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Alles was bleibt

[Wieder|holen] | ⚠️ Spoiler für Apollo 3!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und hier gleich das letzte Kapitel. Da es schon zur Hälfte fertig war, als ich das Dritte aufteilte, ging es jetzt ganz schnell. :) Komplett anzeigen

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Abschied für immer

Nico wusste nicht wie, aber in Elysion herrschten völlig andere Verhältnisse als im Rest der Unterwelt. Das Deckengewölbe war hoch und unter hellem Dunst verschleiert, dass man glauben mochte, dahinter verstecke sich die Sonne. Es herrschte gemäßigtes Klima und der seichte Wind roch nach Blumen und frisch gemähten Rasen. Die Wege waren aus Naturpflasterstein und führten zu einem Platz mit Springbrunnen. Die Wiesen waren gespickt mit Blumen aus Gold und Silber. Es gab Cafés und Boutiquen und in der Ferne konnte er Bauten aus verschiedenen Epochen erkennen. Hinter ihnen fiel das Tor zu und ihn überkam das Gefühl gefangen zu sein.

Die Göttin ließ von Jason und ihm ab und schnippte mit ihren Fingern. Daraufhin änderte sich die Gestalt des Chitons zu einem cremefarbenen Kostüm und ihr offenes Haar flocht sich zu einem Zopf zusammen. Die Blumenkrone blieb und bildete einen Kranz um den Rosebun. »So!« Geschäftig klatschte sie in die Hände und wandte sich zu den Neuankömmlingen um. »Es freut mich sehr, dich persönlich begrüßen zu können, Jason.«

»Es ist mir eine Ehre«, stammelte er und strich sich mit der Hand über den Nacken. »Aber woher wusstet Ihr, dass ich kommen würde?«

Mit einem schelmischen Grinsen ließ sie ihren Kopf zur Seite wippen. »Ja, eigentlich bekomme ich nicht viel mit. Aber nachdem Ker dich bei Charon ablieferte, hat sie mich kurz besucht und Bescheid gesagt, dass du auf dem Weg bist.«

Seine hellen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Aber da stand der Prozess doch noch aus.«

Nico verdrehte die Augen. So ein Dussel.

Die Göttin winkte ab. »Ach, das Urteil der Richter war doch eine reine Formalität.« Als sie die Hände zusammenlegte, erschien eine neue Blumenkrone aus weissen Lilien. Sie trat vor den Jungen und war eine Handbreit kleiner als er.

Wie aus einem Reflex heraus, neigte er sich vor und ließ sich von Makaria den Blumenkranz aufsetzen. Die graue Kutte, die alle Seelen nach ihrem Tod trugen, veränderte ihre Form und Farbe. Das triste Gewand wich einem weissen schlichten Shirt und Hosen aus Leinenstoff.

»Willkommen in Elysion.« Ihr Blick schweifte über die neuen Kleider. »In deinem Zuhause werden die Schränke bereits mit Kleidern gefüllt sein, in denen du dich wohlfühlst.« Sie bedeutete den beiden Jungen, ihr zu folgen und so spazierten sie über den gepflasterten Weg zu dem großen Platz, der das Herzstück von Elysion darstellte.

Über die Schulter sah Nico zurück zum Tor. Es war der einzige Ein- und Ausgang, den er kannte. Wenn er mit Jason verschwinden wollte, musste er dorthin zurück. Sie würden sich einen Plan zu Recht legen müssen, aber dafür mussten sie erst einmal Makaria loswerden. Er schob die Hände in die Taschen seiner Fliegerjacke und warf den Blumen am Wegesrand einen verdrießlichen Blick zu.

Am Platz gab es einen Straßenstand, an dem Broschüren auslagen. Die Göttin reichte Nico und Jason je eine und setzte ihren Weg gleich fort zum Einkaufsviertel, während sie im Plauderton über das Paradies erzählte.

Im Einkaufsviertel konnten die Bewohner uneingeschränkt einkaufen und essen gehen. Alle Läden hatten rund um die Uhr geöffnet. Es gab zwar keine Nacht in Elysion, aber sollte man den Wunsch nach Schlaf verspüren, ließen sich die Wohnungen abdunkeln. Damit keine Langeweile aufkam, konnte man sich zu Freizeitaktivitäten anmelden oder in einem Sport-Club einschreiben. Gelegentlich wurden Barbecues am See veranstaltet.

»In der Broschüre steht alles Weitere. Über Events wirst du per Mail informiert. Wenn dir etwas in Elysion fehlen sollte oder dir irgendwelche Anregungen einfallen, kannst du über dein Tablet an den Service schreiben und wir kümmern uns schnellstmöglich darum. Deine Meinung, ist uns wichtig!« Erwartungsvoll lagen ihre grünen Augen auf Jason.

Der hatte schon während des Vortrags die Nase in das Programm gesteckt und immer abwechselnd gelesen und zugehört. Die Menge an Information stürzte auf ihn nieder und verschlug ihm die Sprache.

Makarias Lippen kräuselten sich. »Ich sehe schon. Du musst erst einmal sacken lassen.« Daraufhin wandte sie sich an Nico. »Hast du vielleicht Fragen?«

Am liebsten wäre er hinter Jason in Deckung gegangen, um einem Gespräch mit ihr aus dem Weg zu gehen. Stattdessen zog er bloß den Kopf ein und wich ihrem stechend aufreizenden Blick auf. »Nein.«

Sie ließ die Schultern hängen, versuchte aber einen zweiten Versuch. »Wie ist denn dein Eindruck von Elysion? Sagen wir auf einer Skala von 1 bis 5, wobei 5 'einfach paradiesisch' bedeutet.«

Seine Augenbrauen zogen sich tief in die Stirn. »Wieso interessiert Euch das? Ich bin noch nicht tot.«

Ihre Hand glitt zu einer gelockten Strähne, die sich aus dem Rosebun gelöst hatte. Das Grün ihrer Augen verlor an Intensität und für einen Moment huschte ihr Blick zur Seite. »Mir fehlen ein bisschen die Eindrücke aus der Oberwelt. Ich komme nur sehr selten vor die Tür. Elysion braucht meine volle Aufmerksamkeit.« Ihr entwich ein tiefer Seufzer. »Und die Seligen sind alle so genügsam. Das macht es schwer, sich stetig zu verbessern.«

»Verstehe.« Er konnte nicht anders als den Ehrgeiz von Makaria zu bewundern.

Ihre Augen gewannen ihr Leuchten zurück. »Aber dir liegt sicher am Herzen, dass es für deinen Freund das absolut perfekte Paradies ist. Deshalb wirst du viel kritischer sein.«

Nico verzog das Gesicht, als habe er eine bittere Pille geschluckt. Die Vorstellung, dabei zu helfen, dass dieser Ort so schön wurde, dass Jason nicht mehr gehen wollte, gefiel ihm nicht. Gut, dass er sich nicht als qualifizierten Kritiker betrachte, der beurteilen konnte, was das Paradies perfekt machte. Bisher hatte es keinerlei Anziehung auf ihn ausgeübt. Er wollte vielmehr flüchten. Trotzdem widerstrebte es ihm, seine Halbschwester zu enttäuschen. »Ich denk darüber nach.«

Das schien ihr zu genügen und sie strahlte ihn an wie die Sonne. »Wie wundervoll!« Nach diesem Zugeständnis ließ sie den Blick von ihm zu Jason schweifen und wieder zurück. Sie musterte Nico auf eine Weise, als bemesse sie seinen Wert. Mit einer ausladenden Geste deutete sie auf ein Café, das Abseits der breiten Fußgängerzone lag. »Ich empfehle euch, dort euer Gespräch zu führen«, erklärte sie.

Sie betrachteten das kleine Rondell mit der filigranen weissen Möblierung, die unter blühenden Magnolienbäumen im Schatten stand, bevor sie einander ansahen und schließlich wieder zur Göttin. Makaria aber war verschwunden.

Nico schnaubte. Das passte wieder einmal zu den Göttern. Kamen und gingen, wie ihnen danach war. »Das ist unhöflich«, meinte er und spielte mit dem Gedanken, das in seiner Bewertung von Elysion zu erwähnen.

Jason tat schließlich den ersten Schritt und sah ihn über die Schulter an. »Wenn die Göttin Makaria eine Empfehlung ausspricht, wird das Café gut sein«, folgerte er und ging auf den kleinen Laden zu.

Nur mit Widerwillen folgte Nico ihm und unterdrückte den Drang, nach seinem Handgelenk zu greifen, um einfach den Weg zurück zum Tor zu gehen. Die Möglichkeit, dass Jason sich in Elysion wohlfühlte, ließ seinen Magen rumoren. Diese ganze Idylle hatte für ihn den Charme einer Venusfliegenfalle und sein Freund war dabei von ihr geschnappt zu werden.

Sie sahen niemanden vom Personal, doch am Eingang des Cafés stand das Ladenschild auf ›Geöffnet‹ und so setzten sie sich an einen der freien Tische.

Jason wischte ein loses Blütenblatt von der Tischplatte und verschränkte die Finger ineinander. Das Lächeln auf seinen Lippen war zaghaft und ließ seine kleine Narbe zucken.

Zum ersten Mal seitdem Nico ihn am Tor abfing, nahm er sich die Zeit seinen Freund wirklich anzusehen. Im Gegensatz zu den Seelen im Asphodeliengrund war er nicht blass und durchscheinend - im Gegenteil. Seine Haut hatte einen gesunden Ton. Stünden sie nebeneinander, würde Nico eher als lebender Tod durchgehen. »Gut siehst du aus«, murmelte er und sank auf seinem Stuhl zusammen.

Jason blinzelte über die Worte, griff sich unwillkürlich an die Schläfe und blinzelte erneut. Seitdem er eine Brille trug, rückte er sie aus Gewohnheit unnötig zurecht. Aber in Elysion brauchte er keine Brille mehr. Bisher hatte er das nicht bemerkt. Und es war nicht die einzige Veränderung. Narben, die er von Verletzungen davon getragen hatte, waren verblasst.

Woran auch immer der Sohn des Jupiters bis eben dachte, mit einem einfachen Augenaufschlag war die Verwirrung aus seinem Blick verschwunden. Seine Haltung war aufrecht, doch die Schultern entspannt und seine Hände lagen beide auf dem Tisch wie, um zu zeigen, dass er nichts verbarg. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass du am Tor auftauchst«, gestand er und kräuselte die Stirn. Hinter dieser Feststellung steckten viele Fragen.

Aus einer Marotte heraus zuckte Nico bloß mit den Schultern.

Da er weiter stumm blieb, versuchte Jason einen erneuten Vorstoß. »Ich freu mich, dich noch einmal zu sehen.« Es waren aufrichtig nett gemeinte Worte.

Tief gruben sich Nicos Augenbrauen in seine Stirn und bildeten deutliche Zornesfalten. In seinem Magen kochte Wut auf, ätzend wie Magensäure. Sie kroch brennend seinen Hals hinauf und brachte ihn schließlich zum Sprechen. »Willst du mir sagen, du hast deinen Frieden gemacht?« Er spuckte ihm die Worte entgegen. »Ich bin nicht hier, um dir leb‘ wohl zu sagen!«

Sein Gegenüber wurde starr und riss die Augen auf. Mit einem solchen Ausbruch hatte er nicht gerechnet. Aber Nico kam gerade erst in Fahrt. Er griff in seinen Rucksack, holte das Skizzenbuch hervor und legte es auf den Tisch.

Jason erkannte es sofort. Das Himmelblau seiner Augen flackerte wie bei einem Gewitter. »Wieso hast du das hierher gebracht?« Seine Stimme klang brüchig.

Nico beugte sich über das Skizzenbuch und sah seinen Freund mit steinerner Miene an. »Als Erinnerung daran, dass du dir etwas ziemlich Großes vorgenommen hast.«

Kraftlos sanken Jasons Schultern und er fiel in den Stuhl zurück. Die Augen huschten unruhig über das Skizzenbuch zu seinem Gegenüber und zu einem undefinierten Punkt an seiner Seite. »Apollo sollte sie nach Camp Jupiter bringen.«

»Das hat er und mir wurde das für Camp Half-Blood anvertraut, bis Annabeth zurück ist.« Seine Fäuste lagen auf dem Buch und zitterten vor Anspannung. »Glaubst du, damit ist es getan?«

Jason zog seine Hände zurück und massierte sich den Nacken. Dünne Falten bildeten sich auf seiner Stirn. »Annabeth hat das Wissen, um die Pläne zu realisieren. Sie liebt Architektur.«

Nico stieß die Luft durch zusammengebissene Zähne. »Die studiert ab August in Neu Rom. Mit Percy. Sie wird das sicher nicht verschieben, um dein Versprechen zu halten.« Seine dunklen Augen loderten vor Zorn. »Ich dachte, dir ist das wichtig.«

Damit traf er bei Jason einen Nerv. »Ist es! Aber mir sind nun einmal die Hände gebunden.« Seine Lippen wurden zu einer schmalen Linie. »Mir bleibt nichts als darauf zu vertrauen, dass meine Freunde sich darum kümmern.«

Die Art wie er Nico ansah, gab ihm zu verstehen, dass er ihn in seinen Worten miteinschloss. Er setzte nicht bloß auf Annabeth, sondern auch auf ihn. Dass er sich ebenso darum bemühte, die Tempel der Götter zu errichten, weil er Jasons Wunsch verstand. Weil sie Freunde waren.

Der Gedanke ließ das Blut in Nicos Ohren rauschen. Es bedeutete ihm viel, wenn Jason ihm dieses Vertrauen entgegenbrachte und er wollte ihm gerecht werden. Aber viel mehr, wollte er ihm dabei helfen, sein Ziel selbst zu verwirklichen. »Dir müssen nicht die Hände gebunden sein«, murmelte er kaum hörbar.

Es dauerte einen Moment, bis sein Gegenüber die Tragweite dieser Aussage verstand. »Was meinst du damit?«

Fahrig strichen Nicos Finger über das Skizzenbuch. Sein Blick war gesenkt. »Ich bin nicht hier, um dich zu verabschieden, sondern weil ich dich zurückbringen will«, offenbarte er seinen Plan. Die Worte waren langsam und bedeutungsschwer über seine Lippen gerollt. Sein Herz raste in seiner Brust und er hoffte, dass Makaria nicht überall in Elysion ihre Ohren hatte. Der Göttin würde es sicher nicht gefallen, wenn er einen ihrer Helden entführte.

Jason starrte ihn an, suchte in seinem Gesicht nach Hinweisen und wog die Worte genau ab. Es fand keine Erwiderung darauf.

Tief atmete Nico ein und schob das Skizzenbuch näher an seinen Freund heran. »Ich gehe nicht ohne dich hier weg und wir bauen diese Tempel gemeinsam oder gar nicht«, sagte er mit Bestimmtheit. Jedoch in seinem Blick lag etwas Bittendes.

Es fiel Jason gar nicht auf, da sein Blick gesenkt auf dem Buch lag. Sanft strich er mit den Fingern die Kanten entlang. Dann schloss er die Augen und zog seine Hand wieder zurück. Sein Atem stockte.

Nico beugte sich weiter zu ihm vor. »Ich kann dich hier raus holen«, beteuerte er. Und wenn er dafür die Erde aufbrechen musste.

»Ich weiß.« Jason strich sich mit den Händen durchs Gesicht und wirkte unendlich erschöpft. »Nico, bei dem Prozess fiel mein Urteil nicht gleich auf Elysion.« Er legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Magnolienblüten. »Mir wurde die Möglichkeit geboten, ein Richter der Toten zu werden. Wie Rhadamantys und Minos es sind. Weil ich ein Sohn von Jupiter bin.«

Nico entwich ein leises Schnauben. »Du würdest das besser machen als die«, meinte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Jasons Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. »Ich meine damit, dass selbst nach meinen Tod der Einfluss meines Vaters noch Auswirkungen auf mich hat. So wie es schon immer der Fall war. Deshalb habe ich abgelehnt.«

»Gut. Die Urteile, die du bis in alle Ewigkeit fällen müsstest, hätten dich sicher deprimiert.« Insgeheim erleichterte ihn die Entscheidung seines Freundes. Hades würde sich keine Seele mit solcher Stellung unterm Hintern wegschnappen lassen. Nicht ohne Konsequenzen.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Jason ihn. Er setzte sich gerade auf und fokussierte Nico. »Was ich dir zu erklären versuche; Ich will keine Sonderbehandlung.« In den himmelblauen Augen lag Schmerz, als er das Skizzenbuch von sich schob. »Auch jetzt nicht. Ich möchte nicht von hier fort dürfen, weil ich mit einem Sohn von Hades befreundet bin.«

Es kostete Nico große Selbstbeherrschung, nicht zu schreien. Die Muskeln seines Kiefers waren so angespannt, dass seine Zähne malmten. Als Kind von Hades hatte man es nie leicht. Tiere mieden einen, weil sie die Aura des Todes spürten. Menschen fehlte dieser Sinn, doch instinktiv gruselten sich die meisten von denen. Als Kind der Großen Drei war man dafür wie ein Leuchtfeuer für Monster. Man war schnell isoliert und neigte dazu ein Einzelgänger zu werden. Freunde waren etwas Besonderes. Wozu hielt man das alles aus, wenn man aus der Position seines Vaters, dem Herrscher der Unterwelt, nicht einen Vorteil gewinnen konnte?

Seine Augen brannten, doch er hielt Jasons Blick stand. »Ich will dir eine zweite Chance geben«, sagte er mit bebender Stimme. »Lass mich doch etwas zurückgeben.«

Mit einem Mal zog Jason scharf die Luft ein. Seine Augen waren geweitet, als habe ihn der Blitz getroffen. »Du schuldest mir nichts.«

Trotzig schob Nico das Kinn vor. »Natürlich nicht«, knurrte er abfällig. »Für dich war das keine große Sache. Für mich schon!« So deutlich hatte er dieses Zugeständnis nie machen wollen. Wieso musste Jason Grace auch nach seinem Tod noch so nervig korrekt sein?

Mitfühlend sah der seinen jungen Freund an, bis er schließlich lächelte. Ein trauriges Lächeln. »Du könntest dich um die Tempel kümmern, statt deine Drohung wahr zu machen«, versuchte er es erneut. »Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun.« Er nickte zu dem Skizzenbuch.

Langsam sanken seine Schultern ein, je klarer die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens wurde. Als lastete die Einsicht schwer auf ihnen. »Ich werde dich nicht umstimmen.«

In Jasons Miene lag etwas Reuevolles. »Nein.«

Der Sohn des Hades' nickte lahm. In seinem Hals bildete sich ein Kloß, der ihn daran hinderte, etwas zu erwidert. Sein letztes Bisschen Wut richtete er auf das Skizzenbuch, das er schroff zurück in seinen Rucksack stopfte. All seine Macht und der Respekt seines Vaters brachten ihm nichts, wenn sein Freund ihm nicht folgen wollte.

Jason erhob sich von seinem Platz. »Wollen wir dann zurück zum Tor?«

Wieder konnte Nico nur nicken.

Schweigend verließen sie das Café und gingen durch das Einkaufsviertel zurück zum Platz. Dieses Mal begegneten sie einigen anderen Seligen, die einen Schaufensterbummel machten oder auf den Wiesen picknickten. Jeder von ihnen wirkte ausgelassen und glücklich. Es hatte Ähnlichkeit mit den Bildern von Reiseportalen, die ihre Angebote anpriesen.

Trotzdem waren es nicht die Verlockungen, die Jason ihn abweisen ließen, sondern seine Überzeugungen. Damit verdiente er mehr als jeder andere dieses sorglose Nachleben.

Das Tor zum Elysion war vom Platz aus bereits zu sehen und je näher sie ihm kamen, desto schwerer fiel es Nico einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es war, als füllten sich seine Schuhe mit Blei und als sich die Erkenntnis, dass sich ihre Wege in Kürze für immer trennten, festsetzte, blieb er auf halber Strecke stehen.

Erst nach ein paar Schritten merkte Jason, dass sein Freund zurückfiel, und warf einen Blick über die Schulter. Er ging zurück und blieb vor ihm stehen, neigte den Kopf und runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«

Blöde Frage.

Gar nichts war in Ordnung.

Nico schluckte und versuchte so den Kloß hinunterzudrücken. Sein Hals war trocken und er wünschte, im Café hätte man ihnen etwas zu trinken angeboten. Den lausigen Service würde er in seiner Kritik erwähnen. »Ich will nicht«, presste er schließlich hervor und atmete zitternd ein. Er bekam einen Schluckauf.

Nico di Angelo war 15 Jahre und fühlte sich wie ein kleines jammerndes Kind.

Ähnlich überfordert stand Jason vor ihm und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Seine Augen huschten nervös über die Gestalt seines Freundes. Die Hände schwebten hilflos in der Luft.

Bevor er irgendwelche Worte fand, machte Nico einen Satz nach vorn und drückte das Gesicht an seine Brust. Seine Finger krallten sich mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden in das Leinenhemd. Ein Schluchzer durchdrang den Schluckauf. Das brennen in seinen Augen wurde stärker und schließlich brach der Damm, sodass ihm die Tränen über die Wangen rannen. Jason schloss die Umarmung mit einer Heftigkeit, dass es Nico die Luft aus der Lunge presste. Er musste husten, schluchzte und hustete wieder. Als er nach Luft rang, schob er das Kinn auf Jasons Schulter.

»Es tut mir leid«, murmelte Jason dicht an sein Ohr. Seine Stimme klang ungewohnt rau.

Nico wusste darauf nichts zu erwidern, aber brachte ohnehin kein Wort heraus. Die Sicht verschwamm vor seinen Augen.

Nur sehr zaghaft lösten sie sich voneinander und eine warme Hand wischte ihm die Tränen von der Wange, obwohl immer wieder Neue kamen. »Ich will nicht allein sein«, quetschte er unter schluchzen hervor.

»Das bist du nicht«, beteuerte sein Freund. Seine Narbe zuckte unter dem wackeligen Lächeln auf seinen Lippen. »Und das weißt du.«

Aus Trotz schüttelte Nico den Kopf.

Jason zog ihn wieder an sich und legte die Arme um seine schmächtige Gestalt. Diesmal sanfter. »Doch. Da sind Hazel und Reyna in Neu Rom, die immer für dich da sind. Und in Camp Half-Blood gibt es Will, der sich sicher schon Sorgen um dich macht, weil du auf diesem Kamikaze-Einsatz bist.«

Ein besonders tiefes Schluchzen entwich Nicos Kehle. »Will hasst mich«, nuschelte er in den Leinenstoff.

»Niemals«, widersprach Jason. Die Vorstellung war für ihn so absurd, dass ein Lachen in seiner Stimme mitschwang. Liebevoll strich er über das schwarze Haar. »Wie kommst du darauf?«

»Ich hab was Schlimmes zu ihm gesagt.« Er weigerte sich, es zu wiederholen.

»Dann musst du dich nur entschuldigen.«

Mit glasigen Augen sah Nico zu ihm auf und hatte tiefen Falten auf der Stirn. Als wäre das so einfach aus der Welt zu schaffen.

»Das wird funktionieren«, versicherte er ihm mit einem Lächeln, das seine himmelblauen Augen zum Leuchten brachte.

Langsam verebbte der Tränenfluss und Nico löste ihre Umarmung, um einige tiefe Atemzüge zu nehmen. Die letzten Salzspuren wischte er sich selbst von der Haut.

Da Jason nichts weiter mit seinen Armen anzufangen wusste, schob er die Hände in die Hosentaschen seiner Leinenhose. Er ließ diskret den Blick schweifen und gab Nico Zeit.

Seit ihm die Nachricht über Jasons Tod erreicht hatte, waren ihm kein Mal die Tränen gekommen. Die Erkenntnis, dass er fort war, hatte eine Narbe in seiner Brust aufgerissen. Es hatte gebrannt und mit den Vorbereitungen für die Bestattung verdrängte er den Schmerz, bis er zu einem dumpfen Pochen im Hintergrund wurde. In diesem Moment konnte er das erste Mal seit ein paar Tagen einen klaren Gedanken zu dem Abschied fassen.

»Besser?«, erkundigte sich Jason und musterte ihn mit unverhohlener Neugier.

Nico rümpfte die Nase und zog den angesammelten Rotz hoch. Sein Blick schweifte an seinem Freund vorbei zum Tor von Elysion. Wenn er hindurchging, dann allein.

Jason folgte seinem Blick. Sein Lächeln wurde melancholisch. »Ich würde dich gerne noch um etwas anderes bitten.«

Überrascht gingen Nicos Augenbrauen in die Höhe und die dunklen Augen wurden groß. »Was denn?« So gern er ihm den Gefallen tat, war er über die Jahre zu misstrauisch geworden, um blind zuzustimmen.

Der Sohn des Jupiters sah weiterhin zum Tor und strich sich mit der Hand durch den Nacken. Eine reine Verzögerungstaktik. Die dünne Falte zwischen seinen Brauen verriet, dass er um die richtigen Worte rang. »Schaffst du es, dass ich mir keine Sorgen um dich machen muss?«

Eine von Nicos Augenbrauen schob sich noch weiter in die Höhe. »Bitte was?«

Jason lachte und eine leichte Röte kroch seinen Hals hinauf. »Du machst mir ständig Sorgen, seit wir uns kennen«, erklärte er mit schelmischer Stimme. »Wenn ich wüsste, dass es dir gut geht, ginge es mir besser. Könntest du das versuchen? Der Versuch würde mir schon reichen.«

Als sich ihre Blicke trafen, blinzelte er ihn mehrmals an. Für einen kurzen Augenblick hatte er diese Bitte für einen Scherz gehalten, aber damit lag er falsch. So absurd die Worte in seinen Ohren klangen, von Jason waren sie ernst gemeint. Seine Miene wurde weicher. »Wie soll ich das machen?«

Jason ließ den Blick schweifen und schien zu überlegen. Wenn er ihm eine Herakles-Aufgabe stellte, brachte das seinem Seelenfrieden gar nichts. »Nimm etwas mehr am Leben teil«, antwortete er ihm. »Wie wäre es, wenn du zusammen mit Will die High-School besuchst? Ein Schulabschluss ist auch als Halbgott nicht verkehrt.«

»Die High-School besuchen«, echote Nico. Er bezweifelte stark, dass der Besuch einer Lerninstitution mit überfüllten Klassen, überforderten Lehrern und Büchern, die er dank Legasthenie nur schwer lesen konnte, sein Leben bereichern würde. Von den Monstern, die er anzog wie das Licht die Motten, ganz zu schweigen. »Und wenn ich es nicht schaffe?«

»Du musst es nur versuchen«, beteuerte Jason ihm nochmals. »Das reicht mir.«

»Und wenn ich es schaffe?« Das Blut rauschte in Nicos Ohren und seine Kopfhaut prickelte. »Wenn ich die High-School schaffe, aber ...« Nicht glücklich bin? Wollte er so den Satz vollenden?

»Dann komme ich zurück.«

Nico sah zu ihm auf. Verwirrt.

»Wenn du es versuchst, aber es dir nicht gut geht, dann werde ich zurückkommen. Ich werde aus eigener Kraft zurückkommen.« Er zog aus seiner hinteren Hosentasche die Broschüre von Elysion und hielt sie ihm hin. ›Durch Wiedergeburt auf die Insel der Seligen!‹ stand dort in geschwungenen Lettern.

Der Sohn des Hades' nahm das Papier in beide Hände und starrte auf das Informationsblatt. Die Idee war ja ganz nett, aber hatte eine Menge Haken. »Du wirst dich nicht erinnern können«, erklärte er mit monotoner Stimme. »Vor der Wiedergeburt werden all deine Erinnerungen im Lethe weggespült.«

Jason legte ihm eine Hand auf die Schulter und suchte den Blickkontakt mit ihm. »Versprich du mir, dass du dein Bestes gibst und ich verspreche dir, dass ich mich erinnern werde.« Seine Stimme war fest und ließ keine Zweifel an seinen Worten.

Ein Stromstoß jagte Nicos Rückenmark hoch. Er schluckte. »Okay.«

Das genügte und Jasons Lächeln wurde zuversichtlich. »Gut.«

Gemeinsam legten sie das letzte Stück Weg zum Tor zurück. Währenddessen drehte Nico unwillkürlich den silbernen Ring an seinem Finger. Er streifte ihn ab und betrachtete das Stück Metall von allen Seiten, sah jede Kratzspur, die sich über die Jahre hineingefressen hatte, und schätze seinen persönlichen Wert.

Ohne ein Wort der Erklärung griff er nach Jasons Handgelenk und zwang ihn so erneut stehen zu bleiben. Verwirrt blinzelte der, als der Ring in seiner Hand lag.

»Ein Pfand«, erklärte er knapp und schob die Hände in die Taschen seiner Fliegerjacke. »Heb‘ ihn für mich auf.«

Die Geste erschloss sich Jason nicht, doch er entschied, nicht zu fragen, sondern nickte bloß. »Werde ich.«

Am Tor wartete Makaria und empfing sie lächelnd. »Ich hoffe, ihr konntet alles klären?« Falls die Göttin die Antwort wusste, ließ sie es sich nicht anmerken. In ihren grünen Augen blitze die Neugier, doch die beiden Jungen waren nicht bereit sie zu stillen.

Nico schenkte seiner Halbschwester die Andeutung eines Lächelns. »Danke, dass ich hier sein durfte.«

Emsig klatschte die in die Hände. »Nicht doch. Gerne! Vielleicht haben wir bei deinem nächsten Besuch etwas mehr Zeit zum Plaudern.«

Ob sie damit sein Nachleben meinte? Er kam nicht dazu, die Frage zu stellen, da öffneten sich hinter ihr die Tore und ein Mann trat an die Schwelle. Seine Haut war braun wie Teakholz und er war in einer schwarzen Tunika gekleidet.

Makaria wandte sich zu ihm und ein zarter Rotton legte sich auf ihre Wangen. »Schön dich zu sehen, Thanatos«, grüßte die den Gott des Todes.

Schön. Das beschrieb ihn sehr gut.

Er nickte der Göttin zu und schenkte ihr ein Lächeln. »Ich hoffe, der Grund für mein Erscheinen bleibt bei einem Verdacht«, sagte er und richtete seine goldenen Augen wissend auf Nico.

Der hatte augenblicklich das Gefühl, dass seine Haut brennen würde. Anscheinend war sein Vater nicht bereit, für das Glück seines Sohnes jede Regel zu brechen.

»Nico war nur auf einen kurzen Besuch in Elysion«, versicherte Makaria ihm und zwinkerte ihrem Halbbruder verschwörerisch zu.

Der Blick des Todesgottes schweifte weiter zu Jason, der neben dem Sohn des Hades' stand und starrte. »Und er möchte sich nur verabschieden«, vermutete er.

»Genau«, meinten die beiden Jungen unisono. Da Thanatos sich nicht von der Stelle bewegte, vermuteten sie, dass er darauf wartete, dass Jason wieder ging.

Ein letztes Mal ließ Nico sich von seinem Freund in den Arm nehmen und hielt ihn fest. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf das warme Pochen in seiner Brust.

»Bis dann«, flüsterte Jason ihm verheißungsvoll ins Ohr und löste die Umarmung. Weniger vertraut verabschiedete er sich von beiden Göttern und ging zurück ins Elysion. Jedoch nicht, ohne Nico noch ein letztes Mal anzusehen.

Er hob die Hand zum Abschied. Wie es auch ausging, es war kein Abschied für immer.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vorbei!

Weiter geht es mit den beiden in Wiederfinden

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  FreeWolf
2019-08-12T22:28:30+00:00 13.08.2019 00:28
Ich bin gerührt: Im Endeffekt konnte nur Jason Nico von seinem verrückten Plan abbringen. Und die verheulte Umarmung wie auch das Versprechen am Ende deuten voraus in so viel mehr. :D Jetzt bin ich neugierig geworden.

Natürlich habe ich auch hier einen Lieblingssatz: "»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du am Tor auftauchst«, gestand er und kräuselte die Stirn. Hinter dieser Feststellung steckten viele Fragen."
Antwort von: Norrsken
13.08.2019 09:56
Nico hat es Jason echt schwer gemacht seinen Prinzipien treu zu bleiben. ùwú Böser Junge. Aber die Probleme, die das gegeben hätte, wäre er mitgegangen. Uff.
Geplant war ein etwas würdevolleres stummes Weinen, aber dann wurde es doch ein richtiges Rumheulen ... aber ich hätte mich gern auch in diese Umarmung geschmissen. ;n; Gemeine Welt!

So gut Jason und Nico auch befreundet sind, ist es schon kurios, wenn da auf einmal ein Sohn des Hades' vor den Toren auftaucht. Ist ja jetzt nicht die gewöhnliche Stadtrundfahrt, die man buchen kann. Jason hatte sicher schon ein Bauchgefühl dafür, dass Nico vor hat, die Regeln zu brechen, aber ist zu gutgläubig.

Noch einmal ganz ganz lieben Dank für deine Kommentare! Du hast mir den Morgen damit sehr versüßt und das hält mindestens noch den ganzen Tag an. ♥
Antwort von:  FreeWolf
13.08.2019 11:45
Ich stelle mir den inneren Konflikt in Jason sehr schwierig vor und bewundere ihn ein bisschen dafür, dass er so ruhig geblieben ist. Respekt. Es macht auch sehr viel Sinn, nachdem Nico buchstäblich auseinanderfällt kaum umarmt Jason ihn - das spricht für das tiefgehende Band, das sie beide miteinander verbindet.

Die Umarmung ist gerade deshalb, weil sie kein würdevolles stilles Weinen ist, so realistisch: Ich hatte ganz kurz das Gefühl beim Lesen, dass er mir jetzt auch die Rippen quetscht, weil er Nico so fest hält und nicht loslässt, bis es raus ist.

Ich bin normalerweise unglaublich kommentierfaul, aber hier konnte ich es mir nicht verkneifen. :3 Ich freu mich, dir den Tag versüßt zu haben, und freu mich auch darauf, mehr über diese wundersame Welt der Götter im Olymp zu lesen!


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