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Gegensatz und Vorurteil

- Ehemals Schubladenmagnet -
von

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~ 8 ~

 

Joshuas POV

 

Nervöser als ich sollte, sitze ich im Bus und kontrolliere zum hundertsten Mal, ob mein Geschenk auch wirklich noch in meiner kleinen, schwarzen Umhängetasche im Armeestil ist. Und hoffe gleichzeitig, dass Charlys Tipp kein totaler Griff ins Klo wird. Denn nur weil ich Paul unbedingt etwas schenken wollte, heißt das nicht, dass ich auch wüsste was genau das jetzt sein soll. Meine Verzweiflung war zum Schluss so groß, dass ich sogar meine Schwestern gefragt hätte, wenn mir keiner der nerdigen Knallköpfe hätte weiterhelfen können.

Zur Ablenkung dröhnt Musik aus meinen Kopfhörern direkt vom Tonausgang über meinen Gehörgang bis in mein Hirn und wenn man den finsteren Blicken der alten Frau schräg gegenüber glauben kann, vielleicht etwas zu laut. Aber egal, ich brauch das jetzt, also erwidere ich den Blick mindestens genauso finster, lege noch eine gute Portion Arroganz mit rein, bis sie aufgibt. Ha, Duell gewonnen!

Zur Einstimmung des Tages habe ich mir sogar eine Playlist aus irischen beziehungsweise keltischen Metalbands zusammengestellt, von denen ich einige noch gar nicht kenne und so eigentlich genug damit beschäftigt sein müsste, den unbekannten Texten zu lauschen.

Eigentlich.

Uneigentlich kreisen meine Gedanken unaufhörlich um den kommenden Abend. Wird Paul mein Geschenk gefallen? Bin ich passend genug angezogen? Okay, nein, das ist es nicht, was ich mich frage, es müsste eher lauten: Gefällt ihm, wie ich aussehe? Aber das wäre ein wirklich weibischer Gedanke. Werde ich ihm vielleicht ein klitzekleines bisschen näher kommen können? Die Hoffnung darauf, dass wirklich was passiert, hab ich mir schon konsequent selbst verboten und sogar ganz bewusst mein Notfallpäckchen Gummis und Gleitgel zu Hause gelassen, das mich sonst ganz selbstverständlich begleitet.

Der Bus fährt mit ekelhaft quietschenden Bremsen in die Parkbucht meiner Haltestation ein, ehe er mich und eine Reihe anderer Fahrgäste lieblos auf den Asphalt spuckt und in einer stinkenden Abgaswolke davonrauscht. Na schönen Dank auch.

Ich sehe nach links, ich sehe nach rechts. Hm. Typisch Rand der Innenstadt. Alte Häuser, Dreck und Tauben. Ich will gerade nach meinem Handy greifen, um mich via Navy ans Ziel lotsen zu lassen, da entdecke ich im lichter werdenden Gedränge eine Gestalt, die wohl das Gleiche vorhat.

„Hi Charly.” Grinsend stelle ich mich neben den zusammengezuckten Jungen, der von seinem Handy zu mir aufschaut.

„Hallo Joshua”, erwidert er erschrocken.

„Kennst du den Weg?”

„Hm, ich denke. Theoretisch müssen wir hier lang.”

Ich folge seinem ausgestreckten Arm mit den Augen und zu mit den Schultern. „Na dann, auf geht’s.”

„Nicht so schnell, ich hab doch kürzere Beine!”, empört sich der Kleinere und hechtet mir ein wenig staksig nach.

„Nur das, oder doch noch was anderes?” Hoppla, das wollte ich jetzt nicht so plump sagen. Nicht zu einem von Pauls Freunden. Ich zögere, doch als von ihm immer noch keine Reaktion kommt, spreche ich doch weiter. „Ich... wollte dich eh schon länger etwas Persönliches fragen.”

„Äh... okay?” Sonderlich begeistert sieht er nicht aus, eher skeptisch.

„Liegt es an mir und meiner Anwesenheit, oder erzählst du auch deinen Freunden nichts von deinem Freund?”, haue ich die Frage so neutral klingend wie möglich raus, welche mir schon länger auf der Zunge liegt. Charly bleibt abrupt stehen und schaut mich an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

„Was... Woher?” Er wird, wenn machbar, noch blasser und wird merklich von Panik erfasst. Ups.

„Hey, ich hab gesagt, es ist was Persönliches”, verteidige ich mich und hebe die Hände in einer zusätzlich beruhigenden Geste. „Keine Angst, ich denke, niemand außer mir wird etwas gemerkt haben. Du versteckst es schon gut, aber ich weiß, wie ein Kerl geht, der sich nachts mit einem anderen wild in den Laken gewälzt hat.” Dabei deute ich auf seine untere Körperhälfte, die auch jetzt nicht ganz fit zu sein scheint.

„Ich glaub, ich muss mich mal setzen...”, nuschelt er und sackt auf den Rand eines Blumenkübels.

Na, ihn so aus der Fassung bringen wollte ich nun auch nicht. Irgendwie ist mir der Knirps ja sogar ganz sympathisch, immerhin setzt er sich bei Paul für mich ein. Da hilft wohl nur Schadensbegrenzung. Nicht gerade mein Fachgebiet.

„Sorry, Charly. Ich hätte es vielleicht etwas besser verpacken sollen. Aber ich bin wirklich neugierig. Warum versteckst du dich und ihn, wer auch immer er ist? Ist es nur die übliche Angst vor einem Coming Out oder hast du bei den dreien im Besonderen Sorge?” Auf die Idee bin ich noch nicht wirklich gekommen, doch jetzt breitet sich Nervosität in mir aus. Wenn die Truppe nicht ganz so offen und tolerant ist, wie ich bislang einfach angenommen habe, dann könnte das für mich wirklich zum Problem werden.

„Matz weiß es”, antwortet er nach einem tiefen Seufzer leise. „Paul könnte etwas ahnen, ich glaube ich habe es mal angedeutet. Kathi denkt, ich wäre in ein Mädchen verknallt.” Ein kurzes ironisches Schnauben.

„Und, was hindert dich daran, es richtig zu stellen?”, frage ich nach einer kurzen Pause.

Charly zuckt mit den Schultern. „Die übliche Angst? Denke ich.”

Nun ist es an mir, zu seufzen. Das also wieder. „Ist doch alles Mist. Also nicht jetzt du im Speziellen!”, beeile ich mich zu sagen. „Sondern diese ganze Versteckscheiße. Man sollte keine Angst haben müssen, zu sagen, wen man mag. Manchmal bin ich echt froh, dass es bei mir im Umfeld kein wirkliches Thema ist.” Und das meine ich auch so. Ich hätte sowas von keinen Bock, mich verstellen zu müssen, sei es im Freundeskreis oder der Familie, die haben mich so zu nehmen wie ich bin. Letztere ist vielleicht sogar ein bisschen übertolerant, wenn ich mir das Gebaren meines jüngsten Bruders so anschaue, aber sei's drum. Nur mit Mühe kann ich mich zurücknehmen, um nicht in Rage zu verfallen.

Charly betrachtet die Pflastersteine des Gehwegs vor sich und ich warte geduldig ab, bis er seine Stimme erneut erhebt. „Aber in der Schule zeigst du es auch nicht.” Abwartend sieht er nun doch wieder zu mir auf.

„Nicht ganz richtig, ich zeige es nicht bewusst, aber ich verstecke es auch nicht. Die Idioten um uns herum sind mir egal, die sollen doch denken, was sie wollen. Bin ich schließlich gewohnt.”

Wieder herrscht kurz Stille.

„Du... erzählst es doch keinem, oder?”, fleht er leise.

„Was? Quatsch, würde ich nie machen, was denkst du von mir?” Jetzt bin ich ernsthaft empört. Seh ich aus wie ein Tratschweib oder was? Ich senke meine Stimme wieder. „Aber ich steh hinter dir, wenn du dich outen willst, egal vor wem. Okay?”

Charly nickt, wenn auch nicht sehr überzeugt.

„Ich glaube, wir sollten langsam mal weiter. Ich brauche jetzt ganz ganz dringend ein Bier.”

Dem kann ich nur zustimmen. Schmunzelnd beobachte ich, wie er sich ächzend erhebt und mitten in der Bewegung stoppt, das Gesicht verziehend. Nett, wie ich seit Neuestem manchmal bin, gehe ich freiwillig in seinem Schneckentempo.

„Ich würde dir ja raten, deinem unbekannten Freund zu sagen, er soll mal langsamer machen, wenn ich nicht wüsste, dass der Spaß es allemale wert ist”, kann ich mir dann doch nicht verkneifen. Der Kleinere versucht mich mit Blicken zu erdolchen, doch dank meiner Geschwister bin ich über so profane Mordmethoden längst gewappnet. „Oder ihr tauscht einfach mal den Part.”

Hinter seiner Stirn rattert es, die Emotionen sind deutlich daran abzulesen. Scham, Unglaube, Skepsis, leichter Schock, Verdrängung. Sehr amüsant.

„Woher weißt du eigentlich, dass ich einen Freund habe und mich nicht einfach nur so vergnüge?”, fragt er schließlich frei heraus.

Demonstrativ mustere ich ihn. „Du? Nein, dafür bist du definitiv nicht der Typ. Nie und nimmer hüpfst du von einem Bett ins nächste.”

Nun läuft er tomatenrot an. Leider kommen wir in diesem Moment um eine Ecke gebogen und stehen unvermittelt vor dem Eingang des Pubs. Schade, gerade wurde es lustig.

Aber ein Gutes hatte die überraschende Begegnung: Bis gerade hatte ich meine eigene Nervosität perfekt verdrängt.

Doch kaum sehe ich in Pauls blaue Augen, ist alles wieder da.

 

 

Pauls POV

 

„Die kommen schon. Ist doch gerade mal eine Minute nach”, versucht mich Matz zu beruhigen, doch ich wippe ungerührt weiter auf den Fußballen auf und ab.

Ich habe den Abend so gut ich eben kann vorbereitet. Sicherheitshalber schon vor einer Woche einen Tisch reserviert, tausendmal das Geld gezählt, das Papa mir mit einem sanften Lächeln extra für meine Feier gegeben hat, vor Aufregung kaum das Mittagessen runter bekommen und mir das erste Hemd mit Zahnpasta ruiniert. Zum Glück war ein zweites Notfallhemd schon rausgehängt, ich kenne mich ja. Und nun fehlt die Hälfte meiner Gäste!

„Da sind sie doch!”, stöhnt Kathi und zeigt an mir vorbei zur Straßenecke.

Und tatsächlich, just in diesem Moment kommen zwei bekannte Gestalten zielstrebig in unsere Richtung. Erleichterung durchflutet mein ohnehin überspanntes Nervenkostüm und ich stürme auf die Neuankömmlinge zu.

„Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr!”, verkünde ich vorwurfsvoll, während ich mich an Charlys Hals werfe. Der erwidert die Umarmung lachend.

„Als ob wir es uns entgehen lassen würden, auf deine Kosten zu trinken. Herzlichen Glückwunsch zur Volljährigkeit!” Er klopft mir auf den Rücken und schiebt mich anschließend zu meinem letzten Gast.

Mein Herzschlag, welcher sich durch den wohltuenden Körperkontakt zu Charly etwas beruhigt hatte, schießt schlagartig wieder in die Höhe. In meinem Bauch beginnt es angenehm zu kribbeln, während ich den Größeren anschaue. Wie immer ist er in dunkle Kleidung gehüllt, der schwarze Mantel umspielt seine Beine bis auf Höhe der Waden, wo sie bereits in Stiefeln stecken, für deren Schnürung mir wahrscheinlich sowohl Geschick als auch Geduld fehlen würden.

Bevor ich es mir noch anders überlegen kann, überwinde ich die kurze Distanz zwischen uns und schließe auch ihn in meine Arme. Anders als bei Charly, komme ich bei Josh nicht so einfach an seinen Hals, nehme stattdessen seinen breiten Brustkorb. Joshua versteift sich für eine Sekunde, unterbindet mein Zurückweichen dann aber doch, indem er mich wieder an sich zieht.

Herb umweht mich sein Parfüm, schafft es jedoch nicht vollständig, seinen Eigenduft zu überdecken. Ich genehmige mir heimlich einen tiefen Atemzug. Das Kribbeln in mir wird stärker, statt schwächer.

„Herzlichen Glückwunsch, Paul”, raunt der Schwarzhaarige leise.

„Danke.” Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauch. Wir lösen uns voneinander und ich bilde mir ein, dass nicht nur ich den Kontakt am liebsten aufrechterhalten hätte. Schnell wende ich mich meinen restlichen Gästen zu, die in ihr eigenes Gespräch vertieft zu sein scheinen. „Sollen wir rein?” Schlagartig kehrt meine innere Nervosität zurück.

„Logo. Wir haben nur auf dich gewartet”, sagt Matz und dreht sich zum Eingang herum. Wir folgen ihm im Gänsemarsch durch die Holztür mit Milchglasfenstern und ich mustere den Schankraum, den ich bei meinem kurzen Besuch nur bei Tageslicht und ohne nennenswerten Besucheransturm erlebt habe. Das ist nun deutlich anders, die Luft summt vor Stimmengewirr und der Raum wirkt zeitgleich kleiner und viel größer, als seine tatsächlichen Maße. Die zur Hälfte holzvertäfelten Wände sind im gleichen dunklen Holz gefertigt, wie die glänzende Theke und sämtliches anderes Mobiliar. Die Tapeten und Stoffe der Sitzbezüge sind hingegen in dunklen Grünschattierungen gehalten und runde Lampen verströmen ein warmes, leicht schummriges Licht. Die Luft wirkt trotz der vielen Menschen noch frisch und der fehlende Unterbau von jahrzehntealtem Zigarettenqualm macht deutlich, dass diese Location lange nach dem staatlichen Rauchverbot in Betrieb genommen wurde, selbst wenn der Innenarchitekt sich redlich Mühe gegeben hat, hier die Atmosphäre von durchzechten Dekaden aufzubauen.

Ich kann einen jungen Mann in Kellnerkluft ausmachen und steuere auf ihn zu. Er nickt lächelnd auf meine Frage und weist uns an einen Ecktisch. Leider reicht die Bank nicht wie so oft um die Ecke, sondern bietet lediglich Platz für zwei, vielleicht auch drei Personen auf Kuschelkurs, auf der langen Seite gegenüber und am Kopfende laden gepolsterte Stühle zum Sitzen ein, deren Arm- und Rückenlehnen fast einen Kreis bilden, so rund sind sie geformt.

Es beginnt eine kurze Kabbelei um die begehrten Bankplätze zwischen Matz, Kathi und irgendwie auch mir, die ziemlich rabiat von einem leicht genervten Charly unterbrochen wird.

Hört auf mit dem Quatsch, sonst entscheide ich, wer wo sitzen muss”, droht er uns an.

„Ach ja? Und wie willst du das gerecht entscheiden?”, kann sich Kathi nicht verkneifen zu fragen.

„Ganz einfach. Paul und Joshua kommen auf die Bank. Paul, weil er Geburtstag hat und Josh, weil er sich vernünftig benommen hat. Ihr zwei kommt auf die Stühle. Wer sich nicht einigt, hat halt Pech”, teilt er uns ziemlich pragmatisch mit, selbst bereits gemütlich auch einem der Stühle sitzend.

Wir blicken uns gegenseitig an, doch nach kurzem Murren fügt sich schließlich jeder. Josh und mir gegenüber sitzen Matz und Charly, Kathi hat sich ans Kopfende zurückgezogen.

„Hallo zusammen!”, begrüßt uns die Kellnerin erschreckend fröhlich. Sie passt mit ihren roten Haaren und den Sommersprossen auf der bleichen Haut perfekt in das irische Ambiente. „Was kann ich euch bringen? Nachher ist es wahrscheinlich einfacher, wenn einer von euch nach vorne an die Bar kommt, aber aktuell kann ich euch auch noch direkt am Tisch bedienen.”

Matz ordert einfach mal eine Runde Cider für alle, zum warm werden, wie er meint. Als niemand schnell genug protestiert, flitzt die kleine Rothaarige wieder davon. Mir soll's recht sein, viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, den warmen Körper neben mir zu ignorieren. Joshua hat seinen Mantel abgelegt und so konnte ich eben einen Blick auf seine gut sitzende, dunkle Jeans erhaschen, in welche er das hemdartige, schwarze Oberteil mit den Schnüren im V-Ausschnitt gesteckt hat.

„Wie kann die auf den Schuhen so schnell laufen?”, fragt Kathi verwundert und blickt immer noch Richtung Bar.

„Gute Frage.” Matz ist ihrem Blick gefolgt.

„Reine Übungssache”, meint der Schwarzhaarige neben mir achselzuckend. „Was? Ich hab zwei Schwestern, ich hab zwangsläufig mitbekommen wie die das gelernt haben”, erklärt er, auf unsere verdutzten Blicke hin. „Und ja okay, ich hab's auch mal probiert, so zum Spaß.”

Mir gegenüber brechen die Jungs in Gelächter aus und auch ich gluckse leise in mich hinein. Josh in Pumps ist nun wirklich kein ansprechendes Bild für mich.

„Ey, hört auf zu lachen und probiert es gefälligst erst mal selber”, mault dieser, muss jedoch ebenfalls schmunzeln.

„Oh man, ich hätte mir garantiert den Hals gebrochen”, vermutet Matz, nachdem er sich wieder gefangen hat.

„Ach, so schlimm ist das nicht. Nur geht das verdammt in Po und Oberschenkel, das mag man gar nicht meinen”, werden wir aufgeklärt.

„Noch ein Grund, um bei Turnschuhen zu bleiben”, meint Kathi seufzend. Würde auch so gar nicht zu ihr passen, weniger wegen ihrer Figur, sondern mehr aufgrund ihres Auftretens.

„Oder ein gutes Paar Stiefel. Ohne hohen Absatz”, pflichtet Josh bei und schaut kurz auf seine Beinbekleidung. Ich folge seinem Blick zu den monströsen Schnürstiefeln.

Bevor noch mehr über Schuhe geredet werden kann, kommt die fleißige Kellnerin angewuselt. Neben den Getränken stellt sie auch Salzstangen und Erdnüsse auf unseren Tisch.

„Hm... was ist eigentlich die irische Version von 'Prost'?”, grübelt Matz, kaum dass die Dame wieder verschwunden ist und betrachtet seinen riesigen Pint.

Slàinte”, teile ich ihm mit uns freue mich, ihm in dieser Hinsicht voraus zu sein.

„Slarn-was?” Er guckt fragend.

„Gesundheit”, kommentiert Kathi das merkwürdige Wort.

„Was tatsächlich in etwa die korrekte Übersetzung ist”, nicke ich grinsend ab. „Probier es noch mal: Slarn-tsche”, mache ich noch einmal langsam und betont vor.

Nach drei Versuchen gebe ich es auf, aus reinem Selbstschutz.

„Auf das Geburtstagskind!” Da können die vier immerhin nicht viel falsch machen.

Wir prosten uns zu und jeder nimmt einen ersten Schluck.

„Schmeckt gar nicht so übel, das Apfelzeugs”, sagt Kathi und betrachtet wohlwollend den Inhalt ihres Glases.

„Mh-hm. Für die nächste Runde will ich trotzdem Guinness. Wenn das für dich okay ist, natürlich.” Fragend sieht Josh zu mir hinab.

„Nein, nein, bestell ruhig.” Ich lächle ihn an, sehe aber schnell weg, als mir die Hitze in die Wangen kriecht.

„Gibt es irgendein Limit? Wollen dich ja nicht arm machen”, wirft Matz ein.

„Eben. Zur Not schmeißen wir am Ende noch zusammen”, schlägt Kathi vor und Charly nickt zustimmend.

Ich gucke sie verdutzt der Reihe nach an, ehe ich vehement den Kopf schüttle. „Lasst nur, mein Vater zahlt. Ich feier ja sonst nicht, da ist das schon okay heute.” Dass es auch seine Art sein könnte, sich dafür zu entschuldigen, dass eine Feier bei uns zu Hause nur schwer möglich wäre, in seiner aktuellen Stimmung, sage ich nicht.

„Ach so, na dann...”, grinsend dreht sich Matz schon wieder Richtung Kellnerin um, doch Charly neben ihm knufft ihm beherzt den Ellbogen in die Rippen, um ihn zu stoppen.

„Erst trinken, dann winken.” Demonstrativ hebt er sein eigenes, noch gut gefülltes Glas.

Kathi wendet sich an mich. „Wie wär's? Bist du bereit für unsere Geschenke?”

„Ähm...” Meine ehrliche Antwort wäre wohl 'Nicht wirklich' gewesen. Nervös ringen meine Finger miteinander. Auf verquere Art und Weise finde ich die Aufmerksamkeit, die Geschenke nun einmal mit sich bringen, aufregend und zeitgleich zutiefst unangenehm. Ich bemühe mich, mein Lächeln aufrecht zu erhalten. Bloß keinen falschen Eindruck erwecken.

Nach und nach füllt sich die Tischplatte vor mir mit liebevoll – und leicht schief – eingepackten Präsenten.

„Ich würde ja vorschlagen, Paul darf nur ein Geschenk pro Runde aufmachen, aber ich weiß nicht, ob ich euch das zumuten möchte...”, überlegt Josh laut. Ich sehe leicht entsetzt zu ihm, die eine Hand schon halb auf dem Weg zum ersten Geschenk.

Matz springt natürlich sofort darauf an. „Ha! Hast wohl Angst, selbst zu versagen?”

„Gegen euch? Nö, ich behaupte mal, mein Körper ist dahingehend trainierter als eure.”

„Ähm, Jungs? Mal angesehen davon, dass das immer noch Pauls Feier ist, meint ihr ernsthaft es ist cool damit zu prahlen, wie heftig man sich selbst vergiften kann!?”, mischt sich Kathi ein.

„Nun regt euch ab und trinkt, was ihr wollt. Hauptsache, ihr zwingt uns nicht dazu, mitzumachen.” Charly ist ebenfalls nicht sonderlich begeistert. Er wendet sich wieder an mich und nickt aufmunternd zu dem bunten Haufen auf dem Tisch. „Nun mach schon.”

Ich greife nach einem sehr eindeutig aussehenden Päckchen und kann schon durch das rot gemusterte Papier hindurch ertasten, um was es sich wohl handelt. Und richtig, mir springt schon bald das Cover eines Sci-Fi Buches entgegen. Lächelnd bedanke ich mich bei Kathi.

Das nächste dürfte von Matz sein. Ein T-Shirt mit einem aufgedruckten Gamepad und einem witzigen Spruch. Niemand sonst, würde auf so eine Idee kommen.

Nun fällt meine Wahl auf ein blau kariertes Papier. Josh neben mir rutscht mit einem Mal nervös umher, wodurch mir seine Nähe wieder deutlich bewusst wird. Mein Puls schnellt in die Höhe und anstatt halbwegs gesittet, reiße ich die Verpackung nahezu grob von ihrem Inhalt herunter. In meinen Händen halte ich ein Kochbuch für vegane Alltagsgerichte, das ich schon länger haben wollte und zudem noch einen Gutschein für einen rein pflanzlich orientierten Feinkostladen. Ich kann spüren, wie sich mein Lächeln immer mehr verbreitert.

„Danke!”, freue ich mich aufrichtig, sehe wieder zu ihm hoch. Was ist der Kerl eigentlich so riesig, selbst im Sitzen?

„Ähm... gern geschehen? Aber, es ist doch nichts Besonderes?”, meint er ausweichend und schaut sich nach der Kellnerin um.

„Aber genau richtig!” Kaum habe ich zu Ende gesprochen, blicke ich erschrocken in die Runde. „Also eure Geschenke sind natürlich auch toll und richtig... und so... also nicht falsch verstehen...”

„Keine Sorge, wir wissen, wie das gemeint ist”, unterbricht mich Charly.

„Eben. Und du hast auch noch gar nicht alles ausgepackt”, ergänzt Kathi und zeigt auf das letzte verbliebene Päckchen.

Matz neben mir lässt ein gekünsteltes Schniefen hören. „Nein, das ist ganz dolle schlimm! Und ich dachte, wir wären deine besten Freunde. Aber nein, du lässt uns für so einen dahergelaufenen Satansanbeter sitzen.” Mit verschränkten Armen und vorgeschobener Unterlippe dreht er sich weg. Zu seinem Pech bemerkt er so den fliegenden Pappkarton aus Kathis Richtung erst, als er ihn am Kopf trifft.

„Tse, Satansanbeter!? Ich bin Agnostiker, du Theologiemuffel”, schnaubt der Beleidigte kopfschüttelnd neben mir. Matz brummelt nur als Antwort und reibt sich den lädierten Kopf.

Ich mache mich daran, die Hülle vom letzten Geschenk zu entfernen. Kaum kann ich erkennen, um was es sich dabei handelt, entfährt mir ein erschrockener, gar entsetzter Laut. Auch ohne Spiegel merke ich, wie meine Wangen beginnen tiefrot zu glühen.

So sehr er sich auch bemüht, ich kann spüren wie Josh neben mir bebt vor unterdrücktem Lachen. Matz macht sich gar nicht erst die Mühe und brüllt direkt vor Lachen los.

„Charly, sind die etwa von dir?”, bringt er irgendwie heraus. „Ausgerechnet von dir hätte ich das als Letztes erwartet!”

Am Rande meines Sehfeldes sehe ich den Angesprochenen mit den Schultern zucken. Naja, als ein guter Freund ist es doch meine Pflicht, ihn auf alle Gefahren des Volljährigseins vorzubereiten.”

Nun richte ich meine Augen doch auf ihn, weg von der Packung in meiner Hand. Einer verdammten Packung Kondome! Und was macht er? Stimmt in das Lachen mit ein, obwohl er kurz zuvor noch fast reuevoll dreinblickte.

Mit vorgeschobener Unterlippe knülle ich das Geschenkpapier zusammen und werfe es nun ihm an den Kopf, nicht zuletzt, um mich selbst von meiner eigenen peinlichen Berührtheit abzulenken.

„Boah, ihr Jungs seid ja so unmöglich!”, schimpft Kathi, bewirkt damit aber nur das Gegenteil. Auch Josh gibt alle Bemühungen auf. Sein tiefes Lachen bringt meine Knochen förmlich zum vibrieren und verwandelt sie in Pudding.

Im Versuch mich abzulenken, mustere ich die Packung, Keine gute Idee. Mein Hirn hat plötzlich eine sehr genaue Vorstellung davon, wofür man extra feuchte Kondome wohl brauchen könnte. Ganz falsche Gedanken für einen ganz falschen Zeitpunkt! Vor allem wenn ich einen der Hauptakteure dieser Fantasien direkt neben mir spüren kann.

„Mach die Packung auf. Keine Sorge, das war nicht mein richtiges Geschenk.” Charly fängt sich als Erster wieder.

Noch etwas skeptisch fummel ich die obere Lasche auf, traue mich kaum hineinzuschauen. Neben bunt bedruckten Plastikquadraten finde ich einen ebenfalls bunten Umschlag. Das Logo darauf kommt überraschend aber vertraut daher. Kurz darauf halte ich einen Gutschein für meinen liebsten Comicladen in der Hand. Der ist mir definitiv lieber.

„Und warum meinst du, dass Paul eine bessere Verwendung für Verhütungsmittel hat, als du?”, fragt Kathi, schnappt sich die unauffällig von mir weggeschobene Kondompackung.

„Ach, ich glaube, Charly kann damit nicht so viel anfangen”, flötet Matz, nur um schmerzhaft aufzujaulen. „Au! Wofür war das denn?” Sein Ärger gilt Charly.

„Schmoll nicht, wenn du so Quatsch redest, selbst Schuld”, gibt der ungerührt zurück. Zwischen den Zeilen schwingt bei Beiden viel Ungesagtes mit, welches für mich ohne Sinn bleibt.

„Und außerdem, wer sagt, dass man nicht selber welche zu Hause haben und trotzdem noch weitere verschenken kann?” Josh lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Etwas zu Offensichtlich, für meinen Geschmack. Misstrauisch huscht mein Blick von einem zum anderen.

Wirklich vertiefen will das Thema niemand mehr und so schweifen wir wieder in unverfängliche Gefilde ab.

 

Einige Zeit und viele Biere später, ist die Stimmung wieder sehr gelöst und ich fühle mich rundum wohl. Die Geschenke – inklusive der prekären Packung – habe ich in einer Tasche vestaut.

„Wisst ihr, der Abend ist lustiger und normaler, als ich befürchtet hatte”, meint Joshua auf einmal, von uns allen wohl am wenigsten vom Alkohol beeinflusst. Er hätte das Wettsaufen ohne Probleme gewonnen, soviel steht fest.

„Wie meinst du das?” Stirnrunzelnd blicke ich zu ihm auf. Warum muss ich eigentlich so weit hochgucken? Saß ich eben auch schon so nah an ihm dran? Seine Körperwärme strahlt angenehm zu mir herüber, nur mein Nacken prickelt leicht nervös, seit er seinen Arm hinter mir auf der Lehne platziert hat.

„Na, ich wusste ja nicht was mich erwartet. Bei euch Geeks weiß man ja nie, was ihr plötzlich auspackt”, klärt er uns auf.

„Oh nein, wir sin' aufgeflog'n. Dann können wir die Scharade ja aufgeb'n. Los, holt die Würfel raus, wir spiel'n Pen'n'Paper”, lallt Matz und beugt sich demonstrativ zu den Taschen runter, als würde er ernsthaft jetzt nach Würfeln, Zetteln und Regelbüchern greifen wollen.

„Hätten wir ja eigentlich machen können”, überlege ich laut. Auch an mir ist der Alkohol nicht spurlos vorbei gegangen. „Wir haben doch noch gar nicht Vampire: The Masquerade beendet. Das würde dir bestimmt auch gefallen, Joshua!” Ich grinse ihn aufgeregt an. Einen neuen Spieler können wir immer gebrauchen.

„Meinst du?” Irgendwie klingt er nicht so begeistert, wie ich gehofft hatte.

„Ach, bestimmt. Man braucht nur viiieeeeel Zeit”, nuschelt Charly von der anderen Tischseite aus, während er sich an sein Glas Cider klammert.

„Dann müssen wir aber von vorne anfangen”, wirft Spielleiterin Kathi ein. „Ich wüsste nicht, wie ich ihn so ohne weiteres noch einbauen soll.”

„Nicht nötig, ich glaube, ich verzichte lieber”, winkt Joshua ab.

„Doooooch, bitte!”, jammere ich und schiebe die Unterlippe vor. „Dann muss Kathi halt mal kreativ werden.”

„Äh...” Josh sieht mir endlich wieder in die Augen und ich habe den Eindruck, sein Widerstand beginnt zu schmilzen.

„Oder wir spiel'n was anderes, was... Leichtes für den Anfang”, schlägt Matz nun vor. „Zu fünf' ist das eh viel cooler!”

„Dann ist aber einer von euch Spielleiter, ich mag auch nochmal eine Rolle haben.”

Charly seufzt ergeben. „Na gut, ich mach's.”

„Yippie! Guck, allsch geklärt!” Begeistert klatsche ich in die Hände.

„Na gut”, seufzt der Schwarzhaarige neben mir. „Ich kann ja mal mitspielen.”

„Das wird toll!”, freue ich mich. Rutsche noch ein Stückchen näher an ihn ran und lehne mich hoffentlich unauffällig nach hinten und ein bisschen in seine Richtung. Alles in mir sehnt sich nach Körperkontakt und ich bin nicht mehr stark genug, um mich ihm gegenüber zurückzuhalten.

„Wir schauen mal”, brummt Josh, sagt zu meiner Aktion jedoch nichts.

Im Gegenteil, es dauert nicht mehr wirklich lange, da spüre ich, wie sich seine Hand auf meine Schulter senkt und mich vorsichtig ein wenig näher zieht. Ich lächle selig, lausche mit halb geöffneten Augen der Unterhaltung und lasse zu, dass Josh alle meine Sinne berauscht. Nur heute, nur für den Augenblick, mit genug Alkohol für falschen Mut, traue ich mich, meinen Träumen ein kleines bisschen Platz zu lassen.

 

 

Joshuas POV

 

Mein dummes Herz rast immer noch völlig außer Takt geraten.

Hätte ich gewusst, dass der Kleine bei den paar Bier schon so kuschelbedürftig wird... Ich glaube, ich bin im siebten Himmel angekommen und das nur, dank dem bisschen Kontakt. Wenn mich das schon so aus der Bahn wirft, was wäre dann erst, wenn wir keine Klamotten mehr zwischen uns hätten? Ahhh, stopp, böses Kopfkino! Nicht hier, nicht jetzt, ganz schlechte Idee.

„Ich glaube, wir sollten uns langsam mal auf den Heimweg machen”, gähnt Kathi just in diesem Moment.

„Müsst ihr noch nicht, können noch bleiben”, nuschelt Paul und rückt sogar noch näher an mich heran. Oh ja, bitte, nur noch ein paar Minuten!

„Bin ich auch für”, sagt Matz. Ich brauche kurz um zu kapieren, dass er mitnichten meine unausgesprochene Bitte nach mehr Zeit meint. „Paul pennt uns sonst noch ein.” Grinsend sieht er auf mein kleines Blondchen hinab.

Und so ist es wohl beschlossene Sache... schade aber auch.

Ich winke die Kneipenfee herbei, während sich der Rest langsam erhebt, Taschen und Jacken sortiert und angezogen werden. Paulchen richtet sich murrend auf, streckt sich mit erhobenen Armen, dass mir glatt die Luft wegbleibt, als ich einen schmalen Streifen Haut am Bauch hervorblitzen sehe.

Die Dame hat direkt verstanden, was wir wollten und kommt mit der Rechnung angerauscht. Unser Gastgeber bezahlt, die anderen gehen schon vor. Ich bleibe bei ihm, was auch sonst.

Draußen schlägt uns die kalte Winterluft entgegen. Paul neben mir schwankt kurz und beginnt beinahe sofort zu zittern.

„Willst du meinen Mantel haben?”, biete ich an und ziehe den Reißverschluss schon mal vorsorglich auf.

„Ne, lass ma'”, lallt er jedoch. Oh weh, die frische Luft verträgt sich nicht gut mit seinem Alkoholpegel. „Mir's nich' kalt...”

„Blödsinn.” Ich ziehe besagten Mantel aus und will ihn ihm um die Schultern legen, doch er duckt sich weg. Nur ein beherzter Griff an seinen Oberarm verhindert schlimmeres.

„Will nich'”, murrt der Sturkopf und befreit sich aus meinem Griff. Seine Abweisung versetzt mir einen kleinen Stich, doch dummerweise bin ich sturkopferprobt und fühle mcih davon nur erst recht angestachelt.

„Dir ist kalt, das seh' ich doch.”

„Ga-gar nich' wahr...”, bibbert er. Sehr überzeugend. Nicht.

Ehe wir weiter diskutieren können, holen wir die drei anderen ein. Auch hier wird diskutiert, allerdings über die Strecke bis zur nächsten Bushaltestelle.

„Ihr könn' auch bei mir schlaf'n, wirklisch. Isch hab g'nug Platz”, bietet Paul selbstlos an. So wie er lallt, bin ich froh, wenn er den Weg in sein eigenes Bett noch selbstständig findet.

„Nein, nicht nötig, wir schaffen es schon nach Hause. Du hast uns lang genug ertragen”, winkt Kathi ab.

„Aber...” Den Rest, den der Blonde als Widerworte anführt, kriege ich nicht mit. Aus Charlys Gesicht ist jegliche Farbe gewichen und er sieht in Schockstarre zu Matz, der sich ein Stück entfernt hat, um zu telefonieren. Ich höre nur Wortfetzen, kann mir aber daraus schnell zusammenreimen, was der Knallkopf jetzt schon wieder anstellt. Wortlos hänge ich Paul meinen Mantel um die schmalen Schultern, dass er förmlich darin versinkt und bin mit einem Sprung bei Matz. Kurzerhand entreiße ich ihm das Handy – Charlys Handy – und drücke es seinem Besitzer in die zittrige Hand.

„Sag mal, tickst du noch sauber!?”, zische ich Matz an.

„Was'n? Der hätt' uns doch abholen könn'n!”, schmollt er, sich keiner Schuld bewusst.

„Bist du ernsthaft so besoffen, dass du dir nicht mehr denken kannst, dass das keine gute Idee ist, du Vollidiot!?” Wenn ich es richtig gehört habe, hat er ernsthaft versucht, Charlys geheimen Freund anzurufen, damit der die Schnapsdrosseln mit dem Auto abholen kommt. Bin ich denn der einzig normale hier!?

„Ist doch nich' so schlimm...”

„Doch, ist es! Und jetzt entschuldige dich.” Streng zeige ich zu Charly, der das Gespräch mit seinem Lover beendet hat. Ich verstehe nicht, warum er so ein Gewese um die Geheimhaltung macht, aber es ist sein gutes Recht und geht mich nichts an.

„Sorry Charly”, nuschelt Matz zerknirscht. „Wollte dir kein' Stress mach'n. Dacht' nur, er könnt' uns doch abhol'n. Viel einfacher als auf'n Bus zu wart'n.”

„Von wem redet ihr eigentlich? Was war denn los?”, fragt Kathi misstrauisch und sieht von einem zum anderen.

„Niemand!”, schießt es etwas zu schnell aus Charly heraus.

„Für einen 'Niemand' macht ihr aber ein ganz schönes Theater...”, stellt die Brünette folgerichtig fest.

„Ein... guter Bekannter von mir, okay?”, haspelt der Kleine mit der Brille weiter.

Rettung bekommt er ausgerechnet von Paul. „Können wir das nich' morgen klären? Es is' kalt und die blöden Tüten werden verdammt schwer.” Besagte Tüten schwenkt er bedeutungsvoll hin und her, mit der zweiten Hand hält er meinen Mantel an Ort und Stelle.

„Ich versteh euer komisches Drama zwar immer noch nicht, aber meinetwegen. Dank eurer Trödelei sollte der nächste Bus auch demnächst da sein.” Mit diesen Worten stapft Kathi an uns vorbei und den Weg weiter, Richtung Bushaltestellen.

Schweigend folgen wir ihr. Die Stimmung ist merkwürdig. Zum Glück kommt der Bus tatsächlich, kaum dass wir die Haltestelle erreichen. Die drei steigen ein, doch ich ändere meinen Plan kurzentschlossen.

„Ich bring dich noch nach Hause”, teile ich Paul mit. Er blickt mich aus glasigen Augen verwundert an.

„Aber ich habe es doch gar nich' weit?”

„Trotzdem. Ich nehme einfach einen anderen Bus, passt schon.”

„Aber-”

„Nein.”

Zischend schließen sich die Türen hinter unseren winkenden Begleitern. Damit wäre auch diese Frage geklärt. Wenn auch nicht unbedingt diplomatisch.

Paulchen schmollt. Den Kopf gesenkt, die Unterlippe garantiert wieder so süß vorgeschoben und die Arme unter meinem Mantel verschränkt. Wenn er wüsste, wie sehr mich das gerade anmacht, würde er wahrscheinlich schreiend weglaufen. Wer schon auf eine harmlose Packung Gummis so reagiert... Ich muss dringend meine Libido in den Griff kriegen.

Mich fröstelt es so langsam aber sicher, doch nichts in der Welt würde mich jetzt dazu bringen, meinen Mantel wieder an mich bringen zu wollen. Stattdessen nutze ich die Kälte und stelle mir eine Dusche vor. Eine eiskalte. Die sämtliche unangebrachten Gelüste schrumpfen lässt, im wahrsten Sinne des Wortes. Verdammt, wie bin ich nur wieder in so eine Situation geraten?

Wir verlassen die stadttypische Atmosphäre und biegen in ein Viertel ein, in dem die großen Reihenhäuser mit dutzenden Klingelschildern süßen Doppelhaushälften und sogar freistehenden Einfamilienhäusern weichen. Die Vorgärten sind klein, aber immerhin vorhanden.

Vor einem der freien Häuserhalten wir schließlich an. Ich mustere verstohlen den verwilderten Garten, die verwelkten Pflanzen und zusammengesunkenen Gräser, die im Herbst eigentlich hätten abgemäht werden sollen. Das ältere Auto in der Einfahrt hat wohl auch schon bessere Tage gesehen. Mit einem beklemmenden Gefühl in der Brustgegend schaue ich auf Paul hinunter, doch der versteckt sich Paul hinter seinen überlangen Haarsträhnen. Sein Atem kondensiert in der kalten Nachtluft zu weißen Dampfwolken und ich habe den Eindruck, dass sie schneller ausgestoßen werden als es im Ruhezustand normal wäre.

Nach einer Weile des Schweigens hebt er schließlich doch noch den Blick. Seine großen, blauen Augen haben nach wie vor den glasigen Schleier übermäßigen Alkoholkonsums, doch daneben spiegelt sich Unsicherheit, eine unausgesprochene Frage und ein merkwürdiges Funkeln in den tiefblauen Seen, die im schwachen Schein der Straßenbeleuchtung fast schwarz wirken.

„Tja...”, beginne ich, breche aber sofort wieder ab. Nervös zuppel ich am Hemdärmel meines linken Arms herum.

„Tja”, echot Paul leise. Immer noch bohrt sich sein Blick in den meinen, doch der wird ein Stück weiter südlich magisch angezogen. Von einer rosa Zungenspitze, die sich zwischen den verheißungsvollen Lippen hervorstiehlt und diese befeuchtet.

Ich schlucke. Meine Beherrschung wird auf eine harte Probe gestellt. Alles in mir schreit danach, mich auf das kleine Unschuldslamm zu stürzen.

Paul bewegt sich wie in Zeitlupe auf mich zu. Ich bleibe stocksteif stehen. Er hebt die Arme, zögert, legt sie dann um mich. Ich kann meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren dröhnen hören. Vorsichtig erwidere ich die Umarmung, beuge mich einem inneren Instinkt folgend ein Stück zu ihm hinab.

„Schlaf gut, du kleine Schnapsdrossel”, hauche ich in sein Ohr. Der Blonde erzittert in meinen Armen.

Unvermittelt dreht er den Kopf, meine Lippen streifen unbeabsichtigt seine Wange. Ich will mich zurückziehen, wirklich. Doch ehe ich nur einen weiteren Atemzug nehmen kann, spüre ich seinen Mund hauchzart auf meinem.

Paul küsst mich!

Scheiße, ich bin auch kein Heiliger, auch ich habe Grenzen. Meine Augenlider machen es den seinen gleich und fallen zu. Probeweise erhöhe ich den Druck unserer Lippen. Die Welt steht kurz still. Dann seufzt er leise. Ermutigt bewege ich meine Lippen schmusend über seine. Meine Arme legen sich fester. Der Mantel rutscht ihm endgültig von den Schultern. Was soll's. Stört eh nur. Ich lasse das schwere Stück Stoff zu Boden gleiten, nur um meine Hände fest an seinen Rücken zu legen, eine nur knapp über seinem verführerischen Po.

Unbeholfen imitiert Paul meine Kussbewegungen. Die Gewissheit, sein Erster zu sein, lässt meine Synapsen beinahe vollends durchschmoren. Probeweise öffne ich meine Lippen ein Stück und taste mit meiner Zunge über seine Unterlippe. Er schmeckt schon jetzt mindestens so süß, wie er aussieht. Aufmunternd sauge ich an seiner Oberlippe, knabbere sachte an der weichen Haut. Langsam, fast unmerklich, öffnet er sich mir einen Spalt. Mit einem tiefen Brummen nehme ich die Einladung an und gleite langsam in seine Mundhöhle. Unerwartet neugierig empfängt mich seine Zunge und stupst mich spielerisch an. Ich lächle in den Kuss hinein.

Mein Versuch, ihm wieder etwas mehr Raum zu geben, wird beinahe schmerzhaft unterbrochen. Die Finger fest in meinen Nacken und mein Haar gekrallt, hält Paul mich fest.

Schier endlos dauert unser Kuss an. So sehnsuchtsvoll und trotz allem für meinen Geschmack noch viel zu unschuldig. Apropos Geschmack, das unverkennbare Aroma von Alkohol holt mich wieder in denkende Sphären zurück. Nur widerwillig nehme ich meine Hände von ihm und befreie meine Strähnen aus seinen Fingern. Zum Schluss küsse ich ihn nochmal beinahe keusch auf die halb geöffneten Lippen. Und nochmal. Ein letztes Mal.

„Du solltest ins Bett gehen”, sage ich mit kratziger Stimme, als ich mich endlich von ihm lösen kann.

Sein enttäuschter Blick geht mir durch Mark und Bein.

„Kommst du... noch mit rein?” Die Frage kostet ihn sichtlich Kraft und Mut.

Ich mache das einzig Sinnvolle und schüttel den Kopf. „Nein, ich glaube, das ist keine gute Idee.”

„Na gut...” Beschämt senkt er den Kopf und seine Hände, die ich immer noch in meinen halte, krampfen sich zusammen.

„Hey”, säusel ich beruhigend, tippe mit einem Finger sein Kinn an, bis er mich wieder ansieht. Die Wangen rot, die Lippen vom Küssen leicht geschwollen. Nur der feuchte Glanz in den Augen, der gefällt mir gar nicht. 'Josh, du Trottel!', schelte ich mich selbst. „Ich würde wirklich gerne mit dir reinkommen. Wirklich. Nur ich weiß nicht, ob ich mich zurückhalten kann, dir nicht zu zeigen, wofür Charlys Geschenk so alles gut sein kann. Aber das ist etwas, da will ich, dass du nüchtern und voll Herr deiner Sinne bist, okay?” Ich sehe trotz der schlechten Lichtverhältnisse, wie sich seine Augen weiten und die Röte nicht nur seine Wangen, sondern weite Teile seines Gesichts und Halses färbt. Sein leises Keuchen macht mir immerhin Mut, ihn nicht vollends verschreckt zu haben. „Wenn du ausgeschlafen hast, dich noch an alles erinnerst und es nicht bereust, dann ruf mich an oder schreib mir, okay?”

Paul kaut auf seiner Unterlippe, nickt jedoch verstehend. Ich kann nicht widerstehen und stehle mir noch einen letzten, süßen Kuss.

„Schlaf gut, kleines Engelchen.”

Und noch während ich zusehe, wie die Person, die es geschafft hat in so kurzer Zeit so wichtig für mich zu werden, in diesem Haus verschwindet, das so gar nicht zu ihm passen will und deren Geschmack noch immer an meinem Mund anheftet, weiß ich, dass zumindest ich in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden werde.

 

~*~

 

Ich HASSE Geschenke. Ich bin soooooo unkreativ! Vor der Szene, in der ich mir die Geschenke überlegen muss habe ich schon Schiss, seit ich sie August 2020 in Hidden Secrets aus Charlys Sicht geschildert habe *heul * (Für alle Leser, die nur diese Story kennen: Ursprünglich ging es – offensichtlich – aus Charlys Sicht durch einige der Szenen. Und das Umschreiben von ihm zu Paul bzw. Joshua ist viel anstrengender, als ich dachte... bin froh, dass es jetzt keine relevanten Überschneidungen mehr geben wird und ich wieder „frei” schreiben kann.)



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  z1ck3
2022-02-03T23:01:34+00:00 04.02.2022 00:01
Erstmal: Guter Mann! Absolut hervorragend und vorbildlich keinen Sex mit besoffen zu haben! Ein yeay auf kein nein ist auch kein ja!

Und dann yeaaaayyyyyyyyy knutschen knutschen!

Und ich finde es total.spannend, auch wenn du es hasst, man kennt die Szenen so einigermaßen und trotzdem ist es so ganz anders aus dieser Sicht zu lesen. Ich mag das!

Ich bin übrigens müde und nach müde kommt doof, also bitte nimm meinen Kommentar einfach als etwas durchgeknallte Liebeserklärung an deine Figuren xD
Antwort von:  Ana1993
06.02.2022 18:00
Ja, auch ein Josh kann noch vernünftig sein ;)

Ich bin einfach froh, es jetzt geschafft zu haben xD die paar verbleibenden Szenen aus HidSec ignoriere ich einfach, die waren nicht so wichtig hierfür. Den ersten Teil von Josh mit Charly wollte ich auch erst streichen, aber naja.

Danke <3
Antwort von:  z1ck3
09.02.2022 14:00
Nix streichen! Ich beiß dich!
Von:  Arya-Gendry
2022-02-02T23:49:37+00:00 03.02.2022 00:49
Huhu^^
Die Beiden sind so süß zusammen. Und nun wissen wir auch was der kleine so geschenkt bekommen hat. Ich hätte ja gedacht das Joshusa bei Paul übernachtet aber das wird ja bestimmt noch kommen. Bin schon gespannt wie es weiter geht.
Lg.
Antwort von:  Ana1993
03.02.2022 06:12
Hi :)
Oh weh, erinnere mich nicht an die Geschenke 😂 daran bin ich bald verzweifelt!

Zum Übernachten wäre es für beide wohl noch etwas zu früh, aber immerhin sind sie einen großen Schritt weiter.
LG


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