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Die mit den Tierwesen tanzt

von

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Früh übt sich, ...

Die Notiz beinhaltete nicht, dass ich mich wieder bei Dr. Müller melden sollte und so ging ich davon aus, dass ich die Zeit erst einmal zur freien Verfügung hatte. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Rufus hatte sich auf meinem Schoß zusammengerollt und ich wollte ihn ungern wecken. Andererseits war der Tag auch noch nicht vorbei und ich hatte am Vormittag schon zu viel Zeit mit Müßiggang vertrödelt.

„Und du willst schließlich auch gehegt und gepflegt werden, na?“, meinte ich zu meinem Niffler.

Er hustete einmal zur Antwort. Zähneknirschend hob ich ihn hoch und bettete ihn dann auf meine Bettdecke. Irritiert sah er mich an, blieb aber artig liegen. Ich holte mein Handy und einige Münzen aus meiner Börse. Das Geld verbarg ich vor Rufus, so gut es ging. Mein Handy schob ich in meine Gesäßtasche und griff den Niffler an den Beinen. Umgehend begann er wieder, schwer zu atmen, hing dann an den Hinterläufen.

Dieses Mal dauerte es keine Minute, bis ich alles aus ihm geschüttelt hatte. Die Taschenuhr und das Diamantarmband nahm ich an mich. Den Rest, den er auf seiner Tour durch das Ministerium eingesammelt hatte, ließ ich ihm. Neben dem merkwürdigen Edelstein waren das einige Euromünzen, eine antik aussehende Sammlermünze, deren Material ich auf Silber schätzte, ein vergoldeter Füllfederhalter und ein einzelner Ohrring.

Schnell hatte Rufus sich wieder alles einverleibt und sah mich dann eingeschnappt an. Ich zog die Euromünzen aus meiner Hosentasche hervor und hielt sie ihm hin. Misstrauisch schnüffelte er an meiner Hand und sah dann zu mir hoch.

„Magst du die nicht haben?“

Ich hielt sie ihm noch näher hin. Vorsihtig nahm er die erste Euromünze an sich und schob sie in seinen Bauch. Ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen.

‚Du Liebes bisschen, da muss ich ja höllisch aufpassen‘, dachte ich.

Ich wartete, bis er die restlichen Münzen auch genommen hatte, und streichelte ihm dann wieder über den Rücken. Rufus gab ein Geräusch von sich, das ich als Grummeln einordnete. Dann kam mir eine Idee.

Ich ließ ihn auf meinem Bett sitzen und ging in das Bad hinüber. In meinen Zahnputzbecher ließ ich Wasser laufen, bis der Becher fast voll war. Damit ging ich zu Rufus zurück und hielt es ihm an der Bettkante hin. Neugierig grabbelte er näher, tauchte seinen Schnabel hinein und ließ dann wieder davon ab.

„Hm, hast wohl grad keinen Durst?“, fragte ich ihn.

Rufus sah zu mir hoch. Natürlich gab er mir keine Antwort.

„Okay, wird Zeit, dass wir die Sachen zurück bringen.“

Ich nahm Rufus wieder auf meinen Arm, verließ mit ihm mein Zimmer und wir machten uns auf den Weg zu Dr. Müller. Die Dame, die den Aufzug bediente, betrachtete mich wieder neugierig.

„Ist der neueste Ministeriumsmitarbeiter“, meinte ich zu ihr und deutete auf Rufus.

„Haha!“, lachte sie vergnügt.

Der kleine Rabauke und ich schlüpften aus der Kabine und schon standen wir wieder auf dem Gang des fünften Untergeschosses. Jennifer kam uns entgegen.

„Hallo“, begrüßte ich sie.

Sie blieb stehen.

„Hi. Was hast du denn da?“

„Meinen ersten Erfolg beim Ministerium. Der Kleine hat mich die letzten Tage ziemlich auf Trab gehalten.“

„Ah. Und was ist er?“

Irritiert sah ich auf Rufus hinab.

„Ein Niffler. Kennst du die nicht?“

Sie druckste etwas herum. 

„Doch, aber nur vom Hörensagen. Hab nie einen Lebendigen gesehen.“

„Äh ...“

Ich wollte nicht danach fragen, ob sie in ihrer Ausbildung zur Hexe noch nie einen Niffler gesehen hatte. Sollte Ilvermorny tatsächlich so zurückgeblieben sein und die Schülerinnen und Schüler nicht anhand von lebenden Tierwesen ausbilden? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

„Darf ich ihn mal halten?“

„Äh ... na ja, mich hat er heute schon gekratzt und gebissen ...“

„Oh, dann lieber nicht!“

Verschmitzt sah ich sie an.

„Hast du schon Feierabend?“

„Nein. Muss noch ins Botanische Museum für eine Probe“, erzählte sie. „Wenn Feld sie rausrückt.“

„Oh, richte ... obwohl ... hmpf.“

„Hm?“

„Nichts, lass stecken.“

Ich wollte sie eigentlich darum bitten, Dr. Feld einen schönen Gruß von mir auszurichten. Aber dann war mir wieder eingefallen, wie er mich mit Petrificus Totalus gelähmt und eine viertel Stunde liegen gelassen hatte. Und der Niffler war ihm auch durch die Lappen gegangen. 

„Was machst du nach Feierabend?“, fragte ich sie.

„Hab heute Tennis-Training“

„Oh, du interessierst dich für Tennis?“

„Ja. Ich hab damit angefangen, bevor ... also vor ...“

Ich grinste sie verlegen an.

„Bevor du erfahren hast, dass du magisch begabt bist?“, schlug ich vor.

Jennifer nickte.

„Es ist ein Überbleibsel aus meiner NoMaj-Zeit ...“

Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Hier heißen sie MaKas“, erklärte Jennifer.

„Oh, ach so. Nicht magisch Begabte sozusagen.“

Sie konnte schlecht ahnen, dass ich den Begriff NoMaj kannte.

„Wo nennt man MaKas denn NoMaj?“, fragte ich höflich.

„In den USA. In England heißen sie glaub ich Muggel ...“

Ich zog künstlich die Augenbrauen hoch.

„Ah! Seltsame Wortwahl.“

„Na ja, jedes Land hat da so seine eigenen Begriffe entwickelt. Brauchst du noch was?“

„Äh, nee. Entschuldige, dass ich dich aufgehalten hab. Viel Spaß beim Tennis.“

Jennifer lächelte mich kurz an, verabschiedete sich und ging. Ich sah ihr neugierig hinterher.

„Ob Serena Williams ihr Vorbild ist?“, überlegte ich. „Obwohl Jennifer ja eigentlich älter ist als Serena ...“

Gerne hätte ich mich etwas mehr mit mir ausgetauscht, aber ich wollte sie auch nicht von ihrer Arbeit abhalten. Freundschaften schließen war mir nie besonders einfach gefallen. Zwar hatte ich in meinem bisherigen Leben schon viele Leute kennen gelernt. Aber der Kontakt war nach einiger Zeit wieder abgeflaut und schließlich ganz erloschen. Ich seufzte.

„Na komm, lass uns gehen“, meinte ich dann zu Rufus.

Ich bemerkte nicht, wie der Niffler vorwurfsvoll zu mir hochsah. Schließlich fing er zu Zappeln an. Ich hatte Mühe, ihn festzuhalten.

„Benimm dich! Ich lass dich nicht noch einmal entkomm“, mahnte ich ihn.

Als wir in der Abteilung für magische Landwirtschaft ankamen, waren die Räumlichkeiten hell erleuchtet.

„Kann doch nicht sein, dass hier auf einmal der Bär steppt?“

Tatsächlich waren nur zwei der Tische besetzt. Rüdiger saß wieder an dem Platz an der Wand, wie schon am Vortag. Wieder schien ihm meine Anwesenheit am Allerwertesten vorbei zu gehen.

‚Dann halt nicht.‘

An einem Tisch in der Mitte des Büros saß Frau von Bülow. Vor ihr auf dem Tisch waren zwei Stapel Papier, säuberlich voneinander getrennt. Ich sah ihr eine Weile dabei zu, wie sie von dem höheren Stapel einige Papiere nahm, diese systematisch durchging, auf der jeweils letzten Seite etwas drauf kritzelte, und dann auf den noch wesentlich kleineren Stapel ablegte, bevor sie sich den nächsten Packen vornahm. Vermutlich würde sie mich genervt zusammenfahren und mir mitteilen, dass ich sie bei der Arbeit störte, also ließ ich sie weitermachen.

Ich stolperte in Dr. Müllers Büro, der an seinem Tisch saß und ein Buch las. Von seinem Jobberknoll war weit und breit nichts zu sehen. Der Alte hob den Kopf.

„Sitz!“, meinte ich zu Rufus, als ich ihn auf Müllers Schreibtisch absetzte.

Wenigstens blieb er auf dem Platz, trotzdem sah er sich auf dem Tisch um und hielt prüfend seine Nase nach oben, als würde er etwas wittern. Ich zog das Diamantarmband und die goldene Taschenuhr aus meiner Hosentasche und reichte es Dr. Müller über den Tisch hinweg. Rufus nahm sofort die Verfolgung der Gegenstände auf und landete schließlich mit seinem Schnabel an Müllers Bauch. Der Alte lachte amüsiert.

„Wusste ich doch, dass Sie ihn wieder kriegen.“

„Einfach war’s nicht. Ich hab’s nur mit abteilungsübergreifender Hilfe geschafft.“

„So, nun, ja ... Das freut mich zu hören.“

Ich nahm nun ebenfalls Platz. Rufus versuchte derweil, an die Wertgegenstände zu kommen, die ich Müller gegeben hatte. Und als der kleine Niffler begriff, dass da etwas an einem wertvollen Kettchen in der Westentasche von Müller hing, war es ganz aus. Verzweifelt versuchte er, am Bauch des Alten hoch zu krabbeln.

„Haben Sie noch was, was ich heute machen soll?“, fragte ich ihn.

„Nein, tut mir leid“, meinte Müller. „Am besten setzen Sie sich wieder an Ihre Ausbildung. Oder untersuchen den kleinen Kerl.“

Müller schob Rufus etwas von sich und der Kleine ließ von ihm ab. Langsam krabbelte er auf dem Schreibtisch herum und über das Buch hinweg, das Müller bis eben gelesen hatte.

„Auch deswegen bin ich noch mal hergekommen. Wir haben ihn vorhin in der Asservatenkammer zu fassen bekommen. Ich fürchte, wenn ich ihm nicht diversen Glitzertand anbiete, den er behalten darf, wird er früher oder später wieder stiften gehen.“

Müller zog eine Augenbraue hoch.

„Äh, ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“

Rufus krabbelte zu mir und ich hielt ihm meine geöffnete Hand hin, aber als er merkte, dass ich nichts für ihn hatte, wandte er sich wieder ab.

„Also, ich hab Siggi von der Asservatenkammer gefragt, und der hat gemeint, dass er mir durchaus Sachen geben kann, die nicht mehr gebraucht würden und nur wegen der rechtlichen Absicherung noch verwahrt werden.“

Natürlich hatte Siggi mir das nicht so ausführlich erklärt, aber so war meiner Meinung nach die allgemeine Behandlung von Beweisgegenständen, deren Verfahren bis zur obersten Instanz abgeschlossen waren und bei denen dadurch Rechtssicherheit herrschte.

„Er meinte, Sie müssten bei seinem Chef eine Genehmigung beantragen, damit ich Schmuck und so Kram als Leihgabe aus der Asservatenkammer haben könnte“, schloss ich.

Dr. Müller beugte sich an seinem Platz vor und machte sich eine Notiz.

„Das muss ich erst beantragen. Leider kann ich Ihnen nicht sagen, bis wann ich die Genehmigung haben werde. Sonst noch was?“

„Äh, ja. Wie sieht es denn mit der restlichen Beute von dem Kleinen aus?“

Ich deutete auf Rufus.

„Da haben wir schon wen anders losgeschickt, um das Diebesgut zu bergen.“

„Äh ... wen anders? Wen denn, wenn ich fragen darf?“

„Jemanden von unserer Polizei natürlich. Schließlich handelt es sich um Diebesgut.“

„Äh, wissen Sie denn, wo er sein Lager hat?“

„Noch nicht genau, aber in Anbetracht der Orte, wo Ihr Niffler seinen Diebeszug von vorgestern beendet und den von gestern begonnen hatte, sind die ziemlich sicher, dass sie den Bau auf wenige Quadratmeter eingrenzen konnten.“

„Äh ...“

„Ich weiß, was Sie sagen wollen!“

„Tatsächlich?“

„Ja. Warum nicht Sie dabei sind. Dafür sind Sie in meiner Abteilung zu wichtig, als dass ich Sie in irgendwelchen Hinterhöfen buddeln lassen kann.“

‚Er meint wohl zu unerfahren‘, dachte ich.

Meine Mine verfinsterte leicht, aber ich schluckte meinen Frust hinunter, so gut es ging. Schließlich hatte er ja Recht. Die magische Polizei war bei weitem besser geeignet und vor allem auch ausgebildet darin, entsprechende Aufträge zu erfüllen. Bei mir würden vermutlich nur wieder jede Menge MaKas obliviert werden müssen.

„Vielleicht sollten Sie auch schon beginnen, sich einige Notizen zu dem kleinen Kerl zu machen. Das wäre dann Ihr erster wissenschaftlicher Beitrag zum Wohle der deutschen Zauberergemeinschaft.“

Ich nickte.

„Und Sie müssen natürlich einen Bericht schreiben.“

„Äh, einen Bericht?“

„Natürlich! Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie das so überrascht ...“

„Äh ...“

„Waltraud!?“, rief Dr. Müller aus seinem Büro hinaus.

Wir konnten ein nicht sehr damenhaftes Fluchen hören, danach ein Stühlerücken. Schließlich erschien Frau von Bülow im Türrahmen.

„Gernot, du weißt, ich bin beschäftigt ... Hallo Schuster!“

Irritiert drehte ich mich zu ihr um und begrüßte sie höflich nickend.

‚Er nennt sie Waltraud, sie ihn Gernot ... Ob da was läuft?‘, überlegte ich.

„Was schauen Sie denn so?“

Ich zuckte zusammen und schüttelte schnell den Kopf.

„Besser, Sie passen gleich auf, ich erkläre es nicht zweimal“, meinte Frau von Bülow streng.

„Ich habe Waltraud gerade gebeten, Ihnen das mit dem Bericht zu zeigen. Das wäre das Einzige, was Sie heute noch für mich machen müssten. Ansonsten haben Sie ja wie gesagt Ihren Niffler zum Studieren. Und wegen der Genehmigung werde ich mich kümmern.“

„Vielen Dank. Und was ist morgen?“

„Morgen? Schuster, ich werde mich bei Ihnen melden, wenn wir wieder was Neues haben. Solange sollten Sie die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit nutzen. Natürlich dürfen Sie auch die Stadt erkunden, aber ich muss darauf bestehen, dass Sie dabei entsprechend vorsichtig sind. Zaubern in aller Öffentlichkeit ist natürlich verboten.“

„Ich verstehe“, antwortete ich. „Ich werde wohl eh noch einige Sachen für den Niffler besorgen müssen.“

„Gut, das wär’s dann soweit. Guten Tag“.

„Wiedersehen.“

Frau von Bülow seufzte laut hörbar hinter mir. Ich beeilte mich und stand auf.

„Rufus, komm!“

Der Niffler war an den Tischrand gekrabbelt und sah jetzt zu mir. Aber natürlich dachte er nicht daran, herzukommen, und so sammelte ich ihn auf. Frau von Bülow schüttelte demonstrativ den Kopf, als ich ihr aus Müllers Büro hinaus folgte.

‚Was ist eigentlich ihr Problem?‘, fragte ich mich.

Sie führte mich zu einem Sideboard, auf dem zahlreiche Schütten mit Formularen standen. Sie griff in eine und förderte einen rosafarbenen Zettel zutage.

„Äh, die Berichte werden auf rosa Papier verfasst?“, hakte ich nach.

Frau von Bülow sah mich ausdruckslos an und ich folgte ihr wieder zu ihrem Schreibtisch.

„Also, beim Kopf sollte ja relativ selbsterklärend sein, was Sie bei den einzelnen Feldern einzutragen haben. Datum, Name, Abteilung, Vorgesetzter, Grund des Berichts und so weiter.“

Ich betrachtete den Zettel. Der Kopf umfasste fast die Hälfte der oberen Seite.

„Und wenn mein Bericht länger ist als der Platz unten, schreibe ich auf der Rückseite weiter?“

„Nein. Die Seiten werden automatisch länger, wenn Sie an den unteren Rand kommen.

„Äh ...“

„Sodass man sie am Ende vernünftig rollen kann, natürlich.“

„Äh, ich rolle die Seite am Ende?“

„Was haben Sie denn gedacht?“

„Aktenordner?“

„Nee, soweit sind wir noch nicht.“

Ich seufzte. Frau von Bülow hielt mir das Blatt hin.

„Und schreiben Sie bloß leserlich.“

„Natürlich!“, versicherte ich ihr schnell.

„Und jetzt ab mit Ihnen, ich hab noch zu tun.“

„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, bedankte ich mich.

Ich fischte mir einen Stift von einem der Tische und verschwand eiligst. 

„Also als erstes der Bericht und dann noch ein paar Notizen zu dir, hm?“, meinte ich zu Rufus, als wir wieder in meinem Zimmer waren.

Ich setzte ihn auf den Boden und verschwand kurz im Bad. Als ich wieder kam, stand der Niffler auf seinen Hinterläufen an dem kleinen Schrank, der zu meiner Bibliothek führte, und kratzte an der Holztür. Scheinbar schien er zu spüren, dass sich dahinter etwas Magisches verbarg. Ich ging zu ihm und öffnete den Schrank vorsichtig, um ihn nicht zu stoßen. In Windeseile war er durch die Tür geschlüpft und begann nun, meine Minibibliothek in Augenschein zu nehmen.

Ich folgte ihm, setzte mich mit rosa Formular und Stift bewaffnet an meinen Schreibtisch und begann, den Bericht zu schreiben. Immer wieder hörte ich Rufus an der ein oder anderen Stelle kratzen, einmal schien es mir, als klettere er an dem Bücherregal hoch, doch ich versuchte, mich auf den Bericht zu konzentrieren. Als sich mein Schrieb dem unteren Rand näherte, verlängerte sich das Papier tatsächlich, wie Frau von Bülow gesagt hatte. Insgesamt wurde es fast einen halben Meter lang, ehe ich meine Unterschrift unter den Bericht setzte.

„Mist ...“

Beim noch mal Durchlesen fielen mir einige Fehler auf, aber natürlich hatte ich kein zweites Formular mitgenommen, um den Bericht noch mal neu zu schreiben. Ich grummelte, legte dann aber den Bericht zur Seite. Es hatte schließlich keinen Sinn, sich darüber zu ärgern und andere würden sicher auch nicht ganz fehlerfreie Texte abliefern.

Ich sah mich nach Rufus um. Der Niffler lag mit dem Bauch nach oben vorm Bücherregal und streckte alle Gliedmaßen von sich. Vorsichtig trat ich hinzu und bückte mich zu ihm. Sein Bauch hob und senkte sich leicht. 

„War ja auch ein anstrengender Tag für dich.“

Ich verzichtete darauf, ihn zu tätscheln, und sah mich stattdessen in meiner Bibliothek um.

„Stimmt ja, das Zauberspruchbuch ...“

Ich kletterte aus dem Schrank hinaus in mein Schlafzimmer und stieß mir die rechte Hüfte.

„Autsch!“

Auf dem Tisch in meinem Schlafzimmer lag immer noch das Zauberspruchbuch, das ich dort zum Trocknen hingelegt hatte. Ich nahm es zur Hand und prüfte es. Die einzelnen Seiten waren wellig geworden, wie feuchtes Papier es so an sich hatte, wenn es trocknete. Ansonsten waren sie in Ordnung, die Schrift nach wie vor stark und nicht verwischt. Der Ledereinband machte hingegen keinen so guten Eindruck. Er war zwar trocken, hatte aber einige Wasserflecken und fühlte sich nicht mehr so weich an, wie zuvor.

„Okay, ein zweites Mal darf mir das nicht passieren.“

Ich drückte das Buch an mich und stieg wieder in den Schrank. Rufus lag immer noch auf dem Boden und ich setzte mich zurück an den Tisch.

„Also wollen doch mal sehen. Obliviate für den Fall der Fälle und Lumos.“

Ich beschloss, es zunächst mit dem Lichtzauber zu probieren. Ob ich ihn richtig anwandte, würde ich sofort erkennen, wenn sich an meinem Zauberstab eine Leuchtkugel bildete. Bei Obliviate würde ich wieder auf ein geeignetes Subjekt warten müssen. Obwohl es mir als sinnvoller erschien, den Spruch nur in Anwesenheit einer erfahrenen Hexe oder Zauberers anzuwenden.

„Sonst oblivier ich jemanden falsch und der verliert sein ganzes Gedächtnis ...“

Ich beschloss, bei Gelegenheit jemanden um Rat danach zu bitten.

„Also Lumos, der sollte ja relativ weit vorne sein ...“

Ich blätterte durch mein Zaubereibuch und kam auf der entsprechenden Doppelseite an. Von den Filmen wusste ich, dass man den Lichtzauber auf verschiedene Varianten anwenden konnte. Eine kleine Leuchtkugel, die an der Zauberstabspitze verblieb. Oder eine schwebende Leuchtkugel, wie Frau von Bülow sie damals im Wald gezaubert hatte, um mir den Weg zu leuchten.

„Damals ...“

Eigentlich war es gerade einmal vier Tage her, dass sie mich kontaktiert und meine Welt so grundlegend verändert hatte. Und mir kam es bereits so vor, als hätte es sich vor Jahren zugetragen. Ich seufzte schwer. 

‚Wie es wohl meiner Familie geht? Meinen Freunden?‘

Ich musste mich am Riemen reißen und mich wieder auf den Buchinhalt vor mir konzentrieren. Auch wenn es mich brennend interessierte, was zuhause so los war, wollte ich doch nichts riskieren. Zumal ich ja eh zur Verschwiegenheit verpflichtet war, und wenn mein Vater spitz bekam, dass ich aus Gründen, die ich schlecht bis gar nicht erklären konnte, länger in Berlin verbleiben würde, würde er sich nur ins Auto setzen und her fahren. Ich brummte.

„Lumos kann durch verschiedene Zusätze verstärkt werden“, las ich. „Maxima, Solem, ... und Geschicklichkeit und Intention? Hm, hängt wohl mit der Solem-Geschichte zusammen.“

Ich schüttelte den Kopf. Lumos entpuppte sich gerade als komplizierter, als ich zunächst erwartet hatte. Daher beschloss ich, es zunächst mit der Standardvariante zu probieren.

„Mehr werde ich vermutlich eh erst mal nicht brauchen ...“

Ich griff an meinen Hosenbund. Grummelte. Natürlich hatte ich den Zauberstab mal wieder vergessen. Also stiefelte ich erneut in mein Schlafzimmer zurück und stieß mir beim Hinaustreten die linke Hand.

„Autsch! Das darf aber jetzt auch mal aufhören“, fluchte ich.

Jedes Mal, wenn ich aus dem Möbel hinaus trat, stieß ich mich irgendwo. Mittlerweile zierten einige blaue Flecken meinen Körper. Ich fischte meinen Zauberstab vom Tisch und machte mich wieder auf den Rückweg in meine kleine Bibliothek. 

Als ich dort ankam, hatte Rufus gerade meine Bankerlampe entdeckt. Interessiert spielte er mit der Kette zum Anmachen, die Lampe ging dabei immer wieder an und aus. Ich ließ ihn noch einen Moment damit spielen, ehe ich die Kette aus seinem Griff löste.

„Nicht kaputtma-AUTSCH! Du kleines Biest!!“

Rufus hatte mich wieder gekratzt und hoppelte nun wieder zur Lampe hin.

„Du Monster!“, schimpfte ich mit ihm.

Ich wollte ihm schon wieder damit drohen, ihn in eine Handtasche verarbeiten zu lassen, als er sich plötzlich zu mir umdrehte und auf den Rücken fallen ließ. Er rollte sich hin und her und streckte seinen Schnabel zu mir. Eingeschnappt setzte ich mich auf meinen Stuhl und versuchte, weiter zu arbeiten. Lumos gelang mir nicht recht. Mehr als ein paar helle Funken, die allenfalls in einem dunklen Raum spektakulär wirken würden, brachte ich nicht zustande.

Rufus rollte immer noch auf dem Rücken hin und her und fing an, zu quäken. Aufgeschmissen sah ich zu ihm. Ich konnte mir keinen Reim auf sein seltsames Verhalten machen, zumal die Bankerlampe nicht mehr von Interesse zu sein schien.

Dann grummelte mein Magen und ich hatte eine ungefähre Ahnung, was ihm fehlte.

„Hast du Hunger?“, fragte ich ihn.

Rufus hörte mit dem Rollen auf, machte sich stattdessen auf dem Rücken lang und sah mich an. Er antwortete nicht.

„Ach was, natürlich hast du Hunger!“, meinte ich nur. „Mir geht’s ja genauso. Na komm, wollen wir was zu Essen suchen?“

Als ich mich vom Stuhl erhob, sprang mein Niffler ebenfalls auf und kam zu mir. Ich nahm ihn auf meinen Arm, griff nach meinem Zauberstab, und stieg aus dem Schrank hinaus. Wie durch ein Wunder schaffte ich es dieses Mal, mich nirgends zu stoßen. Ich schloss das Möbel hinter mir, griff nach meinem Smartphone und sah auf das Display.

„Schon viertel nach fünf, ob wir da noch was in der Kantine kriegen?“

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie lange die Kantine geöffnet hatte, schätzte aber, dass es nicht mehr lange sein würde. Ohne einen weiteren Gedanken an die Zaubersprüche zu verschwenden, machte ich mich mit Rufus auf den Weg ins zweite Untergeschoss. Tatsächlich war die Kantine noch geöffnet, das Angebot war nur sehr überschaubar.

„Ok, großes Resteessen heute.“

Ich nahm mir ein Tablett und trat an die Ausgabe. Der Mann hinter der Theke sah skeptisch dabei zu, wie ich Rufus auf der Ablage absetzte und der Niffler sich schnüffelnd auf den Weg machte.

„Sei schön brav und lauf nicht davon!“

Rufus ließ das Gemüse links liegen. Ich nahm mir dafür ein Schälchen von den Salzkartoffeln zur Sättigung. Mit Salzkartoffeln konnte man schließlich nie was verkehrt machen. Vor dem Fleisch blieb der Niffler hängen, sah auffordernd zu mir und wieder zu den Fleischscheiben hin. Ich seufzte. Eigentlich aß ich nie viel Fleisch. Ich war eher der Geflügel- und Fischmensch, aber Rufus war natürlich vor dem Rindfleisch sitzen geblieben. Ich deutete auf eine größere Scheibe und der Kantinenmitarbeiter legte sie mir auf einen Teller.

„Äh, bitte keine Soße ... ich glaub, die verträgt er nicht ...“

Vermutlich würde auch das Fleisch an sich viel zu stark gewürzt sein, als dass es gesund war für einen Niffler. Aber in Anbetracht meiner anderen Möglichkeiten schien es derzeit die einzige Lösung zu sein, dem Kleinen ein vernünftiges Abendbrot zu bieten. Rufus kletterte an meinem Arm hoch, als mir der Mann den Teller mit dem Fleisch reichte.

„Wir bedienen normalerweise keine Haustiere ...“, meinte er.

„Entschuldigung, ich werde dafür sorgen, dass es eine Ausnahme bleibt.“

Ich nahm mir noch eine Flasche Wasser und eine Flasche Cola und von der Salatbar ein komplett leeres Schälchen. Es musste schließlich nicht sein, dass ich mit einem Niffler vom selben Teller aß.

Die Kantine hatte außer mir nur noch zwei weitere Gäste und ich pflanzte mich möglichst weit weg von den beiden anderen an einen Tisch. Rufus kletterte auf die Tischplatte und wollte sich über das Fleisch hermachen, aber ich zog ihn auf meinen Schoß zurück.

„Benimm dich gefälligst“, raunte ich ihn an.

Er saß auf meinen Schoß, Pfoten an der Tischkante und sah mir dabei zu, wie ich die Hälfte des Fleischs in kleine Stückchen schnitt und in das leere Schälchen gab. Als ich das Schälchen auf dem Sitzplatz neben mir abstellte, gab es kein Halten mehr. Ich sah ihm kopfschüttelnd dabei zu, wie er von mir runter sprang und zu der Schale krabbelte. Neben mir machte sich ein Schmatzen breit, das ich sonst nur von Leuten ohne Manieren kannte.

Als ich den ersten Bissen Kartoffel im Mund hatte, merkte ich erst, wie ausgehungert ich selbst war. Und da hatte ich Rufus getadelt! Ich ließ mir mehr Zeit beim Essen, auch, weil das Fleisch ohne Soße kaum nach etwas schmeckte. Von der Schuhsohlenkonsistenz einmal abgesehen, aber was erwartete ich von Kantinenessen auch?

Das Schmatzen neben mir hörte auf und kurze Zeit später spürte ich Rufus wieder auf meinem Oberschenkel. Er sah wieder auf die Tischplatte.

„Bist du denn doch nicht satt?“, wunderte ich mich.

Den Rest Fleisch hatte ich mittlerweile selbst verdrückt und so schnitt ich von einer Kartoffel ein kleines Stückchen ab. Ich hielt es Rufus hin, aber er nieste nur einmal abwertend drauf.

„Na toll, du kleines Schweinchen!“

Ich packte das Stück Kartoffel zurück auf den Teller und aß den Rest der Knolle mit meinem Messer allein. Die vollgenieste Gabel wollte ich auch nicht mehr ablecken. Wenigstens machte Rufus keine Anstalten mehr, auf den Tisch zu klettern. Ich brummte zufrieden, als ich mir mit der Serviette den Mund abwischte und den Rest der Cola trank.

„Und nun?“, fragte ich den Kleinen. „Schlafen oder noch etwas Trainieren?“

Rufus ließ sich zurücksinken, und lehnte mit seinem Rücken an meinem Bauch.

„Also schlafen, oder wie darf ich das verstehen?“

Er linste nur zu mir hoch. Sogar ein Bäuerchen machte er. Niffler! Immer wieder faszinierend und süß. Ich hob ihn auf meine Schulter hoch und seine Pfoten krallten sich an mir fest. Wenigstens versuchte er dieses Mal nicht, mich zu kratzen, und so brachte ich unser Tablett zurück. 

Das Ministerium wirkte mittlerweile wie ausgestorben. Gerne hätte ich den Abend genutzt, mir Berlin anzuschauen. Andererseits musste ich mich auch dringend um meine Ausbildung kümmern und Berlin bei Nacht hatte ich schon gesehen. Ich entschloss mich dazu, heute Abend Lumos zu meistern und mit Obliviate zumindest anzufangen. Beides sollte ich in meinem Zimmer üben können und so würde ich Rufus auch im Auge behalten können.

Der Niffler hing quer über meine Schulter und hustete.

„Nanu, dass du mir keine Erkältung eingefangen hast.“

Ich nahm ihn auf den Arm, er döste scheinbar vor sich hin. Als wir wieder in meinem Zimmer ankamen, legte ich ihn an das Fußende meines Bettes auf die Decke. In Nullkommanichts war er eingeschlafen und atmete regelmäßig.

„So geht’s natürlich auch“, murmelte ich. „Ok, Zauberstab, Zauberstab. Und jetzt bitte mehr als nur ein paar leuchtende Funken.“

Ich löschte das Licht in meinem Zimmer, tastete mich vorsichtig zu meinem Bett und setzte mich drauf. Rufus atmete ruhig neben mir und ich begann, Lumos zu üben. Die ersten paar Male hatte ich wieder nur die sprühenden Funken, doch bei gelöschtem Licht sah das Ergebnis imposanter aus, als zuvor. 

Trotzdem verstand ich nicht, warum so ein stumpfer Lichtzauber so viel komplizierter zu sein schien, als zum Beispiel ein Lähmzauber. Letztendlich musste ich den Zauberstab ja nur senkrecht nach oben führen, während es bei anderen Sprüchen meist eine Kombination aus Strichen, Kreisen oder Spitzen war. Ob ich doch etwas an meiner Intention schrauben muste?

Bisher hatte ich Lumos geübt, um Lumos zu erlernen. Vielleicht musste ich den Zauber anwenden, um mit seiner Hilfe etwas anderes zu machen? Ich grummelte und sah zu der Stelle, an der ich meinen Niffler zum Schlafen gebettet hatte. Viel von ihm sehen konnte ich in der Finsternis natürlich nicht.

„Lumos“, meinte ich und zeigte mit meinem Zauberstab auf Rufus.

Der Kleine wurde hell erleuchtet. Als ich meinen Stab senkte, ging das Licht wieder aus. Ich versuchte es noch mal. Dieses Mal war sogar das ganze Zimmer taghell erleuchtet.

„Hmpf, also doch immer mit einer Absicht dahinter, wie?“

Mein Niffler brummte zur Antwort. Beim dritten Mal probierte ich, vom Bett in mein Bad zu kommen. Ich schaffte es ohne Unfälle bis zur Tür, ehe mein Lumos wieder erlosch. Den Türgriff fand ich auch so. Ich trat in das Bad, zauberte wieder und wollte den Stab dann leuchtend in meinem Zahnputzbecher abstellen. Sobald meine Finger keinen Kontakt mehr zu dem Holz hatten, ging das Licht wieder aus.

„War ja klar.“

Ich drückte auf den Lichtschalter und wusch mich. Dass Lumos nicht funktionierte, wenn ich meinen Zauberstab nicht in der Hand hielt, klang schlüssig. Weder in den Filmen noch in den Büchern hatte ich es bisher erlebt, dass eine magisch begabte Persönlichkeit Zauber wirken konnte, ohne ihren Zauberstab in der Hand zu halten. Voldemort nicht, Dumbledore nicht und ich bezweifelte, dass ein Grindelwald dazu fähig gewesen war. Und ich hatte das Gefühl, dass auch die Hogwarts-Gründer dazu nicht im Stande waren, aber andererseits wusste ich zu wenig über die Gründer-Ära.

Ich schlurfte in mein Schlafzimmer zurück und stieß mich dann an dem Tisch, der mitten im Raum stand.

„Verflixt noch eins!“

Ich musste wirklich besser aufpassen, wo ich meinen Zauberstab hinlegte. Ich fischte ihn von der Ablage unter dem Spiegel, auf den ich ihn vor dem Zahnputz hingelegt hatte und humpelte zu meinem Bett. Dort angekommen zog ich mich aus und schlüpfte vorsichtig unter die Bettdecke. Rufus brummte und rollte sich am Kopfende herum. Ich blieb still liegen und wartete, ob er sich weiter rührte. Eine Katze hätte sich jetzt vielleicht zu mir gesellt und ich hätte mit ihr schmusen können. Niffler waren da anscheinend anders. Ich glaubte, so etwas wie ein Schnarchen von dem Kleinen zu hören.

Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass es bereits nach 20 Uhr war. Heute sollte ich wohl doch ziemlich zeitig ins Bett kommen und irgendwie fühlte ich mich ja auch schlapp. Die sechs Stunden Schlaf von heute Morgen waren definitiv nicht genug und es jetzt nachzuholen, erschien mir am besten.

Trotzdem verfiel ich in Grübeleien, als ich sah, dass meine Eltern mehrmals bei mir angerufen hatten. Ich würde sie wohl am nächsten Tag mal zurückrufen müssen mit irgendeiner Ausrede, warum ich nicht nach Hause kommen könne.

Vom Bett aus übte ich Lumos noch eine Weile, doch das ständige Licht an und wieder aus ermüdete meine Augen. So legte ich meinen Zauberstab schließlich weg und war wenige Augenblicke später eingeschlafen. Obliviate hatte ich vollkommen vergessen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da ich die gestellten Aufgaben in zwei Kapitel aufgespaltet habe, wird es die Aufgaben für dieses Kapitel erst beim nächsten Kapitel nachzulesen geben. Komplett anzeigen

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