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Soft Spot

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Okay, also ich musste erstmal ein Feeling für Boris bekommen.
Vielleicht wird das hier ne völlige Trash-Fic. Ich weiß es noch nicht. Ich muss mir auch noch Gedanken über das geographische Setting machen. Woops.

Da Mood-Songs zu den einzelnen Kapiteln irgendwie so ein Ding wird, have some here, too:
SDP - Die Nacht von Freitag auf Montag (Edit: Wie konnte ich dieses gem vergessen anzufügen! )
RUSSKAJA - Energia Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Mood-Song: Ist diesmal ein "Widmungs-Song" für die Waschmaschine, weil... Reflexionen auf der Waschmaschine.
DIE WASCHMASCHINE 3D - Die Aussenseiter


(für Songvorschläge bin ich sehr dankbar, lol) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich möchte lady_j grüßen, ich hab ihrem Ivan den Musikgeschmack von meinem Ivan geklaut. Und ebenso möchte ich Mitternachtsblick herzlich danken, die Galina eine Stimme gegeben hat.

Mood-Songs für diese Kapitel:
Blue Featuring Elton John - Sorry Seems To Be The Hardest Word (vortrefflich so vong Dramatik her)
Pizzera & Jaus - Mama

Und ja, ich will einen Rekord in "ungewöhnliche Lieder für FF-Kapitel" aufstellen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Mood-Song für dieses Kapitel:
Schwierig. Ich selbst hab diverse russische Songs gehört... Aber angesichts des Themas sind es wohl
Afternoon - Hit Back
und Kryptonite - 3 Doors Down Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Es ist spät, ich bin müde. Da habt ihr.
Ich glaub, gegen Ende gerate ich ins Labern...

Oh, und wenn jemand n Vorschlag für einen Song hat für dieses Kapitel: Gimme gimme! :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Mist, so spät hätte es gar nicht werden sollen...

Herzliche Widmung an die Supportgruppe. Die Sache vor dem Spiegel gilt euch besonders, ihr Lieben! ♥
(Leider hab ich das Wettrennen gegen lady_j verloren, aber das ist nicht schlimm.) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Viel Slice of life in diesem Kapitel. Und ein "Kindergeburtstag" ;)
Und während ihr jetzt Kapitel 6 lest, ist Kapitel 8 (ja, richtig gelesen :P) schon in Planung :D

Songs dieses Kapitels sind:
Nirvana - Smells like Teen Spirit
2 Unlimited - No Limit Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die WAKO ist die World Association of Kickboxing Organizations. Es gibt viele Vereine und alles ist so ein bisschen undurchsichtig auf den ersten Blick, ich muss mich selbst noch genauer auseinander setzen. Aber ich denke mal, so ein internes Turnier eines Heimatvereins wird wohl normal sein.

Songs für dieses Kapitel:
Supersexual - Blue
Drop it like it's hot - Snoop Dog
Remember the name - Fort Minor
Beast - Rob Bailey
Fighter - Christina Aguilera Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
TW: Ein Tierkadaver wird erwähnt. Komplett anzeigen

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Morgenstund‘ hat Gras im Mund

Das Erste, was er schmeckte an diesem Morgen, war Gras. Echtes, aus unterschiedlich langen Halmen bestehendes Gras.

Boris schmatzte und spuckte die Halme aus. Als er sich umdrehte und die Augen öffnete, stöhnte er geblendet von der Sonne auf. Was zur Hölle… Wo war er?

Er richtete sich auf, kratzte sich über die nackte Brust und sah sich um. Dabei rutschte eine beige-braune Decke von seinem Oberkörper. Huh. Wo waren seine Klamotten? Wie gestochen warf er die Decke von seinen Beinen. Zu seiner Erleichterung hatte er seine heißgeliebten, ausgelatschten Arbeiterstiefel noch an den Füßen.

Mit unsicheren, schlaksigen Bewegungen stand er auf. In seinem Kopf drehte es ordentlich, als er sich nach der Decke bückte und sie um sich wickelt. Obwohl es Ende Mai und schon recht sommerlich war, war es doch ein wenig zu frisch, um nackt durch die Gärten nach Hause zu stromern. Nun, zumindest bei Tageslicht.

Mit zusammengekniffenen Augen erkannte er nun, wo er sich befand. Es war der Nachbargarten seiner Wohnung. Wenn er sich recht erinnerte, wohnte hier eine ältere Frau. Er sollte machen, dass er hier wegkam, bevor sie wegen seiner Anwesenheit noch einen Herzinfarkt bekam.

Während Boris über den kleinen Gartenzaun kletterte, um zu seinem Gebäudekomplex zu gelangen, wollte er einem seiner Freunde schreiben, ob sie von dem Aufenthaltsort seiner Klamotten wüssten. Doch er hatte nur ein Problem: Er hatte keine Taschen.

Mitten im Lauf blieb er stehen.

„Fuck…“

Keine Taschen. Kein Handy. Keine Schlüssel.

Genervt kratzte er seinen kurzgeschorenen Hinterkopf. Nach vorne zum Klingeln wollte er nicht gehen. Nicht, dass es ihm was ausgemacht hätte, nackt gesehen zu werden. Aber die Nachbarn machten dann immer so einen Aufriss. Und er konnte Yuriy ihm schon wieder ein Ohr abkauen hören… War er eigentlich gestern mit ihm Feiern gewesen? Wohin war er überhaupt los gewesen?

Er betrachte die Rückseite ihres Hauses. Es war ein Mehrfamilienhaus mit verschiedentlich aufgeteilten Wohnungen. Er hatte ein Ein-Zimmer-Appartement, direkt neben seinem besten Freund Yuriy, der sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung ausgesucht hatte. Gemeinsam mit ihren Kindheitsfreunden Sergei und Ivan bewohnten sie die erste und zweite Etage des dreistöckigen Hochhauses. Nach der Schule war ziemlich schnell klar, dass sie nicht in eine WG ziehen wollten – aber auch nicht allzu weit voneinander entfernt. Dieses Gebäude war ein Glücksgriff gewesen. Und die Miete war wirklich lächerlich niedrig für einen so hübschen Neubau. Boris wartete nur darauf, dass ihnen so viel Glück um die Ohren flog und sie auf der Straße landeten… Aber die Vermieter waren geradezu ekelhaft nett – sahen aus wie Hipsterlullis, auf der Mission, der Menschheit etwas zurückzugeben… Wenn das bedeutete, dass er mit seinem Bufdi-Taschengeld und drei Schichten Kellnern in der Woche die Miete allein bezahlen konnte, konnten ihm die Sperenzchen der Vermieter egal sein. Sie durften ja sogar den Garten als Gemeinschaftsgrund benutzen. Sehr geil für sommerliche Grillabende, sie hätten es einfach nicht besser treffen können in dieser spießigen Wohngegend.

Boris‘ Blick fiel auf das Regenrohr. Er überlegte, ob es wohl sein Gewicht tragen würde. Sein Blick glitt weiter zu Yuriys Balkon. Wenn er am Rohr nach oben kletterte, schaffte er es vielleicht bis dorthin, und wenn Yuriy nicht zuhause war, könnte er sich von dort nach oben ziehen. Sergeis Balkon lag genau oben drüber, er hatte die größte Wohnung von allen. Und er hatte nette Gartenstühle und eine überdachte Hollywoodschaukel, der Angeber. Wenn niemand von ihnen zuhause wäre, könnte Boris zumindest dort verweilen, bis das Schicksal sich erbarmte und ihn in seine eigenen vier Wände ließ. Und unter dem Sonnenschirm der Schaukel würde er sich nicht den Arsch in der Sonne verbrennen, die erbarmungslos die Balkonseite noch bis zum Abend aufheizte.

Boris warf sich die Decke über die Schulter, rüttelte etwas an der Halterung und als er sicher war, dass das Regenrohr nicht sofort beim ersten Hochziehen aus der Wand brach, versuchte er sein Glück. Es war nicht einfach, das Material sehr rutschig, die Steine waren bereits gut aufgewärmt. In Gedanken beglückwünschte er sich dafür, dass er wenigstens seine Schuhe noch hatte, die ihm einen guten Halt boten. Als er endlich Yuriys Balkon erreicht hatte, überlegte er ernsthaft, ob er mit Parkour anfangen sollte; das könnte für zukünftige Saufeskapaden ja nicht ganz unnütz sein.

Jetzt atmete er erstmal durch und rieb sich die aufgeschürften Handflächen. Sein Zeigefinger blutete, er war an eine Steinkante geratscht. Von Yuriys Balkon aus konnte er auf sein eigenes Erkerfenster schauen. Es stand offen. Das ließ seine Hoffnung steigen: Vielleicht konnte er auch durch das gekippte Fenster auf seine Lesebank und endlich in seine Wohnung…

Ein Räuspern ließ ihn zusammenfahren. Yuriy stand hinter seiner Fensterscheibe und er starrte Boris ausdruckslos an. Entschuldigend hob Boris die Arme. Sein bester Freund stand nicht so drauf, wenn Boris mal wieder seine Grenzen in Sachen Alkohol meilenweit überschritt.

„Lässt du mich rein?“

Yuriy starrte ihn erbarmungslos an, bis Boris den Blick senkte und sich doch, ein ganz kleines bisschen beschämt, die Decke umwickelte. Kurz darauf klickte die Balkontür und Yuriy ließ ihn eintreten.

„Danke.“

Der Rothaarige strafte ihn mit Schweigen.

„Krieg ich einen Kaffee?“

Schweigen.

„War ich gestern mit dir los?“

Wieder Schweigen.

Boris biss sich auf die Unterlippe und kaute auf ihr herum. Das war kein gutes Zeichen. Aber er hatte ihn noch nicht rausgeworfen, darum schöpfte er noch Hoffnung.

„Okay, ja, ich hab es vielleicht ein bisschen übertrie-“

„Dreiundzwanzig. Sieben. Neun“, schnitt Yuriy ihm das Wort ab.

„Ich… was?“

Mit ruhiger, aber schneidender Stimme fuhr er fort:

„Dreiundzwanzig Anrufe in Abwesenheit hab ich von dir gestern Nacht bekommen. Sieben Mal hab ich dich versucht zurückzurufen. Neun Stunden lag ich wach und hab mir Sorgen gemacht. Dass jede Minute ein Anruf kommt aus dem Krankenhaus oder von der Polizei.“

Letzteres war gar nicht so abwegig – da war Boris tatsächlich schon einmal gelandet, das wusste Yuriy nur nicht. Normalerweise war Yuriy nicht so gluckenhaft, aber es war Klausurenphase und er stand unter erheblichen Druck. Da trugen Boris‘ nächtliche Eskapaden nicht gerade zu einer Minderung des Stresspegels bei.

„Landest du jemals in der Ausnüchterungszelle, wirst du da schmoren. Ich werde dich nicht abholen! Und Krankenhausbesuche werde ich auch nicht machen!“, stellte Yuriy abschließend nüchtern fest. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und sah Boris abwartend an.

Just in dem Moment klingelte es an der Tür. Boris sah ihn fragend und Yuriy lieferte sich mit ihm noch ein kurzes Blickduell, ehe er zur Tür schritt. Er konnte Ivans Stimme hören, der etwas von „vergessen“ und „abgeholt“ murmelte. Kurz darauf kam Yuriy mit einem Arm voll Wäsche zurück in die Küche. Wortlos drückte er Boris den Kleiderhaufen in die Hand. Wie er feststellte, thronte sein Handy ganz obenauf. Es war tot.

„Ich geh dann mal rüber in meine Bude“, meinte er schließlich. Yuriys erneutes Schweigen sprach Bände. Vielleicht sollte er mit dem Alkohol etwas abstinenter umgehen – zumindest bis Yuriys Prüfungszeit vorbei war.

„Du kannst mir ja schreiben, wenn ich dich abfragen soll“, schlug er noch ein letztes Mal versöhnlich vor. Als er die Zweizimmerwohnung verließ, sah er, wie Yuriy auf seinem Handy tippte. Grinsend schloss er die Tür hinter sich.

An einlaminierten Karteikarten perlen Tränen ganz einfach ab

„Hast du ein Pflaster? Die Macke geht immer wieder auf.“

Yuriy verdrehte die Augen bei Boris‘ Jammerei. Aber auch wenn er fand, dass Boris es verdient hatte, stand er auf und besorgte ihm ein Heftpflaster, das er ihm zurechtschnitt. Tatsächlich hatte der Rothaarige ihn gebeten, vorbeizukommen, um ihn abzufragen. Nachdem Boris endlich sein Handy an den Strom angeschlossen hatte, konnte er die Nachricht dann auch empfangen.

„Ich sollte auch ein großes auf deinen Mund kleben“, murrte Yuriy, während er den Finger seines besten Freundes verarztete. Es erinnerte ihn an Kindertage. Damals hatte Boris sich auch immer in Schwierigkeiten gebracht, die auf die eine oder andere Art blutig geendet hatten.

„Dann kannst du weder jammern noch trinken.“

Yuriy hasste den Kontrollverlust, den Alkohol mit sich brachte. Er wollte nicht so werden wie sein Vater.

„Wird dann aber mit dem Abfragen etwas schwierig, meinst du nicht?“, entgegnete Boris ihm spitzfindig und grinste.

„Machst du die Wäsche nachher noch?“, fragte Yuriy, deutete auf die Wäschewanne an seiner Haustür und überging auf diese Weise geflissentlich Boris‘ Kommentar.

„Ja. Gehört die Decke eigentlich Ivan oder Sergei?“

„Mit der du heute Morgen aufgetaucht bist? Glaube nicht. Aber ich hab sie schon mal gesehen.“

Boris wunderte sich. Dann streckte er sich ausgiebig und nahm die Karteikarten wieder auf, die in Yuriys sauberer Handschrift beschriftet waren.

„Okay, konzentrier dich. Wir sind bei Piaget: Nenne alle kognitiven Entwicklungsstufen und das dazugehörige Kindesalter.“

„Hab ich das so aufgeschrieben?“

„Nein, aber das ist wichtig. Los!“

Yuriy brummte, bevor er die Antwort an den Fingern aufzählte: „Zuerst kommt die sensumotorische Intelligenz im Alter von null bis etwa 2 Jahren.“

Boris unterbrauch ihn direkt: „Ach ja, fass diese Stufen jeweils in einem knappen Satz zusammen.“

„Wa-? Boris! Bring mich nicht raus!“

Aber Boris sah ihn abwartend an. Yuriy schnaubte; leider waren Boris‘ Abfragemethoden schon seit Schulzeiten immer sehr erfolgreich gewesen. Wenn er Boris nicht gehabt hätte, wer wusste, ob Yuriy die Oberstufe so gut abgeschlossen hätte. Einige Einser-Module in Geschichte waren auch auf die gute Vorbereitung mit seinem Freund zurückzuführen. Also riss Yuriy sich zusammen. Das Psychologiemodul in Erziehungswissenschaft war schwer.

„In der sensumotorischen Phase entsteht ausschließlich das Zusammenspiel von Wahrnehmungseindrücken und motorischer Aktivität. Danach gleitet das Kind mit etwa zwei bis vier Jahren in die Stufe des symbolischen oder vorbegrifflichen Denkens. Auf dieser Stufe lässt sich eindeutig Denken im Sinne verinnerlichten Handelns nachweisen. Das Kind wird fähig, mit Vorstellungen und Symbolen - die Piaget Vorbegriffe nennt - umzugehen. Es folgt die Stufe des anschaulichen Denkens im Alter von vier bis etwa acht Jahren. In dieser Phase…“

Yuriy hielt kurz inne, um sich zu konzentrieren. Sein Blick suchte in Boris Gesicht etwas, was ihm helfen könnte, doch Boris‘ Miene war undurchsichtig. Er nickte ihm aber aufmunternd zu. Du kannst das!

„In dieser Phase… kommt es geradezu zu einer Explosion des Begriffsinstrumentariums, das allerdings noch recht vereinfacht und absolut gebraucht wird. Das Kind kann in der Regel noch nicht verschiedene Aspekte eines Gegenstandes oder einer Beziehung zwischen Gegenständen gleichzeitig erfassen und berücksichtigen, sondern es bleibt meist bei einem wahrnehmungsmäßig herausragenden Merkmal stehen. Daran schließt sich die Phase des konkret-operativen Denkens von acht bis elf, zwölf Jahren an. Ab dem 12. Lebensjahr steht das Kind auf der Stufe des formalen Denkens.“

„Aha. Und die Inhalte der letzten beiden Phasen?“

Yuriy funkelte Boris an. Er wusste es nicht. Da würde diesmal auch ein bisschen Warten nichts ändern. Boris nickte wissend.

„Wiederholen!“, befahl er und warf dem Rotschopf den Ordner zu, auf dem fett „EW“ stand.

„Ich schaff das nie bis zur Prüfung!“

„Yura… die ist in zwei Wochen. Du hast wie immer frühzeitig damit angefangen. Du kriegst das hin!“

Boris hatte es schon immer verstanden, Yuriy Mut zu machen und ihn zu fokussieren. Sie waren wie Brüder aufgewachsen, nachdem Oxana Kusznetsov durch einen Verkehrsunfall gestorben und er dadurch Waise geworden war. Ihre Cousine, Galina Ivanov, die zu der Zeit selbst einen kleinen Jungen im gleichen Alter hatte, nahm sich seiner an; gemäß dem letzten Willen ihrer Cousine war sie nämlich seine Patentante. Zugegeben, es hatte anfangs einige Reibereien gegeben, aber schließlich hatten sie sich zusammengerauft. Die Gewalttätigkeit von Yuriys Vater, wenn der mal wieder einen über den Durst getrunken hatte, hatte sie zusammengeschweißt. Umso genervter war Yuriy aber auch, wenn Boris trank. Für ihn hatte das stets einen schalen Beigeschmack.

„Ich geh meine Wäsche machen. Wenn ich wieder komme, hast du das drauf. Klar?“

„Ja, Mama…“

„Ich ruf Galina an, wenn du nicht machst, was ich sage.“

„Du würdest mich nicht verpetzen für sowas.“

„Ach nein?“

„… Soll ich ihr von deinem morgendlichen Abenteuer erzählen?“

Beide funkelten sich wie Kontrahenten im Ring an.

„Du willst sie doch nicht traurig machen“, schloss Boris schließlich und gewann damit ihr Duell. Wenn auch mit unfairen Mitteln. Yuriy wollte seine Mutter nicht mit solcher Art Kummer belasten. Sie machte sich schnell viel zu viele Gedanken um ihre Söhne.

„Fick dich, Borislaw!“, fauchte er, weil er verloren hatte.

Boris warf Yuriy einen Luftkuss zu und machte sich auf den Weg in den Waschkeller. In eine Maschine steckte er die Decke, von der er immer noch nicht wusste, woher sie war. In eine andere die zum Glück wieder aufgetauchte Kleidung des gestrigen Abends und seinen wöchentlichen Waschhaufen. Er schmiss sie an und setzte sich auf eine Waschmaschine, betrachtete eine Weile, wie das Wasser eingespült wurde, wie die Wäsche sich vollsog und schließlich im Kreis geschleudert wurde. Eigentlich durfte er sich nicht erlauben, solche Saufeskapaden zu haben. Er sollte ein Vorbild sein, schließlich arbeitete er als Bundesfreiwilliger in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Seine Aufgaben umfassten neben dem gemeinsamen Essenkochen auch die Hausaufgabenbetreuung und die Freizeitgestaltung von Drei- bis 18-Jährigen aus schwierigen Familienverhältnissen. Vielleicht war es da nicht so gut, sollte er aus Versehen jemandem aus seinem Arbeitsumkreis begegnen…Andererseits lief sein Vertrag dort auch bald aus. Normalerweise konnte man den Dienst ein Jahr lang ableisten. Boris hatte schon auf 18 Monate verlängert. Nur in Ausnahmefällen konnten 24 Monate geltend gemacht werden, und er wusste, dass er sich nicht dafür qualifizierte. Das hieß, er hatte jetzt noch ein gutes halbes Jahr, bis er… ja was eigentlich? „Bufdi sein“ hatte er nach dem Abi nur gemacht, um sich klar zu werden, was er beruflich mit seinem Leben anstellen wollte. Im Vergleich zu Yuriy war er wirklich schon spät dran. Als sie nach dem Tod von Yuriys Vater von Russland nach Deutschland gekommen waren, waren sie zuerst in Mecklenburg Vorpommern gelandet. In Parchim mussten sie ganz von vorn anfangen. Weil sie kein Deutsch konnten, wurden er und Yuriy in die vierte Klasse zurückversetzt, obwohl sie eigentlich in die fünfte gehörten. Boris fand das ungerecht. Aber er verstand auch kein Wort im Unterricht. Vornehmlich hatten sie Deutschstunden und durften auch noch gar nicht am eigentlichen Unterricht teilnehmen. Außer an Mathe. Zahlen waren ja gleich, rechnen konnten sie. Aber es war ein einziger Krampf. Boris vermisste Kirow. Dort waren seine Mutter und sein Großvater begraben. Sie würden sie nie wieder besuchen gehen können... Das war für ihn wirklich schlimm.

Boris ließ sich auf der ruckelnden Waschmaschine nach hinten sinken. Seine Beine baumelten frei in der Luft. Er dachte an Yuriy, der sich oben das Wissen seiner Karteikarten einprägte. Er dachte an seinen Bücherfetisch, für den er auf dem Schulhof immer geärgert worden war, weil er nicht wie die anderen Jungen beim Fußball mitmachen wollte, sondern lieber unter einem der Bäume saß und las. Und immer in diesen „Hieroglyphen“, wie die anderen Kinder die Schrift genannt hatten, die ihnen als einziges vertraut war in dieser fremden Stadt. Parchim. Boris starrte an die Decke. Seine Gedanken kreisten zurück, als sie zur weiterführenden Schule geschickt worden waren. Parchim hatte genau ein Gymnasium: Das altehrwürdige Friedrich-Franz-Gymnasium. Seine Grundschullehrerin hatte den Kopf geschüttelt, als sie Galina sein Zeugnis überreicht hatte, und gemeint, er habe auf dem Gymnasium nichts zu suchen. Er hätte nicht das Durchhaltevermögen oder das Benehmen für diese Art von Schule. Aber Yuriy würde dorthin gehen. Und wohin Yuriy ging, dahin würde Boris folgen. Das hatte er ihm versprochen, das war ihre Dynamik.

Als sie vor den großen, roten Türen der neuen Schule stand, hatte Yuriy nach Boris‘ Hand gegriffen. Und Boris hatte sie nicht losgelassen, bis sie sich in der Klasse vorstellen mussten. Natürlich hatten sie sich als Brüder vorgestellt. Das hatte den Klassenlehrer dann aber beim Vorlesen der Nachnamen schon verwirrt.

Auch auf der neuen Schule war Yuriy oft Opfer von Hänseleien. Es machte Boris wütend. Yuriy wurde immer noch geärgert, weil er lieber las, als Tischtennis oder Fußball zu spielen, und weil er bei den Mädchen beliebt war wegen seiner Augenfarbe. Diese Beliebtheit wurde größer, je älter sie wurden. Yuriy machte sich nie etwas daraus, und das ließ ihn auf viele andere arrogant wirken. Die Hänseleien wurden gemeiner. Und Boris wurde wütender. Irgendwann platzte er. Es blieb nicht bei einer Verwarnung, oder einer Suspendierung. Solange jemand Yuriy piesackte, bekam er es mit Boris zu tun. Es gab lange, klärende Gespräche mit ihm, seiner Patentante Galina und der Schulleitung. Als Yuriy herausfand, dass Boris sich seinetwegen mit seinen Bullys anlegte, fing er an, seine Kämpfe selbst auszufechten. Verbal, mit Sarkasmus und bissigen Kommentaren, die an Schlagfertigkeit ihresgleichen suchten. So schaffte er es, Boris Fäuste aus seinen Angelegenheiten herauszuhalten. Leider war sein Mundwerk manchmal aber doch etwas zu frech – und Boris kam doch noch zum Einsatz. So operierten sie in der Mittelstufe.

Boris rieb sich das Gesicht und seufzte. Hätte er sich damals nicht so oft geprügelt, hätte er vermutlich nicht so viel Unterricht durch die Suspendierungen verloren und dann hätte er auch nicht ein Jahr wiederholen müssen… Aber dann hätte Galina ihn vielleicht auch nicht beim Thaiboxen angemeldet, um seine überschüssige Energie und Aggression loszuwerden… Und Boxen machte er schon sehr gern.

Dann aber kam Galinas Beförderung und sie mussten erneut umziehen. Diesmal ins tiefste Münsterland, wo sie in Tecklenburg ein neues Zuhause fanden. Yuriy schaffte die Oberstufe ohne Verzögerung, weil seine Kurse auch am neuen Gymnasium angewählt werden konnten. Boris hatte weniger Glück. Er musste das Halbjahr wiederholen und neue Kurse wählen… Aber da er nicht blöd war, nahm er den Russischkurs für Fortgeschrittene. Boris vermisste Kirow immer noch. So blieb er heimatverbunden. Dann ging Yuriy zum Studieren nach Münster. Und seine Grundschullehrerin schien Recht zu behalten: Es fiel ihm ab da sehr viel schwerer, am Ball zu bleiben. Yuriy musste ihm gehörig in den Arsch treten. Besonders, weil er seine Prioritäten im Sport sah…

Die Maschine unter ihm vibrierte. Sie war im Endschleudergang. Boris rieb sich die Nasenwurzel. Er wollte wissen, wie lange er hier schon lag und grübelte. Sein Blick fiel auf das heutige Datum. Ah, kein Wunder, dass er grübelte. In zwei Tagen war der Todestag seiner Mutter. In dieser Zeit war er immer besonders nachdenklich, launenhaft und ein wenig düster. Er rieb sich über seine Brust, sie fühlte sich eng an. Mutter… Opa Slawa… Kirow… Er hatte nie aufgehört, seine Heimatstadt zu vermissen. Aber es tat nicht mehr so weh.

Plötzlich piepte sein Handy.

 

 

15:22

Yura: Ich möchte mit dir Filme schauen und dich die ganze Nacht halten.

 

Boris blinzelte. Das war ein merkwürdiges Angebot, aber ok. Vielleicht wusste Yuriy, wie er sich gerade fühlte. Er schrieb zurück:

 

15:24

Boris: Ok. Hast du dich mittlerweile erinnert, wem die Decke gehört?

 

15:26

Yura: Nee.

Yura: Kommst du gleich noch wieder?

 

Boris: Ja. Gleich.

 

Yura: Wann ist „gleich“???

 

Boris: ca. 10 Min. Ich kann auch nicht machen, dass die Maschine schneller wäscht.

 

 

Kopfschüttelnd rutsche Boris von der Maschine und betrachtete die digitale Anzeige. Jeden Moment würde sie auslaufen und dann beeilte er sich. Sonst war Yuriy ja auch nicht so gestresst. Aber vermutlich, weil es jetzt auf den Bachelorabschluss zuging und die Noten anfingen, wichtig zu werden…

 

 

15:31

Yura: Ugh, voll peinlich, ich hab die Nachricht für dich an Borya geschickt… /)////(

 

 

Boris starrte auf sein Handy und versuchte die Nachricht zu verstehen. Dann schlich sich ein fast diabolisches Grinsen auf sein Gesicht. So, so… statt zu lernen, schrieb Yuriy mit jemandem? Dem würde er gleich die Hammelbeine lang ziehen! Zwar wusste er nicht, warum ihm die falsch abgeschickte Nachricht so peinlich war, aber das würde er schon herausfinden.

Auf dem Weg zurück in die Wohnung machte er noch einmal Halt an den Briefkästen vor dem Haus. Post konnte er an einem Sonntag zwar nicht erwarten, aber Werbung gab es gefühlt immer.

„Entschuldigung! Entschuldigen Sie, junger Mann!“

Boris sah sich argwöhnisch um. Die alte Dame von nebenan kam freundlich lächelnd auf ihn zu.

„Ich sehe, es geht Ihnen gut. Habe ich Sie doch wieder erkannt!“

„Ähm… Sind Sie sicher, dass Sie mich meinen?“

„Doch, doch… Ich erinnere mich an Ihren unverwechselbaren Haarschnitt und die markanten Ohrringe… Außerdem tragen Sie meine Decke in Ihrer Wanne.“

Boris‘ Ohren wurden heiß.

„Das ist IHRE?!“, entgegnete er bestürzt. Dann hatte sie…

„Ja, mein Junge. Ich habe Sie heute Morgen im Garten liegen sehen, und da es doch etwas frisch war, habe ich mir erlaubt, Sie zuzudecken. Ich hoffe, Sie haben sich nichts weggeholt. Aber einen gesunden Schlaf haben Sie ja.“

Boris traute seinen Ohren nicht. Er hatte noch nie mit ihrer Nachbarin gesprochen – und das war das Erste, womit sie miteinander in Kontakt kamen?

„Ehm… Danke… und tut mir Leid für die Unannehmlichkeiten“, stammelte er leicht betreten, erinnerte er sich doch noch an seine gute Erziehung.

„Schon gut. Soll ich Ihnen die Decke dann abnehmen?“

„Die ist noch nicht trocken. Ich kann sie Ihnen später rüberbringen?“

„Ach, machen Sie sich nicht solche Umstände. Trocknen kann ich sie auch selbst.“

Boris nickte. Er ließ es sich dann aber nicht nehmen, wenigstens mit rüber zu kommen und ihr beim Aufhängen der Decke auf der Wäscheleine zu helfen. Das war das Mindeste, was er tun konnte. Und selbst dafür bedankte sich die alte Nachbarin noch!

„Tut mir nochmals sehr Leid… Falls ich Ihren Schreck am frühen Morgen wiedergutmachen kann… sagen Sie es.“

„Danke. Nachbarn helfen doch einander.“

Sie grinste ihn an, und er nickte nur, um abzudrehen und in sein Haus zu gehen.

„Ah, wenn ich es mir recht überlege, könnten Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?“

Boris trabte zu ihr zurück.

„Wissen Sie, mein Sohn ist geschäftlich im Ausland, und mein Rasen ist jetzt schon so hoch gewachsen, wie Sie sicher gemerkt haben, und ich kriege einfach den Rasenmäher nicht an. Würden Sie – natürlich nur, wenn es Ihnen keine Umstände macht – sich meines Problems annehmen? Ich kann Sie auch bezahlen.“

Erleichtert seufzte Boris.

„Das kann ich gerne tun. Aber ich kann kein Geld von Ihnen annehmen. Sehen Sie es als Wiedergutmachung. Und… Nachbarn helfen einander.“

Die alte Dame lachte kurz auf.

„In Ordnung. Ich bin übrigens Irma von Landsberg. Auf eine gute Nachbarschaft.“

Boris ergriff vorsichtig die ihm dargereichte Hand.

„Boris. Boris Kusznetsov. Auf gute Nachbarschaft!“

 

 

 

Endlich wieder oben, fühlte sich Boris ein wenig wie nach einer Begegnung der dritten Art. Aber er war auch erleichtert, dass seine Eskapade keinen größeren Schaden – Herzinfarkt oder so – angerichtet hatte und er seine Schuld abarbeiten konnte. Er trat mit dem Zweitschlüssel in Yuriys Appartement ein. Der hing an seinem Handy und schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Nach einem kurzen Abstecher in die Küche für ein Glas Wasser öffnete er die Balkontür und hängte zuerst seine Wäsche auf Yuriys Balkon auf.

Ein Blick durch das Fenster sagte ihm, dass Yuriy immer noch total vertieft in sein mobiles Endgerät war. Grinsend schlich er sich von hinten an. Als er direkt an der Sofakante stand, konnte er auf dem Display mitlesen. Yuriy hatte gerade so hinuntergescrollt, dass er den Absender nicht erkennen konnte.

 

Ich will dich küssen – so fiebrig und leidenschaftlich, als wären wir in Eile, als würden wir verbrennen, wenn wir aufhören würden, uns zu küssen. Was auch immer der Himmel für dich bedeutet – genau dahin will ich dich bringen, mit meinen Lippen und ich will, dass du dich fühlst, als würdest du verbrennen an dem Feuer, das in mir für dich brennt.

 

„Jemand muss aber noch ganz dringend lernen, wie Sexting geht…“

Yuriy erschreckte sich so sehr, dass er sein Handy in die Höhe warf und es sehr ungeschickt versuchte wieder aufzufangen, was ihm schließlich mit dem Bauch gelang.

„HIMMEL – HERRGOTT – HIRTE VON JUDÄA!“, rief Yuriy und drehte sich zu ihm um. Boris lachte schallend.

„Was soll das!“, fauchte der Rotschopf ihn sauer an.

„Ja, das frag ich dich. Was machst du? Sollte das n Sext sein? Das ist super cringy, no offense.“

Boris wischte sich immer noch ein Lachtränchen aus dem Augenwinkel.

„Kümmere dich um deinen Kram…“, knurrte Yuriy ihn an und schaltete sein Handy auf stumm.

„Hast du gelernt, was ich dir aufgetragen habe?“

„… Ja“, gab Yuriy widerborstig zurück.

„Gut. Dann sag an!“

„In der fünften Stufe, der Stufe des konkret-operativen Denkens, zeichnen sich die gedanklichen Operationen durch eine größere Beweglichkeit aus. Verschiedene Aspekte eines Gegenstandes oder Vorgangs können gleichzeitig erfasst und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Der Terminus konkrete Operationen meint, dass das Kind nun in Gedanken mit konkreten Objekten bzw. ihren Vorstellungen operieren kann. In der sich anschließenden Stufe des formalen Denkens – ab circa elf oder zwölf Jahren - tritt nach Piaget eine Sinnesumkehrung zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen ein. Das formale Denken ist grundsätzlich hypothetisch-deduktiv.“

„Na siehst du. Du kannst es doch. Und du wirst es auch in zwei Wochen können.“

Boris ließ sich neben Yuriy aufs Sofa plumpsen und streckte sich.

„Bock, heute Abend ein bisschen bei mir zu zocken?“

„Nein, ich muss noch lernen.“

„Man muss auch mal Pausen machen.“

Yuriy zierte sich.

„Guck dir den Ordner an! Den muss ich durcharbeiten!“

„Okay, ein Film? Und wir bestellen Pizza? … Immerhin wolltest du mit mir Filme schauen und mich die ganze Nacht halten… Aua!“

Boris lachte und rieb sich die Schulter. Yuriy hatte ihn geboxt. Seine Wangen waren vor Scham gerötet. Boris wusste selbst, es war gemein, ihn aufzuziehen, aber Yuriy bot so schöne Vorlagen.

„Na gut, aber nur einen Film! Und DU musst den Pizzadienst anrufen!“

Boris nickte ergeben und fummelte den Flyer ihrer Lieblingspizzeria aus der Schublade vom Wohnzimmertisch. Sie beide kannten sich in der Wohnung des jeweils anderen bestens aus.

„Das Übliche – oder was Neues?“, fragte er, während er schon wählte.

Yuriy deutete auf die Nummer 42. Boris hob zweiflerisch eine Braue in die Höhe.

„Sicher?“

„Ein Fr… Kommilitone hat sie mir empfohlen. Mal gucken, ob das berechtigt ist.“

Boris zuckte mit den Schultern, nannte seinen Namen, ihre Bestellung und wurde dann auf eine Wartezeit von einer halben Stunde verwiesen.

„Und was wollen wir schauen?“, fragte er dann und erhob sich, um zu Yuriys DVD-Regal zu schlendern.

„Horror? Comedy? Klassiker?“

Als er von Yuriy keine Antwort bekam, drehte er sich um. Sein Freund und Bruder saß schon wieder am Handy; mit gerunzelter Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Boris schüttelte den Kopf. Er wählte den Film „300“ aus, den hatten sie schon lange nicht gesehen. Damit ließ er sich auf die Couch fallen. Ein lautes Vibrieren deutete eine erneute Nachricht an. Boris beugte sich nah an Yuriys Ohr:

„I feel you breathe “fuck” on to my neck and I moan your name into your ear.“

Yuriy zuckte wieder zusammen.

„Lass das! Sowas ist das nicht!“

„Ihr solltet auf Englisch schreiben. Sexting auf Deutsch ist so… plump.“

Yuriy rutschte an das andere Ende der Couch und funkelte ihn an.

„Ich sagte doch, sowas machen wir nicht!“

„Ja… klar… Wer ist es überhaupt? Kenne ich-“

„Nein!“

Beschwichtigend hob Boris seine Hände. Er legte seinen Kopf auf die Rückenlehne des Sofas und schloss die Augen. Dann sollte Yuriy eben machen… Schließlich war der Rotschopf sonst auch immer so gut mit Worten.

Erst, als es klingelte, öffnete Boris seine Augen wieder und sah Yuriy abwartend an.

„Hey“, stupste er ihn mit dem Fuß an, „es hat geklingelt.“

„Ja, es ist die Pizza, die DU bestellt hast.“

„Es ist aber DEINE Wohnung.“

Yuriy gab einen frustrierten Laut von sich, stand auf und suchte nach seinem Portemonnaie, um den Pizzaboten zu bezahlen. Dabei hatte er sein Handy neben Boris liegen gelassen. Vielleicht hätte Boris es ignoriert, wenn es nicht in genau diesem Moment vibriert hätte. Neugierig linste er auf das Display.

„Hah, ja genau, sowas ist das nicht…“, äffte Boris Yuriy nach und schüttelte den Kopf.

Nach einem prüfenden Blick, ob Yuriy noch beschäftigt war, schickte er eine Nachricht an die Person, mit der Yuriy sich schrieb. Immerhin wollte er nur helfen.

 

19:03

Yuriy: I bet you feel so good between my thighs.

 

Boris hatte gehofft, sofort eine Antwort zu kriegen. Aber das Handy blieb stumm. Enttäuscht seufzte er.

Wie es Tradition bei ihnen war, verstaute er ihre beiden Smartphones in einer Schublade in der Küche. Filmabende wurden nicht durch Handys gestört.

Yuriy kam ins Wohnzimmer zurück und legte ihre Pizzen vor sie auf den Tisch. Boris brachte den Pizzaschneider und Siracha-Sauce, sowie zwei Flaschen Cola.

„Was schauen wir eigentlich?“, fragte Yuriy und füllte ihre Gläser.

„Lass dich überraschen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

19:22

Kai: Holy fuck, I‘d eat you out all night long if you let me!

Geduldig trägt dein Mütterlein für dich so manche Last

Der Abspann lief, sie waren gesättigt und zufrieden. Yuriy stand auf und brachte Besteck und Gläser zurück in die Küche. Bei der Gelegenheit checkte er auch gleich sein Handy.

Boris rieb sich die Augen, stapelte die Pizzakartons ineinander und rollte sie zusammen. Dann nahm er die DVD heraus und verstaute sie an ihrem angestammten Platz. Er drehte sich zu seinem Bruder um und öffnete gerade den Mund, um ihn etwas zu fragen; schloss ihn aber bei der Gesichtskirmes, die dieser gerade durchlebte: Yuriy gaffte auf sein Handy. Eine Augenbraue wanderte skeptisch in die Höhe, seine Augen flackerten und er schien einen Text wahrzunehmen. Plötzlich verließ jegliche Farbe sein Gesicht, was den Kontrast seiner sowieso schon blassen Haut und seiner roten Löwenmähne noch deutlicher werden ließ. Boris machte sich schon Sorgen, da kehrte die Farbe in Yuriys Gesicht zurück und machte dessen Haaren beinahe Konkurrenz. Die Schamesröte ließ seine Ohren glühen und breitete sich auch über seinen Hals und Nacken aus. Boris grinste – dann war seine Hilfe also von Erfolg gekrönt!

Aber da ruckte Yuriys Kopf nach oben und fixierte ihn mit einem rasiermesserscharfen Blick. Boris‘ Grinsen gefror ihm augenblicklich. Die Scham, die bis eben noch überdeutlich in Yuriys Haltung und Gesichtsfarbe sichtbar war, wich wütenden, hitzigen Flecken, und um Nase und Mundwinkeln ergraute seine Haut. Er wirkte fast krank, als sei ihm speiübel. Besorgt eilte Boris auf ihn zu, wollte wissen, was los war.

„Noch einen Schritt und ich werfe dich vom Balkon.“

Yuriys Stimme war nur ein Wispern aus zusammengepressten Lippen. Boris stoppte sofort. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Yuriy seine Drohung wahr machen würde. Immer noch starrte sein Bruder ihn an; furios, aber unentschlossen taxierte er ihn wie eine Kobra ihre Beute. Ein Hauch von Verachtung huschte über sein verärgertes Gesicht und es ließ Boris‘ Herz einen Moment aussetzen. Der Grauhaarige hob die Hand, wollte auf ihn zugehen – da machte Yuriy vor ihm auf dem Absatz kehrt und verschwand in seinem Zimmer. Nicht, ohne die Tür mit einem wuchtigen Knall zuzuschlagen.

Jetzt trommelte Boris Herz umso schneller in seiner Brust. Er zwang sich, durch ruhiges Atmen seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Okay, Yuriy war sauer. Na gut, na fein. Er machte einen tiefen Atemzug. Vielleicht brauchte sein Bruder einfach einen Moment, um runterzukommen. Also ging Boris auf den Balkon, sammelte seine Wäsche ein, verstaute den Wäscheständer an Ort und Stelle und schloss die Balkontür und alle Fenster. Die Pizzapappe und die Wäschewanne stellte er vor die Wohnungstür.

Letztlich drehte er sich um und fixierte die Tür, hinter der Yuriy verschwunden war. Es war fast zu still in der Wohnung. Von oben konnte er leise den Subwoofer von Ivan hören, der mal wieder eine ordentliche Runde Drum and Bass durchzog. Was genau er hörte, konnte Boris nicht sagen, dazu war es zu leise und zu elektronisch. Er biss sich auf die Zungenspitze. Zögernd ging er auf Yuriys Schlafzimmer zu. Er wollte nicht ohne eine Verabschiedung gehen. Leise klopfte er an. Als keine Antwort kam, klopfte er etwas lauter.

„Yuriy?“

Vorsichtig öffnete er die Zimmertür einen Spalt. Yuriy saß an seinem Schreibtisch und sortierte seine Karteikarten. Sein Handy lag unbeachtet auf seinem Bett. Boris versuchte es auf die lustige Art.

„Dann… hast du eine Antwort bekommen…?“

Yuriys Schultern zogen sich zusammen und er verspannte sich zusehends. Seine Hand krampfte um eine Karteikarte und zerdrückte sie, bis das Weiß seiner Fingerknöchel hervortrat. Boris schluckte, und kam sich seltsam vor.

„Okay, ich… ich geh dann…?“

Immer noch erhielt er von Yuriy keine Antwort. Wortlos schloss Boris erst die Schlafzimmer-, dann die Wohnungstür hinter sich und kehrte geduckt wie ein geschlagener Hund in seine eigenen vier Wände zurück.

Yuriy atmete heftig aus. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Vorsichtig strich er die gekrumpelte Karteikarte wieder glatt. Das würde noch ein Nachspiel haben…

 

 

Zwei Tage später erhielt Boris einen Anruf. Er war gerade beim Training, hatte das Aufwärmen und das Sparring hinter sich und machte eine Pause, als er seinen Klingelton hörte. Mit dem Handtuch, dass über seinen Schultern lag, wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht und nahm erst einen großen Schluck Wasser, bevor er nachsah, wer dieser penetrante Anrufer war, der sich nicht durch Ignorieren abschrecken ließ.

Er fummelte sein Handy aus der Seitentasche seines Seesacks. Genau da erstarb das Klingeln.

 

5 Anrufe in Abwesenheit.

Mama.

Mama.

Mama.

*unterdrückte Nummer*

*unterdrückte Nummer*

 

Ungläubig starrte er auf die verpassten Anrufe – vielmehr auf die Anruferin. Sofort ertappte er sich bei einem kurz aufflackernden schlechten Gewissen, wie er es als Bub gehabt hatte, wenn er etwas angestellt hatte. Aber dem war ja nun nicht so, außerdem war er erwachsen – und er konnte sich nicht erinnern, Blödsinn angestellt zu haben. Vielleicht war aber auch das „nicht erinnern können“ das Problem?

Nein, schalt er sich, es gab sicher einen anderen Grund, weshalb Galina ihn anrufen wollte. Just in dem Moment vibrierte sein Handy wieder melodisch in seiner Hand. Er griff es fest, und nahm dann den Anruf an.

„Borya?“

„Ja, мамуля[1]?“

Sie lachte ein helles, herzliches Lachen, was tief in Boris Brust ein wohliges Gefühl auslöste.

„So nennst du mich immer nur, wenn du etwas ausgefressen hast.“

„Du hast fünfmal versucht, mich zu erreichen. Ich hatte den Eindruck…“

Sie schmunzelte in den Hörer.

„Nein, глупы́ш.[2] Geht es dir gut? Ich weiß doch, es ist die Zeit im Jahr.“

„Das klingt, als wär ich ein Werwolf oder sowas.“

Boris rieb sich mit dem Ende seines Handtuchs über seinen kurzgeschorenen Sidecut und seine Augenbrauen. Aber er wusste, was sie meinte. Heute war der Todestag seiner Mutter, und er war ins Gym gegangen, um nicht so viel nachdenken zu müssen. Als Galina weiterhin schwieg, seufzte er tonlos und wanderte mit seiner Wasserflasche nach draußen, um im Hinterhof etwas mehr Ruhe zum Telefonieren zu haben.

„Ich komm klar“, meinte er, auch wenn ein brennender Klumpen in seinem Magen das Gegenteil behauptete. Dass Yuriy ihn seit drei Tagen mit Schweigen strafte, trug nicht dazu bei, dass er sich besser fühlte. Es gab keine Antworten auf Kurznachrichten, Anrufe drückte er weg – ja nicht mal eine Begrüßung im Treppenhaus saß drin!

„Möchtest du vorbeikommen?“

Boris dachte über das Angebot nach. Die kalte Schulter, die sein Bruder ihm zeigte, schmerzte heute umso mehr und der heutige Tag war vielleicht in Gesellschaft besser zu ertragen.

„Es ist ja nicht so, dass ich immer noch ‚in Trauer‘ bin…“, murmelte Boris leise in den Hörer.

Was stellte er sich auch an. Dieser Tag war wie jeder andere, nur ein dummer Tag, an dem ein dummer Unfall sein Leben schlagartig verändert hatte.

„Du darfst trotzdem traurig sein und sie vermissen.“

„Können wir das Thema wechseln? Ich bin beim Training und will gleich noch in den Ring.“

Galina seufzte mütterlich. Auch wenn sie selbst dafür gesorgt hatte, dass Boris sich mit dem Kickboxen die Aggression aus seinen Adern pusten konnte, konnte sie dem Sport nicht wirklich etwas abgewinnen. Schon gar nicht, wenn ihr Ziehsohn mit neuen Macken, blauen Flecken und Platzwunden zuhause aufgetaucht war. Sie schnalzte mit der Zunge.

„In Ordnung. Apropos Ringkampf: ich hab gemerkt, Yura ist wütend, was ist denn da schon wieder los?“

Boris machte sich instinktiv klein. Und einfach aus Gewohnheit plärrte er heraus:

"Ich hab nichts gemacht! Ich schwöre!“

Galinas Stimme war sanft, aber mit diesem untrüglichen Wissen, das Mütter eben haben, als sie antwortete:

„Irgendwie hab ich das Gefühl, dass das nicht die ganze Wahrheit ist... bist du auch wirklich ehrlich mit mir?“

Boris trat gegen einen Mülleimer und biss in sein Handtuch. Das abwartende Schweigen am anderen Ende der Leitung zeugte von jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Boris‘ Gefühlskaskaden.

Schließlich gab er nach.

„... Okay, VIELLEICHT hab ich ihm... ein Date verschafft. Aber ich verstehe nicht, was da so schlimm dran ist."

„Bist du dir denn sicher, dass er das auch wollte?“

„Na ja, er schien interessiert-“

Galina unterbrach ihn: „Hat er dich darum gebeten?“

Boris holte Luft zum Argumentieren, starrte auf das Gebüsch vor sich, an dem die ersten zarten Knospen farbig hervorkrochen, und ließ den Kopf hängen.

„Nein“, gab er kleinlaut zu.

Galina machte ein geduldiges, seiner Ehrlichkeit entgegenkommendes Geräusch. Er hörte es rascheln, vermutlich strich sie sich die Haare zurück und setzte ihre verständnisvolle Miene auf, auch wenn er sie nicht sehen konnte.

„Мишка[3]“, begann sie, und er zuckte bei dem Kosenamen zusammen, den er eigentlich liebte, weil nur sie so zu ihm sagte, „du solltest zu ihm gehen. Ich weiß, ihr seid schon groß, und hört nicht mehr auf eure alte Mutter. Aber ihr müsst doch zusammenhalten! Besonders, weil ich nicht in eurer Nähe bin und auf euch achten kann. Ihr seid doch Brüder!“

Sie seufzte bekümmert.

„Ach, jetzt mach ich mir wieder die ganze Nacht Sorgen…“

Boris biss sich auf die Lippen und kaute eine Weile darauf herum. Schließlich brummte er ergeben.

„Nein, Mama. Das brauchst du nicht. Wir kriegen das auf die Reihe.“

„Also muss ich nicht vorbeikommen und euch beiden die Ohren lang ziehen, bis ihr euch wieder vertragt? Du weißt doch, mein armes, altes Mutterherz erträgt es nicht, wenn ihr euch streitet.“

„Jetzt übertreib mal nicht“, brummte Boris und schlug mit der freien Hand sein Handtuch aus. Allein an der Art, wie sie einatmete, sah Boris ihre kleine Geste des Verdrusses vor sich, wie sie – vermutlich – erst ihre Nasenwurzel rieb und dann mit dem Zeigefinger gegen ihre linke Schläfe tippte. Er wurde kribbelig. In seiner Magengegend kniff es unangenehm. Er rollte mit den Schultern und atmete tief durch. Da riss ihn ihre Stimme aus seinen Gedanken

„Ihr solltet das in Ordnung bringen. Wirklich. Versprichst du mir das?“

Als er zulange mit einer Antwort wartete, wurde sie nachdrücklicher:

„Borya, versprichst du mir das?!“

Ein kaum verständliches Grummeln deutete sie als seine Zustimmung.

„Ich verlasse mich auf dich. Und jetzt hab Spaß beim Training.“

Sie legte auf.

Boris starrte sein Handy an. Gegen diese Ameisen unter seiner Haut und in seinem Magen musste er dringend etwas tun! Strammen Schrittes stapfte er zurück in die Trainingshalle und warf sein Telefon auf seine Tasche, griff nach seinen Handschuhen und sondierte den Raum. Sein Blick fiel auf Rick, den amerikanischen Austauschstudenten aus Wisconsin. Der Farmerjunge trug immer seinen Ghettoblaster mit sich herum und das kam Boris gerade gelegen. Mit einem Fingerzeig auf ihn und dann auf den Ring bedeutete er Rick, mit ihm zu sparren. Behände rutschte er dann zwischen den Seilen durch und hüpfte ein paar Mal auf und ab, gepaart mit ein paar schnellen Jabs. Er spürte den Boden leicht vibrieren, als Rick sich ihm gegenüber aufstellte, ein Blitzen in seinen Augen, und einem breiten Grinsen auf den Lippen. Aus den Boxen knatterte der Beat. Oh ja, das versprach ein interessanter Abend zu werden.

 

 

Boris brauchte einige Pausen auf dem Weg in den ersten Stock. Vor Rick hatte er es sich nicht anmerken lassen, aber der Landjunge hatte einige zielgenaue Treffer gelandet. Seine Sidekicks waren nicht zu unterschätzen, und es machte sich bemerkbar, dass sie in zwei unterschiedlichen Gewichtsklassen gemeldet waren. Boris rieb sich über seinen Kiefer. Da musste er gleich dringend einen Eisbeutel drauflegen.

Als er um die Ecke des Treppenhauses bog, stutzte er. Auf seiner Fußmatte stand Yuriy, an den Türrahmen gelehnt, und rollte nach einem Blick auf seine Armbanduhr genervt mit den Augen.

Für einen Moment freute Boris sich, aber dann wurde er verdrießlich, weil es ihn an ihren Streit erinnerte und er einfach nur ins Bett wollte.

Yuriy sah auf, als Boris näher kam. Er stieß sich von der Tür ab und machte Platz, damit er gleich problemlos aufschließen konnte.

„Wir müssen reden.“

Yuriys Stimme enthielt eine gewisse Schärfe. Boris sagte nichts darauf, und nahm einfach hin, dass Yuriy ihm in die Wohnung folgte. Er war nicht so gut im Reden, seine Fäuste sprachen meist für ihn. Er rieb sich über seine geröteten Fingerknöchel.

„Was du gemacht hast, war nicht okay.“

Boris ließ seinen Seesack vor seinem Kühlschrank fallen, füllte zwei Gläser mit Wasser und deutete stumm auf seine Leseecke im Fenstersims. Yuriy bevorzugte das Stehen. Boris stellte das für ihn gedachte Glas auf dem Küchentisch ab und nahm auf den gemütlichen Kissen Platz.

„Aber du hast eine positive Antwort bekommen, oder nicht?“, meinte er schließlich und drehte sein eigenes Glas in den Händen.

„Darum geht es nicht!“

Frustriert fuchtelte Yuriy mit den Händen in der Gegend herum. Er gestikulierte sehr oft wild, wenn er aufgebracht war.

„Kai war… ist neu! Er ist nett!“

Boris horchte auf.

Er?“

„Auch das ist nicht Thema dieser Diskussion!“

„Ich wollte nur helfen. Und er ist doch scheinbar drauf angesprungen… Ich verstehe das Problem nicht.“

„Wir haben Gedichte ausgetauscht! Poesie!“

„Ach, deshalb klang das so gestelzt…“

Yuriy hielt in seinem Lauf inne und funkelte ihn an.

„Du hattest kein Recht, dich da einzumischen!“

„Willst du mir weismachen, dass dich diese gekünstelten Sätze angesprochen haben?!“

„Ich mochte die Reinheit, die in seinen Worten war! Er hat sich Mühe gegeben, für mich!“

„Ja, dass es bemüht war, hab ich gesehen…“

Yuriy hatte plötzlich keine Kontrolle mehr über sich. Er sprang auf Boris zu und attackierte ihn mit einem wütenden Aufschrei und fahrigen Hieben. Er schien selbst nicht genau zu wissen, wie er Boris angreifen wollte. Sie rauften sich so eine Weile, mit steigender Frustration auf Yuriys Seite, weil Boris seine Schläge mühelos abwehrte. Da traf Yuriy plötzlich einen schon malträtierten Fleck. Boris zog scharf die Luft ein und sein Zucken sorgte dafür, dass Yuriy gegen den Tisch in seinem Rücken taumelte. Boris erster Impuls war, sich für den Schmerz zu rächen, und ihre Hände kollidierten. Mit einem Poltern landeten sie beide auf dem Boden.

Yuriy ächzte. Boris stöhnte und kniff die Augen zusammen.

„Scheiße, Mann…“

Boris verfluchte die Tatsache, dass sein geliebter Eisbeutel noch im Gefrierfach lag. Hätte er ihn mal vorhin direkt mitgenommen! Er stieß Yuriy mit dem Ellbogen in die Seite. Die Situation erinnerte ihn an ihre erste Prügelei damals in Kirow. Yuriy rempelte zurück und veranlasste Boris zu einem schmerzerfüllten Zischen. Skeptisch richtete Yuriy sich auf und musterte seinen dusseligen Bruder genau.

„Hast du es wieder übertrieben?“

„… Nein, du bist so stark geworden…“

„Ficker.“

Yuriy rappelte sich auf und ließ Boris am Boden liegen. Der Grauhaarige rieb sich seine linke Seite und atmete ein – und dreimal länger wieder auf. Das Pochen an seinen Rippen und auf Höhe seiner Nieren nahm langsam ab. Zeitgleich ließ Yuriy einen Beutel TK-Erdbeeren auf seinen Bauch fallen und hockte sich neben ihm, um den Eisbeutel an Boris‘ Kinn zu halten.

„Hier. Bin ja kein Unmensch.“

„Du hast eine komische Definition von ‚Unmensch‘…“, murrte Boris gepresst und drückte sich das Obst an seine Flanke. Sie schwiegen eine gefühlte Ewigkeit. Nur das leise Knistern der Eiskristalle durchbrach die Stille. Sie hatten sich eine sehr, sehr lange Zeit nicht mehr geprügelt. Wenn man diese Rangelei überhaupt so nennen konnte.

„Tut mir leid-“, begannen sie plötzlich beide, und mussten daraufhin wie irre kichern.

„Es tut mir leid“, setzte Yuriy sich durch, „dass ich eskaliert bin. Aber… ich fand es schön, wie es war. Und du hast mit deiner Nachricht das alles kaputt gemacht.“

Boris drehte seinen Kopf und runzelte die Stirn: „Du hast aber so hilflos und verlegen gewirkt – ich dachte ein kleiner Schubs in die richtige Richtung…“

„Aber das entscheidest nicht du, was die richtige Richtung ist.“

Yuriy seufzte ernüchtert. Ja, die Nachrichten waren unglaublich schnulzig gewesen und wirkten teilweise sehr affektiert, aber es hatte ihm gefallen. Er hätte gern noch eine Weile länger in dieser unbeholfenen Texting-Phase verweilt.

„Kai… ist ein Kommilitone von mir. Und er ist mir zu wichtig für einen belanglosen Flirt, verstehst du? Darum war deine Aktion einfach nicht ok.“

„Oh.“

Es dämmerte Boris langsam, was er angerichtet hatte.

„Aber ihr schreibt euch noch?!“, wollte er hastig und schockiert wissen.

Das entlockte Yuriy ein Lachen, das jetzt wieder so herzlich war, dass es Boris an Galina erinnerte.

„Ja, dein Eingreifen hat an sich zu einem positiven Ergebnis geführt. Und mehr werde ich dazu nicht sagen.“

Er half Boris, sich wieder in eine sitzende Position aufzurichten.

„Vertragen wir uns also wieder?“

„Ja, du Vollidiot.“

„Gut. Dann kann мамочка ja heute Nacht beruhigt schlafen.“

Yuriy nickte: „Oh ja, sie hat mir echt ein schlechtes Gewissen gemacht…“

„Dir auch?!“

„Ja“, knirschte der Rothaarige, „und dabei wollte ich dich bei ihr verpetzen, weil du so ein Trampel warst.“

Boris schnaubte und stand endlich vom Boden auf. Er feuerte die TK-Tüte mit den Erdbeeren auf seine Küchenanrichte und richtete die Anordnung seiner Stühle.

„Bleibst du heute hier…?“, fragte er dann leise, mit dem Rücken zu Yuriy, der irgendwas an seinem Vorhang machte, der sein Bett vor Blicken aus dem Rest der Wohnung schützte.

„Was denkst du denn…“

Boris drehte sich zu ihm um. Yuriy hatte sich schon auf sein Bett geworfen. Lächelnd löschte Boris das Licht.

 

 

22:29

Mama: Sonntag, 15 Uhr, obligatorisches Kuchenessen bei mir. Keine Widerrede.

 

 

 

Was soll ich sagen, dieser Junge ist Zauber pur!

Pflichtschuldig stand Boris auf der Treppe aus Schieferplatten und trat von einem Bein aufs andere. Es war früher Nachmittag, die inoffizielle, nachbarschaftlich vereinbarte Mittagsruhe war gerade vorbei. Über ihm wetzten Schwalben im Tiefflug aufgescheucht hin- und her; rechts von ihm hatten sie unter der Regenrinne ein Nest gebaut. Es war jetzt knapp eine Woche her, dass er seiner Nachbarin Frau von Landsberg seine Dienste als Gärtner versprochen hatte. Er klingelte. Es dauerte eine Weile und gerade, als er ein zweites Mal klingelte, öffnete die alte Dame die Tür.

„Entschuldigung, ich bin da für die Gartenarbeit. Passt es Ihnen?“

„Aber natürlich, kommen Sie rein. Ich zeige ihnen, wo alles steht.“

Sie ließ ihn eintreten und er folgte ihr durch einen kurzen Hausflur direkt in eine mit dunklem Eichenholz vertäfelte Küche. Die Oberflächen erinnerten ihn an die Küche seines Großvaters, sie waren genauso moosgrün, wie es in den 70ern schick gewesen war.

Im anliegenden Wohnzimmer musste er blinzeln, weil es sehr dunkel war.

„Ja, ich habe die Vorhänge zugezogen. Nachmittags steht auf meiner Terrasse immer die Sonne, dann wird es in der Stube zu heiß“, erklärte Irma von Landsberg und öffnete eine weitere Tür, die zu einem weiteren Flur zu einer Garagentür führte.

„Hier müssten Sie alles finden, wenn mein Sohn nicht irgendetwas mitgenommen hat.“

Sie drehte sich um und zeigte auf die einzelnen Gerätschaften und auf eine weitere Tür, die von der Garage, in der kein Auto stand, wieder in den Garten führte. Boris erkannte allerdings eine Zweiradmaschine unter einer Abdeckplane.

„Von Ihrem Sohn?“, fragte er neugierig und Frau von Landsberg folgte seinem Fingerzeig.

„Ach, das alte Ding. Nein, das Schätzchen ist meins, aber es steht schon sehr lange.“

Sie lachte und Boris nickte.

„Verzeihen Sie, sagen Sie mir noch einmal Ihren Namen? Er war so lang… mit K?“

„Ja. Kusznetsov. Aber… sagen Sie ruhig Boris. Wir sind doch Nachbarn.“

Er zwinkerte ihr zu und im selben Moment fluchte er innerlich darüber. Er konnte doch nicht mit seiner betagten Nachbarin flirten! Yuriy hätte ihn ausgelacht! Er hätte ihm erst gehörig die Leviten gelesen, auf wie viele Arten das falsch war – und dann hätte es ihn nie vergessen lassen.

Aber sie lachte und öffnete ihm die Hintertür, damit er den Rasenmäher hindurchschieben konnte.

„Wenn Sie etwas brauchen, Boris, dann geben Sie mir Bescheid.“

Er nickte und versicherte ihr, schon zurecht zu kommen.

Zunächst verschaffte er sich einen Überblick über den Garten. Dieser war sehr weitläufig, und es waren etwa 100m² Grünfläche. Auch war der Rasen schon sehr hochgewachsen, er war mindestens ein paar Wochen vernachlässigt worden. Kurzerhand stiefelte er zurück in die Garage, sah sich kurz um und nahm zwei Gartenabfallsäcke mit. Die würde er sicher brauchen. Und er müsste wenigstens einmal zum Gartenabfallplatz, wenn er sich die Sache recht besah. Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm allerdings, dass er sich dann doch sputen musste, da dieser in knapp anderthalb Stunden zumachte. Behände füllte er etwas Benzin aus dem 5-Liter-Kanister in den Tank und stellte die Messerhöhe auf die vorletzte Stufe. Nach einem prüfenden Blick zog er den Seilzugstarter. Leider röchelte der Motor die ersten drei Male nur traurig. Boris brummte und fummelte ein wenig an ein paar Schrauben herum, stellte den Geschwindigkeitsregler auf Stufe Schildkröte und drückte den Schieber des Motors etwas energischer in die Einraststellung. Er startete einen weiteren Versuch mit dem Seilzugstarter – und oh Wunder – der Motor schnurrte auf wie eine Flugzeugturbine. Gleichzeitig setzte sich die Maschine in Bewegung, da sie über einen eingebauten Vorwärtsgang verfügte, der das Schieben erleichtern sollte. Boris war nicht auf den Kopf gefallen, aber wann hatte er das letzte Mal Gartenarbeit machen müssen? Mit Blick auf die Uhr umfasste er den Griff entschlossen, schob den Geschwindigkeitsregler Richtung Stufe Hase – diese Tiere waren tatsächlich auf der Querlanze eingraviert, damit die Geschwindigkeitsstufen ohne Worte kinderleicht verständlich waren – und schon düste er los.

Er schaffte etwa die Hälfte der Grünfläche und hatte bereits beide Abfallsäcke bis zur Oberkante befüllt. Also beschloss er, diese bereits wegzubringen.

„Frau von Landsberg?!“, rief er von der Terrasse in die Stube hinein. Mit seinen dreckigen Schuhen würde er sich hüten, das Haus zu betreten. Galina hatte ihm Manieren beigebracht.

„Ich bringe den Gartenabfall weg, bin aber sofort wieder da!“

„Nein, was ein Service! Danach machen Sie mir aber eine Pause, ja? Sonst kriegen Sie noch einen Hitzschlag!“

In der Tat war es heute unnatürlich warm im Vergleich zum Rest der Woche. Aber der Juni stand auch kurz vor der Tür. Boris bejahte ihren Vorschlag artig und machte sich mit einer Schubkarre und den beiden Säcken darin auf den Weg. Das war ein weiterer Vorteil ihres Spießerviertels, wie er es immer benannte: Solche Orte wie Gartenabfallsammelplätze waren fußläufig zu erreichen. Und es dauerte auch nicht lange, seinen Müll loszuwerden. Er wischte sich über die verschwitzte Stirn. Ziemlich viele Menschen hatten heute die gleiche Idee wie er. Er grüßte einen entfernt bekannten Nachbarn von der anderen Straßenseite und machte sich auf den Rückweg, indem er die Schubkarre hinter sich herzog.

Im Garten wieder angekommen, wollte er sich sofort wieder an die Arbeit machen, aber Frau von Landsberg hielt ihn auf und nötigte ihn, sich kurz auf einen der weißen Gartenstühle aus Plastik zu setzen, um kurz zu verschnaufen.

„Frau von Landsberg, das ist wirklich nicht nötig…“, versuchte er abzuwehren, aber sie goss ihm sprudelndes Wasser in ein Glas und schnitt ihm das Wort ab.

„Sie müssen am Verdursten sein. Und: Irma.“

Brav bedankte er sich und nahm sich das Wasser. Da schob sie ihm einen Teller mit einem Stück Rhabarberkuchen herüber. ER hatte sogar Puderzucker und einen Klecks Sahne auf den Streuseln.

„Frau von Landsberg…“

„Irma!“

„Frau Irma-“

„Na dran.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Irgendwas hatte die alte Frau an sich, dass er nicht Nein sagen konnte.

„Sie verwöhnen mich. Dabei hab ich noch nicht mal meine Schuld eingelöst.“

„Kuchen geht immer. Außerdem hat Rhabarber viel Vitamin C, also ist es gesund und gibt Kraft. Essen Sie!“

„Sie reden wie meine Mutter… Die hat mich und meinen Bruder auch zum Kuchenessen morgen eingeladen. Ich werde noch zunehmen…“

Fast spöttisch wanderte eine Augenbraue von Irma von Landsberg in die Höhe, während sie Boris zusah, wie er seinen Kuchen aß.

„Das werden Sie sicher heute noch allein in meinem Garten abtrainieren, denke ich.“

„Da könnten Sie Recht haben.“

Boris trank einen großen Schluck Wasser, nachdem er seinen Kuchen verspeist hatte. Das hatte doch gut getan, er hatte heute kein Mittag gehabt. Er bedankte sich für die Mahlzeit und nahm seine Arbeit wieder auf.

Obwohl der Rasenmäher vor seinem Ausflug gut geschnurrt hatte, stotterte der Motor jetzt. Boris beeilte sich und schob das Gerät schneller über das Gras. Doch als er den ersten Auffangkorb entleert hatte, wollte der Motor gar nicht mehr anspringen. Ratlos starrte Boris ein paar Minuten auf die Maschine, dann zückte er sein Handy, um Google zu befragen. Nachdem er sich informiert hatte, kehrte er zurück zur Terrasse und rief erneut nach seiner Nachbarin, um ihr von dem Problem zu berichten.

„Ich müsste mir das ansehen, das sollte nicht so schwer sein, aber ich bin halt auch kein Experte. Wenn Sie das nicht wollen, kann ich Ihren Rasenmäher auch zur Reparatur bringen. Ich würds Ihnen dann auch bezahlen, weil… wegen der Umstände, die Sie meinetwegen hatten.“

Die Augen der älteren Dame funkelten verschmitzt auf: „Nun, es waren keine unangenehmen Umstände…“

Sie zwinkerte ihm schalkhaft zu und Boris bekam heiße Ohren. Er war aber auch selbst schuld…

„Trauen Sie sich denn zu, es selbst zu tun?“

„Nun ja… Es scheint nicht so schwer zu sein. Meinem Opa bin ich früher auch zur Hand gegangen… Allerdings ist das schon eine Zeit her…“

Er rieb sich nachdenklich den Nacken.

„Ich würde es gern ausprobieren, wenn ich darf, weil mich das interessiert…“

„Dann tun Sie das. Ich sehe schon, dass Sie gerne mit den Händen arbeiten. Aber seien Sie vorsichtig und verletzen Sie sich nicht.“

Irma von Landsberg begleitete ihn in die Garage und zeigte auf die Werkbank.

„Sie müssten hier alles finden, was Sie brauchen. Ich kann Ihnen beim Zusammenstellen helfen.“

Gemeinsam öffneten sie Schubladen, sahen in alten Malereimern nach und Boris konnte sie gerade noch davon abhalten, den schweren, blauen Werkzeugkoffer aus der hinterletzten Ecke hervorzuziehen.

„Ich stelle Ihnen etwas zu Trinken nach draußen, bedienen Sie sich.“

„Danke.“

Mit einer Drahtbürste und dem Werkzeugkoffer bewaffnet, kniete Boris sich neben den Rasenmäher. Er hatte zum Glück auch einen Steckschlüssel gefunden, um die Zündkerze, die vielleicht das Problem war, zu entfernen. Er wollte sie mit der Drahtbürste reinigen, in der Hoffnung, dass der Rasenmäher danach wieder ansprang.

 

Währenddessen hatte es geklingelt und Frau von Landsberg bekam weiteren Besuch.

„Hiromi! Wie schön, dich zu sehen!“

„Ich sag dir, das war ein Tag! Hallo Oma!“

Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und zielstrebig ging die junge Frau in die Küche, um einen Tee aufzusetzen.

„Kommst du direkt von der Arbeit, Liebes?“

„Ja. Ernsthaft, ich hasse arbeiten. Mandanten sind so dumm!“

Irma von Landsberg kannte das schon. Wann immer ihre Enkelin in der Nähe war, kam sie vorbei, um nach ihr zu sehen und dann erzählte sie ihr von dem turbulenten Treiben in der Kanzlei, in der sie arbeitete. In den meisten Fällen musste sie einfach nur Schimpftiraden über ihre Kollegen, meistens aber über Klienten loslassen. Und wer schon mal mit Menschen arbeiten musste, konnte das nachvollziehen.

Während Hiromi redete, suchte sie die Teetassen heraus. Ihre Großmutter ergänzte das Tablett um Kuchengedeck.

„Ich meine, da fasst du dir wirklich an den Kopf, was die meinen! ‚Oh, die haben nen Mahn-und Vollstreckungsbescheid gegen mich erwirkt, das muss ich doch nicht zahlen oder?‘

Sie schnaubte verächtlich und goss das kochende Wasser auf die Teebeutel in der Kanne.

„Nö, kein Problem, die paar hundert Euro erlassen wir dir natürlich, weil du so nett fragst, schreiend und mit Beleidigungen.“

Sie verdrehte die Augen und trug das Tablett selbstverständlich nach draußen auf die Terrasse. Irma tat ihr ein Stück Kuchen auf und goss Tee in ihre Tassen.

„Ich meinte dann zu dem Mandanten, ich würde mir das ganz sauber überlegen, wir können daraus direkt vollstrecken. Ob ich denn blöd wäre. Nein, danke fürs Gespräch, einen schönen Abend noch.“

Sie steckte  sich eine große Gabel Kuchen in den Mund und redete munter drauf los, ohne vorher zu Ende gekaut zu haben.

„Der rief dann wieder an, hatte meine Refa am Ohr. Dr. Gerlach – der nicht sein Anwalt ist! – hätte ihm gesagt, er müsse das nicht zahlen. Und meine Refa ist alles andere als dumm, und hat ihn direkt zu mir durchgestellt. Ich hab ihm dann ganz ruhig erklärt, dass er nicht meinen muss, dass er uns verarschen kann; er könne kulanterweise weiter Raten zahlen, oder ich hetze ihm den Gerichtsvollzieher auf den Hals, seine Wahl.“

Sie zuckte mit den Schultern stopfte sich zwei weitere Bissen in den Mund. Diesmal schluckte sie erst hinunter, bevor sie weitersprach.

„Darauf wollte er seinen Anwalt sprechen, ich erklärte wiederum, dass ich in seinem Namen tätig bin und weil mir der Fall übertragen wurde, er an mir nicht vorbeikommen wird. Da wurde er beleidigend. Ich habe aufgelegt.“

Hiromi lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und genoss den Tee in der Sonne.

„Und dann?“, fragte Irma interessiert.

„Zwanzig Minuten später stand er vor der Tür. Da steht er vermutlich immer noch. Und da kann er stehen, bis er schwarz wird. Ist mir scheißegal.“

Irma schüttelte den Kopf.

„Hättest du da nicht die Polizei rufen können? Wegen Belagerung oder Belästigung?“

„Ich fühlte mich nicht belästigt. Eher belustigt.“

„Du hast immer mit so leidigen Personen zu tun… War das einer, der euch verlassen hat, und ihr als Kanzlei noch Ansprüche?“

„Nein, der hat monatelang brav Raten gezahlt. Dann hatte er wohl keine Lust mehr, und nachdem mehrere Mahnungen im Sande verliefen, haben wir Mahnbescheid beantragt. Keine Reaktion, also haben wir den Vollstreckungsbescheid beantragt, da hat er dann wieder gezahlt. Jetzt ist er der Meinung, er habe schon überzahlt und ist fertig. Stehen aber noch die Kosten für die Maßnahme an, die er ja sich selbst eingebrockt hat.“

Sie seufzte.

„Manchmal hasse ich Menschen…“

„Hiromi, sei doch nicht so bitter!“, lachte Irma. „Es wäre nur halb so lustig ohne die ganzen Idioten.“

„Wenn die wenigsten nur sich selbst auf die Nerven gehen würden und nicht mir…“

In dem Moment röhrte der Rasenmäher laut auf, begleitet von einem Jubelschrei, und puffte dreimal wie Pistolenschüsse. Hiromi riss ihren Kopf entsetzt herum und sprang erschrocken halb aus ihrem Stuhl auf.

„Wer ist in deinem Garten?!“

Sie konnte nicht viel erkennen, weil von ihrem jetzigen Standpunkt hohe Rhododendronbüsche die Sicht versperrten.

„Das ist mein Nachbar. Er hilft mir mit dem Garten.“

Just in dem Moment kam Boris mit dem wieder funktionstüchtigen Rasenmäher um die Ecke gefahren. Er hatte sich sein T-Shirt ausgezogen, weil ihm zu warm geworden war. Sein helles Tanktop war von Ölspritzern übersäht.

„Er läuft wieder!“, schrie er über das Motorengeräusch hinweg und rief dann eine kurze Begrüßung in Richtung Hiromi, bevor er sich dem restlichen Rasen widmete.

Hiromi sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Sie blinzelte mehrmals.

„Wie bist du denn an den gekommen?!“

„Ehrlich gesagt war das eine sehr lustige Geschichte. Er lag einfach eines Morgens nackt in meinem Garten. Und Wiedergutmachung für sein widerrechtliches Betreten habe ich mit ihm ausgehandelt, dass er das tut, was dein Vater mir schon seit Wochen versprochen hat.“

„Aber-! Oma! Du kannst doch nicht irgendwelche wildfremden – und vor allem nackte! – Leute aufsammeln!“

Hiromi starrte ihre Großmutter fassungslos an.

„Also, zu deiner Information hat er sich selbst aufgesammelt und mir löblicherweise sogar die Decke gewaschen, die ich ihm geliehen hatte. Außerdem sind wir Nachbarn. Der Junge ist in Ordnung.“

Völlig gelassen und unbeeindruckt von der sprachlosen, aber wilden Gestik ihrer Enkelin trank Irma ihren Tee aus.

„Du kennst ihn doch gar nicht!“

„Nun, hätte dein Vater sein Versprechen gehalten, hätte ich Boris‘ Hilfe nicht gebraucht. Und jetzt erzähl mir nicht, dass du das gemacht hättest. Ich weiß doch, wie es um deine Zeit steht.“

Hiromi spürte den Stich in ihrer Brust. Auch wenn Irma es ihre wirklich nicht übelnahm – sie hätte sich Zeit nehmen können, aber es kam immer irgendwas dazwischen; meistens Arbeit.

„Wie geht es deinem Vater eigentlich?“, wechselte Irma das Thema.

„Er hat gestern Mittag nach seinen Meetings Mama getroffen und beide wollten morgen dann Sobo[1] und Sofu[2] treffen. Ich hab gestern noch mit ihnen telefoniert.“

Irma nickte. Ihr Sohn war schon immer ein Lebemann gewesen und berufsbedingt viel gereist. Und auf einen dieser Geschäftsreisen hatte er seine Frau kennen gelernt. Ausgerechnet in Japan. Das war so weit weg…

Ihre Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, als Boris wieder auftauchte.

„Frau Irma, ich bin fertig. Leider hat der Gartenabfallplatz schon zu, aber ich kann am Mittwoch versuchen, den Rasenschnitt für Sie loszuwerden.“

Sein Blick glitt zu Hiromi.

„Vielen Dank, das wäre mir eine große Hilfe. … Das ist meine Enkelin.“

„Hi…“

„Tachibana Hiromi. Ich hoffe sehr, Sie glauben nicht, meine Oma sei eine hilflose alte Frau, die Sie übers Ohr hauen können!“, entgegnete sie feindselig und musterte Boris abschätzig. Ihr Blick blieb an seiner tätowierten Schulter hängen.

„Wow, okay. Es handelt sich hier um einen simplen, nachbarschaftlichen Gefallen.“

Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder an seine freundlichere Nachbarin.

„Ich habe die Zündkerze gereinigt, jetzt müsste alles wieder rundlaufen.“

Er verabschiedete sich, räumte – unter den Argusaugen von Hiromi – alle Arbeitsgeräte wieder an ihre angestammten Plätze und verließ mit einem letzten Dank für den Kuchen das Grundstück.

„Du hättest nicht so schroff zu ihm sein müssen!“, meinte Irma tadelnd an ihre Enkelin gewandt.

„Oma! Du wirst mir noch dankbar sein! Du bist prädestiniert für den Enkeltrick!“

Irma wirkte beleidigt. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

„Wenn du zu allen Männern so frech bist, kriegst du nie einen ab.“

Hiromi rollte mit den Augen. Sie wusste, ihre Oma meinte es nicht so; sie wusste aber auch, dass ihre Oma sich einen Lebenspartner für ihre Enkeltochter wünschte.

„Das ist auch nicht Ziel in meinem Leben. Und jetzt komm mit, ich richtige dir Skype ein, dann kannst du heute Abend noch mit Papa einen Videoanruf starten.

 

Auch eine kaputte Uhr fängt zweimal am Tag den fettesten Wurm

„Hast du auch was gehört?“

Das leise Wispern strich über seine feuchten Lippen und sandte einen Schauer seine Wirbelsäule hinab.

„Nein… Mach weiter, wo du aufgehört hast…“, murmelte Yuriy und zog ihn wieder auf seinen Schoß und damit näher zu sich.

 

 

„Sag mal, hast du auch Post vom Vermieter bekommen?“

Ohne Vorwarnung schwang Yuriys Wohnungstür auf und Boris redete sofort drauf los. Mit schwungvollen Schritten marschierte er auf die Küchenzeile zu, während er auf den Brief in seiner Hand starrte, den er bereits im Treppenhaus geöffnet hatte. Nur im Augenwinkel nahm er eine plötzliche Bewegung und leises Rascheln wahr; beidem schenkte er aber nicht viel Aufmerksamkeit. Mit der freien Hand öffnete er den Kühlschrank und nahm sich fast schon blind eine Cola heraus.

„Ich soll 420 Euro nachzahlen. Für ein Ein-Zimmer-Appartement! Die haben ja wohl den Schuss nicht ge-“

Boris sah nun endlich auf und zum Sofa herüber.

„-hört?“

Leicht irritiert blickte er von Yuriy zu… einem Unbekannten mit asiatischen Zügen. Die beiden saßen am jeweils anderen Ende der Couch, eine verdächtig wirkende Entfernung.

„Äh… Ja. Ja, hab ich, ich musste aber nicht… Also wegen der Nackt- äh, Nachzahlung… äh, nachzahlen…“, faselte Yuriy. Er klang ziemlich atemlos.

Boris schüttelte den Kopf und ging die Zeilen auf dem Papier erneut durch. Yuriy stopfte sich rasch ein Kissen auf den Schoß.

„Da brauch ich ja einen Drittjob. Zum Teufel, die Miete wollen die deshalb auch anheben!“

„Also… Mama kann…“

„Ich werde Galina nicht bitten, sie hat schon zu viel…“

Er hielt inne, weil er beobachtete, wie der ihm Unbekannte sich durchs Haar fuhr und Yuriy sich ein paar Strähnen hinter das linke Ohr strich. Das war ein eindeutiger Verlegenheitsmove.

„Und wer ist DAS überhaupt?“

Yuriy knurrte und stieß ein stummes Gebet – oder so – aus.

„Darf ich vorstellen? Das ist Kai. Kai, das ist Boris.“

Noch immer hatte er seinen Atem nicht ganz unter Kontrolle. Boris kniff die Augen zusammen und musterte Kai skeptisch. Dann fiel es ihm wieder ein.

„Oh. Ohhhhhhhh, DER Kai?! Ich hoffe, ich hab euch nicht… bei irgendwas gestört?!“

Seine anfänglich ehrlich bestürzte Miene wich einem breiten Grinsen.

„Yuriy, wer IST das?“, fragte Kai nun seinerseits irritiert und klang sogar leicht genervt.

Schwer seufzend warf Yuriy ihm einen entschuldigen Blick zu.

„Mein Bruder.“

„… Ihr seht euch aber nicht besonders ähnlich.“

„Das erklär ich dir ein anderes Mal. Und JA, Borya, du störst! Wenn du also so freundlich wärst…!“

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob ich deine Badewanne benutzen kann. Wie du siehst, bin ich voller Öl – und meine Wasserrechnung…“

„Geh weg!“

Boris flog ein Kissen ins Gesicht. Gackernd trat er aber tatsächlich den Rückzug an.

 

 

19:34

Boris: Sorry fürs Cockblocken. Tu nichts, was ich nicht auch tun würde!

 

19:36

Yura: Ich werde deinen Namen ändern. Und jetzt hör auf zu nerven! Und KLOPF AN, bevor du zu mir reingestürmt kommst!

 

19:37

Cockblock: Aber bitte nicht so laut ja?

 

19:38

Cockblock: Die Wände sind dünn, das weißt du.

 

19:39

Cockblock: Und was meinst du mit Namen ändern?

 

19:42

Cockblock: Na schön. Bin ja schon still. Habt Spaß!

 

19:52

Cockblock: PS: Ich hab ein paar Kondome an deine Tür geklebt, nur zur Sicherheit. Stay safe! ;-)

 

 

Er hörte die Tür aufgehen, ein Fluchen und das Geräusch, das Klebefilm machte, wenn man es von einer Oberfläche abzog. Dann vibrierte sein Handy endlich wieder.

 

 

19:59

Yura: Sei endlich still!

 

20:01

Yura: Trotzdem danke.

 

 

Boris grinste sein Handy an. Er freute sich für seinen Bruder. Auch wenn er tatsächlich gerne seine Badewanne benutzt hätte… Er pfefferte sein Top in den Wäschekorb und begnügte sich mit seiner eigenen Dusche. Morgen waren sie bei Galina eingeladen, da wollte er saubere Fingernägel haben.

Nach seiner gründlichen Körperreinigung setzte er sich an den Tisch und ging den Brief seiner Vermieter noch einmal sorgfältig durch. Dann rechnete er: Mit dem Bufdi-Taschengeld von knapp 400 Euro hatte er die Miete nicht bezahlen können. Deshalb arbeitete er meist mittwochs, donnerstags und samstags in der „Villa Winkel“ als Kellner bzw. Barkeeper für etwas mehr als den Mindestlohn. Er kam auf sechs oder acht Stunden pro Abend, je nachdem, ob er schon vorher für „schwere“ Arbeit wie Fässer anschließen oder Kisten schleppen gebraucht wurde. Der Job war easy für ihn, er bot Flexibilität und förderte seine eh schon sehr ausgeprägte Stressresistenz. Außerdem sagten ihm auch die durchaus häufigen Flirtchancen zu. Finanziell hatten also die soziale Arbeit und das Kellnern ihn bisher über Wasser gehalten, da er auch recht sparsam war. Er brauchte nicht viel. Aber selbst wenn er diesen und den nächsten Monat auf Alkohol und andere außergewöhnliche Ausgaben verzichtete, konnte er die Nachzahlung nicht berappen. Die Auflistung mit seinen monatlichen Ausgaben frustrierte ihn. Und dabei gab er nun wirklich schon nur das Minimum aus. Auf seine Mitgliedschaft im Boxverein wollte er nicht verzichten. Und die Raten für sein letztes Tattoo waren auch noch lange nicht abbezahlt…

Seufzend zog er die Wochenzeitung zu sich heran und schlug den Teil mit den Stellenanzeigen auf. Ihm stach sofort ein Inserat als Türsteher für das „eclipse“ ins Auge, einem kleinen Club in der Innenstadt und beliebter Studententreffpunkt. Die Bezahlung war gut, und vorstellen konnte er sich das auch. Nur… je länger er darüber nachdachte, desto unliebsamer wurde ihm die Idee. Dann müsste er noch Jura-Schnöseln den Eintritt verweigern, weil sie noch keine 21 waren, oder er traf auf bekannte Gesichter aus seiner Bufdi-Familie, Eltern, Geschwister… Die Stadt war klein.

Boris seufzte erneut und nahm einen Textmarker zur Hand. Er kringelte die zwei vielversprechendsten Anzeigen an – ein Gesuch für eine Putzhilfe für 3-4 Stunden wöchentlich für einen Zwei-Personenhaushalt in der Nähe, und ein Angebot für Teilzeit oder 450€-Basis als Mitarbeiter im Verkauf. Was auch immer dort verkauft wurde. Gähnend streckte er sich. Sollten die beiden Stellen nichts sein, würde er sich die Na dann holen. Dort gab es Stellenanzeigen en masse. Mit Sicherheit würde er dort fündig werden.

Nach einem letzten, grantigen Blick auf den Nachzahlungsbescheid stand er auf, stellte sich einen Wecker und eine Erinnerung, dass er morgen dran war, die Blumen für den morgigen Besuch bei Galina zu besorgen. Er dehnte seine Nackenmuskeln, bis es knackte, öffnete das Fenster in der Küche und ließ sich anschließend erschöpft auf sein Bett fallen.

„Scheiß Nachzahlung…“

 

 

Yuriy starrte auf den Strauß in seinem Schoß. Er saß auf dem Beifahrersitz, während Boris die knapp vierzig Minuten zu ihnen nach Hause fuhr.

„Du hast schöne Blumen ausgesucht.“

Boris brummte. In Gedanken überschlug er verschiedene Rechnungen und dachte darüber nach, was er sonst noch nebenberuflich machen könnte. Yuriy knibbelte an einem Aufkleber auf dem Plastik.

„Hör mal…“, begann er etwas nervös, „das mit Kai… ich fänd’s gut wenn… Ich möchte das Mama gern selbst sagen. Also… wenn der richtige Zeitpunkt… du weißt schon…“

Boris brummte erneut.

„Ich mein, vielleicht denkt sie sich auch schon längst ihren Teil, aber es auszusprechen…“

Yuriy schwieg eine Weile.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

Boris sah kurz zur Seite und sie wechselten einen Blick.

„Natürlich. Ich oute dich nicht.“

Yuriys Blick lag lange auf seinem Bruder. Normalerweise hätte dieser die komplette Autofahrt versucht, ihn in Verlegenheit zu bringen und kompromittierende Auskünfte der letzten Nacht verlangt. Ihn musste also etwas anderes schwer beschäftigen.

„Worüber grübelst du?“

„Ich brauch Kohle. Und das schnell.“

„Wenn du Mama fragst, wird sie sicher helfen. Es ist ja jetzt nicht so, dass du Schuld daran bist. Nachzahlungen kommen vor.“

„Aber nicht in der Höhe. Vielleicht hab ich zu lange das Wasser laufen lassen oder… was weiß ich.“

Boris bog in die vertraute Wohngegend ihrer Jugend ein.

„Und, falls du das gestern nicht mitgekriegt hast, weil dein Verstand in deinem Schwanz war-“

„Sei nicht immer so vulgär!“

„… sage ich es dir noch einmal: Ich möchte sie nicht fragen. Galina hat schon zu viel für mich getan, ich will sie nicht noch damit belasten. Also… sei auch du bitte still darüber, ja?“

Er parkte sein Auto, dass sie sich teilten, aber auf seinem Namen lief, in der Einfahrt. Abwartend sah er Yuriy dann an. Dieser seufzte.

„Versprochen. Bruderehrenwort.“

Sie verhakten ihre Finger kurz, bevor Yuriy sich umständlich aus seinem Sitz schälte, um die Blumen nicht zu zerquetschen. Boris schrieb noch eine kurze SMS, ehe auch er ausstieg.

Galina erwartete sie bereits in der Haustür. Ihre Hände waren in die Hüften gestemmt und sie belegte ihre beiden Jungen mit einem strengen Blick. Boris schluckte. Er schlug die Tür zu und verschloss den Wagen, hastete anschließend um die Motorhaube herum, um sich etwas hinter Yuriy zu verstecken. Wenn sie schon ihren Zorn abkriegten, dann wenigstens zusammen. Und sie sah schon etwas zornig aus.

Sie folgten ihrer Mutter durch den kurzen Hausflur in die Wohnung, wo sie erst mal ihre Schuhe auszogen. Galina Ivanov wohnte im Erdgeschoss eines Vierparteienhauses. Sie hatte einen kleinen Garten mit Terrasse. Der Balkon über ihr bot sogar genug Schatten, um in der Mittagssonne dort Siesta zu halten. Hier hatten Yuriy und Boris zwei kleine, aber sehr gemütliche Zimmer gehabt. Aus einem hatte sie jetzt einen Hobbyraum gemacht, in dem sie nähte. Das etwas größere, das Yuriys Zimmer gewesen war, hatte sie zum Gästezimmer gemacht. Die alten Jugendbetten in 90er-Breite standen dort. Manchmal übernachteten ihre Jungs noch dort, mal allein, mal beide zusammen. Ein paar alte Erinnerungsstücke ihre Kindheit standen dort auch immer noch im Regal.

Als sie im Wohnzimmer angekommen waren, blieb ihre Mutter stehen und drehte sich schwungvoll zu ihnen um.

Yuriy wechselte einen kurzen Blick mit Boris, da bekamen sie beide einen leichten Klaps in den Nacken.

„Ihr sollt euch nicht immer streiten!“, schimpfte Galina endlich los. Schuldbewusst und betreten sahen beide Delinquenten auf den Boden.

„Und sagt mir nicht ‚Kommt nicht wieder vor, Mama!‘, denn das kann ich nicht glauben! Immer muss ich mich aufregen. Immer muss ich mir Sorgen machen!“

Boris stieß Yuriy mit dem Ellbogen in die Hüfte und nickte in ihre Richtung. Yuriy hielt seine Blumen höher, einer Opfergabe gleich.

„Wir… Wir haben Blumen mitgebracht?!“

Galina nahm die Blumen, betrachtete sie eindringlich; aber letztlich zog sie erst Yuriy, dann Boris in eine liebevolle Umarmung und küsste ihnen beiden die Stirn.

„Versprecht ihr mir denn wenigstens, dass ihr demnächst alleine darauf kommt, euch zu vertragen, ohne dass ich euch erinnern muss? Ihr müsst das irgendwann selbstständig können, ich werde euch nicht für immer erinnern können.“

„Mama, sei doch nicht immer so düster…“

Yuriy verdrehte seine Augen ob ihrer melodramatischen Tendenz. Boris mochte es auch nicht so gerne, wenn sie so sprach, denn manchmal genügte nur ein unachtsamer Moment eines anderen…

„Du wirst uns sicher noch bis ins hohe Alter triezen.“

„Yurotschka, du wackelst gehörig am Ohrfeigenbaum, mein Lieber!“, warnte Galina ihren Sohn und kehrte ihm den Rücken, um die Blumen in eine Vase zu stellen, damit Yuriy sie anschließend auf dem Gartentisch auf der Terrasse stellen konnte.

Aus den Augenwinkeln nahm Yuriy dabei wahr, wie Boris sein Handy eingehend studierte und selbst etwas eintippte.

 

 

15:07

Lai Chou (Trainertüp): Jo, Angebot steht noch. 75, wenn du verlierst. 125, wenn du gewinnst.

 

Boris K.: Mehr nich? Hab von besseren Geboten gehört.

 

Lai Chou (Trainertüp): Bist halt nicht A-Klasse. Da kannste ab 300 machen, aber du musst erst über B-Klasse einsteigen.

 

 

„Мишка, kommst du raus? Und Handy weg bei Tisch!“

Hinter Galina feixte Yuriy wegen des Kosenamens von einem Ohr zum anderen.

„Ja, sofort! Bin gleich da!“

 

 

15:10

Boris K.: 125 ist schon recht wenig.

 

Lai Chou (Trainertüp): Ich schau mal, was ich noch rausholen kann.

 

 

Boris steckte sein Handy in seine Hosentasche und trat auf die sonnengewärmten Steinplatten hinaus. Galina goss ihnen Kaffee ein und Yuriy half beim Anschneiden der Medovnik.

„Nächstes Mal gibt es Erdbeerkuchen, aber ich dachte ich mach was mit Honig – denn Honig klebt und hält zusammen, was zusammen gehört“, erklärte Galina mit einem Schwenk ihres Kaffeelöffels.

Boris tröpfelte etwas Sahne in seine Tasse, Yuriy trank ihn schwarz.

„Poetisch, мамуля.“

Galina hielt inne und sah ihn an, bereit, ihm auf den Zahn zu fühlen.

„Was hast du ausgefressen, junger Mann?!“

Wie ertappt sah Boris auf und gab sich selbst einen mentalen Bitchslap. Noch hatte er gar nichts angestellt, aber sein schlechtes Gewissen sprach wohl für sich. Genau in diesem Moment spürte er sein Handy auf seinem Oberschenkel vibrieren, als wollte es sein schlechtes Gewissen nur bestätigen. Hilfesuchend sah er zu Yuriy. Dieser vermutete fälschlicherweise, dass es um das Hüten seines Geheimnisses ging, was Boris ihm ja versprochen hatte.

„Mama, weißt du eigentlich, dass wir… äh, eine sehr nette Nachbarin haben?!“

„Was?“, kam es von Boris und Galina gleichzeitig, wobei Boris‘ eher nach einem „Bist du bescheuert!?“ klang.

„Ja. So ein altes Mütterchen von nebenan. Du weißt schon, die hinter der Rhododendronhecke. Aber das kann Boris dir sicher besser erzählen, der war gestern da.“

„So? Wie kommt es dazu, dass du dich bei alten Damen herumtreibst?“

Boris warf Yuriy einen „Na schönen Dank auch!“-Blick zu, denn wie sollte er erklären, dass er aufgrund einer Verkettung ihm unkenntlicher Ereignisse rein zufällig dort in Irma von Landbergs Garten gelandet war?

„… Das war in der Tat etwas skurril. Sie brauchte Hilfe beim Rasenmähen. Ihr Sohn lässt sie wohl häufig im Stich… Und neulich war ich am Postkasten, da hat sie mich einfach angesprochen.“

Er log ja nicht, er bog die Wahrheit nur ein bisschen.

„Und da hast du ihr ausgeholfen? Für ein Mal?“

„Ja, denk schon. Frau Irma ist ganz nett, aber sie hat eine wirklich furchtbare Enkeltochter.“

„So? Wieso das?“

„Die ist voll ausgetickt, als sie mich im Garten gesehen hat. Die hielt mich wohl für einen Kriminellen.“

Boris schüttelte den Kopf und probierte seinen Kuchen.

„Oh, und Frau Irma macht sehr leckeren Rhabarberkuchen!“

Galina legte den Kopf schief, ihre Augen verengten sich. Fast schon sah sie eifersüchtig aus.

„Wie bitte?“

Yuriy lachte auf und legte eine Hand beschwichtigend auf den Unterarm seiner Mutter. Daraufhin wandte sie sich ihm zu: „Yura! Hörst du, was dein Bruder sagt? Stundenlang steh ich in der Küche, und er isst meinen Kuchen – und lobt den einer anderen Frau!“

„Mama…“, erklang es unisono von beiden jungen Männern und sie seufzten sogar synchron.

Galina kniff die Augen zusammen und fokussierte Bryan damit eine Zeit lang. Aber allen war bewusst, dass sie nur herumalberte.

„Was gibt es denn sonst Neues? Yura, Boris hat gesagt, bei dem Streit ging es um ein Date. Ist da was bei rumgekommen?“

Boris verschluckte sich an seinem Kuchen und Yuriy wechselte mit ihm nun einen „Spinnst du?“-Blick. Das mit den Blicken hatten sie wirklich untereinander perfektioniert. Abwehrend hob Boris die Hände und entschuldigte sich für eine Toilettenpause.

 

 

16:22

Lai Chou (Trainertüp): Ich kann 150 bei Sieg fix. Vllt etwas mehr, je nach Zuschauerstrom und Umsatz bei den Wetten. Bist du dabei?

 

16:31

Lai Chou (Trainertüp): Entscheide schnell.

 

 

Das war ein verlockendes Angebot. Er war gut im Training. Vielleicht konnte er sich auch schnell hocharbeiten, um in die A-Klasse zu kommen? Er hatte drei Monate Zeit, die Nachzahlung zu überweisen. Alle drei Wochen einen Kampf – vorausgesetzt, er gewann auch – dann hatte er zumindest die Nachzahlung wieder raus. Langfristig musste er aber doch wegen der Mieterhöhung etwas unternehmen.

Nachdenklicher als vorher kehrte Boris zu seiner Familie zurück.

„Wirklich? Das freut mich für dich.“

Boris horchte auf. Hatte Yuriy ihr schon alles erzählt?

„Jetzt muss ich nur noch abwarten, ich bin etwas nervös. Ab morgen werden die Ergebnisse der Prüfungen veröffentlicht. Ich ruf dich sofort an, wenn ich weiß, ob ich bestanden hab.“

„Du rufst in jedem Fall an, auch wenn du nicht bestanden hast. Hörst du!“

Lächelnd setzte Boris sich dazu: „Ich sorge dafür, dass er anruft, falls er das vergessen sollte.“

„Ich habe wirklich sehr liebe Jungs“, bestätigte Galina sich selbst, während sie sich erhob. „Nur wollen sie mich leider viel zu oft vom Gegenteil überzeugen.“

 

 

Als sie sich am späten Abend verabschiedeten, bis Oberkante-Unterlippe vollgestopft und vollgefressen, und mit mehr Proviant bepackt als sie in den nächsten zwei Tagen verdrücken könnten, war Boris‘ Entscheidung gefallen.

 

 

20:31

Boris K.: Bin dabei.

 

 

Yuriy winkte ein letztes Mal, bevor er die Tür zuschlug. Boris warf sein Handy in die Ablage in der Mittelkonsole und setzte zurück, um Galina auch noch einmal zu winken.

„Ich glaub, ich brauche eine Woche kein Essen, so voll bin ich…“, meinte der Rothaarige und drehte am Sendersuchlauf für das Radio.

Das Display von Boris‘ Handy blinkte auf. Neugierig linste Yuriy darauf.

 

 

20:33

Lai Chou (Trainertüp): Gut. Bist eingeschrieben. Termin und Uhrzeit für den Ring folgen. Halt dich bereit.

 

 

Yuriy runzelte die Stirn: „Ist das, was ich denke, das es ist?“

Boris antwortete nicht.

„Ich REDE mit dir. Borya!“

Yuriy hielt dessen Handy in die Höhe und wedelte damit herum.

„… Woher soll ich sonst so schnell so viel Geld klar kriegen?“

„Was wird deine Arbeit sagen?!“

„Die wissen, dass ich boxe. Das wird wohl kaum Gerede geben.“

„Ja, aber Nachfragen. Du bist nicht unbesiegbar!“

„Das werden wir ja dann rausfinden.“

Yuriy schüttelte den Kopf: „Wenn Mama das erfährt…“

„FALLS sie das erfährt! Und wage es dir nicht, ihr das zu erzählen. Sie weiß, dass ich trainiere. Sie muss ja nicht wissen, dass ich für Geld boxe.“

Boris zuckte mit den Schultern.

„Welche Wahl bleibt mir?!“

„Du und dein unfuckingfassbarer Stolz!“, fauchte Yuriy. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn eine lange Zeit strafend an. Schließlich erinnerte er ihn warnend daran, dass Galina das nicht gutheißen werde.

Boris knurrte zurück. Das wusste er selbst.

Wenn du lächelst, wenn dir jemand schreibt, bist du gefickt

Boris starrte an die Decke und versuchte zu eruieren, welches Geräusch ihn geweckt hatte. Er wollte zwar früh aufstehen, aber der gestrige Abend war mit Training spät geworden und sein Gehirn zu starten fiel ihm ungeheuer schwer. Sein Blick glitt zu seinem Wecker, dessen leuchtendes Ziffernblatt ihm irgendeine Zeit zwischen sechs und sieben Uhr sagte. Schlaftrunken lauschte er noch einmal, bevor er sich umdrehte und erneut die Augen schloss.

Nur um sie rot gerädert und wütend wieder aufzureißen.

Die hohe, leicht kratzige Stimme ihrer Nachbarin drang an sein Ohr, die ihn nicht länger schlafen ließ. Es war nicht Frau Irma von nebenan, sondern die plauderwillige Frau von gegenüber. Wie häufig unterhielt sie sich schon in dieser Herrgottsfrühe mit, wie er vermutete, der befreundeten Zeitungsausträgerin. Boris zog die Decke über den Kopf. Er hatte nicht einmal eines seiner Fenster auf Kipp stehen, aber der krähenhafte Ton ließ sich weder von Doppelverglasung noch von Mauerwerk, geschweige denn seiner Bettdecke aufhalten. Frustriert richtete er sich auf. Die Frau konnte ja nichts für ihre Stimme, und es war gemein, sie deshalb zu verurteilen – aber ganz ehrlich, dieses schrille Gelaber trieb ihn in den Wahnsinn.

Als er keine Viertelstunde später seine Wohnungstür zuzog und mit einem Finger als Schuhlöffel in seine Laufschuhe schlüpfte, öffnete sich gleichzeitig Yuriys Zimmertür. Sie wechselten einen Blick.

„Warum so zeitig?“

„Konnte nicht länger schlafen…“

Anscheinend war auch Yuriy durch das Geschnatter aus Morpheus‘ Reich getrieben worden und hatte dieselbe Idee wie Boris gehabt.

„Joggen wir zusammen?“

Boris stimmte mit einem Nicken zu. Sie hatten ein unterschiedliches Pacing, weil Yuriy ein geübter Läufer war. Erst neulich hatte er beim Halbmarathon in Bonn eine beachtliche Zeit hingelegt. Boris war mächtig stolz auf ihn. Was Yuriy ihm in Kondition voraushatte, glich Boris in Muskelkraft aus. Dennoch brauchte er auch Ausdauer, wenn er im Ring bestehen wollte.

„Wann ist dein Kampf?“, fragte Yuriy auch prompt, als könnte er Gedanken lesen.

„In zehn Tagen.“

Yuriy machte ein Geräusch, das andeutete, dass seine nächsten Worte ihn umzustimmen versuchen würden.

„Yura, bitte. Ich finde diese Lösung eigentlich sogar sehr pragmatisch! Und es ist ja jetzt nicht so, dass es illegal wäre.“

Das waren die Kämpfe wirklich nicht. Gut, die Wetten waren mitunter nicht ganz koscher. Boris wollte nur nicht, dass Galina davon erfuhr, weil sie ihn aus echten Kämpfen heraushalten wollte. Sparring mit Partnern war ok, und Boxsacktraining auch, aber keine Kämpfe, in denen er rücksichtslos werden könnte. Davor hatte sie Angst, weil es schon zweimal vorgefallen war. Aber nur wegen Yuriy. Immer wegen Yuriy. Um ihn zu beschützen, wurde er hemmungslos und vergaß Gott und Grenzen. Vielleicht war er mit Blick auf die Gewalttätigkeit nicht besser als Yuriys Samenspender, aber er setzte seine Fäuste wenigstens aus den richtigen Gründen ein. Zumindest meinte er das.

„Das heißt, wenn Vanja seinen Geburtstag am 12. feiert, sitzt du wieder da, sippst durch einen Strohhalm am Wasser und hast dir wieder dein eigenes Hühnchen und Reis mitgebracht, wegen deiner Boxerdiät?“

„Er feiert?“

„Ja?! Hast du etwa seinen Geburtstag vergessen? Stand doch in der Gruppe.“

„Fuck.“

Ivan machte immer sehr geile Marinaden, wenn er zum Geburtstagsgrillen einlud und meistens hatte er diesen leckeren Schlangenschnaps ausgegraben, woher auch immer er ihn bezog.

„Tja, dann muss ich wohl seinen Geburtstag aussetzen. Du kannst ja für mich die Sau raus lassen.“

Sie bogen für ihre kleine Runde auf den Waldweg ein.

„Nimmst du diesen… wie hieß er noch… schon mit?“

„Kai. Und nein. Oder doch? Ich weiß noch nicht.“

„Von uns aus hätte niemand was dagegen.“

„Weiß ich. Ich weiß noch nicht, ob es schon der richtige Zeitpunkt ist.“

Sie schwiegen nun, um Atem zu sparen. Es ging auf eine leichte Anhöhe zu, die steiler war als man es im sonst so platten Münsterland vermuten würde. Boris schloss hinter Yuriy auf, da der breite Waldweg sich nun zu einem Trampelpfad verengte. Vier Kilometer liefen sie in einträchtiger Stille, bis der Weg wieder breiter wurde. Boris spürte schon das Brennen in seiner Lunge. Gott, er hatte einfach keine Kondition! Yuriy dagegen könnte mit Sicherheit noch eine Stunde in dem Tempo weiterlaufen.

Um sich von seinem Verräter von Atmungsorgan abzulenken, machte er sich über sein anstehendes Boxevent Gedanken. Er musste dringend seine Ernährung umstellen, um seine Muskeln aufzubauen und in seiner Gewichtsklasse zu bleiben. Sicher könnte er noch mal mit Rick trainieren, aber vor allem musste er sich passende Sparringspartner suchen. Er hatte etwas abgenommen, bei seiner Größe von fast 1,90 m wog er nach dem letzten Messen 84 Kilogramm. Damit gehörte er momentan bei Vollkontakt gerade noch so zum Cruisergewicht, er musste aber eine Klasse aufsteigen, damit er sich in der Schwergewichtsklasse verdient machen konnte. Allerdings sollte das bei guter Diät und regelmäßigem Kraft- und Zirkeltraining kein Problem sein. Lai wollte ihn unterstützen. Er kannte jemand neuen, namens Garland, der wohl schon einige Titel geholt hatte. Vielleicht konnte er mit Lais Hilfe auch eine gute Wette platzieren, um seinen Gewinn zu erhöhen. Vielleicht könnte er auch Wowa von der Arbeit in der „Villa Winkel“ darum bitten, und sie machten halbe-halbe, damit es nicht ganz so blöd aussah, wenn er auf sich selbst wettete.

„Du hattest doch schon mal Sex, oder?“

Die Frage traf ihn völlig aus dem Nichts. Boris blinzelte, musste erst realisieren, dass Yuriy ihn mit ausgerechnet dieser Frage überfiel. Sie hatten sich nie explizit über das Thema unterhalten; als sie Teenies waren, wenn Boris von seinen Bonern für dieses oder jenes Mädchen in ihrer Klasse geschwärmt hatte, hatte Yuriy ihm zwar geduldig zugehört, aber hatte nie selbst eigenes Interesse gezeigt. Boris hatte das immer einfach so hingenommen und nicht hinterfragt. Jetzt allerdings machte es Sinn für ihn, dass Yuriy mit Mädchen auf diese Weise damals nichts anfangen konnte. Er nickte und fürchtete sich ein ganz klein wenig davor, was jetzt folgen würde.

„Ich habe aus… offensichtlichen Gründen… ein bisschen recherchiert und… darf ich dich was Komisches fragen?“

„Ja, schieß los.“

„… Stimmt das, dass es rausläuft?“

Boris stolperte beinahe im Laufen.

„Was läuft wo raus?“

Yuriys Blick war starr geradeaus gerichtet; aber seine Ohren dunkelten so sehr ab, dass sie mit dem gründlich verschwitzten Undercut verschmolzen, während sein Pferdeschwanz aller Befangenheit zum Trotz freudig bei jedem Schritt wippte.

„Na… da unten so!“

Er machte eine vage Geste in den Bereich seines Schritts.

„Du meinst, ob das Sperma aus der Vagina läuft, nachdem du abgespritzt hast?“

Boris amüsierte sich insgeheim auf die liebe Art über die schlimme Verlegenheit seines Bruders. Yuriy hatte auch noch nie wirklich viele sexuelle Erfahrungen gesammelt und auch, wenn er nie darüber nachgedacht hatte, wäre es für Boris nicht verwunderlich, wenn Yuriy wirklich noch ein unbeschriebenes Blatt wäre.

„Ja, das passiert“, erklärte er, während er versuchte, sich Yuriys Geschwindigkeit anzupassen, der das Tempo, vermutlich angetrieben durch seine Scham, deutlich angezogen hatte.

„Zumindest, wenn du kein Kondom benutzt.“

Eine Weile joggten sie schweigend nebeneinander her.

„Ich hab nicht viel Erfahrung mit Anal, Yura, aber ich kann dir sagen, dass alles, was irgendwie in den Körper kommt, auch wieder raus will, und sei es Luft.“

Yuriy stoppte fast abrupt und schlug sich die Hände vors Gesicht. Boris lief zunächst ein paar Schritte voraus, ehe er bemerkte, dass Yuriy stehen geblieben war. Er trabte zurück.

„Ihr habt also noch nicht miteinander geschlafen“, stellte Boris überflüssigerweise fest. „Was hast du dann mit meinen gutgemeinten Kondomen gemacht?!“

„Oral…“, murmelte der Rotschopf beschämt und Boris konnte mittlerweile nicht mal mehr seine Sommersprossen zählen, so sehr angelaufen war Yuriys Birne. Zu seiner Ehrenrettung musste man erwähnen, dass sie auch schon eine sehr lange Zeit rannten. Boris nickte bedächtig. Schließlich stieß er ihm in die Seite.

„Ich kenn jemanden aus der LGBT+-Gruppe** im Jugendzentrum, wo ich arbeite. Soll ich euch mal bekannt machen … oder dir seine Nummer geben?“

„… Das wäre nett, ja“, murmelte Yuriy dankbar. Er war wahnsinnig geworden bei den ganzen Infos, die er im Internet hatte finden können. Vielleicht konnte ihn der Bekannte von Boris besser informieren und ja, auch beruhigen.

„Aber denk immer dran, mach nichts, womit du nicht einverstanden bist oder dich nicht wohlfühlst. Selbiges gilt für deinen Partner.“

Yuriy bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick: „Das ist ja wohl selbstverständlich?!!“

„Oh, du wunderst dich manchmal…“

Sie waren wieder in ihrer Straße angekommen und verfielen in einen lockeren Trab, den sie kurz vor ihrem Haus in einen schnellen Laufschritt mäßigten. Boris stützte sich hechelnd auf seinen Knien ab, bis Yuriy ihm einen Klaps vor den Po gab. Er wies ihn an, weiter zu gehen und sich zu strecken, sonst würde er noch Seitenstechen bekommen. Sie halfen sich gegenseitig beim Dehnen im Vorgarten. Die Schnatterhexe war zum Glück verschwunden, aber beide hätten jetzt ohnehin nicht zurück in die Kissen krabbeln können. Yuriy hatte gleich ein Seminar und Boris musste auch zur Arbeit, sobald er etwas gegessen hatte. Denn sein Magen grollte. Mit Widerwillen dachte er an seine Müsliwürfel in der Geschmacksrichtung Apfel-Kokos, die als gesundes Frühstück auf ihn warteten, aber absolut nicht sein Fall waren.

Nebenan trat Irma von Landsberg vor ihre Haustür, reckte ihr Kinn in die freundliche Morgensonne und winkte gut gelaunt zu Boris herüber. Boris erwiderte den morgendlichen Gruß. Er beobachtete, wie hinter Frau Irma deren Enkelin geschäftig auftauchte und ihre Großmutter voran trieb; anscheinend hatte sie es eilig. Hiromi sah auf, um zu erfahren, wen ihre Großmutter grüßte, und sie runzelte die Stirn. Sehr merklich glitt ihr Blick über Boris in seiner Laufaufmachung, die sich deutlich von seiner „Gärtneruniform“, in der sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, unterschied.

„Wer starrt, kann auch grüßen!“, erklärte Frau Irma ihrer Enkeltochter Manieren, so laut, dass Boris und Yuriy es hörten. Ertappt zuckte Hiromi zusammen und errötete kaum merklich. Sie nickte in die Richtung der beiden jungen Männer und stieg dann hurtig in ihr Auto ein. Beim Rückwärtsausparken aus der Einfahrt winkte Frau Irma ihnen dann noch einmal sehr fröhlich zu und sie konnten nur erahnen, dass der schimpfende Gesichtsausdruck und viel Gestik von Hiromi wohl der Anweisung geschuldet war, dass sie sich doch bitte jetzt anschnallen sollte.

Boris schüttelte den Kopf.

„Verstehst du jetzt, was ich mit ‚furchtbar‘ meinte? Die ist bestimmt irgendwo n ganz hohes Tier oder so, was ihr sichtlich zu Kopf steigt. Pfff.“

Yuriy zuckte mit den Schultern: „Nicht jeder steht auf deine muskelbepackten Oberarme, Borja, sieh’s einfach ein.“

 

„Kannst du mir mal verraten, was das sollte?!“

Oma Irma verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah ihre Enkelin tadelnd auf deren Frage hin an.

„In einer Nachbarschaft grüßt man sich. Ich verstehe nicht, warum du so einen Aufstand machst.“

„Du kennst diesen Mann nicht, er könnte dich in der Luft zerreißen!“

„Ach Gottchen, Kind! Du nimmst viel zu viel von der Arbeit mit nach Hause!“

„Und du bist nicht vorsichtig genug! Weißt du, ob er nicht ein verurteilter Schwerverbrecher ist, mit seinen ganzen Tattoos und allem?!“

Absurder Weise prustete Hiromis Großmutter los, ehe sie sich im Beifahrersitz halbwegs zu ihr umdrehte.

„Erstens ist das ein ziemliches Vorurteil, das gerade du in deiner Position als Anwältin nicht haben solltest!“

Hiromi schnaubte und wollte etwas erwidern, wurde aber von einem mahnenden Zeigefinger davon abgehalten.

„Zweitens musst du dich von diesem Yakuza-Aberglauben lösen, den du scheinbar aus Kyoto mitgebracht hast. Und drittens…“

Irma kramte in den Untiefen ihrer Handtasche und förderte ihr Portemonnaie zu Tage, in dem sie ein Foto ihres verstorbenen Mannes mit sich trug.

„Drittens hatte dein Großvater – Gott hab ihn selig – beide Arme über und über tätowiert. Als alter Seebär war das obligatorisch. Du hast ihn nicht mehr kennen gelernt, er ist gestorben, da warst du noch sehr klein. Aber neben den ganzen Seefahrermotiven, die er mit Stolz trug, hat er sich sogar mit knapp 50 Jahren noch extra eine Kompassrose mit deinem Namen und dem deiner Geburtsstadt stechen lassen, als du geboren wurdest.“

Hiromis Griff um das Lenkrad wurde fester, beschämt über ihr wertendes Verhalten.

„… Das wusste ich gar nicht.“

„Wenn du in den nächsten Tagen Zeit hast, zeige ich dir gerne ein paar Fotos und erzähle dir Geschichten.“

Für einen kurzen Moment löste Hiromi den Blick von der Fahrbahn und lächelte ihre Oma an.

„Ja. Das wäre schön.“

 

 

~*~

 

 

Mit lautem Karacho stürmte Boris Yuriys Wohnung.

„Was ist los?! Wen soll ich verprügeln?!“

Er hatte von seinem Bruder eine SMS nur mit „SOS!!!“ erhalten und war dem Ruf sofort gefolgt. Ein anklagender Leidenslaut kam aus dem Bad.

„Borja! Es ist schlimm! SCHLIMM!“

Boris riss die Badezimmertür auf. Yuriy stand vor dem Spiegel, seine Hände fummelten an seiner Nase. Er drehte sich zu ihm um. Seine Nase strahlte in einem flammenden Wutrot.

„… Bist du gegen eine Wand gelaufen?“

„NEIN! Mach dich nicht lustig! Ich rufe den Krisennotstand aus!“

„Welche Stufe?“

Boris‘ aufgeregte Atmung beruhigte sich langsam, als er erkannte, dass es Yuriy gut ging.

„Fünf!“

„Also höchste Alarmstufe?“

„Ja, verdammt noch mal, bin ich ein Papagei?“

„Nein, du siehst eher wie ein bestimmtes Rentier aus.“

„Arschloch!“, fauchte Yuriy hitzig.

Er wirbelte wieder zum Spiegel herum und fing erneut an, seine Nase zu malträtieren.

„Ich hab ein verfluchtes, fieses, riesiges Furunkel mitten auf der Nase, und es ist nicht mal symmetrisch!“

Ein frustrierter Laut und ein schmerzhaftes Zischen entfleuchte seinen Lippen. Boris setzte sich auf den Badewannenrand und beobachtete ihn dabei.

„Ernsthaft, du schiebst ne Platte wegen nem Pickel?“

„Wegen einES PickelS!“, korrigierte Yuriy automatisch seine Grammatik, woraufhin Boris die Augen verdrehte.

„Und warum ist das ein Krisennotstand wert?“

„Habe ich seine Asymmetrie erwähnt?“

„Oh, ja, da bekommt jeder die Krise, hast Recht.“

„Und er tut schweineweh! Und lässt sich nicht ausdrücken!“

Verzweifelt warf er seine Hände in die Höhe und starrte wild in sein Spiegelbild. Seine Atmung ging jetzt heftiger als die von Boris eben.

„Gut, das ist nervig, aber ich sehe nicht, warum…“

„Ich hab ein DATE!“

Yuriy sah Boris an, als wäre der von einem anderen Stern. Nicht nur, dass seine Nase pochte und leuchtend glänzte, auch die Asymmetrie machte ihn schier wahnsinnig. Warum verstand Boris nicht, dass das ein Problem war?!

„Lass mal sehen.“

Immerhin bot Boris jetzt seine Hilfe an. Er packte Yuriys Kinn, drehte seinen Kopf nach links und rechts und begutachtete sein Gesicht.

„Sei froh, dass du keinen Pickel im Intimbereich hast. DAS sind Schmerzen.“

Mit einem Blatt Toilettenpapier tupfte er etwas Gewebeflüssigkeit ab und drückte vorsichtig mit zwei Fingern auf die Haut um die eitrige Pustel. Yuriy quittierte das mit einem gepeinigten Zischen.

„Du könntest versuchen, ihn als Schönheitsfleck zu bezeichnen.“

„Bist du irre?“

„Hast du es schon mit Teebaumöl probiert?“

„Das hilft nicht so schnell! Und dank dir wird das jetzt auch sicher brennen wie Sau!“

„Johanniskrautölsalbe?“

„Seh ich wie ein Scheiß-Apotheker aus?“

Boris hielt Yuriys Kinn fest und zwang ihn, ihn anzusehen.

„Ich hau dir die Nase platt, dann ist der Pickel dein kleinstes Problem.“

Aber Boris wusste, wie unangenehm ein entzündeter Mitesser an der falschen Stelle war; besonders im Gesicht waren diese Mistviecher wie Gift für das Selbstbewusstsein.

Seine Drohung ließ Yuriy kurz verstummen, doch plötzlich erhellte sich sein Gesicht.

„Das ist es! Ich könnte behaupten, du hättest mich geschlagen!“

„Na danke, und wenn Galina davon hört, krieg ich den Arsch versohlt.“

Boris ließ Yuriys Kinn los und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Hör auf, dran herum zu drücken. Ich glaub ich hab noch etwas Heilerde, das könnte die Entzündung beruhigen. Wann ist dein Date?“

„Morgen.“

„Siehst du. Noch genug Zeit. Außerdem glaube ich, dieser Kai mag dich auch mit Pickel auf der Nase.“

Sein Bruder verzog unwillig das Gesicht.

„Laber doch nicht so schwules Zeug.“

„Zur Not kannst du auch immer noch ein Pflaster drauf kleben und… ja, du darfst dann behaupten, ich hätte dir eins drauf gegeben.“

„Manchmal liebe ich dich, weißt du das?“

Boris grinste Yuriy an und kniff in seine Nase. Mit lautem, schmerzverzerrtem Wutgeheul wurde er aus der Wohnung geworfen. Mit dem Nachruf, nicht ohne „dieses Heiledings“ zurückzukehren.

 

 

 

Yuriy saß unter seinem Sonnenschirm auf dem Balkon und versuchte, für seine letzte Prüfung zu lernen. Auf seiner Nase spürte er die getrocknete Masse dieser Heilerde, die Boris ihm angedreht hatte. Anfangs hatte es gebrannt, aber die Entzündung war tatsächlich zurückgegangen und er verspürte durchaus Linderung. So konnte er sich heute Abend erleichterter mit Kai treffen.

Allerdings war seine Eiterfuchtel nicht der Grund, weshalb er sich nicht konzentrieren konnte. Die Lärmbeschallung durch seine Umgebung war enorm: rechts sägten die Nachbarn sehr lange und penetrant irgendeine Art von Holz, in seinem Rücken drang der Baggerlärm an seine Ohren. Scheinbar wollten die Nachbarn von drüben einen Teich ausheben. Er hatte Ohrstöpsel und dann Kopfhörer mit Musik ausprobiert, aber sein wippendes Knie zeigte eindeutig, dass nichts davon half und er sich bei diesem Lärm nicht konzentrieren konnte. Nur in der Mittagszeit war es still und er nutzte die wohltuende Ruhe, um seine Mitschriften aus der Vorlesung auf neue Karteikarten zu skizzieren. Als aber kurz nach der Mittagsruhe der sägende Nachbar noch den Drechsler anschmiss, hatte Yuriy genug.

 

 

13:16

Yuriy Ivanov: Hey, ist es ruhig bei dir?

 

Kai H.: Immer.

 

Yuriy Ivanov: Kann ich schon früher zum Lernen vorbeikommen? Hier ist die Hölle los; ich kann meine eigenen Gedanken nicht hören. D:<

 

Kai H.: Auch immer. ;) Ich setz schon mal nen Cold Brew auf. Wann willst du vorbeikommen?

 

13:20

Yuriy Ivanov: Könnte gegen halb drei / drei bei dir aufschlagen. Ich mach mir was Schnelles zu essen und würd bei dem schönen Wetter mit dem Rad zu dir.

 

Kai H.: Alles klar. Ich mach schon mal das Laminiergerät heiß. ;P

 

 

Schmunzelnd steckte Yuriy sein Handy in die Hosentasche. Kai kannte ihn schon recht gut, ihn und seine kleinen Marotten. Bei Kai war es um einiges ruhiger, seine Nachbarn waren nicht so emsig dabei, ihre Gärten zu verschönern. Außerdem konnten sie sich beide beherrschen, ihre Finger bei sich zu lassen, wenn von vornherein klar war, dass sie lernen würden. Zwar war Bryan immer noch das größere Arschloch der etwas bessere Abfrager, aber es hatte auch etwas für sich, in Kais Schoß zu liegen und ihm beim Vorlesen der Erläuterungen zuzuschauen, wenn er mit dem kleinen Finger den Nasensteg seiner Brille hochschob…

Yuriy räusperte sich und riss sich aus seinem Tagtraum, schnappte sich einen Joghurt, den er auf dem Balkon aß und mit neugierigem Blick in den Garten seiner linken Nachbarin herübersah. Jetzt erinnerte er sich auch wieder, warum ihm die Decke, die Boris neulich nach einer durchzechten Nacht heimgebracht hatte, bekannt vorgekommen war. Sie hing bei Irma von Landsberg auf der Wäscheleine. So schloss sich der Kreis…

Bevor er hinunter zum Fahrradschuppen lief, machte Yuriy noch einen Abstecher ins Bad, um die Heilerde abzuwaschen und ein wenig getönte Tagescreme aufzutragen. Er konnte mittlerweile behaupten, er hätte sich einen kleinen Sonnenbrand geholt.

Als er schließlich sein Rad aus der Garage holte, fiel ihm als erstes sein Platten auf. Genervt rollte er mit den Augen und nahm die Luftpumpe von der Wand. Wie Boris ihm gezeigt hatte, hörte er bei vier Bar auf zu pumpen. Zufrieden machte er sich auf den Weg.

Sein Wohlbehagen hielt nicht lange an.

Frustriert drehte er nach 500 Metern wieder um, schiebend. Ein weiteres Mal pumpte er den reifen auf, merkte aber schon bald, dass er wieder Luft verlor. Ein verärgerte Laut verließ seine Lippen. Er sah auf die Uhr. Besser, er sagte Kai Bescheid.

 

 

14:22

[Bild eines platten Reifens, ein Mittelfinger zum Vorderrad zeigend]

Yuriy Ivanov: Dieser kleine Ficker hält mich auf. Komme etwas später.

 

 

In ihrer Jugend hatte Boris gelernt, wie man kleinere Löcher in Fahrradschläuchen flickte. Dieses Wissen hatte er mit Yuriy geteilt, da er der Meinung war, nichts ginge über das praktische Wissen hinaus, sich selbst zu helfen.

Yuriy war gerade sehr froh, dass er einen Bruder wie Boris hatte, der geschickt mit seinen Händen war.

Nachdem er aus seiner Wohnung das Reparaturset geholt hatte, machte er sich mit einigen überflüssigen Handgriffen daran, das Vorderrad mithilfe eines Konusschlüssels auszubauen, indem er die Radmuttern losschraubte. Danach löste er die Ventil- und Befestigungsmutter, um das Ventilrohr nach oben zu drücken. Mit beiden Daumen griff er unter den Reifenmantel, drückte ihn ins Tiefbett und hob ihn über den Felgenrand. Als er den Reifenrand gelöst hatte, zog er den Schlauch vorsichtig zwischen Felde und Reifen heraus, bis er ganz frei war. Er suchte aus dem Fahrradschuppen eine kleine Schüssel, füllte sie mit Wasser aus der Regentonne und stellte sie neben sich. Anschließend pumpte er den Schlauch prall auf und schloss das Ventil wieder. Nun tauchte er, wie Boris es ihm damals beigebracht hatte, den Schlauch abschnittweise ins bereitgestellte Wasserbecken. Dabei zog er den jeweiligen Bereich, der unter Wasser war, leicht auseinander, damit er auch noch allerfeinste Löcher feststellen konnte. Tatsächlich fand er ein Loch bereits nach dem dritten Eintauchen. Er nahm den Schlauch heraus, markierte die Stelle mit einem Filzstift. Zur Sicherheit prüfte er aber den gesamten Schlauch durch, da er Boris‘ Stimme in seinem Kopf spuken hörte, der ihn auslachte, wenn Yuriy den Reifen gänzlich wieder eingebaut hätte – und er trotzdem einen Platten hatte, weil er mehrere Löcher im Schlauch hatte.

 

 

15:07

Kai H.: Oh, so ein Mist! D: Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.

 

 

Yuriy trocknete den Schlauch und seine Hände, dann legte er sich alle Gerätschaften, die er brauchte, zurecht. Mit einem kleinen Aufraublech raute er die markierte Stelle auf dem zuvor luftentleerten Schlauch auf und entfernte den letzten Staub. Den Gummikleber verteilte er großzügig um das Loch und wartete, bis es nicht mehr feucht war.

Mühevoll pulte Yuriy das Schutzpapier vom Flicken und presste ihn mit der Klebeseite so fest auf den Schlauch, dass ihm die Finger schmerzten. Zum Schluss klopfte er ihn mit den Handballen an.

Zufrieden mit sich und seinem Tun ließ er den Flicken etwas in der Sonne trocknen, bevor er den Schlauch erneut mit Luft befüllte und ihn erneut unter Wasser teste. Mit Stolz stellte er fest, dass keine Luftblasen zu sehen waren. Erfreut über seinen Erfolg machte er sich daran, den Schlauch und den Reifen wieder auf die Felge zu ziehen.

 

 

16:02

Kai H.: Na du Meisterreparateur B) Alles gut gegangen? Bist du schon unterwegs?

 

 

Nach mehreren angestrengten Versuchen hatte Yuriy es geschafft, den Schlauch unter den Mantel zu quetschen, nachdem ihm eingefallen war, dass es vielleicht sinnig wäre, etwas Luft aus dem Schlauch zu lassen.

Das Ventil war schnell wieder an richtigem Ort. Dann drückte er die Reifenkante über den Felgenrand zurück in die Felge, das Reifenstück am Ventil machte er zum Schluss. Sorgsam prüfte er, ob er den Schlauch auch nirgends eingeklemmt hatte. Er ruckelte hier und da am Reifen und klopfte und walkte von beiden Seiten, bis der ganze Mantel in der Felge eingerastet war. Leicht erschöpft wischte Yuriy sich über die Stirn, freute sich aber über seine Leistung. Er zog alle Muttern am Ventilrohr wieder fest an und begann erst dann, sein repariertes Werk prall aufzupumpen.

„Was hatte Borja noch mal gesagt… Um zu prüfen, ob es dicht ist, muss man drauf spucken?“, murmelte er nachdenklich vor sich hin. Er nahm seine vor Öl und Dreck schwarzen Zeige- und Mittelfinger, lüllte etwas Speichel darauf und verteilte diesen auf dem Ventil. Er hörte es zischen, stutzte und drehte die Ventilrohrmutter noch ein bisschen fester. Aber selbst jetzt konnte er – auch ohne Spuckeprobe – hören, wie die Luft aus dem Reifen entwich.

„Was zum Fick?! Ich hab doch alles richtig gemacht!?“

 

 

16:28

Kai H.: Yuriy, ist alles in Ordnung? Schreib mir, wenn du losfährst, okay?

 

 

Ungeduldig hatte Yuriy den Reifen mehrmals aufgepumpt, mit dem gleichen Ergebnis. Er drehte am Ventil – denn die Luft entwich eindeutig über das Ventilrohr – konnte sich aber keinen Reim darauf machen, was er noch verbessern könnte. Verdrießlich stampfte er mit dem Fuß auf und fluchte derb.

„Wieso siehst du aus wie ein Erdferkel?!“

Yuriys geknickte Haltung richtete sich bei der bekannten Stimme auf und er seufzte klagend.

„Borjaaaaaa! Bitte hilf mir! Mein Reifen ist platt!“

„Und? Ich hab dir schon tausendmal gezeigt, wie das geht.“

Boris stellte sein eigenes Rad in den Fahrradschuppen und schulterte seine Sporttasche. Er gähnte und streckte sich ausgiebig, bevor er einen Schritt an Yuriys traurige Entschuldigung von Vorderrad herantrat.

„Ich hab doch schon alles ganz genau so gemacht, wie du mir das beigebracht hast!“, protestierte Yuriy und zeigte anklagend auf sein Fahrrad.

„Aber ich hab es einfach nicht hingekriegt! Ich hatte das Rad sogar ausgebaut! Alles hat funktioniert, das Loch war gestopft, die Luft hielt auch – und dann hab ich das Fahrrad wieder umgedreht und zack – Vorderreifen platt!“

Boris musterte seinen Bruder von oben bis unten. Er hatte Ölflecken auf seinem guten Hemd, sein Gesicht wies Dreck auf und auch seine Hände sahen nach Arbeit aus.

„Ich hab sogar diesen widerlichen Spucketest gemacht!“

Daraufhin musste Boris kurz lachen.

„Ist ja schon gut. Warum brauchst du dein Fahrrad denn so dringend?“

Er ließ seine Sporttasche zu Boden gleiten und ging in die Hocke, um die Sache aus der Nähe zu betrachten.

„Ich wollte mich zum Lernen mit Kai treffen.“

„Sag bloß, der ganze Terz gestern war für ein Lerndate“, brummte Boris fassungslos.

Er war wieder aufgestanden, starrte Yuriys Nase direkt an.

 

 

16:59

Kai H.: Jetzt machst du mich definitiv nervös. Ich komm rum.

 

 

„Siehst ja zum Glück gar nicht mehr wie Rudolf aus“, bemerkte er die deutlich zurückgegangene Rötung.

Yuriy schenkte ihm den Finger.

„Eigentlich waren wir erst für heute Abend verabredet, aber ich konnte wegen der lauten Nachbarn nicht lernen. Du weißt doch, wie das ist.“

Boris verschränkte die Arme vor der Brust.

„Mhm. Wenn du schon so groß bist, um Rendezvous zu haben, musst du auch dein Fahrrad selber flicken können.“

„Mensch! Ich bin nicht so gut mit den Händen! Du kannst das besser“!

„Na, ich bring mir das auch nur durch YouTube-Videos und Nachlesen bei?“

„Du bist ja auch n krasser Autodidakt, merkst das nur nicht.“

„Nur weil du mit schlauen Wörtern um dich schmeißt, mein mal nicht, dass ich mich geschmeichelt fühl!“

Aber Boris fühlte sich geschmeichelt und Dinge zu reparieren, mit seinen eigenen Händen, war nicht umsonst eines seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen. Er kniete sich neben Yuriys Vorderrad und ließ sich von diesem noch einmal erklären, was er gemacht hatte.

Nach ein paar prüfenden Handgriffen, unter anderem, ob das Ventilrohr genau senkrecht stand, hatte er den Übeltäter gefunden: Es war das Ventil selbst, bzw. genauer: das Ventilgummi. Er zog das Ventil aus dem Ventilrohr und zeigte es Yuriy.

„Siehst du das? Der Gummischlauch vom Ventil ist gerissen. Deswegen kommt da Luft raus.“

Er drückte es Yuriy in die Hand und stand auf.

„Warte hier. Ich glaube, ich hab noch irgendwo eins. Bin gleich wieder da.“

Boris verschwand im Haus. Zurück blieb Yuriy mit zunehmender Enttäuschung, dass er mit seinen eigenen zwei Händen dieses Problem nicht hatte lösen können. Plötzlich traf es ihn wie ein Schlag.

„Oh FUCK! Kai!!“

Den hatte er in der ganzen Aufregung ja völlig vergessen!

„Zur Stelle!“, hörte er es atemlos hinter ihm keuchen. Er wandte sich um. Dort kam Kai mit einer etwas stärkeren Bremsung als notwendig zum Stehen.

„Was machst du hier?!“, platzte Yuriy heraus, mehr vor Schreck.

„Na ja, wir hatten eh heut ein Date… und du hast dich nicht mehr gemeldet. Also hab ich mir Sorgen gemacht, weil du nicht geantwortet hast, da bin ich gleich vorbeigefahren.“

„Es tut mir so leid!“, rief Yuriy und lief auf ihn zu.

„Ich sehe ja, du bist noch mitten drin…“, lachte Kai und strich dem Rotschopf mit dem Daumen etwas Schmierfett von der Wange. Dann stieg er von seinem Rad ab und lehnte es an die Hauswand, weil er keinen funktionierenden Ständer hatte.

„Woran liegt’s denn?“

„Am Ventilgummi“, gab Yuriy sachkundig Auskunft und das warme Gefühl von Stolz breitete sich in seiner Brust aus, als Kai ihn verblüfft über seinen Sachverstand ansah.

„Wenn du dich schon mit fremden Federn schmückst, Yura, dann sieh jetzt besser zu und lerne, damit du das beim nächsten Mal selbst reparieren kannst!“

Und schon war der stolze Moment verpufft. Boris stapfte zu ihnen herüber. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er einen sehr filigranen Gummischlauch.

„Das ist ein Ventilgummi. Man muss es anlecken…“

Er nahm es zwischen seine Lippen, um es zu befeuchten.

„… und dann über das Ventil stecken.“

Damit es leichter flutschte, leckte er das Gummi ein weiteres Mal an, wie eine Näherin den Faden für die Nadel. Auch das Ventil selbst benetzte er mit seiner Zunge. Gebannt sahen sowohl Yuriy als auch Kai ihn bei seinem Tun zu.

„Aber ich denke, ihr wisst, wie das mit dem Lecken richtig geht…“

Boris Borislaw Kusznetsov!“, fauchte Yuriy und stieß ihm seinen spitzen Ellenbogen in die Seite. Kai schlackerten die Ohren; seine Wangen konkurrierten farblich beinahe mit Yuriys Haarpracht. Schallend lachte Boris auf, während er von Yuriys Schlag unbeeindruckt das Ventil mit dem funktionierenden Gummi in das Ventilrohr einsetzte.

„Na dann pump mal!“, beorderte er Yuriy, der trotz aller Befangenheit der Aufforderung Folge leistete.

Der Reifen und das Ventil hielten Boris‘ abschießender Prüfung stand.

„So“, begann Boris. Die drei standen etwas konsterniert um Yuriys Fahrrad herum.

„Meine Arbeit ist getan. Rechnung kommt.“

Boris streckte sich, bis alle Wirbel in seinem Nacken einmal geknackt hatten.

„Du könntest eine Proberunde fahren.“

Er sah Kai und dann dessen Drahtesel an.

„Du solltest dein Rad da nicht anlehnen, das gibt Ärger mit der Hausverwaltung.“

Sein erfahrener Blick streifte den Metallrahmen und blieb an dem spitzen Aluminiumgestell haften.

„Oder was ist damit?“

„Mein Ständer ist kaputt… ich bin noch nicht dazu gekommen, das zu richten“, erklärte Kai mit einem Achselzucken.

Boris lag ein dummer, sehr dummer Spruch auf den Lippen, aber Yuriy trat ihm auf den Fuß. Also unterdrückte er sein Gegacker und begnügte sich mit einem vielsagenden Grinsen.

„Ich kann mich drum kümmern, wenn du willst. Dann könnt ihr so lange lernen.“

Er betonte das letzte Verb besonders, so dass Yuriy einem Schlaganfall zu Boris‘ Ungunsten nahe war. Aber er riss sich gerade so zusammen.

„Gute Idee. Ich könnte mich in der Zeit frisch machen und umziehen.“

 

 

Von dem guten Vorsatz, am Nachmittag mit Kai gemeinsam für die Prüfung zu lernen, wurde nichts mehr. Dafür hatten Kai und Yuriy eine wichtige Lektion fürs Leben gelernt: nämlich, dass Boris ein ganz besonderes Talent dafür hatte, unschuldige Worte jeglicher Art anzüglich klingen zu lassen und das seiner schier unermesslichen Kreativität dabei keine Grenzen gesetzt waren. Kai hatte auch gelernt, wie man mit einem Ringschlüssel Schrauben und Muttern lösen konnte.

Sie hatten den angebrochenen Abend dann zu dritt ausklingen lassen; im Hinterhof ihres Mehrfamilienhauses, mit einem Kaminvideo auf Kais Handy, weil sie kein Feuer machen wollten, und ein paar Bier, die Boris spendierte, und Musik, für die allein Yuriy verantwortlich war.

„Nun, das war’s dann wohl mit dem Lernen“, meinte Kai überflüssigerweise. Aber es war auch schon spät geworden und damit sein Zeichen, das Sit-in zu verlassen. Er sammelte sein Handy auf, um es an der Vorrichtung an seinem Lenker zu verstauen, damit es ihm als Leuchtmittel diente.

„Ich fasse es nicht, was ist das mit euch Stadtkindern und keinen vernünftigen und damit meine ich fahrtüchtigen Fahrrädern?!“, klagte Boris, als er das sah. Er stieß einen derben russischen Fluch aus, für den Galina ihn definitiv gerügt hätte, und schüttelte den Kopf. Kai sah ihn kurz belustigt an.

„Schreibst du mir, wenn du angekommen bist?“, fragte Yuriy leise.

„Nur, wenn ich eine Antwort von dir bekomme“, meinte Kai verschmitzt. Dann musste er Boris von seiner Handyhalterung abwehren. Während zwischen den beiden eine kleine, hitzige Diskussion entbrannte, tippte Yuriy etwas auf die Schnelle in sein Handy. Nach Boris‘ Fauxpas hatte er etwas dazu gelernt.

 

 

22:51

Yuriy Ivanov: I think you should kiss me goodbye or you might regret it for the rest of your life.

 

 

Kai sah auf sein aufleuchtendes Display. Ein liebevolles Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, nachdem er die Nachricht gelesen hatte. Er ließ Boris stehen, und damit zurechtkommen, dass er aus Gewohnheit das Rad nicht auf den Ständer gestellt hatte. Der Kickboxer musste sehen, dass er das Fahrrad auffing, bevor es auf den Boden krachte.

Kai trat an Yuriy heran, strich mit einer Hand durch die rote Mähne; ließ seine Hand warm und sicher in Yuriys Nacken verweilen.

„We have to live a life with no regrets“, wisperte er ihm entgegen, so weich, dass Yuriy seinen warmen Atem auf seinen Lippen spürte. Die Luft vibrierte zwischen ihnen und Yuriy biss sich auf die Unterlippe. Als hätte Kai dieses Signal gebraucht, krachten ihre Lippen aufeinander. Yuriy ließ sich gegen Kai sinken. Er griff in dessen Shirt und in seine Schulter. Wenn Kai ihn küsste, wurden ihm regelmäßig die Knie schwach.

Boris, der es endlich geschafft hatte, Kais Drahtesel mit dem dafür vorgesehenen Gerät zum Stehen zu bringen, rollte mit den Augen bei dieser Schmonzette, derer Zeuge er notgedrungen war.

„Oi, Yura. Nehmt euch ein Zimmer. Und spätestens jetzt ist fix, dass er mit auf Vanjas Geburtstag kommt. Serjoscha und er recken nämlich schon vom Balkon die Hälse, wen du hier abschlabberst wie n Softeis.“

 

 

Ich dekoriere besoffene Freunde – ist zwar gemein, aber leider geil

„Jo, schön, dass ihr zu Vanjas Geburtstag gekommen seid!“, begrüßte ein vollmundiger Bariton die Partygäste. Wie schon so oft war Ivan in der Funktion des Gastgebers heillos überfordert, weil er versuchte, an allen Enden gleichzeitig zu frönen, weshalb Sergei diese Rolle übernahm. Und in ihrer Vierer-Freundschaft war zumindest drei von ihnen klar, dass Sergei einfach beinhart der Gastgeber war; auch wenn er nicht die Party ausrichtete.

Besagter begrüßte die Neuankömmlinge mit jovialen Händeschütteln rechts und links, deutete hinter sich: „Ihr könnt die Jacken da auf Vanjas Stuhl legen, was wollt ihr trinken?“

Er listete eine Reihe an Getränken auf, mit Betonung auf „Vanjas Bier“ und anderem guten Stoff. Dabei betonte Sergei stets Ivans Leistungen, um den Fokus auf den eigentlichen Gastgeber zu lenken.

„Es gibt auch etwas zu essen. Vanja hat auch Salat vorbereitet!“

Natürlich hatte Sergei für guten Stoff gesorgt. Zumindest was in seinen Augen als „guter“ Alkohol durchging: Whiskey. Nicht Boris‘ erste und schon gar nicht seine letzte Wahl. Um diese Sorte machte er einen großen Bogen. Und sowieso, wenn ein Kampf bevorstand, für den so viel Geld auf der Kippe stand, trank er nicht.

Ivan hatte sich im Einverständnis der Vermieter und Nachbarn den Garten gekapert, um Grillen zu können. Bei den Temperaturen wäre eine Drinnen-Party nicht so angenehm gewesen – und Grillen konnte man ohnehin draußen besser als auf dem Balkon.

Sergei hatte einen Ardbeg mitgebracht. Laut seiner Expertise schmeckte der nach Rauch und einem Mix aus Schokolade, Toffee und Zimt. Boris glaubte ihm – er hatte ihn nie selbst probiert. Allein der strenge Duft nach Torf und Rauch mit dem Whiskey-eigenen Geruch löste ihn ihm einen Würgereiz aus.

„Ach, die Flasche ist schon fast leer, ich hole nachher eine neue.“

Sergei öffnete den Verschluss und tupfte sich spaßeshalber mit dem Korken an seinen Hals wie mit einem Parfümzerstäuber. Seine Freundin Mathilda lachte und goss den umstehenden Gästen ein.

„Ich finde das sehr attraktiv, wenn Männer nach gutem Whiskey riechen.“

Sie zwinkerte Sergei zu, bevor sie mit allen einen Toastspruch auf Ivan gab, ehe sie erstickt aufschrie, weil Sergei sei um die Mitte packte und auf seinen Schoß zog. Kichernd vergrub sie ihr Gesicht in seiner Halsbeuge, wo sie kleine Küsse verteilte. Ihre roségoldenen Locken kitzelten Sergei dabei an seinem schnittigen Bart.

Kopfschüttelnd wandte Boris sich ab. Er sah sich in der Runde um, ob er sich zu jemandem gesellen konnte, den er kannte. Da war Ivan selbst, der aber damit beschäftigt war, mehrere Nachzügler zu begrüßen. Da war Yuriy – der Kai tatsächlich mitgebracht hatte. Sie saßen etwas abseits mit ein paar Kommilitonen von Ivan im Gras und schienen sich wohl zu fühlen. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr entschied er sich, den Grill anzufeuern. Als designierter Nicht-Trinker hatte er die ehrenvolle Aufgabe des Grillmeisters übernommen.

 

„Hey, Borya!“, kam es da von Ivan und das Geburtstagskind kam zu ihm herüber gelaufen.

„Ich hab vergessen, der Nachbarin Bescheid zu sagen. Kannst du das eben machen? Yura meinte, du wärst mit der ‚per Du‘!“

Boris‘ Blick glitt kurz zu der Sitzrunde im Gras. Er erkannte aus der Ferne das Gesicht einer Bekannten aus seinem Boxclub und erinnerte sich an die letzte Party mit ihr. Die war schon etwas länger her. Damals hatte sie zugelassen, dass er alle ihre Tattoos zählen durfte. Überall. Jetzt kannte er sie mittlerweile alle – Es sei denn, sie hatte ein neues. Wenn sie hier war, durfte es also lustig zu werden.

Boris hatte die Kohlen bereits zum Rauchen gebracht. Und alle seine Freunde waren irgendwie mit irgendwas anderem beschäftigt – oder irgendwem.

„Und wer macht den Grill?“, fragte er beiläufig, während er beobachtete, wie sein Bruder lachend in Kais Seite stieß und ihn damit beinahe zu Fall brachte.

Ivan reckte stolz das Kinn: „Ich natürlich!“

Boris linke Augenbraue wanderte vielsagend nach oben.

„Und wer begrüßt deine Gäste?“

„Boah, Boris Borisowitsch, du kannst echt ein Specht im Arsch sein! Ist doch voll super, wenn ich am Grill bin und die letzten Nachzügler hier begrüße, können die sich gleich ne Wurst mitnehmen! Ich bin voll schlau und organisiert und so!“

„Na gut, du Schlaumeier. Hier hast du die Zange. Für die Zukunft empfehle ich dir aber, die Nachbarn vorher zu informieren, nicht, wenn die Party schon im Gange ist. Kommt nicht so gut!“

„Was meinst du, warum ich dich hinschicke“, murmelte Ivan, als Boris abdrehte und durch die Seitengasse nach vorne lief, um bei Irma von Landsberg zu klingeln.

„Guten Abend, Frau Irma“, begann er, als sie die Tür öffnete, „mein trotteliger Freund hat Geburtstag und versäumt, Ihnen Bescheid zu geben, dass es vielleicht lauter werden könnte.“

„Dein Freund scheint etwas vergesslich – dabei ist das doch das Privileg der Alten!“

Sie schien kurz nachzudenken.

„Komm mal in fünf Minuten zum Zaun hinten im Garten. Ich glaub, ich hab da eine Kleinigkeit für deinen Freund.“

„Aber das ist nicht nö-“

Bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte sie ihm die Tür schon ins Gesicht geschlagen. Schulterzuckend kehrte er zu den Feiernden zurück. Er schnupperte den kräftig-zünftigen Geruch von Bratwurst und anderem saftigen, würzig marinierten Grillgut und verwünschte seine strikte Diät. Mit einem Auge schielte er auf eine Tupperdose auf dem Tisch neben dem Grillzangen schwingenden Geburtstagskind, in der kaum gesalzener Reis, grüne Stangenbohnen und etwas Geflügel lagen. Die letzte Mahlzeit für den heutigen Tag. Eigentlich dürfte er nicht mal das Alkoholfreie trinken, das Sergei ihm vorhin in die Hand gedrückt hatte. Aber irgendwo musste er eine klitzekleine Ausnahme machen. Seine Waage würde ihn morgen schelten, aber es sollten wirklich nur zwei werden; den Rest des Abends würde er Wasser trinken. Was tat er nicht alles für den Sport!

„Boris, mein Junge, komm kurz rüber!“

Wie versprochen stand Frau von Landsberg am Gartenzaun und winkte ihm. Also trottete er zu ihr herüber.

„Ich weiß nicht, was ihr jungen Leute heute so trinkt, aber ich denke, mit etwas Hochprozentigem kann man nicht allzu falsch liegen, was meinst du?“

Sie zeigte Boris eine Flasche Rum. Er lachte kurz.

„Nein, damit liegen Sie sehr richtig. Vanja steht mehr auf Rum. Er macht die… sagen wir, giftigsten Mischen, wenn Sie verstehen…“

Boris steckte sich zwei Finger in den Mund und pfiff einmal laut und kurz ein Crescendo. Mehr brauchte es nicht, denn irgendwie hatten sie sich untereinander so konditioniert, dass sie diesem Ruf automatisch folgten. Vanja tauchte an Boris‘ Seite auf und schnappte mit der Grillzange vor dessen Nase. Boris schlug unwirsch, aber leicht gegen seinen Arm.

„Ебанько[1]. Lass das und zeig dich mal von deiner besten Seite.“

Verwundert sah Ivan zu Irma von Landberg, die ihm als gute Nachbarin als Geschenk überreichte.

„Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich wünsche einen wunderschönen Geburtstag!“, erklärte sie freundlich. Ivan bedankte sich aufrichtig; der Flascheninhalt war sehr begehrt.

„Das wäre nicht nötig gewesen. Dafür trinken Sie aber einen mit uns! Und haben Sie auch Lust auf ein Würstchen?“

Im selben Moment schlug Boris ihn wegen Ivans Wortwahl und unfreiwilliger Anspielung gegen die Schulter.

„Aua, spinnst du?!“, entrüstete sich der Jüngere und rieb sich die schmerzende Stelle. Etwas verdutzt über Boris‘ Reaktion starrte Irma die beiden an. Dann lachte sie kurz auf, als sie es auch verstand. Dieser Bub…

Ihre bejahende Antwort unterbrach das Gezänk der beiden und Ivan verschwand, um für ihr leibliches Wohl zu sorgen. Er kam mit drei gefüllten Pinnchen und einem Pappteller mit Würstchen und Ketchup zurück.

„Danke, für mich nicht“, lehnte Boris den angebotenen Wodka ab, „den kannst du Yura andrehen, oder besser Kai. Wird sicher lustig, wenn der mal etwas aus sich rauskommt.“

Irma und Ivan stießen miteinander an und Irma leerte ihr Glas in einem respektablen Zug. Nach ein paar weiteren Nettigkeiten wurde Ivan als Gastgeber verlangt und er zog wieder von dannen; aber nicht, ohne ihre Nachbarin zu Nachschlag vom Grill eingeladen zu haben.

„Wie kommt es“, fragte Irma zwischen zwei Bissen, „dass du nicht mittrinkst? Nicht, dass du einen Grund bräuchtest, mein Lieber, aber unsere Begegnung war ja irgendwie eine Fügung alkoholischen Ursprungs… Ich nahm an, du bist dem nicht abgeneigt?“

Boris zuckt mit den Schultern und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Er lehnte sich an den Zaun, der an dieser Stelle von einem Rohr für ihre Gartenbewässerung verstärkt war.

„Ich habe bald einen wichtigen Boxkampf, da muss ich mich an einen strengen Ernährungsplan halten. Wie sagt man, mein Körper ist ein Tempel? Jetzt mehr als sonst.“

„Hast du solche Kämpfe öfter?“

„Nein, ich bessere gerade ein wenig meine Finanzen auf. Es ist schnell verdient, wenn ich in den Ring steige. Ich will ja nicht angeben, aber vor mir erzittern viele Gegner.“

Er hob seinen rechten Oberarm, der ihr zugewandt war, und flexte seinen Bizeps. Irma schmunzelte über seine kleine Show und nickte wohlwollend.

„Es wäre töricht, dich zu unterschätzen.“

„Ganz genau.“

Genüssliche verspeiste Irma den Rest ihres Würstchens und ihre Gedanken sprangen zurück zu Boris’ voriger Offenbarung.

„Wenn du dein ‚Taschengeld‘ aufbessern willst, sag mal, hättest du Interesse daran, regelmäßig bei mir als Gärtner zu arbeiten? Ich schaffe den Garten nicht allein und es müsste jemand regelmäßig hier was tun.“

Überrascht schaute Boris sie an, dann glitt sein Blick über den Garten seiner Nachbarin. Als er weiter schwieg, ergänzte diese: „Natürlich wirst du angemessen entlohnt. Wie klingen 15 Euro die Stunde? Und je nachdem, was anfällt, z. B. Hecke schneiden, falls du dir das zutraust, zahle ich nach Metern drauf? Mir ist einfach nur wichtig, dass sich jemand um meinen Garten kümmert, auf den ich mich verlassen kann. Ich suche da schon länger und du hast dich bei deiner quasi Probearbeit sehr bewährt.“

Boris würde lügen, wenn er sich gerade nicht völlig überrumpelt vorkam. Er versuchte im Kopf zu überschlagen, inwiefern sich das für seine Miete und die Nachzahlung rentierte. Bei etwa zwei Stunden pro Woche hätte er im Monat 120 Euro mehr zur Verfügung. Das könnte ihm schon sehr nützlich sein – bei sehr geringem Aufwand. Zumindest sein letztes Tattoo könnte er dann abbezahlen. Wenn er dann alle seine Schulden los war, könnte er es vielleicht dann im nächsten Jahr endlich schaffen, nach Kirow zu fliegen, um das Grab seiner Familie zu besuchen. Dafür müsste er nur noch ein bisschen zurücklegen…

„Aber ich wollte dich jetzt auch nicht überfahren; tut mir leid! Du kannst es dir überlegen. Ich wollte es dir nur angeboten haben.“

„Ich mach’s.“

Die Anzeigen aus der Zeitung hatten nichts gebracht und die Zeit wurde knapp.

„Wirklich? Danke dir. Wenn es dir recht ist, möchte ich dich gern bis zum Winter verpflichten.“

„Geht klar; dann habe ich auch eine gewisse Kontinuität.“

„Und Sicherheit. Normalerweise hätte ich vorgeschlagen die Abmachung mit nem Kurzen zu besiegeln, aber das fällt ja raus.“

Boris grinste: „Ein fester Händedruck sollte auch ausreichen.“

 

Im anderen Teil des Hinterhofes hatte sich um Yuriy, Kai, Sergei und Mathilda eine kleine Runde gruppiert. Sie fachsimpelten, angetrieben durch hochprozentigen Tankstoff, über verschiedene Muskelfähigkeiten. Wie sie dahingekommen waren, konnte Yuriy nur noch vage vermuten, irgendwer hatte Dwayne „The Rock“ Johnson erwähnt, daraufhin fiel der Filmtitel Baywatch, in dem Zusammenhang auch die „Abs“ von Zac Efron – und eins führte zum anderen. Yuriy griff zu einer neuen Flasche Cola und Kai hielt ihm ihre Becher hin.

„Zac Efrons Muskeln sind hübsch. Aber sind sie auch funktional?“, warf jemand in den Raum.

„Hast du den Film gesehen? Der hangelt sich da von Gerüst zu Gerüst, natürlich sind sie funktional!“

„Vielleicht ist er auch einfach der Typ ectomorph?“, schlug Kai vor.

„Was soll das sein?“

„Na ja, so jemand wie… hm, Yura. Yura ist vom Körpertyp eher ectomorph: Lang, schmal gebaut, eher magere Muskelmasse…“, fing Kai an.

„Oh, liebreizend, du weißt mit Worten umzugehen“, neckte Yuriy ihn.

„Ich meine, einen geringeren Körperfettanteil. Dir als Körpertypus fällt es schwerer, dass dein Aufbau von Muskulatur auch nach außen hin sichtbar wird, weil sich das Volumen deiner Muskulatur halt eine relativ große Oberfläche verteilen muss.“

„Weil er so ein langer Lauch ist“, fiel Sergei grinsend ein.

„Du kriegst gleich nen Lauch an den Kopf, Freundchen!“, fauchte Yuriy zurück.

„Naaa, aber Zac Efron ist kein Lauch wie Yuriy – nichts für ungut, Yura“, schaltete sich Mathilda nun ein, woraufhin Yuriy empört den Mund öffnete und schloss.

„Nein, er und The Rock sind beides vielleicht mesomorphe Typen? Optimale Voraussetzungen für einen athletischen Körper haben beide und sie bilden beide von der Statur her ein V: breite Schultern, eher schmalere Hüften und gut trainierte Schenkel. Sie sind… buff.“

Es ging eine Weile hin und her, in der verschiedene Sportler nun hinzugezogen und ihre Athletik verglichen wurden.

„Aber, aber!“, riss nun Palina, eine Freundin von Boris aus dem Boxclub, den Gang der Unterhaltung auffordernd an sich. Sie und die anderen Jungen kannten sich außerdem von regelmäßigen Feiern, so dass Ivan sie auch eingeladen hatte.

„Boris! Boris ist buff!“, erklärte sie, schwankend vor Promille. „Und er ist so einer, der phasenweise diätet, damit die Muckis gut zur Geltung kommen. Aufbauphasen und wie auch immer die anderen Phasen heißen. Schaut!“

Sie deutete auf den Grill, wo Boris gerade seine geleerte Tupperdose schloss und die letzten glühenden Kohlen zum Abklingen brachte. Sergei rief ihn herbei und bei seinen Freunden angekommen, zog Palina sich an seinem Arm nach oben. Sie machte eine ausladende Geste über seine Gesamterscheinung.

„Sein Körper ist ein Projekt!“

Allgemeines Nicken und teilweises Staunen.

„… Palina, objektivierst du mich?“

„Nur der Verehrung wegen! Wir bewundern dich und dein Durchhaltevermögen!“

Wieder einstimmiges Nicken.

„Mein Körper, mein Tempel“, zitierte Yuriy ihn grinsend.

„Ihr seid betrunken, alle zusammen.“

„Und du bist bloß neidisch, dass du nicht mittrinken kannst.“

„Dafür werdet ihr neidisch sein, wenn ich die ganzen grünen Scheinchen einsammeln kann. Apropos, ich nehme noch Wetten entgegen.“

Damit setzte Boris sich zu ihnen in den Kreis. Palina kletterte vertraut in seinen Schoß und tätschelte seine Wange. Die Unterhaltung wandelte sich zu anderem, albernem Schabernack. Der Schnaps floss in Strömen, das Bier gefühlt in Fässern.

„Ich will dich nicht bevormunden, aber willst du nicht lieber Bier statt noch nen Kurzen trinken, Palja?“, fragte Boris, der seine Freundin nicht mehr ganz alleine bei sich neben sich schwanken sah.

„Aber wir haben nur noch Dosenbier, ich mag nicht aus Dosen trinken!“

Boris verdrehte die Augen, schnappte sich ein Glas und füllte das Getränk um. Dabei plörrte die Dosenöffnung aber so sehr, dass mehr als die Hälfte der Flüssigkeit daneben lief.

„Oah fuck… mein ganzer Schoß ist nass! Jetzt stinkt meine Hose nach Pils und ich trinke es nicht mal!“, fluchte er.

„Ich kann mich gerne um deinen… Schoß … kümmern…“, zwinkerte Palina ihm zu.

Herausfordernd zog Boris eine Braue in die Höhe. Leicht gedämpfte obligatorische „Nehmt euch ein Zimmer“-Rufe schallte ihnen entgegen

„Ich komme darauf zurück. Aber im Moment habe ich eine bessere Idee“, murmelte er in ihr Ohr, während er auf ein paar schlafende Gestalten deutete.

„Bin gleich wieder da.“

 

 

~*~

 

 

Kleiner Knöterich hat die Gruppe „N30Bo1S“ erstellt.

Kleiner Knöterich hat Kai (Yuras Stecher) hinzugefügt.

Kleiner Knöterich hat mehrere Fotos geteilt.

 

Boris wachte zu einem beständigen Summen seines Handys auf. Es schien, als wollte es gar nicht mehr aufhören zu vibrieren.

 

11:24

Serjoscha: Wer hat diese grausigen Fotos geschossen? Mach die weg.

 

Kleiner Knöterich: Ihr Schweine habt mich angemalt! Jemand hat mir einen Penis auf die Wange gemalt! Mit Edding!!

[Beweisfoto]

 

11:35

Kai (Yuras Stecher): Warum bin ich in dieser Gruppe?!

 

11:37

Yura: Auf meiner Stirn steht ‚Pimmelmann‘. Warum? Welches von euch Arschlöchern war das!!?

 

Kai (Yuras Stecher): [Selfie von Kai, spiegelverkehrt, mit rotgeschrubbter Haut und Resten eines Phallus auf der Stirn] Kein Wunder, dass der Ticketkontrolleur mich ausgelacht hat und meinte, ich bräuchte mein Ticket nicht zeigen, ich sei schon gestraft genug!

 

 

Boris legte sein Handy wieder weg. Dabei stieß er seinen Edding an, der daraufhin auf den Boden kullerte. Pure Lustigkeit, wie er fand. Er ließ sich zurück in die Kissen fallen und drehte sich zu seiner Bettgesellschaft um. Auch sie trug schwarzen Marker in Form einer herzförmigen Katzennase und Schnurrhaaren im Gesicht. Grinsend streckte Boris seine Hand aus und stupste ihre Nase an.

„Palina, wach auf. Man ist uns auf den Fersen!“

 

 

 

______________________________________________

[1] Ебанько – beschreibt eine einfach nur sehr ungeschickte Person.

 

 

Ehrlich, Junge, steh zu deinen Stahleiern!

Er hatte seine spezielle Ernährung angepasst, sehr auf eiweißreiche Kost geachtet, nie vor dem Laufen etwas gegessen – etwas, das Yuriy ihm eingebläut hatte, weil Laufen auf vollem Magen dazu führen kann, dass man sich übergibt. Er hatte seine Mahlzeiten auf sechs am Tag erhöht, weil er sein Trainingspensum angezogen hatte. Er hatte Yuriy in den Wahnsinn getrieben, weil er ständig auf den glykämischen Index geachtet hatte, und sie ihre gemeinsamen Einkäufe nicht mehr so schnell abwickeln konnten. Sie hatten viel Obst und Gemüse gekauft („Geh mir jetzt weg mit der Ananas, was ich in meinen Mund stecke, geht dich gar nix an!“ – „That’s what he said…“ – „Boris!!!“), damit er abends mit einer gesunden Portion Kohlenhydrate seinen Körper regenerieren konnte.

Aber mittlerweile vermisste er schon Fastfood. Oder einen gekühlten Schluck Bier nach einem anstrengenden Tag. Er konnte das Gemüse langsam nicht mehr sehen. Außerdem wurde er langsam unruhig. Nur noch zwei Tage bis zum lange vorbereiteten Abend.

„Eine Aubergine hat keine Daseinsberechtigung! Nicht nur, dass sie nach nichts schmeckt, sie ist auch noch total eklig! 95 Prozent Wasser und 5 Prozent eklig!!“

Yuriy lachte über den Ton, mit dem Boris das sagte, - zugegeben, er lachte ihn auch ein bisschen aus – und reckte seinen Hals über die Sofalehne, um ihm kopfüber dabei zuzusehen, wie Boris in seiner Küche mit einem Messer verschiedenen Gemüsesorten an den Kragen ging.

„Entspann dich, Killer, nimm nen Chiller!“

Boris blitzte ihn an: „Würd ich, wenn ich könnte.“

Yuriy seufzte und stand auf. Boris war immer ein bisschen kratzbürstig, wenn er nervös war und scheinbar machte ihm die Tatsache, dass er den ersten richtigen Ringkampf seit Jahren hatte, schwerer zu schaffen, als er zugeben wollte.

„Warum gehst du dich nicht ein wenig abreagieren? Ein bisschen Training schadet doch sicher nicht. Und wenn es nur Seilhüpfen ist.“

Yuriy nahm ihm den Holzlöffel ab und drückte seinem Bruder eine Banane in die Hand.

„Na geh schon.“

Boris dachte über Yuriys Idee kurz nach und befand sie dann für logisch. Er stopfte sich im Gehen die halbe Banane in den Mund und verabschiedete sich. Yuriy seufzte schwer. Jetzt hatte er zumindest seine Wohnung für ein paar Minuten wieder für sich.

 

An der Sporthalle angekommen entdeckte Boris schon von weitem einen Farbklecks vor dem Halleneingang. Er schob sein Fahrrad in die Betonhalterung.

„Hast du etwa auf mich gewartet?“, fragte er das rauchende Mädchen keck.

„Es war nur eine Frage der Zeit, bis du auftauchst“, entgegnete es und bot ihm eine Zigarette an, die er ablehnte.

„Ich rauche immer noch nicht, Palina.“

Er ließ seine Tasche auf den Boden fallen und reckte seine Nackenmuskel. Dann beobachtete er, wie ihr bunter Arm den Filter an ihre gepiercten Lippen führte und diese dann, offensichtlich zu seiner Belustigung, Ringe aus Rauch ausstießen. Palina war eine sehr gute Bekannte. Eigentlich sogar mehr als das. Sie hatte an beiden Armen Sleevetattoos in schrillen Farben und Formen. Heute trug sie nur ihr Septum, sämtliche Ohrringe und ihre Helix hatte sie schon abgenommen. Die Snakes, die ihn jedes Mal anmachten, wenn sie sich küssten – und sie konnte verdammt geil küssen – musste sie noch zum Training rausnehmen.

„Hältst du mir gleich den Sack?“

Palina sah ihn mit einem trockenen Blick und hochgezogener Augenbraue an.

„Geht das auch romantischer?“

„Den Boxsack! Nicht alles, was aus meinem Mund kommt, ist eine sexuelle Anspielung.“

Sie strafte ihn schweigend mit einem vielsagenden Blick und rieb die Glut ihres Stummels an einem Mülleimer aus, bevor sie die Zigarette darin entsorgte.

„Wenn es sich ergibt, können wir trainieren. Treffen wir uns danach aber auf jeden Fall vor den Umkleiden?“

„Klar.“

 

Es war ihr Ding, nach dem Training – wenn niemand zusah – ab und zu gemeinsam in die Duschen zu verschwinden. Manchmal alberten sie nur herum und manchmal, wenn sie wirklich ganz allein waren, trieben sie es miteinander – wie die Karnickel, wie man so schön zu sagen pflegte. Sie hatten relativ schnell auf die sexuelle Spannung zwischen ihnen reagiert, indem sie es einfach miteinander probiert hatten. Keiner von ihnen war in den anderen verliebt, sie fanden sich beide nur gleichermaßen attraktiv. Und sie hatten in einer dieser Umkleiden ebenso schnell festgestellt, dass sie gut zusammen passten – sexuell. Sie konnten sich einfach gut riechen.

Heute waren sie nach dem Training ganz für sich allein. Und Boris musste Dampf ablassen. Das war Palina nur recht, denn dann vibrierte Boris regelrecht unter ihren Händen und er trieb sie in Ekstasen, die sie durch eigenes Handanlegen nicht erreichte. Er hielt ihr Kinn mit festem Griff, während seine Zähne und Lippen im Wechsel ihren Hals malträtierten. Das Wasser prasselte auf seinen breiten Rücken, seine Hüfte dirigierte sie an die kühlen Fliesen der Wand. Mit seiner freien Hand streichelte er über ihr Milchstraßen-Tattoo ihre rechte Seite hinab, bis er ihren Oberschenkel fest umfasste. Ohne Aufforderung schlang sie ihr rechtes Bein um seine Hüfte. Ihr Kondom lag griffbereit in der kleinen Ablage neben dem Temperaturregler. Palina reichte es ihm und er riss die Verpackung eilig auf.

 

„Mao hat ihre stabilen Titten heute wieder außerordentlich effektiv in Szene gesetzt“, meinte Boris unvermittelt, als er in seine Shorts schlüpfte, während Palina sich vor ihm kopfübergebeugt die Haare trocknete. Sie seufzte kopfschüttelnd.

„Du bist echt ein wahres Talent in Sachen Timing, du Arschkopf.“

„Wieso?“

Manchmal wusste Palina nicht, ob Boris nur so tat oder wirklich so ahnungslos war.

„Okay, wie würdest du dich jetzt, in diesem Moment fühlen, wenn ich – keine Ahnung, irgendwie voll des Lobes über Lais Schwanz wäre?“

„Häh?“

„Wenn doch dein Schwanz gerade … Ach, lassen wir das. Egal.“

Sie richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe auf, überragte damit Boris um zwei Zentimeter, sogar ohne Schuhe.

„Was meinst du denn? … Du hast auch schöne Möpse? Das wollte ich dir nicht absprechen.“

„Vergiss es einfach“, meinte Palina und schnipste ihm gegen die Nase. Dann ließ sie sich gegen seine Brust sinken, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. Boris roch oft sehr erdig, manchmal nach Motorenöl, aber meistens einfach sauber und das war für sie ein Grund seiner Anziehung, die er auf sie wirkte.

Sie drückte sich wieder von ihm ab.

„Außerdem würde ich leiser über Maos Brüste reden. Bist du lebensmüde oder so? Sie ist immerhin Lais Schwester. Der Lai, der dir die Kämpfe besorgt. Es wäre ihm ein Leichtes, dir besonders schwere Gegner anzudrehen.“

Boris winkte ab.

„Ich mein das doch auch nur so. Die Kleine zeigt halt, was sie hat und das kann sich echt sehen lassen. Ist doch ein Kompliment.“

„Ich habe gerade nicht die Kapazitäten, um mit dir durchzugehen, warum das jetzt falsch ist. Außerdem weiß ich, dass du das besser meinst, als du es gerade ausdrückst.“

Sie schob Boris‘ Aussetzer auf die Leere in seinem Kopf, die Orgasmen gelegentlich bei ihm hinterließen.

„Außerdem – dass irgendwas mit Mao und dir laufen würde, kannst du dir abschminken. Da hast du keine Chance, Lai würde das nie zulassen.“

Sie kämmte eine Weile durch ihre Haare, bevor sie schwer seufzte, was Boris‘ Aufmerksamkeit erregte.

„Kannst du mir bei einem Problem helfen?“

„Klar. Wie groß soll es denn werden?!“

Palina schlug mit ihrem Handtuch nach seinem Hintern. Sie traf auch, dennoch gackerte Boris nur über die Attacke.

„Es geht tatsächlich um Lai…“, fing sie an, woraufhin Boris sich ihr gegenübersetzte.

„Stehst du auf ihn oder was?“, fragte er recht schnodderig, was seine Freundin etwas aus dem Konzept brachte.

„Wo ist jetzt das Problem? Sag’s ihm doch einfach.“

Weil Palina genervt mit den Augen rollte, fuhr er fort: „Du willst mir doch nicht erzählen, dass du Schiss hast? Versuch es bei ihm, wenn du ihn willst. So einfach ist das. Ich glaube nicht, dass er dagegen“, er deutete ausladend über ihre Figur, „etwas zu sagen hat.“

Der genervte Blick sprang jetzt auch auf ihre Mimik über. Boris setzte nach: „Natürlich hast du auch noch andere Vorzüge als nur deinen Körper. … Ehm… du bist taff…?“

„War das jetzt ne Frage oder eine Feststellung?“, stichelte sie in seine offensichtlich schwache Argumentation hinein. Sie hakte sich mit den Unterarmen in die Halterungen der Garderobenstangen ein und ließ sich nach vorne fallen, streckte ihren Rücken durch.

„Ich weiß, welche Vorzüge ich habe, danke. Das Problem bist du. Oder besser gesagt, das, was wir hier tun.“

Boris sah an ihrem Miteinander kein Problem, darum wartete er, dass sie weiter ausholte.

„Für ihn sind wir zusammen. Du und ich.“

Ach, daher wehte der Wind. Sie ließ sich wieder auf die Holzbank plumpsen und ergänzte in sein Schweigen:

„Du glaubst doch nicht, dass unsere Stelldicheins so geheim sind? Wir wurden zwar nie erwischt, aber das zwischen uns was läuft, weiß eigentlich jeder hier im Club.“

Boris stand auf und setzte sich neben sie. Er stupste sie mit einem Bein an und grinste.

„Für dich würde ich eine Schlussmach-Szene inszenieren.“

Einen Moment lang ließ das aufrichtige, jungenhafte Grinsen ihr Herz höher schlagen. Manchmal war dieser Holzkopf schon irgendwie charmant…

„Im Ernst. Ich mach das, wenn das hilft. Du musst es nur sagen. Ich mein, es ist ja keine Beziehung, die wir beenden, wir vögeln ja nur miteinander…“

„Und schon ist der Moment ruiniert“, murmelte sie. Aber sie schätzte sein Verständnis und seinen Einsatz. Ergeben tätschelte sie sein Knie.

„Beeil dich jetzt, wir müssen die Halle noch abschließen.“

Boris nahm seinen Seesack vom Boden auf und ging vor. Palina folgte ihm und nach einem Blick auf seine Rückansicht musste sie insgeheim zugeben, dass sie es schon ein bisschen bereuen würde, ihn ziehen zu lassen. Auch er hatte seine Vorzüge, die es ihr schwer fielen ließen, ihn gehen zu sehen – und gleichzeitig war es genau das, weshalb sie ihn gerne gehen sah.

 

 

~*~

 

 

16:34

Yuriy Ivanov: Ich hau mich kurz hin, ja? Hast ja meinen Wohnungsschlüssel...

 

16:35

Yuriy Ivanov: Fick mich einfach, sobald du da bist.

 

16:35

Yuriy Ivanov: Weck! Weck!!!

 

16:35

Yuriy Ivanov: Ich meinte: Weck mich! XD Scheiß autocorrect >.<

 

16:37

Kai H.: Hahaha! … Ich mein… Beides IST möglich… ;)))

 

 

„Was machst du da?“, fragte Boris, als Yuriy das Badezimmer trat, puterrot im Gesicht und die Augen am Bildschirm seines Smartphones wie festgeklebt.

Ertappt steckte Yuriy sein Handy in die Gesäßtasche. Er brauchte einen Moment, um das, was er sah, zu erfassen. Es war der Abend vor dem Kampf und Yuriy hatte seinen Bruder eigentlich nicht in seiner Wohnung erwartet.

„Gegenfrage: Was machst du da?!“

„Ich creme meine Füße ein. Das ist angenehmer für den Ring. Außerdem mögen die Frauen es, wenn man nicht so rau wie ein Reibeisen ist.“

„Wirklich? Ich dachte, dass Hornhaut eigentlich besser ist? Zumindest für Barfuß-Sport.“

Boris schnalzte missbilligend ob der Widerworte mit der Zunge und wusch sich die Hände. Anschließend reichte er Yuriy seinen Rasierer.

„Kannst du mir helfen? Ich komme an gewisse Stellen nicht ran.“

Er zog sich sein Tanktop über den Kopf. Normalerweise ließ er sich wachsen, besonders vor einem Kampf. Da er sich das jetzt aber nicht leisten konnte, musste Yuriy herhalten.

„Auf dem Rücken könntest du auch wachsen. Ich hab so Warmwachsstreifen gekauft.“

Yuriy betrachtete den Körper vor sich, der sich jetzt auch seines letzten Kleidungsstückes entledigte.

„Du bist ein Bär. Lass das doch. Deine Härchen sieht man doch eh nicht, so hell wie die sind.“

„Ich will aber morgen gut aussehen!“, entgegnete Boris starrköpfig und stieg über den Wannenrand, damit er nicht im gesamten Bad eine Sauerei anstellte.

„Und kannst du mir die Augenbrauen auch zupfen? Deine sehen immer so elegant aus.“

„Oh, Borya will hübsch aussehen für seinen Kampf“, flötete Yuriy belustigt, rückte sich dann aber einen Hocker zurecht, um sich ans Werk zu machen. Eigentlich hatte er ja ein kurzes Nickerchen machen wollen, bevor Kai für einen gemütlichen Abend vorbeikam… Was tat er nicht alles für seinen Lieblingsbruder! Seufzend nahm er die Warmwachsstreifen, studierte kurz die Anleitung und legte sie schließlich auf die Rückseite von Boris Oberschenkel an.

„Warum kommst du mit deinem Groomingkram eigentlich zu mir, hätten wir das nicht auch in deiner Wohnung machen können, wo du alles parat hast?“

„Ich muss Wasser sparen!“, zischte Boris durch zusammengebissene Zähne, weil Yuriy just in dem Moment den Streifen mit einem Ruck abzog. Sein Bruder strich prüfend über die enthaarte Stelle und setzte den nächsten Streifen an. Nachdenklich wiederholte Yuriy diese Prozedur, auch am anderen Oberschenkel, sowie an Boris Backen.

„Wenn du wirklich solche Geldprobleme hast, könnten wir doch auch wieder zusammenziehen.“

„Yura, nein. Erstens hast du grad sowas wie ne Beziehung am Laufen, bei deren pikanten Angelegenheiten ich echt nicht Zeuge werden möchte. Und zweitens will ich meine Unabhängigkeit nicht aufgeben.“

Boris rieb sich über die Augen, um die leichten Schmerzenstränchen vom Haare Ausreißen zu entfernen. Er ließ sich von Yuriy kurz abspülen und mit einer beruhigenden Hautcreme nachbehandeln. Während Yuriy sich die Hände wusch, zog er sich wieder an und setzte sich auf den Wannenrand. Als Yuriys warme Hände sein Gesicht umfassten, legte er den Kopf in den Nacken, damit Yuriy sich, mit Pinzette bewaffnet, seinen Augenbrauen widmen konnte. Ihre Blicke trafen sich; Boris entdeckte versteckte Sorge in Yuriys Gesicht. Daher versicherte er optimistisch: „Ich krieg das schon hin.“

„Hm.“

Yuriy arbeitete eine Weile an einer schwungvollen Linie, bis er endlich wieder etwas zur Sache beitrug.

„Wenn du wirklich keine pikanten Dinge zwischen mir und Kai erleben willst, musst du wirklich noch mal an deiner Manier arbeiten, einfach ungefragt in meine Wohnung zu platzen.“

„Ich versuch’s“, grinste Boris. „Hast du dich eigentlich schon bei Max gemeldet? Und ihn… Dinge gefragt?“

„Jain. Ich brauch da erst eine gewisse Vertrauensbasis und will ihn erst kennenlernen. Aber wir treffen uns morgen. Offenbar schaut er dir morgen auch beim Kampf zu.“

Boris wurde neugierig. Bislang hatte Max, sein Bekannter aus dem Jugendzentrum, noch nie Interesse am Boxsport gezeigt. Aber wenn er sich recht erinnerte, hatte Max ziemlich viele Fragen zum Club gestellt, als Boris ihn um Yuriys Willen um Rat und Telefonnummer gebeten hatte.

„So. Fertig.“

Yuriy gab ihm aus Gewohnheit einen Kuss auf die Stirn.

„Hau ab jetzt. Ich hab heut noch was vor, was deine Anwesenheit nicht erfordert. Und wenn du dich nicht beeilst, schlag ich dich mit meinem Schuh!“

 

 

~*~

 

 

„Meine verehrten Damen und Herren, ich heiße D.J. Jazzman und Sie herzlich willkommen zum Auftakt unserer freundschaftlichen Turnierreihe im Namen der WAKO! Ich stehe hier vor Ihnen als Moderator des heutigen Kampfes und außerdem auf die hübsche Blondine in der zweiten Reihe!“

Während der drollige Moderator die Zuschauer begrüßte, drängten sich Ivan, Sergei und Mathilda über die Tribüne. Yuriy hatte ihnen geschrieben, dass er ihnen Plätze freigehalten hatte. Er winkte ihnen aus der dritten Reihe. Von dort hatten sie einen sehr guten Blick auf den Ring.

„Schön, dass ihr gekommen seid!“, begrüßte Yuriy seine Freunde.

„Ich werde mir doch nicht entgehen lassen, wie Boris den Arsch versohlt kriegt“, lachte Ivan frech. „Popkorn?“

Yuriy schüttelte zu beidem den Kopf: „Komm schon, Vanja, sei einmal nett?“

„Dass du das als Frage formulierst, find ich schon richtig. Boris war auch nicht besonders nett, als er mich angemalt hat. Den Scheiß-Stift hab ich zwei Tage nicht abgekriegt.“

„Musst dich halt mal öfter waschen“, meinte Sergei achselzuckend und ignorierte Ivans pikiertes Schnauben.

„Was genau für ein Boxen macht dein Bruder eigentlich?“, fragte Kai und rückte noch einen Platz auf.

„Kickboxen. Er-“

Yuriy setzte zu einer elaborierteren Antwort an, aber Sergei hielt ihm den Mund zu.

„Boris gibt halt auf‘s Maul. Immer wieder sehenswert.“

Ivan grinste breit und machte es sich auf seinem Platz gemütlich: „Und wir wollen Blut sehen, egal wie.“

 

Boris saß in der Umkleide und knetete seine Hände, bevor er sich die Bandagen umwickelte. Dabei achtete er darauf, dass seine Handgelenke und seine Knöchel gesichert waren. Palina hatte angeboten, ihm zu helfen, aber er hatte abgelehnt. Er konnte sie gerade nicht um sich haben. Ruhelos rollte er seine Schultern. Sein linkes Bein zuckte nervös auf und ab; er musste sich bewusst dazu zwingen, es ruhig zu halten. Die Bandagen fühlten sich nicht richtig an und er wickelte sie noch einmal neu. Vielleicht war es, weil er Galina die ganze Angelegenheit verschwieg…?

Er war erwachsen, verdammt nochmal, er durfte tun und lassen, was er wollte!

Ungeduldig stampfte er mit seinem Fuß auf die Holzbank und zog die Schoner über seine Schienbeine. Sie würden barfuß kämpfen; trotzdem konnte ein bisschen Trittschutz nicht schaden. Sein Tiefschutz zwickte und er ordnete seinen Schrittbereich neu.

 

„Wir können froh sein, dass wir es hier und heute nicht mit einem Bareknuckel-Kampf zu tun haben“, dröhnte Jazzmans Stimme über sie hinweg.

„Zehn Runden sind angesetzt in der höchsten aller Gewichtsklassen. Wir kommen zum Walk-in! In der blauen Ecke haben wir den Titelverteidiger in der Cruiserklasse, Michael – “

Jazzman wurde unterbrochen durch Lai, der zu ihm eilte und ihm einen Zettel zusteckte.

„Verzeihung, mein Fehler: Wir starten heute im Superschwergewicht mit einem Gast aus den USA. 24 Jahre jung, stark wie ein Stier, aber ist er auch so leicht zu provozieren?! Sein Ghettoblaster ist sein ständiger Begleiter und gibt ihm Extramotivation! Mal sehen, wie es ihm heute ergeht, wenn er ohne auskommen muss. Begrüßen Sie mit mir: Rick Anderson!!“

Gedämpft hörte Boris die Stimme des Ansagers. Die Überraschung war den Organisatoren gelungen. Mit Rick hatte Boris nicht gerechnet. Eigentlich hatte Lai ihm erzählt, es würde jemand Schlankes mit schnellen Punches werden. Danach hatte er eigentlich sein Training orientiert. Rick war ein schwerer Koloss. Seine starken Kicks hatten ihn schon beim bloßen Spaß-Sparring fast in die Knie gezwungen. Es war aber ein Vorteil, dass er um die Impaktstärke seines Gegners genau wusste. Boris blieb in seinem hastigen Hin- und Herlaufen stehen. Er erinnerte sich auch daran, dass Rick Linkshänder war. Dieses Wissen würde er sowas von einsetzen!

Das Publikum applaudierte dem Athleten, der sich nun unter seiner selbst gewählten Einlaufmusik – Beast von Rob Bailey - auf den Weg machte. Mit seiner sonnengegerbten Haut und schwarzen Stulpen, die in weißen Boxhandschuhen, bedruckt mit einem violetten Stern, endeten, und dem silberblond gefärbten Haar, das er zu einem kurzen Zopf zusammengebunden hatte, sah er wie ein unbezwingbarer Fels aus. Trippelnd zeigte er dem Publikum ein paar Jabs zum Warmmachen, winkte den Zuschauern zu und umrundete einmal den viereckigen Kampfbereich. Er trug ein dunkelblaues Achselshirt zu einer weißen Hose, die ihm bis kurz über die Mitte seiner muskulösen Oberschenkel reichte.

Yuriy runzelte die Stirn. Kai sprach aus, was auch Mathilda dachte, als Rick unter anfeuernden Pfiffen und Jubel den Ring betrat:

„Und das ist erlaubt? Rick sieht so viel schwerer aus als Boris.“

Yuriy: „Schon. Die Gewichtsklassen sind festgelegt. Superschwergewicht ist Superschwergewicht und gilt ab etwa 91 Kilo. Boris hat sich da schon passend hochgefressen.“

Jahrelange leidvolle Erfahrung und Begleitung zu diversen Turnieren ließen Yuriy nun mit Fachwissen glänzen.

„Und jetzt auf dem Weg in die rote Ecke: Mit seinen 23 Jahren ist auch er kein unbeschriebenes Blatt, hat er doch schon den Juniorenmeistertitel zweimal in Folge gewonnen! Bitte begrüßen Sie mit mir den Herausforderer Boris Kusznetsov!“

Auch für Boris wurde eine Einlaufmusik gespielt, aber als er den Song erkannte, weil er den nicht ausgewählt hatte – Fighter von Christina Aguilera – reckte er die Faust in Richtung Lai und schüttelte sie. Leider waren die Boxhandschuhe schon festgezurrt, somit konnte Lai am Mischpult den Mittelfinger darin nur erahnen; er lachte aber schadenfreudig über seinen Schabernack. Boris zog eine Grimasse, drückte seine schwarzen Handschuhe zurecht und lief in einem zum Rhythmus passenden Schritttakt zu seiner Ecke.

Nachdem „Jazzy“ Jazzman die Offiziellen des Kampfes vorgestellt hatte, nannte er noch ein paar weitere Einzelheiten über die Kontrahenten, während diese sich für den Kampf bereitmachten. Michael Summers, den der Moderator fälschlicherweise vorhin zuerst ankündigen wollte, stand in Ricks Ecke und reichte ihm dessen Mundschutz. Außerdem rieb er ihn mit irgendwas ein, so dass Ricks Schultern, Brust und Rücken glänzten. Etwas Ähnliches veranstaltete Palina mit Boris in der roten Ecke ebenfalls.

„Was machen die da?“, fragte Mathilda. Ihr Blick legte sich neugierig auf Yuriy.

„Er lässt sich gern den Rücken einölen. Dadurch wirken seine Muskeln größer… oder so.“

Früher war Yuriy auch oft unten am Ring gewesen und hatte diese Aufgaben übernommen. Er grinste leicht, als er sah, das Palina seinen Bruder auf eine Stelle an seinem Bein hinwies und ihn offensichtlich auslachte. Sie schmierte ihm aber versöhnlich noch etwas Cremeartiges ins Gesicht. Boris war in guten Händen, und das beruhigte Yuriy.

Die beiden Kontrahenten gingen aufeinander zu und stießen ihre Boxhandschuhe freundlich gegeneinander. Der Schiedsrichter erklärte ihnen in aller Kürze die Regeln, wies überdeutlich auf die Disqualifikationsmerkmale hin und nachdem beide versichert hatten, sie hätten keine Fragen mehr, wünschte er ihnen einen fairen Kampf.

„Angst, Potter?“, grinste Rick Boris an.

„Eine Harry Potter-Referenz, wirklich? Ganz falsche Adresse“, grinste Boris zurück. Er sah kurz zu seinem Feuermelder von Bruder herüber, den er in jeder Menschenmenge direkt ausmachen konnte. Es war einfach ein Reflex.

„Die Kämpfer sind bereit zuuuuuum FIGHT! BEGIN!“

Als der helle Glockenton ertönte, hatte Boris schon die Hälfte des Rings überquert und attackierte Rick ohne Zögern.

„Und Kusznetsov legt sofort los, da geht er nach vorn – mit zwei Kicks zum Körper von Rick Anderson!“

Rick zog seine Fäuste zur Deckung hoch. Boris trat mit zwei Sidekicks nach, einmal zu Ricks Kopf, die dieser gekonnt mit seinem Bizeps abwehrte. Nach dem zweiten Kick änderte Rick seine Haltung. Sie tänzelten leichtfüßig umeinander. Plötzlich schoss Rick nach vorn.

Die Kämpfenden wurden von der sonoren und aufgeregten Stimme von DJ Jazzman untermalt: „Anderson ist ein bedingungsloser Kämpfer. Ich habe ihn schon oft kämpfen sehen – und da sind sie auch schon, die gefürchteten Drehkicks! Aber die steckt Kusznetsov weg. Na, da atmet er schon mal tief durch – und da wird er angezählt, ja, ja, aber er steht. Kusznetsov steht noch und es geht weiter! Und nochmal der Drehkick! Der Anderson, der macht nicht lange. Der macht keine Gefangenen! Der versucht hier sofort den Kampf vorzeitig zu entscheiden!“

Kai legte eine Hand auf Yuriys Unterarm. Dessen Hand hatte sich in seinen eigenen Oberschenkel gekrampft. Bei der Berührung entspannten sich die langgliedrigen Finger wieder.

„Schon gut. Ich hab ihn nur schon lange nicht mehr kämpfen sehen“, murmelte Yuriy auf Kais stumme Frage. Vor allem hatte er schon lange nicht mehr gesehen, dass sein Bruder so viel einstecken musste. Am Anfang hatte Boris gut vorgelegt, aber jetzt hatte Rick die Führung übernommen.

„WIEDER DRAUF AUF DIE RIPPE!“, donnerte Jazzmans Stimme durch die Lautsprecher, „Immer auf die gleiche Stelle!! Ein Drehkick – uhh~ Noch einmal- dreimal schon hintereinander! Kusznetsov schaut, wo eine Lücke in der Deckung ist… Zaghafter Kick zum Oberschenkel – und sofort die Antwort: Zack, noch mal drauf! Anderson macht das bislang aus!ge!zeichnet!“

Boris nahm Abstand von Rick, rang nach Atem, hielt ihn sich vom Leib. Er wischte sich mit dem Arm Schweiß von der Stirn. Wieder kam Rick angeschossen, Boris hob die Arme zur Deckung.

„Das Knie von Anderson jetzt wieder… jetzt macht er mal halblang, der Anderson!“

Boris schaffte einen Fußfeger und brachte Rick für einen Moment aus dem Gleichgewicht.

„Ganz vorsichtig, der Kusznetsov... Letzte 10 Sekunden – noch mal ein harter Kick von Anderson, da wackelt er, da wackelt Kusznetsov! Die Zeit ist aus! Der Blick ist glasig! Kusznetsov schüttelt mit dem Kopf! Hat er Glück, dass der Gong gekommen ist!!“

Die Kontrahenten nickten einander anerkennend zu, bevor sie sich in ihre gegenüberlegenden Ecken zurückzogen. Jazzman hob in der kurzen Pause Ricks Leistung mit lobenden Worten hervor:

„Hier zeigt sich eine unglaubliche Kämpfernatur. Ich hab selten einen 100 Kilo Mann gesehen, der so beweglich ist, der so… mit den Beinen agieren kann!“

In der Ecke wartete Lai bereits auf Boris, stand als sein Trainer schon bereit, um ihm gut zuzureden und Tipps zu geben, wie er am besten aus dieser Situation rauskam. Palina stand in seinem Rücken und kühlte seinen Nacken mit einem Beutel Eiswasser.

Boris fluchte. Er hatte bei seinem Sparring mit Rick schon die miesen Sidekicks einstecken müssen und seitdem hatten sie nur Leichtkontakt-Training gehabt. Im Stillen fragte er sich, ob Lai vielleicht doch von seinen Sprüchen über Mao wusste und ihm deshalb gleich zu Anfang einen so schweren Gegner ausgesucht hatte.

„‘Wie kann ich mich am besten gegen den Rick Anderson wehren?‘ Das muss durch Kusznetsovs Kopf gehen. Jaaa, nicht so einfach, die Fragen zu beantworten!“, kommentierte der Moderator wieder über die Köpfe der Zuschauer hinweg die offensichtlichen Gedankengänge in der roten Ecke.

Yuriy rieb sich über die Hosenbeine.

„Jo, ich hol uns mal was zu trinken“, bot Sergei an und Mathilda rückte auf seinen Platz auf, näher an Yuriy.

„Hätte nicht gedacht, dass er so vermöbelt wird. Und das in der ersten Runde“, meinte Ivan, fast schon mitfühlend.

„Wird der Kampf abgebrochen, wenn sich jemand verletzt?“, fragte Kai.

„Normalerweise schon, aber Boris wird den Teufel tun und aufgeben, selbst wenn er sich was bräche. Das lässt sein Stolz nicht zu“, erklärte Yuriy und rieb sich die Stirn.

„Der soll jetzt mal zeigen, was er kann, wofür hat er sonst die ganzen Muckis, ey!“, platzte es ungeduldig aus Ivan heraus.

Der Gong zur zweiten Runde ertönte. Rick eröffnete mit sehr gezielten Angriffen, die Boris mehr schlecht als recht abwehren konnte. Plötzlich wurde es dunkel.

„Ouuuuh, da geht er runter – Kusznetsov liegt auf der Matte. Er wird angezählt… Ah, er quält sich so langsam wieder auf die Beine, er scheint angeschlagen… nein, er fängt sich wieder! Er springt und hüpft wie ein Flummi und ja, es kann weitergehen!“

Mathilda und Kai zogen an Yuriys Jacke und ihn damit auf seinen Sitz zurück. Er war aufgesprungen und hatte Obszönitäten in Richtung Rick gebrüllt, als der Boris auf die Bretter geschickt hatte. Kai entdeckte eine faszinierende, neue Seite an seinem Freund.

„Mit stoischer Gelassenheit, einmal angezählt, da muss er sich jetzt erstmal zusammennehm- OH! Ein Roundhousekick mit 360 Grad – seine Spezialität! Hab ich mir zumindest sagen lassen!“

Wieder ging Boris in die Knie, stand allerdings, bevor der Ringrichter ihn anzählen konnte. Da ertönte der Ton zur Pause ein weiteres Mal.

Heftig atmend spuckte er seinen Mundschutz aus und ließ sich von Palina Wasser anreichen. Lai spielte mit ihm eine Taktik durch, der er nur mit halbem Ohr lauschte. Boris hatte einen eigenen Plan, und der lautete „drauf da“. Wenn er jetzt nicht endlich den Ton angab, dann war der Kampf für ihn gelaufen. Diese Genugtuung gönnte er Rick nicht.

Mit fliehenden Fäusten flog Boris auf Rick zu, sobald die Verschnaufpause um war. Jazzman hatte kurz die Übersicht verloren, ehe er seine Sprache wieder fand, um zu beschreiben, welche Wendung der Kampf jetzt nahm.

„Boxen, das ist noch das Manko von Anderson, da weiß er selbst, dass das noch nicht gut ist… Seine Highlights sind die Kicks, seine Beine wie Baumstämme schlagen zu, da wächst dann kein Gras mehr!“

Jazzman begann zu schwitzen.

„Aber Kusznetsov, der zeigt hier sehr gerade Jabs, er versucht jetzt wenigstens mal ordentlich anzugreifen, und ohhh, das war ein sehr explosiver linker Haken, exzellenter Hüfteinsatz in dieser Technik!“

„Ich greif dich gleich ordentlich an“, knirschte Yuriy mit zusammengebissenen Zähnen in Richtung des Moderators, woraufhin Kai leise schmunzelte.

„Anderson hat Respekt vor diesen Aktionen, die er gar nicht sieht – was er mit seinen Beinen bei Kusznetsov angerichtet hat, kriegt er jetzt bare Münze durch die Faust zurück!“

Ab dieser dritten Runde wurde das Duell ausgewogener. Nach und nach schienen Rick die Kräfte zu verlassen, während Boris auf eine schier unerschöpfliche Kondition zurückzugreifen schien. Das Lauftraining mit Yuriy zahlte sich anscheinend aus. Endlich hatte Boris in Runde 7 die Oberhand gewonnen.

„Was ist das? Ein blitzartiger Hook-Kick und – Was WAR das!?“

Boris hatte Rick mit seinen Fäusten unglaublich zugesetzt. Er sah eine Öffnung in Ricks Deckung und entschied sich im Bruchteil einer Sekunde für einen linken Kick zu Ricks Kopf. Dort war dessen Deckung schwächer, weil Rick eben Linkshänder war. Boris hatte all seine verbliebene Kraft in diesen letzten Kick gesetzt. Die Zuschauer begannen zu jubeln, während DJ Jazzman ungläubig auflachen musste.

„DA geht er runter und wird ausgezählt vom Ringrichter! Anderson am Boden, er reißt sich zusammen, quält sich hoch, aber…?“

Mittlerweile waren alle Zuschauer aufgestanden und reckten ihre Hälse. Ivan und Mathilda stand auf ihren Sitzen, um besser über die Köpfe der Reihe vor ihnen hinweg etwas sehen zu können. Jazzman presste sein Mikro fest vor seine Lippen. Der Ringrichter reckte Boris‘ Arm nach oben und erklärte ihn zum Sieger.

„DER KAMPF IST AUS!!! DER KAMPF IST AUS!“, schrie er voller Euphorie, mit sich überschlagender Stimme.

„Da hat er mal ein bisschen länger gebraucht, Kusznetsov, aber dann jetzt nach der 7. Runde BEENDET er es mit so einem satten Kick zum Kopf – Tja, das ist der Boris Kusznetsov, vor dem wir uns wohl in der nächsten Zeit fürchten müssen! Ein Finisher, der nicht lange fackelt!“

Boris und Rick stupsten heftig atmend und müde, aber zufrieden mit ihrer Leistung und freundschaftlich ihre Handschuhe gegeneinander. Jetzt, als das Adrenalin langsam nachließ, spürte Boris ein Pochen, das sich rasant über seinen gesamten Oberkörper ausbreitete. Außerdem fühlte es sich an, als wüchse ihm ein Horn auf seiner linken Stirn.

 

„Wo ist Yuriy?“

Suchend sahen sich Kai, Mathilda und Ivan um. Sergei deutete auf die rote Ringecke. Yuriy hatte sich unbemerkt von ihnen bereits auf den Weg gemacht, um Boris zu gratulieren.

„Der ist schon wieder gehyped.“

Sergei machte sich auf den Weg zu ihrem Lieblingsrotschopf und die anderen folgten ihm.

„Geiler Kampf, Borya! War das Absicht, alle so auf die Folter zu spannen, ob du wohl wirklich gewinnst?“, fragte Ivan provokant, wofür er einen Mittelfinger erntete. Yuriy hatte ihm bereits aus den Handschuhen geholfen, während Palina einen kleinen Schnitt nahe seines Haaransatzes mit einem Heftpflaster verarztete.

„Bisschen dumm gelaufen, sorry Kumpel“, erklang eine leicht nasale Stimme hinter ihnen. Dort stand Michael Summers, komplett nonchalant und apologetisch.

„Die Änderung in der Ziehung der Gegner geht auf mein Konto.“

Yuriy drehte sich feindselig zu ihm um: „DU warst das? Das gibt Dresche.“

„Da kommt der Boris durch“, meinte Sergei trocken.

„Nun mal halblang“, mischte sich jetzt Lai ein. Er hielt in einer Hand ein Klemmbrett und in der anderen Hand einen Stift, mit dem er kleine Notizen festhielt und eine ganze Liste abzuhaken schien.

„Ich hätte das nicht erlaubt, wenn es nicht mit den Regeln konform wäre oder ihr euch nicht in derselben Gewichtsklasse befunden hättet. Aber euer heutiges Wiegen hat euch beide zum Superschwergewicht erklärt, also hört auf zu heulen.“

Yuriy starrte Michael immer noch an, und er fand nicht, dass der rotbrünette Amerikaner echtes Mitgefühl für die Situation aufbrachte. Ja, er erdreistete sich sogar, gekünstelt zu husten und eine Erkältung vorzutäuschen. Aber Yuriy durchschaute Leute wie ihn: Michaels Grinsen strafte seiner Worte Lügen!

„Also Leute, lieb dass ihr da wart. Aber mein Körper muss jetzt Wasser sehen.“

Boris erhob sich von dem Schemel, auf den Palina ihn für die Nachbehandlung gedrängt hatte. Er roch sich selbst – und das war ihm selbst unangenehm. Er wollte duschen, und zwar schnell. Er wandte sich zum Gehen.

„Ah, warte mal!“, rief Michael ihm hinterher.

„Wenn du was von mir willst, musst du mir folgen.“

Unbeeindruckt lief Boris weiter in Richtung Umkleiden. Perplex blinzelte Michael, dann rannte er ihm hinterher, während Yuriy ihm feindselige Blicke in den Rücken bohrte. Aber schließlich hakte er sich bei Kai unter. Die Clique beschloss, draußen auf ihren Fighter zu warten.

 

„Lai meinte, du kämpfst gern für Geld?“

„So, meinte er das?“

Boris griff nach seiner Tasche und suchte sich seine gewünschten Utensilien heraus. Er war erschöpft und hatte nicht gerade große Lust, hier mit Michael, mit dem er vorher noch kein Wort gewechselt hatte, ein Gespräch zu führen.

„Hast du schon mal vom Fight Club gehört?“

Boris hielt kurz inne und fragte sich, ob der Typ ihn verarschte.

„Du offensichtlich nicht, sonst würdest du nicht von ihm sprechen.“

„Ja, nicht der Film, also… es gibt eine Vereinigung, die sowas organisiert, und wir suchen noch ein paar Teilnehmer. Just for Fun – und natürlich Kohle. Mehr als du hier machen kannst!“

„Im Grunde also illegale Boxfights.“

Michael lehnte sich an die Garderobe – und damit in Boris‘ Weg – und strahlte ihn mit einem siegessicheren Grinsen an.

„Illegal ist ein sehr dehnbarer Begriff...“

„... eigentlich nicht.“

Damit schob Boris Michael aus dem Weg und schlug hinter sich die Tür zu den Duschräumen zu. Genau davor hatte ihn seine Mama immer gewarnt.

Es ist die feine deutsche Art, samstags morgens um halb zehn lautstark Rasen zu mähen anstatt ein Knoppers zu essen

Dass Kai sie genau jetzt anrief, war ihr nur allzu recht. Hiromi wollte eigentlich nur noch den Kopf an die Wand schlagen. Außerdem stand sie eh grad im Feierabendstau. Sie drückte den Knopf für die Freisprecheranlage.

„もしもし?[1]

„おはよう!“[2] Guten Morgen sagt er…, dachte Hiromi, denn es war weder Morgen, noch war er (für sie) gut gewesen.

„ヤッホー“, entgegnete sie nonchalant.[3]

„Entärgern Sie sich!“

Etwas an ihrem Ton musste sie verraten haben. Hiromi lachte auf. Es war beängstigend, wie gut Kai sie kannte.

„Wieviel Zeit hast du denn?“

„So viel wie nötig für mein liebstes Gossip Girl. Außerdem muss ich dir auch noch was erzählen. Aber erst du!“

Vielleicht war es ganz gut, wenn sie Kai diesmal statt ihrer Oma von ihrem Arbeitsfrust zutextete. Also holte Hiromi tief Luft.

„Dann schnall dich an, das wird ne Achterbahn“, murmelte sie, und rollte langsam zu ihrem Vordermann auf. Sie musste etwas ausholen, bevor sie zum Kern kommen konnte. Ihre Kanzlei hatte einen neuen Mandanten mit einem ausgesprochenen Beamtenproblem aufgenommen.

„Die haben Probleme, wo sich jeder normale Arbeitnehmer denkt ‚Ja hallo, willkommen im echten Leben?!‘ Und der ist auch noch selbst studierter Jurist, mit Prädikatsexamen pipapo. Aber das sagt halt überhaupt gar nichts darüber aus, wie intelligent du bist.“

Hiromi schnaubte verächtlich und sie hörte Kai unterdrückt auflachen. Sie erklärte ihm, dass der Mandant bei einer Behörde arbeitete. Wo genau durfte sie nicht sagen. Das Problem mit dem besagten Mandanten war, dass diese Behörde eine Kernarbeitszeit hatte, die eine Anwesenheitspflicht von neun bis 15 Uhr vorschrieb.

„Und der hat einfach über vier Jahre die Kernzeit nicht eingehalten. Immer zu spät gekommen. Der war nie pünktlich um neun da. Der kam mal um elf, mal um zwölf, oder halb eins… Der hat zwar nie Minusstunden gemacht, weil er dafür abends länger geblieben ist. Er hat sich aber einfach nicht an die für alle gleichermaßen geltende Bestimmung gehalten… Daraufhin hat er ein Disziplinarverfahren kassiert. Ich mein, nach vier Jahren wird das mal Zeit?!“

Sie wechselte die Spur. Kai gab einen Laut des Verständnisses von sich.

„Und der macht so einen Larry! Der war auch der Meinung, er müsse seiner Vorgesetzten, die da mit einer Engelsgeduld versucht hat, dem zu helfen und ihn aus seiner selbstgemachten Scheiße wieder raus zu manövrieren, zu unterstellen, dass sie dafür verantwortlich wäre, dass er das Verfahren am Hals hat!“

Kai gab einen ungläubigen Ton von sich: „Schön die Schuld auf andere schieben, das sind mir die liebsten!“

„Ugh, ja, und der ist ein unverbesserlicher Herrklärer! Meinte sogar, seiner Vorgesetzten ihren Job zu erklären, mit unglaublich beleidigenden Worten und Attitüde… Das wurde im Übrigen dann auch ins Disziplinarverfahren aufgenommen…“

Sie hupte laut und Kai lernte ein paar neue, deutsche Flüche, die er vermutlich besser nie verwenden sollte. Nachdem sie damit fertig war, ihren Vordermann anzuschreien, beruhigte sie ihre Atmung wieder, nahm einen Schluck Wasser und nahm den Gesprächsfaden wieder auf.

„Also, der hält sich nicht an die Arbeitszeiten, er beleidigt seine Vorgesetzte und dann kommt noch hinzu, dass die Vorgesetzte sich – zu Recht – verarscht gefühlt hat und so nach dem Motto, ‚ja, ok, sieh zu, wie du klarkommst‘ dann nachgewiesen hat, dass er neben diesen beiden ja eh schon eigentlich sehr gravierenden Faktoren total nutzlos ist.“

Sie überlegte, wie sie es für einen Laien wie Kai am einfachsten erklären konnte, während der Bass aus den Boxen ihres Nebenmannes ihre eigene Karosserie deutlich vibrieren ließ. Ein Motor vor ihr heulte auf. Hustend schloss sie ihr Fenster wieder, um sich der Auspuffgase nicht länger auszusetzen.

„Seine Behörde gibt eine bestimmte Anzahl von Fällen pro Woche vor, die der Typ bearbeiten musste. Auf der Grundlage irgendwelcher statistischen Berechnungen musste der vier Fälle innerhalb einer Woche abarbeiten.“ Sie machte eine Kunstpause und schluckte ihr Unverständnis nur schwerlich hinunter.

„Ich raff das einfach nicht, ne! Der Typ hat es nicht einmal geschafft, diese vier Fälle innerhalb von vier Monaten anständig zu bearbeiten. Anscheinend hatte er sie überhaupt nicht bearbeitet oder völlig inkompetenten Mist verzapft – wenn er sie nicht komplett fristmäßig versemmelt hat.“

Kai fasste das Gehörte noch einmal zusammen: „Ok, dein Monsieur ist der Meinung, er wär der Super-Pro und der Obermacker und überhaupt am allergeilsten, beleidigt seine Chefin, und sowohl Arbeitsmoral als auch Arbeitsqualität sind nicht prickelnd. Was die Chefin dann auch in das Disziplinarverfahren einsetzt.“

Sie stieß einen frustrierten Seufzer aus.

„Ja! Und damit marschiert der jetzt durch die Instanzen. Als Anwältin hat er seine Ehegattin, so ein höriges Hündchen, eingestellt, weil er sich nicht selbst vertreten darf. Schreibt im Grunde aber den ganzen Kram selber und lässt seine Frau das nur unterschreiben. Die sind noch nicht mal gut, geschweige denn professionell! In den ganzen Schriftsätzen, die der auch ans Gericht geschickt hat, hat er eigentlich nur persönliche Beleidigungen gegen seine Vorgesetzte vom Stapel gelassen, juristisch gesehen nichts Relevantes zur Sache beigetragen und wundert sich jetzt, dass er kurz davor ist, aus seinem Beamtenstatus entlassen zu werden und damit auch seine kompletten Bezüge und Rentenbezüge und alles zu verlieren, nur um allen Leuten zu zeigen, wie geil er ist.“

Kai schlackerten die Ohren. Meistens verstand er nicht viel von den juristischen Zusammenhängen, wenn Hiromi über ihre Arbeit schimpfte, aber das konnte er schon verstehen.

„Wie blöd kann man eigentlich sein? … Da fällt einem echt nichts zu ein. Die gesamten Bezüge? Prädikatsexamen soll der haben? Am Arsch eh.“

Er wusste, wieviel Arbeit in einem Staatsexamen steckte, hatte Hiromi während dieser Zeit sehr unterstützt (und sie manches Mal erinnert, dass sie etwas essen oder mal duschen musste). Er konnte also nicht nur aus dem Grund Leute nicht leiden, die es irgendwie schafften, so eine Prüfung für die Verhältnismäßigkeit ihres Einsatzes zu gut zu bestehen, aber letztlich nichts Kompetentes auf die Reihe bekamen.

„Ja“, bestätigte Hiromi, „der kassiert voraussichtlich die Maximalstrafe, obwohl er eigentlich nur ne Verwarnung bekommen hätte, bloß, weil er meint, sich da derartig produzieren zu müssen. Das könnte mir tendenziell ja alles egal sein, aber der hat mit uns ne Vergütungsvereinbarung getroffen, die ungefähr drei Mal so hoch ist, wie normalerweise veranschlagt würde, nur um einen auf dicke Hose zu machen und damit er den Anwalt quasi wie eine Marionette behandeln darf. Jedes Mal, wenn er was gesagt bekommt, was ihm nicht schmeckt, kommt das Argument, für das, was er bezahlt, habe man nach seiner Pfeife zu tanzen.“

Kai brummte: „Da ist er bei dir ja an der besten Adresse.“

„Wir dürfen ihm alles doppelt und dreifach faxen und ausdrucken. Obwohl in vielen Schriftwechseln auch eine einfache Mail ausreicht. Der spinnt. Jede Mail schicken wir zusätzlich nochmal per Einschreiben, damit sichergestellt ist, dass er die auch bekommt.“

„Und denkt nicht an die Bäume.“

Kais Einwurf brachte Hiromi aus dem Konzept. Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. Sie sollte jetzt aufhören, sich in Rage zu reden, sonst würde sie heute Abend nicht in ruhigen Schlaf finden.

Sie bog auf die Straße ein, die zu ihrer Oma führte, und wurde dadurch schon direkt ruhiger.

„Aber genug von mir… wie war dein Wochenende?“

Kai lachte. Er hörte sich wirklich gern ihre Tiraden an, denn immer, wenn sie sich so herrlich aufregte, konnte er selbst auch prima abschalten. Aber jetzt wusste er ganz genau was folgen würde: Investigativ-Journalismus war nichts gegen ihre Neugier.

„Mein Wochenende war ganz gut, ja.“

Es war kurz still in der Leitung. Manchmal wartete sie auch einfach, wider besseren Wissens, dass er frei von der Leber weg erzählte. Aber das tat er nie.

„Wow. Immer wenn du erzählst, fühle ich mich, als wäre ich live dabei gewesen!“, flachste sie dann auch nach einigen Minuten, in denen er sich ausschwieg. „Komm schon, ich weiß doch, du kannst es gar nicht abwarten, deiner besten Freundin brühwarm von deinem Wochenende zu erzählen! Du hattest doch ein Date!“

„Stimmt. Yuriy und ich hatten ein Date. Wir haben uns mit seinen Freunden in der Sporthalle getroffen, wo sein Bruder gekämpft hat…“

„Wie bitte?!“

„Na ja, der ist Boxer.“

„Aha…?“ Sie klang skeptisch. „Hat er es denn wenigstens drauf?“

Sie hörte es rascheln. Kais Stimme nahm einen anderen Klang an, den sie als zustimmende Aufregung erkannte, wobei er offensichtlich versuchte, seine Begeisterung zu verbergen.

„Ich hab null Ahnung von irgendwas, aber es war echt spannend, zuzuschauen! Und Yuriy… Yuriy war einfach…“

Hiromi lächelte in sich hinein. Kai schwärmte nicht von seinem Freund, wie sie es von ihren Freundinnen kannte. Aber er schlug einen ganz bestimmten Ton an, wann immer sie auf Yuriy zu sprechen kamen. Sie hörte seine Zahnräder regelrecht knacken, während er nach den treffenden Worten suchte, seinen Freund zu beschreiben.

„Na wie war er denn? Locker? Witzig? Niedlich? Heiß? Sexy?“, triezte sie warm.

„Ach, sei ruhig! … Er war einfach so ganz anders, als ich ihn bisher kennen gelernt habe! Das war irgendwie sehr erfrischend.“

„Anders?“, hakte Hiromi neugierig nach.

„Na… auch ein bisschen aggressiv? Das … war schon heiß, weil – also nicht falsch verstehen, aber er hat sich für seinen Bruder eingesetzt. Also… protektiv-aggressiv? Keine Ahnung, auf jeden Fall hat mir das sehr gefallen.“

„Und jetzt möchtest du alle Seiten an ihm entdecken?“

Hiromi grinste, weil sie förmlich spüren konnte, wie Kai die Augen verdrehte.

„Aber hör mal Kai, deinen Geschmack in allen Ehren: Ein Date mit… wie viele Leute wart ihr? Fünf? Da bleibt doch kaum Zeit für das typische Händchenhalten, Rumflirten, Füßeln unterm Tisch…“

Kai schnaubte: „Ich kann nichts dafür, dass deine Dates immer so FSK12 sind, meins war auf jeden Fall FSK16!“ Er erzählte von der allgemeinen Stimmung in der Sporthalle, von der Anspannung bei Yuriy und dessen Freunden und vom Kampf selbst, den er – durch explizites Nachfragen von Hiromi – doch sehr anschaulich beschrieb.

„Anschließend sind wir alle zusammen noch was essen gegangen…“

„Oh, in ein fancy Restaurant etwa?“

„Nein, Döner. Aber Yuriy hat bei mir übernachtet.“

Hiromi drückte ein wenig zu heftig auf die Bremse, als sie auf der Einfahrt ihrer Oma einparkte.

OhmeinGotternsthaft? Erzähl mir alles!“, flehte sie, doch diesmal scheiterte ihre Verhörtechnik an der eisernen Mauer des Schweigens, die Kai perfektioniert hatte.

 

 

Im Haus ihrer Oma fiel der ganze Alltagsballast von ihren Schultern. Sie hatte die meiste Zeit ihrer Kindheit in diesem Haus verbracht, hatte die neuen Mehrfamilienhäuser auf der rechten Seite sich errichten und viele neue Nachbarn ein- und auch ausziehen sehen. Aber im Haus ihrer Oma selbst war alles vertraut und heimelig und allein der Geruch, als sie die Stube betrat, versetzte sie in eine ausgeglichene Ruhe. Sie hatte ein paar Tage frei genommen, die sie im ausgebauten Obergeschoss genießen wollte. Die Loggia wurde jeden Morgen von der Sonne geflutet und selbst abends war es angenehm, dort zu sitzen, bevor die letzten Sonnenstrahlen hinter den Neubauten verschwanden.

Nachdem sie mit ihrer Oma gemeinsam zu Abend gegessen hatte, machte Hiromi sich daran, bewaffnet mit Eimer und Schrubber besagte Loggia frühlingsfit zu machen: Die Steinfliesen litten an Grünspan und das Geländer sollte sie auch abputzen, bevor sie es morgen mit neuer Farbe bestreichen wollte.

Nach einer Grundreinigung schob sie eine der gemütlichen Liegen hinaus, die sie mit reichlich Kissen auspolsterte. Mit einer flauschigen Decke – die irgendwie nicht nach dem Waschmittel ihrer Oma roch, aber sie dachte sich nichts dabei – machte sie es sich mit einer Flasche Wein und ihrem aktuellen Lieblingsschmöker gemütlich. Es war angenehm warm, die Grillen zirpten und sie verlor sich recht schnell in dem Buch.

 

 

Hiromi erwachte schlagartig durch ein lautes Scheppern und einem folgenden, gedämpften Fluchen. Ihr Herz pochte schnell. Noch war die Sonne nicht um die Hausecke gekrochen, es war also noch früh. Sie musste draußen eingeschlafen sein. Obwohl sie den nervenaufreibenden Tag dank des Gesprächs mit Kai gestern und dem entspannten Ausklingen eigentlich gut hatte verarbeiten können, hatte sie keinen erholsamen Schlaf gehabt.

Sie lauschte. Jemand machte sich unterhalb der Loggia zu schaffen. Etwa ein Einbrecher?

Nicht in meinem Garten!‘, schwor sie sich.

Ihre nackten Füße stießen an die leere Weinflasche, die zwar gefährlich wankte, aber zu ihrer Erleichterung nicht umkippte.

Sie linste über die Balustrade. Schemenhaft konnte sie einen Mann erkennen. Sie kniff die Augen zusammen, zählte im Stillen bis drei und schnappte sich den Putzeimer, der noch mit Wasser gefüllt war. Mit lautem Gebrüll warf sie den Eimer auf die verbrecherische Gestalt, hoffte, ihre Lautstärke würde ihn in die Flucht schlagen.

Ein gefluchter Schmerzenslaut sagte ihr: Sie hatte getroffen. Hastig ergriff sie auch den Schlauch, drehte die Düse auf Anschlag auf. Schreiend hielt sie den harten Strahl zielgenau auf den Mann unter sich.

„Einbrecher! Hausfriedensbruch! Ich werde Sie anzeigen!!“

„Ich bin der Gärglllgllg-!“

Hustend hechtete Boris unter den Balkonvorsatz, um sich in Sicherheit zu bringen.

„Sag mal, spinnst du?!“

Er vergaß seine Manieren. So einen Überfall hatte er nicht verdient! Hiromi stutzte, als ihr die Stimme seltsam bekannt vorkam. Der Wasserstrahl verebbte.

„Ich bin der fucking Gärtner!“, schrie Boris hinauf und trat forsch wieder auf den Rasen hinaus, während er sich das nasse T-Shirt über den Kopf zog, das nur so triefte. Er schleuderte es auf den Boden, rieb sich das letzte Wasser aus den Augen und hob den Zeigefinger wütend in ihre Richtung.

„Bei dir hamse doch eingebrochen und vergessen zu klauen, eh!“

„Was- Was erlauben Sie sich!“

Durch das Gezeter angelockt, kam nun auch Irma auf die Terrasse.

„Was ist hier los? Was soll das Geschrei so früh am Morgen?!“

Boris fuhr herum und wollte schon zu einer giftigen Antwort ansetzen, stattdessen biss er sich auf die Zunge.

„Nichts. War wohl ein Missverständnis. Aber ich kann jetzt hier nicht Rasenmähen. Das Gras ist nass. Ich muss später wiederkommen, wenn es trocken ist.“

Irma kniff die Augen zusammen und sah prüfend zwischen ihm und seiner Enkelin hin und her. Hiromi versteckte halbherzig den Gartenschlauch hinter ihrem Rücken.

„Du!“, sie zeigte auf Hiromi, „Zieh dich an, Frühstück ist in der Küche. Und du…“ Sie hakte sich bei Boris unter und führte ihn über den Weg zum kleinen Gartenhäuschen. „Du kannst mir bei einem Problem helfen. Riechst du das auch?“

Sie machte eine ausladende Geste rund um sich herum.

Boris sah sie einen Moment argwöhnisch an und schnupperte unauffällig an seiner eigenen Achsel. An ihm lag es aber nicht.

„Ich finde, es riecht… übel“, bestätigte er Irmas Eindruck.

„Ein bisschen nach verstopften Abfluss, und hier ist es am stärksten. Richtig Ekel erregend! Könntest du dem Ganzen auf den Grund gehen? Nicht, dass sich in meiner Bewässerungsanlage irgendwas verhakt hat und Gülle oder so hier lang kommt.“

„Ich kann es versuchen, ja…“, meinte Boris zögernd, immerhin war er kein Klempner.

„Mein Mann hat seinerzeit die Rohre hergezogen, aber das ist Jahre her…“, bemerkte Irma und sah Boris nach, der im Gebüsch verschwand, um an den Rohren entlang den Geruch zu überprüfen. Er überlegte, Ivan und dessen Riechkolben einzubeziehen, schließlich rühmte der sich stets seiner ‚hochsensiblen olfaktorischen Wahrnehmung‘.

„Ich hol dir mal ein Handtuch!“, gab Irma bekannt.

Boris war das Grundstück zur Sicherheit einmal abgelaufen, aber beim Gartenhäuschen war der Gestank am stärksten. Hinter dem Häuschen fand er auch den Grund dafür. Ein bisschen würgte er, als der den toten Igel entdeckte. Der kleine Körper war aufgedunsen; er trieb mit der Bauchseite nach oben in der ebenerdig eingebuddelten Regentonne, die als Zisterne diente. Die Fäulnisgase trieben noch mehr aus, als Boris ihn mit einer Schüppe aus dem Wasser zog.

„Wie kann so ein kleiner Körper bloß so bestialisch stinken“, murmelte er und hielt die Luft an.

„Oh nein, ist das kleine Kerlchen ertrunken?!“

„Vermutlich. Ich mach Ihnen nachher ein Gitter über die Tonne, dann kann nichts mehr so leicht reinfallen.“

Weiter hinten im Garten, beim Kompost, hob Boris ein tiefes Loch aus, um den verwesten Igel zu begraben. Aus dem Augenwinkeln sah er, wie Irma in einem kleinen Schuppen – dieser Garten besaß eindeutig zu viele kleine Schüppchen und Abstellhüttchen – verschwand und kurz darauf mit einem triumphierenden „Aha!“ wieder hervorkroch.

Emsig kam sie wieder auf ihn zu.

„Kaninchendraht! Ist das hilfreich?!“

„Tatsächlich die beste Wahl“, nickte Boris und nahm die Rolle von Irma entgegen.

„Können wir die Tonne ausheben? Ich möchte meine Beete bewässern, aber es soll kein Getier darin mehr ertrinken.“

Boris nickte.

„Brauchst du Hilfe dabei?“

„Ähm…“

Er betrachtete Irmas delikate Form und überlegte, wie er es ihr höflich ausreden konnte.

„Gut, dann schicke ich dir gleich Hiromi her. Sie kann dir zur Hand gehen!“

„Oh Gott, bitte nicht!“, entfloh es seinen Lippen unbedarft.

„Keine Sorge, sie ärgert dich schon kein zweites Mal.“

Boris rieb sich durchs Gesicht und grummelte leise: „Wenn sie sich mal keinen Nagel abbricht.“

Dieses Mal war Irma zum Glück außer Hörweite.

 

Misstrauisch hatte Hiromi den Gärtner beobachtet. Misstrauen war es, weshalb sie jeden seiner Schritte verfolgte. Die Loggia bot ihr einen guten Überblick, wie ein Bademeister ihn von seinem Hochsitz aus hatte. Misstrauen ließ sie sich auf das Geländer abstützen und ihn genau dabei beobachten, wie er mit kräftigen Spatenstichen das Erdloch aushob. Pures Misstrauen trieb sie dazu, jeder Bewegung argwöhnisch zu folgen: wie er sich die schweißnasse Stirn wischte, wie sich seine Muskeln unter der Haut spannten, als er sich nach der längeren gebückten Haltung streckte, wie er mit kräftigen Tritten in den Boden stampfte…

„-mi!“

Irma fackelte nicht lang. Erschrocken quietsche Hiromi auf.

„Oma!“

„Na endlich hörst du mich.“

Der Schlauch in Irmas Hand tropfte noch frech.

„Du bist ja immer noch nicht angezogen! Geh und hilf Boris. Sieh es als Wiedergutmachung von heute Morgen.“

„Ich habe nichts Falsches gemacht!“

Ein Blick ihrer Großmutter ließ Hiromi mürrisch aufschnauben, ehe sie im Haus verschwand.

 

Letztlich kam sie dem Wunsch doch nach. Sie hatte eine alte Shorts ihres Exfreundes an, die sie immer im Garten trug, und suchte sich in der Garage durch die Schubladen, um Gartenhandschuhe zu finden.

„Entschuldigung, darf ich mal?“

Boris wartete nicht auf eine Antwort und schob sich an ihr vorbei, zog die unterste Schublade auf und wühlte sich auf der Suche nach einem Bolzenschneider durch die Werkzeuge. Eine schnippische Antwort blieb Hiromi im Halse stecken, als sie die vielen Blutergüsse an seinem Körper sah.

„Fertig mit Gaffen?“

„Wa- ich gaffe nicht!“, schnauzte sie zurück.

„Handschuhe findest du in der linken Schublade.“

Zähneknirschend musste sie zugeben, dass er sich besser auskannte als sie. Aber zu ihrer Verteidigung musste man sagen, dass ihr Vater in den letzten Jahren immer mal wieder die Garage neu aufgeräumt hatte.

Boris war schon wieder hinten im Garten verschwunden. Hiromi betrat die Terrasse und rollte die Handschuhe auseinander.

„Na siehst du, ihr kommt doch sicher gut miteinander aus.“

Irma setzte ihr lächelnd einen Sonnenhut aus Stroh auf den Kopf und strich ihr die Haare hinter die Ohren, so wie sie es schon immer getan hatte.

„Er ist ein ungehobelter Grobian!“

„Manche würden das auch über dich sagen“, schmunzelte ihre Großmutter neckend, während sie sich umdrehte und ihre Gartenzwergarmee neu arrangierte, nachdem sie sie abgewischt hatte.

„Warum nimmst du mich nicht ernst? Außerdem: hast du ihn dir mal genauer angesehen?! Der hat sich doch bestimmt geprügelt!“

„Ja, natürlich hat er das!“

„Wie jetzt?“

„Er war boxen. Das ist ein Hobby wie jedes andere. Wenn du doch nur mal aufhören könntest, in ihm was Schlechtes zu sehen. Was soll das eigentlich? Und schieb jetzt nicht deine Sorge um mich vor!“

„Ich bin eben einfach misstrauisch.“

„Und ich sage: Unschuldig bis zum Beweis der Schuld! Boris ist ein guter Junge. Ein sehr guter sogar! Und ich möchte, dass du dich ihm endlich freundlicher gegenüber benimmst! FreundlichER – das wird ja wohl nicht schwer sein, so unterirdisch, wie du dich ihm gegenüber bislang verhalten hast.“

Lange hatte Irma nicht mehr so streng mit ihr gesprochen. Das unausgesprochene ‚Ich habe dich besser erzogen‘ stand im Raum wie der rosa Elefant.

Irma nickte in Richtung Garten. Mit hängenden Schultern trabte sie zum Gartenhaus, gewillt, dem Wunsch ihrer Oma nachzukommen.

„Sie brauchen Hilfe…?“

Boris brummte.

„Ich habe einen Zollstock vergessen.“

„Ich hol ihn.“

Kurz überlegte Boris, ob er sich für den kalten Guss rächen sollte, indem er sie die nächste Stunde immer wieder solche Botengänge machen lassen sollte, um sie sich vom Leib zu halten. Aber er verwarf den Gedanken, denn sie schien nicht auf den Kopf gefallen zu sein.

Als sie zurückkehrte, hatte Boris die Regentonne schon zur Hälfte ausgegraben.

„Sollten Sie nicht zuerst das Wasser rauslassen, bevor Sie die Tonne rausheben?“

Boris hob spöttelnd eine Augenbraue.

„Da ist eine Gießkanne. Bitteschön.“

Er machte eine ausladende Geste: „Die Büsche dahinten sind durstig.“

Aber auch diese Tätigkeit beschäftigte Hiromi nicht lange. Außerdem behinderte ihr ständiges Wasserholen seine Arbeit.

„Darf ich Ihnen was vorschlagen? Könnten Sie nicht besser…“

„Stopp! Stopp! Stopp!“

Boris rieb sich die Nasenwurzel.

„Warum?! Können Sie es nicht ertragen, wenn eine Frau Ihnen etwas vorschlägt?“

„Nein. Wenn das hier funktionieren soll, duzen wir uns. Entweder das – oder ich mach den Kram hier allein. Das ständige Siezen ist unglaublich nervig!“

Überrumpelt starrte Hiromi ihn an. Er erwartete schon einen Rückzieher ihrerseits. Da sie aber nicht Gegenteiliges anzeigte, wollte er ihr entgegenkommen.

„Ich Boris. Du Hiromi.“

Sie schnaubte: „Zu Höhlenmenschen musst du uns jetzt wirklich nicht degradieren.“

„Geht doch. Pack mal mit an. … Du kannst doch ein bisschen was heben, oder?“

Sie blitzte ihn herausfordernd an: „Ich weiß nicht, kannst du?“

Die meiste Zeit arbeiteten sie von da an schweigend. Sie arbeitete vorausschauend und reichte ihm Werkzeug an, das er brauchte. Das war besonders von Vorteil, als er an dem Kaninchendraht friemelte, um ein Abdeckgitter passgenau für die Maße der Regentonne zu entwerfen.

„Tut mir übrigens Leid… die kalte Dusche vorhin, mein ich.“

Hiromi sah in eine andere Richtung. Boris brummte anerkennend. Er war zu vertieft in seine Arbeit. Er wies sie an, bestimmte Ecken des Gitters umzuknicken und gemeinsam setzten sie ihr Werk an Ort und Stelle.

Nachdem es seinem prüfenden Blick Stand gehalten hatte, blickte Boris Hiromi über den Rand der Regentonne unverwandt an: „Wenn du nicht immer so grantelst, machst du eigentlich einen netten Eindruck."

Er hatte nicht ‚hübsch aussehen‘ sagen wollen, weil sie das wahrscheinlich wieder in Rage versetzt hätte.

Hiromi richtete sich auf und klopfte ihre Hose ab.

„Du kannst noch so schmeicheln: Ich hab dich im Auge, Freundchen.“

Ihr anschließendes Grinsen war ansteckend und es zupfte an einem Gefühl tief in seinem Innern, das lang vergessen schien.

 

 

 

 

 

_________________________________________________________________

[1] もしもし(Moshimoshi) – Begrüßung am Telefon

[2] おはよう (Ohayou )– Guten Morgen. Früh am Morgen sagt man ohayou zu Freunden, Familie und Gleichgestellten.

[3] ヤッホー (Yaho): Eine sehr gebräuchliche Begrüßungsform, die im Wesentlichen von Mädchen benutzt wird. Yaho wird in Katakana geschrieben, da es mehr eine Redensart, als ein richtiges Wort ist.


Nachwort zu diesem Kapitel:
[1] Мамуля (Mamulja) – Koseform für Mama. Mütter werden in Russland immer mit „Mama“ und nicht mit ihrem Vornamen angeredet – sei er noch so verniedlicht. Ihre ‚Mama‘ können die Russen aber auch mit „Mamulja“ (мамуля) oder „Mamotschka“ (мамочка) in der Koseform ansprechen.

[2] глупы́ш (m.) – das Dummerchen.

[3] Мишка [míschka] (m) – Bärchen. Das geht scheinbar für Kinder klar; wobei Mischka dann eher der „coole“ Junge ist und Mischa eher für kleine Kinder gedacht ist. :D (Früher hat Galina Boris dann nämlich Mischa genannt; bis er meinte „Das ist SOOO peinlich!“ Sie liebt Kosenamen, ihre Söhne so semi…) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
[1] 祖母 [sobo] – Großmutter (meine)

[2] 祖父 [sofu] – Großvater (mein)

____________________

Und jetzt? Aargh. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, Kai zitiert Portgas D. Ace; auch wenn er eigentlich ein Potterhead ist :D

**Hinweis:
Eigentlich LGBTQIA+, aber Boris hechelt und muss abkürzen. ♥ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Falls ihr euch fragt: Die Kontakte sind aus Boris’ Sicht, er hat lustige Kosenamen für seine Kontakte. Aber je nach Charaktersicht ändern sich die Kontaktnamen auch, je nachdem, aus welcher Perspektive gerade aufs Handy geschaut wird. Nicht, dass ihr da durcheinander kommt ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (52)
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Von:  lady_j
2023-07-28T12:33:45+00:00 28.07.2023 14:33
Ich möchte bitte, dass es hier weitergeht. Danke.
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
28.07.2023 14:36
XD
Ich hab sehr hier gelacht jetzt grad. Aber ja, ich arbeite dran. sogar jetzt gerade ;)
Antwort von:  lady_j
28.07.2023 14:37
Brav. Weitermachen!
Von:  esperluette
2021-05-16T14:45:01+00:00 16.05.2021 16:45
Ich frage mich gerade, habe ich was verpasst? War Kais und Hiromis Freundschaft schon klar oder ist das hier neu? Auf jeden Fall süß, business talk.

Sie sieht auf jeden Fall sehr engagiert aus! Auch was Investigationen in Kais Liebesleben und Verbrecherjagd angeht. Ihr Misstrauen scheint ja ansatzweise durch Boris` Schweiß aufgeweicht zu werden lol Das Hin und Her der beiden bei der Gartenarbeit ist nice!

Boris, dann kam auch noch Pech dazu :C Der Arme, gut, dass das Missverständnis schnell aufgeklärt wurde und er sich noch nützlich machen kann und ein bisschen Genugtuung bekommt 3:D
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:52
Nein, das ist tatsächlich hier eine Überraschung.
Aber so ziehen sich die Fäden enger, die Welt ist kleine, und Leute kennen sich, ohne zu wissen, dass sie die gleichen Leute kennen! XD

Aber eins musst du mir erklären? Pech? Genugtuunung? ^^°
Antwort von:  esperluette
19.05.2021 22:15
Pech, weil er von Hiromi eins drüber kriegt; Genugtuung weil er sie danach ein bisschen triezen kann lol
Von:  esperluette
2021-05-16T14:44:17+00:00 16.05.2021 16:44
Kampfvorbereitungen. Oh-oh T_T (Sags nur weil ich ein bisschen ängstlich bin für was ich dahingehend befürchte.)

Ah. Palina ist zurück! Schön, dass sie auch näher vorgestellt wird bzw. nun klar ist, was für einen Zweck sie hat. Ich mag ihr buddy-Dasein. (Sorry, das hört sich krumm an, ich meins nur im Rahmen der Geschichte xD)

Liebe für Yuriy&Boris Interaktion!

Der Kampf, sehr intensiv!
Schön, das alle da sind um Boris anzufeuern und Boris gewinnt. Meine Befürchtungen sind nicht eingetreten, aber jetzt kommt der Fight Club?! Neue Wendung und Boris weiß es genau besser. Welp.
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:51
Jetzt bin ich neugierig. Was hast du denn befürchtet wegen des Kampfes?
Buddy, wie in F-Buddy? :D Ja, die Grenzen sind klar und das ist ok.
Hast du etwa gedacht, Boris verliert? No, no, no, er ist doch hier mein Held :D

Antwort von:  esperluette
19.05.2021 22:12
Ich war bisschen angsty, dass es irgendwie im Krankenhaus endet und der Gegner eine linke Ratte ist, naja, bin wrgen des fight club immer noch nervös (:
Von:  esperluette
2021-05-16T14:43:29+00:00 16.05.2021 16:43
Neuer Stoff! Sergei und Mathilda <3
Palina, who dis, hat sie noch Bewandtnis oder ist sie nur Party-Sidekick?

Geburtstags-Action mit Vanja! Und Irma, wie goldig! Und wendet sich Boris‘ Zahlungsstruggle weiter zum Guten? Das würde mich freuen. Der gesellige Teil ist witzig. Ich will jetzt auch Grillen.
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:49
Na, da du schon weiter gelesen has,t muss ich Palina ja nicht mehr erklären XD
Der Zahlungsstruggle, hm, ja, die Lösung des Problems kommt noch... irgendwie, irgendwo, irgendwann... lol.
Von:  esperluette
2021-05-16T14:42:57+00:00 16.05.2021 16:42
Noch ein misslicher Morgen für Boris, armer Junge!
Jetzt wird’s auch noch ernst mit den Kampfvorbereitungen. Nochmal Oh-oh T_T

Yuriy… gut, dass es mit Boris reden kann. Auch über Pickel. Ja, ich lächele auch seelig, weil er mit Kai textet und lernt.

Hiromi Moment war wieder nice, aber was passiert? Passiert was mit ihr?

Ich finde den Schwenk in diesem Kapitel, einmal zu Hiromis, dann zu Yuris und ganz am Ende nochmal zu Kais Perspektive überraschend (also vielleicht etwas unvermittelt für mein Empfinden und in ein bisschen als würde es zur YuKa-Fic?). Bin aber sehr gespannt, wie sich das entwickelt und was noch jeweils kommt!

Die Fahrrad-Reparatur ist so schön casual!
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:48
Du kennst mich (hoffentlich mittlerweile? XD) - ich bin ein YuKa-Stan durch und durch! Darum hier der Gastauftritt aus Kais Perspektive. Ich spiele damit auch etwas. Ich danke auf jeden Fall für den Hinweis, ich dachte, dass es relativ in einen, nun, nicht fliehenden Wechsel, aber in einem annehmbaren Wechsel stattfindet. Aber Editieren geht ja immer :D

Fahrrad-Reparatur, oder wie LittleLionHead mal sagte, Boris ist ein Multifunktionstool und ein, wie Elli sagt, Reparaturmessias, ist so schön slice of life... slice of life for the win!
Danke für deinen Kommentar!
Antwort von:  esperluette
19.05.2021 22:07
Du musst hier gar nichts ändern! Das ist dein Ding und du machst das schon. Ich bin auch einfach nicht so
Antwort von:  esperluette
19.05.2021 22:08
(Huch?!)
... so belesen bei Fics mit Perspektivwechsel, also überradch mich xD
Von:  esperluette
2021-05-16T14:41:44+00:00 16.05.2021 16:41
Ooh, Yuriy, was geht?!
Wie süß und wie abrupt zu Ende! Hab ich schon gesagt? FLUSTERED Yuriy <3

Kais Einstand ist SO… unglücklich. Also für ihn. Sorry, Kai! Und Boris versteht es nochmal einen draufzusetzen lol
Macht vielleicht ein bisschen was gut in seinem sonstigen struggle mit Nachzahlungen und jobs.

Treffen mit Mama, bzw. auch das Autogespräch davor sind zucker.

Und jetzt riskiert Boris wieder Unruhe mit dem Kampf. Oh-oh T_T
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:44
Oh Gott, oh man, jetzt musste ich mich selbst erstmal wieder informieren, worum es in diesem Kapitel geht! XD
Flustered Yuriy ist guter Yuriy XD
Boris ist ein Draufgänger. Was geht!
Er muss seinen Lauch von Bruder halt beschützen - aber auch triezen, wie das "große" Brüder eben tun. :D

Von:  esperluette
2021-05-16T14:40:56+00:00 16.05.2021 16:40
Good boi Boris, er kann, wenn er möchte!

Irma ist sweet und das Aufeinandertreffen mit Hiromi vielversprechend? Aber ihr Argwohn! Wohin wird der führen?!
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:40
"Who's a good boi?" :D
Ich bin ein Fan deiner Fragen. XD
Danke für deinen Kommentar!
Von:  esperluette
2021-05-16T14:40:28+00:00 16.05.2021 16:40
Relaxt geht es weiter! Not.
Leider nein, Yuriy. Leider doch, Boris. Wer ist jetzt ärger dran; Yuriy der von Boris hintergangen wurde oder Boris der jetzt die Konsequenzen spürt? Idk lol

Gespräch mit Mama und dann mit Yuriy <3

Boris Charakter ist wirklich kongruent und finde ich gelungen. Ich mag die Unruhe, das etwas Rohere, Linkische.
Und NATÜRLICH, dass er und Yuriy so eng sind und er alles gibt um Yuriy mit Kai auf die Sprünge zu helfen, aber manchmal hilft nur Raufen xD

Btw. Was für ein Gedanke, Yuriy und Kai schreiben sich ins Poesiealbum (ich weiß, sie tuns nicht, aber der Gedanke, uwu, oder so).
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:39
Neiin, omg, es ist literarische PO-esie!!! XD (Ich verweise auf den Reiter mit den Charakterbildern dieser Fic XD)
Schön, dass der Charakter von Boris für dich konsequent bleibt und nachvollziehbar ist, das ist mir auch wichtig.
Von:  esperluette
2021-05-16T14:39:50+00:00 16.05.2021 16:39
Ahahhaa :D Ich bin entertained!

Das Abfragen und die Decke ( mit der Nachbarin) sind herzallerliebst, jedes auf seine Weise.

Der Ausflug in die Vergangenheit von Boris und Yuriy und wie sich die Geschichte für sie zusammen, aber auch für jeden einzeln entwickelt hat, ist schön; gibt der Verbindung der beiden nochmal eine andere Facette.

Ich mag auch ihr halb-ernstes Geplänkel und das relaxte feeling zum Schluss sehr!

Tja, und dann DAS! Texting gone wrong: LOL! Wie nett aber, flustered Yuriy und Boris der das ofc ausnutzt uwu
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:33
:D
Oh je, ich bin gespannt, wie du das nächste Kapitel kommentiert hast! XD
Von:  esperluette
2021-05-16T14:37:11+00:00 16.05.2021 16:37
Oh mann, Boris! WAS in alles in der Welt?! Wieso? Weshalb? Warum?
Ich weiß nichts, nur, dass ich Boris liebe, in seinem Chaos und seiner momentanen Verpeiltheit.

Hundert likes für den schweigenden Yuriy. Das ist ein cooler erster Austausch (oder sowas wie lol) der beiden!

Höchst amüsant der Start!
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
16.05.2021 20:32
Ich hoffe so sehr, du hast dazu den Song von SDP gehört :P
Danke für deinen Kommentar!


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