Zum Inhalt der Seite

Fäden des Schicksals

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eine Lyra gegen ein Versprechen

Der Weg in den Hades selbst bereitete Zeuxis weniger Kopfzerbrechen als die Frage, wie er denn den Gott dazu bewegen konnte, die Zyklopen durch Hyperions Tor zu schicken. Nur dann erhielten sie wieder eine körperliche Form und konnten ihm so von Nutzen sein. Gaia hatte ihm von den Regeln der Unterwelt erzählt. Auch wenn die Zyklopen eine Urschöpfung und somit aus der Verbindung von Himmel und Erde hervorgegangen waren, so konnten sie dennoch sterben. Apollon hatte sich an seinem Vater gerächt, als sein Sohn Thanatos, dem Tod, trotzte und die Menschen dereinst vor der Unterwelt bewahrte.
 

Der Gott der schönen Künste war sowieso ein vielschichtiger, komplizierter Charakter. Seine Geburt hatte schon unter einem schlechten Stern gestanden und er war deutlich widerspenstiger als Zeus erwartet hatte. Der Göttervater war um seine mächtigste Waffe beraubt worden: Blitz und Donner. Hephaistos musste nun das Handwerk der einäugigen Riesen vollbringen, was den Herrscher des Olymps abhängig machte, mehr noch als ohnehin schon.
 

Außerdem war Zeuxis die Schmach, die Apollon einst durchleiden musste, durchaus bekannt. Ein Gott in den Diensten eines Sterblichen. Als einfacher Hirte hatte er Buße tun müssen. Auch wenn König Admetos von Pherai gut zu seinem Bruder gewesen war, so hatte der Spross der Metis keinen Zweifel daran, dass der Gott der schönen Künste alleine deswegen schon einen Groll gegen ihren Vater hegte. Dazu kam noch die Ermordung des Asklepios und der Verlust von Orpheus. Wenn er es geschickt drehte, so konnte Zeuxis das Licht und die Weissagung auf seine Seite ziehen; zuallererst musste er aber einmal Kontakt aufnehmen. Dazu bot sich ein Ort besonders an: Delphi, der Nabel der Welt. Dort wo der Stein stand, den Kronos einst anstelle seines Sohnes verschlungen hatte: Der Omphalos. Zeuxis fand, dass es sich dabei um einen passenden Ort für das Orakel handelte. Die Wesenheit war die bekannteste Verbindung zwischen Göttern und Sterblichen.
 

Delphi war eine Stadt die bekannt war für ihren Reichtum und ihre Schönheit. Einzig Athen war noch prachtvoller und edler. Dementsprechend lang war die Reihe der Bittsteller. Zigtausende Menschen pilgerten jährlich in die Stadt um vom Orakel Auskunft zu erhalten. Unter Bauern und Bettler mischten sich auch prominentere Gäste wie Könige und hohe Würdenträger. Natürlich genossen diese Vorrang gegenüber dem gemeinen Fußvolk.
 

Es wäre verlockend gewesen sich auf sein göttliches Erbe zu berufen und so schneller an die Reihe zu kommen. Die Gefahr des Auffliegens war dem jungen Gott dann aber doch zu groß. Die Zeit mochte zwar drängen, doch wenn er jetzt überstürzt handelte, war all die Planung vergebens gewesen.
 

Die Schlange bis zum Heiligtum reichte bis zur Stadtmitte. Zeuxis nutzte die Zeit um sich weiter mit den Menschen zu beschäftigten. Sein Vater musste diese Wesen abgrundtief hassen. Seuche, Wahnsinn und Sterblichkeit beherrschten ihr gesamtes Leben. Der Götterkönig schien kein Mitleid für seine Huldiger aufzubringen. Zeuxis erging es aber anders. Er musste sich beherrschen um einer jungen Frau nicht zu helfen, die verzweifelt versuchte, das schreiende Bündel in ihren Armen zu beruhigen. Der Keuchhusten würde das unterernährte, abgemagerte Kind wahrscheinlich bald dahinraffen.
 

„Selbst hier, am Mittelpunkt der Welt, wo Schönheit und Reichtum in Hülle und Fülle vorhanden sind, vernichten kleinste Hindernisse die Sterblichen“, ging es dem jungen Gott durch den Kopf. Wie ungerecht sein Vater doch war: Weder er, noch seine Geschwister, noch seine Kinder, konnten von solchen Trivialitäten getötet werden. Ihnen war ein ewiges Leben beschieden. Sie konnten dieses in vollen Zügen genießen. Männer, Frauen, Kinder – sie alle vergingen dafür tausendfach in diesem wiederkehrenden Kreislauf.
 

Es dauerte bis tief in die Nacht, bis Zeuxis endlich das Heiligtum betreten durfte. Apollons geweihter Ort ragte hoch über Delphi an einem Berghang. Weißer geschliffener Marmor zierte die irdische Wirkstätte seines Bruders und verlieh dieser einen edlen Charakter. Mehrere Feuerschalen aus Kupfer verdrängten die Finsternis, während zwei Wächter für Ruhe und Disziplin sorgten. Als der junge Gott eintrat, herrschte vollkommene Dunkelheit und Stille. Einzig der unregelmäßige Atem einer Person vermochte die gespenstische Situation ein wenig zu entschärfen. Vorsichtig tastete sich Zeuxis durch den Raum hindurch auf die spärliche Lichtquelle zu, die das Orakel sporadisch beleuchtete.
 

Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Langsam konnte er einen hauchdünnen Vorhang erkennen, hinter dem eine zierliche junge Gestalt auf einem Holzschemel saß. Sie schien ihren Gast gar nicht zu realisieren. Teilnahmslos blickte das junge Mädchen an ihm vorbei. War sie krank? Hatte der Wahnsinn auch das Orakel von Delphi erreicht? Wozu der eigenartige Geruch? War das Myrrhe, die der junge Gott da wahrnahm?
 

„Ich weiß warum du hier bist“, sagte das Mädchen und durchbrach endgültig die bedrückende Stille. Über Apollons Geschmack ließ sich streiten, aber der Gott würde schon wissen, warum jungfräuliche Frauen als seine Verbindung zu den Sterblichen dienen mussten.
 

„So?“, fragte Zeuxis und versuchte seine Unruhe zu verbergen. Natürlich wusste sie warum gekommen war; er hatte eine Bitte wie jeder andere auch. In ihm regte sich aber etwas Anderes: Apollon konnte bereits von seinem Plan wissen und ihn an Zeus verraten haben. Dann waren seine wenigen Schritte umsonst gewesen und er schwebte in großer Gefahr. Vielleicht handelte es sich hierbei sogar um eine Falle des Göttervaters?
 

„Du brauchst keine Angst zu haben. Dein Bruder hat mich wissen lassen was dein Anliegen ist und ich kann dir helfen.“ Die Stimme des Orakels war monoton, beinahe leer. In Zeuxis keimte ein schrecklicher Verdacht, den er aber nicht auszusprechen wagte. Er wollte sich nicht in die Angelegenheiten der anderen Götter einmischen.
 

„Ist es also möglich?“, fragte der Spross des Zeus und senkte sein Haupt in Demut. Apollon war weiser als er. Davor hatte er Respekt und es verdiente auch Anerkennung, sich gegen Gaia und Hera behauptet zu haben, wie dereinst ihr gemeinsamer Vater.
 

„Was Gaia und Uranos prophezeien tritt in der Regel ein. Die Moiren weben unermüdlich am Teppich des Schicksals und der Gott des Lichts ist bereit dich zu unterstützen, sofern du ihm einen Wunsch erfüllst.“
 

Wie sollte es denn auch sonst anders sein? Ein Gefallen für einen Gefallen. Eine uralte Regel, die sich bisher immer bewährt hatte. Sie galt sowohl unter den Göttern, als auch unter den Sterblichen.
 

„Was wünscht mein Bruder, was er sich nicht selbst zu nehmen vermag?“
 

Das Orakel schwieg. Hatte er Apollon verärgert? War alles doch eine Falle? Unruhe machte sich in Zeuxis breit. Gaia hatte ihn gewarnt, dass der Gott der Musik und des Tanzes ein launisches Wesen war. Gerade, als er die Stimme erheben wollte, kam ihm das Mädchen zuvor.
 

„Das Leben seines Sohnes Asklepios.“
 

Er sollte nun also neben den Zyklopen auch noch einen Sterblichen in die Gefilde der Lebenden zurückholen? Wie stellte sich Apollon das vor? Hades dazu zu überreden die Urkräfte freizulassen, würde schon schwierig genug werden. Den Mann, der ihn beinahe um seine Herrschaft gebracht und die kosmische Ordnung in Frage gestellt hatte, würde er aber sicher nicht gehen lassen.
 

„Orpheus stand dereinst vor Hades und Persephone, mit der Bitte, Eurydike wieder ins Reich der Lebenden führen zu dürfen. Sein Gesang und sein Lyraspiel erweichten sogar den Gott der Unterwelt.“
 

Zeuxis musste ein Seufzen unterdrücken als er antwortete: „Ich bin aber kein Orpheus und ich maße mir auch nicht an, es ihm gleichtun zu können. Niemand außer dem Spross meines Bruders selbst wäre in der Lage, so geschickt mit Instrument und Stimme umzugehen.“ Der junge Gott wusste ob Apollons Rachefeldzug gegen den Satyr Marsyas, den er gehäutet hatte. Das Wesen hatte dessen Stolz verletzt, indem es behauptete, schönere Musik spielen zu können, als der Gott des Lichts.
 

„Dein Bruder ist bereit dir seine Gunst zu gewähren und deine Finger zu führen, genauso wie deine Stimme, wenn du vor dem Gott der Unterwelt stehst. Deine Lyraklänge werden so lieblich sein, dass sich selbst die Bäume deiner zuwiegen werden. Deine Stimme wird so bezaubernd klingen, dass die Steine ob ihrer Laute zu weinen beginnen werden.“
 

Als das Orakel mit den Lobpreisungen auf Apollons Gunst geendet hatte, zögerte der Sohn der Metis. Mit Asklepios als Faustpfand in der Hinterhand würde er den Gott des Lichts erpressen können, sofern er ihn denn befreien konnte. Andererseits könnte dieser ihn jederzeit an ihren Vater verraten. Nur mit Wortgewandtheit und Schmeichelei war Hades nicht beizukommen, andererseits konnte auch Apollon sich keinen weiteren Fehltritt erlauben. Sie waren aufeinander angewiesen und der Handel erschien fair.
 

„Ich akzeptiere, aber nur unter einer Bedingung.“ Zeuxis Stimme war fest, als er die Worte aussprach, die über Sieg oder Niederlage entschieden. Lehnte Apollon ab, so stand er wieder am Anfang.
 

„Der Gott des Lichts lauscht deiner Forderung“, regte sich das Orakel hinter dem Vorhang und bückte sich dabei. Das Mädchen griff hinter sich und holte einen Gegenstand hervor, hielt ihn aber noch zurück, so, als ob auch sie abwarten würde, wie ihr Schutzherr und Patron reagieren würde.
 

„Wenn ich Asklepios aus der Unterwelt befreit habe, darf dieser keine Menschen heilen, bis der Göttervater gestürzt ist. Apollon soll ihn verstecken, bis der Kampf vorbei ist.“
 

Wieder herrschte Stille. Zeuxis verlor jegliches Zeitgefühl. Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten Stunden, aus Stunden Tage. Wie lange er letztendlich dort ausgeharrt hatte, konnte er am Ende selbst nicht sagen, doch sein Warten wurde schlussendlich belohnt.
 

„Tritt vor und nimm, was der Gott der Musik dir zugedacht hat.“
 

Zeuxis tat wie ihm geheißen und griff durch den Vorhang. Beschämt senkte er den Blick, als er das junge Mädchen vor sich sah. Sie war bildhübsch, wohlgeformt und doch wirkte sie krank, fast schon ausgebrannt. Seine Vermutung bestätigte sich: Es würde bald ein neues Orakel geben.
 

Vorsichtig händigte sie ihm eine Lyra aus, wie der junge Gott sie noch nie gesehen hatte. Die Saiten bestanden aus purem Silber, die Arme waren aus purem Gold gefasst. Quer über die Außenfläche des Instruments war: Η μουσική να φωτίζει τον κόσμο einkerbt worden. (Möge die Musik die Welt erhellen.)
 

„Geh, die Zeit drängt!“, riss ihn das Orakel aus dem Staunen. Behutsam schob Zeuxis´ die Lyra unter seinen Umhang und verbeugte sich tief. „Ich danke dir Orakel von Delphi, und auch dir, Bruder Apollon – ich werde mich an eure Gnade und Güte erinnern.“ Rasch wandte er sich von dem Mädchen ab und ging nach draußen. Dabei warf er sich seine Kapuze über.
 

Etwas an der jungen Frau hatte ihn berührt. War es ihr Schicksal gewesen, ihre Stimme, die alabasterne Haut oder das braune Haar? Er konnte es nicht mehr sagen. Der leere Blick hatte ihn geschmerzt, genauso wie das Wissen ob ihrer Bestimmung. Wenn das alles vorbei war, würde er sich erkenntlich zeigen.
 

„Hoffen wir, dass die Macht der Musik wirklich die Finsternis der Unterwelt vertreiben kann“, murmelte Zeuxis als er die Stufen des Orakeltempels hinabeilte und dabei eine verwunderte Menschenmenge hinter sich ließ. Für einen kurzen Moment wirkte es nämlich so, als ob der Fremde in seinem weißen Gewand zu leuchten schien und selbst die schwärzeste Nacht verging in seinem Antlitz, als die blauen Augen ihr Ziel fixierten. Hoffnung überkam die Menschheit.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück