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Search & Rescue

Halloween-Geschichte
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
CN: Angedeutetes Gore Komplett anzeigen

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Zähne und Klauen

Es brauchte einige Überwindung, aber sie riefen letzten Endes doch wieder nach dem Jungen. Wieder und wieder brüllten sie den Namen in den Nebel hinein, jedoch ohne eine Antwort zu erhalten – nicht einmal einen gespenstischen Schrei.

Cyan war dankbar dafür. Nach vielleicht fünf Minuten ließen sie es wieder sein, konzentrierten sich auf die Atmung.

Ach, wäre nur der Nebel nicht, dann wäre es nicht ganz so gruselig gewesen. Aber so hatte sie den Eindruck, dass es gerade außerhalb ihres Sichtfeldes, da wo der dicke Nebel begann, etwas lauerte und jeden Moment über sie herfallen würde.

„Ach, weißt du“, meinte sie, um die Stille mit Worten zu füllen, „ich hätte total Bock auf Marshmellows.“

„Marshmellows?“, fragte Heath seltsam gedrückt. „Das kommt gerade aus dem Nichts.“

„Ja, ich weiß. Ich habe nur irgendwie Bock drauf. Und auf Lagerfeuer …“ Und darauf einfach zurückzugehen. Sie würden den Jungen in dieser Suppe eh nicht finden. Ja, vielleicht sollte sie einfach durchfunken. Nebel war ein guter Grund die Suche abzubrechen. Aber der Junge war 11 und wenn er noch lebte saß er vielleicht irgendwo im Wald und wusste nicht wohin. Er hatte bestimmt furchtbare Angst.

„Ein Lagerfeuer wäre großartig“, murmelte Heath. „Dann könnten wir Smores machen.“

„Und uns dann ewig damit rumärgern, die Reste zwischen den Zähnen rauszupulen.“

Er lachte leise und mit wenig Humor. „Ja, genau.“

Cyan entglitt ein Seufzen. Was sollte sie noch sagen. „Ob die anderen was gefunden haben?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Vielleicht. Man kann ja hoffen. Aber dann würden sie schon …“ Er brach ab, als ein erneutes Kreischen erklang. Es war dasselbe andersweltliche Kreischen wie zuvor. Fast erinnerte es sie an diese Ringgeister in Herr der Ringe, nur dass sie nicht in einem verdammten Fantasy-Film waren.

Zur Hölle, was war dieses Geräusch? Sie arbeitete schon solange im Wald, aber so etwas hatte sie noch nie gehört.

Cyan kam nicht umher zu lauschen. Nicht nach dem Jungen, sondern nach irgendetwas, dass einen Hinweis auf das Monster geben könnte, das für diesen Schrei verantwortlich war. Denn in ihrem Kopf gab es keinen Zweifel. Irgendetwas musste im Nebel auf sie lauern. Ja, irgendetwas war da und wartete nur darauf sie anzufallen.

Sie schwiegen, während der Berg steiler wurde. Noch einmal schaute sie auf ihren GPS-Tracker, nur um festzustellen, wovor sie sich die ganze Zeit gefürchtet hatte: „Heath?“, flüsterte sie.

Er blieb stehen und kam zu ihr. Sie mussten sowieso beieinander bleiben. Das Sichtfeld war kaum weiter als eine Armlänge. „Kein Empfang“, schloss Heath.

„Aber das Gerät ist dafür gemacht hier Empfang zu haben“, erwiderte Cyan angespannt.

Er schwieg. Immerhin wusste er, dass sie recht hatte. „Wenn wir weiter hinauf gehen, kriegen wir vielleicht empfang und kommen aus diesem elenden Nebel heraus.“

Da ihr keine bessere Alternative einfiel, nickte Cyan. Sie griff nach dem Gurt von Heaths Rucksack. „Ich will dich in der Brühe nicht verlieren“, murmelte sie.

Auch dazu sagte er nichts, sondern setzte weiter den Weg fort.

Der Boden war uneben, das Laub feucht. Es brauchte einige Anstrengung und auch einigen Gleichgewichtssinn, um sicher voran zu kommen. Doch tatsächlich sollte Heath recht behalten: Die Sichtweite nahm langsam zu. Sie mussten wohl aus der Nebelbank herauskommen. Vielleicht war es auch eine Wolke gewesen, die am Berg festhing. Cyan spürte so etwas wie Hoffnung in sich aufkeimen. Ein Gefühl, das nur verstärkt wurde, als sie ein Stück weiter den Berg hinauf - gerade dort wo die Steigung anstieg - etwas hellblaues Schimmern sah. Konnte es sein?

„Jimmy?“, rief sie, ohne darüber nachzudenken. Sie zeigte Heath die Richtung an.

Auch er stimmte in ihre Rufe mit ein. „Jimmy?“

Keine Reaktion. Vielleicht war der Junge ohnmächtig. Wenn es denn der Junge war … Oh, hoffentlich war er nur ohnmächtig!

Sie stämmten sich der zunehmenden Steigung entgegen. Beinahe schon hatten sie die Spitze dieses Berges erreicht, der an sich niedrig genug war, als dass alles unterhalb der Baumgrenze lag. Dennoch musste Heath ein Seil um einen der Bäume werfen, um sich abzusichern, als die Steigung stark genug wurde, als dass die Gefahr zu steigen zu groß war. Sie hielten sich beide daran fest und kämpften sich vorwärts.

Doch eine Sache konnte Cyan sagen: Was auch immer da oben war, sah tatsächlich nach einem Schal aus.

Es war tatsächlich ein Schal, der an einem der Bäume hängen geblieben war. Doch es war nur der Schal. Da war kein Junge. Oder?

Sie hatten den Baum beinahe erreicht, als Cyan etwas auf einem Flachen Stück Boden etwas von dem Baum entfernt sah. Da hatte etwas das Laub am Boden gestört. Da waren Spuren, ganze Stellen wo das Laub zur Seite gefegt war und etwas Rotes.

„Oh nein“, flüsterte sie.

Sie merkte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie wollte nicht, dass es war, wonach es aussah. Sie wollte, dass sie sich das alles nur einbildete.

Heath hatte die Stelle vor ihr erreicht, zog sich an einem Baum hoch auf die ebene Fläche und inspizierte sie. Er kniete sich hin, Streckte einen Finger nach einer der roten Pfützen aus und roch dann daran. Sein Blick war grimmig.

Nun war auch Cyan da. Das hier war eindeutig Blut. Daran bestand kein Zweifel. Aber das musste nicht bedeuten, dass es Blut vom Jungen war. Hier gab es wilde Tiere, die andere Tiere fraßen. Hier gab es …

Ihr Blick blieb an etwas am Rand der kahlen Stelle hängen. Da war etwas, das nicht ganz in die Umgebung passte. Ein Mantel, wie sie erkannte. Ein recht kleiner Mantel, wie der von einem Kind. Doch da waren auch freigelegte Daunen und zerrissener Stoff. Da war auch Blut.

„Heath“, brachte sie mit zitternder Stimme hervor. Sie traute sich nicht hinüber zu gehen. Sie wollte das nicht sehen. Also schaute sie weg.

Doch Heath verstand. Er stand auf und ging hinüber, untersuchte es. Er schwieg, war grimmig.

„Heath?“, fragte Cyan ohne hinzuschauen.

„Ich fürchte, das ist der Junge“, sagte Heath schließlich mit hohler Stimme. „Oder zumindest …“ Er zögerte. „Ein Teil von ihm.“

Cyan wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Es war schrecklich, fürchterlich und auch irgendwie widerlich. „Was …“, setzte sie an. „Was könnte das gewesen sein?“

„Ich weiß nicht. Ein Berglöwe vielleicht.“ Noch immer klang seine Stimme tonlos. „Ich … Wir sollten das melden.“

Er hatte selbst ein Funkgerät, doch Cyan hinterfragte ihn nicht. Sie drückte auf den Knopf. „Team 04 an Zentrale“, sagte sie in das Gerät hinein.

Rauschen.

Da sollte doch jemand sein, oder?

„Team 04 an Zentrale“, versuchte sie es noch einmal.

Das Haar an ihrem Rücken stand auf. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.

Da war ein Knacken hinter ihr. Ein Knacken? Nein. Irgendwas. Eine Bewegung. Es war mehr Instinkt, als ihr Gehör, was sie alarmierte. Sie fuhr herum und sah es. Sie sah es, begriff aber nicht ganz. Alles was sie begreifen konnte, war, dass diese Zähne, diese Klauen sie sehr schnell umbringen konnten.

„Heath!“, schrie sie, als sie schon rannte. Sie rannte, auch wenn sie eigentlich keine Chance haben sollte. Sie rannte blind in irgendeine Richtung, dachte nicht einmal darüber nach. Hauptsache weg. Hauptsache in Sicherheit. Wenn es irgendwo Sicherheit gab.

Doch das Laub auf dem Boden war rutschig von Wetter und Nebel. Sie verlor den Halt. Dann fiel sie, rutschte den Abhang hinab.



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