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Parenthood

Sasuke & Sarada
von

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1-


 

• Vierzehn Monate •
 

Als er erwachte, starrten ihn erstaunlich große, runde Augen an. Sie waren von einem ähnlich dunklen, nicht auszumachenden Farbton, den auch Sasuke und sein Bruder besaßen. Sarada lag einfach nur da, den Kopf zum ihm gedreht und atmete ruhig. Auf der Stirn klebten ihr kleine, schwarze Locken und auch ihre Nase sah aus, als müssen sie dringend geputzt werden. Aus ihrem Mund, der offen stand, blitzen ihm stolze acht kleine Zähne entgegen. Vier oben, vier unten.

Sollte er nun irgendetwas sagen? Verstand Sarada ihn überhaupt?

Sasuke überlegte und setzte zu einem Guten Morgen an.

Aus Saradas Mund wuchs eine Blase aus Speichel, die kurz darauf platzte.

Sasuke sagte nichts.

Onkel und Nichte starrten sich für einen Moment weiter an, dann drehte Sarada sich auf den Bauch, zog in einer anstrengend aussehenden Bewegung die Beine unter ihren Bauch und setzte sich schließlich auf. Dann griff sie nach Nana, ihrem kleinen, grauen Kuscheltuch, an das ein Mäusekopf genährt war. Wie bei einem Startsignal ging auch ein Ruck durch Sasuke und er war vollkommen wach.
 

Die erste Nacht war überstanden. Gestern hatte er Sarada zu sich geholt, sie mit Narutos und Sakuras Hilfe gefüttert und bettfertig gemacht. Er selbst hatte lange nicht einschlafen können, sie aus lauter Untätigkeit und Ungewissen aus ihrem Bettchen heraus neben sich gelegt und sie so lange mit seinen Blicken gelöchert, bis der Schlaf letztendlich doch noch über ihn hergefallen war.

Aber die Zeit war nicht stehengeblieben, hatte nicht einfach gestoppt und Sasukes verzweifelten Fragen somit ein Ende gesetzt. Stattdessen hatte nun der Tag begonnen. Von nun an würde Sarada bei ihm sein, ein großer Teil seines Lebens. Zusammen mit Naruto und Sakura hatte er lange, sehr lange zusammengesessen und einen Plan ausgearbeitet, der Uni, Arbeit, Haushalt und Sarada unter ein Dach bringen konnte, bis sie alt genug war, um in den Kindergarten zu gehen. Das Wort Freizeit existierte nur noch in den Hintergedanken der drei Köpfe. Sasukes Mitbewohner hatten darauf bestanden, sich ebenfalls um seine Nichte zu kümmern, noch bevor er überhaupt seinen Mund hatte aufmachen können.

"Guten Morgen", sagte er nun doch.

Musste er in einer höheren Tonlage sprechen, als er es gewöhnlich tat, damit er Sarada nicht erschreckte? Diese gab jedoch einige Laute von sich, die Sasuke nicht entziffern konnte und schaute ihn dann an. Seiner Meinung nach sah sie erwartungsvoll aus, ganz so, als wollte sie nun endlich in den Tag starten. Ganz im Gegensatz zu ihm. Sein Bett war die Startposition eines langen Laufes und sollte er es einmal verlassen, trat der endgültige Ernstfall ein. Dann hatte er sein Bestes zu geben. Nur das Ziel lag außerhalb seiner Reichweite. Sogar außerhalb seiner Sichtweite. Dennoch konnte er nicht ewig liegenbleiben.

Sasuke setzt sich auf und spürte, wie ihm dabei das Herz in die Hose rutschte. Sarada hatte die endgültige Veränderung noch nicht verstanden – er schon. Sasuke stand langsam auf und streckte sich, dann hob er seine Nichte auf seine Arme. Natürlich wusste er, wie er ein Baby zu halten hatte, trotzdem kam es ihm so vor, als würde er dabei alles falsch machen, was man nur falsch machen konnte.

"Hast du Hunger?", fragte Sasuke, aber seine Nichte kratzte sich nur am Kopf und verwüstete ihre dunklen, bereits verknoteten Strähnen noch weiter. Etwas, was er auch gerne tun würde. In seinen Haaren würde er allerdings keine Hilfe finden.
 

"Guten Morgen, ihr beiden." Sakura saß barfuß und noch in ihrem Schlafanzug an dem kleinen Küchentisch und trank ihre tägliche Tasse Kaffee.

Sasuke konnte erkennen, dass sie in der Nacht noch lange geweint haben musste. Ihre Augen waren geschwollen und das Gesicht untypisch blass. Er bemerkte auch, dass sie ihr Bestes gab, um gefasst zu klingen. Auch sie schien von dieser dunklen Wolke umgeben zu sein, in der Sasuke gefangen war. Er hatte schnell nach seinem Einzug gemerkt, dass Sakura ein emotionaler, mitfühlender Mensch war. Manchmal störte es ihn, dass sie mit ihm oder Naruto über Gefühlswelten sprach und hinter ihre Gedankenwelten kommen wollte. Sasuke behauptete von sich selbst, pragmatisch orientiert zu sein und es kostete ihn jedes Mal erneut einiges an Überwindung, mit ihr über sein Inneres zu reden.

Ihre offensichtliche Müdigkeit, die ihrem Mitgefühl geschuldet war, beruhigte ihn. Er war nicht der einzige, dem die Situation zusetzte. Obwohl Sakura ihren Kaffee noch nicht ausgetrunken hatte, stand sie auf und nahm ihm Sarada ab.

"Wie wäre es, wenn du ein bisschen Obst kleinschneidest und ich sie solange wickele und umziehe. Danach kann sie dann etwas essen."

Für einen kurzen Moment starrte er sie an. Wickeln. Umziehen. Dann nickte Sasuke Sakura zu. Daran hatte er nicht gedacht. Er war beinahe erleichtert, dass Sakura ihm seine Ratlosigkeit genommen hatte, indem sie ihm Aufgaben zuwies, die er ohne weiteres bewältigen konnte. Hoffentlich.

Sie schien zu wissen, was zu tun war und hatte sich Gedanken gemacht. Sakura hatte einen Plan, im Gegensatz zu ihm. Und sie hatte erzählt, früher auf die Nachbarskinder aufgepasst zu haben, seit diese nicht viel älter als Sarada selbst waren. In gewisser Wiese wusste sie also, was zu tun war. Sakura, obwohl sie keine Verpflichtungen ihnen gegenüber schuldig war, war besser vorbereitet, als Sasuke. Eine kleine, kurze Weller Wut stieg in ihm auf, während Sasuke beobachtete, wie Sarada an vereinzelten Haarsträhnen seiner Mitbewohnerin zog.

Was hatte er sich dabei gedacht? Ein Kind aufzunehmen, das Hilfe brauchte, ohne zu wissen, was er selbst überhaupt zu tun hatte, schien ihm plötzlich wie die ungünstigste Entscheidung, die er je getroffen hatte. Was konnte er einer Nichte schon bieten?

Er versuchte den Gedankengang abzuschütteln, bevor er zu tief fiel. All die Leute, mit denen er geredet hatte und reden musste, hatten ihr vorgewarnt und ihn mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass er sich nicht in seinem Zweifel verlieren durfte – und am wichtigsten, dass es richtig und in Ordnung war, auf diese Weise zu spüren.

"Die Sachen sind noch fast alle in der Tasche in meinem Zimmer", sagte er zu Sakura, als er sich endlich gefangen hatte, doch sie war schon längst aus der Küche verschwunden. Er konnte noch hören, wie sie leise etwas zu seiner Nichte sagte und diese dann gluckste.

Obst. Er sollte also Obst schneiden. Das schaffte er, keine Frage. Aber was durften Babys mit knapp einem Jahr essen? Bananen. Äpfel. Damit war er jedenfalls auf der sicheren Seite. Auf der Küchentheke stand zudem eine Schale mit Blaubeeren.

Während Sasuke mechanisch damit begann, eine Banane und ein Stück Apfel mundgerecht aufzuschneiden und in eine Schüssel umzufüllen, entschied er sich gegen die Beeren. Vielleicht war Sarada noch so klein, dass sie sich daran verschlucken konnte – und das war das letzte, was Sasuke momentan gebrauchen konnte.
 

Sasuke beobachtete, wie Sakura ohne zu zögern etwas des kleingeschnittenen Obstes in eine winzige Schale mit Joghurt hinzugab und im nächsten Moment einige gewaschenen Blaubeeren untermischte. Er kniff die Lippen zusammen und starrte auf die Tischplatte. Sakura wusste, was Kinder essen durften. Natürlich. Nur er hatte sich nicht mit den banalsten Dingen auseinandergesetzt.

Sie konnten hören, wie sich Narutos Zimmertür öffnete und er mit wenigen Schritten bei ihnen in der Küche angekommen war.

"Ihr seid ja schon alle wach!" Sasuke wusste nicht, welchen Anlass es dazu gäbe, aber Naruto strahlte über das ganze Gesicht. Er sah so dermaßen fröhlich aus, dass er in der bedrückenden Küche vollkommen fehl am Platz wirkte.

Er schnappte sich die Schale und den kleinen Plastiklöffel, den Sakura soeben aus der Besteckschublade geholt hatte und setzte sich grinsend neben Sarada, die wartend in ihrem Hochstuhl saß.

"Guten Morgen, kleine Maus", trällerte Naruto weiter und stupste Sarada gegen die Nase. "Hast du Hunger?"

Sarada starrte für einen Augenblick, dann grinste sie ihn ebenso breit an und brabbelte etwas Unverständliches vor sich hin. Sie wackelte in ihrem Stuhl hin und her und trat mit den Füßen ungeduldig gegen das Holz, ehe sie die Schüssel in Narutos Händen bemerkte und sich danach streckte. Naruto lachte, nahm den kleinen Löffel, bevor Sarada es konnte und kreiste mit ihm vor ihrem Gesicht herum.
 

Sasuke beobachtete, wie Naruto Der Löffel ist ein Flugzeug mit Sarada spielte, die vergnügt quietschte. Seine Mitbewohnerin hatte dafür gesorgt, dass seine Nichte wieder frisch war, sein Mitbewohner fütterte sie. Und alles was er selbst geschafft hatte, war etwas Obst kleinzuschneiden.
 

Es kostete Kraft, nicht aus der Küche zu stürmen.
 


 

×
 

Er hatte nicht gewusst, dass er zu den Leuten gehörte, die Missgunst empfanden. Aber genau das tat er. Missgunst, Neid. Darauf, dass Naruto und Sakura scheinbar sofort wussten, was sie zu tun hatten. Er hingegen saß nur da und wusste nicht einmal, wie er mit seiner Nichte reden sollte. Seine Mitbewohner beschäftigten sich mit ihr, als täten sie es schon ihr Leben lang. Sasuke fühlte sich wie der Onkel, der zu Besuch gekommen war, aber nicht viel mit dem Kind anfangen konnte. Ein ironischer Gedanke, da er ja tatsächlich Saradas Onkel war. Und ihr einziger Verwandter, der nicht zu alt war, um sich um eine Einjährige zu kümmern.

"Alles klar?" Naruto ließ sich neben ihn auf das Sofa fallen und stupste ihn mit dem Ellenbogen an.

Sakura hatte sich, nachdem es sehr plötzlich unangenehm zu riechen begann, Sarada geschnappt, um sie erneut zu wickeln.

"Hm", grummelte Sasuke und starrte auf seine Hände, die den ganzen, kurzen Tag über schon nutzlos gewesen waren.

"Das wird alles schon, kannst du mir glauben." Natürlich wusste Naruto, was Sasuke quälte. Immerhin war er nicht auf den Kopf gefallen und er hatte das merkwürdige Talent, anderen anzusehen, was sie beschäftigte. "Gib dir ein paar Tage Zeit und vergleiche dich nicht mit anderen. Schon gar nicht mit Sakura oder mir. Du weißt, dass sie jahrelang Babysitter gespielt hat und ich …"

Naruto zuckte mit den Schultern. Ja, Sasuke wusste. Naruto war ein besonderer Fall.

"Ich komme mir dumm vor", krächzte er nach einiger Zeit des Schweigens und wandte sich nun doch seinem Mitbewohner zu.

"Sie ist noch nicht mal einen Tag hier. Keiner erwartet, dass du plötzlich Superkräfte entwickelst und alles mit dem kleinen Finger schaffst", gab Naruto zu bedenken. "Solange du Sarada nicht fallen lässt, ist doch alles in Ordnung."

Sasuke schnaubte. Ihm war nicht nach Scherzen zumute. "Ich weiß ja noch nicht einmal, was Kinder in ihrem Altern essen können und dürfen."

"Das weiß doch niemand, der sich zum ersten Mal um ein kleines Kind kümmert. Alle anderen müssen sich auch Hilfe holen. Und in diesem Falle sind Sakura und ich deine Hilfe. Hast du nicht auch ein paar Bücher, in denen das alles steht?"

Sasuke schaute wieder Richtung Boden. Er hatte einen kleinen Stapel an Büchern, die ihm alle versprachen, am Ende der Lektüre der beste Vater überhaupt zu sein. Gebracht hatte es ihm scheinbar herzlich wenig. Und nach dem dritten Buch war er es leid, sich nach den Ansichten irgendwelcher dahergelaufenen Personen richten zu sollen. Zumal sie alle etwas Unterschiedliches sagten und darauf pochten, dass ihre – und auch wirklich nur ihre – Methode die beste und richtige war. Eigentlich wollte er sie allesamt in die Mülltonne schmeißen.

"Gib dir einfach Zeit", fuhr Naruto fort, als Sasuke ihm nicht antwortete. "Niemand ist sofort ein Meister. Selbst du nicht."
 


 

×
 

"Na dann", ächzte Sakura, während Naruto ihr half, den rutschenden Träger ihres Rucksacks wieder aufzusetzen. "Wir sehen uns nachher!"

Sie sah aus, wie ein unförmiges Paket. Der Rucksack auf dem Rücken und die zappelnde Sarada trugen nicht grade zu ihrem Gleichgewicht bei. Obwohl der Sommer erst begann und die Temperaturen durchaus noch ertragbar waren, schwitzte Sakura jetzt schon. Allerdings sah sie nicht mehr, und das war eines ihrer vielen Talente, übernächtigt aus. Sasuke hätte nicht sagen können, ihr anzusehen, dass sie geweint hatte. Sie sah aus wie jeden Vormittag, wenn sie sich auf den Weg machte. Nur dass sie jetzt ein Kleinkind bei sich hatte.

"Ruf mich an, wenn etwas passieren sollte, dann komme ich sofortvorbei", sagte Sasuke und obwohl er mit seiner Mitbewohnerin sprach, schaute er dabei Sarada an, die noch immer nicht stillhalten wollte.

Es würde für alle ein anstrengender, nervenaufreibender Tag werden. Jeder von ihnen hatte Veranstaltungen, die es zu besuchen galt. Einige ihrer Dozenten hatten ihnen sogar verboten, Sarada mitzubringen. Weil ein kleines Kind, fast noch ein Baby, zu viel Unruhe stifte und die anderen Studenten wohlmöglich ablenke. Also hatten sie umdisponieren müssen. Sarada würde umhergereicht werden wie ein Paket, bis sie alle am späten Nachmittag zufälligerweise gemeinsam den Rückweg antreten konnten. Sakura machte den Anfang und nahm sie zu ihrem Seminar mit. Im Anschluss würde sie sie füttern und an Sasuke weitergeben, der sie an diesem Tag nur zu einer einzigen Vorlesung mitnehmen durfte. In dem Raum, in dem sie stattfand, stand jede Woche mindestens ein Kinderwagen im Raum, was ihn etwas beruhigte. Eine Kommilitonin, die er nicht weiter kannte, hatte vor etwas mehr als einem halben Jahr ein Kind bekommen und brachte es ebenfalls zur Uni mit. In unregelmäßigen Abständen brachte ein weiterer Student ebenfalls seinen Sohn mit.

Die zum Teil weiten Wege zwischen den einzelnen Gebäuden, in denen sie alle Unterricht hatten, waren ihrem Zeitplan nicht grade zum Vorteil und am liebsten hätte Sasuke sein Fahrrad mitgenommen, allerdings konnte er nicht Rad fahren und gleichzeitig den Kinderwagen schieben. Und auf den konnte keiner von ihnen verzichten. Sollte Sarada einschlafen (was sie sicherlich tat, da sie mehrere Stunden unterwegs sein würden), konnte sie nicht einfach auf einen Tisch, oder schlimmer noch den Boden gelegt werden. An ein Auto mussten sie gar nicht erst denken. In der Stadt einen Parkplatz zu finden, war unmöglich. Naruto war der letzte, der Sarada an diesem Tag mit in ein Seminar nehmen würde. Glücklicherweise befand er sich im gleichen Gebäude wie Sasuke, sodass sie sich ohne Probleme während ihrer Pause treffen konnten.

"Atme, Sasuke", befahl Sakura ihm ruhig und versuchte, seinen Blick einzufangen. "Ich weiß, dass du Bedenken hast, und ganz ehrlich, ich auch. Aber von nichts wird auch nichts kommen. Und wenn unser Weg so nicht klappt, dann werden wir einen anderen finden. Das weiß ich."

Naruto, der nun zum viertel Mal überprüfte, ob die Schnullerkette an Saradas Latz tatsächlich festsaß, nickte zustimmend.

"Du rufst-", begann Sasuke, doch Sakura unterbrach ihn.

"Mache ich, keine Sorge. Und jetzt muss ich los." Zum Abschied hob sie Saradas Arm und lächelte beide Jungen optimistisch an.
 

Dann fiel die Tür in ihr Schloss.
 


 

×
 

Sasuke schaute zum dritten Mal auf sein Handy.

Er wartete bereits seit einer halben Ewigkeit an ihrem vereinbarten Treffpunkt. Zwanzig Minuten, nachdem Sakura mit Sarada gegangen war, hatten sich auch Sasuke und Naruto auf den Weg zur Uni gemacht. Sobald Sasuke sich auf einen freien Stuhl in seinem Seminarraum gesetzt hatte, begann sich die Unruhe erneut in ihm auszubreiten. Er hatte seinem Dozenten aufmerksam zugehört und mitgeschrieben, wahrscheinlich konnte er sogar wortgetreu wiedergeben, was gesagt wurde, dennoch hatte er das Gefühl, nichts von dem mitbekommen zu haben, was in den entsprechenden neunzig Minuten passiert war. Er war der erste, der aus dem Raum stürmte, sobald es Zeit und Dozent erlaubten und lies die erstaunten Blicke der anderen hinter sich. Schnellen Schrittes war er durch die Innenstadt gelaufen und stand nun vor der kleinen Galerie eines lokalen Künstlers, die sich auf halber Strecke zwischen den Gebäuden befand, zu denen Sasuke und Sakura als nächstes mussten.

Innerlich verfluchte er, dass es sich bei ihrer Uni um keine reine Campusuniversität handelte. Das hätte ihnen tatsächlich einiges ersparen können.

Er zückte zum vierten Mal sein Handy, als er Sakura und den Kinderwagen um die Ecke biegen sah. Einer der vielen Knoten, der sich unangenehm um sein herz gelegt hatte, lockerte sich, als er den entspannten Ausdruck auf Sakuras Gesicht sah. Stumm nickte, rief ihm allerdings nichts zu. Dann legte sie einen Finger an die Lippen und deutete auf den Kinderwagen. Sasuke vermutete, dass Sarada eingeschlafen war.

Die Missgunst, der leichte Anflug von Eifersucht, die er schon am Morgen verspürt hatte, stiegen wieder in ihm hoch. Es sah so selbstverständlich aus, wie seine Mitbewohnerin mit Sarada durch die Straßen lief. Der Kinderwagen passte zu Sakura wie ein Baum in den Wald. Dabei sah sie völlig entspannt aus. Er konnte ihr nicht ansehen, was sie dachte, ob in den vergangenen Stunden etwas vorgefallen war und, und das war das wichtigste, ob sie auch so nervös und unruhig war, wie er sich fühlte. Stattdessen wirkte es auf Sasuke erneut, als hätte sie sich vollkommen in ihrer neuen Rolle gefunden, ohne eine Eingewöhnungsphase zu benötigen.

Als Sakura endlich bei ihm angekommen war, warf er als erstes einen Blick auf seine tatsächlich schlafende Nichte und schluckte die unangenehmen Gefühle in ihm herunter. Sarada war nur zum Teil mit einem dünnen Tuch zugedeckt und er konnte das stetige Heben und Senken ihres Bauches bei jedem ihrer Atemzüge sehen. Für einen kurzen Augenblick saugte sie an ihrem Schnuller, rührte sich ansonsten jedoch nicht. Neben ihrem Kopf, mit der Nasenspitze an ihrer, lag die kleine graue Maus und lächelte ihm breit mit ihrem aufgenähten Mund entgegen.

"Sie ist mitten im größten Chaos eingeschlafen", sagte Sakura sanft und sah ebenfalls lächelnd auf Sarada hinab. "Meine Professorin hat den Schlusspfiff gegeben und Sarada sind die Augen zugefallen, während alle anderen um sie herum ihre Sachen gepackt und begonnen haben, sich zu unterhalten."

Sasuke nickte. "Und auch sonst lief alles gut?"

"Natürlich." Sakura deutete auf die kleine Tasche, die in dem Korb zwischen den Rädern des Kinderwagens lag. "Ich wollte sie nicht wecken, deshalb hat sie noch nichts gegessen. In der Tasche findest du alles, was du brauchst. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie etwas länger schlafen wird. Die ganzen neuen Eindrücke haben sich bestimmt müde gemacht."

Sasuke nickte erneut und nahm seiner Mitbewohnerin den Wagen ab. Sie mussten sich beide beeilen, wenn sie noch pünktlich zu ihrer jeweilig nächsten Veranstaltung kommen wollten.

"Danke, Sakura. Und bis nachher."
 

Sasuke störte sich nicht an den wenigen Blicken, die ihm unterwegs zugeworfen wurden. Auch wenn er zu den jüngeren Vätern gehörte, war er alt genug, um selbst ein Kind zu haben. Unangenehmer waren ihm die Blicke seiner Kommilitonen, die sich bereits im Hörsaal befanden, als er mit dem Wagen den Raum betrat und ihn neben dem anderen abstellte.

Sarada schlief noch immer und für einen Moment blieb er unschlüssig stehen. Sollte er sie wecken und ihr noch etwas zum Essen anbieten, bevor der Dozent mit seinem Vortrag begann? Oder würde sie wegen ihrer Müdigkeit weinen? Zögerlich streckte er seine Hand nach ihr aus, das Herz klopfte ihm bis zum Hals und vor seinem innerlichen Auge spielte er jedes mögliche Szenario ab, das nun geschehen könnte.

Dann entschied er sich dagegen.

Er deckte sie noch einmal richtig zu und setzte sich dann auf den ersten Platz in der untersten Reihe, sodass er mit wenigen Schritten bei Sarada sein könnte, sollte sie aufwachen. Direkt hinter ihm saß seine Kommilitonin, die junge Mutter, die ihm aufmunternd zulächelte. Ihr Baby saß auf ihrem Schoß und knabberte an einem Beißring. Sasuke beachtete sie nicht weiter. Die Ungewissheit machte sich wieder in ihm Breit und nahm den vollen Besitz seiner Gedanken ein. Wieder wusste er nicht, was er tun sollte, wie er sich verhalten sollte. Sarada würde sicherlich nicht verhungern, richtig? Viel eher müsste sie vorher aufwachen und auf sich aufmerksam machen. Sasuke versuchte, die Anspannung abzuschütteln. Atme, Sasuke, hallte Sakuras Stimme in seinem Kopf wider und er bemühte sich krampfhaft, ihrem Befehl vom Morgen zu folgen.
 

Sarada schlief die vollen neunzig Minuten der Vorlesung durch. Einmal dacht Sasuke, sie sei aufgewacht, aber seine Nichte hatte sich lediglich anders hingelegt und das Kuscheltuch Nana an ihr Fußende befördert. Obwohl er wusste, dass sie schlief, hatte Sasuke im Minutentakt nach ihr sehen müssen. Jedes Mal hoffte ein Teil in ihm, dass sie weiterhin schlief, ein anderer, dass sie aufwachte, damit er endlich etwas zu tun hatte.

Es hat noch keinen Tag gegeben, an dem er sich in seinen Veranstaltungen so schlecht konzentrieren konnte, wie an diesem. Normalerweise hörte er seinen Dozenten gerne zu und befand das, was sie unterrichteten, in den allermeisten Fällen interessant, aber heute galt seine Aufmerksamkeit jemand anderem. Immerhin verging die Zeit schneller als in seinem vorherigen Seminar. Natürlich hatte er keine Zweifel an Sakuras können, aber letztendlich war er es, der für Sarada verantwortlich war.

Und gleichzeitig wusste er so wenig.

Für einen kurzen Augenblick wanderten seine Gedanken zu der Kommilitonin hinter ihm. Wie schaffte sie es, sich um ihr Baby und um ihr Studium zu kümmern? Wahrscheinlich kamen auch ihr ab und an Zweifel … Andererseits hatte sie sich darauf vorbereiten können, Mutter zu werden. Auch er hatte Bedenkzeit erhalten, um sich seiner Entscheidung endgültig bewusst zu sein – und natürlich war es das richtige gewesen, Sarada zu sich zu holen – aber er hat niemals eine Vorwarnung erhalten. Nicht darüber, dass er beinahe seine ganze Familie verlieren und der Erziehungsberechtigte seiner Nichte würde. Dass er nun eine Verantwortung zu tragen hatte, die sein Leben lang halten musste.

Sasuke ballte seine linke Hand zur Faust. Mit der rechten umgriff er seinen Stift fester. Er driftete gedanklich in eine Welt ab, die er meiden musste. Nicht nur für Sarada, sondern auch für sich selbst. Jeder hatte ihn davor gewarnt. Die Psychologen, mit denen er sprechen musste, Pädagogen und Sozialbeamte … Jeder von ihnen sagte ihm, dass er nicht zu viel von sich selbst fordern durfte, dass es dunkle Gedanken haben musste, diese aber nicht die Oberhand erhalten durfte. Sasuke erinnerte sich daran, wie er sich flüchtig gefragt hatte, wie das, was diese Leute ihm beschrieben, anfühlen mochte. Nun wusste er es. In den vorherigen Monaten war er in seiner eigenen Trauer gefangen gewesen und obwohl er schnell beschlossen hatte, dass Sarada zu ihm käme, war es ihm nicht richtig in den Sinn gekommen, was es für ihn bedeutete. Aber hatte er tatsächlich nur angenommen, dass er sich um ein Kind kümmern musste und sich der Rest von allein zusammensetzte? Dass Sarada einfach nur etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf hatte? Und vor allem – dass sich für ihn, in emotionaler Hinsicht, nichts änderte?

Sasuke schreckte auf, als einer der Studenten neben ihm geräuschvoll seine Getränkeflasche in seine Tasche pfefferte. Mit einem Knall wurde er aus seinen Gedanken und wieder in die Realität gerissen.

Die Vorlesung war beendet.

Als Sasuke seine verkrampfte Faust wieder öffnete, hatten sich die Abdrücke seiner Fingernägel in seine Handinnenflächen gebohrt. Für eine Sekunde betrachtete er sie, dann packte auch er seine Tasche zusammen und stand auf.

Sarada schien, wie er verwundert feststellte, noch immer tief zu schlafen. Dabei war er sich sicher, dass sie zum einen Hunger hatte und es zum anderen unüblich war, dass ein Kind bei diesem Lärm dennoch für eine längere Zeit schlief.

Er atmete einmal tief ein und wieder aus, um sich zu sammeln.
 

"Das war wahre Folter." Stöhnend ließ Naruto sich auf den freien Stuhl neben Sasuke plumpsen. "Ich dachte schon, der hört gar nicht mehr auf zu reden."

Sasuke hatte sich mit Sarada, die in der Zwischenzeit aufgewacht war, in eine der vielen Sitzecken in der geräumigen Wartehalle zurückgezogen und dort auf seinen Mitbewohner gewartet. Seine Nichte saß auf seinem Schoß und griff immer wieder in die Dose, die vor ihnen auf dem Tisch lag. Sakura hatte ihr, bevor sie alle aufbrechen mussten, ein einfaches Essen zurechtgemacht, das aus geschnittenem Gemüse, das vorgekocht wurde, Zwieback und einem Fruchtjoghurt bestand.

"Na, du kleine Maus", grinste Naruto Sarada zu, doch außer einem flüchtigen Blick von ihr bekam er nicht geschenkt.

Stattdessen griff sie nach einem Brokkoliröschen und begann einen ungeschickten Versuch es zu essen. Sasuke dankte sich innerlich, das Tuch, das er in der Tasche für Sarada gefunden hatte, auf seine Hose gelegt zu haben. Kleine grüne Brocken flogen aus dem Mund seiner Nichte und verteilten sich überall in unmittelbarer Nähe. Naruto lachte.

"Das üben wir wohl noch mal", sagte er, ehe er sich an Sasuke wandte. "Sakura hate mir schon geschrieben, dass sie nicht zum Füttern gekommen ist. Aber jetzt ist ja alles in Ordnung. Ich glaube, ansonsten wäre das Geschrei nachher groß gewesen."

"Sie hat bis gerade eben geschlafen", sagte Sasuke mehr zu sich selbst als zu Naruto und entdeckte etwas Brokkoli in Saradas Haar.

Verwirrt pflückte er es ab und beobachtete, wie sie mit Elan zu einem Stück Zwieback griff und geräuschvoll darauf herumkaute. Damit würde sie erst einmal eine Weile beschäftigt sein.

"Na hoffentlich schläft sie dann heute Nacht noch. Und ist bitte auch in meinem nächsten Seminar nicht allzu laut, hm?" Er stupste Sarada gegen die Nase, die daraufhin kurz kicherte und dann weiter aß.

Als Sasuke nicht reagierte, sackten Narutos Schultern etwas in sich zusammen. Natürlich hatte er bemerkt, dass sein Mitbewohner wieder in seinen eigenen Gedanken verschwunden war, dass es ihm nicht gutging – und vor allem, dass er erneut an sich selbst zweifelte. Diese Laune machte Naruto unruhig. Er mochte es nicht, wenn es seinen Freunden schlecht ging und gleichzeitig wusste er, dass es im Moment nichts gab, mit dem er Sasuke helfen konnte. Er musste es selbst schaffen, an sich zu glauben.

"Hey, Mann. Komm mal raus aus deinen Gedanken! Wir bekommen das hin, glaub mir. Und du wirst sehen, bald wirst auch du alles wie selbstverständlich machen."

"Ja, ja. Ich weiß", murmelte Sasuke und umfasste Sarada stärker, die auf seinem Schoß herumschaukelte.

Naruto glaubte ihm kein Wort.
 


 

×
 

"Auf nach Hause!", jubelte Naruto anstelle einer Begrüßung, als Sakura endlich an ihrem Treffpunkt ankam.

Sasuke war sehr erleichtert gewesen, als sich endlich der letzte Kurs des Tages dem Ende neigte und er vor dem Fakultätsgebäude Naruto und Sarada warten sehen konnte, die entspannt an einem weiteren Stück Zwieback nuckelte. Gemeinsam hatten sie Massen an Studenten beobachtet, die sich alle auf einem durch die Türen zwängen wollten, um möglichst schnell den nächsten Bus oder die nächste Bahn zu erwischen. Dann dauerte se noch einige Minuten, bis auch Sakura zu ihnen stieß.

"Ist alles gut gelaufen?", fragte sie und schaute abwechselnd zwischen ihren Mitbewohnern hin und her.

"Sasuke hat ihr vorbildlich das Essen kredenzt, bevor ich sie mit zu mir genommen habe. Sarada hat wahrscheinlich noch nie so königlich gespeist, wie heute", frotzelte Naruto.

"Erzähl keinen Mist", schnaubte Sasuke, schnappte sich den Kinderwagen aus seinen Händen und setzte sich, damit dieses Gespräch nicht weiter fortgesetzt wurde, in Bewegung.

Sakura und Naruto tauschten hinter seinem Rücken erfreute Blicke aus und nickten sich kurz zu. Sie waren sich einig, dass Sasuke sich auf dem richtigen Weg befand. Sicherlich würde es Höhen und Tiefen geben, aber die ersten Schritte waren erfolgreich gemeistert.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank für die ganzen Favoriteneinträge - und das nur nach dem Prolog. Weiß gar nicht, was ich sagen soll ...

Das hier ist also das erste Kapitel. Auch wenn hier schon etwas Handlung stattgefunden hat, geht es mir eher darum, einen ersten Einblick in Sasukes Gefühls- oder besser Gedankenwelt zu geben. Eitel Sonnenschein sieht sicherlich anders aus :')

Ich wünsche allen einen guten Rutsch in das Jahr 2020! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Goetterspeise
2020-01-10T21:01:12+00:00 10.01.2020 22:01
Guck mal, wer es endlich geschafft hat?
Ich!
Und ich beginne mit deinem Nachwort: tatsächlich ist ein wenig Handlung drinnen, aber auch ganz, ganz viel Sasuke. Und das ist auch richtig so! Es ist eine absolut neue Ausnahmesituation für ihn und damit ist er auch berechtigt, den Großteil des Kapitels einzunehmen. Also seine Gefühle. Ich finde es auch nachvollziehbar, dass er auf seine Mitbewohner neidisch ist. Aber es wirkt oft einfacher als es für die anderen dann eigentlich ist. Aber Naruto und Sakura sind da die perfekten Teamplayer. Sie unterstützen ihn und möchten ihm helfen. Und ich finde das machen sie mit ihrer Art hervorragend. :) Sasuke wird es sicher lernen. :D
Ansonsten mag ich die Beschreibung, wenn Sarada Speichelblasen macht und so. Ich stell mir das unglaublich lustig vor XD Gefällt mir sehr gut! Und ich bin echt gespannt wie der Alltag der vier in Zukunft wird. Es klingt schrecklich kompliziert - und etwas anderes hätte mich auch überrascht.

Ich freue mich schon aufs nächste Kapitel!!

PS: weißt du, dass mittlerweile der Name von Itachis 'Freundin' aus dem Manga bekannt ist? :3
Antwort von:  Quiana
11.01.2020 19:43
Von:  SocialDistortion
2020-01-01T16:34:04+00:00 01.01.2020 17:34
Hey! Bin gerade auf deine Geschichte gestoßen und bin echt begeistert. Ich mag deinen Schreibstil und die Art, wie du Sasukes Gefühle vermittelst, ist wirklich schön. :D Sasuke tut mir unheimlich leid. Unglaublich, welche Verantwortung er da übernehmen muss. Zum Glück hat er Sakura und Naruto. Gerade in Zeiten wie diesen braucht er seine zwei Freunde, die ihm helfen und ihn aus dem tiefen Loch herausziehen. Bin gespannt, wie sich Sasuke so entwickelt. :)
Antwort von:  Quiana
02.01.2020 17:25
Hey, vielen lieben Dank für deinen Kommentar!
Es freut mich, dass dir bis jetzt alles gefällt - und mein Schreibstil auch. Das hat mich wiederum sehr gefreut, dankeschön! :)
Von:  Scorbion1984
2019-12-28T17:30:00+00:00 28.12.2019 18:30
Ja ein Kind grosszuziehen ist harte Arbeit ! Bringt viel Verantwortung aber auch viel Freude !
Ich finde es toll wie sie sich gegenseitig helfen !
Sasuke wird wohl noch eine Weile brauchen ,bis auch er es lockerer wird ,ich denke mit Hilfe seiner Freunde wird es schon werden !


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