese dann gefroren und die Volumenausbreitung hatte den Straßenbelag regelrecht gesprengt. Jedenfalls war mir das so beigebracht worden. Ich wusste zwar nicht mehr von wem, aber mein Gehirn hatte es sich dennoch gemerkt.

Ein besonders großes Schlagloch brachte das Auto zum Hüpfen – und sorgte dafür, dass Somas Kopf eine sichtbar unsanfte Begegnung mit dem Dach erlebte. Er fluchte und rieb sich brummend die verletzte Stelle. »Kannst du nicht vorsichtiger fahren?«

Lindow lachte darauf. »Warum denn? So ist es viel besser. Und wir kommen schneller an.«

»Oder wir sterben schneller.«

Ich bezweifelte, dass Lindow das kümmerte, schließlich war er dem Tod bereits einmal von der Schippe gesprungen. Außerdem waren wir God Eater – wir starben nicht bei Autounfällen.

Lindow ging nicht mehr weiter auf das Thema ein und freute sich stattdessen über die Fahrt an sich. Ich warf einen Blick zu Soma hinüber, doch er achtete im Moment nicht auf mich, deswegen sah ich nicht mehr als seine Kapuze. Worüber er wohl gerade nachdachte?

Sakuya beugte sich vor und deutete durch die Windschutzscheibe auf einen Punkt in der Entfernung. »Da vorne sollte es sein. In der Nähe müsste der Sariel sein.«

»Schafft ihr das wirklich allein?« Wenn ihnen irgendetwas geschah, weil ich diesen Alleingang durchziehen wollte, könnte ich mir das nie verzeihen.

Sakuya lehnte sich wieder zurück, sah über die Schulter und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mach dir darüber keine Gedanken, wir kriegen das hin. Ihr seid die beiden, die vorsichtig sein sollten.«

Ich machte mir wenig Sorgen deswegen. Soma und ich hatten uns darauf geeinigt, möglichst viele Aragami zu umgehen, dafür führten wir sogar Tarnstoff mit uns. Und selbst wenn es zu einem Kampf käme, fühlte ich mich gut geschützt durch das neue Schild, das Licca mir angefertigt hatte.

Lindow bremste so abrupt, dass trotz des Gurtes meine Stirn gegen Sakuyas Sitz stieß. Ich brummte nur leise, um keine Diskussion auszulösen.

»Wir sind da«, verkündete Lindow überflüssigerweise. »Alle aussteigen!«

Soma verließ den Wagen so schnell, dass er bereits die Ladeluke öffnete, als ich auch endlich draußen war. In der Entfernung standen die Ruinen einer kleinen Stadt, dort musste der Sariel sich herumtreiben, auf der Suche nach etwas Essbarem, umgeben von kaltem Stahl und Beton, der vor langer Zeit die Heimat von jemandem gewesen war; nun rottete er nutzlos vor sich hin, sofern Fenrir-Mitarbeiter ihn nicht als nutzbar einstuften und abbauten.

Ich wandte mich davon ab und ging zu Soma hinüber. Er wartete bereits mit einem Rucksack in der Hand, darin waren Decken und Rationen, den ich mir auf den Rücken schnallte. Er selbst nahm sich den mit Medizin und Selektionsfaktor, der deswegen wesentlich schwerer war. Danach reichte er mir noch den Koffer, in dem mein God Arc für die Reise verstaut war. In dieser Form waren sie besser transportierbar, außerdem konnte auch jemand anderes als der Besitzer sie so tragen, ohne vom Aragami des God Arcs verschlungen zu werden.

Soma stellte seinen eigenen Koffer ab, dann breitete er eine Karte Japans auf der Seite des Wagens aus, die wir extra hierfür besorgt hatten. Ich hielt sie fest, während er noch einen Kompass aus der Tasche kramte. Er deutete auf einen Punkt. »Wir sind jetzt hier.«

Unser Ziel war bereits markiert, ich betrachtete die Strecke und presste die Lippen aufeinander. Es sah aus, als müssten wir mehrere Tage laufen, bevor wir auch nur in die Nähe kamen. Das war mir immer klar gewesen, aber erst in diesem Moment wurde mir wirklich bewusst, wie weit die Strecke war – und wir mussten die ganze Zeit mit Angriffen von Aragami rechnen, egal wie vorsichtig wir waren, schließlich würden wir in Bereiche vordringen, die von der Fernost-Abteilung noch nicht gesäubert worden war. Wäre Soma nicht bei mir gewesen, hätte ich nun direkt aufgegeben. Seine Anwesenheit wäre dieser Sache verlieh mir allerdings die nötige Sicherheit, das durchzuziehen.

Lindow und Sakuya betrachteten uns mit ernsten Gesichtsausdrücken. Seit der Sache mit Arius Nova hatte ich sie nicht mehr so gesehen, weswegen ich ihren Blick mit geneigtem Kopf erwiderte.

»Das ist ganz schön weit«, sagte Sakuya. »Wollt ihr wirklich nicht den Wagen haben? Wir kommen von hier aus problemlos zurück.«

Soma schüttelte mit dem Kopf. »Das ist zu auffällig. Wir wollen den Aragami aus dem Weg gehen, nicht sie auf uns aufmerksam machen. Wisst ihr noch, was ihr sagen sollt?«

»Ja ja.« Lindow zündete sich eine Zigarette an. »Ihr habt die Signatur eines unbekannten Aragamis gesehen und wolltet das auschecken, wir warten hier auf euch, um den Wagen zu beschützen.«

Hibaris Radar dürfte nicht weit genug reichen, um etwas abseits des Einsatzortes festzustellen. Wir dagegen hatten einen tragbaren Radar bei uns, der unsere Umgebung scannte, also war es nicht aus der Luft gegriffen.

»Und wenn es dunkel wird, geht ihr nach Hause«, ergänze ich für ihn. »Wir werden unseren Status per Funk durchgeben und erklären, dass wir dem Aragami weiter folgen.«

»Das werden sie nicht gern hören«, gab Sakuya zu bedenken.

Soma zuckte mit den Schultern. »Was sollen sie machen? Uns feuern?«

Nach all unseren Erfolgen würde die Firma das kaum wagen, besonders da Soma der Sohn des früheren Fernost-Direktors war. Zumindest in diesem Bereich war ich kaum besorgt. Ein wenig Arrest stand bei unserer Rückkehr aber durchaus auf dem Plan.

»Da wir das geklärt haben, sollten wir eine Verbindung zu Hibari aufbauen.« Soma zog die Headsets, die bequem in ein Ohr passten, aus dem Ladebereich und gab jedem eines.

Mit geübten Handgriffen brachten wir sie an und aktivierten sie. Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann hörten wir Hibaris Stimme: »Ihr seid am Einsatzort angekommen?«

Ich bestätigte das. »Allerdings schlage ich als Teamleiter eine Änderung vor.«

Hibari war eine Sekunde lang still. Als sie wieder sprach, klang sie zurückhaltend: »Worin genau soll diese bestehen?«

»Wir haben in der Nähe die Signatur eines unbekannten Aragami entdeckt, Soma und ich möchten dem nachgehen. Natürlich vorsichtig. Lindow und Sakuya beenden den ursprünglichen Auftrag.«

Ich konnte mir regelrecht vorstellen, wie Hibari nervös auf ihrem Stuhl rutschte. »Eigentlich müsste ich das erst von Tsubaki oder Dr. Sakaki autorisieren lassen.«

Lindow nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette und atmete den Rauch aus, ehe er seinen Trumpf anbrachte: »Nicht nötig. Ich hab meine Schwester schon darüber in Kenntnis gesetzt. Sie hat zugestimmt, solange der Captain nicht allein unterwegs ist. Soma soll darauf achten, dass sie nicht wieder Schwachsinn macht.«

Das Manöver war riskant, mein Puls beschleunigte sich mit jeder Sekunde, in der Hibari schwieg, mehr. Wir hatten beschlossen, dennoch zu gehen, selbst wenn Hibari darauf bestand, im Vorfeld mit jemandem zu sprechen, aber ich hoffte, es wäre nicht notwendig. Ich wollte es nicht aussehen lassen, als desertiere ich. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe – und spürte plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Ich sah zur Seite, Soma nickte mir zu, formte mit den Lippen die Worte Ganz ruhig. Wenn meine Vitalwerte zu sehr verrückt spielten, könnte sie merken, dass wir logen, er hatte recht. Ich atmete tief durch, um mich wieder zu beruhigen, dabei starrte ich direkt in Somas Augen, die gerade dunkler als sonst wirkten – er musste auch angespannt sein, selbst wenn er es nicht so sehr zeigte.

»In Ordnung«, sagte Hibari schließlich. »Ich werde eine Notiz deswegen im System hinterlassen.«

Lindow vollführte eine Bewegung, die wohl Seht ihr bedeuten sollte. »Danke, Hibari. Dann werden Frea und Soma jetzt die Spur des Aragami aufnehmen.«

Sakuya scheuchte uns davon. Wir nickten den beiden noch einmal dankbar zu, dann eilten wir in eine andere Richtung, um unsere Reise zu beginnen. Als ich zurück blickte, hatten die beiden sich ebenfalls auf dem Weg gemacht, um den Sariel zu besiegen. Ich hoffte, dass es nicht das letzte Mal war, dass wir zusammen auf Mission gegangen waren, obwohl ein Engegefühl in meiner Brust mir genau das mitzuteilen versuchte. Ich atmete noch einmal tief durch, was durch dieses seltsame Gefühl nur schwer war, und schloss mich dem vorangegangenen Soma an. Die Reise würde schwer genug werden, da musste ich nicht auch noch zurückfallen.

 

Als God Eater war man einem Aragami näher als einem Menschen, so gelang es uns, pausenlos für mehrere Stunden zu laufen. Da wir uns noch in einer Gegend befanden, die regelmäßig von uns bereinigt wurde, trafen wir nicht viele Aragami. Manchmal huschten Ogerschweife in der Entfernung vorbei, doch sie bemerkten uns nicht oder ignorierten uns.

Wir umgingen Ruinen, um nicht auf eventuelle Überlebende zu treffen oder auf Barrikaden zu treffen, die wir erklettern müssten, selbst wenn das bereits an diesem Tag einen Umweg von etwa zwei Stunden bedeutete.

Keine Hubschrauber flogen über uns hinweg, also waren keine neuen Missionen in dieser Gegend hereingekommen, was uns nur recht sein konnte. So wurden wir von niemandem entdeckt und doch noch aufgehalten. Aufgrund des anhaltenden Hungers der Aragami gab es nämlich kaum noch Wälder in denen wir uns hätten vor fremden Blicken verstecken können. Während ihnen Metall und Gestein nicht sonderlich zu schmecken schien, weswegen sie von Gebäuden oder Maschinen oft nur einen Bissen nahmen, Pflanzen aber geradewegs verschlangen, genau wie Tiere oder Menschen.

Den Funk hatten wir erst einmal deaktiviert, mit der Option, uns dennoch anfunken zu können. Wir wollten nicht mitanhören, wie Lindow und Sakuya kämpften, sondern uns voll auf unsere Umgebung konzentrieren.

Die Sonne ging bereits unter, als Soma das erste Mal stehenblieb. Neben uns ragten die Überreste eines Strommeilers in die Höhe. Die Kabel waren vor langer Zeit abgerissen, doch der Pfeiler sah noch gut genug zum Ersteigen aus. Soma beschäftigte das wohl ebenfalls, denn er stellte seinen God Arc Koffer ab, den Blick weiterhin nach oben gerichtet.

»Wir müssen uns langsam einen sicheren Platz für die Nacht suchen«, erklärte er. »Ich werde von dort oben mal nachsehen.«

Damit streifte er auch seinen Rucksack ab, fischte noch ein Fernglas heraus und begann dann bereits den Aufstieg, ohne auf meine Antwort zu warten. Ich hatte ohnehin nichts zu sagen.

Das Engegefühl in meiner Brust kehrte wieder, während ich ihn beim Klettern beobachtete. Er müsste nur abrutschen oder eine der Sprossen lose sein, dann würde er abstürzen und-

Ich konnte den Gedanken nicht beenden, weil mein Herz wieder zu rasen begann. Er kletterte immer noch, rief ich mir in Erinnerung, alles war gut, ihm würde nichts geschehen.

Bevor er die Spitze erreichte, hielt er inne und setzte das Fernglas an. Er sah in verschiedene Richtungen, ließ sich jeweils mehrere Sekunden Zeit; mir kam es wie eine Ewigkeit vor, in der ich mir weiter vorstellte, was ihm da oben alles geschehen könnte.

Erst als er wieder herunterkletterte und ab einer gewissen Höhe einfach sprang, nur um neben mir wieder zum Stehen zu kommen, war ich erleichtert. Er deutete in eine bestimmte Richtung. »Dort hinten liegt ein abgestürzter Militärhubschrauber. Das ist das einzige, was uns in der Nähe Schutz bieten könnte.«

Es war auf jeden Fall besser als im Freien zu übernachten. Nicht nur wegen der Aragami, die Temperaturen sanken bereits, sobald die Sonne ganz weg war, dürfte es zu kalt werden, um die Nacht draußen zu verbringen – und ein Feuer würde nur Aragami oder Menschen anlocken.

Das Hubschrauber-Wrack lag verlassen da. Soweit ich sehen konnte, waren lediglich die Rotoren und die Glasscheiben des Cockpits zerstört. Der Ladebereich war mit Kratzern und Dellen übersät, ansonsten aber unbeschädigt. Das Fenrir-Logo fehlte, er musste also schon sehr lange hier liegen.

Soma versuchte, die Ladetür zu öffnen. Ein mechanisches Knarzen antwortete ihm.

»Ich glaube, wir sollten versuchen, durch die Cockpitscheibe reinzuklettern«, sagte ich. »So wie sich das anhört, machst du die Tür eher kaputt.«

Schnaubend ließ Soma wieder los. Dann ging er um die Maschine herum, bis er dort war, wo einst Glas gewesen war. Wir knieten uns zusammen hin und starrten in das dunkle Innere. Ich nahm keinerlei Bewegung war, auch von Aragami gab es keine Spur.

Soma verließ sich allerdings nicht auf sein Gefühl. Er nahm einen nahegelegenen kleinen Stein und warf ihn in die Maschine hinein. Das einzige, was wir hörten, war das blecherne Hallen, als er irgendwo aufschlug. Nichts geschah.

Nachdem Soma überzeugt war, dass da drinnen nicht der Tod auf uns lauerte, nickte er mir zu. »Ich werde noch Lindow und Sakuya anfunken. Geh du solange schon mal rein.«

Ich warf einen Blick umher. Nirgends waren Anzeichen von kürzlich vorbeigezogenen Aragami zu sehen, hier draußen dürfte also keine Gefahr für ihn lauern. Nur deswegen stimmte ich zu, fügte aber noch ein »Sei vorsichtig« dazu. Sein Mundwinkel hob sich ein wenig, was ich als Zustimmung wertete.

Ich streifte den Rucksack ab, und schob ihn gemeinsam mit dem God Arc Koffer vor mir her, während ich auf allen Vieren ins Innere kroch. Glasscherben klirrten unter mir, eine davon stach in mein Knie und hinterließ ein Brennen. Doch ich hielt erst inne, als ich im Heck des Hubschraubers angekommen war und mich aufsetzte. Durch das letzte Tageslicht, das mich gerade noch erreichte, sah ich den Riss in meiner Hose und das Blut einer offenen Wunde auf meinem Knie. Ich wischte mit einem sauberen Tuch darüber, bis ein dunkler Schatten auf mich fiel.

»Ich habe Lindow Bescheid gesagt.« Soma kroch herein, so wie ich zuvor. »Er kann Tsubaki jetzt erklären, was los ist – sofern er Lust darauf hat.«

Erst als er sich neben mich setzte, fiel ihm meine Verletzung auf. Er seufzte und kramte in seinem Rucksack. »Wir sind erst seit ein paar Stunden unterwegs.«

»Es ist nur ein kleiner Kratzer.«

»Der sich selbst bei einem God Eater entzünden kann.« Er zog eine Flasche Desinfektionsmittel hervor und ein weiteres Tuch »Beiß jetzt einfach die Zähne zusammen.«

Als er das Mittel auftrug, schien Feuer durch mein gesamtes Bein zu wüten. Ich sog scharf die Luft ein, während er behutsam die Wunde säuberte und dann einen Wundverband auftrug.

»Damit es sich nicht heute Nacht wieder verschlimmert«, erklärte er. »Aber morgen sollte es verheilt sein.«

»Danke.« Vorsichtig winkelte ich das Bein an.

Da dies erledigt war, holte ich aus meinem Rucksack die zwei mitgebrachten Decken, um an die Rationen darunter zu kommen. Soma holte währenddessen eine Spritze mit einer Dosis Selektionsfaktor aus seinem Gepäck. Er streckte bereits die freie Hand nach meinem Armreif aus, zuckte dann jedoch plötzlich zurück. »Ähm … kannst du mir kurz deinen Arm reichen?«

Ich unterdrückte ein Kichern und folgte der Bitte. Es war kaum zu sehen, aber ich hätte schwören können, dass sich ein rosa Schimmer auf sein Gesicht legte, als er meine Hand festhielt und mir den Selektionsfaktor durch den Port meines Armreifs spritzte. Kaum war das geschehen, ließ er mich sofort wieder los und zeigte sich besonders geschäftig damit, die nun leere Spritze sicher zu verstauen.

Zum Dank reichte ich ihm wortlos eine der Rationen, ein kleines Plastikablett, fest verpackt in Alufolie unter der sich eine geschmacklose Masse in kleinen Schalen verbarg. Lediglich die Farben in diesen Schalen unterschieden sich voneinander, doch worum es sich letztendlich handeln mochte, hatte bislang keiner von uns herausfinden können.

Wir aßen schweigend, während die Dunkelheit uns langsam endgültig einhüllte. Langsam realisierte ich, dass diese Reise auch bedeutete, dass Soma und ich uns hier einen Schlafplatz teilten, ohne jemand anderen von unserem Team auch nur in der Nähe. Wir waren hier vollkommen allein. Mein Gesicht erhitzte sich bei diesem Gedanken, wofür ich mich selbst verfluchte. Ich war nur froh, dass er mich im Dunkeln ohnehin nicht mehr richtig sehen konnte.

Als ich mit meiner Ration fertig war, verpackte ich den entstandenen Müll, so gut ich das in der Finsternis konnte. Außerdem fiel mir etwas ein, worüber wir bislang nicht gesprochen hatten: »Sollen wir eigentlich Wachen ausmachen?«

In den Fenrir-Camps war das nicht notwendig, da wir ständig von Operatoren beobachtet wurden, die uns jederzeit warnen konnten, sobald Aragami auf uns zuhielten. Aber hier waren wir auf uns gestellt.

Zuerst reagierte Soma nicht. Ich nahm seine Umrisse wahr, nur deswegen war ich mir sicher, dass er noch hier und nicht einfach verschwunden war.

»Ich denke nicht, dass das notwendig ist«, sagte er schließlich. »Einer von uns wird schon bemerken, wenn Aragami in der Nähe sind. Dasselbe mit Fremden.«

»Was macht dich da so sicher?«

Seine Kleidung raschelte, als er sich bewegte. »Ich habe einen sehr leichten Schlaf. Also mach dir keine Sorgen.«

Ich wollte das hinterfragen, doch sagte mir, dass das sinnlos war. Ich war mit Soma auf diese Reise gegangen, also sollte ich ihm vertrauen, und ihm das auch zeigen. Deswegen nickte ich. »Okay.«

Das stellte ihn zufrieden. »Dann sollten wir jetzt schlafen, morgen müssen wir früh aufstehen.«

Soma schien im Dunkeln weniger Probleme zu haben als ich. Er zog seine Jacke aus und legte sie beiseite, ehe er sich die Decke griff, die er zuvor abgelegt hatte. Ich spürte seine Bewegungen mehr als dass ich sie sah, während ich nach meiner eigenen tastete. Als ich sie endlich gefunden hatte, hüllte ich mich direkt darin ein.

»Das wird eine unbequeme Nacht«, murmelte ich.

Ich wollte mich nicht beschweren, deswegen versuchte ich leise zu bleiben – aber Soma hörte mich natürlich dennoch und erwiderte darauf sogar etwas: »Damit müssen wir erst einmal klarkommen. Du gewöhnst dich bestimmt bald daran.«

Wieder schoss mir die Hitze ins Gesicht, diesmal aus reiner Verlegenheit. »Äh, ja, sicher.«

Ich rollte mich zusammen, so gut ich konnte, um die wärmende Decke vollständig auszukosten. Dann wünschte ich Soma eine gute Nacht und schloss meine Augen. Ein Windhauch zog über uns hinweg, ließ das alternde Metall ächzen, doch ich hörte darin nur wieder das Lied, das die Frau – meine vermeintliche Mutter – in meinen Träumen so oft sang. Sanft wiegte es mich in einen tiefen und traumlosen Schlaf, der mich für den nächsten Tag vorbereiten sollte.
 



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