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Die mit den Tierwesen tanzt

von

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Komm Einhorn, wir gehen!

Als ich in Müllers Büro ankam, stellte ich erstaunt fest, dass er nicht alleine war. Jennifer saß in einem der Besucherstühle. Ich erkannte sie erst, als sie ihren Kopf zu mir drehte und mir zunickte.

„Guten Abend“, begrüßte ich die beiden und trat ein.

„Schuster, gut, dass Sie endlich da sind. Setzen Sie sich!“

Ich tat, wie geheißen, räumte einigen Krempel vom anderen Besucherstuhl auf Müllers Schreibtisch und pflanzte mich auf meine vier Buchstaben. Erwartungsvoll sah ich über den Tisch.

„Es gibt wieder etwas für mich zu tun?“

„Ja. Sie und Oakley werden sich umgehend auf den Weg machen. Es ist ein Einhorn aufgetaucht und streunt jetzt verletzt durch Berlin.“

„Ein Einhorn?“, wiederholte ich überrascht.

„Ja, ein Einhorn. Zuletzt wurde es beim Ehrenpfortenberg gesehen. Sie müssen es so schnell wie möglich finden, schon zu seinem eigenen Schutz.“

Ich nickte.

„Weiß man, wie genau es sich verletzt hat? Oder wo?“

„Es scheint zumindest nicht an den Beinen verletzt zu sein, sonst würde es wohl mehr herum humpeln, statt rennen. Oder galoppieren, wie man das bei Pferden so nennt.“

Ich fühlte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Ein topfittes Pferd einzufangen, stellte ich mir ziemlich kompliziert vor.

„Vor allem für jemanden, der keine Hexer-Zeichen anwenden kann ...“, murmelte ich.

Jennifer sah mich von der Seite her an.

„Wie meinen Sie?“, fragte mich Müller.

Ich zuckte zusammen.

„Äh, nichts. Ich hab mich nur an etwas aus einem ... Videospiel erinnert.“

Müller zog eine Augenbraue hoch.

„Gut, wie Sie meinen. Das wäre dann soweit alles. Am besten, Sie machen sich sofort auf den Weg. Um diese Zeit sind in der Gegend viele Leute mit ihren Hunden unterwegs.“

„Oh je“, meinte ich nur.

Jennifer und ich standen auf und verließen Müllers Büro. Wir gingen zu einem Schreibtisch, an dem eine Stehlampe brannte. Sie packte ihre Sachen zusammen.

„Schon mal ein Einhorn gefangen?“, fragte sie mich dann.

„Nee. Ich bin ja jetzt erst den ... fünften Tag hier.“

„Wie hast du denn den Niffler erwischt?“

„Mit Petrificus Totalus. Alternativ kann man ihm auch was Glänzendes hinhalten und er kommt automatisch. Wenn er gerade Lust dazu hat. Ich fürchte nur, bei einem Einhorn werden wir weder mit der einen Möglichkeit, noch mit der anderen besonders viel Erfolg haben.“

„Stimmt. Was weißt du denn über Einhörner?“

„Dass sie besonders selten sind, besonders reine Wesen und vermutlich besonders begehrt?“

Jennifer sah mich wieder von der Seite her an.

„Und ich hab das ein oder andere gehört, bei dem ich mir aber nicht sicher bin, ob ich es für bare Münze halten soll oder ob es nur Ammenmärchen sind.“

„Und?“

„Na ja, dass sie bei Männern Reißaus nehmen und sich nur Jungfrauen annähern können.“

Dieses Mal sah ich ihr direkt ins Gesicht. Keine von uns wagte es, die Frage, die sich in der Luft zwischen uns gebildet hatte, auszusprechen. Sie hing einfach da über dieser Situation. Immerhin hatten Jennifer und ich ein gemeinsames Verständnis von Scham, wie es schien. Keine traute sich, die jeweils andere zu fragen, ob sie noch Jungfrau war.

„Wir werden es wohl drauf ankommen lassen müssen“, meinte sie lapidar.

„Ja, werden wir wohl.“

Wir fuhren ins vierte Untergeschoss hoch, wo ich Rufus ein paar Heimchen fütterte und meine entsprechenden Bücher in meine Handtasche packte. Jennifer betrachtete den Niffler fasziniert, der sie äußerst misstrauisch beäugte und seine Schätze, von denen er einige in das Körbchen gepackt hatte, bewachte.

„Gott, wie süß!“, meinte Jennifer schließlich. „AUTSCH!!“

Ich fuhr herum.

„Hat er dich gekratzt?“

„Ja, kleines Biest.“

Sie stand auf und hielt sich den Finger.

„Zeig mal her.“

Sie hielt mir ihren Finger hin.

„Böser Rufus!“, schimpfte ich mit dem Niffler, wobei ich vermutete, dass er nur seine Schätze vor der Fremden verteidigen wollte. „Brauchst du ein Pflaster?“

„Nein, lass mal.“

Jennifer zog ihren Zauberstab hervor und fixte den Kratzer mit einem Zauber, den sie nicht laut aussprach und den ich nicht kannte. Fasziniert sah ich dabei zu, wie sich die Wunde wieder schloss.

„Welcher Zauber war das?“, fragte ich sie.

Sie packte ihren Zauberstab wieder weg.

„Episkey. Solltest du dir bei Gelegenheit aneignen, hilft bei kleineren Wunden perfekt.“

Wieso war ich nicht von selbst darauf gekommen? Anstatt darauf zu antworten, beugte ich mich zu Rufus hinab und tätschelte ihm den Kopf.

„Pass gut auf, mein Kleiner, ja?“

Der Niffler gab mir keine Antwort. Stattdessen kratzte er seine letzten Klunker zusammen und sah mir misstrauisch ins Gesicht.

„War ja klar.“

Wir verließen meine Bude und ich schloss die Tür ab.

„Wahrscheinlich wird mein Zimmer wieder ein Schweinestall sein, wenn wir zurück kommen“, seufzte ich.

„Warum?“

„Heute morgen hatte er meinen Schrank aufgemacht und alles raus geworfen“, erzählte ich.

„Oh, also wie eine Katze?“

Wir gingen zum Fahrstuhl.

„Äh, na ja ich hab noch keine Katze getroffen, die einen Schrank öffnet und Wäsche raus wirft. Vielleicht allenfalls Katzen, die den Schrank mit dem Futter drin öffnen. Hast du Katzen?“

„Nein. Da ginge momentan auch gar nicht mit meiner Dissertation.“

„Ist wohl wahr.“

Am Aufzug angekommen, drückte ich auf den Knopf.

„Wie wollen wir eigentlich vorgehen?“, fragte Jennifer.

„Öh, vielleicht ist es am besten, wenn wir uns erst einmal einen Überblick über den Park verschaffen und uns dann aufteilen? Ich hab von Berlin leider keine Ahnung, wenn ich ehrlich sein soll.“

„Dann sind wir ja schon zwei.“

Wir fuhren nach oben und verließen das Ministerium. Wieder war der Stern, wie der Platz mit der Siegessäule auch genannt wurde, von Nachtschwärmern und Touristen bevölkert. Ich zog mein Handy hervor.

„Was machst du da?“, fragte Jennifer mich.

„Nachschauen, wie wir am besten zum Ehrenpfortenberg kommen.“

„Aha“, war ihre skeptische Antwort. „Mit den Öffentlichen sind wir da über eine Stunde unterwegs, weißt du.“

Ich hob den Kopf und schluckte.

„Bis wir da ankommen, ist das Einhorn weg.“

„Was schlägst du vor?“, fragte ich sie.

Jennifer zog die Augenbrauen hoch.

„Äh, n-nein, das halte ich für keine so gute Idee ...“

Ich wich leicht vor ihr zurück, als sie auf mich zukam. Trotzdem bekam sie meinen Oberarm zu fassen und apparierte. Alles an mir zog sich zusammen. Mein Magen, mein Darm, meine Lunge. Bei meinen Knochen fühlte es sich am schmerzhaftesten an, doch ich hatte keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn auf der anderen Seite fiel ich heraus und landete unsanft auf dem Boden.

Ich hustete und prustete, was das Zeug hielt, und kämpfte mich auf meine wackeligen Beine, nur um dann hinter dem nächsten Baum zu verschwinden. Ich beugte mich vornüber und keuchte und würgte Galle hervor, das Ergebnis des nicht vorhandenen Abendessens. Ich machte selbst dann noch weiter, als ich eine Hand auf meinem unteren Rücken spüren konnte.

„Alles gut bei Ihnen?“, fragte mich eine Männerstimme.

Ich war zu geschlaucht, um zusammenzuzucken. Wackelig drehte ich mich um, um den Typen sehen zu können, der mich da so einfach betatschte. Vor allem erschreckte ich mich, weil er so mir nichts, dir nichts aus dem Nichts aufgetaucht war. Und das in einem Waldgebiet. Ganz koscher war er mir nicht. Zum Glück wich er zurück, als er mir ins Gesicht sah. Entweder hatte ich mich selbst auch ein Stück weit vollgekotzt, oder meine vermutlich blasse Gesichtsfarbe verriet ihm, dass Abstand besser für ihn sein würde.

„Soll ich den Notarzt verständigen?“

Er zog schon sein Handy vor, als ich abwinkte.

„Haj-hab mich n-nur üb-überan-strengt“, keuchte ich hinter vorgehaltener Hand. „S-S ge-ht gleich w-wieder ...“

„Sicher nicht?“, fragte er zweifelnd.

„J-Ja.“

Ich machte eine scheuchende Handbewegung und wandte mich von dem Mann ab. Zum Glück verfolgte er mich nicht, sondern rief einen Namen und ich hörte ein Bellen. Ich ging auf wackelnden Knien von ihm weg. Ich hatte Mühe, mich aufrecht zu halten und von Jennifer war weit und breit keine Spur. Was für ein Schlamassel. Warum hatte sie uns auch einfach appariert, ohne mich vorher darauf vorzubereiten. Wusste sie nicht, dass ich ein blutiger Anfänger war?

Ich fühlte mich ein bisschen an meinen ersten Abend in Berlin zurückversetzt, als ich mit Hilfe eines Maßkrug-Portschlüssels nach Berlin gereist war und Frau von Bülow dabei verloren hatte. Nur, dass mir dabei nicht so übel geworden war, wie jetzt. Für die kurze Zeit, die ich jetzt für das Ministerium arbeitete, hatte ich schon ziemlich viele verschiedene Reisemöglichkeiten kennen gelernt. Portschlüssel, Kloschüssel und jetzt das Apparieren. Keine der Reisemöglichkeiten hatte mir bisher besonders behagt, wobei sich die Reise mit der Kloschüssel ...

‚Oder wohl eher durch die Kloschüssel ...‘, dachte ich.

... sich am komfortabelsten herausgestellt hatte. Ich war trocken und auf beiden Füßen stehend angekommen und mir war hinterher auch nicht speiübel. Sie hatte nur furchtbar viel Überwindung gekostet, etwas, was mir mit der Zeit und viel Übung sicher leichter fallen würde. Ob ich Apparieren jemals meistern würde, bezweifelte ich.

Jennifer kam mir entgegen gestiefelt, ihren Zauberstab mit einem Lumos vor sich haltend. Ich erkannte sie erst, als sich einen Meter vor mir stand, so unkonzentriert war ich. Oder geschlaucht.

„Da bist du ja endlich, ich hab mir Sorgen gemacht“, meinte sie.

Ich musste mich beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen.

„Du hättest mir ruhig sagen können, dass du apparieren willst.“

Jennifer legte den Kopf schief.

„Es war mein erstes Mal.“

„Huch? Warum hast du denn nichts gesagt?“, fragte sie erschrocken.

„Du hast mir nicht die Zeit gelassen, überhaupt etwas zu sagen.“

„Entschuldige ...“

Sie kramte in ihrer Hosentasche und förderte schließlich ein Pfefferminzbonbon zu Tage.

„Hier, das sollte über die schlimmste Übelkeit hinweg helfen.“

Erschöpft sah ich sie an.

„Hab ich mich angekleckert?“

„Nein. Aber du bist halt doch ziemlich weiß im Gesicht.“

Ich grummelte, packte das Bonbon aus und schob es mir in den Mund. Im Nu war der Geschmack nach Galle in meinem Mund verschwunden.

„Einer wollte schon einen Notarzt rufen“, meinte ich und sah mich dabei unbewusst um.

Inzwischen hatte Jennifer einen peinlich berührten Gesichtsausdruck angenommen. Verlegen kratzte sie sich am Hinterkopf.

„Also, irgendeine Idee, wo wir hier sind und vor allem, wo wir zu suchen anfangen sollten?“

Zum ersten Mal hatte ich wirklich Gelegenheit, mir die Umgebung anzuschauen. Viel sehen konnte ich indes nicht, da es inzwischen fast Nacht war. So Nacht, wie es in unmittelbarer Umgebung Berlins und des Tegeler Flughafen eben sein konnte, also eigentlich eher Dämmerung. Trotzdem war der Wald um diese Zeit finster und ohne vernünftige Beleuchtung nicht zu durchkämen. Anders als Jennifer zog ich es jedoch vor, mein Handy für entsprechend Licht zu benutzen. Auf mögliche Gassigeher würde das bei weitem weniger suspekt wirken, als ein Zauberstab.

„Also wollen doch mal sehen, wo wir hier sind.“

Der Ehrenpfortenberg war gar nicht weit weg und wir machten uns auf den Weg. Jennifer schritt mit mehr Enthusiasmus voraus, ich war etwas vorsichtiger dabei, mit meinem Handy zu leuchten, gleichzeitig unsere Route zu überprüfen und natürlich nicht über Wurzeln oder Steine zu stolpern.

Schließlich kamen wir bei dem so genannten Berg an, der bei genauerer Betrachtung nicht mal die Bezeichnung „Hügel“ verdiente. Eine Infotafel verriet uns, dass der Berg gerade einmal 69 Meter hoch war.

„Typisch Berlin“, schloss ich. „Die bezeichnen eine Müllhalde vermutlich auch als Gebirge ...“

Jennifer drehte sich zu mir um.

„Was ist?“

„Nichts. Ich hab nur eine andere Definition von Bergen. ... Wir sollten uns umsehen.“

Wir leuchteten mit Handy und Lumos in der unmittelbaren Umgebung herum, konnten aber nicht viel erkennen. Ich konnte mehrere Fußspuren ausmachen. Der Ehrenpfortenberg schien eine beliebte Wegmarke zu sein. Einen Hufabdruck fand ich jedoch nicht.

„He, komm mal hier rüber.“

Jennifer hatte sich etwas von der Infotafel entfernt und winkte mir jetzt zu. Ich stolperte zu ihr hinüber und sie zeigte auf einen Baum. Ich trat näher heran und erkannte schließlich einige helle Haare, die etwa auf Brusthöhe an der Rinde hingen. Ich nahm einige davon.

„Meinst du, das war das Einhorn?“, fragte ich Jennifer.

„Ich wüsste nicht, welches Tier sonst so helle Haare hat.“

Ich legte den Kopf schief.

„Zum Beispiel ein Schimmel? Hier braucht nur einer durchgeritten zu sein.“

„Ernsthaft?“, konterte sie.

Ich packte die Haare in meine Hosentasche in der Hoffnung, sie im Nachhinein nicht zu vergessen. Danach leuchtete ich mit meinem Handy auf dem Boden und fand nach kurzer Suche Hufspuren, die von der einen Richtung in die andere führten. Ich folgte der Spur einige Meter, Jennifer blieb an dem Baum stehen.

„Hier drüben, kannst du dir das ansehen?“, fragte ich sie.

Jennifer schloss zu mir auf und ich deutete auf eine Stelle am Boden, die silbern schimmerte. Sie hockte sich hin, verzichtete aber darauf, in die flüssig aussehende Masse zu greifen.

„Ich glaube, wir haben unser Einhorn gefunden“, meinte sie.

„Ist das Blut?“, fragte ich.

Überflüssigerweise. Natürlich wusste ich, dass es sich bei dem silbernen Zeug um Einhornblut handelte, sah es doch genauso so wie im ersten Teil der Harry Potter Filme aus. 

„Ja.“

„Wenn es blutet, scheint es doch schwerer verletzt zu sein“, überlegte ich.

„Das bezweifle ich. Die Spuren sehen ziemlich normal aus, was ihren Abstand zueinander betrifft. Das Einhorn scheint hier gemächlich durchgetrabt zu sein, eine gravierende Wunde würde entweder Stillstand oder wilde Flucht bedeuten.“

Ich nickte verdrießlich. Kunde über magische Wesen sollte ja eigentlich mein Fachgebiet sein. Oder werden. Trotzdem wusste Jennifer bei weitem mehr über die Materie, als ich. Oder sie vergleich das Einhorn einfach nur sehr mit herkömmlichen Pferden.

 Wir folgten der Spur weiter, die silbernen Flecken waren inzwischen genauso regelmäßig wie die Hufspuren. Nach fünf Minuten beugten wir uns wieder zu Boden.

„Siehst du das? Das Blut ist immer direkt am Huf, vielleicht hat es eine Wunde, aus der das Blut am Bein hinab läuft.“

„Ja, das habe ich auch schon überlegt.“

Die Spur führte uns wieder zurück nach Berlin, doch wir waren noch ziemlich weit vom Stadtrand entfernt. 

„Äh, Jennifer?“

„Hm?“

„Da kommt jetzt dann ein Wildtiergehege“, meinte ich. „Vielleicht hält es sich dort irgendwo auf.“

„Gut möglich. Zum Glück haben die da keine Wölfe.“

Inzwischen hatten wir ein gutes Tempo gefunden, um der Spur des Einhorns weiter zu folgen. Wir stiefelten noch einige Minuten durch den Wald, ehe wir an einem ersten Zaun ankamen.

„Da wären wir“, meinte Jennifer.

Ich prüfte das Gelände auf meinem Handy. Wirklich viel gab es nicht her. Die Spur führte am Zaun nach links, das Einhorn seinerseits schien sein Tempo ebenfalls verringert zu haben. Wir sahen uns die Blutspur auf dem Boden an und stellten fest, dass es noch ziemlich feucht war.

„Okay, ich glaube, am besten ist es, wenn wir uns hier aufteilen, um die Tieranlage zu durchkämen“, meinte ich. „So finden wir es schneller, falls es sich noch hier aufhält und der eine kann ihm notfalls den Weg abschneiden, sollte es doch ausbüchsen wollen.“

„Äh, gut, aber wie willst du Kontakt halten?“

Ich sah Jennifer schief an.

„Mit dem Handy? Du hast doch bestimmt eines, oder nicht?“, fragte ich unsicher.

„Ja, schon. Aber hier ist ein Funkloch.“

Erschrocken sah ich auf mein Display.

„Bei mir nich‘“, meinte ich nach einigen Augenblicken.

Jennifer hielt mir ihr eigenes Gerät hin, das sie aus dem Nichts zutage gefördert hatte. Dass eine waschechte Hexe ein Handy besaß, betrachtete ich als erheblichen Fortschritt. Dass ihr Gerät tatsächlich unter einem Funkloch litt, war allerdings alles andere als hilfreich.

„Was hast du denn für einen Anbieter?“

„O2.“

Sie sprach es „Ohh-Zwei“ aus. Zum Glück konnte Jennifer nicht sehen, wie ich die Augen verdrehte.

„Vielleicht solltest du dir einen anderen suchen.“

„Bei welchem bist du denn?“, fragte sie.

„Congstar. Ist ein ziemlich kleiner Anbieter, aber eine Tochter von der Telekom. Die nutzen das selbe Netz, soweit ich weiß.“

„Und Telekom ist gut?“

„Äh ... also sie haben die beste Netzabdeckung, falls du das meinst. Ich hab hier wie gesagt keine Probleme mit Empfang. Servicetechnisch ist die Telekom eine Katastrophe, aber die anderen sind da auch nicht besser.“

„Mhm?“

„Am besten ist es, wenn du mal in einen Telekom-Laden gehst.“

„Gut. Aber lass uns erst das Einhorn fangen.“

„Ja. Ich glaube, am besten ist es, wenn du die Route hier entlang direkt Richtung Häuser gehst. Da kriegst du am ehesten wieder Netz.“

„Und du dann dem Einhorn hinterher? Können wir so machen?“

Etwas raschelte vernehmlich. Erschrocken rissen wir die Köpfe herum, starrten in die Dunkelheit und lauschten der Stille. Außer entfernter Straßenlärm und vereinzelten Flugzeugen tat sich nicht viel. Nach fünf Minuten drehten wir unsere Köpfe zueinander. 

„Glaubst du auch, dass das kein gewöhnliches Geräusch war?“, hauchte Jennifer.

„Ja, aber wir haben keine Zeit, uns darum zu kümmern“, flüsterte ich zurück. „Also du da lang und ich hier.“

Wir nickten uns zu, zückten zu unseren Handys noch unsere Zauberstäbe und rückten aus. Innerhalb kürzester Zeit war Jennifer nicht mehr zu sehen, selbst ihr Lumos konnte ich in der Dunkelheit nicht mehr erkennen. Ob sie es ausgemacht hatte?

Ich schlich der Spur nach, die zunächst am Zaun entlang führte und dann rechts abbog, und inspizierte sie dann. Entweder war hier vor kurzem noch ein Loch im Zaun gewesen, das in der Zwischenzeit jemand verschlossen hatte, oder das Einhorn war einfach so durch den Zaun hindurch marschiert. Nichts deutete darauf hin, dass es Anlauf genommen und dann hinüber gesprungen war. Die Spur führte einfach geradewegs durch den Zaun.

„Scheiße“, fluchte ich leise. „Wenn alle magischen Tierwesen durch Zäune und Wände gehen können, krieg ich ein Problem.“

Ich steckte mein Handy weg, nahm den Zauberstab zwischen die Zähne und kletterte über den Maschendrahtzaun. Er war so stabil, dass ihn mein Gewicht nicht nach unten bog, trotzdem wackelte ich auf dem Scheitelpunkt hin und her. Auf der anderen Seite kam ich zum stehen und orientierte mich. 

Die Spur führte hier weiter stadteinwärts. Wenn das Einhorn die Richtung beibehielt, würde auch ich unweigerlich auf die ersten Gebäude stoßen. Vorausgesetzt, ich verlor die Spur nicht. 

Ich schlich weiter, schreckte dabei aber eine Rotte Wildschweine auf, die im Gehege links von mir waren. Ich hatte sie nicht mal bemerkt, plötzlich grunzten sie los. Entsprechend erschrocken hopste ich weiter. Die Rotte lärmte noch lauter und ich beeilte mich, wegzukommen.

Die Flecken von dem silbernen Blut waren noch ziemlich gut sichtbar, hatten aber trotzdem an Intensität abgenommen, seit wir sie zum ersten Mal entdeckt hatten. Ich schloss daraus, dass sich der Blutfluss der Wunde etwas gemindert hatte. An sich ein gutes Zeichen. Andererseits hatte sich die Verfassung des Tieres vermutlich auch etwas gebessert, das heißt, es würde etwas aufgeweckter unterwegs sein.

Ich schlich weiter und kam wieder an einem Gehege vorbei, doch von Tieren war dieses Mal weit und breit nichts zu sehen. Schließlich kam ich an den ersten Stallungen an, wo die Spur wieder nach rechts führte. Ich vermutete, dass ich alsbald wieder auf Jennifer treffen würde, doch sie blieb zunächst verschwunden. 

Dafür konnte ich ein Hufscharren ausmachen. Ich spitzte die Ohren, hob meinen Zauberstab und lauschte wieder. Das Scharren wiederholte sich nicht, dafür hörte ich ein Schnauben. Ich hielt meinen Zauberstab mit dem Lumos gesenkt, sodass es für ein etwaiges Tier nicht blendend war. Außerdem konnte ich so den Weg vor mir besser erkennen. 

Ich befand mich auf einem ziemlich platt getrampelten Pfad. Hufspuren waren nicht mehr zu erkennen. Die einzige Spur, die mir blieb, war das silberne Blut. Nur sehr spärlich glänzte es inzwischen im Schein meines Lumos. Die Spur führte mich zu einem Betriebsgebäude, wo sie um die Ecke ging. Anstatt ihr zu folgen, verhielt ich mich ruhig. Ich hatte das Gefühl, dass ich dem Einhorn mittlerweile ganz nahegekommen war. Woher das Gefühl kam, wusste ich nicht. 

Vorsichtig lugte ich um die Ecke und erspähte das Einhorn. Es hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit jenem, welches man verletzt im ersten Harry Potter Film am Boden hatte liegen sehen. Dieses war grazil, hatte eine silbern glänzende Mähne, komplett glatt und platt statt wellig. Unruhig warf es den Kopf hin und her. Das Einhorn hatte meine Anwesenheit ebenfalls bemerkt. 

Oder vielleicht die von Jennifer. Die Hexe kam aus der anderen Richtung langsam auf uns zu. Sie nickte mir zu, woraufhin das Einhorn zu ihr herum schreckte. Im fahlen Licht unserer Lumos‘ konnte ich sehen, dass dem Wesen etwas aus dem Maul hing und tippte, dass es sich dabei um Heu handelte.

Das Horn des Einhorns strahlte mit unserem magischen Licht um die Wette. Es saß mitten auf der Stirn und war leicht eingedreht. Eine tödliche Waffe, wenn man genau darüber nachdachte. Dass sich noch keine Trophäenjäger und Schaulustige um das Tier zusammengerottet hatten, grenzte an ein Wunder und ich fragte mich, was es ausgerechnet nach Berlin verschlagen hatte.

Jennifer hatte sich kein Stück weit bewegt, seit sich das Einhorn zu ihr umgedreht hatte. Ich nickte ihr zu, um ihr zu bedeuten, dass sie einen Annäherungsversuch wagen sollte. Wenn ich von schräg hinten kam, würde es sich nur wieder erschrecken und womöglich durchgehen. Ob mich das Tier ebenfalls bemerkt hatte, wusste ich nicht.

Meine Partnerin hielt den Zauberstab gesenkt und machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts, ließ das Einhorn dabei nicht aus den Augen. Es schnaubte, warf den Kopf hin und her und schüttelte dabei seine silberne Mähne. Jennifer schaffte es bis auf einen Meter an das Wesen heran, ehe es auf seine Hinterläufe stieg und sich aus unserer unmittelbaren Umgebung katapultierte. Es trabte einige Meter zurück Richtung Waldgebiet, blieb dann stehen und tat so, als würde es äsen.

„Wäre ja auch zu schön gewesen“, meinte Jennifer. „Versuch du es mal.“

Ich nickte nur und verhielt mich dann ebenfalls ruhig, so, wie sie es vorgemacht hatte. Das Einhorn hob den Kopf wieder, als ich mich etwas genähert hatte. Misstrauisch kaute es auf ein paar Halmen herum, während ich dafür betete, dass es nicht wieder ausbüchsen würde. Kurz überlegte ich, ob ich es wie bei einem Hippogreif versuchen und mich einmal vor dem Tier verbeugen sollte, entschied mich aber dagegen. Einhörner waren bestimmt nicht so eingebildet, als dass sie so ein Verhalten nötig gehabt hätten.

Ich merkte, wie ich lächelte. Das Warum konnte ich mir nicht erklären. Hoffte ich, dass das Einhorn so begreifen würde, dass ich keine Gefahr war? Oder wollte ich nur meine innere Anspannung weglächeln? Immerhin konnte mich das Tier auch aufspießen, wenn es die Lust danach verspürte. Ich bezweifelte, dass ein Protego mir in der Situation helfen würde.

Wieder schüttelte das Einhorn den Kopf, äste dann aber wieder. Schwang einmal seinen Schwanz, um imaginäre Fliegen zu vertreiben. Oder Anspannung.

„Schön brav, mein Kleines“, versuchte ich, es zu beruhigen.

Das Einhorn hob den Kopf wieder in meine Richtung und sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Knabberte genüsslich auf einigen Halmen herum, schnaubte.

Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Nur noch einen Meter musste ich an das Einhorn herankommen, um es an der Seite berühren zu können. Dann nur noch einen halben Meter, es äste immer noch.

Hinter mir raschelte etwas. Ich zuckte zusammen und drehte mich um, konnte aber nichts erkennen. Das Einhorn hatte den Kopf wieder hochgerissen, war aber nicht weggesprungen. Mit gespitzten Ohren sah es in jene Richtung, aus der der Lärm gekommen war. Ich hielt dem Wesen meine Hand entgegen, nur verzögert schnupperte es daran, sah dann wieder dorthin, wo Jennifer zuletzt gestanden hatte. Vorsichtig strich ich im über die Nüstern und drehte mich dann ebenfalls wieder um.

Ich fühlte an meiner Hand, wie das Einhorn mit seinen Nüstern dagegen stieß. Mir dann über die Hand leckte.

„Hey“, meinte ich.

Es lärmte wieder.

„Verflucht noch eins ...!“

Schließlich kam ein heller Punkt zum Vorschein, der sich als ein Lumos entpuppte.

„Ich hab ein Seil, das können wir als Trense binden“, rief Jennifer mir zu.

Der Stein, der mir vom Herzen fiel, war bestimmt noch im Ministerium zu hören, so erleichtert war ich, dass nur Jennifer herumgelärmt hat. Sie kam vorsichtig in unsere Richtung. Ich wandte mich wieder um. Das Einhorn sah meine Partnerin noch einen kurzen Moment an und fing dann wieder zu äsen an.

„Verfressen ist es auch“, meinte ich zu der Hexe, als sie schräg hinter mir stand. „Weißt du, wie man eine Trense aus einem Seil bindet?“

„Nein, aber so schwer kann das schließlich nicht sein.“

Sie brauchte eine gefühlte Ewigkeit für das Unterfangen, aber schließlich schaffte sie es, eine ansehnliche Variante zu knoten. Das Einhorn wollte sie nur nicht so recht anziehen. Was mich aber nicht wunderte, wer ließ sich schon gerne ein Seil um den Kopf wickeln. Das wäre, als würde man mich knebeln. Trotzdem schaffte Jennifer es schließlich, dem Einhorn unter viel gutem Zureden die improvisierte Trense anzulegen.

„Gut, das hätten wir. Kannst du es mal festhalten?“

„Äh, ja“, meinte ich und griff nach den Zügeln. „Was hast du vor?“

„Mir die Wunde anschauen. Siehst du? Am hinteren Oberschenkel rechts ist es verletzt.“

„Iihhh, das sieht ja gar nicht gut aus.“

Ich nahm die Trense und tätschelte dem Einhorn beruhigend den Hals. Trotzdem zuckte es herum, als sich Jennifer der Wunde näherte und sie untersuchte. Ich hatte erwartet, dass das Einhorn vielleicht irgendwo dagegen gelaufen und sich dadurch einen tiefen Kratzer eingefangen hatte. Stattdessen war die Wunde rund, an den Rändern hatte sich schon etwas silberner Schorf gebildet. Schließlich fing Jennifer an, in ihren Sachen zu kramen.

„Kannst du was dagegen machen?“, fragte ich.

„Eine erste Wundversorgung, ja. Trotzdem müssen wir es uns noch mal genauer anschauen, sobald wir zurück im Ministerium sind.“

Ich sah dem Einhorn in seine Augen.

„Äh, wie wollen wir das eigentlich machen? Also das Einhorn zurück ins Ministerium bringen?“

Jennifer hatte sich auf den Boden gekauert, einen Mörser sowie verschiedene Kräuter, Beeren und andere Zutaten hervorgeholt und zu arbeiten begonnen. Was genau sie da anrühren wollte, war mir ein Rätsel. Bei meiner Frage hielt sie in ihrem Tun inne und sah überrascht zu mir hoch.

„Ich dachte, du wüsstest das ...“

„Äh ... Ich kenne nur den Zugang über die Siegessäule.“

Der Stößel glitt aus ihren Fingern und klirrte im Mörser. Sie stand auf, ohne ihr Missgeschick weiter zu beachten.

„Dann haben wir ein Problem.“

Ich schluckte.

„Ich kenne leider auch keinen anderen“, meinte sie lapidar. „Bin ja nur für meine Dissertation hier ...“

Ich ließ die Schultern hängen.

„Gut, aber davon sollten wir uns nicht abhalten lassen, oder? Erst ein Problem nach dem anderen lösen.“

„Stimmt, du hast Recht!“

Sie wandte sich wieder ihrer Mixtur zu, zerrieb sie noch etwas weiter und näherte sich damit der Wunde des Einhorns. Instinktiv wurde es unruhig.

„Sshhht“, versuchte ich, es zu beruhigen.

Trotzdem wich das Einhorn von Jennifer weg, als sie einen ersten Teil der Heilpaste auf der Wunde verteilte. Zum Glück trat es nicht aus. Ganz vorsichtig strich die Hexe das Zeug zuerst am Rand, dann auf die Stelle, an der sich noch kein Schorf gebildet hatte. Wieder zuckte das Einhorn weg, ließ die sanfte Handbewegung Jennifers schließlich zu und schnaubte zur Antwort. Als sie fertig war, kramte die Hexe noch einmal in ihrem Beutel.

„Sind das Feigenblätter?“, fragte ich sie.

„Ja. Frisch aus Felds Gewächshaus. Hätte nicht gedacht, sie für sowas zu brauchen.“

Jennifer presste zwei Feigenblätter sanft auf die Wunde mit der Paste und drückte einige Minuten dagegen. Als sie die Hand wieder wegnahm, blieben die Blätter von selbst haften.

„Eigentlich würde ich ja noch einen Verband drum machen, aber an der Stelle ist das blöd.“

„Gut, dann muss es halt so gehen. ... Das hast du gut gemacht!“

Wieder tätschelte ich dem Einhorn beruhigend den Hals. Es schnaubte und stupste mich dann mit den Nüstern an der Stirn.

„Danke.“

„Äh ...“

Jennifer packte ihre Sachen weg, stand auf und trat zu mir.

„Hast du dir überlegt, wie wir es zurück ins Ministerium bekommen?“

„Wir nicht, aber ich kenn wen, der uns da bestimmt helfen kann.“

„Wen denn?“

„Müller.“

„Müller?“

„Ja, er kennt bestimmt einen Weg. Und er weiß, dass wir uns nicht gut im Ministerium auskennen.“

Jennifer sah nicht überzeugt aus.

„Was denn? Hast du einen besseren Vorschlag?“

„Nein, aber ich hab ihn bisher nur als Schreibtischhengst kennen gelernt.“

„Dann muss er halt jetzt mal einen Ortstermin machen. Wir können schließlich nichts dafür, wenn wir keine richtige Einweisung bezüglich des Ministeriums erhalten.“

Dass ich den bisherigen Tag zu reinem Eigennutz in Berlin verbracht hatte, anstatt etwas über das Ministerium zu lernen, verschwieg ich.

„Und nun?“

„Nun apparierst du zum Ministerium und holst Müller.“

„Ich?“

„Ja ich kann’s ja nicht. Also apparieren meine ich.“

Jennifer seufzte.

„Kommst du hier alleine klar?“, fragte sie.

„Natürlich. Außer mir und den Tieren ist hier ja niemand.“

Sie schien nicht überzeugt, brachte aber andererseits auch keinen besseren Vorschlag vor.

„Gut. Ich schau, dass wir so schnell wie möglich her kommen ...“

Und weg war sie. Ich stieß ein Seufzen aus. Wie froh ich doch war, erst mal nicht wieder apparieren zu müssen. Ich bezweifelte, dass mein zweites Mal besser als mein erstes Mal laufen würde, und war froh, es noch etwas hinauszögern zu können.

Ich hatte meinen Zauberstab in mein Halfter gesteckt, hielt das Einhorn an der Trense fest und beruhigte mehr mich selbst, statt das Tierwesen. Es schien zu spüren, dass ihm gerade keine Gefahr drohte, und versuchte, mich wieder zurück zu dem Stall zu ziehen. Ich ging neben dem Einhorn her.

„Ah, das hatte dich also angelockt?“, meinte ich.

Das Einhorn steckte seinen Kopf in einen Haufen Heu hinab, der unter dem Vordach lagerte und als Streu und Futter für die Tiere des Freigeheges gedacht war. 

„Du kleiner Fresssack bist genauso verfressen wie Rufus. Hm, ich nenn dich wohl Aerith, der Name passt am besten zu einem reinen Wesen wie dir.“

Das Einhorn fraß einfach weiter. Es duldete meine Anwesenheit und hatte sich auch nicht geregt, als Jennifer disappariert war. Ich hoffte, dass Müller noch wach war und sie nicht lange mit ihm herumdiskutieren musste. Ich verspürte wenig Lust, hier in dieser abgelegenen Gegend länger, als nötig ausharren zu müssen. Einen einfachen Weg zurück zum Ministerium gab es für mich nicht. Mir blieb lediglich, ein Taxi zu nehmen, aber dann müsste ich das Einhorn, Aerith, hier lassen. 

Und war es nicht Sinn und Zweck gewesen, das Einhorn zu finden und zum Ministerium zurückzubringen? Vermutlich hatte das Ministerium sogar einen weniger prominenten Eingang, durch den man auch ein größeres Wesen hindurch bringen konnte. 

Überhaupt, was stellte Müller sich vor, wo wir es unterbringen sollten? In meinem Zimmer ja wohl nicht, das war viel zu klein und außerdem schon von Rufus besetzt. Wer weiß, wie der kleine Niffler auf das Horn des Einhorns reagieren mochte? Hernach verwechselte er es mit dem Glitzertand, den er hortete und versuchte, sich das Horn einzuverleiben.

„Also sich aufzuspiesen, hm?“, meinte ich zu Aerith.

Das Einhorn, sie, schnaubte und fraß weiter Heu.

„Auf den Schock mit der Wunde brauchst du erst mal was zu Fressen, was? Wo hast du dir die überhaupt eingefangen?“

Natürlich antwortete Aerith nicht. In der Hinsicht war sie ganz wie mein Niffler. Ich strich ihr über ihr seidig glänzendes Fell. Als sich meine Hand der Wunde näherte, wich das Einhorn von mir weg.

„Entschuldige ...“

Ich konzentrierte mich wieder mehr auf den Kopf des Tiers. Es wusste instinktiv, wie lang sein Horn war und wann es nicht mehr genug Platz hatte, um den Kopf zu schütteln. Jedoch bezog das mich nicht ein und ich musste Aerith einmal abwehren, als sie sich kauend zu mir umwandte. Beinahe hätte sie mir ihr Horn gegen die Schulter gerammt.

„Na na na!“, mahnte ich streng.

Aerith fraß weiter Heu. Ich war so darauf konzentriert, dass ich gar nicht mitbekam, wie sich jemand anschlich. Erst, als das Einhorn den Kopf hochriss und erschrocken wieherte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Doch da war es bereits zu spät. Ich spürte nur noch einen dumpfen Schlag. Das Bewusstsein verlor ich, noch ehe ich zu Boden gefallen war.

Als ich wieder wach wurde, fehlte mir zunächst jede Orientierung. Ich nahm nur wahr, dass ich auf dem Rücken lag, in einem Bett. Ein Schatten schob sich in mein Gesichtsfeld und meine Pupillen brauchten etwas, ehe sie sich fokussierten. Jennifer hatte viele Sorgenfalten im Gesicht, aber ihr Blick wurde etwas entspannter.

„Na endlich! Ich hab mir solche Sorgen gemacht.“

„Äh ...“

Zu mehr fehlte mir die Kraft.

„Die haben nur auf einen günstigen Moment gewartet. Als ich weg war, witterten sie ihre Chance.“

Ich sah sie mit einem Fragezeichen im Kopf an. Was war noch mal passiert? Und wer waren die? Doch zu sehr brummte mir der Schädel. Eigentlich wollte ich nur die Augen zu machen, damit mich das Licht von der Deckenlampe nicht mehr so blenden konnte.

‚Was für ein beschissener Traum ...‘, dachte ich.

„Tut es noch arg weh?“, fragte Jennifer.

„Äh ...“

Eigentlich tat mir gar nichts weh. Bis auf der Brummschädel. Das sagte ich ihr so.

„Nun, das sind vermutlich noch die Nachwehen von dem Zauber, mit dem wir die Kopfwunde geheilt haben.“

„Kopfwunde ...?“

„Ja. Die haben dir mit einem Ast auf den Hinterkopf geschlagen. Du hattest eine ziemlich fiese Platzwunde davon getragen. Du kannst dich echt glücklich schätzen. Normale MaKas hätte man an der Stelle rasiert und sie würden wohl eine Narbe behalten.“

Ich sah sie mit großen Augen an und fing dann an, an meinem Kopf herumzutasten.

„Warum hab ich keinen Verband?“

„Weil wir die Wunde mit einem Zauber verschlossen haben.“

Jennifer ließ sich nichts anmerken. Ich ächzte. Sie wandte den Kopf ab, griff dann nach etwas, das mir auf die Beine gesprungen war.

„Dein Niffler scheint auch besorgt zu sein.“

Sie hielt Rufus in mein Gesichtsfeld und der Kleine zappelte herum.

„Autsch!“

Jetzt krabbelte er auf der Matratze neben mir und betastete mich mit seinen Patschepfoten. Wandte sich dann wieder ab und kletterte vom Bett, als wäre nichts gewesen. Warum hatte ich auch was anderes erwartet?

„Hat er dich gekratzt?“

„Ja, ist aber nicht schlimm. ... Wie fühlst du dich?“

„Als hätte mich ein LKW überfahren ...“

Jennifer zog eine Augenbraue hoch.

„Was ist denn genau passiert?“

„Na ja, wir waren wohl nicht die Einzigen, die hinter dem Einhorn her waren. Zum Glück kamen wir gerade noch rechtzeitig, sie hatten das Einhorn noch nicht verladen.“

„Verladen? Warum denn verladen?“

„Na ja, Einhörner sind auch für NoMajs sichtbar. Die haben wohl das große Geld gewittert, wenn du mich fragst.“

„Äh ...“

„Keine Sorge, wir haben uns angemessen um die gekümmert.“

„Und das Einhorn?“, fragte ich leise.

„Ist sicher verstaut im Trainingsgelände. Sie haben kurzfristig einen Stall hochgezogen. Dr. Müller meinte, es würde auch noch eine Weide dazukommen.“

„Äh ...“

Jennifer lächelte verschmitzt.

„Mach das nie wieder, hörst du?“

Ich sah sie überfordert an.

„Dir von hinten auf den Kopf schlagen lassen. Was meinst du, was ich für einen Schreck hatte, als ich dich da liegen sah!“

„Du hast mich gesehen?“

„Ja.“

„Wer war denn noch da?“

„Dr. Müller natürlich. Er ist wirklich etwas eingerostet, wenn ich das so sagen darf. Und einer von der magischen Polizei, wenn ich mich nicht täusche.“

„Äh, Jost vielleicht?“

„Nee, so hieß der nicht.“

Ich brummte. Dann fiel mir etwas ein.

„Du sag mal ...“

„Hm?“

„Du spielst doch Tennis?“

„Ja. Warum?“

„Meinst du, wir könnten uns mal so eine Tennisball-Maschine ausleihen?“

Jennifer sah mich schief an.

„Ich kann dich gerne mal zu einem Training mitnehmen, wenn du es lernen möchtest.“

Ich schüttelte schnell den Kopf und fluchte dann.

„Ich will nicht Tennis lernen, sondern Protego üben.“

„Mit einer Tennisball-Maschine?“

„Ja. Zum Selbsttraining.“

Jennifer zog die Augenbrauen hoch.

„Wieso sagst du nichts, wenn du jemanden zum Üben brauchst?“

„Äh, na ja. Ich wollte dich nicht von deiner Dissertation abhalten.“

Dass Dr. Müller mich extra darauf hingewiesen hatte, dass sie keine reguläre Ministeriumshexe war und ich sie lieber nicht von ihrer Arbeit abhalten solle, verschwieg ich lieber.

„Wir können gerne mal zusammen trainieren gehen, wenn du magst.“

Mein Gesicht hellte sich auf.

„Aber erst, wenn du wieder fit bist.“

Ich nickte.

„Wie spät ist es?

„Es dürfte kurz vor 12 Uhr sein. Kann ich dich alleine lassen?“

„Ja. Du bist bestimmt auch müde, oder?“

Sie nickte nur. Jennifer stand auf und schob den Stuhl zurück an den Tisch.

„Lass dir morgen früh Zeit beim Aufstehen. Vielleicht kommt auch jemand vorbei, um nach dir zu sehen. Ich kann leider nicht, hab selber einen Termin.“

„Nur keine Umstände wegen mir.“

Sie lächelte kurz und ging dann zur Tür.

„Soll ich das Licht ausmachen?“

„Ja, bitte.“

„Also dann, gute Nacht.“

„Gute Nacht“, wünschte ich ihr.

Jennifer drückte auf den Lichtschalter und verließ mein Zimmer. Ich sank auf das Kissen zurück, schloss erschöpft die Augen und versuchte zu schlafen. Wenige Augenblicke später dümpelte ich durch wirre Träume.



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